S 10 R 698/16 WA

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 10 R 698/16 WA
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beklagte hat dem Kläger 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

 

Gründe:

 

I.

 

Gegenstand des zugrundeliegenden Klageverfahrens war die Befreiung der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI.

 

Der Kläger ist seit dem 11.04.2001 Mitglied des Versorgungswerkes der Rechtsanwälte im Land Nordrhein-Westfalen und war seit Januar 1999 in der Steuerabteilung der tätig. Mit Bescheid der damaligen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 03.07.2001 wurde der Kläger mit Wirkung ab dem 11.04.2001 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

 

Wegen Aufnahme einer neuen Tätigkeit als juristischer Steuerreferent bei der Firma GmbH teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 04.06.2012 mit, dass er seit dem 01.03.2012 einen neuen Arbeitgeber habe, für den er ebenfalls als Unternehmens-Steuerjurist tätig sei. Er bat die Beklagte um Bestätigung, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht weiter bestehe. Aus dem von dem Kläger vorgelegten Arbeitsvertrag ergab sich, dass das Arbeitsverhältnis am 01.04.2012 begann. Die Beklagte forderte zahlreiche Unterlagen bei dem Kläger an und lehnte mit Bescheid vom 12.09.2012 den Antrag auf Weitergeltung der mit Bescheid vom 03.07.2001 ausgesprochenen Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI für die abhängige Beschäftigung ab dem 01.04.2012 als juristischer Steuerreferent bei der GmbH ab, weil es sich insoweit um keine berufsspezifische (anwaltliche) Tätigkeit handele. Zur Begründung wurde ausgeführt, für eine berufsspezifische Tätigkeit von Rechtsanwälten, die bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien (Syndikusanwälte), könne eine Befreiung nur ausgesprochen werden, wenn diese Tätigkeit die bekannten 4 Kriterien anwaltlicher Tätigkeit bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung sowie Rechtsvermittlung) kumulativ abdeckten und daher auch ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich sei. Im Folgenden wurden die einzelnen Kriterien unter Heranziehung der Stellen- und Funktionsbeschreibung des Arbeitgebers ausführlich geprüft und ausgeführt, dass die Merkmale der Rechtsentscheidung und Rechtsgestaltung nicht in ausreichendem Maße gegeben seien, sodass nach Würdigung der Gesamtumstände eine anwaltliche Tätigkeit vom Kläger nicht ausgeübt werde.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 02.10.2012 Widerspruch und ging in seiner Widerspruchsbegründung ausschließlich darauf ein, dass aus seiner Sicht die Merkmale der Rechtsgestaltung und der Rechtsentscheidung im Rahmen der Ausübung seiner Tätigkeit gegeben seien und er deshalb von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 21.03.2013 zurück und führte zur Begründung aus, eine bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber ausgeübte Beschäftigung sei nur dann anwaltlich, wenn diese die 4 Merkmale anwaltlicher Tätigkeit erfülle (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung), die im Hinblick auf die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht von dem beschäftigten Rechtsanwalt kumulativ abgedeckt werden müssten. Aus dem Gesamtbild der Beschäftigung des Klägers als Steuerreferent für den Funktionsbereich Steuern ergebe sich, dass der Kläger keine anwaltliche Tätigkeit bei der Firma GmbH ausübe.

 

In dem anschließenden Klageverfahren wurde mit Klagebegründungsschriftsatz vom 15.03.2013 eingehend ausgeführt, dass die 4 Merkmale einer anwaltlichen Tätigkeit im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit des Klägers im Steuerbereich der Firma GmbH erfüllt seien.

 

Während des Klageverfahrens erging ein Bescheid der Rechtsanwaltskammer vom 25.06.2016, mit dem der Kläger aufgrund seines Antrages vom 14.03.2016 als Syndikusrechtsanwalt für seine Tätigkeit bei der Firma GmbH zugelassen wurde. Die Zulassungsurkunde wurde am 08.07.2016 zugestellt. Die Beklagte befreite den Kläger mit Bescheid vom 31.03.2016 für die Zeit ab Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ab dem 08.07.2016 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI. Mit Bescheid der Beklagten vom 31.01.2017 wurde der Kläger darüber hinaus rückwirkend für die in der Zeit vom 01.04.2014 bis zum 07.07.2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiter bei der Firma GmbH nach § 231 Abs. 4 b SGB VI von der Rentenversicherungspflicht befreit. Am 31.01.2017 erging ein weiterer Bescheid der Beklagten, mit dem der Antrag des Klägers vom 31.03.2016 auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4 b SGB VI für die in der Zeit vom 01.03.2012 bis zum 31.03.2014 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiter bei GmbH abgelehnt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in diesem Zeitraum nur Mindestbeiträge zum berufsständischen Versorgungswerk gezahlt worden seien, was für eine rückwirkende Befreiung nach § 231 Abs. 4 b S. 4 SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI nicht ausreiche, weil die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge erforderlich sei. Aufgrund einer anderslautenden Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 23.09.2020 (B 5 RE 3/19 R) nahm die Beklagte mit Bescheid vom 22.12.2020 auch für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis zum 31.03.2014 rückwirkend nach § 231 Abs. 4 b SGB VI eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht vor.

 

Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.02.2021 den Rechtsstreit für erledigt erklärt und gerichtliche Kostenentscheidung des Inhaltes beantragt, der Beklagten 1/3 der außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

 

II.

 

Über die Kostenerstattungspflicht war nach § 193 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zu entscheiden, da das Verfahren durch die als Klagerücknahmeerklärung auszulegende Erledigungserklärung nach § 102 Abs. 1 S. 1 SGG in der Hauptsache erledigt wurde.

 

Die Entscheidung über die Kostentragungspflicht nach § 193 Abs. 1 SGG ergeht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Meyer-Ladewig § 193 SGG, Rn. 13 m.w.N). Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage sowie die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung maßgeblich. Das Gericht hat bei der Ermessensentscheidung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, unter Beachtung der Besonderheiten des sozialrechtlichen Verfahrens. Daher ist das voraussichtliche Maß des Obsiegens bzw. Unterliegens nicht das allein wesentliche Entscheidungskriterium, sondern in die Entscheidung können auch Gesichtspunkte, wie die Veranlassung des Rechtsstreits, die Verursachung unnötiger Kosten und die Anpassungsbereitschaft an eine geänderte Rechts- oder Sachlage eingehen. Dabei ist anerkannt, dass sich unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung einer Klageerhebung eine ggf. teilweise Kostenerstattungspflicht eines Sozialversicherungsträgers insbesondere durch eine falsche Begründung eines Verwaltungsaktes oder durch eine sonstige falsche Sachbehandlung ergeben kann, auch wenn der Kläger letztlich mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist (vgl. BSG Urteil vom 30.08.2001, B 4 RA 87/00 R; BSG vom 18.07.1989, Az. 10 RKg 22/88; BVerfG Beschluss vom 01.10.2009, Az. 1 BvR 1969/09 m.w.N.).

 

Unter Heranziehung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass die Klage voraussichtlich keine Erfolgsaussicht gehabt hätte, sodass eine teilweise Kostenerstattungspflicht der Beklagten wegen voraussichtlichen Unterliegens nicht in Betracht kommt.

 

Die Klage hätte ohne die zum 01.01.2016 vorgenommene Änderung der Rechtslage (Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015) voraussichtlich keinen Erfolg gehabt. Der Kläger konnte sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sich die mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 03.07.2001 geregelte Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf die ab dem 01.04.2012 ausgeübte Tätigkeit bei der Firma GmbH erstreckte. Die mit Bescheid vom 03.07.2001 geregelte Befreiung von der Versicherungspflicht bezog sich ausschließlich auf die Tätigkeit, die der Kläger zum Zeitpunkt der Erteilung des Bescheides ausübte. Dies ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 6 Abs. 5 S. 1 SGB VI, wonach die Befreiung auf die "jeweilige" Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt ist. Die systematische und historische Auslegung der Befreiungsvorschriften ergibt ebenfalls, dass Anknüpfungspunkt einer Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung allein die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit des Betroffenen ist (vgl. mit eingehender Begründung: BSG Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R).

 

Zudem hatte die Klage auch unter dem Gesichtspunkt keine Aussicht auf Erfolg, dass ein Anspruch des Klägers auf erneute Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung im Hinblick auf die seit dem 01.04.2012 ausgeübte Tätigkeit bei der Firma GmbH nicht bestand. Einem Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI stand entgegen, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Firma GmbH von vornerein nicht dem Berufsbild des Rechtsanwaltes zugeordnet werden kann. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig, da bei der Tätigkeit als Syndikus für einen Dienstherrn die typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Anwaltes bestimmen, nicht gegeben sind (vgl. mit eingehender Begründung: BSG Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R). Die im Rahmen der Beschäftigung bei der Firma GmbH erbrachte Erwerbstätigkeit war damit nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 12.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.03.2013 bzw. zum Zeitpunkt der Klageerhebung für die Mitgliedschaft des Klägers bei dem Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Land NRW und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich rechtliche Sicherung ohne Bedeutung, sodass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt.

 

Ein – teilweises – Unterliegen der Beklagten liegt auch nicht deshalb vor, weil die Beklagte während des Klageverfahrens mit Bescheid vom 21.10.2016 für die Zeit ab Zulassung des Klägers als Syndikusrechtsanwalt eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI vorgenommen hat. Diese Entscheidung der Beklagten beruht auf der durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung zum 01.01.2016 in Kraft getretenen Rechtsänderung und der dadurch geschaffenen Möglichkeit, für die Tätigkeit bei der Firma GmbH nach § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO als Syndikusrechtsanwalt zugelassen zu werden. Die nach Änderung der Rechtslage ab dem 01.01.2016 erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens geworden, da insoweit die Voraussetzungen des § 96 SGG nicht vorliegen (vgl. mit ausführlicher Begründung: BSG Beschluss vom 22.03.2018, B 5 RE 12/17 B; BSG Urteil vom 28.06.2018, B 5 RE 2/17 R). Dies gilt auch für die während des Klageverfahrens ergangenen Bescheide der Beklagten vom 31.01.2017 und vom 22.12.2020, mit denen für die Zeit vom 01.04.2014 bis zum 07.07.2016 und für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis zum 31.03.2014 rückwirkend aufgrund der am 01.01.2016 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 231 Abs. 4 b SGB VI eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vorgenommen worden ist.

 

Eine teilweise Kostenerstattungspflicht der Beklagten im Umfang von 1/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers ergibt sich jedoch unter dem Gesichtspunkt, dass die Beklagte durch eine unzutreffende Begründung des angefochtenen Bescheides Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hat. Die Beklagte hat sowohl im Ausgangsbescheid vom 12.09.2012 als auch im Widerspruchsbescheid vom 21.03.2013 umfangreiche Ausführungen dazu gemacht, dass das Befreiungsrecht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ausnahmsweise auch Rechtsanwälten zustehen könne, die bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien. Es wurde im Einzelnen dargelegt, dass ein Befreiungsrecht bei Ausübung einer Tätigkeit bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber davon abhinge, dass im Rahmen der Beschäftigung die Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung sowie Rechtsvermittlung kumulativ abgedeckt würden. Diese Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden sind nicht zutreffend und waren ganz konkret ursächlich dafür, dass der Kläger den Bescheid mit Widerspruch und Klage angefochten hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes ist ein Befreiungsrecht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI im Rahmen einer Beschäftigung bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber von vornherein ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommt, ob die in Frage stehende Beschäftigung inhaltlich Elemente der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist. Das Bundessozialgericht hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es für die von der Beklagten heran gezogene 4-Kriterien-Theorie an jeder Rechtsgrundlage fehlen würde (vgl. BSG Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R). Der Kläger hat seinen Widerspruch und seine Klage maßgeblich damit begründet, dass er im Rahmen seiner Tätigkeit für die Firma GmbH rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig werde und dass die Beklagte insoweit den Inhalt seiner Tätigkeit und der ihm übertragenen Aufgaben verkannt und deshalb zu einer unrichtigen Beurteilung des Befreiungsrechtes gelangt sei. Damit hat die Beklagte durch die fehlerhafte Begründung des angefochtenen Bescheides Veranlassung zur Klageerhebung gegeben (im Ergebnis ebenso: LSG NRW, Beschluss vom 21.06.2019, L 18 R 681/17; Bayerisches LSG, Beschluss vom 07.01.2019, L 6 R 87/16 – zitiert nach juris).

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
Saved