L 13 R 1963/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2866/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1963/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juni 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 1. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 die Verurteilung der Beklagten, ihr für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2015 Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe und die Rente unter einer veränderten Berechnung zu zahlen; seit dem 1. Januar 2017 bezieht die Klägerin eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte (Bescheid vom 5. Januar 2017 in der Gestalt des Rentenbescheides vom 14. März 2019).

Die 1953 geborene Klägerin beantragte am 15. Dezember 2000 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 3. Mai 2001 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (erst) ab dem 1. Juli 2001 (Leistungsfall 7. Dezember 2000), zunächst befristet und danach auf Dauer. Ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. Rente wegen voller Erwerbsminderung wurde abgelehnt. Hiergegen erhob die Klägerin keinen Widerspruch.

Am 16. Januar 2017 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte und machte geltend, die Vorgehensweise der Beklagten im Rentenbescheid vom 3. Mai 2001 sei nicht korrekt gewesen. Die Klägerin habe Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach altem Recht gehabt, denn der Versicherungsfall sei nach Beendigung einer medizinischen Rehabilitation im Oktober 2000 eingetreten und diese sei im März 2000 beantragt worden; der Antrag gelte zugleich als Antrag auf eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die höhere Rente sei seit dem 1. November 2000 nachzuzahlen. Vorsorglich stellte sie einen Antrag nach § 44 SGB X auf Überprüfung des Bescheids vom 3. Mai 2001.

Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheids vom 3. Mai 2001 durch Bescheid vom 17. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2017 ab. Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG; S 22 R 3414/17). Unter dem 30. August 2018 gab die Beklagte ein Teilanerkenntnis ab und anerkannte aufgrund eines Leistungsfalls vom 26. Oktober 2000 einen Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit nach altem Recht ab dem 1. November 2000 und stellte im Hinblick auf § 44 Abs. 4 SGB X einen Zahlungsanspruch ab dem 1. Januar 2013 fest. Dieses Teilanerkenntnis nahm die Klägerin an und verfolgte im Übrigen ihr Begehren weiter. Das SG wies die Klage, gerichtet auf Auszahlung der Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. November 2000, mit Urteil vom 14. November 2018 ab. Nach § 44 Abs. 4 SGB X stehe der Klägerin der Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit erst ab 1. Januar 2013 zu. Die Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI, wonach ein Reha-Antrag als Rentenantrag gelte, sei bei erfolgter Rentenantragstellung nur für den Rentenbeginn maßgeblich, was die Beklagte nunmehr beachtet habe. Am 9. Januar 2019 legte die Klägerin hiergegen zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) Berufung ein, ohne einen Antrag zu stellen oder diese zu begründen. Die Beklagte führte mit Bescheiden vom 1. und 7. März 2019 das Teilanerkenntnis aus und lehnte sinngemäß erneut eine Nachzahlung für die Zeit vor dem 1. Januar 2013 ab. Mit Bescheid vom 1. März 2019 gewährte die Beklagte eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und zahlte für den Zeitraum 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2016 8.652 € nach. Mit Rentenbescheid vom 7. März 2019 erfolgte eine weitere Nachzahlung von 3.525,85 € für die Zeit vom 1. Januar 2013 bis 31. Dezember 2016. Das LSG bewertete diese beiden Bescheide als den Bescheid vom 3. Mai 2001 nach § 96 SGG ersetzende Verwaltungsakte und wies die Klage auf Grund der mündlichen Verhandlung am 19. September 2019 –zu der für die Klägerin niemand erschienen ist- ab. Die hiergegen zum Bundessozialgericht (BSG) erhobene Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wurde mit Beschluss vom 19. August 2020 (B 13 R 233/19 B) verworfen.

Die Klägerin legte gegen die Bescheide vom 1. und 7. März 2019 Widersprüche ein, die mit Widerspruchsbescheiden vom 5. Juli 2019 zurückgewiesen wurden.

Die Klägerin hat am 12. Juli 2019 die streitgegenständliche Klage (S 6 R 2866/19) zum SG gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2019 erhoben. Des Weiteren hat sie Klage zum SG gegen den Bescheid vom 7. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 (S 6 R 2867/19) erhoben.

Mit der streitgegenständlichen Klage hat sie beantragt, den Bescheid vom 1. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2019 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verurteilen, ihr die Rente in voller Höhe für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Mai 2015 zu zahlen und die Rente unter einer veränderten Berechnung zu zahlen; sie hat die Ermittlung der Hinzuverdienstgrenze beanstandet. Das LSG hätte über den Bescheid nicht entscheiden dürfen. Selbst wenn die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ohne Erfolg bliebe, stelle sich die Frage, ob das SG in Anbetracht der offenbaren Unrichtigkeit des Urteils des LSG nicht trotzdem eine Entscheidung über diesen Bescheid treffen könne und müsse.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Juni 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Soweit die Klägerin die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit für den Zeitraum vor Januar 2013 verlange, sei die Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit unzulässig; bereits das LSG habe hierüber entschieden. Soweit mit der Klage ab 1. Januar 2013 eine höhere Rente verlangt werde, sei sie unbegründet. Die Klägerin habe bis zum 31. Mai 2015 jeden Monat Bruttoeinkünfte erzielt, die die Hinzuverdienstgrenze für eine volle Rentenzahlung überschritten hätten. Die Regelungen über den Hinzuverdienst seien auch verfassungsrechtlich unbedenklich (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 14. Juni 2007, 1 BvR 154/05 und BSG, Urteil vom 23. August 2005, B 4 RA 29/04 R).

Am 23. Juni 2020 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Es liege keine doppelte Rechtshängigkeit vor. Das LSG habe in seinem Urteil vom 19. September 2019 den hier angefochtenen Bescheid nicht mit einbeziehen dürfen. Das SG habe mit Textbausteinen agiert und zudem über etwas entschieden, was gar nicht beantragt worden sei. So habe es Ausführungen auch für die Zeit vor dem 1. Januar 2008 gemacht. Es werde auch nicht die Umsetzung der Regelung über die Hinzuverdienstgrenzen gerügt, sondern bestritten, dass die Regelung verfassungsgemäß sei. Nichtannahmebeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts seien für sie nicht maßgeblich. Bezüglich der begehrten veränderten Berechnung bedürfe es wohl noch eines entsprechenden Sachvortrags, was wohl bisher untergegangen sei.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Juni 2020 aufzuheben, den Bescheid vom 1. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juli 2019 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verurteilen, ihr Rente in voller Höhe für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2015 zu zahlen und die Rente unter einer veränderten Berechnung zu zahlen.
 
Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten ergänzend verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin, über die gem. § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 1. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2019 und auf Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2015 sowie auf Zahlung einer Rente unter einer veränderten Berechnung.

Soweit die Klägerin mit der streitgegenständlichen Klage vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2012 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit begehrt, ist sie nicht zulässig, da das LSG rechtskräftig (s. Beschluss des BSG vom 19. August 2020, B 13 R 233/19 B) mit Urteil vom 19. September 2019 (L 10 R 118/19) die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 1. März 2019 und einen Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit für diesen Zeitraum abgewiesen hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 141 SGG Rdnr. 3a, 6, 6a m. w. N.). Ausführungen zur Frage, ob das LSG mit Urteil vom 19. September 2019 zutreffend angenommen hat, dass der Bescheid vom 1. März 2019 gemäß §§ 96, 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens wird, sind entbehrlich, da sich die materielle Rechtskraft auf den Fall der gesetzlichen Klageänderung nach § 96 SGG erstreckt. Der Senat teilt jedoch die Auffassung des 10. Senates des LSG, dass der Bescheid vom 1. März 2019 an die Stelle des Bescheides vom 3. Mai 2001 trat, da erneut entschieden worden ist, dass kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit -vor Januar 2013- besteht. Zudem greift § 96 SGG ein, wenn ein wertfeststellender Verwaltungsakt durch einen späteren wertfeststellenden Verwaltungsakt ersetzt wird (vgl. BSG, 14. Mai 2003, B 4 RA 26/02 R, juris); selbst ein sogenannter Vormerkungsbescheid wird durch einen wertfeststellenden Verwaltungsakt gemäß § 96 SGG ersetzt (vgl. BSG, 14. Dezember 2011, B 5 R 36/11 R, juris). Hier hat die Beklagte mit Bescheid vom 3. Mai 2001 einen wertfeststellenden Rentenbescheid erteilt und diesen durch einen solchen vom 1. März 2019 ersetzt, weshalb der ersetzende Bescheid kraft Gesetzes automatisch Gegenstand des Verfahrens wird, ohne dass es einer Prozesshandlung der Beteiligten bedarf (vgl. nur Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O.; § 96 SGG Rdnr. 11 m. w. N.). Der Bescheid gilt mit seiner Bekanntgabe als gerichtlich angefochten (BSG SozR 1500 § 94 Nr. 2). 

Soweit die Klägerin von Januar 2013 bis 31. Dezember 2015 die Rente wegen Berufsunfähigkeit in voller Höhe begehrt, ist die Klage ebenfalls unzulässig. Zwar hat der 10. Senat des LSG keine Ausführungen zur Rentenhöhe getroffen, was auch daran liegen mag, dass die Klägerin keinen Berufungsantrag gestellt, keine Berufungsbegründung vorgelegt hat und nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Doch hat das LSG im Tenor die Klage - gegen den Bescheid vom 1. März 2019- abgewiesen, so dass der Bescheid vom 1. März 2019 auch zur Rentenberechnung bestandskräftig geworden ist. Die rechtskundig vertretene Klägerin verkennt, dass § 96 SGG eine erschöpfende Entscheidung über das gesamte Streitverhältnis in einem Verfahren bei Vermeidung der Gefahr divergierender Entscheidungen (Prozessökonomie, vgl. etwa BSGE 5, 158; 11, 146; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a. a. O., § 96 SGG Rdnr. 1a) ermöglichen will und die Erhebung einer Vielzahl von Klagen obsolet ist. Die Klägerin hätte in dem Verfahren L 10 R 118/19 ihr Begehren geltend machen und ausführlich begründen können. Eines erneuten Widerspruchs und Klageverfahrens gegen die Bescheide vom 1. und 7. März 2019 bedurfte es nicht; sie sind unzulässig (Berchtold, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, § 96 SGG Rdnr. 17; BSG SozR 1500 § 94 Nr.2).

Soweit die Klägerin von Januar 2013 bis Dezember 2015 eine höhere Rente begehrt, ist die Klage aber auch unbegründet. Der Senat verweist bezüglich der Berechnung auf die zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid und auf die Anlage 1 des Bescheides der Beklagten vom 1. März 2019 und sieht von einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2, § 153 Abs. 1 i. V. m. § 136 Abs. 3 SGG ab. Die rechtskundig vertretene Klägerin hat auch keine substantiierten Einwendungen gegen die Berechnung erhoben; der Senat kann keine Fehler in der Rentenberechnung feststellen. Auch der Senat hält die Hinzuverdienstregelung des § 313 SGB VI in der ab 1. Januar 2013 geltenden Fassung für verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, 14. Juni 2007, 1 BvR 154/05, juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, a.a.O., § 193 Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 13. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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