S 28 BA 20/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 BA 20/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wenn der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflichten nach § 28f Abs. 1 S. 1 SGB IV verletzt und dadurch die Versicherungspflicht nicht feststellbar ist, ist eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten gegeben.

GSW

Sozialgericht Berlin

 

 

S 28 BA 20/21

Bild entfernt.

verkündet am
31. August 2022

 

 

 

 

…, Justizbeschäftigte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

         … GmbH,
… vertreten durch den Geschäftsführer …

 

- Klägerin -

Proz.-Bev.:

Rechtsanwalt …

gegen

         Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg,
Standort Berlin 

Knobelsdorffstr. 92, 14059 Berlin,
 

- Beklagte -

 

 

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Berlin auf die mündliche Verhandlung am 31. August 2022 durch die Richterin am Sozialgericht  … sowie die ehrenamtliche Richterin Frau … und den ehrenamtlichen Richter Herrn … für Recht erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Nachforderung aus einem Betriebsprüfungsbescheid.

Die Klägerin war zunächst als M. GmbH – Handel und Dienstleistungen - mit dem Gesellschafter M. S. registriert.

Am 29. Mai 2017 wurde bei einem Polizeieinsatz ein Fahrzeug der Klägerin von der Polizei kontrolliert. Es handelte sich um einen mit (C) Paketen gefüllten Kastenwagen, der mit einer Tourenliste ausgestattet war. Der Fahrer Herr B. hatte keine Aufenthaltserlaubnis und war nicht zur Sozialversicherung gemeldet.

Daraufhin erfolgten am 16. August 2017 durch das Hauptzollamt (HZA) Durchsuchungen der Wohn- und Geschäftsräume des Herrn S.

Dabei wurden unter anderem Rechnungen der … Autovermietung und Transport von L. L. L. (Autovermietung) und der … Dienstleistungen von B. R. gefunden. Die Rechnungen der … (Autovermietung) betrugen für das Jahr 2016 insgesamt 249.202,72 Euro und für das Jahr 2017 73.395,87 Euro. Die Rechnungen der … Dienstleistungen B. R. betrugen für das Jahr 2017 134.531,44 Euro und für das Jahr 2018 92.000.- Euro. Wegen des Inhaltes der Rechnungen wird auf die Verwaltungsakte verwiesen. Außerdem wurde Bargeld in Höhe von 18.600,- Euro sowie eine Aufzeichnung über ausstehende Löhne an einen Herrn B(1) gefunden.

Aus einer Auskunft des Finanzamtes Luckenwalde vom 15. März 2019 ergibt sich zur Firma ... (Autovermietung und Transport), dass diese zum 13. Juli 2021 bei der Neuaufnahmestelle angemeldet wurde. Weil die Beantragung mit einem gefälschten Pass erfolgte, wurde jedoch keine Steuernummer vergeben. Die auf den Rechnungen angegebene Nummer ist die bei der Neuaufnahme vergebene Erfassungsnummer.

Zu … Dienstleistungen ergab die Auskunft des Finanzamtes Tempelhof vom 2. April 2019, dass das Unternehmen dort zwar steuerlich veranlagt ist, jedoch für die Jahre 2015 bis 2018 keine Lohn- und Umsatzsteuerbeiträge angemeldet hat.

Von der D. AG wurden dem Hauptzollamt Tourenpläne übergeben, die keine Angaben über die eingesetzten Fahrer enthielten. Außerdem wurde eine Mitarbeiterliste übersandt, die auch nicht gemeldete Mitarbeiter enthielt.

Das Hauptzollamt hat die Unterlagen nach § 2 Abs. 4 Nr. 5 SchwarzArbG an die Beklagte übergeben.

Nach den der Beklagten vorliegenden Lohnabrechnungen meldete die Klägerin für das Jahr 2016 Entgelte in Höhe von insgesamt 14.981 Euro. Dies ergibt bei Zugrundelegung eines Mindestlohns von 8,50 Euro 146 Arbeitsstunden. Für das Jahr 2017 meldete die Klägerin insgesamt 11.040 Euro, dies ergibt bei Zugrundelegung eines Mindestlohns von 8,84 Euro 104,07 Arbeitsstunden.

An das Finanzamt meldete die Klägerin folgende Umsätze 2016 478.341,- Euro, 2017 706.653,- Euro und 2018 1.141.007,- Euro.

Nach Anhörung erhob die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Betriebsprüfungsbescheid vom 21. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2020 für den Zeitraum 1. April 2016 bis 31. März 2018 eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung in Höhe von 389.954,65 Euro. In der Nachforderungssumme waren Säumniszuschläge in Höhe von 99.070,- Euro enthalten. Der Nachforderungsbescheid erging als Summenbeitrags- und Schätzungsbescheid. Den Bescheid begründete die Beklagte im Wesentlichen damit, dass die Klägerin durch die Buchung der Scheinrechnungen der Firmen … (Autovermietung) und der … Dienstleistungen B. R. als Betriebsausgaben Mittel zur Abdeckung von Schwarzarbeit generiert habe. Aus den Abfragen der Datenbanken habe sich ergeben, dass … kein lebendes Unternehmen sei. Die Rechnungen der (C) Dienstleistungen seien im Schriftbild uneinheitlich und erfolgten mal pauschal, mal mit Einzelposten. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin Personen abhängig weisungsgebunden beschäftigt habe, ohne diese zur Sozialversicherung zu melden beziehungsweise mit nichtzutreffenden Meldungen. Da die Klägerin ihre Aufzeichnungspflichten verletzt habe, sei die Höhe der einzelnen Beiträge zur Sozialversicherung und Umlagen nicht feststellbar, so dass die Beiträge anhand der Summe der gezahlten beziehungsweise festgestellten Arbeitsentgelte als Summenbeitragsbescheid zu erlassen war. Dabei sei die Höhe der Beiträge aufgrund der Verletzung der Aufzeichnungspflichten zu schätzen gewesen. Hinsichtlich der Höhe der Lohnkosten sei bei lohnintensiven Branchen der Lohnkostenanteil mit 2/3 des Nettoumsatzes anzunehmen. Bei der Verwendung von Abdeckrechnungen seien 80 bis 85 % des Nettorechnungsbetrages zum Ansatz zu bringen. Vorliegend seien als Nettoarbeitsentgelt die Summen der Scheinrechnungen zu beachten unter Abzug von 20 Prozent für Provisionen.

Am 12. Januar 2021 hat die Klägerin Klage erhoben.

Die Klägerin trägt vor, dass die Behauptung, dass Rechnungen zur Abdeckung von Schwarzarbeit gestellt worden seien, unzutreffend sei. Sie beruhe allein auf Unstimmigkeiten bei ehemaligen Geschäftspartnern der Klägerin. Es sei unklar, warum aus der fehlenden Vergabe der Steuernummer beziehungsweise fehlenden Abgabe einer Steuererklärung folgen sollte, dass die Rechnungen der (Autovermietung)… und … Dienstleistungen Scheinrechnungen seien.

Die Klägerin beantragt,

der Bescheid vom 21. August 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 2020 wird aufgehoben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin nach eigener Aussage überwiegend in der Reinigungssparte tätig gewesen sei. Die Beschäftigten seien entweder für die Reinigung oder als Paketfahrer eingesetzt worden. Erfahrungsgemäß würden Umsätze aus (C)… Leistungen korrekt in die Buchhaltung eingebracht, die aus der Reinigung oft nicht. Daher bestehe die Vermutung, dass ein Großteil der gemeldeten Umsätze aus Transportleistungen der (C) stamme. Die Gegenüberstellung der Arbeitsstunden der gemeldeten Fahrer und der erwirtschafteten Umsätze habe ergeben, dass diese nicht durch die gemeldeten Arbeitnehmer erwirtschaftet worden seien. Außerdem seien gegenüber dem Finanzamt keine Fremdleistungen gemeldet, obwohl die Rechnungen zum Teil die Umsatzsteuer enthalten hätten. Für weitere Ermittlungen sei eine Offenlegung der Finanzbuchhaltung 2016 bis 2018, insbesondere der Rechnungen für die (C) Transportdienstleistungen notwendig. Die Beklagte habe nicht die gesamten Umsätze, sondern nur die gefundenen Scheinrechnungen zur Berechnung der Nachforderung herangezogen. Die auf den durch die D. AG übermittelten Mitarbeiterlisten genannten Personen seien bereits durch das Hauptzollamt nicht ermittelbar gewesen, da die Namen zum Teil unvollständig genannt und auch keine Geburtsdaten angegeben waren.

Am 18. Mai 2021 meldete die Beklagte bei der L. KG, die als Abrechnungsstelle der Klägerin fungierte und ebenfalls vom ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin Herrn L. geführt wurde, eine Betriebsprüfung an. Daraufhin ist der Beklagten mitgeteilt worden, dass nunmehr die Firma S. die Abrechnungsunterlagen der Klägerin habe. Nachdem die Firma S. zunächst einen Datenstick mit Unterlagen übersandt hat, der aber Daten der L. KG enthalten hat, hat die Firma S. am 21. Juli 2021 mitgeteilt, keine Unterlagen der Klägerin zu haben. Am 22. Juli 2021 hat die Beklagte daraufhin bei der Klägerin unter der neuen Adresse die prüfrelevanten Unterlagen angefordert.

Das Gericht hat die Klägerin mit Schreiben vom 2. August 2021 und 10. Januar 2022 aufgefordert, die Unterlagen der Finanzbuchhaltung für den Zeitraum Januar 2016 bis März 2018 zu übersenden und dabei eine Frist von einem Monat gesetzt sowie über die Folgen der verspäteten Einreichung der Unterlagen belehrt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids ist § 28p Abs. 1 S. 1 und S. 5 SGB IV i.V.m. § 28f Abs. 2 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen nach S. 5 dieser Vorschrift im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (als sog. Prüfbescheid, BSG, Urteil vom 16. Dezember 2015, B 12 R 11/14 R) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Die angegriffenen Bescheide konnten zulässig ohne Durchführung einer – von § 28p SGB IV vorausgesetzten – eigenen Betriebsprüfung durch die Beklagte ergehen. Die Beklagte darf grundsätzlich das Ergebnis der vom Hauptzollamt durchgeführten Prüfungen zu Grunde legen und auf dieser Grundlage die Prüfung nach § 28p SGB IV durchführen und durch Verwaltungsakt abschließen. Die Prüfungen durch das Hauptzollamt beruhten auf § 2 Abs. 1 S. 1 SchwarzArbG, wonach die Behörden der Zollverwaltung unter anderem prüfen (Nr. 1), ob die sich aus den Dienst- oder Werkleistungen ergebenden Pflichten nach § 28a SGB IV erfüllt werden oder wurden. Nach Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SchwarzArbG werden die Behörden der Zollverwaltung bei den Prüfungen nach Abs. 1 von den Trägern der Rentenversicherung unterstützt. Nach Satz 2 SchwarzArbG können die Prüfungen mit anderen Prüfungen der in diesem Absatz genannten Stellen verbunden werden. Im Ergebnis ist die Beklagte als für die Prüfung bei den Arbeitgebern zuständige Einrichtung befugt, die von der Hauptzollverwaltung nach § 2 Abs. 1 S. 1 des SchwarzArbG durchgeführten Prüfungen mit der eigenen Prüfung nach § 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 SGB IV zu verbinden, was die Übernahme der Ermittlungsergebnisse der Prüfung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SchwarzArbG beinhaltet.

Die Beklagte bestimmt gemäß § 20 Abs. 1 S. 2 1. HS SGB X Art und Umfang der Ermittlungen und nach § 21 Abs. 1 S. 1 SGB X bedient sie sich der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält, wozu sie nach Satz 2 Nr. 1 und 3 SchwarzArbG Auskünfte jeder Art einholen sowie Urkunden und Akten beiziehen kann. Dementsprechend ist auch eine Beschränkung der Prüfung auf die vom Hauptzollamt sichergestellten Unterlagen zulässig (LSG BW, Urteil vom 29. Juni 2017, L 10 R 592/17). Reichen die vom Hauptzollamt ermittelten Umstände zu einer Prüfung nach § 28p SGB IV aus, kann sich die Beklagte auf diese Beweismittel beschränken und das Verfahren der Betriebsprüfung gemäß § 8 SGB X durch Bescheid abschließen. Reichen demgegenüber die vom Hauptzollamt ermittelten Umstände zu einer (abschließenden) Prüfung nach § 28p SGB IV nicht aus, hat die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen die für eine abschließende Prüfung noch fehlenden Umstände zu ermitteln (vgl. u.a. LSG Sachsen, Urteil vom 22. April 2016, L 1 KR 228/11).

Die Beklagte hat nicht allein die Ermittlungen des Hauptzollamtes übernommen, sondern auch eigenen Ermittlungen angestellt. Zur Überzeugung der Kammer waren diese Ermittlungen ausreichend.

Insoweit ist zu beachten, dass zwar hinsichtlich der Frage, ob eine abhängige oder selbständige Beschäftigung vorlag, keine gesetzliche Schätzungsbefugnis nach § 28 f SGB IV besteht. Jedoch ist zur Überzeugung der Kammer sowohl diesbezüglich als auch bezüglich konkreter Schätzungsgrundlagen eine Beweislastumkehr zu Lasten der Klägerin anzunehmen.

Nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, das heißt die für einen versicherungspflichtigen Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§ 28d S. 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB IV).

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2019, B 12 R 2/18 R Rn 13 m.w.N.) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Die für eine abhängige Beschäftigung maßgebende Weisungsgebundenheit kann - insbesondere bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein (std. RSpr. BSG, vgl. Urteil zu den Honorarärzten vom 4. Juni 2019, B 12 R 11/18 R Rn 14). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (vgl. BSG, Urteil 4. Juni 2019, B 12 R 2/18 R).

Der einzig ermittelte Sachverhalt bezüglich der Beschäftigten der Klägerin besteht in den Ergebnissen der Befragungen nach dem Polizeieinsatz am 29. Mai 2017. Der angetroffene Fahrer fuhr ein Fahrzeug der Klägerin mit einer Tourenliste von (C). Im Handy des Fahrers war der damalige Geschäftsführer der Klägerin Herr S. als Chef eingespeichert und der Fahrer sprach auch davon, seinen Chef anrufen zu müssen. Das spricht zur Überzeugung der Kammer dafür, dass der Fahrer in abhängiger Beschäftigung tätig war. Daneben konnten keine Rechnungen gefunden werden, die die Fahrer an die Klägerin gestellt haben. Die Klägerin hat solche auch nie behauptet.

Weitere Ermittlungen waren der Beklagten nicht möglich. Denn die von der D. AG übermittelten Mitarbeiterlisten enthielten zum Teil Spitznamen, nur Vornamen und auch keine Geburtsdaten. Die Klägerin hat trotz Aufforderung die Unterlagen ihrer Finanzbuchhaltung, aus denen sich die für (C) gefahrenen Touren und Mitarbeiter ergeben hätten, nicht eingereicht.

Die fehlende Ermittelbarkeit der konkreten Tatsachen zur Art der Beschäftigung geht im Rahmen der objektiven Beweislast aufgrund der hier anzunehmenden Beweislastumkehr zu Lasten der Klägerin.

Zwar besteht aufgrund des im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes keine subjektive Beweislast, jedoch besteht die objektive Beweislast beziehungsweise Feststellungslast. Bei fehlen hinreichender Grundlagen für eine richterliche Überzeugungsbildung ist eine Beweislastentscheidung zu treffen, wobei eine Beweislastumkehr in Betracht kommt (Schmidt in: MKLS, SGG § 103 Rn 18). Die Folgen der fehlenden Feststellbarkeit bestimmter Tatsachen sind unter Beachtung des materiellen Rechts grundsätzlich von demjenigen zu tragen, der den Anspruch, für den diese Tatsachen Voraussetzung sind, geltend macht. Dies wäre vorliegend die Klägerin, die die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge geltend macht.

Jedoch kann dann eine Umkehr der Beweislast angenommen werden, wenn nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten bestimmte in die Sphäre des Anspruchsinhabers fallende Umstände nicht aufklärbar sind. In Bezug auf die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge wurde bereits vor Einführung des § 28 f Abs. 2 SGB IV in der Rechtsprechung eine Beweislastumkehr bei der Verletzung der Aufzeichnungspflichten und Weigerung der Vorlage, der für die Festsetzung maßgeblichen Unterlagen angenommen (BSG, Urteil vom 9. Februar 1993, 12 RK 69/92 Rn 19).

Auch nach Einführung des § 28 f Abs. 2 SGB IV ist eine Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers dann anzunehmen, wenn dieser seine Aufzeichnungspflicht nach § 28 f Abs. 1 S. 1 SGB IV verletzt und dies kausal dafür ist, dass die Versicherungspflicht nicht festgestellt werden kann. Nicht nur geringfügige Aufzeichnungsmängel haben danach die Folge, dass auch die Versicherungspflicht zu allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung zu unterstellen ist (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Dezember 2016, L 9 KR 344/13 Rn 120).

Die Aufzeichnungspflicht des Arbeitgebers umfasst nach § 28 f S. 1 SGB IV, dass dieser für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache führt und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung (§ 28p SGB IV) folgenden Kalenderjahres geordnet aufbewahrt. Nach § 28n Nr. 4 SGB IV, § 8 Beitragsverfahrensordnung (BVV) sind in den Entgeltunterlagen unter anderem folgende Angaben aufzunehmen: der Familien- und Vorname, das Geburtsdatum, die Anschrift, den Beginn und das Ende der Beschäftigung, das Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV, seine Zusammensetzung und zeitlich Zuordnung. Nach § 11 Abs. 2 BVV hat der Arbeitgeber alle Unterlagen, die der Aufgabenerfüllung der Prüfung dienen, insbesondere zur Klärung, ob ein versicherungs- oder beitragspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht, auf Verlangen vorzulegen.

Die Klägerin hat weder Listen mit den vollständigen Vor- und Familiennamen sowie Geburtsdaten noch andere Entgeltunterlagen vorgelegt. Sie hat hinzukommend, die gesamte Finanzbuchhaltung – unter anderem mit den gegenüber (C) gestellten Rechnungen – trotz Aufforderung nicht übersandt. Die für die Klägerin als Abrechnungsstelle tätige L. KG hat angegeben, dass die Unterlagen bei der Firma S. wären, die diese aber nicht übersandt hat. Sowohl die direkte Anfrage der Beklagten bei der Klägerin als auch die Aufforderung des Gerichts nach § 106 Abs. 2 SGG hat die Klägerin unbeantwortet gelassen. Dadurch hat sie jegliche Ermittlungsmöglichkeiten zu den für sie arbeitenden Personen verhindert. Es war der Beklagten nicht möglich, die für die Klägerin arbeitenden Personen – die nicht gemeldet waren – zu befragen. Im Rahmen der Beweislastumkehr ist daher von der Versicherungspflicht zu allen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung auszugehen.

Die Beklagte durfte die Beitragsforderung weiter als Summen- und Schätzungsbescheid erlassen. Dabei wurden auch die Bemessungsgrundlagen zutreffend geschätzt.

Der Arbeitgeber hat aufgrund § 28 f Abs. 1 SGB IV für jeden Beschäftigten, getrennt nach Kalenderjahren, Entgeltunterlagen im Geltungsbereich dieses Gesetzes in deutscher Sprache zu führen und bis zum Ablauf des auf die letzte Prüfung folgenden Kalenderjahres geordnet aufzubewahren. Soweit der prüfende Träger der Rentenversicherung die geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht einzelnen Personen zuordnen kann, kann er einen nicht personenbezogenen Summenbeitragsbescheid erlassen. Kann der Träger der Rentenversicherung die Höhe der Arbeitsentgelte nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermitteln, weil der Arbeitgeber seine Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat, hat er diese zu schätzen, § 28 f Abs. 2 Satz 1 und 3 SGB IV (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012, B 12 R 1/11 R).

Ein Summen- wie auch ein Schätzbescheid kann gerichtlich nur dann mit Erfolg beanstandet werden, wenn im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, also in der Regel bei Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, bei einer Gesamtwürdigung der Summenbeitrags- und Schätzbescheid dem prüfenden Rentenversicherungsträger nicht als unverhältnismäßig erscheinen musste und deshalb eine personenbezogene Feststellung der Beiträge geboten war (BSG, Urteil vom 7. Februar 2002, B 12 KR 12/01 R; Senat, Urteil vom 28. April 2010, L 8 R 30/09).

Aufgrund der Verletzung der Aufzeichnungspflichten durch die Klägerin ist eine personenbezogene Feststellung nicht möglich gewesen. Auch die Nachforderungshöhe wurde rechtmäßig gemäß § 28 f Abs. 2 S. 3 und 4 SGB IV geschätzt. Die Schätzung ist in Anlehnung an das Steuerrecht vorzunehmen und soll der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Auch wenn die Beklagte bei der Wahl der Schätzungsmethoden frei ist, muss sie von sachlichen und nachvollziehbaren Erwägungen ausgehen und eigene, sozialversicherungsrechtliche Maßstäbe anlegen (Werner in juris PK SGB IV § 28f Rn 65ff.).

Insoweit sind erneut die Grundsätze der Beweislastumkehr zu beachten. Die Beklagte konnte die Schätzung nur anhand der ihr vorliegenden Unterlagen vornehmen. Aus dem wesentlichen Unterschied zwischen den von der Klägerin gemeldeten Entgelten und den sich daraus ergebenden Arbeitsstunden und den Umsätzen ergibt sich jedoch, dass bei der Klägerin weitere Personen beschäftigt waren, die nicht zur Sozialversicherung gemeldet waren. Insoweit hat die Beklagte zugunsten der Klägerin nur Entgelte in Höhe der gefundenen Rechnungen der (Autovermietung) und … Dienstleistungen zugrunde gelegt. Auch die Kammer ist der Überzeugung, dass es sich insoweit um so genannte Abdeckrechnungen bezüglich für Schwarzarbeit ausgezahlter Löhne handelt. Denn die Rechnungen enthalten größtenteils Barzahlungsvermerke, obwohl es sich um beträchtliche Summen handelte. Die (Autovermietung) wurde mit einem gefälschten Pass zur Steuer angemeldet, die … Dienstleistung hat erst ab März 2018 Arbeitnehmer und für die Jahre 2015 bis 2018 keine Lohn- und Umsatzsteuerbeiträge gemeldet. Es wäre im Rahmen des Schätzungsermessens aufgrund der durch die Klägerin zu verantwortenden fehlenden Unterlagen ebenso angemessen gewesen, die gesamten Umsätze der Klägerin zugrunde zu legen, so dass zur Überzeugung der Kammer das Abstellen auf die Beträge der Abdeckrechnungen nicht zu beanstanden ist.

Auch die Säumniszuschläge wurden durch die Beklagte zurecht erhoben.

Gemäß § 24 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstags gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 Euro nach unten abgerundeten Betrags zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist nach § 24 Abs. 2 SGB IV ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte.

Vorliegend wurde zwar die Beitragspflicht rückwirkend festgestellt. Es liegt jedoch keine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs. 2 SGB IV vor. Dabei bedeutet Kenntnis von der Zahlungspflicht nach § 24 Abs. 2 SGB IV nach der Rechtsprechung des BSG das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung von Beiträgen verpflichtet zu sein. Allein das Fehlen der Kenntnis von der Beitragszahlungspflicht steht der Festsetzung von Säumniszuschlägen noch nicht entgegen. Vielmehr sind Säumniszuschläge nur dann nicht zu erheben, wenn die Unkenntnis unverschuldet ist. Dieses (Un-)Verschulden bestimmt sich nicht nach § 276 BGB, sondern setzt aufgrund eines eigenständigen Verschuldensmaßstabs wenigstens bedingten Vorsatz voraus (BSG Urteil vom 12. Dezember 2018, B 12 R 14/18 R Rn 12 ff mwN). Von der Kenntnis der Zahlungspflicht wird dann ausgegangen, wenn wie im vorliegenden Fall Schwarzarbeit oder illegale Beschäftigung festgestellt wurde (BeckOK SozR Wagner SGB IV § 24 Rn 12).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197 a SGG, 154 VwGO und folgt der Entscheidung in der Sache.

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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