L 13 VJ 19/11 ZVW

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 40 VJ 49/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VJ 19/11 ZVW
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Entscheidungstenor in der Sache selbst wie folgt gefasst wird:

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 5. September 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 2003 verpflichtet, dem Kläger unter Anerkennung der Cerebralpharese mit beinbetonter Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschaden nach der Impfung vom 17. April 1986 mit Wirkung ab April 2001 Beschädigtenrente nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 65 zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger wegen eines Impfschadens Anspruch auf Beschädigtenrente hat.

 

Der Kläger wurde in der 33. Schwangerschaftswoche am 24. Oktober 1985 geboren. Vor und unter der Geburt kam es zu einer Asphyxierung, d.h. Sauerstoffmangel und Säureüberladung.

 

Am 17. April 1986 wurde der Kläger gegen Diphtherie, Tetanus und (oral mit einem Lebendimpfstoff) Poliomyelitis geimpft. Hierbei handelte es sich um eine im Land Berlin empfohlene Schutzimpfung. Zwei Wochen danach (am 30. April oder 1. Mai 1986) sackte der Kläger im Arm seiner Mutter schlaff zusammen; sein Gesicht war blass, die Augen halb geschlossen. Nach einigen Minuten wurde das Gesicht wieder rosa, die Mutter konnte Augenkontakt herstellen. Fieber und Krämpfe traten hierbei nicht auf. Von diesem Vorfall erholte sich der Kläger nicht mehr. Er bewegte sich nicht mehr von allein, sondern musste von den Eltern bewegt werden. Die beiden weiteren Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhielt der Kläger am 12. und 30. April 1987.

 

Ende 1986 wurde bei dem Kläger eine spastische Tetraplegie mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung diagnostiziert. Er ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von nunmehr 100 anerkannt.

 

Der Kläger stellte bei dem Beklagten am 12. April 2001 den Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens. Im versorgungsärztlichen Gutachten vom 23. August 2002 kam der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang der Impfung mit der infantilen spastischen Cerebralparese zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich sei. Dieser Einschätzungen folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2002 den Antrag auf Versorgung wegen eines Impfschadens ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Auf der Grundlage der Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie Dr. M vom 25. Juli 2003 wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2003 zurück.

 

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Berlin hat der Kläger sinngemäß Versorgungsleistungen für die bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen als Folge der am 17. April 1986 durchgeführten Impfung begehrt. Das Sozialgericht hat neben diversen medizinischen Unterlagen das Gutachten des Prof. Dr. K vom 2. Januar 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 14. Juni 2005 eingeholt, der die Auffassung vertreten hat, es spreche mehr dafür als dagegen, dass die perinatale Asphyxie zu einem leichten bis mäßigen Hirnschaden geführt habe, jedoch nicht zu der schweren neurologischen Symptomatik, die sich ab Mai 1986 gezeigt habe. Der größere Anteil der Cerebralparese (mindestens zwei Drittel) sei als Impfschadensfolge einzuordnen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 65 v.H. anzusetzen.

 

Der Beklagte hat das nach Aktenlage erstellte Gutachten des Prof. Dr. S vom 21. Februar 2005 mit ergänzender Stellungnahme vom 27. Februar 2006 vorgelegt, der die Ansicht vertreten hat, dass das Krankheitsbild des Klägers plausibel auf die perinatale Sauerstoffmangelsituation zurückgeführt werden könne. Eine ursächliche oder mitursächliche Rolle der Dreifachimpfung sei höchst unwahrscheinlich.

 

In dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten vom 27. November 2006 ist Prof. Dr. D zu dem Ergebnis gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verursachung der bei dem Kläger vorliegenden Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung durch die perinatale Asphyxie bestehe, jedoch keine Wahrscheinlichkeit für eine zusätzliche Impfschädigung.

 

Mit Urteil vom 10. Mai 2007 hat das Sozialgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger wegen der Impfung vom 17. April 1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge ab April 2001 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 65 v.H. zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht insbesondere ausgeführt:

 

Der Sachverständige Prof. Dr. K habe nachvollziehbar begründet, dass bei dem Kläger eine zentralnervöse Lähmung bzw. Encephalopathie vorgefallen sei, die durch ein vaskuläres Immunkomplexgeschehen hervorgerufen worden sei. Die Einwände des Prof. Dr. S überzeugten nicht, da er sich allein darauf berufe, dass die Encephalopathie nicht in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit genannt sei. Gleiches gelte für die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. D, der lediglich angebe, dass die dargestellten Symptome eine akute entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems nicht stützten, ohne dies näher zu begründen.

 

Zwischen der Impfung und der unüblichen Impfreaktion bestehe mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang. Dem Gutachten des Prof. Dr. K werde gefolgt. Die Impfreaktion sei zwar nicht bereits im Zeitpunkt der Erkrankung geklärt worden, da seinerzeit der durchschnittliche Informationsstand bezüglich der sehr selten vorkommenden Impfreaktion noch nicht so war, dass eine sorgfältige Diagnostik hätte stattfinden müssen, jedoch nachträglich durch den Sachverständigen anhand der vorliegenden Befunde, insbesondere der Kopfumfangskurve des Klägers, diagnostiziert worden. Auch der von den Anhaltspunkten geforderte Ausschluss anderer Ursachen für die zentralnervöse Schädigung sei durch Prof. Dr. K schlüssig belegt worden. Der Gutachter habe anhand der auf Fotos sichtbaren Fingerhaltung des Klägers durchaus gesehen, dass dieser bereits vor der Impfung unter einer Hirnschädigung gelitten habe, jedoch dargelegt, dass die Entwicklung des Klägers bis zur Impfung lediglich Anlass zu der Annahme einer mäßigen Hirnschädigung gebe, die als alleinige Ursache für die nunmehr bestehenden schweren neurologischen Ausfallerscheinungen ausscheide. Aussagekräftig sei insbesondere die Kopfumfangkurve des Klägers, die sich bis zum Mai 1986 im normalen Bereich bewegt habe, was für eine normale Hirnentwicklung spreche. Nach der Impfung sei die Kurve markant unter das durchschnittliche Wachstum abgefallen, wodurch ein Entwicklungsknick im Hirnwachstum belegt sei. Die haftungsausfüllende Kausalität sei ebenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit gegeben. Es sei mit Prof. Dr. K davon auszugehen, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen zu 2/3 durch die unübliche Impfreaktion verursacht worden seien.

 

Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Az. L 13 VJ 24/07) eingelegt. Er hat insbesondere vorgebracht, dass der Antrag erst 15 Jahre nach der Impfung gestellt worden sei und dass sich aus den vorliegenden medizinischen Unterlagen, die nach der Impfung erstellt worden seien, keine Anhaltspunkte für einen Impfschaden ergäben. Es sei nicht nachvollziehbar, wie Prof. Dr. K die fehlende Diagnostik jetzt habe nachholen können. Der Beklagte hat sich ferner auf die von ihm eingeholten Stellungnahmen des Prof. Dr. S vom 6. Februar 2009 und vom 25. Juni 2009 bezogen.

 

Mit Urteil vom 11. März 2010 hat der Senat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschaden nach der Impfung gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis vom 17. April 1986 und auf Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 65 v.H., da nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststehe, dass er einen Gesundheitsschaden in Form einer Cerebralparese als Folge dieser Impfungen erlitten habe. Hierbei hat sich der Senat hinsichtlich der Komplikationen bei der Verwendung des Diphtherie-Impfstoff sowie des Kombinationsimpfstoffes gegen Diphtherie und Tetanus auf die Mitteilungen der STIKO vom Juni 2007 (EB Nr. 25/2007, S. 209ff.) gestützt, hilfsweise auf die Vorgaben in Nr. 57 Abs. 12 der AHP 2005 (die den AHP 1996 und 2004 wörtlich entsprechen), sowie hinsichtlich der Impfschäden nach einer Tetanus-Schutzimpfung auf Nr. 57 Abs. 13 der AHP 2005 und einer Poliomyelitis-Schutzimpfung auf Nr. 57 Abs. 2 der AHP 2005.

 

Gegen das Urteil des Senats hat der Kläger Revision eingelegt. Er hat klargestellt, dass er nicht allgemein die Gewährung von Versorgung, sondern von Beschädigtenrente begehrt. Mit Urteil vom 7. April 2011 hat das Bundessozialgericht das Urteil des Senats aufgehoben: Der Senat habe es unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, ob sich die in den Hinweisen der STIKO vom Juni 2007 und in den AHP 2005 zusammengefassten medizinischen Erkenntnisse auch auf die bei dem Kläger im Jahre 1986 verwendeten Impfstoffe beziehen. Entsprechende Feststellungen wären sicher dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den 1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Denn dann könnte grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sich weder die Auswirkungen der insoweit gebräuchlichen Impfstoffe noch diesbezügliche wissenschaftliche Erkenntnisse geändert hätten. Dies sei, wie der Vergleich der einschlägigen Bestimmungen zeige, nicht der Fall. Auf nähere Feststellungen zu dem genannten Punkt könnte auch verzichtet werden, wenn feststünde, dass alle im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis bei den STIKO-Hinweisen von 2007 oder den Angaben in Nr. 57 AHP 2005 Berücksichtigung gefunden hätten, sei es, weil die Impfstoffe (jedenfalls hinsichtlich der zu erwartenden Impfkomplikationen) im gesamten Zeitraum im Wesentlichen unverändert geblieben seien, sei es, weil etwaige Unterschiede differenziert behandelt worden seien. Von alledem könne nicht ausgegangen werden. Denn es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, dass alle 1986 gebräuchlichen DT-lmpfstoffe zu den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen gehört hätten, auf die sich diese STIKO-Hinweise nach ihrem Inhalt bezögen. Entsprechend verhalte es sich mit den AHP 2005, die insoweit mit den AHP 1996 und 2004 übereinstimmten, da in Nr. 56 und 57 nicht genau angegeben werde, auf welche Impfstoffe sich die betreffenden Angaben bezögen. Denkbar wäre immerhin, dass für die im Jahre 1986 gebräuchlichen Impfstoffe grundsätzlich noch die AHP 1983 maßgebend seien, gegebenenfalls ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der betreffenden Impfstoffe.

 

Zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 müsse allgemein geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprochen hätten, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen wäre, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt seien. Sollte sich dabei kein einheitliches Bild ergeben, würde auf die Feststellung der bei der Impfung des Klägers tatsächlich angewendeten Impfstoffe wahrscheinlich nicht verzichtet werden können.

 

Soweit sich feststellen ließe, dass die AHP 1996/2004/2005 – gegebenenfalls mit allgemeinen Modifikationen – ohne Feststellung der konkreten Impfstoffe für die Beurteilung des vorliegenden Falles maßgeblich seien, könne das Berufungsurteil hinsichtlich der Verneinung einer durch die Diphtherieimpfung verursachten Impfkomplikation nicht aufrechterhalten werden. Nach der vom Senat (hilfsweise) als einschlägig angesehenen Nr. 57 Abs. 12 AHP 2005 komme bei einer Diphtherieschutzimpfung als "Impfschaden" (im Sinne einer Komplikation) u.a. eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten sei, eine Antikörperbildung nachweisbar gewesen sei und andere Ursachen der Erkrankung ausschieden. Dementsprechend sei zunächst festzustellen, ob eine akut entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems im maßgeblichen Zeitraum nach der Impfung eingetreten sei. Soweit das LSG angenommen habe, eine entsprechende Erkrankung des zentralen Nervensystems lasse sich vorliegend nicht feststellen, beruhe dies auf einem Verstoß gegen §§ 103,128 Abs. 1 Satz 1 SGG. Denn angesichts des zwischen den Sachverständigen Prof. Dr. K und Prof. Dr. S bestehenden Streits, ob bei dem Kläger zwei Wochen nach der ersten Impfung eine "akut entzündliche Erkrankung des ZNS" aufgetreten sei, hätte der Senat nicht annehmen dürfen, eine entsprechende Erkrankung des zentralen Nervensystems lasse sich nicht feststellen, ohne darzulegen, auf welche medizinische Sachkunde er sich bei der Beurteilung gestützt habe. Jedenfalls hätte er mit sachkundiger Hilfe (unter Abklärung des medizinischen Erkenntnisstandes betreffend eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS) konkret feststellen müssen, ob das (von Prof. Dr. K als "zentralnervöser Zwischenfall" bezeichnete) Krankheitsgeschehen, das beim Kläger vierzehn Tage nach der Impfung ohne einen Fieberausbruch abgelaufen sei, als akut entzündliche Erkrankung des ZNS anzusehen sei.

 

Auch mit dem bislang fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung dürfe eine Impfkomplikation nicht verneint werden. Die Begründung des Senats, selbst wenn sich noch heute Antikörper feststellen ließen, könnten sie – wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen – nicht mit Sicherheit der am 17. April 1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden, sei aus Rechtsgründen nicht tragfähig. Es sei unzulässig, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im Nachhinein nicht mehr erfüllt werden könnten. Denn der Nachweis der Antikörperbildung als Hinweis auf eine Verursachung der Erkrankung des ZNS durch die Impfung sei erstmals in Nr. 57 Abs. 12 AHP 1996 enthalten. Nach der am 17. April 1986 erfolgten Impfung habe somit grundsätzlich keine Veranlassung bestanden, die Bildung von Antikörpern zu prüfen. Demzufolge müsse es zur Erfüllung der Merkmale der Nr. 57 Abs. 12 AHP 2005 jedenfalls ausreichen, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen ließen.

 

Soweit der Senat schließlich festgestellt habe, dass andere Ursachen der Krankheitszeichen, die beim Kläger zwei Wochen nach der Impfung vom 17. April 1986 aufgetreten seien, nicht ausschieden, habe er sich nicht hinreichend mit der abweichenden medizinischen Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. K auseinandergesetzt. Neben dem verringerten Schädelwachstum des Klägers habe Prof. Dr. K in diesem Zusammenhang auch auf einen Entwicklungsknick hingewiesen, der beim Kläger nach dem "zentralnervösen Zwischenfall" eingetreten sei. Es sei jedenfalls nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie sich ein solcher Vorgang mit der vom LSG – gestützt auf Prof. Dr. S – angenommenen "allmählichen Manifestation" der Symptome einer Cerebralparese vereinbaren lasse.

 

Im wieder aufgenommenen Berufungsverfahren bei dem Landessozialgericht hat der Kläger das Schreiben der ihn seinerzeit behandelnden Ärztin K vom 18. August 2011 vorgelegt, die mitgeteilt hat, dass ihr Unterlagen zu dem Zeitraum von 1986 bis 1987 nicht mehr vorlägen. Die Großzahl der Impfstoffe während dieser Zeit sei von der T-Apotheke bezogen worden und hätten ihres Wissens nach überwiegend von den Behringwerken gestammt.

 

Nach Abstimmung mit den Beteiligten im Erörterungstermin vom 26. August 2011 hat der Senat die T-Apotheke um Auskunft gebeten, um welche Impfstoffe es sich gehandelt hätte. Auf diese Anfrage hat die Apothekerin Krüger mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 mitgeteilt, aus der fraglichen Zeit existierten keine Unterlagen mehr. Auch die – ebenfalls in Abstimmung mit den Beteiligten durchgeführte – Anfrage bei der Rechtsnachfolgerin der Behringwerke AG ist erfolglos geblieben. Die N GmbH hat mit Schreiben vom 5. Januar 2012 erklärt, sie verfüge nicht über Verkaufsdaten, die den Zeitraum von 1985 bis 1987 beträfen.

 

Der Beklagte hat eine weitere von ihm veranlasste gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. S vom 29. Juni 2012 vorgelegt. Der Sachverständige hat u.a. dargelegt, es lasse ich aus der einschlägigen Impfliteratur ableiten, dass sich die im Jahr 1986 verwendeten Toxoid-Impfstoffe zum Schutz vor Diphtherie und Tetanus sowie orale Poliomyelitis-Impfstoffe von Impfstoffen späterer Jahre grundsätzlich nicht unterschieden. Insbesondere sei die Antigenkonzentration der Diphtherie- und Tetanus-Toxoide im DT-Kombinationsimpfstoff für Säuglinge bis in die 1990er Jahre hinein nicht verändert worden. Die Aufzählung der Impfschäden nach Diphtherie-Impfungen in Nr. 57 Abs. 12 AHP 1983 habe auf der seinerzeit herrschenden Lehrmeinung beruht, die in den Folgejahren unter Einsatz sorgfältiger und methodisch besserer Differenzialdiagnostik kritischer betrachtet worden seien. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich auch in der internationalen Impfliteratur widergespiegelt hätten, hätten – ohne nennenswerte Änderung des Diphtherie-Toxoid-Impfstoffes – zu einer Neubewertung in den AHP 1996 beführt.

 

Der Senat hat unter dem 10. September 2013 zur Klärung der Anwendbarkeit der STIKO-Hinweise von 2007 das Paul-Ehrlich-Institut um Auskunft gebeten, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprochen hätten, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen gewesen sei, wie sie in den STIKO-Hinweisen aufgeführt seien. Mit Schreiben vom 5. März 2014 hat das Paul-Ehrlich-Institut mitgeteilt, die Zusammensetzung der verwendeten Impfstoffe lasse sich nur schätzen, da die Markennamen unbekannt seien. Es sei 1986/87 üblich gewesen, dass DT-Kombinationsimpfstoffe neben dem Antigen (Diphtherie und Tetanus) und einem Adjuvans (Aluminiumverbindung) auch Konservierungsmittel (Thiomersal oder Formalin) enthalten hätten. Diese Stoffe seien in den Jahren ab 2000 zunehmend aus den Produkten entfernt worden, so dass die im Jahr 2007 verwendeten Impfstoffe in diesem Punkt nicht mehr mit den 1986/87 verwendeten vergleichbar seien. Eine Übersetzung der in englischer und französischer Sprache abgefassten Information zu Nebenwirkungen bei Polio-Impfungen (WHO, Weekly epidemiological record 2010, Nr. 23), auf die das Paul-Ehrlich-Institut im genannten Schreiben Bezug genommen hat, hat der Senat – neben im Original – den Beteiligten zur Kenntnis gegeben.

 

In weiteren gutachterlichen Stellungnahmen vom 25. August 2014 und vom 22. Dezember 2014, die von dem Beklagten veranlasst und dem Gericht vorgelegt worden sind, hat Prof. Dr. S seine Einschätzung bekräftigt, die Gesundheitsstörung des Klägers sei nicht durch die Impfung, sondern durch die Frühgeborenen-Asphyxie verursacht worden. Bei dem „Ausreißer“ der in den ersten Lebensjahren des Klägers erhobenen Messwerte des Kopfumfangs, aus dem Prof. Dr. K auf einen Entwicklungsknick im Hirnwachstum geschlossen habe, handele es sich um einen Messfehler. Dem ist der Kläger entgegengetreten.

 

In der Folgezeit hat sich der Senat bemüht, im Einvernehmen mit den Beteiligten zur weiteren Sachaufklärung einen Sachverständigen zu finden. Der von dem Kläger vorgeschlagene Prof. Dr. E war jedoch zwei Jahre zuvor verstorben. Auf Anregung des Klägers hat der Senat PD Dr. Angela K mit der Begutachtung beauftragt, die sich allerdings auf Grund massiver personeller Engpässe außerstande gesehen hat, ein Gutachten zu erstellen. Daraufhin hat der Senat, dem Vorschlag des Klägers folgend, den Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin Westend PD Dr. von M zum Sachverständigen ernannt, worauf der Kläger der Bestellung dieses Gutachters mit der Begründung widersprochen hat, diesem fehle die notwendige Sachkunde. Nach Prüfung des klägerischen Vorbringens hat der Berichterstatter den Beteiligten mitgeteilt, die erhobenen Einwände rechtfertigten nicht die Aufhebung der Beweisanordnung. Der Sachverständige PD Dr. von M hat sich jedoch nicht mehr in der Lage sehen, das Gutachten in absehbarer Zeit zu erstellen. Der weitere vom Senat beauftragte Prof. Dr. R hat die Erstellung eines Gutachtens aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt.

 

Am 10. Dezember 2017 hat der Neonatologe Prof. Dr. G auf Veranlassung des Senats sein Gutachten erstellt. Die Beweisfrage, ob bei dem Kläger zwei Wochen nach der Impfung eine akut entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems aufgetreten sei, könne – so der Sachverständige – nicht eindeutig beantworten werden, da die notwendigen zeitnahen Untersuchungen nach dem Ereignis vom 30. April / 1. Mai 1986 unterblieben seien. Eine aktuelle Untersuchung des Klägers biete nur eine sehr geringe, wenn nicht gänzlich fehlende Aussicht auf weitere Aufklärung. Der Sachverständige hat ausgeführt, nach einer tendenziösen Einschätzung gefragt, würde er eher einen postasphyktischen neurologischen Schaden bei Frühgeburt und Amnioninfektionssyndrom annehmen. Die weitere Beweisfrage des Gerichts, ob Erkrankungen des Zentralnervensystems bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrücke einhergehen könnten, hat er mit der Begründung bejaht, es könne angenommen werden, dass jegliche inflammatorische Reaktion – und damit auch Fieber – auf eine Infektion oder sonstige exogene Schädigung bei jüngeren und unreiferen Individuen geringer ausgeprägt sei.

 

Mit Schriftsatz vom 11. Oktober 2018 hat der Kläger das von ihm in Auftrag gegebene Gutachten des Dr. H vom 30. September 2018 vorgelegt, der dem Sachverständigen Prof. Dr. G insoweit zugestimmt hat, dass eine erneute klinische oder apparative Untersuchung des Klägers nichts zur Klärung des Sachverhalts betragen könne, sich jedoch gegen dessen Einschätzung gewendet hat, die perinatale Asphyxie habe einen Schaden des zentralen Nervensystems verursacht. Dr. H hat dargelegt, eine geburtstraumatische Schädigung durch Asphyxie wäre in der sensiblen Entwicklungsphase des 3. bis 4. Lebensmonats einem erfahrenen Kinderarzt mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgefallen und korrekt dokumentiert worden. Weiter führt der Gutachter aus, zum Zeitpunkt der Impfung des Klägers seien zwei Diphtherie-Tetanus-Impfstoffe zugelassen gewesen: DT Merieux des Herstellers Pasteur-Merieux und DT-Impfstoff Behring der Behringwerke. Eine Impfdosis habe als arzneilich wirksame Bestandteile neben dem Diphterie- und dem Tetanus-Toxoid Aluminiumphosphat und Aluminiumhydroxid als Immunverstärker („Adjuvans“) und Thiomersal als Konservierungsmittel enthalten. Der Gutachter hat ausgeführt, die dem Paul-Ehrlich-Institut berichteten Einzelfälle, in denen febrile Krampfanfälle, Enzephalitiden, Guillain-Barré-Syndrome und allergische Reaktionen nach Impfungen aufgetreten seien, und die in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlichten Fallberichte zeigten deutlich, dass eine autoimmune Impfkomplikation am Gehirn (postvakzinale Enzephalitis oder genauer disseminierte Enzephalomyelitis, ADEM) mit einer toxischen Komponente durch Thiomersal und Aluminiumverbindungen durchaus zu dem Spektrum der bekannten Impfkomplikationen der Impfstoffe gehört habe, die bei dem Kläger noch verwendet worden seien.

 

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2018 die gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. S vom 19. November 2018 eingereicht, der ausgeführt hat, das Gutachten des Dr. H vom 30. September 2018 sei hinsichtlich der Impfstoffe und der Impfstoffnebenwirkungen korrekt. Es überzeuge aber nicht, aus den Nebenwirkungen der Impfstoffe eine impfbedingte Schädigung des Klägers herzuleiten, denn Dr. H befasse sich nur mit den möglichen, nicht aber mir den wahrscheinlichen Nebenwirkungen.

 

In seiner vom Kläger mit Schriftsatz vom 18. Februar 2019 vorgelegten Stellungnahme vom 7. Februar 2019 hat Dr. H seine Ansicht bekräftigt und ausgeführt, den Äußerungen des Prof. Dr. K zur Kausalität zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers sei nichts hinzuzufügen.

 

Der Beklagte ist der Ansicht, eine durch die am 17. April 1986 erfolgte Impfung verursachte spastische Zerebralparese könne nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Nach den Darlegungen von Prof. Dr. S sei die perinatale Sauerstoffmangelsituation für die Lähmung des Klägers ursächlich.

 

Der Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2007 aufzuheben

und die Klage abzuweisen.

 

 

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung des Beklagten mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass ihm mit Wirkung ab April 2001 Beschädigtenrente nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 65 zu gewähren ist.

 

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

 

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung des Beklagten ist mit der sich aus dem Tenor ergebenden Maßgabe unbegründet.

 

Die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Kläger hat gegen den Beklagten Anspruch, ihm wegen der Impfung vom 17. April 1986 unter Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschaden ab April 2001 Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS; zuvor: Minderung der Erwerbsfähigkeit) von 65 zu gewähren.

 

Nach der für den Senat gemäß § 170 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden rechtlichen Beurteilung des Bundessozialgerichts im Revisionsurteil vom 7. April 2011 richtet sich der Anspruch des Klägers, der für die Zeit ab Antragstellung im April 2001 zu prüfen ist, nach § 60 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG), der am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist und den bis dahin und auch schon zur Zeit der hier in Rede stehenden Impfung des Klägers im Jahre 1986 geltenden – weitgehend wortlautgleichen – § 51 Abs. 1 Bundes-Seuchengesetzes (BSeuchG) abgelöst hat.

 

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine Schutzimpfung, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 IfSG oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit das IfSG nichts Abweichendes bestimmt. Nach § 2 Nr. 11 Halbs. 1 IfSG ist Impfschaden im Sinne dieses Gesetzes die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

 

Die zitierten Vorschriften des IfSG verlangen für die Entstehung eines Anspruchs auf Versorgungsleistungen die Erfüllung mehrerer Voraussetzungen (siehe BSG im Revisionsurteil). Es müssen eine unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG – beispielsweise nach öffentlicher Empfehlung durch eine zuständige Landesbehörde – erfolgte Schutzimpfung, der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie eine – dauerhafte – gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (siehe zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG, Urteile vom 19. März 1986 – 9a RVi 2/84BSGE 60, 58, 59 = SozR 3850 § 51 Nr. 9 S. 46 und – 9a RVi 4/84SozR 3850 § 51 Nr. 10 S. 49, ebenso auch Nr. 57 der AHP 1983 bis 2005).

 

Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein (aber auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung) geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist.

 

Die Impfung und sowohl die als Impfkomplikation in Betracht kommende als auch die dauerhafte Gesundheitsstörung müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – im sog Vollbeweis – feststehen. Allein für die zwischen diesen Merkmalen erforderlichen Ursachenzusammenhänge reicht der Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit aus (siehe § 61 Satz 1 IfSG). Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn mehr Umstände für als gegen die Kausalität sprechen. Die bloße Möglichkeit reicht nicht aus (siehe BSG, Urteil vom 19. März 1986 a.a.O.). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind.

 

Gemessen an diesen Maßstäben hat der Kläger gegen den Beklagten Anspruch auf Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung, d.h. einer – dauerhaften – gesundheitlichen Schädigung, als Impfschaden.

 

Der Kläger wurde am 17. April 1986 gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis geimpft. Hierbei handelte es sich um eine im Land Berlin empfohlene Schutzimpfung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG, da sie von der zuständigen Landesbehörde des Landes Berlin öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde.

 

Nach der Überzeugung des Senats trat am 30. April oder 1. Mai 1986, also zwei Wochen nach der Impfung, ein Krankheitsgeschehen auf, das durch die glaubhafte Aussage der Mutter des Klägers im Wege des Vollbeweises gesichert ist. Hierbei handelte es sich um eine über eine übliche Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schädigung, also eine Impfkomplikation. Denn es besteht die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Impfung und der Primärschädigung.

 

Als Maßstab zieht der Senat grundsätzlich die Vorgaben in den AHP 1983 heran, ergänzt durch neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der Impfstoffe, die in den AHP 1996 ausgeformt waren.

 

Bei der Kausalitätsbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden AHP anzuwenden und zu berücksichtigen (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil). Die AHP 1983 und die AHP in den Fassungen von 1996, 2004 und 2005 gaben jeweils den der herrschenden medizinischen Lehrmeinung entsprechenden aktuellen Kenntnis- und Wissensstand wieder, u.a. unter den Nrn. 53ff. zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben. Die als medizinische Sachverständige tätigen Gutachter und die Versorgungsverwaltungen sind an die in den AHP enthaltenen Erkenntnisse für die Begutachtung bzw. Entscheidungen über Anträge auf Versorgung gebunden (BSG, Urteil vom 27. August 1998 – B 9 VJ 2/97 R –, USK 98120, m.w.N.). Die AHP besitzen zwar keine Normqualität, wirken jedoch wie Richtlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit, weshalb sie im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung wie untergesetzliche Normen heranzuziehen sind (ständige Rechtsprechung, BSG, a.a.O., m.w.N.). Ihre generelle Richtigkeit kann durch Einzelfallgutachten nicht widerlegt werden. Die AHP sind allerdings – wie jede untergesetzliche Rechtsnorm – zu prüfen auf ihre Vereinbarkeit mit Gesetz und Verfassung, auf Berücksichtigung des gegenwärtigen Kenntnisstandes der sozialmedizinischen Wissenschaft sowie auf Lücken in Sonderfällen, die wegen der individuellen Verhältnisse gesondert zu beurteilen sind. Die Gerichte können jedoch grundsätzlich davon ausgehen, dass der ärztliche Sachverständigenbeirat – Sektion Versorgungsmedizin – regelmäßig die ihm gestellte Aufgabe erfüllt und bei jeder Ausgabe der AHP sowie danach durch laufende Überarbeitung neue Erkenntnisse und Fortschritte in der medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen berücksichtigt (so BSG, Urteil vom 18. September 2003 – B 9 SB 3/02 R –, SozR 4-3250 § 69 Nr. 2).

 

Eine Änderung trat mit den AHP 2008 ein, in der von einer Aufführung der spezifischen Impfschäden Abstand genommen wurde. Stattdessen verwies Nr. 57 Satz 1 der AHP 2008 auf die im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Arbeitsergebnisse der bei dem Robert-Koch-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission (STIKO), die Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelte. Nach Nr. 57 Satz 2 der AHP 2008 stellen diese Ergebnisse den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Die Mitteilungen der STIKO enthalten zwar in erster Linie Hinweise für Ärzte zum Aufklärungsbedarf über mögliche unerwünschte Wirkungen bei Schutzimpfungen (siehe hierzu Landessozialgericht für das Saarland, Urteil vom 27. Mai 2008 – L 5 VJ 10/04 –, bei Juris). Gleichwohl sind sie grundsätzlich zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem Impfschaden heranzuziehen. Denn bei den einzelnen Impfstoffen werden jeweils unter dem mit „Komplikationen“ betitelten Abschnitt im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung beobachtete Krankheiten bzw. Krankheitserscheinungen dargestellt, bei denen auf Grund der gegenwärtig vorliegenden Kenntnisse ein ursächlicher Zusammenhang als gesichert oder überwiegend wahrscheinlich anzusehen ist. Eine Änderung dieses Rechtszustandes ist auch nicht durch die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ eingetreten, die am 1. Januar 2009 in Form einer Rechtsverordnung in Kraft getreten sind und die AHP abgelöst haben. Anders als die AHP enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern. Vielmehr behalten die Nummern 53 bis 143 der AHP 2008 – und damit der Verweis in Nr. 57 auf die Mitteilungen der STIKO – auch nach Inkrafttreten der VersMedV weiterhin Gültigkeit als antizipiertes Sachverständigengutachten (vgl. BR-Drucks. 767/07, S. 4, zu § 2 VersMedV).

 

Die medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind hierbei auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten, d.h. ein bestimmter Vorgang, der unter Umständen vor Jahrzehnten stattgefunden hat, muss, wenn über ihn erst jetzt abschließend zu entscheiden ist, nach dem heutigen Stand der medizinischen Wissenschaft beurteilt werden (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil m.w.N.).

 

Dies bedeutet allerdings nicht, dass im vorliegenden Fall auf die aktuellen Mitteilungen der STIKO vom Juni 2007 (EB Nr. 25/2007, S. 209ff.) abgestellt werden dürfte. Denn bei der Anwendung der neuesten medizinischen Erkenntnisse ist jeweils genau zu prüfen, ob diese sich überhaupt auf den zu beurteilenden, gegebenenfalls lange zurückliegenden Vorgang beziehen. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung von Kausalzusammenhängen, da andere Ursachen jeweils andere Folgen nach sich ziehen können. Dementsprechend muss im Impfschadensrecht sichergestellt werden, dass die nach dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse in Betracht zu ziehenden Impfkomplikationen gerade auch die Impfstoffe betreffen, die im konkreten Fall Verwendung gefunden haben (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil m.w.N.).

 

Nach der – für den Senat bindenden – Rechtsansicht des Bundessozialgerichts ist deshalb zu ermitteln, welche Impfstoffe dem Kläger am 17. April 1986 verabreicht worden sind.

 

Diese Feststellung wäre nur dann überflüssig, wenn die Angaben zu Impfkomplikationen nach Schutzimpfungen der beim Kläger vorgenommenen Art von den im Zeitpunkt der Impfung am 17. April1986 noch maßgebenden AHP 1983 bis zu den STIKO-Hinweisen von Juni 2007 gleich geblieben wären. Dies ist jedoch, wie das Bundessozialgericht im Revisionsurteil detailliert dargelegt hat, nicht der Fall.

 

Die damit erforderliche Aufklärung, welche konkreten Impfstoffe seinerzeit verwendet worden sind, hat sich jedoch als unmöglich erwiesen: Der in Kopie vorliegende Impfpass des Klägers enthält für den 17. April 1986 nur den allgemeinen Eintrag "Polio oral, Diphtherie, Tetanus". In der ebenfalls in Kopie vorliegenden Krankenkartei der behandelnden Kinderärztin findet sich unter dem 17. April 1986 lediglich die Angabe "DT-Polio". Die den Kläger seinerzeit behandelnden Ärztin Kalischer hat im Schreiben vom 18. August 2011 erklärt, ihr lägen Unterlagen zu dem Zeitraum von 1986 bis 1987 nicht mehr vor. Auf die Anfrage des Senats bei der T-Apotheke, von der die behandelnde Ärztin die Impfstoffe zum Großteil bezogen hatte, hat die Apothekerin Krüger mit Schreiben vom 14. Oktober 2011 mitgeteilt, aus der fraglichen Zeit existierten keine Unterlagen mehr. Auch die die Rechtsnachfolgerin der Behringwerke AG, die N GmbH, hat mit Schreiben vom 5. Januar 2012 mitgeteilt, über Verkaufsdaten, die den Zeitraum von 1985 bis 1987 beträfen, verfüge sie nicht mehr. Keinen Erkenntnisgewinn zu der Frage der bei dem Kläger tatsächlich verwendeten Impfstoffe bieten die Darlegungen des Dr. H in der vom Kläger veranlassten gutachterlichen Stellungnahme vom 30. September 2018, wonach zum Zeitpunkt der Impfung des Klägers zwei Diphtherie-Tetanus-Impfstoffe, nämlich DT Merieux des Herstellers Pasteur-Merieux und DT-Impfstoff Behring der Behringwerke, zugelassen gewesen seien. Demgegenüber ergibt sich aus der vom Bundessozialgericht im Revisionsverfahren eingeholten Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts vom 6. April 2011, dass 1986 mindestens drei DT-Impfstoffe zugelassen waren. Die Anzahl der zugelassenen Impfstoffe kann jedoch offen bleiben. Denn nach der Einführung der Zulassungspflicht zur Impfstoffe im Jahre 1978 gab es eine Übergangszeit von mehreren Jahren, weshalb es nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts durchaus möglich ist, dass Impfstoffe, die erst nach 1986 offiziell zugelassen worden sind, bereits vorher in Deutschland gebräuchlich gewesen waren. Jedenfalls ergibt sich aus der Mitteilung der seinerzeit behandelnden Ärztin K vom 18. August 2011, die Großzahl der Impfstoffe hätte ihres Wissens nach überwiegend von den Behringwerken gestammt, nicht mit der erforderlichen Sicherheit, dass dem Kläger der DT-Impfstoff Behring verabreicht wurde, da nicht ausgeschlossen ist, dass bei seiner Impfung am 17. April 1986 ein anderer Impfstoff verwendet wurde.

 

Weil die Ermittlung der konkret beim Kläger verwendeten Impfstoffe nicht möglich ist, muss zur Klärung einer Anwendung der STIKO-Hinweise von 2007 nach der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts im Revisionsurteil allgemein geprüft werden, ob alle im April 1986 gebräuchlichen Impfstoffe den im Juni 2007 zugelassenen Impfstoffen derart entsprachen, dass mit denselben Impfkomplikationen zu rechnen war, wie sie in den STIKO-Hinweisen für DT-Impfstoffe aufgeführt werden. Dies war, wie sich aus dem Gesamtergebnis des Berufungsverfahrens ergibt, nach der Überzeugung des Senats nicht der Fall. Denn nach den Ausführungen des Paul-Ehrlich-Instituts im Schreiben vom 5. März 2014 steht fest, dass die im Jahr 2007 verwendeten Impfstoffe nicht mit den 1986 verwendeten Impfstoffen vergleichbar sind: Im Zeitpunkt der Impfung des Klägers war es üblich gewesen, dass DT-Kombinationsimpfstoffe neben dem Antigen (Diphtherie und Tetanus) und einem Adjuvans (Aluminiumverbindung) auch Konservierungsmittel (Thiomersal oder Formalin) enthielten. Diese Stoffe wurden jedoch in den Jahren ab 2000 zunehmend aus den Produkten entfernt.

 

Die STIKO-Hinweise 2007 finden damit keine Anwendung auf den vorliegenden Fall.

 

Die im Zeitpunkt der Impfung des Klägers 1987 geltenden und damit grundsätzlich maßgeblichen Vorgaben in den AHP 1983 dürfen jedoch nicht unkritisch übernommen werden. Wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sie den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, sind andere Erkenntnisquellen zu nutzen (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil). Derartige Anzeichen liegen nach der Überzeugung des Senats hinsichtlich der Kausalität von Schädigungen nach Diphtherie-Impfungen vor.

 

Prof. Dr. S hat in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 29. Juni 2012 nachvollziehbar dargelegt, dass die Aufzählung der Impfschäden nach Diphtherie-Impfungen in Nr. 57 Abs. 12 AHP 1983 auf die seinerzeit herrschende Lehrmeinung zurückzuführen ist, die auf Einzelfallberichten über Komplikationen nach Diphterie-Impfungen beruhten, wobei geeignete Methoden noch nicht entwickelt waren. In den Folgejahren ergaben sich unter Einsatz sorgfältiger und methodisch besserer Differenzialdiagnostik neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die sich auch in der internationalen Impfliteratur widerspiegelten und zu einer Neubewertung in den AHP 1996 führten.

 

Der Senat zieht ergänzend die auf der Grundlage des – bezogen auf die bei dem Kläger bei dessen Impfung am 17. April 1987 verwendeten Impfstoffe – neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in die AHP 1996 aufgenommenen Vorgaben zur Kausalität von Gesundheitsstörungen nach Diphterie-Impfungen heran. Denn es lässt sich, wie Prof. Dr. S überzeugend ausgeführt hat, aus der einschlägigen Impfliteratur ableiten, dass sich die im Jahr 1986 verwendeten Toxoid-Impfstoffe zum Schutz vor Diphtherie von Impfstoffen späterer Jahre grundsätzlich nicht unterschieden. Insbesondere wurde die Antigenkonzentration der Diphtherie- Toxoide (wie auch der Tetanus-Toxoide) im DT-Kombinationsimpfstoff für Säuglinge bis in die 1990er Jahre hinein nicht verändert.

 

In Nr. 57 Abs. 12 AHP 1996 heißt es zu den Impfkomplikationen im Sinne einer Primärschädigung (die entsprechend der seinerzeit verwendeten Terminologie als "Impfschäden" bezeichnet wurden):

 

Sehr selten akut entzündliche Erkrankungen des ZNS; sie bedürfen einer besonders sorgfältigen diagnostischen Klärung. Ein ursächlicher Zusammenhang mit der Impfung kommt in Betracht, wenn die Erkrankung innerhalb von 28 Tagen nach der Impfung aufgetreten ist, eine Antikörperbildung nachweisbar war und andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden. Sehr selten Neuritis, vor allem der Hirnnerven (wie bei der Krankheit), Thrombose, Nephritis.

 

Unter Heranziehung dieser Vorgaben ist für den Senat die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Impfung des Klägers und der Impfreaktion zu bejahen.

 

Aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens ist der Senat – insbesondere nach der umfassenden diagnostischen Klärung durch den Sachverständigen Prof. Dr. K – zu der Überzeugung gelangt, dass bei dem Kläger zwei Wochen, also innerhalb des zeitlichen Rahmens von 28 Tagen, nach der Impfung eine akut entzündliche Erkrankung des ZNS aufgetreten ist und dass andere Ursachen als die Impfung für diese Erkrankung ausscheiden. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die zutreffende Begründung im erstinstanzlichen Urteil, der er sich anschließt, und sieht nach § 153 Abs. 2 SGGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend ist anzuführen, dass die Ermittlungen im Berufungsverfahren die Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. K bestätigt haben, die Erkrankung des Zentralnervensystems beim Klägers sei auch ohne Fieber möglich. Im Gutachten vom 10. Dezember 2017 hat der Neonatologe Prof. Dr. G ausdrücklich die Beweisfrage des Gerichts, ob Erkrankungen des Zentralnervensystems bei immunologisch unreifen Kindern auch ohne Fieberausbrücke einhergehen könnten, mit der Begründung bejaht, es könne angenommen werden, dass jegliche inflammatorische Reaktion und damit auch Fieber auf eine Infektion oder sonstige exogene Schädigung bei jüngeren und unreiferen Individuen geringer ausgeprägt sei.

 

Die Überzeugungskraft der Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. K, dass andere Ursachen der Erkrankung ausscheiden, wird nicht durch die gerichtlich eingeholten Gutachten bzw. vom Beklagten vorgelegten gutachterlichen Stellungnahmen gemindert. Mit der von Prof. Dr. D und von Prof. Dr. S vertretenen Annahme, dass die Erkrankung des Klägers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Asphyxie, die der Kläger vor und während der Geburt erlitt, verursacht worden sei, ist, worauf Prof. Dr. K nachvollziehbar hingewiesen hat, mit dem dokumentierten Krankheitsverlauf im ersten Lebensjahr nicht zu vereinbaren. Hierbei hat Prof. Dr. K nicht verkannt, dass der Kläger bereits vor der Impfung unter einer Hirnschädigung litt, die auf die Asphyxie zurückzuführen ist. Hierbei handelte es sich jedoch nur um eine mäßige Hirnschädigung, wie der Sachverständige unter Verwertung der vorliegenden Krankenunterlagen sorgfältig und nachvollziehbar herausgearbeitet hat. Die von Prof. Dr. S geäußerte Annahme, die optimistischen Einschätzungen der behandelnden Ärzte dienten in erster Linie dazu, einer sorgenvollen Mutter Mut zu machen, ist nicht überzeugend, denn es ist nicht erkennbar, dass vorliegend Krankenunterlagen wissentlich falsch geführt worden wären. Ausschlaggebend ist, dass es bei dem Kläger im Anschluss an den Zwischenfall vom 30. April / 1. Mai 1986 zu einem deutlichen Entwicklungsknick kam, der gegen die Annahme der allmählichen Manifestation der Hirnschädigung infolge der perinatalen Asphyxie spricht. Insoweit ist auch die Wachstumskurve des Kopfumfangs von Bedeutung: Ausweislich des Arztbriefs der Kinderklinik des Universitätsklinikums Charlottenburg vom 10. Dezember 1985 und des von der behandelnden Ärztin fortlaufend geführten Krankenverlaufs betrug der Kopfumfang des Klägers am 24. Oktober 1985 31,5 cm, am 21. Januar 1986 39,5 cm, am 22. Mai 1986 43,5 cm, am 9. Oktober 1987 48,0 cm und am 21. November 1989 51,0 cm. Hierbei handelt es sich um Werte, die innerhalb des Normalbereichs liegen. Am 24. November 1986, also ein halbes Jahr nach dem Ereignis vom 30. April / 1. Mai 1986, betrug hingegen der Kopfumfang 44,0 cm und lag damit unter der 3. Perzentile. Diese drastische Absenkung, die nach der gutachterlichen Wertung durch Prof. Dr. K einem Stillstand des Hirnwachstums seit der letzten Messung am 22. Mai 1986 gleich steht, deutet auf einen Entwicklungsknick des Hirnwachstums infolge einer Hirnschädigung hin. Hinweise darauf, dass es sich, wie Prof. Dr. S vermutet hat, bei dem am 24. November 1986 erhobenen Wert um einen Messfehler handelte, bestehen nach der Überzeugung des Senats nicht. Gegen eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Verursachung der Erkrankung durch die perinatale Asphyxie spricht ferner, dass derartige frühkindliche Schäden sich in Gestalt einer Spastik manifestieren. Vorliegend handelte es sich hingegen, worauf Prof. Dr. K hingewiesen hat, zunächst um eine akut aufgetretene muskuläre Hypotonie, der erst einige Monate später eine zunehmend fassbar werdende Spastik folgte und der ein passagerer Stillstand des Hirnwachstums entsprach.

 

Die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. G, er nehme eher einen postasphyktischen neurologischen Schaden als einen Impfschaden an, ist nicht überzeugend, da der Gutachter sie nicht begründet.

 

Mit dem fehlenden Nachweis einer Antikörperbildung kann schließlich eine Impfkomplikation nicht verneint werden, da es unzulässig ist, eine Versorgung nach dem IfSG an Anforderungen scheitern zu lassen, die im Zeitpunkt der Impfung nicht erfüllt zu werden brauchten und im Nachhinein nicht mehr erfüllt werden können (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil). Im Zeitpunkt der Impfung am 17. April 1986 bestand grundsätzlich keine Veranlassung, die Bildung von Antikörpern zu prüfen, da dieser Nachweis erstmals in Nr. 57 Abs. 12 Halbs. 1 AHP 1996 gefordert wurde. Der Nachweis kann auch nicht nachgeholt werden. Denn selbst wenn sich noch heute Antikörper bei dem Kläger feststellen ließen, könnten sie – wegen der im Jahre 1987 erfolgten weiteren Impfungen – nicht mit Sicherheit der am 17. April 1986 vorgenommenen ersten Impfung zugeordnet werden. Deshalb reicht es zur Erfüllung der Merkmale der Nr. 57 Abs. 12 AHP 2005 jedenfalls aus, wenn sich heute noch entsprechende Antikörper beim Kläger nachweisen lassen (siehe Bundessozialgericht im Revisionsurteil).

 

Der Senat hat davon abgesehen, einen entsprechenden Test anzuordnen, der selbst dann, wenn er ein negatives Ergebnis erbrächte, nicht zielführend ist. Denn der Sachverständige Prof. Dr. K hat darauf hingewiesen, dass im Verlauf seither vergangener Jahre der Antikörpertiter stark abgefallen sein kann.

 

Die haftungsbegründende Kausalität im Sinne einer Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen der Impfung des Klägers und der Impfkomplikation als einer Primärschädigung ist damit gegeben.

 

Auch die haftungsbegründende Kausalität, der Ursachenzusammenhang zwischen der Impfkomplikation und dem Impfschaden (nach der früheren Terminologie: „Impfschadensfolge“) im Sinne einer dauerhaften gesundheitlichen Schädigung – hier die Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetraplegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung – liegt mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit vor. Der Senat verweist insoweit auf die zutreffende Begründung im Urteil des Sozialgerichts, das sich hierbei auf die medizinischen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K gestützt hat, und sieht nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

 

Nach der im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltenden Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist. Die bei dem Kläger am 30. April / 1. Mai1986 aufgetretenen Impfreaktion hat hierbei wesentliche Bedeutung im Sinne der Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Denn nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. K kommt der Impfkomplikation gegenüber der Geburtsasphyxie mit Wahrscheinlichkeit der größere Anteil – von mindestens zwei Dritteln – zu.

 

Damit hat der Kläger wegen der Impfung vom 17. April 1986 Anspruch gegen den Beklagten auf Anerkennung der Cerebralparese mit beinbetonter spastischer Tetra-plegie, ataktischer Störung und leichter Sprachbehinderung als Impfschadensfolge, und zwar im Sinne der Verschlimmerung.

 

Auch kann der Kläger von dem Beklagten erfolgreich eine Beschädigtengrundrente nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG in Verbindung mit §§ 30, 31 BVG nach einem GdS von 65 beanspruchen. Nach den Vorgaben in A 3.1.1 und A 3.1.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage zu § 2 VersMedV) ist ein GdS jedenfalls in dieser Höhe gerechtfertigt. Ein höherer GdS als 65 bildet nicht den Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

 

Rechtskraft
Aus
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