L 11 KR 2496/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 3268/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2496/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einem Ovarialkarzinom gehört die Tumordiagnostik mittels einer Liquid Biopsy nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.06.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger macht als Sonderrechtsnachfolger seiner verstorbenen Ehefrau die Erstattung von Kosten einer neuen Analyse-Methode (sog Liquid Biopsy) geltend.

Der Kläger war mit der 1953 geborenen und 2019 verstorbenen, bei der Beklagten krankenversicherten F (im Folgenden: Versicherte) verheiratet. Die Eheleute lebten bis zum Tod der Versicherten in einem gemeinsamen Haushalt. Die Versicherte litt unter einem mehrfach metastasierten Ovarialkarzinom (Erstdiagnose 2007) mit Zustand nach Operationen und Durchführung mehrerer Chemotherapien.

Mit Schreiben vom 17.03.2018 beantragte die Versicherte unter Vorlage eines Kostenvoranschlages der B vom 13.03.2018 eine Liquid Biopsy (molekulargenetische Diagnostik, Sequenzierung eines Tumors aus dem Blut) in Höhe von 2.950,00 €. Dem Kostenvoranschlag ist zu entnehmen, dass sich bei lebensbedrohlicher Erkrankung und vollständig ausgeschöpften konventionellen Therapieoptionen die Frage einer zielgerichteten Therapie stelle. Eine weiterführende molekulargenetische Diagnostik sei bislang nicht durchgeführt worden. Die Untersuchung sei notwendig, um aus dem Nachweis genetischer Veränderungen Erkenntnisse über eine relevante und gezielte Therapie zu gewinnen und der Versicherten einen invasiven Eingriff zu ersparen.

Mit Bescheid vom 26.03.2018 lehnte die Beklagte die beantragte Kostenübernahme für eine Liquid Biopsy ab. Zur Begründung wurde angeführt, dass es sich bei der beantragten Methode um keine Leistung handele, deren Wirksamkeit nachgewiesen sei.

Hiergegen richtete sich der Widerspruch der Versicherten (Schreiben vom 05.04.2018). Sie begründete diesen damit, dass die chemotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien. Sie befinde sich in einem guten Allgemeinzustand und wolle gegen den Krebs ankämpfen. Durch die molekulargenetische Diagnostik mittels Liquid Biopsy bestehe eine sehr gute Erfolgsaussicht, eine geeignete Therapie zu finden. Als ehemalige medizinisch-technische Assistentin habe sie Jahrzehnte in der Krebsforschung gearbeitet und sei von der beantragten Untersuchungsmethode vollkommen überzeugt.

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte in einem sozialmedizinischen Gutachten vom 20.04.2018 aus, dass die Methode der Liquid Biopsy bei der hier vorliegenden Indikation nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Die Methode zähle bislang nur für die gezielte Therapie eines lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms mit Osimertinib zur Vertragsleistung. Eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege bei der Versicherten vor. Schul- bzw vertragsmedizinische Leistungen seien von einer Tumorkonferenz zu überprüfen. Ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken liege für die Methode nicht vor. Für therapeutische Entscheidungen bestehe auf Grundlage einer Liquid Biopsy keine ausreichende Evidenz.

Die Beklagte unterrichtete die Versicherte mit Schreiben vom 03.05.2018 über das Ergebnis der Begutachtung. Die Versicherte hielt an ihrem Widerspruch fest und legte eine Tumorboard-Empfehlung des Universitätsklinikums T vom 06.07.2018/09.07.2018 sowie ein Schreiben der B vom 11.06.2018 vor, mit welchem Einwendungen gegen das Gutachten des MDK erhoben wurden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Liquid Biopsy sei den neuen Untersuchungsmethoden zuzuordnen und werde daher außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung erbracht. Die Abrechnung einer nicht allgemein anerkannten Untersuchungsmethode sei grundsätzlich ausgeschlossen, solange sich der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) zur Notwendigkeit und zum therapeutischen Nutzen der Methode nicht geäußert habe. Eine Empfehlung des GBA liege für die Liquid Biopsy nicht vor. Ein verfassungskonform begründeter Leistungsanspruch bestehe nicht, da ein Wirksamkeitsnachweis anhand einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Fällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken für die beantragte Liquid Biopsy nicht geführt sei.

Die Versicherte stellte am 23.11.2018 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 9 KR 3036/18 ER) beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und hat am 26.11.2018 Klage erhoben. Sie leide an einer lebensbedrohlichen und regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung. Die Methode der Liquid Biopsy biete eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung bzw jedenfalls auf spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Die besondere Eilbedürftigkeit liege darin, dass die Erkrankung unaufhörlich fortschreite. Sämtliche konventionellen Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft. Nach den Ausführungen der Tumorkonferenz des Universitätsklinikums T im Bericht vom 09.07.2018 sei die beantragte Untersuchung geeignet, der Versicherten eine letzte Therapiemöglichkeit zu eröffnen. Die Wirksamkeit der Methode werde durch das Schreiben der B vom 11.06.2018 belegt. H von der Universitäts-Frauenklinik T bestätige in seinem Schreiben vom 09.11.2018, dass die prädiktive Relevanz der Liquid Biopsy bereits mehrfach in prospektiv randomisierten Studien nachgewiesen sei. Eine molekulare Diagnostik an archiviertem Gewebe sei nicht sinnvoll, da dieses aus dem Jahr 2012 stamme und nicht mehr repräsentativ für die aktuelle Situation sei. Eine erneute Biopsie solle aufgrund des hohen Risikos einer Metastasierung im Bereich des Zugangsweges/Stichkanals nicht erfolgen.

Der MDK hat in einem weiteren sozialmedizinischen Gutachten vom 21.12.2018 ausgeführt, dass die Liquid Biopsy für die vorliegende Indikation nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Auch unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 2 Abs 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) lasse sich keine Leistungspflicht annehmen. Zwar könne eine lebensbedrohliche Erkrankung bei rezidiviertem, metastasiertem Ovarialkarzinom zweifelsfrei bestätigt werden. Allerdings stünden als vertragliche Untersuchungs- und Behandlungsmethoden eine leitliniengerechte Diagnostik und Therapie sowie - falls für die Planung der weiteren Therapie erforderlich - die Gewinnung von Tumorgewebe mittels Biopsie zur Verfügung. Die Liquid Biopsy zur molekulargenetischen somatischen Diagnostik sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt als experimentell einzustufen. Eine strukturierte Nutzen-Risiko-Bewertung könne außerhalb von klinischen Studien nicht erfolgen. In den nationalen und internationalen Leitlinien zum (metastasierten) Ovarialkarzinom sei die Liquid Biopsy in keiner Form erwähnt. Im Übrigen ließen sich unmittelbare Aussichten auf einen Behandlungserfolg durch das beantragte diagnostische Verfahren nicht ableiten. Potentiell therapierelevante Genveränderungen führten nicht per se zu der zwingend notwendigen Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Das Ergebnis einer molekulargenetischen Tumor-Diagnostik habe zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Einfluss auf die vertragsärztlich zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten.

Mit Beschluss vom 03.01.2019 hat das SG den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Die hiergegen am 11.02.2019 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhobene Beschwerde (L 4 KR 547/19 ER-B) ist zurückgenommen worden.

Mit Schreiben vom 26.06.2019 hat die Versicherte Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 iHv 2.950 € und vom 20.05.2019 über 2.000 € zur Erstattung eingereicht. Nach einer ersten Analyse mit Befundübermittelung am 05.03.2019 (Rechnung vom 12.03.2019) habe die Tumorkonferenz vom 12.04.2019 eine Wiederholungsanalyse empfohlen, deren Ergebnis am 16.05.2019 übermittelt worden sei (Rechnung vom 20.05.2019). Sämtliche mit der Behandlung der Versicherten befassten Ärzte seien sich darin einig, dass die in Streit stehende Untersuchung geeignet sei, Aufschluss über weitere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten zu geben. Nicht relevant könne der Umstand sein, dass es sich hierbei um eine diagnostische Maßnahme handele, zumal eine herkömmliche Biopsie aufgrund des Risikos einer Metastasierung nicht in Betracht komme und auch aus dem Ergebnis zugelassener Diagnostikverfahren nicht zwingend Therapieempfehlungen folgen müssten. Dem Schreiben ist eine weitere Stellungnahme der B vom 23.01.2019 beigefügt worden.

Am 04.09.2019 ist die Versicherte an den Folgen ihrer Erkrankung verstorben. Mit Beschluss vom 04.11.2019 hat das SG das Verfahren ausgesetzt. Mit Schreiben vom 06.12.2019 hat der Prozessbevollmächtigte das Verfahren unter Anzeige der Vertretung der Rechtsnachfolger der Versicherten wieder aufgenommen. Mit Schreiben vom 24.06.2020 hat der Prozessbevollmächtigte ausgeführt, dass der Rechtsstreit ausschließlich durch den Ehegatten der Versicherten als Kläger fortgeführt werde.

Mit Schreiben vom 21.02.2020 hat B darauf hingewiesen, am 27.02.2019 auf Wunsch der Patientin mit der Diagnostik begonnen zu haben, deren Ergebnis am 05.03.2019 an das molekulare Tumorboard der Universitätsklinik übermittelt worden sei. Das molekulare Tumorboard habe hieraus keine Therapieempfehlung ableiten können, weshalb vorgeschlagen worden sei, eine weitere Probe zu untersuchen. Das Ergebnis dieser erneut untersuchten Blutprobe sei am 16.05.2019 an das molekulare Tumorboard übermittelt worden.

Die Beklagte hat ausgeführt, nach den Feststellungen im Gutachten des MDK vom 20.04.2018 gebe es beim metastasierten Ovarialkarzinom keine ausreichende Evidenz für therapeutische Entscheidungen auf der Grundlage einer Liquid Biopsy. Erkenntnisse zur Liquid Biopsy bei zugelassenen Diagnosen ließen sich nicht auf andere Tumorentitäten übertragen. In der Tumorboard-Empfehlung vom 09.07.2018 werde eine molekuläre Diagnostik zur erneuten Evaluation weiterer Möglichkeiten zwar angesprochen, konkrete Konsequenzen in Form der Weiterführung von Therapieschritten würden allerdings nicht genannt. Zur Frage einer therapeutischen Konsequenz als Vertragsleistung nach einer molekulargenetischen Tumor-Diagnostik äußere sich auch der Bericht der B vom 23.01.2019 nicht weiter.

Mit Urteil vom 25.06.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Erstattung bestehe nicht, da bereits kein Primäranspruch bestehe. Ein Anspruch käme nur nach § 2 Abs 1a SGB V in Betracht. Das Ergebnis einer Liquid Biopsy habe keinen Einfluss auf die vertragsärztlich zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten. Vor Durchführung der Analyse sei keineswegs sicher, ob die aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse eingeleiteten Maßnahmen einer abstrakten Nutzen-Risiko-Analyse standhielten und im Ergebnis mehr nutzten als schaden könnten. Nicht zuletzt aus diesem Grund fehle es der Liquid Biopsy an der für eine verfassungskonforme Leistungserbringung erforderlichen nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf einen (kurativ oder palliativ ausgerichteten) Behandlungserfolg.

Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 09.07.2020 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Urteil richtet sich die am 10.08.2020 (Montag) eingelegte Berufung des Klägers. Er macht geltend, entgegen der Ansicht des SG gehe aus den vorgelegten Unterlagen hervor, dass aus der molekulargenetischen Untersuchung Liquid Biopsy eine konkrete Handlungsmöglichkeit gefolgert werden könne. Im Hinblick auf die Ausführungen des SG, es sei nicht klar, weshalb aus einer ersten Blutprobe durch das Tumorboard keine Therapieempfehlung habe abgeleitet werden können, und welche therapeutischen Konsequenzen aus dem Ergebnis der zweiten Blutprobe folgen würden, wäre weitere Aufklärung zu betreiben gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25.06.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten aus den Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 und 20.05.2019 in Höhe von insgesamt 4.950,00 € zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Der Senat hat die behandelnden Ärzte der Versicherten schriftlich als sachverständige Zeugen befragt.

H hat ausgeführt, es hätten keine therapeutischen Maßnahmen mehr zur Verfügung gestanden. Es sei daher mit der Liquid Biopsy nach therapeutischen Alternativen gesucht worden. In diesem Zusammen könne Turmormaterial sequenziert werden und nach genetischen Veränderungen gesucht werden, die, sofern eine sog drugable Mutation gefunden werde, eine Rationale für eine zielgerichtete Therapie bilden könne. Beispiele beim Ovarialkarzinom seien Mutationen in den Genen BRCA1 oder BRCA2. Da bei der Versicherten kein aktuelles Tumormaterial (zB aus einer kürzlich erfolgten OP) zur Verfügung gestanden habe bzw nur im Rahmen eines operativen Eingriffs (welcher aufgrund der fortgeschrittenen Erkrankung nicht bzw nur unter Inkaufnahme eines sehr hohen operativen Risikos möglich gewesen sei) hätte gewonnen werden können, sei durch das molekulare Tumorboard eine Liquid Biopsy empfohlen worden. Es sei Tumor-DNA über eine simple Blutprobe gewonnen und sequenziert worden. Anerkannte Methoden hätten nicht zur Verfügung gestanden. Eine Operation zur Gewebegewinnung sei viel zu gefährlich gewesen. Auch ein minimalinvasives Vorgehen sei abzulehnen, einerseits aufgrund des Narkoserisikos und andererseits aufgrund des Risikos von sog Troicart-Metastasen. Die Liquid Biopsy hätte den Vorteil geboten, dass keinerlei Risiken (außer der Blutentnahme) bestanden hätten. Im Falle des Ovarialkarzinoms könnten keine evidenzbasierten Therapieempfehlungen abgegeben werden. Bei der Klägerin hätten auch keine evidenzbasierten Therapien mehr zur Verfügung gestanden. Da im Rahmen der Liquid Biopsy keine sinnvollen Targets (drugable Mutationen) gefunden worden seien, seien keine therapeutischen Konsequenzen abgeleitet worden.

B hat mit Schreiben vom 16.02.2021 angegeben, es handele sich bei der Liquid Biopsy um eine nicht invasive Methode der Tumordiagnostik, die angewendet werde, wenn eine invasive Biopsie des Tumors nicht möglich sei, da es den Patienten in eine lebensgefährliche Situation bringen könnte zB durch Blutung oder Infektion der Biopsiestelle. In solchen Situationen sei die Liquid Biopsy die einzige verfügbare Methode, um eine umfangreiche molekulare Diagnostik des Tumors zu erreichen. Die umfangreiche molekulare Untersuchung von Tumorgewebe sei eine Leistung mit medizinischer Indikation, da das Ergebnis eine direkte therapeutische Relevanz haben könne. Es sei mittlerweile hinreichend bekannt, dass sich trotz gleicher Diagnose Tumorzellen erheblich auf genetischer Ebene unterschieden. Es gebe zunehmend Hinweise, dass DNA-Reparaturdefekte in ursächlichem Zusammenhang mit der Erkrankung stehen können. Daraus ergäben sich höchst relevante Therapiemöglichkeiten, durch die der Verlauf und damit die Krankheitsfolgen gelindert werden könnten. Ziel und Relevanz einer umfassenden Tumordiagnostik diene einzig und allein dazu, Therapieansatzpunkte abzuleiten.

Auf Hinweis des Senats, dass hinsichtlich der zweiten durchgeführten Liquid Biopsy möglicherweise der Beschaffungsweg nicht eingehalten worden sei, hat der Kläger ausgeführt, dass es nach seinen Kalendernotizen und Erinnerungen so gewesen sei, dass sich B in Abstimmung mit dem Tumorboard/H am 16.04.2019 telefonisch bei der Versicherten gemeldet und mitgeteilt hätte, die Versicherte müsse am Nachmittag nochmals vorbeikommen, da eine zweite Blutprobe für eine Untersuchung benötigt werde. Die Versicherte habe keine Zeit mehr gehabt, einen Antrag zu stellen. Ihre gesundheitliche Situation sei so schlecht gewesen, dass der Termin nicht aufschiebbar gewesen sei. Es werde außerdem davon ausgegangen, dass ein weiteres Vorverfahren nicht erforderlich sei, es liege ein einheitlicher Vorgang vor.

Auf ergänzende Nachfrage des Senats, welche Ergebnisse die Liquid Biopsy erbringen sollte, wenn keine evidenzbasierten Therapieoptionen mehr zur Verfügung stünden, also mit welchen nicht evidenzbasierten Empfehlungen denn gerechnet werden könnte, hat H ausgeführt, dass manchmal mit der Liquid Biopsy molekulare, dh insbesondere genetische Veränderungen des Tumors gefunden werden könnten, die gezielt mit Medikamenten (zB Substanzen, die zur Behandlung anderer Krebsarten zugelassen seien) behandelt werden könnten. In der Regel seien diese Behandlungen/Medikamente nicht speziell zur Therapie des Ovarialkarzinoms zugelassen, könnten aber, wenn keinerlei Therapieoptionen mehr bestünden, durchaus sinnvoll sein.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 09.08.2021, der Kläger mit Schreiben vom 26.08.2021 das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gemäß § 124 Abs 2 SGG entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 26.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den von der Versicherten geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer Liquid Biopsy abgelehnt hat. Aufgrund der zwischenzeitlich durchgeführten Behandlung ist das Begehren nunmehr zulässigerweise auf Kostenerstattung gerichtet. Zulässige Klageart ist die mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage (§§ 54 Abs 1 und 4, 56 SGG). Der Kläger hat die bei Zahlungsklagen grundsätzlich erforderliche Bezifferung des Anspruchs vorgenommen. Betrifft ein Zahlungsanspruch einen abgeschlossenen Vorgang aus der Vergangenheit, ist er zur Vermeidung eines ansonsten im Raum stehenden zusätzlichen Streits über die Höhe des Anspruchs konkret zu beziffern; es muss also grundsätzlich ein bestimmter (bezifferter) Zahlungsantrag gestellt und dargelegt werden, wie sich dieser Betrag im Einzelnen zusammensetzt (Bundessozialgericht <BSG> 10.04.2008, B 3 KR 20/07 R, SozR 4-2500 § 39 Nr 15; BSG 20.11.2008, B 3 KR 25/07 R, SozR 4-2500 § 133 Nr 3). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Ob die auf Erstattung der zweiten Liquid Biopsy (Rechnung vom 20.05.2019) gerichtete Klage bereits unzulässig ist, da das erforderliche Verwaltungsverfahren nicht durchgeführt worden ist, oder ob es sich bei der mit Bescheid vom 26.03.2018 erfolgten Ablehnung der Liquid Biopsy durch die Beklagten um eine generelle Ablehnung dieser Methode und damit um einheitlichen Vorgang handelt, lässt der Senat offen. Denn auch insoweit bleibt die Klage jedenfalls der Sache nach ohne Erfolg.

Die Klage, gerichtet auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen der Praxis für Humangenetik vom 12.03.2019 und 20.05.2019, ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger ist zur Geltendmachung des streitigen Anspruchs aktivlegitimiert. Er ist gem § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) Sonderrechtsnachfolger der Versicherten, seiner Ehefrau. Er lebte zum Zeitpunkt ihres Todes am 04.09.2019 mit ihr in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht jedoch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten aus den Rechnungen vom 12.03.2019 iHv 2.950,00 € und vom 20.05.2019 iHv 2.000 €.

Ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V kommt vorliegend schon von vornherein nicht in Betracht, da die Versicherte nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte.

Auch die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind (Fall 2). Ein Anspruch nach § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl BSG 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12). Die Regelung des § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V will Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Naturalleistung nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Naturalleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke besteht. Eine Versorgungslücke besteht nicht, wenn der Versicherte eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch nehmen kann, aber nicht will.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Anspruch auf Krankenbehandlung umfasst jedoch nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 5 iVm § 135 Abs 1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer (Ärzte, Zahnärzte usw) neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt. Die Krankenkassen sind deshalb nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die streitige Therapie nach eigener Einschätzung der Versicherten oder der behandelnden Ärzte positiv verlaufen ist oder einzelne Ärzte die Therapie befürwortet haben (BSG 03.07.2012, B 1 KR 6/11 R, BSGE 111,137). „Neu“ ist eine Methode, wenn sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthalten ist (BSG 05.05.2009, B 1 KR 15/08 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 16 mwN). Gemessen daran ist die Liquid Biopsy als bislang nicht vom GBA empfohlene Diagnostik im Rahmen der Behandlung des Ovarialkarzinoms neu und damit grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung. Im EBM als Abrechnungsziffer vorgesehen ist die Analyse lediglich im Falle des lokal fortgeschrittenen oder metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms.

Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des GBA bedarf, liegt nicht vor. Weder ergeben sich angesichts der erheblichen Verbreitung des Krankheitsbildes Anhaltspunkte für einen Seltenheitsfall (BSG 19.10.2004, B 1 KR 27/02 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 1 mwN) noch für ein Systemversagen. Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (sog Systemversagen). Diese Durchbrechung beruht darauf, dass in solchen Fällen die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben ist und deshalb die Möglichkeit bestehen muss, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 12 mwN). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem GBA antragsabhängig ist und ein entsprechender Antrag beim GBA nicht gestellt worden ist.

Der Kläger kann den Anspruch auch nicht auf die Verfassung unmittelbar oder den in Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, SozR 4-2500 § 25 Nr 12) eingeführten § 2 Abs 1a SGB V stützen. Der Gesetzgeber hat den vom BVerfG formulierten Anforderungen an eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf neue Behandlungsmethoden im Fall einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen oder zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, mit dem am 01.01.2012 in Kraft getretenen § 2 Abs 1a SGB V (Gesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983) Rechnung getragen.

Nach dem Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005 folgt aus den Grundrechten nach Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und nach Art 2 Abs 2 GG ein Anspruch auf Krankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verspricht (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25, 49 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5). Das BSG hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Folge näher konkretisiert und dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind, wie etwa der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl zB BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 - D-Ribose; BSG 20.04.2010, B 1/3 KR 22/08 R, BSGE 106, 81 = SozR 4-1500 § 109 Nr 3 - Kuba-Therapie; BSG 02.09.2014, B 1 KR 4/13 R, SozR 4-2500 § 18 Nr 9 - Kuba-Therapie). Dem ist der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des Anspruchs in § 2 Abs 1a SGB V gefolgt (in Kraft getreten zum 01.01.2012). Danach können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht (BSG 19.03.2020, B 1 KR 22/18 R, juris).

Eine Leistungsverweigerung der Krankenkasse unter Berufung darauf, eine neue ärztliche Behandlungsmethode sei ausgeschlossen, weil der GBA diese nicht anerkannt habe, verstößt unter Anwendung dieser Grundsätze dann gegen das Grundgesetz bzw § 2 Abs 1a SGB V, wenn folgende drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Es liegt eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor (1.); bezüglich dieser Krankheit steht eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung (2.) und hinsichtlich der beim Versicherten ärztlich angewandten (neuen, nicht allgemein anerkannten) Behandlungsmethode besteht eine "auf Indizien gestützte" nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf (3.).

Dabei ist der Anwendungsbereich des § 2 Abs 1a SGB V nicht auf therapeutische Maßnahmen begrenzt, sondern erfasst auch diagnostische Maßnahmen. Die Vorschrift verlangt nur, dass durch die Leistung eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Hierzu können auch noch nicht dem Qualitätsgebot entsprechende Untersuchungsleistungen beitragen. Gibt es keine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Diagnostik oder sind die diesem Standard entsprechenden diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, ohne hinreichende Erkenntnisse für das weitere therapeutische Vorgehen zu liefern, kommen auch noch nicht anerkannte diagnostische Methoden in Betracht, wenn im Falle einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung dadurch erst der Weg für therapeutische Maßnahmen eröffnet werden kann, mit denen eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf verbunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn die therapeutische Maßnahme ihrerseits nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht, sich aber auf eine eigenständige, auch dem Qualitätsgebot nicht entsprechende Untersuchungsleistung stützt (BSG 24.04.2018, B 1 KR 29/17 R, SozR 4-2500 § 2 Nr 11, juris Rn 25).

Für den Senat steht fest, dass die Versicherte an einem lebensbedrohlichen rezidivierten und metastasierten Ovarialkarzinoms erkrankt war. Dies ergibt sich aus sämtlichen vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere auch aus dem Gutachten des MDK vom 21.12.2018.

Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stehen nicht zur Verfügung, wenn solche, bezogen auf das jeweilige konkrete Behandlungsziel iSv § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V, im medizinischen Leistungsspektrum (allgemein) nicht vorhanden sind oder diese für den konkreten Behandlungsfall wegen erheblicher gesundheitlicher Risiken, vor allem schwerwiegender Nebenwirkungen, nicht nutzbar sind; relevant für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Behandlung (Noftz in: Hauck/Noftz, SGB V, 7/18, § 2 SGB V, Rn 76f mwN).

Zur Zeit der Durchführung der streitgegenständlichen Behandlung bestand bei der Versicherten eine palliative Situation. Dies ergibt sich aus der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2018/09.07.2018. Dort ist ausgeführt, dass seit 02/2016 wiederholt eine palliative Chemotherapie durchgeführt worden ist.

Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen standen nicht mehr zu Verfügung. Dies entnimmt der Senat ebenfalls der Tumorboard-Empfehlung vom 06.07.2019/09.07.2019. Dort ist angegeben, dass keine zugelassenen Therapieoptionen mehr bestehen.

Ein Anspruch auf die vorgenommene Diagnostik mittels Liquid Biopsy besteht dennoch nicht, weil nicht erwiesen ist, dass mit dieser Therapie eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf für die Versicherte verbunden war. Der MDK hat in seinem Gutachten vom 21.12.2018, dem sich der Senat anschließt, eine durchgeführte Literaturrecherche ausführlich dargelegt. Aus der SHIVA Studie für die molekulargenetische Untersuchung an Tumorgewebe nach Biopsie wurde demnach gezeigt, dass es derzeit keinesfalls sicher sei, dass die möglichen Maßnahmen im Anschluss an die Untersuchung in jedem Fall mehr nutzen als schaden. Weder in der S3-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF; Stand 09.11.2017), der Leitlinie der europäischen Gesellschaft für medizinische Onkologie noch in der der evidenzbasierten Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network zum Ovarialkarzinom (Stand März 2018) wird die Liquid Biopsy erwähnt. Darüber hinaus wird auch von H und von B trotz entsprechender Nachfrage des Senats nicht mitgeteilt, welche spürbare Einwirkung sich aufgrund der durchgeführten Diagnostik auf den Krankheitsverlauf ergeben kann bzw welche Konsequenzen sich ergeben könnten. B hat lediglich allgemein ausgeführt, dass sich daraus höchst relevante Therapiemöglichkeiten ergeben könnten. H konnte dies immerhin näher beschreiben, indem er darauf hingewiesen hat, dass manchmal mit der Liquid Biopsy molekulare, dh insbesondere genetische, Veränderungen des Tumors gefunden werden könnten, die gezielt mit Medikamenten (zB Substanzen, die zur Behandlung andere Krebsarten zugelassen seien), behandelt werden können. Nachdem die sich aus der Untersuchungsmethode möglicherweise ergebenden therapeutischen Konsequenzen kaum sinnvoll beschrieben werden können, vermag der Senat einen Nutzen nicht zu erkennen. Vielmehr sind diese Angaben derart vage, dass hier von einem rein experimentellen Verfahren ausgegangen werden muss. Hierfür spricht auch auf die vom SG bereits erwähnte Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (DGP), wonach ein allgemein anerkanntes standardisiertes Vorgehen in Bezug auf bestehende Isolations- und Analysetechnologien, die Auswertung der gewonnenen Daten sowie eine transparente, nachvollziehbare sowie reproduzierbare Therapieempfehlung bislang nicht zu erkennen sei.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Als Sonderrechtsnachfolger der Versicherten nach § 56 SGB I gehört der Kläger zum privilegierten Personenkreis nach § 183 Satz 1 SGG, für den das Verfahren gerichtskostenfrei ist.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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