L 8 U 3785/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 760/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3785/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 15.10.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Weitergewährung einer Verletztenrente ab dem 01.01.2019 im Streit.

Der 1955 geborene Kläger erlitt am 10.12.2015 auf seinem Heimweg von der Arbeit als behelmter Rollerfahrer einen Verkehrsunfall, bei dem ihn der Fahrer eines entgegenkommenden Fahrzeuges übersah und frontal mit ihm zusammenstieß. Der Kläger wurde notfallmäßig im Klinikum R behandelt, wo ein Polytrauma mit einer Rippenserienfraktur rechts, ein Weichteilschaden II. Grades bei geschlossener Fraktur oder Luxation des Thorax, eine Lungenkontusion rechts, eine Sternumfraktur, eine Schädelprellung, ein traumatischer Hämothorax rechts, ein einseitiges Emphysem rechts sowie eine akute respiratorische Insuffizienz (hyperkapnisch) diagnostiziert wurden (Durchgangsarztbericht des dort beschäftigten K vom 11.12.2015). Im Rahmen der eingeleiteten Intensivbehandlung gelang es – bei vorbekannter COPD [chronisch obstruktiver Lungenerkrankung] – nicht, den Kläger nicht-invasiv mit Maske zu beatmen. Der Kläger musste deswegen intubiert und invasiv beatmet werden. Desweiteren wurden eine Sedierung und eine Tracheotomie durchgeführt. Eine Pneumonie konnte durch resistenzgerechte Antibiotikagabe und mehrfache bronchioskopische Bronchialtoilette beherrscht werden. Der Kläger konnte nach einiger Zeit auf die Normalstation verlegt werden, wobei sich sein Zustand allmählich weiter besserte. Eine Röntgenthoraxkontrolle im Klinikum R zeigte einen deutlich rückläufigen Erguss ohne Anhalt auf einen Pneumothorax.

Am 12.01.2016 wurde der Kläger zur komplexstationären Rehabilitation in die B Uklinik T verlegt, wo er bis zum 02.02.2016 stationär behandelt wurde. Im Rahmen dieser Behandlung berichtete der B1 am 15.01.2016 nach einer Untersuchung des Klägers, dass eine respiratorische Partialinsuffizienz mit Empfehlung einer Sauerstoff-Therapie bestehe. Hierbei wurde davon ausgegangen, dass Ursache der respiratorischen Partialinsuffizienz eine Kombination aus Unfallfolgen, Adipositas und COPD sei.

Der S stellte am 22.03.2016 fest, dass die Situation des Klägers in der vorliegenden Kombination fatal sei. Der Kläger rauche ungeachtet der vorbestehenden COPD und der weiteren Einschränkungen durch die Unfallfolgen (Hämothorax und Rippenserienfrakturen und die zusätzliche Restriktion) weiterhin bzw. nach einer Pause von gut einem Monat erneut. Nunmehr bestehe bei dem Kläger eine gravierende kombinierte Ventilationsstörung, welche das Atmungssystem zur Dekompensation gebracht habe. Trotz Sauerstoffsubstitution mit zwei Liter Sauerstoff pro Minute betrage die Sauerstoffsättigung lediglich 90%. Er empfehle eine Erhöhung und Anpassung der Therapie. 

In einem Reha-Gespräch am 20.04.2016 gab der Kläger an, dass er gerne wieder arbeiten wolle und sich dies grundsätzlich auch mit dem Sauerstoffgerät zutraue.

Im Auftrag der Beklagten erstattete die M am 15.05.2016 ein Gutachten aufgrund persönlicher Untersuchung des Klägers am 12.05.2016 sowie aufgrund ihres vor dem Unfall erhobenen eigenen Befundes vom 23.11.2015 (M ist die Praxisvorgängerin von S). Der Kläger gab hierbei an, dass er vor dem Unfall länger habe laufen können und auch keinen Sauerstoff benötigt habe. Das Treppensteigen und Bergaufgehen seien aber schon vorher schwierig gewesen. Er habe bis Februar 2016 geraucht. M stellte eine kombinierte Ventilationsstörung fest, die bei COPD schon vor dem Unfall am 23.11.2015 vorgelegen habe. Das COPD habe schon vor dem Unfall vorgelegen und eine eingeschränkte Lungenfunktion verursacht; diese Erkrankung sei durch den Unfall weder rechtlich wesentlich verursacht noch verschlimmert worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger noch bis zu 60 Zigaretten am Tag geraucht. Die Lungenfunktionsbefunde seien nach Spasmolyse bei deutlicher Überblähung im November 2015 schlechter als zum Zeitpunkt der aktuellen Untersuchung gewesen. Am 23.11.2015 habe die Sauerstoffsättigung bei Raumluft allerdings noch bei 96% ohne Sauerstoffgabe gelegen. Jetzt liege sie trotz zwei l pro Minute Sauerstoffgabe lediglich bei 88 bis 89%. Eine bessere Einstellung der Therapie sei erforderlich. Die Notwendigkeit der Sauerstoffgabe sei erst seit dem Unfall gegeben und lasse sich nur mit der Lungenkontusion und den damit verbundenen fibrosierenden Veränderungen erklären. Möglicherweise sei es auch während der Beatmungsphase zu einer unerkannten Lungenembolie gekommen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beurteilte die Gutachterin mit 70 von Hundert (v.H.).

Eine Computertomographie vom 02.03.2016 ergab nach Auswertung durch die Radiologin F residuale Lungenkontusionen rechts und einen kleinen dorsalen Pleuraerguss rechts. Im Bereich der Rippenfrakturen zeigten sich Callusbildungen, teils noch mit deutlich erkennbarem Frakturspalt, sodass eine Pseudarthrosebildung nicht auszuschließen sei.

Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK bei und übernahm die Kosten der Sauerstoffversorgung des Klägers. Die Wiedereingliederung des Klägers am alten Arbeitsplatz scheiterte daran, dass der Arbeitgeber eine Beschäftigung mit Sauerstoffgerät ablehnte, woraufhin zunächst weiterhin Verletztengeld gewährt wurde.

Ausweislich eines lungenfachärztlichen Befundes von S vom 24.08.2016 lag am 23.08.2016 eine klinisch und lungenfunktionell stabile und blutgasanalytisch gebesserte Situation vor. Der Sauerstoff habe wieder auf zwei Liter pro Minute reduziert werden können. Leider rauche der Kläger weiterhin. Außerdem sei eine Gewichtsreduktion dringend anzuraten. Insoweit verwies S am 03.02.2017 auch auf das Vorliegen eines hochgradigen obstruktiven Schlafapnoesyndroms, welches Gegenstand eines Therapieversuchs mit Maske sei. Die Lungenfunktion habe sich bei fortgesetztem Rauchen verschlechtert.

Am 09.03.2017 erstattete M im Auftrag der Beklagten ein weiteres Gutachten (erstes Rentengutachten). Bei dem Kläger liege ein unter einer Schwiele im rechten Unterfeld und unter einer Kallusbildung verheilter Hämothorax vor. Als weitere Unfallfolgen bestünden eine respiratorische Partialinsuffizienz bzw. nach Belastung eine respiratorische Globalinsuffizienz mit der Notwendigkeit der Sauerstoff-Langzeittherapie, sowie eine Polyglobulie und eine kombinierte Ventilationssstörung. Mit einer transkutanen Sauerstoffsättigung von 87 % ohne Sauerstoffgabe und im Sitzen sei der altersentsprechende Zielwert deutlich unterschritten worden. Einige Lungenfunktionsparameter hätten sich demgegenüber allerdings auch deutlich gebessert; so seien die Volumina aktuell besser als vor dem Unfall. Die obstruktive Ventilationsstörung in den kleinen Atemwegen und die Lungenüberblähung hätten zugenommen. Unter Belastung mit 50 Watt über vier Minuten sinke die Sauerstoffsättigung auf 86,8% ab. Festgestellt worden sei nunmehr auch eine Hyperkapnie als Hinweis für eine Erschöpfung der Atemmuskulatur unter Belastung. Die unfallbedingte MdE bewertete sie mit 100 v.H.

Außerdem holte die Beklagte das weitere Rentengutachten des S1 vom 21.03.2017 ein, der bei einer leichtgradig vermehrten Kalksalzbildung und vollständig abgeheilten Rippenfrakturen C1 bis C8 von einer MdE auf seinem Fachgebiet von unter 10 v.H. ausging. Die wesentlichen Unfallfolgen bestünden in einer Einschränkung der Lungenfunktion mit Abhängigkeit von einer dauerhaften Sauerstofftherapie.

Mit Bescheid vom 26.04.2017 teilte die Beklagte dem Kläger die Beendigung des Anspruchs auf Verletztengeld am 07.06.2017 mit.

Die H gelangte am 25.04.2017 zu der Einschätzung, dass eine Lungeneinschränkung mit einer MdE um 100 v.H. zwar nachvollziehbar sei, dies jedoch nur teilweise dem Unfall angelastet werden könne. Aufgrund der Vorerkrankung, welche ausgehend vom Befund vom 23.11.2015 bereits eine MdE um 60 v.H. gerechtfertigt hätte, könnte nur der durch den Unfall erfolgte Verschlimmerungsanteil entschädigt werden.

Mit Bescheid vom 07.06.2017 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 40 v.H. ab dem 08.06.2017. Als Unfallfolgen anerkannte sie eine Verschlimmerung einer vorbestehenden obstruktiven Ventilationsstörung mit Lungenüberblähung in Form einer anteilig bestehenden respiratorischen Partialinsuffizienz und nach Belastung einer respiratorischen Globalinsuffizienz mit der Notwendigkeit einer Sauerstoff-Langzeittherapie. Außerdem lägen als Unfallfolgen eine Polyglobulie, ein Zustand nach Rippenserienbruch C 1 bis C 8 rechts, ein zweitgradiger Weichteilschaden bei geschlossenem Bruch des Brustkorbs und ein unter Schwielenbildung verheilter Hämatopneumothorax rechtsseitig nach Prellung und Hämatom der Lunge und Fissur am Brustbein vor. Ohne wesentliche Folgen ausgeheilt seien eine unfallbedingte Schädelprellung, ein Hydrops (Wasseransammlung) in der Gallenblase und eine nosokomiale Pneumonie (während der Behandlung im Krankenhaus entwickelte Lungenentzündung). Unfallunabhängig seien – unter anderem – die Folgen der vorbestehenden fortgeschrittenen COPD Stadium III, des vorbestehenden Schlafapnoesyndroms und des Diabetes mellitus Typ II.

Die Deutsche Rentenversicherung Baden-Württemberg (DRV) gewährte dem Kläger ab 01.04.2017 Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die Gutachterin M vertrat in ihrem zweiten Rentengutachten vom 21.08.2018 die Auffassung, dass beim Kläger aufgrund einer hochgradigen Belastungsatemnot, einer Hypoxämie in Ruhe, der Polyglobulie, Hinweisen auf ein Cor pulmonale bei fortbestehender Notwendigkeit einer regelmäßigen inhalativen Therapie – aber nur leichtgradigen Lungenfunktionsveränderungen – eine MdE um 80 anzunehmen sei. Das Landratsamt habe 2016 einen GdB von 50 und 2018 einen GdB von 80 anerkannt.

In einer zweiten Stellungnahme führte die H am 29.10.2018 aus, dass eine Diskrepanz zwischen dem geringen Restbefund nach Thoraxtrauma und einer ausgeprägten, zunehmenden Transferstörung mit Nachweis zunehmendem Sauerstoffbedarf vorliege. Möglicherweise bestehe eine weitere (unfallunabhängige) Lungenerkrankung. Die Ursache der Funktionseinschränkungen und der Zusammenhang mit dem Unfall seien nicht plausibel erklärt.

Die Gutachterin M bestätigte daraufhin mit einer Stellungnahme vom 05.11.2018 das Vorliegen einer Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Lungenfunktionsuntersuchungen. Die obstruktive Ventilationsstörung im Rahmen der COPD sei eindeutig besser geworden. Die eingeschränkten Blutgaswerte seien durch die COPD alleine nicht erklärbar. Eine Lungenfibrose könne diese Diskrepanzen erklären, wozu ein Computertomogramm (CT) eingeholt werden sollte.

Nach Anfertigung einer Computertomographie des Thorax am 03.12.2018 stellte die E jedoch keine ausgeprägte Fibrose fest.

Mit Bescheid vom 05.12.2018 entzog die Beklagte daraufhin unter Hinweis auf das Gutachten von M und die CT-Untersuchung vom 03.12.2018 die Rente als vorläufige Entschädigung ab Januar 2019 und führte ergänzend aus, dass nach vorübergehender Verschlimmerung einer vorbestehenden obstruktiven Ventilationsstörung mit Lungenüberblähung nunmehr die noch bestehenden Beschwerden auf unfallunabhängig bestehende Vorerkrankungen zurückzuführen seien.

Mit weiterer Stellungnahme vom 04.12.2018 ging Frau M von einer pulmonalen Hypertonie aus, die Ursache für die Einschränkung der Sauerstoffdiffusion sei. Eine flächenhafte Fibrosierung sei nicht zu erkennen. Die pulmonale Hypertonie sei definitiv vor dem Unfall nicht vorhanden gewesen und könne durch kleine Lungenembolien durch das Gewebetrauma nach dem Unfall verursacht worden sein. Dies lasse sich rückwirkend jedoch nicht mehr beweisen. Die Notwendigkeit einer regelmäßigen inhalativen Therapie bestehe aufgrund der COPD, die schon vor dem Unfall vorhanden gewesen sei und nicht in die Einschätzung der MdE eingehe.

Die Bevollmächtigte des Klägers legte mit Schreiben vom 12.12.2018 Widerspruch gegen die Entziehung der Verletztenrente ein, wozu sie unter anderem auf Ausführungen von M im Hinblick auf eine Verbesserung der Vorerkrankung COPD nach Reduzierung des Zigarettenkonsums hinwies.

Mit gesondertem Schreiben vom 11.01.2019 holte die Beklagte dann die zuvor unterlassene Anhörung zu der Rentenentziehung nach, wobei sie auf die aus ihrer Sicht für ihre Entscheidung maßgeblichen medizinischen Tatsachen und Bewertungen hinwies.

Daraufhin legte die Klägerbevollmächtigte ihre Auffassung dar, dass nach den Gutachten von M von einer wesentlich höheren MdE auszugehen sei. Zumindest sei dem Kläger seine bisherige Verletztenrente nach einer MdE um 40 zu belassen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte mehrfach M mit der Begutachtung beauftrage, um dann den jeweiligen Ausführungen der Gutachterin nicht zu folgen. Zudem hätten sich auch die Auswirkungen des vorbestehenden COPD deutlich verringert, nachdem der Kläger das Rauchen aufgegeben habe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2019 zurück, da die Unfallfolgen seit Januar 2019 deutlich geringer seien und keine MdE um wenigstens 20 v.H. mehr begründeten. Ansprüche auf Rentenleistungen bestünden über den 31.12.2018 hinaus nicht. Die Pneumonie sei ausgeheilt, und die vorübergehende respiratorische Insuffizienz bei Atempumpeninsuffizienz sei behoben. Die vorbestehende COPD habe sich nicht dauerhaft verschlechtert, die Obstruktion der Atemwege hingegen habe sich leicht gebessert. Die weiterhin vorliegende respiratorische Partialinsuffizienz könne nicht (mehr) hinreichend auf die Folgen des Unfalls vom 10.12.2015 zurückgeführt werden. Die noch vorliegenden geringen Restbefunde nach ausgeheiltem Thoraxtrauma könnten die noch vorliegenden ausgeprägten funktionellen Einschränkungen nicht erklären. Pathophysiologisch würden die nachgewiesenen Veränderungen nicht direkt durch das Thoraxtrauma schlüssig erklärt. Die von der Gutachterin angenommene pulmonale Hypertonie sei nicht eindeutig gesichert. Andererseits stelle diese Erkrankung einen Oberbegriff für unterschiedliche Erkrankungen dar, welche auch bei nicht im Zusammenhang mit den bei dem Unfall aufgetretenen Verletzungen in Erscheinung treten könnten.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat deswegen am 20.03.2019 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Die Verletztenrente sei weiter zu gewähren, da der Kläger seit dem Unfallereignis auf Sauerstoffgabe angewiesen sei, was durch die Ärzte der BG-Unfallklinik T und auch durch die Gutachterin M bestätigt worden sei. Erklärbar sei die erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers seit dem Unfall nur mit den Unfallfolgen. Selbst die Beklagte sei noch am 28.09.2018 davon ausgegangen, dass sich in der Höhe der unfallbedingten MdE keine wesentliche Änderung ergeben habe, und insoweit eine MdE um 40 v.H. anzunehmen sei (mit Hinweis auf Bl. 857 VA). Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte sich gleichzeitig auf die Gutachterin M stütze und dabei von einer MdE von unter 20 v.H. ausgehe. Auch wenn die obstruktive Ventilationsstörung sich aufgrund der Reduzierung des Zigarettenkonsums verbessert habe, seien die unfallabhängigen Gesundheitsstörungen im Bereich der Lunge irreversibel und nach wie vor im rentenberechtigenden Bereich vorhanden.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen angehört. S hat am 14.09.2019 über die Behandlung des Klägers mitgeteilt, dass die leichte restriktive Ventilationsstörung des Klägers sowohl auf das Thoraxtrauma als auch auf die Folgen der Adipositas Grad II zurückzuführen sei. Die COPD sei definitiv nicht unfallbedingt, sondern Folge des fortgesetzten Rauchens. Vor dem Unfall sei der Kläger noch übergewichtiger gewesen und habe ein normales Gesamtlungenvolumen aufgewiesen. Beigefügt wurde der Bericht des Schlaflabors R über Untersuchungen im September 2000 (Nachweis eines hochgradigen obstruktiven Schlafapnoesyndroms).

Der G hat am 14.09.2019 mitgeteilt, dass sich seit dem Polytrauma des Klägers vor allem die kardiologisch-respiratorische Situation deutlich verschlechtert habe. Seitdem bestehe die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Sauerstoffgerät. Die peripher gemessene Sauerstoffsättigung habe bei dieser Versorgung am 23.08.2019 77% betragen. Diese dramatische Verschlechterung der Gesamtsituation sei durch die vorbestehende Schlafapnoe, die Adipositas, die traumatisch bedingte Thorax-Lungenrippenfraktur und die Lungenquetschung bedingt.

Daraufhin hat das SG das lungenfachärztliche Gutachten des N vom 23.04.2020 eingeholt. Danach bestünden bei dem Kläger eine COPD Stadium IV, ein Lungenemphysem, ein schwergradiges Schlafapnoesyndrom, ein Zustand nach Rippenserienfraktur rechts ohne wesentliche Folgeerscheinungen, eine respiratorische Partialinsuffizienz in Ruhe und grenzwertige respiratorische Globalinsuffizienz unter Belastungsbedingungen mit der Notwendigkeit einer Sauerstofflangzeitbehandlung sowie eine Nikotinabhängigkeit. Auf internistischem Fachgebiet bestehe weiterhin eine Adipositas, eine stabile KHK bei Zustand nach Hinterwandinfarkt, ein Diabetes mellitus mit beginnender diabetischer Polyneuropathie, ein Bluthochdruck, eine chronisch-venöse Insuffizienz, ein venöser Ulcus und ein Zustand nach Venenstripping. Vor dem Unfallereignis habe ein Zwerchfellhochstand rechts vorgelegen. Die anteilsmäßige Verschlimmerung des vorbestehenden Lungenleidens durch das Unfallereignis sei aufgrund teils fehlender Vorbefunde schwierig abgrenzbar. Während die Einschränkungen in der Lungenfunktionsprüfung eindeutig nicht mehr dem Unfallereignis zuzuordnen seien und auch die fortschreitende Gasaustauschstörung überwiegend nicht Unfallfolge sei, lasse sich unfallbedingt eine geringe Teilverursachung nicht zweifelsfrei widerlegen. Es sei jedoch festzuhalten, dass den insoweit entgegenstehenden Ausführungen von M vom 05.11.2018 nicht gefolgt werden könne. Die Annahme einer Lungenembolie bzw. pulmonalen Hypertonie durch M werde durch keinerlei labortechnischen Befund gestützt, sondern von der Vorgutachterin lediglich vermutet. Eine anteilsmäßige Verschlimmerung im bisherigen Ausmaß sei nicht mehr abgrenzbar. Dem Bescheid der Beklagten sei weitgehend zuzustimmen. Allerdings könne ein geringer Anteil der Gasaustauschstörung noch als Unfallfolge gewertet werden, wozu eine MdE um 20 v.H. (allenfalls) vorgeschlagen werde. Das Lungenleiden des Klägers werde über den 01.01.2019 hinaus nicht durch die Unfallfolgen wesentlich geprägt, eine richtunggebende Verschlimmerung sei zu einem hohen Anteil nicht mehr nachweisbar.

Die Beklagte hat daraufhin die Auffassung vertreten, dass dem Gutachten abgesehen von der MdE-Bewertung zu folgen sei. Der Sache nach schließe der Gutachter eine wesentliche Verschlechterung durch Folgen des Unfalles aus, da die von ihm benannte Möglichkeit eines Zusammenhangs nicht ausreichend sei. Im Ergebnis sei die Verletztenrente zu Recht entzogen worden.

Das SG hat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme bei N eingeholt, welche dieser am 13.07.2020 vorgelegt hat. Es könne sicherlich den Ausführungen der Beklagten zugestimmt werden, dass eine richtunggebende Verschlimmerung schwierig nachzuweisen sei. Es handele sich sicherlich um einen Grenzbefund. Eine zweifelsfreie Abgrenzbarkeit sei aufgrund der fehlenden Voruntersuchungen nicht sicher möglich. Eine MdE um 20 v.H. sollte jedoch nicht überschritten werden. Auch durch weitere Begutachtungen würde sich seiner Meinung nach der Sachverhalt nicht weiter aufklären lassen.

Das SG hat die Klage mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 15.10.2020 abgewiesen. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von N bestehe die Überzeugung, dass die als Unfallfolge anerkannte Verschlimmerung der vorbestehenden Atemwegserkrankung keine MdE um mindestens 20 v.H. mehr bedinge. Die Annahme einer MdE für den gesamten Schaden um 100 v.H. sei überhöht. Eine MdE bei erforderlicher Sauerstofftherapie und Belastungsdyspnoe um 80 v.H. sei jedoch gerechtfertigt. Ein unfallbedingter Anteil an dieser MdE habe vorliegend jedoch nur vorübergehend bestanden. Ebenso wie die Beteiligten gehe die Kammer davon aus, dass nicht das gesamte Ausmaß der Lungenfunktionseinschränkungen des Klägers auf den Unfall zurückgeführt werden könne. Der Kläger habe bereits vor dem Unfall an einer fortgeschrittenen COPD sowie einem Schlafapnoesyndrom bei Adipositas gelitten. Durch die unfallbedingt notwendige vorübergehende Beatmung habe sich die Erkrankung verschlimmert. Zu Recht habe die Beklagte daher lediglich die Verschlimmerung der vorbestehenden obstruktiven Ventilationsstörung als Unfallfolge anerkannt. Diese Anerkennung der Unfallfolgen sei bestandskräftig. Bei der Bemessung der MdE könne daher nur der Anteil der Ventilationsstörung berücksichtigt werden, der noch durch die unfallbedingte Verschlimmerung erklärt werden könne (mit Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017 S. 37 ff.). N führe in Übereinstimmung mit M und den behandelnden Ärzten aus, dass es durch den schweren Unfall zu einer Exazerbation des vorgesehenen Leidens und einer Verschlechterung der vorbestehenden leichten respiratorischen Partialinsuffizienz gekommen sei. Hierbei gehe er von einer vorübergehenden Verschlechterung aus. Inzwischen sehe er die Gasaustauschstörung nicht mehr als Folge des Unfallereignisses, sondern als Folge des Lungenemphysems und des fortbestehenden Nikotinkonsums. Dies bedeute für die Kammer, dass sich die vorliegende Verschlechterung gegenüber dem Zustand vor dem Unfall inzwischen allein durch das Fortschreiten der unfallunabhängigen Erkrankung und das fortgesetzte Rauchen erklären lasse. Die Beurteilung von M, dass fibrosierende Veränderungen infolge des Unfalls für den dauerhaften Sauerstoffbedarf seit diesem Zeitpunkt verantwortlich zu machen seien, habe durch die durchgeführte computertomographische Untersuchung nicht bestätigt werden können. Auch für eine pulmonale Hypertonie als Folge kleiner Lungenembolien in Zusammenhang mit der unfallbedingten Behandlung lägen keine genügenden Anhaltspunkte vor. Da nach den überzeugenden Ausführungen von N im Wesentlichen eine unfallunabhängige und schicksalhaft fortschreitende Erkrankung vorliege, lasse sich ein unfallbedingter Anteil einer fortbestehenden Verschlimmerung nicht abgrenzen, welche mit einer MdE um wenigstens 20 v.H. bewertet werden könne. Eine Verletztenrente sei daher nicht mehr zu gewähren. Das Urteil ist der Bevollmächtigten des Klägers am 30.10.2020 zugestellt worden.

Die Bevollmächtigte des Klägers hat am 24.11.2020 beim SG Berufung eingelegt. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das SG und die Beklagte der Empfehlung des Gutachters N, der als Koryphäe auf seinem Fachgebiet gelte, eine MdE um 20 v.H. anzunehmen und die Rente zu gewähren, nicht gefolgt sei. Erneut sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass erst seit dem Unfall eine ständige Sauerstoffgabe erforderlich sei. Der behandelnde G habe mit drastischen Worten eine Verschlimmerung des Gesundheitszustands des Klägers seit dem Unfall bestätigt. Insoweit werde die Entscheidung des SG auch nicht durch die differenzierenden Ausführungen des N zum Vorliegen einer Verschlimmerung durch die Folgen des Unfalles gerecht, wonach im Ergebnis durchaus eine MdE um 20 v.H. aufgrund von Unfallfolgen anzunehmen sei. Zwar habe der Gutachter sicherlich auch mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Abgrenzbarkeit der Vorerkrankungen zu den Unfallfolgen schwierig sei. Im Ergebnis habe er jedoch eine Teilverursachung nicht ausschließen können und sei deswegen zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Rente aufgrund einer fortbestehenden MdE um 20 v.H. zu gewähren sei. Es stehe jedenfalls fest, dass der Kläger vor dem Unfallereignis voll im Erwerbsleben gestanden habe und seit dem Unfallereignis keine Arbeit von wirtschaftlichem Wert mehr verrichten könne. Der Kläger beziehe zwischenzeitlich eine Erwerbsminderungsrente.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Reutlingen vom 15.10.2020 sowie unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 05.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2019 zu verurteilen, ihm ab dem 01.01.2019 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Sie verweist im Wesentlichen auf ihr Schreiben vom 13.05.2020 und die dort enthaltene Begründung, warum der MdE-Bewertung durch N nicht gefolgt werden könne.

Die Beteiligten sind mit Verfügung vom 01.03.2021 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung ausweislich des Gutachtens von N keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte und eine Entscheidung des Senats nach §153 Abs.4 SGG beabsichtigt ist. Beide Beteiligte haben daraufhin ihr ausdrückliches Einverständnis mit einer Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten und die Akten des SG Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Absatz 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann der Senat - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Das Sozialgericht hat nicht mit Gerichtsbescheid, sondern mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind mit richterlicher Verfügung vom 27.01.2021 auf die in Betracht kommende Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG sowie deren Voraussetzungen hingewiesen worden und haben Gelegenheit erhalten, zur Sache und zum beabsichtigen Verfahren Stellung zu nehmen. In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erachtet der Senat eine mündliche Verhandlung vor dem Senat für nicht erforderlich.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 05.12.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.02.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat aufgrund seines Arbeitsunfalls ab dem 01.01.2019 keinen Anspruch mehr auf die Gewährung einer Verletztenrente. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Der Senat lässt offen, ob im vorliegenden Fall eine zulässige Leistungsklage erhoben worden ist oder die Anfechtungsklage im Hinblick auf die angegriffene Entziehung der Verletztenrente als ausreichend anzusehen ist, da jedenfalls die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente ab dem 01.01.2019 nicht mehr erfüllt sind.

Die Beklagte hat das Unfallereignis vom 10.12.2015 bestandskräftig als versicherten Arbeitsunfall (Wegeunfall) nach dem SGB VII anerkannt. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die Entstehung länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, - B 2 U 40/05 R - und - B 2 U 26/04 R -, juris).

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).

Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteile vom 05.09.2006 – B 2 U 25/05 R – und vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –; juris). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteile vom 14.11.1984 – 9b RU 38/84 – und vom 30.06.1998 – B 2 U 41/97 R –, juris). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –, juris).

Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O; BSG Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, sie sind aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend (BSG, Urteile vom 26.06.1985 – 2 RU 60/84 –, vom 30. Juni 1998 – B 2 U 41/97 R –, vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R –; juris). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R -, juris mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –, juris).

Neben diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition der MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 25/05 R –, juris). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche, auch altersbedingte Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit (sog. Vorschäden), werden diese nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Auffassung in der Literatur für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalles durch die Vorschäden beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 30.05.1988 – 2 RU 54/87 –, 211, 212; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Ergänzungslieferung 1/20, § 56 Rn. 10.1 ff.). Dies verlangt § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die "infolge" des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.

Der Senat stellt nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens fest, dass bei dem Kläger aufgrund des Wegeunfalls 10.12.2015 auf unfallchirurgischem Fachgebiet ein zweitgradiger Weichteilschaden bei geschlossenem Bruch des Brustkorbs und ein unter Schwielenbildung verheilter Hämatopneumothorax rechtsseitig nach Prellung und Hämatom der Lunge und Fissur am Brustbein sowie eine Schädelprellung vorliegen. Die hierdurch bedingte MdE hat der S1, dessen Gutachten vom 21.03.2017 der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, überzeugend mit unter 10 v.H. angegeben, weil wesentliche funktionelle Einschränkungen hieraus nicht mehr resultieren und die wesentlichen Unfallfolgen in einer Einschränkung der Lungenfunktion des Klägers bestehen.

Die Unfallfolgen auf lungenärztlichem Fachgebiet hat die Beklagte in ihrem Anerkennungsbescheid vom 07.06.2017 zunächst zutreffend als Verschlimmerung einer vorbestehenden obstruktiven Ventilationsstörung mit Lungenüberblähung in Form einer anteilig bestehenden respiratorischen Partialinsuffizienz und nach Belastung einer respiratorischen Globalinsuffizienz mit der Notwendigkeit einer Sauerstoff-Langzeittherapie angegeben, was sowohl durch die Gutachterin M als auch durch den Gutachter N bestätigt wird. Entsprechend den beiden Gutachtern hat die Beklagte auch festgestellt, dass unfallunabhängig ein fortgeschrittenes COPD Stadium III, ein Schlafapnoesyndrom und ein Diabetes mellitus Typ II vorliegen. Dieser Sachverhalt ist zwischen den Beteiligten unstreitig und steht nach den insoweit übereinstimmenden Gutachten auch zur Überzeugung des Senats fest.

In Übereinstimmung mit den Ausführungen des N hat die Beklagte auch bereits in dem Bescheid vom 07.06.2017 festgestellt, dass die nach dem Unfall während der Behandlung im Krankenhaus entwickelte Lungenentzündung (nosokomiale Pneumonie) ohne wesentliche Folgen ausgeheilt ist. Entgegen den Ausführungen der Gutachterin M geht der Senat mit N darüber hinaus davon aus, dass weder Folgen einer Lungenentzündung noch Folgen einer Lungenembolie (als unmittelbare oder mittelbare Unfallfolge) vorliegen, weil diese – was N überzeugend darstellt – durch keinen labortechnischen Befund nachgewiesen wurden. Danach kann auch die fortbestehende Einschränkung der Lungenfunktionsprüfung eindeutig nicht mehr dem Unfallereignis zugeordnet werden. Sofern die fortschreitende Gasaustauschstörung von N „überwiegend“ als nicht dem Unfall zugeschrieben wird, hat der Gutachter in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 13.07.2020 klargestellt, dass den Ausführungen der Beklagten hinsichtlich der Schwierigkeiten eines Nachweises einer richtunggebenden Verschlimmerung zuzustimmen sei und insofern ein Grenzbefund vorliege.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall und einer Rentengewährung als vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB VII innerhalb des Dreijahreszeitraums der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden kann. Dies bedeutet, dass es vorliegend für die innerhalb des Dreijahreszeitraums erfolgte Entziehung der Verletztenrente nicht auf die Voraussetzungen des § 48 SGB X ankam und insoweit Aspekte des Vertrauensschutzes nicht zu berücksichtigen sind. Nach dem Gutachten des N ist unter Berücksichtigung der ergänzenden Stellungnahme des Gutachters jedoch davon auszugehen, dass eine richtungsgebende Verschlimmerung der bereits vor dem Unfall bestehenden eingeschränkten Lungenfunktion nicht mehr abgrenzbar bzw. nachweisbar gewesen ist, wobei den Kläger insoweit nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB VII die Feststellungslast eines nicht mehr möglichen Nachweises trifft. Zwar hat N sich für eine MdE um 20 v.H. ausgesprochen, seine inhaltliche Erläuterung dieses Vorschlags lässt jedoch klar erkennen, dass die hierfür erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit einer richtunggebenden Verschlimmerung durch den Versicherungsfall vom 10.12.2015 nicht hinreichend nachgewiesen ist.

In diesem Zusammenhang hatte bereits der B1 während der komplexstationären Rehabilitation des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T am 22.03.2016 darauf hingewiesen, dass die erforderliche Sauerstoffversorgung wegen respiratorischer Partialinsuffizienz nach dem Unfall auf eine Kombination aus Unfallfolgen, Adipositas und COPD zurückzuführen sei. Ein wesentlicher unfallfremder Einfluss auf die eingeschränkte Lungenfunktion war von Anfang auch der erhöhte Nikotinkonsum des Klägers, der wiederholt auch nach dem Unfall von ärztlicher Seite aus berichtet worden ist, so etwa S in seinen Arztberichten vom 22.03.2016 und vom 03.02.2017.

Auch M als behandelnde Pulmologin des Klägers hatte in ihrem ersten Gutachten bereits darauf hingewiesen, dass eine kombinierte Ventilationsstörung bei COPD bei dem Kläger schon vor dem Unfall vorgelegen hatte und insofern der Grad einer Verschlimmerung durch den Unfall zu diskutieren sei. Insofern erschien es auch nachvollziehbar, dass die Beklagte vorübergehend ausgehend von der Auffassung der H eine anteilige Verschlechterung von 40 % an der eingeschränkten Lungenfunktion des Klägers annahm und lediglich eine vorläufige Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H. gewährte.

Anschließend hat indes auch die Gutachterin M eine leichte Verbesserung der Lungenfunktion angenommen und die von ihr ursprünglich angenommene MdE um 100 v.H. auf eine solche von 80 v.H. reduziert (zweites Rentengutachten vom 21.08.2018). Auch hierbei hat M auf den Vorhalt der Ausführungen der H vom 29.10.2018 eingeräumt, dass insoweit noch eine Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der Lungenfunktionsuntersuchungen vorliegt. Die von M vermutete Fibrosierung der Lunge als Unfallfolge und Ursache für die fortbestehenden Einschränkungen hat sich mittels der am 03.12.2018 durchgeführten Computertomographie jedenfalls nicht bestätigen lassen. Auch der zweite Erklärungsversuch der fortbestehenden unfallbedingten Einschränkung, wonach eine pulmonale Hypertonie als Unfallfolge hierfür verantwortlich sei, ist gemäß den Ausführungen der N nicht ausreichend gesichert, weil hierfür keine ausreichenden Nachweise vorliegen.

Entsprechend den Ausführungen des N, die der Senat insoweit für überzeugend hält, fehlt es daher an einer plausiblen Erklärung dafür, dass wesentliche Einschränkungen der Lungenfunktion seit dem 01.01.2019 noch als durch den Unfall überwiegend wahrscheinlich verursacht angesehen werden können. Dementsprechend hat auch N nachvollziehbar die Formulierung gewählt, dass es sich um einen Grenzbefund handele und zweifelsfrei lediglich der Nachweis einer vorübergehenden Verschlimmerung möglich sei. Insofern sei „allenfalls“ noch ein geringer Anteil der Gasaustauschstörung als Unfallfolge zu bewerten (ergänzende Stellungnahme vom 13.07.2020), wobei bereits in dem vorausgegangenen Gutachten (S. 51 des Gutachtens vom 22.04.2020) von ihm insoweit „allenfalls“ eine MdE um 20 v.H. empfohlen wurde.

Als Gesamtergebnis des Verfahrens sind daher fortbestehende unfallbedingte Einschränkungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit nachgewiesen. Die Möglichkeit, dass ein Teil der fortbestehenden eingeschränkten Lungenfunktion des Klägers auf den Unfall zurückzuführen ist, reicht insoweit nicht aus. Da der Gutachter N auch nachvollziehbar darauf hinweist, dass weitere Ermittlungsmöglichkeiten – etwa die Einholung eines weiteren Gutachtens – insoweit keine Aussicht auf weitere Aufklärung der hier noch offenen Fragen bieten, hat der Senat hiervon abgesehen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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