L 7 R 102/22 ZV

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 13 RS 669/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 R 102/22 ZV
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Der Zufluss von Jahresendprämien sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach kann im konkreten Einzelfall, beispielsweise durch Zeugenaussagen, glaubhaft gemacht werden.

Bemerkung

Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz - Arbeitsentgelt - Glaubhaftmachung des Zuflusses und der Höhe von Jahresendprämien - Zeugenaussagen

     
   
 

 

  1. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. Januar 2022 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, den Überführungsbescheid vom 19. Juni 1997 in der Fassung der Feststellungsbescheide vom 30. Juni 1999 und vom 4. August 1999 in der Fassung des Neufeststellungsbescheides vom 21. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1973 bis 1988 weitere Arbeitsentgelte des Klägers wegen zu berücksichtigender Jahresendprämienzahlungen im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe wie folgt festzustellen sind:

Für das Jahr:             

1973

395,83 Mark

1974 bis 1988

jeweils 791,67 Mark

 

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

 

  1. Die Beklagte erstattet dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu fünf Sechsteln.

 

  1. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten – im Rahmen eines Neufeststellungsverfahrens – über die Verpflichtung der Beklagten weitere Entgelte des Klägers für Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz für den Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 (Planjahre) in Form von Jahresendprämien festzustellen.

 

Der 1942 geborene Kläger leistete vom 1. August 1960 bis 31. August 1970 als Soldat und Berufssoldat Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Ihm wurde, nach erfolgreichem Abschluss eines im Zeitraum vom 1. September 1970 bis 15. August 1973 absolvierten Fachschulstudiums in der Fachrichtung Geräte und Anlagen der Nachrichtentechnik an der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik Z...., mit Urkunde vom 14. Juli 1973 das Recht verliehen, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Nach erfolgreichem Abschluss eines berufsbegleitend im Zeitraum von 1975 bis 1981 absolvierten Hochschulstudiums in der Fachrichtung Informationstechnik an der Hochschule für Verkehrswesen "Y...." X.... wurde ihm mit Urkunde vom 25. März 1981 der akademische Grad "Diplomingenieur" verliehen. Ein berufsbegleitend im Zeitraum vom 1. September 1981 bis 31. August 1982 absolviertes postgraduales Studium mit Fachabschluss für Fachschulpädagogik an der Sektion Berufspädagogik der Technischen Universität X.... schloss er mit Zeugnis vom 31. August 1982 erfolgreich ab. Er war vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als Hauptfachlehrer für Funktechnik bzw. als Funk-, Mess- und Bautechniker im Ministerium (der DDR) für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) sowie vom 25. August 1989 bis 30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Berufsschullehrer beim Rat des Kreises W.... an der Kommunalen Berufsschule "V...." W.... beschäftigt. Mit Urkunde der Staatlichen Versicherung der DDR vom 25. August 1989 (Versicherungsnummer: ….) wurde ihm von der Regierung der DDR eine zusätzliche Versorgung auf der Grundlage der Anordnung über die zusätzliche Versorgung der Pädagogen vom 2. Mai 1988 versprochen. Eine weitere Versorgungszusage oder eine andere Einbeziehung in ein weiteres Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) erhielt er zu Zeiten der DDR nicht.

 

Am 27. Mai 1997 beantragte der Kläger erstmals die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften und legte eine Entgeltbescheinigung des Landratsamtes W.... vom 7. Februar 1994 (für den Beschäftigungszeitraum vom 25. August 1989 bis 30. Juni 1990) vor. Mit Überführungsbescheid vom 19. Juni 1997 stellte die Beklagte die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 25. August 1989 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung (= Zusatzversorgungssystem Nr. 18 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte, auf der Grundlage der Entgeltbescheinigung des Landratsamtes W.... vom 7. Februar 1994, fest.

 

Am 16. Juli 1998 beantragte der Kläger – im Rahmen eines Kontenklärungsverfahrens – abermals die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften. Daraufhin stellte zunächst die Wehrbereichsverwaltung mit Sonderversorgungsbescheid vom 26. April 1999 die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. August 1960 bis 31. August 1970 als Zeiten der Sonderversorgung der Angehörigen der NVA der DDR (= Sonderversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 2 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest. Die Beklagte stellte zudem mit Bescheid vom 20. Juni 1999 die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (= Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) und die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 25. August 1989 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung (= Zusatzversorgungssystem Nr. 18 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest. Nach einem Widerspruch des Klägers vom 16. Juli 1999 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 4. August 1999 die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juli 1973 bis 31. August 1982 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (= Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) und die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. September 1982 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung (= Zusatzversorgungssystem Nr. 18 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 4. Oktober 2007 begehrte der Kläger die Berücksichtigung von Jahresendprämien bei den festgestellten Arbeitsentgelten und legte – im Laufe des Verfahrens, neben arbeitsvertraglichen Unterlagen – unter anderem eine Entgeltbescheinigung der Deutschen Bundespost vom 26. Februar 1992 (für den Beschäftigungszeitraum vom 1. Januar 1974 bis 31. Juli 1989) und eine Entgeltbescheinigung der Deutschen Post AG vom 28. August 2008 (für den Beschäftigungszeitraum vom 1. Juli 1973 bis 31. Dezember 1973 und vom 1. Januar 1989 bis 24. August 1989) vor. Die Beklagte fragte daraufhin mit Schreiben vom 27. August 2008 bei der Deutschen Post AG und dem Landratsamt W.... nach dem Vorliegen von Entgeltnachweisen über zusätzliche Belohnungen und jährliche zusätzliche Vergütungen an. Mit Schreiben vom 8. September 2008 übersandte die Deutsche Post AG daraufhin eine Entgeltbescheinigung (für den Beschäftigungszeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989), die zusätzliche Belohnungen für Bedienstete der Post in den Jahren 1974 bis 1989 auswies und den Hinweis enthielt, dass Unterlagen über den Bezug von Jahresendprämien nicht mehr vorhanden sind. Mit Schreiben vom 18. September 2008 übersandte das Landratsamt Nordsachsen die – bereits bekannte – Entgeltbescheinigung vom 7. Februar 1994 und führte aus, dass Unterlagen über Prämienzahlungen nicht mehr vorhanden sind.

 

Mit Bescheid vom 10. März 2010 stellte die Beklagte zum einen die Anwendbarkeit von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juli 1973 bis 31. August 1982 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (= Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) und die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. September 1982 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung (= Zusatzversorgungssystem Nr. 18 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest. Dabei stellte sie für das Jahr 1990 ein höheres Entgelt (in Höhe von 750,00 Mark) wegen einer jährlichen zusätzlichen Vergütung für Pädagogen fest. Den Bescheid vom 30. Juni 1999 in der Fassung des Bescheides vom 4. August 1999 hob sie, soweit er entgegenstand, auf. Zum anderen stellte die Beklagte mit dem Bescheid vom 10. März 2010 zudem fest, dass der Bescheid vom 30. Juni 1999 in der Fassung des Bescheides vom 4. August 1999 betreffend den Beschäftigungszeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 rechtswidrig ist, aber nicht zurückgenommen werden kann. Weitere Rechte können daraus nicht abgeleitet werden, sodass der Überprüfungsantrag vom 4. Oktober 2007 für diesen rechtswidrigen Beschäftigungszeitraum abgelehnt wurde. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger habe keine fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft im Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz erworben, weil die sachliche Voraussetzung nicht vorliege. Er sei im Beschäftigungszeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 nicht ingenieurtechnisch, sondern pädagogisch tätig gewesen. Eine Zusatzversorgungsanwartschaft im Zusatzversorgungssystem der Pädagogen stehe ihm erst mit Erwerb der Zusatzversorgungsurkunde ab 25. August 1989 zu, da er zuvor nicht im Bereich der Volks- und Berufsbildung, sondern im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen beschäftigt gewesen sei.

 

Den gegen den Feststellungs- und Rechtswidrigkeitsfeststellungsbescheid vom 10. März 2010 vom Kläger am 1. April 2010 mit dem Begehren, der "Wiederanerkennung" der Zeiten vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als rechtmäßiger Zeiten der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz, eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 4. April 2011 als unbegründet zurück. Die hiergegen vom Kläger am 12. April 2011 zum Sozialgericht Chemnitz erhobene Klage wies dieses (im Verfahren S 9 RS 583/11) mit Urteil vom 25. Mai 2012 ab. Die hiergegen vom Kläger am 15. Juni 2012 zum Sächsischen Landessozialgericht eingelegte Berufung wies dieses (im Verfahren L 5 RS 399/12) mit Beschluss vom 28. März 2013 zurück.

 

Einen weiteren, auf die "Wiederanerkennung" der Zeiten vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als rechtmäßiger Zeiten der Zusatzversorgung gerichteten Überprüfungsantrag des Klägers vom 16. Mai 2013 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. November 2013 ab.

 

Mit Überprüfungsantrag vom 15. September 2014 begehrte der Kläger abermals die "Wiederanerkennung" der Zeiten vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als rechtmäßiger Zeiten der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz und legte – im Laufe des Verfahrens – eine schriftliche Erklärung des Zeugen U...., seines mittelbaren Dienstvorgesetzten, vom 8. Oktober 2014 vor, in der unter anderem auch ausgeführt ist, dass der Kläger jährlich "auf Anweisung" des Zeugen eine Jahresendprämie (von ca. 950 Mark) erhielt. Den Überprüfungsantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Januar 2015 ab. Den hiergegen vom Kläger am 2. März 2015 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2015 als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 10. Juli 2015 Klage zum Sozialgericht Chemnitz. Dieses hob (im Verfahren S 39 RS 938/15), mit Gerichtsbescheid vom 1. November 2016, den Überprüfungsablehnungsbescheid der Beklagten vom 29. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2015 auf und verpflichtete die Beklagte im Wege der Neufeststellung, unter Änderung des Bescheides vom 10. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2011 die Zugehörigkeit des Klägers zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

 

Die Beklagte stellte daraufhin – in Ausführung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Chemnitz vom 1. November 2016 – die Anwendbarkeit von § 1 AAÜG, die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (= Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG) und die Beschäftigungszeiten des Klägers vom 25. August 1989 bis 30. Juni 1990 als "nachgewiesene Zeiten" der zusätzlichen Versorgung der Pädagogen in Einrichtungen der Volks- und Berufsbildung (= Zusatzversorgungssystem Nr. 18 der Anlage 1 zum AAÜG) sowie die in diesen Zeiträumen erzielten Arbeitsentgelte fest. Dabei stellte sie höhere Entgelte für die Zeit vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989, unter Berücksichtigung der Entgeltbescheinigungen der Deutschen Post AG vom 26. Februar 1992, vom 28. August 2008 und vom 8. September 2008, insbesondere wegen nachgewiesener zusätzlicher Belohnungen für Bedienstete der Post, fest. Die Feststellung von Jahresendprämien für den Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 lehnte sie hingegen mit der Begründung ab, deren Zufluss sei nicht nachgewiesen worden. Den Bescheid vom 29. Januar 2015 hob sie vollständig auf. Den Bescheid vom 10. März 2010 hob sie, soweit er entgegenstand, auf.

 

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Dezember 2016 Widerspruch ein und begehrte zum einen die Berücksichtigung von zusätzlichen Belohnungen für Bedienstete der Post gemäß der Entgeltbescheinigung der Deutschen Post AG vom 8. September 2008 sowie zum anderen die Berücksichtigung von Jahresendprämien gemäß der Erklärung des Zeugen U.... (in Höhe von 950,00 Mark jährlich). Nach einem Hinweisschreiben der Beklagten vom 22. Dezember 2016 des Inhalts, dass die zusätzlichen Belohnungen für Bedienstete der Post gemäß der Entgeltbescheinigung der Deutschen Post AG vom 8. September 2008 bereits im Neufeststellungsbescheid vom 21. November 2016 berücksichtigt wurden, stellte der Kläger mit Schreiben vom 26. Januar 2017 die zusätzlichen Belohnungen für Bedienstete der Post unstreitig.

 

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2017 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Zufluss und die Höhe der begehrten weiteren Arbeitsentgelte in Form von Jahresendprämien sei weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden. Die Höhe der Jahresendprämien des Einzelnen sei von einer Vielzahl von Faktoren abhängig gewesen, die heute ohne entsprechende Unterlagen nicht mehr nachvollzogen werden könnten. Eine pauschale Berücksichtigung der Prämien könne daher nicht erfolgen. Die Zeugenerklärung sei nicht ausreichend.

 

Hiergegen erhob der Kläger am 9. Mai 2017 Klage zum Sozialgericht Chemnitz und begehrte die Berücksichtigung von Jahresendprämien für den Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 in Höhe von mindestens 900,00 Mark jährlich.

 

Das Sozialgericht Chemnitz hat die Klage – nach Einvernahme des Zeugen U.... im Erörterungstermin am 24. Januar 2018 – mit Gerichtsbescheid vom 28. Januar 2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 5. April 2017 verwiesen und ausgeführt: Die Zeugenbefragung habe keinen Beweis für konkrete Jahresendprämienbeträge erbracht.

 

Gegen den am 1. Februar 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 25. Februar 2022 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren nach Feststellung von Jahresendprämien für den Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 weiterverfolgt. Zur Begründung führt er aus: Die Befragung des Zeugen U.... habe ergebe, dass der Kläger jährlich Jahresendprämien in Höhe von mindestens 950,00 Mark erhalten habe. Hiermit habe sich das Sozialgericht nicht auseinandergesetzt.

 

Der Kläger beantragt – sinngemäß und sachdienlich gefasst –,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. Januar 2022 aufzuheben und die Beklagte, unter Abänderung des Neufeststellungsbescheides vom 21. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017, zu verurteilen, Jahresendprämien für den Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 24. August 1989 als zusätzliche Entgelte im Rahmen der nachgewiesenen Zusatzversorgungszeiten festzustellen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und führt ergänzend aus: Dem beweisbelasteten Kläger sei es nicht gelungen, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass ihm in jedem einzelnen Kalenderjahr des Anspruchszeitraums überhaupt Jahresendprämien zugeflossen seien und wie hoch die Zahlbeträge tatsächlich seien. Entgegen der Auffassung des Klägers sei bei einer nicht erfolgreichen Glaubhaftmachung nicht von einer Zahlbetragsuntergrenze nach einem sog. "Niederstwertprinzip" auszugehen.

 

Das Gericht hat arbeitsvertragliche Unterlagen vom Kläger angefordert.

 

Mit Schriftsätzen vom 12. Juli 2022 (Kläger) sowie vom 15. Juli 2022 (Beklagte) haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe:

 

I.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

 

II.

Die statthafte und zulässige Berufung des Klägers ist ganz überwiegend begründet, weil das Sozialgericht Chemnitz die Klage überwiegend zu Unrecht abgewiesen hat. Denn der Kläger hat in dem tenorierten Umfang Anspruch auf Feststellung zusätzlicher, ihm im Zeitraum vom 1. Juli 1973 bis 31. Dezember 1988 zugeflossener, weiterer Arbeitsentgelte wegen zu berücksichtigender Jahresendprämienzahlungen im Rahmen der bereits mit Neufeststellungsbescheid vom 21. November 2016 festgestellten Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben. Der Zufluss einer Jahresendprämie für den Zeitraum vom 1. Januar 1989 bis 24. August 1989 hingegen ist ausgeschlossen, sodass die Berufung insoweit zurückzuweisen ist.

 

Der Neufeststellungsbescheid der Beklagten vom 21. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 (§ 95 SGG) ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG), weil mit dem Neufeststellungsbescheid vom 21. November 2016 das Recht (teilweise) unrichtig angewandt bzw. von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich (teilweise) als unrichtig erweist (§ 44 des Zehntes Buches Sozialgesetzbuch [SGB X]). Deshalb waren der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 28. Januar 2022 (teilweise) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Überführungsbescheid vom 19. Juni 1997 in der Fassung der Feststellungsbescheide vom 30. Juni 1999 und vom 4. August 1999 in der Fassung des Neufeststellungsbescheides vom 21. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. April 2017 dahingehend abzuändern, dass für die Jahre 1973 bis 1988 (Planjahre = Zuflussjahre) weitere Arbeitsentgelte wegen zu berücksichtigender Jahresendprämienzahlungen im Rahmen der bereits festgestellten Zusatzversorgungszeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe, wie tenoriert, festzustellen sind. Soweit der Kläger höhere, als die tenorierten, Entgelte wegen zu berücksichtigender Jahresendprämien begehrt, war die Berufung im Übrigen (zumindest aus Gründen der Klarstellung) zurückzuweisen. Ebenso war die Berufung betreffend das Plan- und Zuflussjahr 1989 (für den begehrten Zeitraum vom 1. Januar 1989 bis 24. August 1989) zurückzuweisen.

 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X, der nach § 8 Abs. 3 Satz 2 AAÜG anwendbar ist, gilt: Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Im Übrigen ist ein rechtswidriger, nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

 

Diese Voraussetzungen liegen vor, denn der Überführungsbescheid vom 19. Juni 1997 in der Fassung der Feststellungsbescheide vom 30. Juni 1999 und vom 4. August 1999 in der Fassung des Neufeststellungsbescheides vom 21. November 2016 ist teilweise rechtswidrig.

 

Nach § 8 Abs. 1 AAÜG hat die Beklagte als der unter anderem für das Zusatzversorgungssystem der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betriebe zuständige Versorgungsträger in einem dem Vormerkungsverfahren (§ 149 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch [SGB VI]) ähnlichen Verfahren durch jeweils einzelne Verwaltungsakte bestimmte Feststellungen zu treffen. Vorliegend hat die Beklagte mit dem Überführungsbescheid vom 19. Juni 1997 in der Fassung der Feststellungsbescheide vom 30. Juni 1999 und vom 4. August 1999 in der Fassung des Neufeststellungsbescheides vom 21. November 2016 Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG (vgl. § 5 AAÜG) sowie die während dieser Zeiten erzielten Arbeitsentgelte festgestellt (§ 8 Abs. 1 Satz 2 AAÜG). Jahresendprämien hat sie jedoch ganz überwiegend zu Unrecht nicht berücksichtigt.

 

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG ist den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz (vgl. § 5 AAÜG) für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 SGB VI) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen. Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) und damit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG stellen auch die in der DDR an Arbeitnehmer rechtmäßig gezahlten Jahresendprämien dar, da es sich um eine Gegenleistung des Betriebs für die vom Werktätigen im jeweiligen Planjahr erbrachte Arbeitsleistung handelte, wobei es nicht darauf ankommt, dass dieser Verdienst nach DDR-Recht nicht steuer- und sozialversicherungspflichtig war (so: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.; dem folgend: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 13). Denn der Gesetzestext des § 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG besagt, dass den Pflichtbeitragszeiten im Sinne des § 5 AAÜG als Verdienst (§ 256a SGB VI) unter anderen das "erzielte Arbeitsentgelt" zugrunde zu legen ist. Aus dem Wort "erzielt" folgt im Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Satz 1 AAÜG, dass es sich um Entgelt oder Einkommen handeln musste, das dem Berechtigten während der Zugehörigkeitszeiten zum Versorgungssystem "aufgrund" seiner Beschäftigung "zugeflossen", ihm also tatsächlich gezahlt worden ist. In der DDR konnten die Werktätigen unter bestimmten Voraussetzungen Prämien als Bestandteil ihres Arbeitseinkommens bzw. -entgelts erhalten. Sie waren im Regelfall mit dem Betriebsergebnis verknüpft und sollten eine leistungsstimulierende Wirkung ausüben. Lohn und Prämien waren "Formen der Verteilung nach Arbeitsleistung" (vgl. Kunz/Thiel, „Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch“, 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 192f.). Die Prämien wurden aus einem zu bildenden Betriebsprämienfonds finanziert; die Voraussetzungen ihrer Gewährung mussten in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart werden. Über ihre Gewährung und Höhe entschied der Betriebsleiter mit Zustimmung der zuständigen betrieblichen Gewerkschaftsleitung nach Beratung im Arbeitskollektiv. Diese allgemeinen Vorgaben galten für alle Prämienformen (§ 116 des Arbeitsgesetzbuches der DDR [nachfolgend: DDR-AGB] vom 16. Juni 1977 [DDR-GBl. I 1977, Nr. 18, S. 185]) und damit auch für die Jahresendprämie (§ 118 Abs. 1 und 2 DDR-AGB). Die Jahresendprämie diente als Anreiz zur Erfüllung und Übererfüllung der Planaufgaben; sie war auf das Planjahr bezogen und hatte den Charakter einer Erfüllungsprämie. Nach § 117 Abs. 1 DDR-AGB bestand ein "Anspruch" auf Jahresendprämie, wenn

  • die Zahlung einer Jahresendprämie für das Arbeitskollektiv, dem der Werktätige angehörte, im Betriebskollektivvertrag vereinbart war, 
  • der Werktätige und sein Arbeitskollektiv die vorgesehenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatte und 
  • der Werktätige während des gesamten Planjahres Angehöriger des Betriebs war.

Die Feststellung von Beträgen, die als Jahresendprämien gezahlt wurden, hing davon ab, dass der Empfänger die Voraussetzungen der §§ 117, 118 DDR-AGB erfüllt hatte. Hierfür und für den Zufluss trägt er die objektive Beweislast (sog. Feststellungslast im sozialgerichtlichen Verfahren, vgl. insgesamt: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 21 ff.; dem folgend und diese Beweislast, unter Ablehnung einer Schätzungsmöglichkeit, betonend: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14).

 

Daraus wird deutlich, dass die Zahlung von Jahresendprämien von mehreren Voraussetzungen abhing. Der Kläger hat, um eine Feststellung zusätzlicher Entgelte beanspruchen zu können, nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, dass alle diese Voraussetzungen in jedem einzelnen Jahr erfüllt gewesen sind und zusätzlich, dass ihm ein bestimmter, berücksichtigungsfähiger Betrag auch zugeflossen, also tatsächlich gezahlt worden, ist.

 

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG entscheidet das Gericht dabei nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Neben dem Vollbeweis, d.h. der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, ist auch die Möglichkeit der Glaubhaftmachung des Vorliegens weiterer Arbeitsentgelte aus Jahresendprämien gegeben. Dies kann aus der Vorschrift des § 6 Abs. 6 AAÜG abgeleitet werden. Danach wird, wenn ein Teil des Verdienstes nachgewiesen und der andere Teil glaubhaft gemacht wird, der glaubhaft gemachte Teil des Verdienstes zu fünf Sechsteln berücksichtigt.

 

Im vorliegenden konkreten Einzelfall hat der Kläger den Zufluss von Jahresendprämien dem Grunde nach zwar nicht nachgewiesen, jedoch für die Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 (nicht aber auch für das Plan- und Zuflussjahr 1989), glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter 1.). Die konkrete Höhe der Jahresendprämien, die zur Auszahlung an ihn gelangten, hat er zwar ebenfalls nicht nachgewiesen, für die Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 allerdings in einer bestimmbaren Höhe glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter 2.).

 

1.

Der Zufluss von Jahresendprämien dem Grunde nach ist im vorliegenden Fall zwar nicht nachgewiesen (dazu nachfolgend unter a), jedoch für die begehrten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 (nicht aber auch für das Plan- und Zuflussjahr 1989), glaubhaft gemacht (dazu nachfolgend unter b):

 

a)

Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Beurteilungsbögen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen konnte er nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch über keine Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte, wie er selbst ausführte.

 

Auch die von der Beklagten im Rahmen des ursprünglichen Überprüfungsverfahrens mit Schreiben vom 27. August 2008 nach Entgelt- und Prämiennachweisen befragte Rechtsnachfolgefirma (Deutsche Post AG) konnten keine Prämiennachweise ausfindig machen. Die Deutsche Post AG teilte mit Schreiben vom 8. September 2008 vielmehr mit, über keinerlei Entgeltunterlagen zu Jahresendprämien (mehr) zu verfügen.

 

Nachweise zu an den Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch im Übrigen nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28f Abs. 5 SGB IV).

 

b)

Der Zufluss von Prämienzahlungen dem Grunde nach konkret an den Kläger ist aber im vorliegenden Fall für die begehrten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 (nicht aber auch für das Plan- und Zuflussjahr 1989), glaubhaft gemacht.

 

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbare Beweismittel erstrecken sollen (vgl. dazu auch: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 14), überwiegend wahrscheinlich ist. Dies erfordert mehr als das Vorhandensein einer bloßen Möglichkeit, aber auch weniger als die an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dieser Beweismaßstab ist zwar durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss also nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die "gute Möglichkeit" aus, das heißt es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht; von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss den übrigen gegenüber aber einer das Übergewicht zukommen. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache reicht deshalb nicht aus, die Beweisanforderungen zu erfüllen (vgl. dazu dezidiert: BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 5).

 

Dies zu Grunde gelegt, hat der Kläger im konkreten Einzelfall glaubhaft gemacht, dass die drei rechtlichen Voraussetzungen (§ 117 Abs. 1 DDR-AGB) für den Bezug einer Jahresendprämie für die begehrten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 (nicht aber auch für das Plan- und Zuflussjahr 1989), vorlagen und er jeweils eine Jahresendprämie erhalten hat:

 

aa)

Der Kläger war in den Plan- und Zuflussjahren 1974 bis 1988 jeweils während des gesamten Planjahres Angehöriger des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 3 DDR-AGB), wie sich aus den vorgelegten Arbeits- und Änderungsverträgen sowie aus den Eintragungen in seinen Ausweisen für Arbeit und Sozialversicherung ergibt.

 

Das Plan- und Zuflussjahr 1973, in dem der Kläger zum 1. Juli in die Dienststelle erst eintrat, kann ebenfalls (anteilig) mitberücksichtigt werden. Gesetzlich geregelter Ausnahmetatbestand, der eine anteilige Jahresendprämie plausibel rechtfertigt, ist § 117 Abs. 2 Satz 1 Buchst. d) DDR-AGB. Nach dieser Norm bestand ein Anspruch auf anteilige Jahresendprämie bei Aufnahme eines Direktstudiums an einer Hoch- oder Fachschule sowie bei Aufnahme einer Tätigkeit nach Abschluss des Studiums. Sein Fachschulstudium an der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik Z.... hatte der Kläger (erst) am 14. Juli 1973 abgeschlossen, wie sich aus der Ingenieururkunde der Ingenieurschule für Maschinenbau und Elektrotechnik Z.... vom 14. Juli 1973 ergibt. Beendet war dieses Studium (jedoch erst) zum 15. August 1973, wie sich aus der Eintragung im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung ergibt. Bereits am 9. Februar 1973 wurde der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der Deutschen Post, mit Tätigkeitsbeginn ab 1. Juli 1973, abgeschlossen. Die tatsächliche Arbeitsaufnahme erfolgte ebenfalls am 1. Juli 1973, wie sich dem Eintrag im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung sowie dem Arbeitszeugnis vom 9. August 1989 entnehmen lässt. Damit steht fest, dass der Kläger seine Tätigkeit unmittelbar nach Abschluss des Fachschulstudiums, welches als Direktstudium durchgeführt wurde, aufgenommen hatte.

 

Im Plan- und Zuflussjahr 1989 hingegen ist er bereits zum 24. August aus dem Beschäftigungsverhältnis mit dem Ministerium für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) ausgeschieden und erfüllte damit nicht die rechtlichen Voraussetzungen für den Bezug einer Jahresendprämie, weil er nicht das gesamte Planjahr Angehöriger der Dienststelle war. Aus den vorliegenden Arbeitsverträgen des Zeitraumes ab dem Jahr 1989 ergibt sich auch nicht, dass es sich um einen Überleitungsvertrag oder um eine sonstige ununterbrochene Fortführung des vorangegangenen Beschäftigungsverhältnisses zum Ministerium für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) – unter Aufrechterhaltung oder Weiterführung einer bereits im Ministerium für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) erwirtschafteten Jahresendprämienanwartschaft – gehandelt hat. Das geltend gemachte Beschäftigungsjahr 1989 scheidet damit komplett aus.

 

bb)

Mindestens glaubhaft gemacht ist darüber hinaus auch, dass die Zahlung von Jahresendprämien für das Arbeitskollektiv, dem der Kläger angehörte, jeweils in einem Betriebskollektivvertrag vereinbart war (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 1 DDR-AGB). Denn der Abschluss eines Betriebskollektivvertrages zwischen dem Betriebsleiter und der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung war nach § 28 Abs. 1 DDR-AGB zwingend vorgeschrieben. Die Ausarbeitung des Betriebskollektivvertrages erfolgte jährlich, ausgehend vom Volkswirtschaftsplan; er war bis zum 31. Januar des jeweiligen Planjahres abzuschließen (vgl. Kunz/Thiel, „Arbeitsrecht [der DDR] – Lehrbuch“, 3. Auflage, 1986, Staatsverlag der DDR, S. 111). Ebenso zwingend waren nach § 118 Abs. 1 DDR-AGB in Verbindung mit § 28 Abs. 2 Satz 3 DDR-AGB die Voraussetzungen und die Höhe der Jahresendprämie in dem (jeweiligen) Betriebskollektivvertrag zu regeln.

 

Damit kann in der Regel für jeden Arbeitnehmer, sofern nicht besondere gegenteilige Anhaltspunkte vorliegen sollten, davon ausgegangen werden, dass ein betriebskollektivvertraglich geregelter Jahresendprämienanspruch dem Grunde nach bestand (vgl. dazu auch: Lindner, „Die ‚leere Hülle‘ ist tot – wie geht es weiter?“, rv [= Die Rentenversicherung] 2011, 101, 104), auch wenn die Betriebskollektivverträge als solche nicht mehr vorgelegt oder anderweitig vom Gericht beigezogen werden können. Vor diesem Hintergrund ist der von der Beklagten in anderen Verfahren erhobene Einwand, die Betriebskollektivverträge seien anspruchsbegründend, zwar zutreffend, verhindert eine Glaubhaftmachung jedoch auch dann nicht, wenn diese im konkreten Einzelfall nicht eingesehen werden können.

 

cc)

Ausgehend von den Auskünften des Zeugen U.... sowie den sonstigen Hinweistatsachen ist zudem glaubhaft gemacht, dass der Kläger und das Arbeitskollektiv, dem er angehörte, die vorgegebenen Leistungskriterien in der festgelegten Mindesthöhe erfüllt hatten (§ 117 Abs. 1 Voraussetzung 2 DDR-AGB).

 

Der Zeuge U...., der den Kläger seit dem 1. August 1973 kannte und der im Dienstrang eines Oberstleutnants der stellvertretende Kommandeur in der Dienststelle des Klägers und damit der mittelbare Vorgesetzte des Klägers war, gab bereits in seiner schriftlichen Zeugenauskunft vom 8. Oktober 2014 für den Zeitraum vom 1. August 1973 bis 24. August 1989 an, dass der Kläger auf "meine [also des Zeugen] Anweisung hin eine jährliche Jahresendprämie von ca. 950.- Mark der DDR erhielt". Er versicherte zugleich, dass er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen ausführte.

 

In seiner, vom Sozialgericht Chemnitz im Rahmen des am 24. Januar 2018 durchgeführten Erörterungstermins gewonnenen, Zeugenvernehmung gab der Zeuge U.... weitergehend und präzisierend an, dass

  • die Jahresendprämien auf der Grundlage eines Ministeriumsbeschlusses oder einem Kommandeursschreiben oder Ähnlichem gezahlt wurden,
  • die Jahresendprämien auf jeden Fall jährlich (auch an den Kläger) gezahlt wurden,
  • der Zeuge ab 1973 selbst damit beauftragt war für insgesamt ca. 10 Personen die Jahresendprämien zusammenzustellen und zu berechnen sowie sie anschließend dem Kommandeur vorzulegen, der den Befehl zur Auszahlung erteilte,
  • sich die Beschäftigten dann an den Finanzoffizier wandten, der die Auszahlung der Jahresendprämien entweder in bar vornahm oder eine Überweisung veranlasste,
  • es eine Richtlinie gab, wonach die Jahresendprämien zunächst (ungefähr bis zum Jahr 1975 oder 1976) den Betrag von 1.000,00 Mark nicht überschreiten durften und anschließend die Beträge auch höher (bis zu 1.450,00 Mark für fast alle Mitarbeiter) ausfielen,
  • die Jahresendprämien bereits ab dem Jahr 1973 bereits mindestens 950,00 Mark betrugen und diese ziemlich gleich auf die Beschäftigten verteilt wurden bzw. die Unterschiede unter den einzelnen Mitarbeitern nicht groß waren,
  • erst ab Ende der 1970er Jahre auch Leistungskriterien mitberücksichtigt wurden,
  • ab ca. 1975 Funktionspläne eingeführt wurden, in denen die einzelnen Tätigkeiten der Mitarbeiter genau bestimmt waren und sich nach diesen Aufgaben dann auch die Jahresendprämien bestimmten,
  • es nie vorkam, dass für einen Mitarbeiter eine Jahresendprämie abgelehnt wurde,
  • die vom Zeugen vorgeschlagene Höhe der Jahresendprämien für die Mitarbeiter in der Regel auch zur Zahlung angewiesen wurden und es nur manchmal Abweichungen gab,
  • der Zeuge bis zum Jahr 1989 der mittelbare Vorgesetzte des Klägers war und
  • die Jahresendprämien jährlich am Jahresende im Dezember anlässlich eines Appells verlesen und anschließend gezahlt wurden.

 

Unzulänglichkeiten des Klägers, die gegebenenfalls eine Kürzung oder Nichtzahlung der Jahresendprämie in den Plan- und Zuflussjahren 1973 bis 1988 zur Folge hätten haben können, ergeben sich auch nicht aus anderweitigen Indizien oder Hinweistatsachen. Im Gegenteil: Die Angaben des Zeugen U.... sind vor dem Hintergrund der beigezogenen arbeitsvertraglichen Unterlagen plausibel und bestätigen die berechtigte Annahme, dass der Kläger die individuellen Leistungskennziffern konkret erfüllte:

 

Den vom Kläger vorgelegten Arbeits- und Arbeitsänderungsverträgen ist zu entnehmen, dass der Kläger kontinuierliche Gehaltssteigerungen wegen seiner hervorragenden Arbeitsleistungen erreichte.

 

Den vom Kläger vorgelegten Urkunden ist zu entnehmen, dass der Kläger wiederholt "auf Grund [seiner] nachgewiesenen Qualifikation und Befähigung" befördert wurde. Mit Urkunde vom 1. Oktober 1974 wurde ihm der Dienstrang "Amtmann" verleihen. Mit Urkunde vom 29. April 1981 wurde ihm der Dienstrang "Rat" verliehen.

 

Für "vorbildliche Leistungen", beispielsweise im ersten Arbeitshalbjahr 1978/1979, wurde ihm mit Urkunde vom 26. April 1979 eine Belobigung ausgesprochen. "In Anerkennung für langjährige, gewissenhafte und disziplinierte Arbeit bei der Deutschen Post" wurde ihm mit Urkunde vom 1. August 1980 die "Verdienstmedaille in Silber" verliehen.

 

In der "Abschlussbeurteilung" des Ministeriums für Post- und Fernmeldewesen (Dienststelle W....) vom 9. August 1989 (angefertigt von Oberstleutnant U....), welche Auskunft über die Arbeitsleistungen des Klägers im gesamten Beschäftigungszeitraum seit dem 1. Juli 1973 gibt, wird unter anderem hervorgehoben, dass der Kläger

  • über eine vorbildliche Arbeitsbereitschaft verfügte,
  • vielseitige technische Kenntnisse und Ambitionen, gepaart mit einem hohen Engagement für die Erfüllung der geforderten Arbeitsaufgaben, besaß, die es ihm ermöglichten bereits nach kurzer Zeit das notwendige Leistungsniveau zu erreichen,
  • stets selbständig und schöpferisch arbeitete,
  • eine initiativreiche Mitarbeit an den Tag legte,
  • unduldsam gegenüber Mängeln in der Arbeit war,
  • korrekt war,
  • stets bestrebt war, mit allen Kollegen gut zusammenzuarbeiten und das im Kollektiv bestehende Vertrauensverhältnis weiter zu vertiefen half,
  • im Kollektiv als Persönlichkeit geachtet wurde,
  • mit vorgesetzten Mitarbeitern sachlich zusammenarbeitete,
  • sich an Problemdiskussionen konstruktiv beteiligte,
  • über intellektuelle Fähigkeiten verfügte, die es ihm ermöglichten Arbeitsschwerpunkte rechtzeitig zu erkennen und in den Ausbildungsprozess nutzbringend einzuordnen,
  • gute Fachkenntnisse besaß,
  • die ihm übertragenen Aufgaben sehr ernst nahm und sich mit seiner ganzen Kraft für deren qualitativ gute Erfüllung einsetzte,
  • hohe Anforderungen an seine Mitarbeiter stellte.

 

Unterstrichen wird diese vorbildliche und weder zu Kritik noch Tadel Anlass gebende Arbeitsweise des Klägers im Übrigen durch die ihm von seinem Beschäftigungsbetrieb mit Urkunde vom 6. Oktober 1988 verliehene Auszeichnung als "Aktivist der sozialistischen Arbeit". Mit dieser Auszeichnung wurden unter anderem hervorragende und beispielgebende Arbeitsleistungen gewürdigt (vgl. dazu: § 1 der "Ordnung über die Verleihung des Ehrentitels ‚Aktivist der sozialistischen Arbeit‘", die Bestandteil der "Bekanntmachung der Ordnungen über die Verleihung der bereits gestifteten staatlichen Auszeichnungen" vom 28. Juni 1978 [DDR-GBl. Sonderdruck Nr. 952, S. 1 ff.] war). Darüber hinaus spricht für seine vorbildliche Arbeit auch die ihm von seinem Beschäftigungsbetrieb in elf Jahren (beispielhaft mit Urkunde vom 10. Dezember 1976 belegt; vgl. im Übrigen: Abschlussbeurteilung vom 9. August 1989) verliehenen Auszeichnungen jeweils als Mitglied eines "Kollektivs der sozialistischen Arbeit". Mit diesen Auszeichnungen wurden jeweils unter anderem beispielgebende Arbeitsleistungen des Kollektivs und jedes einzelnen Mitglieds des Kollektivs im sozialistischen Wettbewerb, also konkret auch des Klägers, gewürdigt (vgl. dazu: § 1 der "Ordnung über die Verleihung und Bestätigung der erfolgreichen Verteidigung des Ehrentitels ‚Kollektiv der sozialistischen Arbeit‘", die Bestandteil der "Bekanntmachung der Ordnungen über die Verleihung der bereits gestifteten staatlichen Auszeichnungen" vom 28. Juni 1978 [DDR-GBl. Sonderdruck Nr. 952, S. 1 ff.] war).

 

Zusammenfassend wird dem Kläger damit insgesamt bescheinigt, dass er die ihm übertragenen Aufgaben stets hervorragend erledigte, sodass sich keinerlei berechtigte Zweifel an der Erfüllung der vorgegebenen Leistungskriterien aufdrängen.

 

2.

Die konkrete Höhe der Jahresendprämien, die für die dem Grunde nach glaubhaft gemachten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 zur Auszahlung an den Kläger gelangten, konnte er zwar nicht nachweisen (dazu nachfolgend unter a), jedoch in Form eines Mindestbetrages, glaubhaft machen (dazu nachfolgend unter b). Die Höhe einer dem Grunde nach lediglich glaubhaft gemachten Jahresendprämie darf – entgegen der früheren Rechtsprechung des Sächsischen Landessozialgerichts – allerdings nicht geschätzt werden (dazu nachfolgend unter c).

 

a)

Die dem Kläger für die dem Grunde nach glaubhaft gemachten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 ausgezahlten Jahresendprämienbeträge sind der Höhe nach nicht nachgewiesen:

 

Nachweise etwa in Form von Begleitschreiben, Gewährungsunterlagen, Beurteilungsbögen, Quittungen oder sonstigen Lohnunterlagen für an den Kläger geflossene Prämienzahlungen konnte er nicht vorlegen. Er selbst verfügt auch über keine Unterlagen, mit denen er die Gewährung von Jahresendprämien belegen könnte, wie er selbst ausführte.

 

Auch die von der Beklagten im Rahmen des ursprünglichen Überprüfungsverfahrens mit Schreiben vom 27. August 2008 nach Entgelt- und Prämiennachweisen befragte Rechtsnachfolgefirma (Deutsche Post AG) konnten keine Prämiennachweise ausfindig machen. Die Deutsche Post AG teilte mit Schreiben vom 8. September 2008 vielmehr mit, über keinerlei Entgeltunterlagen zu Jahresendprämien (mehr) zu verfügen.

 

Auszahlungs- bzw. Quittierungslisten oder Anerkennungsschreiben der Abteilung des Betriebes konnte auch der Zeuge U.... nicht vorlegen.

 

Nachweise zu an die Kläger gezahlten Jahresendprämien liegen auch im Übrigen nicht mehr vor, da zwischenzeitlich die Aufbewahrungsfrist für die Entgeltunterlagen der ehemaligen Betriebe der DDR abgelaufen ist (31. Dezember 2011; vgl. § 28f Abs. 5 SGB IV). Von einer Anfrage an das Bundesarchiv wurde im vorliegenden Verfahren abgesehen, da dort – wie aus entsprechenden Anfragen in anderen Verfahren gerichtsbekannt wurde – lediglich statistische Durchschnittwerte der in den volkseigenen Kombinaten gezahlten durchschnittlichen Jahresendprämienbeträge pro Vollbeschäftigteneinheit aus verschiedenen Jahren vorhanden sind, die keinerlei Rückschluss auf die individuelle Höhe der an den Kläger in einem nicht volkseigenen Betrieb gezahlten Jahresendprämienhöhe erlauben.

 

b)

Die konkrete Höhe der an den Kläger für die dem Grunde nach glaubhaft gemachten Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 ausgezahlten Jahresendprämienbeträge ist aber im konkreten Fall hinreichend glaubhaft gemacht:

 

Sowohl der Kläger als auch der Zeuge U.... bekundeten wiederholt und übereinstimmend, dass die Höhe der individuellen Jahresendprämien des Klägers für die Jahre 1973 bis 1988 mindestens einem Betrag von 950,00 Mark entsprach. Der Senat hält es in Anbetracht der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalles (zwar nicht für nachgewiesen, aber) für überwiegend wahrscheinlich (und damit für glaubhaft gemacht), dass die Jahresendprämien des Klägers mindestens diesem Betrag entsprachen. Denn der Zeuge U.... schilderte aus eigener Anschauung und aus eigener unmittelbarer Wahrnehmung: Er selbst legte als mittelbarer Dienstvorgesetzter des Klägers die Prämienhöhe für den Kläger konkret fest und war dabei nur für eine Dienststelle mit einem Mitarbeiterstamm von nur etwa zehn Beschäftigten zuständig. Die Jahresendprämien wurden in der Dienststelle des Klägers zudem – militärischen Gepflogenheiten folgend – in Befehlsform bekanntgegeben, vollzogen und ausgezahlt. Die Jahresendprämien-Befehle wurden in Appellen am Jahresende jeweils im Dezember verlesen. Der Zeuge U.... war der stellvertretende Kommandeur in der Dienststelle des Klägers im Rang eines Oberstleutnants.

 

Einer erneuten Einvernahme des Zeugen U.... bedurfte es im vorliegenden Fall nicht. Zwar ist der erkennende Senat zweite Tatsacheninstanz (§ 157 SGG). Dies ändert jedoch nichts an der Einheitlichkeit des gesamten Verfahrens. Eine – wie vorliegend – vom Sozialgericht – im Rahmen des Erörterungstermins am 24. Januar 2018 – durchgeführte Beweisaufnahme muss im Berufungsverfahren nur ausnahmsweise wiederholt werden, etwa, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit von Zeugen zu beurteilen hat und von der Beurteilung des Sozialgerichts abweichen will (vgl. BSG, Beschluss vom 5. September 2006 - B 7a AL 78/06 B - JURIS-Dokument, RdNr. 6; Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller/ Leitherer / Schmidt, SGG-Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 157 RdNr. 2c mit weiteren Nachweisen). Vorliegend besteht für den erkennenden Senat jedoch keine Veranlassung erneut in eine Beweisaufnahme einzutreten, weil an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Zeugen sowie an der Glaubwürdigkeit des Zeugen selbst keine Zweifel bestehen und das Sozialgericht eine Würdigung der von ihm selbst erhobenen Aussage des Zeugen U.... in Gänze unterlassen hat, sodass eine von der Beweiswürdigung des Sozialgerichts abweichende Würdigung nicht im Ansatz inmitten steht.

 

Entgegen der Ansicht der Beklagten legt der Senat auch kein – angeblich unzulässiges – "Niederstwertprinzip" zu Grunde, sondern würdigt – wozu er gesetzlich verpflichtet ist (§§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG, 6 Abs. 6 AAÜG, 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X) – die konkreten Umstände des Einzelfalles.

 

Wegen der Glaubhaftmachung der Jahresendprämienhöhe (jährlich 950,00 Mark) sind davon fünf Sechstel (jährlich 791,67 Mark) berücksichtigungsfähig (§ 6 Abs. 6 AAÜG). Dies betrifft allerdings nur die vollständigen Plan- und Zuflussjahre 1974 bis 1988. Denn für das Plan- und Zuflussjahr 1973 stand dem Kläger wegen des Ausnahmetatbestandes nach § 117 Abs. 2 Satz 1 Buchst. d) DDR-AGB nur eine "anteilige" Jahresendprämie zu. Diese beläuft sich – ausgehend von den konkreten Umständen des Einzelfalles – auf 475,00 Mark und beträgt damit – im Rahmen der Glaubhaftmachung (§ 6 Abs. 6 AAÜG) – 395,83 Mark.

 

c)

Weil der Kläger den Bezug seiner Jahresendprämien für die Plan- und Zuflussjahre 1973 bis 1988 lediglich dem Grunde und der Höhe nach nur glaubhaft gemacht hat, kommt eine Schätzung der Höhe dieser Prämienbeträge (über den glaubhaft gemachten Betrag hinaus) nicht in Betracht (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 16 ff.). Denn eine weitere Verminderung des Beweismaßstabes im Sinne einer Schätzungswahrscheinlichkeit sieht § 6 AAÜG nicht vor. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzbefugnis schaffen wollen, so hätte er dies gesetzlich anordnen und Regelungen sowohl zu ihrer Reichweite (Schätzung des Gesamtverdienstes oder nur eines Teils davon) als auch zum Umfang der Anrechnung des geschätzten Verdienstes treffen müssen, nachdem er schon für den strengeren Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nur die Möglichkeit einer begrenzten Berücksichtigung (zu fünf Sechsteln) ermöglicht hat. Auch aus § 6 Abs. 5 AAÜG in Verbindung mit § 256b Abs. 1 und § 256c Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB VI ergibt sich keine materiell-rechtliche Schätzbefugnis. Rechtsfolge einer fehlenden Nachweismöglichkeit des Verdienstes ist hiernach stets die Ermittlung eines fiktiven Verdienstes nach Tabellenwerten, nicht jedoch die erleichterte Verdienstfeststellung im Wege der Schätzung im Sinne einer Überzeugung von der bloßen Wahrscheinlichkeit bestimmter Zahlenwerte. Die prozessuale Schätzbefugnis gemäß § 287 ZPO, die nach § 202 Satz 1 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren lediglich subsidiär und "entsprechend" anzuwenden ist, greift hier von vornherein nicht ein. Denn § 6 Abs. 6 AAÜG regelt als vorrangige und bereichsspezifische Spezialnorm die vorliegende Fallkonstellation (ein Verdienstteil ist nachgewiesen, ein anderer glaubhaft gemacht) abschließend und lässt für die allgemeine Schätzungsvorschrift des § 287 ZPO keinen Raum. Indem § 6 Abs. 6 AAÜG die Höhe des glaubhaft gemachten Verdienstteils selbst pauschal auf fünf Sechstel festlegt, bestimmt er gleichzeitig die mögliche Abweichung gegenüber dem Vollbeweis wie die Rechtsfolge der Glaubhaftmachung selbst und abschließend. Eine einzelfallbezogene Schätzung scheidet damit aus. Hätte der Gesetzgeber eine Schätzung zulassen wollen, so hätte er das Schätzverfahren weiter ausgestalten und festlegen müssen, ob und gegebenenfalls wie mit dem Abschlag im Rahmen der Schätzung umzugehen ist. Das Fehlen derartiger Bestimmungen belegt im Sinne eines beredten Schweigens zusätzlich den abschließenden Charakter der Ausnahmeregelung in § 6 Abs. 6 AAÜG als geschlossenes Regelungskonzept (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 19). Eine Schätzung ist deshalb nur bei dem Grunde nach nachgewiesenen Zahlungen möglich (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 21; BSG, Urteil vom 4. Mai 1999 - B 4 RA 6/99 R - SozR 3-8570 § 8 Nr. 3 = JURIS-Dokument, RdNr. 17).

 

3.

Die (der Höhe nach in den Jahren 1973 bis 1988 glaubhaft gemachten) zugeflossenen Jahresendprämien als Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV, 6 Abs. 1 Satz 1 AAÜG waren auch nicht nach der am 1. August 1991 maßgeblichen bundesrepublikanischen Rechtslage (Inkrafttreten des AAÜG) steuerfrei im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV in Verbindung mit § 1 ArEV (vgl. dazu ausführlich: BSG, Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 4 = JURIS-Dokument, RdNr. 33-41, ebenso nunmehr: BSG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - B 5 RS 4/16 R - SozR 4-8570 § 6 Nr. 7 = JURIS-Dokument, RdNr. 13). Es handelt sich vielmehr um gemäß § 19 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerpflichtige Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt wurden).

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt Anlass, Verlauf und Ergebnis des Verfahrens. Der Kläger obsiegt ganz überwiegend. Die zur konkreten Würdigung des Einzelfalles erforderlichen Tatsachen und Beweismittel lagen bereits im Widerspruchsverfahren vor. Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostengrundentscheidung ist eine einheitliche Kostenquote für das gesamte Verfahren zu bilden.

 

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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