S 3 SF 492/22 AB

Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SF 492/22 AB
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze
  1. Das Ablehnungsverfahren dient nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler.
  2. Etwas Anderes gilt dann, wenn die der richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt werden oder in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wird, dass sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte.
  3. Wird die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG trotz bisher nicht erfolgter Entpflichtung des bisherig nach § 109 SGG benannten Gutachters zusammen mit der Aufforderung zur Benennung eines Gutachters nach § 109 SGG verfügt, führt dies noch nicht dazu, dass der Antragsteller wegen einer fehlerhaften Besetzung der Kammer entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde.

 

 

Das Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Sozialgericht Y vom 3.3.2022 in dem Rechtsstreit – S 3 P 1850/20 –  wird zurückgewiesen.

 

Gründe

 

I.

 

Mit Schreiben unter dem 3.3.2021 macht der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers und Klägers (im Folgenden Antragsteller) die Besorgnis der Befangenheit der Vorsitzenden der 3. Kammer des Sozialgerichts Konstanz, Richterin am Sozialgericht Y, geltend.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, dass der mit gerichtlichem Schreiben unter dem 11.11.2021 mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragte Facharzt für Allgemeinmedizin, W. B., bisher nicht entbunden wurde und das Gericht das Gutachten abwarten beziehungsweise mit den gesetzlichen Zwangsmitteln die Gutachtenerstattung durchsetzen müsse. Die Aufforderung, einen Gutachter zu benennen, obgleich ein solcher bereits bestellt ist, und die an die Missachtung dieser Aufforderung geknüpfte Ankündigung, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen, stelle eine Verletzung des Antragstellers in seinem Verfahrensrecht aus § 109 SGG und in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter dar.

Richterin am Sozialgericht Y hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme unter dem 7.3.2022 angegeben, dass sie auf den Inhalt der Gerichtsakte im Verfahren – S 3 P 1850/20 verweise.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie die Gerichtsakte und Verwaltungsakte des Verfahrens – S 3 P 1850/20 – Bezug genommen.

 

II.

 

Für die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist vorliegend das Sozialgericht Konstanz zuständig. Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag obliegt seit der Änderung des § 60 SGG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialge­setzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 3057) dem Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 45 Abs. 1 ZPO).

Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts Konstanz ist die Vorsitzende der 9. Kammer als zweite Vertreterin von Richterin am Sozialgericht Y zuständig.

Das Ablehnungsgesuch ist zulässig, jedoch nicht begründet und hat damit keine Aussicht auf Erfolg.

Wegen Besorgnis der Befangenheit findet eine Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen, vgl. § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO. Es ist zwar nicht notwendig, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Allerdings reicht die rein subjektive Vorstellung eines Beteiligten nicht aus, wenn bei objektiver Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund für die Befürchtung ersichtlich ist. Die Besorgnis der Befangenheit ist somit nur dann gerechtfertigt, wenn aus der Sicht des Beteiligten hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller, 13. Aufl. 2020, § 60 Rn. 7; BVerwG, Beschl. v. 7.11.2017 – 1 A 8/17 (Rn. 5) – zitiert nach juris jeweils m.w.N.). Dass ein Richter bei der Würdigung des maßgeblichen Sachverhalts oder dessen rechtlicher Beurteilung eine andere Rechtsauffassung vertritt als ein Beteiligter, ist regelmäßig nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Das gilt selbst für die Äußerung einer unrichtigen Rechtsauffassung, solange sie nicht willkürlich oder auf einer unsachlichen Einstellung des Richters beruht und damit Anhaltspunkte dafür bietet, dass der Abgelehnte Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen ist (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller, 13. Aufl. 2020, § 60 Rn. 8j; BVerwG, Beschl. v. 7.11.2017 – 1 A 8/17 (Rn. 5) – zitiert nach juris jeweils m.w.N.). Ebenso begründen Fehler des Richters keine Besorgnis der Befangenheit, sofern nicht besondere Umstände dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BSG, Beschl. v. 3.9.2019 – B 14 AS 134/18 B, BeckRS 2019, 24661 Rn. 4 m.w.N.).

Stellt ein Betroffener einen Ablehnungsantrag, hat er die zur Begründung seines Antrags notwendigen Tatsachen nach § 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 44 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, soweit diese nicht offenkundig sind (§ 291 ZPO). Hierdurch soll das Gericht in die Lage versetzt werden, ohne den Fortgang des Verfahrens verzögernde weitere Ermittlungen über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt/Keller, 13. Aufl. 2020, § 60 Rn. 11b m. w. N.; BVerwG, Beschl. v. 7.11.2017 – 1 A 8/17 (Rn. 6) – zitiert nach juris).

In diesem Sinne ist hier keine Glaubhaftmachung, die bei objektiver Betrachtung eine Ablehnung der Vorsitzenden der 3. Kammer, Richterin am Sozialgericht Y, wegen der Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann, gelungen. Zunächst ist, wie auch vom Antragstellervertreter vorgetragen, das gerichtliche Schreiben unter dem 23.2.2022, mit dem einerseits zur Benennung eines Gutachters nach § 109 SGG unter Fristsetzung auf den 27.3.2022 gebeten, und andererseits, sofern in der genannten Frist kein Sachverständiger benannt wird, zur Absicht nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört wird, von der geschäftsplanmäßigen ersten Vertreterin der Vorsitzenden der 3. Kammer, Richterin am Sozialgericht Z, signiert worden. Insofern stellt sich bereits die Frage, inwieweit es sich dabei um eine richterliche Vorgehensweise von Richterin am Sozialgericht Y handelt. Aber auch ausgehend von der Verfügung von Richterin am Sozialgericht Y unter dem 20.2.2022, die wie folgt lautet:

 „1) Schreiben an den Kl-V + EEB: Zur Benennung eines anderen Gutachters nach § 109 SGG wird Frist gesetzt bis zum 27.03.2022 (Eingang bei Gericht). Bitte klären Sie vorab die Bereitschaft des Sachverständigen ab, das Gutachten innerhalb von fünf Monaten zu erbringen. Sollte in der genannten Frist, kein Sachverständiger benannt werden, ergeht der folgende Hinweis:

GB-Ank. Justus, Stellungnahmefrist 27.03.2022

2) Mf von 1) und Schreiben Kl-V vom 17.02.22 an die Beklagte z.K. und Zusatz: Sie erhalten ebenfalls Gelegenheit, innerhalb der genannten Frist zu der beabsichtigten Verfahrensweise des Gerichts Stellung zu nehmen.

3) WV: 01.04.“

ist keine Glaubhaftmachung gelungen, die bei objektiver Betrachtung eine Ablehnung der Vorsitzenden der 3. Kammer, Richterin am Sozialgericht Y, wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen kann.

Wie oben bereits dargelegt, dient das Ablehnungsverfahren nicht der Überprüfung richterlicher Vorgehensweisen auf etwaige Rechts- bzw. Verfahrensfehler. Etwas Anderes gilt zwar dann, wenn die der richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken missachtet und Grundrechte verletzt werden oder in einer Weise gegen Verfahrensregeln verstoßen wird, dass sich bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte (s.o.). Vorliegend ist – entgegen dem Vorbringen des Antragstellers – insbesondere in der Verfügung unter dem 20.2.2022 jedoch kein solch willkürliches Vorgehen oder eine Vorgehensweise, die auf einer unsachlichen Einstellung beruht und damit Anhaltspunkte dafür bietet, dass Richterin am Sozialgericht Y Argumenten nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen ist, erkennbar.  Eine Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG dient der Gewährung rechtlichen Gehörs hinsichtlich des Streitgegenstands und der Absicht des Gerichts, durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden zu wollen und ist vom Vorsitzenden zu verfügen (ausf. BeckOGK/Müller § 105 SGG Rn. 21 f. m.w.N.). Durch die von Richterin am Sozialgericht Y unter dem 20.2.2022 verfügte Anhörung wird dem Antragssteller gerade die Möglichkeit gegeben, sich zum beabsichtigten Gerichtsbescheidsverfahren, insbesondere auch dazu, aus welchen Gründen aus seiner Sicht, die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids nicht vorliegen sollen, zu äußern. Wenngleich der mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 109 SGG beauftragte Facharzt für Allgemeinmedizin, W. B., bisher nicht entpflichtet wurde und die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG zusammen mit der Aufforderung zur Benennung eines Gutachters nach § 109 SGG unter Fristsetzung auf den 27.3.2022 erfolgt ist, bietet sie jedoch gerade die Möglichkeit, Gründe vorzubringen, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids nicht vorliegen würden und entzieht als solche dem Antragsteller nicht entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinen gesetzlichen Richter, da sie von der Vorsitzenden zu verfügen ist (s. o.). Insofern sind gerade keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Richterin am Sozialgericht Y den Argumenten des Antragstellers nicht mehr zugänglich und damit nicht mehr unvoreingenommen ist.

Zudem bietet die Anhörung gerade auch in Bezug auf den offenen Beweisantrag (Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 Abs. 1 SGG) dem Antragsteller die Möglichkeit vorzutragen, aus welchen Gründen die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheids nicht als gegeben angesehen werden. Es kommt somit hier nicht auf die Frage an, ob der Sachverhalt – trotz eines offenen Beweisantrags – überhaupt geklärt ist (verneinend LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.12.2020 – L 4 R 1223/20, BeckRS 2020, 37298 (Rn. 48); zweifelnd Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, § 105 SGG Rn. 31 ff. jeweils m.w.N.) ggf. mit der Folge, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 SGG an dem Verfahrensmangel einer fehlerhaften Besetzung der Kammer leidet (ausf. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 11.12.2020 – L 4 R 1223/20, BeckRS 2020, 37298 (Rn. 48)). Dass die Anhörung nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG trotz bisher nicht erfolgter Entpflichtung des Facharztes für Allgemeinmedizin, W. B., zusammen mit der Aufforderung zur Benennung eines Gutachters nach § 109 SGG verfügt wurde, führt somit nach alledem noch nicht dazu, dass der Antragsteller entgegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG seinem gesetzlichen Richter entzogen wurde, da die Anhörung von der Vorsitzenden zu verfügen ist (s.o.). Eine Missachtung der gesetzlichen Schranken durch eine Grundrechtsverletzung oder ein Verstoß gegen Verfahrensregeln, der bei den Beteiligten der Eindruck der Voreingenommenheit aufdrängen konnte, ist somit ebenfalls nicht ersichtlich.

Das Gesuch des Antragstellers ist nach alledem als unbegründet zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 2 SGG unanfechtbar.

 

 

X
Richterin am Sozialgericht

 

 

Rechtskraft
Aus
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