L 1 KR 446/21

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 10 KR 498/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 446/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 24/22 B
Datum
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. September 2021 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2017 verurteilt, den Antrag des Klägers vom 16. Januar 2017 auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 durchgeführte stationäre Klima-Heilbehandlung am Toten Meer in Israel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d 

Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten einer in Israel am Toten Meer im Frühjahr 2017 durchgeführten Klima-Heilbehandlung.

Der 1950 geborene Kläger ist bei der Beklagten im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert. Er leidet seit seiner frühen Kindheit an einer erblich bedingten atopischen Dermatitis in Form einer Neurodermitis mit schwerem chronischem Verlauf. Zur Behandlung erfolgten mehrfach stationäre Krankenhausaufenthalte in der Hautklinik der Universität Mainz (zuletzt vor der hier streitigen Maßnahme im Jahr 2014, Bl. 38 bis 40 der Gerichtsakte), stationäre Rehabilitationsmaßnahmen und Patienten-Schulungen. Eine stationäre Rehabilitation in B-Stadt zu Lasten des Rentenversicherungsträgers im Jahr 2009 (Entlassungsbericht vom 24.11.2009, Bl. 13 ff der Gerichtsakte S 10 KR 42/12) führte zu einer Verschlimmerung der Beschwerden und zog einen anschließenden stationären Aufenthalt in der Hautklinik der Universität Mainz vom 01.12.2009 bis 16.12.2009 nach sich. Zur Therapie wurden verschiedene Kortison-Präparate und Salben zur Hautpflege und Desinfektion sowie Antihistaminika eingesetzt. In Komorbidität besteht ein depressives Syndrom, multiple Kontaktallergien sowie ein hyperreagibles Bronchialsystem mit asthmatischen Beschwerden. Das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Darmstadt hat mit Bescheid vom 24. August 2005 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 bei der Funktionsbeeinträchtigung „Neurodermitis“ festgestellt. 

Der Kläger führte seit 1997 Klima-Heilbehandlungen am Toten Meer in Israel zu Lasten der Beklagten durch, zuletzt auch in den Jahren 2010, 2013, 2014, 2015 und 2016 und - nach dem hier streitigen Jahr 2017 - auch in den Jahren 2018 und 2019. Im Jahr 2013 bewilligte die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Klima-Heilbehandlung am Toten Meer auf der Grundlage eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) vom 8. Oktober 2012 und gab am 19. November 2012 ein entsprechendes Anerkenntnis in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt ab (Bl. 58 der Gerichtsakte S 10 KR 42/12). Im Rahmen der Klima-Heilbehandlung am Toten Meer steht neben der gezielten lokalen Behandlung der Haut und des Juckreizes eine Heliotherapie (therapeutische Anwendung der Sonnenstrahlung) mit Luftbädern im Vordergrund. Die Beklagte übernahm in den Jahren 2013 bis 2016 und ab 2018 jeweils die Kosten „aller medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Maßnahmen der Behandlung (ärztliche Beratung, Diagnostik, Therapie, Medikamente, physikalische Therapie) mit Unterkunft (Zweibettzimmer mit Bad/Dusche, WC) und Verpflegung“ für einen Zeitraum von fünf Wochen sowie der An- und Abreise unter Beteiligung des Klägers mit einem Anteil in Höhe von 10,- € täglich (u.a. Bescheid vom 25. Februar 2016, vorgelegt mit Schriftsatz vom 23. November 2021, Bl. 243 der Gerichtsakte/Anlage). Die Übernahme der Zuzahlung für eine Einzelzimmerbelegung sowie eine Selbstbeteiligung in Höhe von 10,- € täglich ist zwischen den Beteiligten in weiteren Verfahren streitig: Zuzahlungen der Jahre 2013 bis 2016 im Verfahren L 1 KR 498/21; Zuzahlungen 2018 im Verfahren L 1 KR 511/21. Eine Klage auf Erstattung der Zuzahlungen für das Jahr 2013 hat das Sozialgericht Darmstadt mit Urteil vom 6. Dezember 2013 (S 10 KR 42/12) abgewiesen; die Berufung des Klägers blieb ebenso erfolglos (Urteil des Senats vom 16. Juli 2015, L 1 KR 32/14) wie die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundessozialgericht (Beschluss vom 30. Oktober 2015, B 1 KR 82/15 B).

Der Kläger beantragte am 16. Januar 2017 erneut die Übernahme der Kosten einer Klima-Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung. In der entsprechenden ärztlichen Verordnung vom 14. Januar 2017 bestätigte der Hausarzt C., dass alle kurativen Maßnahmen in Deutschland ausgeschöpft seien und eine erneute Behandlung am Toten Meer zur Vermeidung eines stationären Krankenhausaufenthaltes notwendig sei; aufgrund der starken Neurodermitis und der depressiven Störung benötige der Kläger ein Einzelzimmer. Die Hautärztin Dr. D. ergänzte in einem Attest vom 12. Januar 2017, dass sich das Hautbild aktuell in superinfiziertem und entzündlichem Zustand zeige. Im Gegensatz zu anderen Kurorten führe der Aufenthalt am Toten Meer zu einer langanhaltenden Besserung, einer deutlichen Reduktion der Verwendung kortikoidhaltiger Externa und deutlich länger anhaltenden erscheinungsfreien Intervallen. Im Rahmen einer sozialmedizinischen Vorberatung gelangte Dr. K. vom MDK Münster am 8. Februar 2017 zur der Einschätzung, dass zunächst ambulante Maßnahmen am Wohnort auszuschöpfen seien; die stationäre Maßnahme im Jahr 2016 habe offenbar nicht zu einem anhaltenden Effekt geführt. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 14. Februar 2017 die Übernahme der Kosten einer stationären Rehabilitation in Israel ab, da die ambulanten Maßnahmen (z.B. Phototherapie und medizinische Bäder) vor Ort nicht ausgeschöpft seien. Mit seinem Widerspruch vom 13. März 2017 legte der Kläger ein weiteres Attest seines Hausarztes vom 23. Februar 2017 sowie den Entlassungsbericht des Therapiezentrums in Israel vom 10. Juni 2016 vor. Der durch die Beklagte eingeschaltete MDK Hessen gelangte in einem Gutachten nach Aktenlage vom 5. Mai 2017 zu der Einschätzung, dass weder Rehabilitationsbedürftigkeit noch die medizinische Notwendigkeit der Vorzeitigkeit einer stationären Reha-Maßnahme derzeit nachvollzogen werden könnten. Eine dermatologische Rehabilitation im Inland sei im Übrigen vorzuziehen. Die Beklagte wies sodann den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 15. August 2017 zurück. Unter Anwendung der § 40 SGB V und § 2 SGB XI sowie der Rehabilitationsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sei eine Rehabilitationsbedürftigkeit, insbesondere stationär im Ausland nicht anzunehmen. Einen Anspruch auf eine Rehabilitation im Ausland bestehe gemäß § 16 SGB V zudem nur, wenn die Behandlung einer Krankheit nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nur im Ausland möglich sei. Vorliegend habe der MDK bestätigt, dass eine dermatologische Rehabilitation im Inland nicht nur möglich, sondern aufgrund der interdisziplinären, multimodalen Behandlung im Einzelfall vorzuziehen sei. 

Der Kläger buchte bereits am 18. April 2017 verbindlich über den Anbieter „Gesundheitsreisen F. GmbH“ einen Aufenthalt am Toten Meer in Israel und führte dort im DMZ-Versorgungszentrum in der Zeit vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 eine Klima-Heilbehandlung durch; die Kosten in Höhe von 5.978, - € (einschließlich der Kosten für ein Einzelzimmer) übernahm der Kläger zunächst selbst. 

Gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten hat der Kläger am 25. September 2017 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben und Kostenerstattung geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, dass ihm ein Anspruch auf die beantragte Maßnahme in Israel zustehe und auf die hierzu vorgelegten Atteste und Empfehlungen der behandelnden Ärzte verwiesen; diese bestätigten, dass er in Deutschland austherapiert sei. Zudem habe sich die Beklagte nicht an die formalen zeitlichen Vorgaben zur Entscheidungsfindung gehalten. Der Kläger hat ergänzend u.a. den Entlassungsbericht des Therapiezentrums in Israel vom 17. Juni 2016 vorgelegt (Bl. 12, 13 der Gerichtsakte). 

Das Sozialgericht Darmstadt hat im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Die behandelnde Hautärztin Dr. D. hat in ihrem Bericht vom 23. Januar 2018 erneut darauf verwiesen, dass die Hauterkrankung des Klägers hochchronisch verlaufe und keine andere Maßnahme als die Klima-Heilbehandlung am Toten Meer bis jetzt eine Linderung über einen entsprechend langen Zeitraum erbracht habe, eine Kur-Wiederholung sei unbedingt sinnvoll und werde dringend angeraten. In ihrem Bericht vom 18. März 2021 hat Dr. D. ergänzt, dass der SCORAD (Score zur Beurteilung der aktuellen Krankheitsschwere der Neurodermitis; ab 61 bis 103: schwer) im Januar 2017 einen Wert von 88 ausgewiesen habe. Der Kläger sei definitiv austherapiert gewesen. Der Kläger werde seit 2020 mit guten therapeutischem Erfolg mit Dupixent-Injektionen behandelt. 

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2021 abgewiesen. Die Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs komme allein § 13 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung in Betracht. Kostenerstattung scheide aus, denn die Beklagte habe die beantragte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Versicherte hätten Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, wenn diese notwendig seien, um eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern (§ 11 Abs. 2 SGB V). Reiche eine ambulante Krankenbehandlung im Sinne des § 27 SGB V nicht aus, um diese Ziele zu erreichen, erbringe die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderliche ambulante Rehabilitationsleistungen (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Reichten die Leistungen nach § 40 Abs. 1 SGB V nicht aus, seien stationäre Leistungen mit Unterkunft und Verpflegung in zugelassenen Rehabilitationseinrichtungen zu erbringen (§ 40 Abs. 2 SGB V). Vor Ablauf von vier Jahr dürften Leistungen nach § 40 SGB V nur vorzeitig erbracht werden, wenn diese aus medizinischen Gründen dringend erforderlich seien. Das im Gesetz vorgesehene Stufensystem einschließlich Vor- und Nachrang der einzelnen Leistungen („ambulant vor stationär“, Reha-Fähigkeit, Rehabilitationsbedürftigkeit, etc.) sei zu beachten. Krankenversicherungsrechtlich seien geplante Behandlungsmaßnahmen außerhalb der Europäischen Union gemäß § 18 SGB V nur ausnahmsweise von der Krankenkasse übernahmefähig, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung der Krankheit nur außerhalb Europas möglich sei. Entsprechende Leistungen stünden im Ermessen der Krankenkasse. Auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten einer selbstbeschafften Rehabilitationsleistung im Ausland sei nicht grundsätzlich ausgeschlossen, setze jedoch eine Ermessenreduzierung auf Null voraus. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Ermessenreduzierung auf Null im Sinne einer zwingenden Gewährung einer stationären Rehabilitation in Israel lägen zur Überzeugung der Kammer jedoch nicht vor. Aus dem Gutachten des MDK vom 5. Mai 2017 ergebe sich insoweit überzeugend, dass keine kontinuierliche fachärztlich dermatologische leitliniengerechte Stufentherapie der Neurodermitis nachvollzogen werden könne. Nach dem Gutachten stünden differenzierte Lokaltherapeutika, systemische Therapien und UV-Bestrahlung zur Verfügung. Daher sei die Notwendigkeit der Vorzeitigkeit der Rehabilitationsmaßnahme nicht ersichtlich. Das MDK-Gutachten bestätige weiterhin, dass die im Inland angebotenen dermatologische Rehabilitation-Maßnahmen vorziehen seien. Es sei zudem gerichtsbekannt, dass in Deutschland Klimakuren an Nord- und Ostsee angeboten würden. Aus den beigezogenen Befundberichten ergebe sich nicht, dass ambulante Therapien wie z.B. Patientenschulung, Photo- und Balneotherapien verordnet und durchgeführt worden seien. Ein Ausnahmefall und damit eine Ermessensreduzierung auf Null wie vom Bayrischen Landessozialgericht im Urteil vom 15. Juni 2013 (L 6 R 921/11) für eine Klimakur am Toten Meer bei Psoriasis angenommen, sei vorliegend zu verneinen, denn der Kläger habe die im Inland zur Verfügung stehenden Behandlungsmaßnahmen gerade nicht ausgeschöpft. Zudem könne die Kammer eine Überlegenheit der Behandlung in Israel gegenüber entsprechenden Kurmaßnahmen in Deutschland nicht feststellen. Würde man allein auf den - unbestrittenen - Erfolg der Behandlungen am Toten Meer verweisen, würde die gesetzliche Intention zum Regel-Ausnahmeverhältnis im Sinne des § 18 SGB V bei Hauterkrankungen unterlaufen. Im Übrigen habe sowohl die behandelnde Hautärztin als auch die Hausärztin die stationäre Rehabilitation am Toten Meer lediglich als „unbedingt sinnvoll“ und gerade nicht als medizinisch notwendig bezeichnet. Schließlich habe sich die Beklagte auch an die gültigen Fristen zur Entscheidung gehalten; allein auf den Ablauf etwaiger Fristen sei es nach der 2017 nicht angekommen. Die Fristsetzung durch den Kläger sei erst am 13. Februar 2017 und damit nach Erlass des ablehnenden Bescheids erfolgt. 

Der Kläger hat gegen den ihm am 17. September 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 5. Oktober 2021 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht erhoben. Der Kläger rügt erneut die verzögerte Bearbeitung durch die Beklagten sowie die Art und Weise der Sachermittlungen durch das Sozialgericht und trägt ergänzend vor: Stationäre Reha-Maßnahmen an der Nordsee hätten jeweils nur kurzfristige Erfolge gebracht. Seine behandelnden Ärzte bestätigten übereinstimmend, dass er in Deutschland austherapiert sei. Das Sozialgericht lasse unberücksichtigt, dass die Beklagte für die Folgejahre 2018, 2019 und 2020 die Klima-Heilbehandlungen in Israel bewilligt habe. Im Jahr 2020 habe er die bewilligte Maßnahme aufgrund der Corona-Pandemie nicht antreten können, so dass er im August 2020 akut stationär in der Uni-Klinik Mainz habe behandelt werden müssen. Der Kläger legt ergänzend sein Schreiben vom 26. Januar 2011 an die Rechtsvorgängern Beklagte vor (Bl. 271 der Gerichtsakte). Darin verweise er auf die mündliche Zusage des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Krankenkasse vom 29. Juni 2006, dass er einmal im Jahr nach Israel reisen könne, um der Kasse zweimal im Jahr erforderliche Klinikaufenthalte zu ersparen. Ein Mitarbeiter habe auf diesem Schreiben schriftlich bestätigt, dass die Aussage so wohl getroffen worden sei, sich aber die Rechtslage geändert habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. September 2021 sowie den Bescheid vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten der in der Zeit vom 13. Mai 2017 bis zum 17. Juni 2017 durchgeführten stationären Klima-Heilbehandlung am Toten Meer in Israel in Höhe von 5.978, - € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 4 % seit dem 1. Juni 2017 zu erstatten,

hilfsweise den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 15. September 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2017 zu verurteilen, den Antrag des Klägers vom 16. Januar 2017 auf Erstattung der Kosten für die in der Zeit vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 durchgeführte stationäre Klima-Heilbehandlung am Toten Meer in Israel unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt, 

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die angefochtenen Bescheide sowie auf die Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 15. September 2021.

Die Berichterstatterin des Senats hat mit den Beteiligten am 29. November 2021 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt; auf die Sitzungsniederschrift vom 29. November 2021 (Bl. 272 bis 274 der Gerichtsakte) wird verwiesen. 

Das Gericht hat die Akte des Sozialgerichts Darmstadt mit dem Aktenzeichen S 10 KR 42/12 sowie die Akten der laufenden Berufungsverfahren mit den Aktenzeichen L 1 KR 498/21 und L 1 KR 511/21 beigezogen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Gerichtsakten S 10 KR 42/12 (Sozialgericht Darmstadt) und L 1 KR 498/21 bzw. L 1 KR 511/21, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen. 


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufung ist zulässig und im Umfang des Hilfsantrages begründet.

Das Sozialgericht Darmstadt hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2021 zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. August 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten der Klima-Heilbehandlung vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 am Toten Meer in Israel in Höhe von 5.978,- € neu zu bescheiden, denn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Krankenkasse gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 SGB V sind erfüllt.

Da die streitbefangene Behandlung des Klägers in Israel durchgeführt worden ist und zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Gewährung von Krankenversicherungsleistungen insoweit nicht bestehen, kommt als Anspruchsgrundlage allein § 18 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) in Betracht, der eine Ausnahme zu dem in § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V geregelten Grundsatz darstellt, wonach der Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Krankenversicherung ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten (BSG, Urteil vom 6. März 2012, B 1 KR 17/11 R). Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 SGB V in Verbindung mit § 40 SGB V scheidet vorliegend als Anspruchsgrundlage aus. Versicherte können Klimaheiltherapien in Israel als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur medizinischen Reha nur unter den Voraussetzungen des § 18 SGB V beanspruchen. § 40 SGB V beschränkt den Anspruch auf medizinische Reha auf Fälle der wohnortnahen ambulanten Versorgung und der stationären Versorgung in Reha-Einrichtungen, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111 SGB V besteht oder zumindest geschlossen werden könnte. Hierzu zählen die für den Kläger relevanten Auslandseinrichtungen außerhalb von EU und EWR nicht (BSG, Urteil vom 6. März 2012, B 1 KR 17/11 R).

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen möglich ist. Der Anspruch umfasst auch die Kostenerstattung nach vorheriger Antragstellung und rechtswidriger Ablehnung (BSG, Urteil vom 06.03.2012 - B 1 KR 17/11 R - Juris). 

Als Auslandskrankenbehandlung im Sinne von § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V kommt grundsätzlich jede Krankenbehandlung nach §§ 11, 27 SGB V in Betracht. Es ist daher unerheblich, ob die vom Kläger im Zeitraum vom 13. Mai 2017 bis 17. Juni 2017 am Toten Meer in Israel durchgeführte Behandlung den Anforderungen an eine Rehabilitationsmaßnahme im Sinne des SGB V (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, § 40 SGB V) entspricht, da ihre Kosten anderenfalls auch als ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) erstattungsfähig sein können. Allein maßgeblich ist, ob die Voraussetzungen von § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V vorliegen.

An der Einhaltung des Beschaffungsweges bestehen vorliegend im Übrigen keine Zweifel, da der Kläger die Maßnahme vor ihrem Antritt bereits am 16. Januar 2017 beantragt und die Entscheidung der Beklagten mit Bescheid vom 14. Februar 2017 abgewartet hat, bevor er am 18. April 2017 die Heilbehandlung verbindlich buchte. Anhaltspunkte dafür, dass er schon vorher eine unwiderrufliche Verpflichtung in Bezug auf die Kosten eingegangen ist, bestehen nicht.

Der Anspruch nach § 18 Abs. 1 S. 1 SGB V setzt zunächst voraus, dass die begehrte Behandlung im Ausland dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Das ist der Fall, wenn die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode - die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Zur Feststellung, ob dies der Fall ist, kann z.B. auf Stellungnahmen der einschlägigen Fachgesellschaften zurückgegriffen werden, wobei es von besonderer Bedeutung ist, wenn sich konsensfähige medizinische Erkenntnisse bereits in ärztlichen Leitlinien niedergeschlagen haben (BSG, Urteil vom 13.12.2005 - B 1 KR 21/04 R).

Dies ist nach Auffassung des Senats vorliegend zu bejahen, denn die S2k-Leitlinie „Neurodermitis - atopisches Ekzem, atopische Dermatitis -“ (abrufbar unter: www.awmf.org) empfiehlt ausdrücklich eine Phototherapie mit UV-Strahlungen wie sie am Toten Meer vorherrschen (Leitlinie Neurodermitis, S. 62 ff.). Auch in seinem Gutachten vom 10. April 2018 (L 1 KR 511/21) verweist der MDK den Kläger ausdrücklich auf eine ambulante UV-Exposition. Zu berücksichtigen ist, dass die UV-Bestrahlung durch die mit Mineralien angereicherte und nahezu allergenarme Luft unmittelbar am Toten Meer zusätzlich in ihrer Wirkung gesteigert, schädliche Strahlung durch die Lage aber herausgefiltert wird (vgl. LSG Hamburg, Urteil vom 29. Januar 2015, L 1 KR 92/13, Rn. 20 ff. unter Bezugnahme auf ein Sachverständigengutachten). Im Übrigen hat die Beklagte die Qualität und Wirksamkeit der Klima-Heilbehandlung im Rahmen ihrer Bewilligungen seit 1997 offensichtlich nicht in Frage gestellt. So bestätigt auch der MDK im Gutachten vom 8. Oktober 2012, dass eine „adäquate hautfachärztliche und psychiatrische/psychotherapeutische Therapie vom Deutschen Medizinischen Zentrum am Toten Meer in angemessener Weise angeboten und erbracht werde“ (Bl. 61 der Gerichtsakte des Sozialgerichts Darmstadt S 10 KR 42/12). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang das Bemühen der auch auf Neurodermitis spezialisierten stationären Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland, die am Toten Meer vorliegenden Heilfaktoren möglichst detailgetreu nachzubilden. So werden zum Beispiel in der Tomesa-Fachklinik (Vertragsklinik der GKV und damit auch der Beklagten) Lichterverhältnisse und Sole des Toten Meers ausdrücklich „nachempfunden“. 

§ 18 Abs. 1 S. 1 SGB V setzt weiterhin voraus, dass eine ausreichende und rechtzeitige Behandlung im Inland nicht möglich ist. Hierfür reicht es zwar nicht aus, dass die konkrete, vom Versicherten gewünschte Therapie nur im Ausland durchgeführt werden kann; erforderlich ist vielmehr ein quantitatives oder qualitatives Versorgungsdefizit. Der Anspruch aus § 18 SGB V ist jedoch nicht auf Fälle beschränkt, in denen eine konkrete medizinische Behandlungsmaßnahme im EU/EWR-Inland überhaupt nicht zu erlangen ist, sondern besteht auch, wenn eine Behandlung zwar dort erfolgen kann, der im EU/EWR-Ausland praktizierten anderen Methode jedoch ein qualitativer Vorrang gegenüber den im EU/EWR-Inland angewandten Methoden gebührt. Letzteres ist der Fall, wenn die begehrte Behandlung der EU/EWR-Inlandsbehandlung aus medizinischen Gründen eindeutig überlegen ist. Die Überlegenheit kann sich auch im Rahmen eines Vergleichs lediglich symptomatisch behandelnder Therapien ergeben (BSG, Urteil vom 6. März 2012, a.a.O., Rn. 27, juris, m.w.N.). Maßstab für die Beurteilung, ob die Auslandsbehandlung der Inlandsbehandlung qualitativ überlegen ist, muss jeweils der konkrete Einzelfall sein (Padé in JurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 18 Rn. 33).

Auch diese Voraussetzung ist nach Auffassung des Senats erfüllt. Zunächst ist berücksichtigen, dass es sich bei einem chronischen atopischen Ekzem - wie es bei dem Kläger vorliegt - um eine Erkrankung handelt, für die es (bisher) keine kausale Therapie gibt, sondern für die lediglich verschiedenen symptomatischen Therapieansätze zur Verfügung stehen (vgl. hierzu Leitlinie „Neurodermitis“, a.a.O.). Auch der MDK spricht in seinem Gutachten vom 5. Mai 2017 insoweit von einer „interdisziplinären multimodalen Behandlung im Einzelfall“, für deren Wirksamkeit es demnach jeweils einzelfallbezogen keine abschließenden Forschungsergebnisse gibt. Dem Anspruch steht daher nicht entgegen, dass eine generelle Überlegenheit der Therapie am Toten Meer gegenüber inländischen Behandlungsoptionen durch Studien nicht belegt ist. Ausreichend ist vielmehr, dass zur Überzeugung des Senats im konkreten Fall des Klägers die Therapieoptionen im Inland bzw. EU-/EWR-Ausland den durch die Klima-Heilbehandlung am Toten Meer erreichten Behandlungserfolg nicht herstellen konnten: Die behandelnden Ärzte des Klägers bestätigen übereinstimmend, dass der Kläger in Deutschland austherapiert, aber nach einer Klima-Heilbehandlung für mehrere Monate nahezu beschwerdefrei sei und für einen längeren Zeitraum keine Kortisonbehandlung benötige. Die behandelnde Hautärztin Dr. D. beschreibt zudem, dass Krankenhausaufenthalte, Neurodermitis-Schulungen und sämtliche Lokaltherapien einschließlich der systemischen Lichttherapie vor Ort nur jeweils sehr kurze Linderung mit sich brachten (Befundbericht vom 13. März 2021, Bl. 84 der Gerichtsakte). Unmittelbar vor der Heilbehandlung im Jahr 2017 habe der Neurodermitis-Score 88 (Score 63-103: schwerer Verlauf) betragen - trotz Dauermedikation und Kortisonbehandlung. Der Kläger sei Anfang 2017 in Deutschland definitiv austherapiert gewesen (Befundbericht vom 13. März 2021, Bl. 85 der Gerichtsakte). Daneben schildert der Kläger im Erörterungstermin nachvollziehbar, dass es nach einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in B-Stadt im Jahr 2009 sogar zu einer massiven Verschlechterung des Hautbildes gekommen und ein stationärer Krankenhausaufenthalt in der Hautklinik des Universitätsklinikums Mainz erforderlich gewesen sei. Erst mit Zulassung einer systemischen Therapie mit dem intravenös zu verabreichenden Medikament Dupimulab seit September 2017 steht ein wirksames Mittel zur Behandlung schwerer Neurodermitis zur Verfügung, welches bei dem Kläger seit 2020 - angesichts erheblicher Nebenwirkungen - mit engmaschiger Begleitung durch die Uni-Klinik Mainz zur Anwendung kommt und gute Ergebnisse zeigt. Die behandelnde Hautärztin hat für den Senat auch nachvollziehbar bestätigt, dass angesichts der im Januar 2017 bestehenden hohen Entzündungsaktivität und Krankheitsschwere mit massivem Juckreiz (Score: 88) die Klima-Heilbehandlung medizinisch erforderlich war und ein Abwarten der Vierjahresfrist nicht krankheitsgerecht gewesen wäre - unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 40 Abs. 3 S. 4 SGB V im Rahmen von § 18 SGB V überhaupt anwendbar sind.

Der Senat ist schließlich auch davon überzeugt, dass der Kläger nicht auf eine vorrangige Inanspruchnahme einer Phototherapie im Inland bzw. EU-/EWR-Ausland verwiesen werden kann. Sogenannte Klima-Therapien an der Nord- und Ostsee oder im Hochgebirge sind angesichts der dort herrschenden klimatischen Verhältnisse mit entsprechenden Heilbehandlungen am Toten Meer nicht vergleichbar: Am Toten Meer besteht der Vorteil eines konstant sonnenreichen Klimas und eines besonders hohen Salzgehalts auch der Luft. Hinzu kommt die ideale Lage von 300 m unter dem Meeresspiegel, wodurch die sonnenbrandfördernde kurzwelligere UVB-Strahlung weitgehend herausgefiltert wird, sodass Patienten sich wesentlich länger in der Sonne aufhalten könnten. Der eigentliche Klimaeffekt in dieser Form ist auch nicht reproduzierbar (vgl. LSG Hamburg, a.a.O.). Das Bayerische Landessozialgericht verweist im seinem Urteil vom 25. Juni 2013 (L 6 R 921/11) daher zu Recht auch auf eine im Journal of Dermatology veröffentlichte Studie (2007, S. 1087f.), die mit hoher statistischer Signifikanz eindeutige Vorteile der Behandlung am Toten Meer gegenüber einer nebenwirkungsreicheren, künstlichen UV-Therapie feststellt. Der Senat geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass im besonderen Einzelfall des Klägers ein qualitativer Vorrang der Behandlung am Toten Meer gegenüber vergleichbaren inländischen Maßnahmen besteht, ohne dass hierdurch ein genereller Vorrang derartiger Maßnahmen grundsätzlich konstatiert wird. 

Nach Auffassung des Senats liegen somit die Voraussetzungen für eine Auslandskrankenbehandlung gemäß § 18 Abs. 1 S. 1 SGB V vor, so dass die beklagte Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen „kann“, d.h. die beklagte Krankenkasse hat im Rahmen eines ihr eingeräumten Ermessens ermessensfehlerfrei über die Kostenübernahme (bzw. -erstattung) zu entscheiden. Der Kläger hat vorliegend lediglich einen Anspruch auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats; das Ermessen der Beklagten ist hingegen nicht soweit reduziert, dass eine vollständige Erstattung der vorliegend geltend gemachten Kosten die alleineige Entscheidungsmöglichkeit darstellt („Ermessensreduzierung auf Null“), so dass die Berufung hinsichtlich des Hauptantrages zurückzuweisen war.

Das Ermessen der Krankenkasse bezieht sich nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V sowohl auf das „Ob“ (Entschließungsermessen) als auch auf das „Wie“, d.h. auch die die Höhe der zu übernehmenden Kosten (Auswahl- bzw. Gestaltungsermessen), denn die Krankenkasse kann nach dem Wortlaut der Vorschrift die Kosten „ganz oder teilweise“ übernehmen. Welche Kriterien für das Ermessen anzulegen sind, wird in § 18 Abs. 1 SGB V nicht spezifiziert. Wesentlicher Maßstab ist vor dem Gedanken der sozialen Sicherung vor allem die Schutzbedürftigkeit des Versicherten. Ausscheiden dürfte es, im Ermessenswege die „Erforderlichkeit“ der Auslandsbehandlung, die zuvor als rechtliche Voraussetzung für die Kostenübernahme feststehen muss, zu relativieren. Bei ihren Ermessenserwägungen hat die Krankenkasse den jeweiligen konkreten spezifischen medizinischen Leistungsbedarf sowie die sonstigen individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Versicherten zu berücksichtigen. Die Kasse hat insbesondere auch das Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot zu beachten; gegebenenfalls auch die Selbstbindung der Verwaltung. Darüber hinaus kann die Schwere der zu behandelnden Krankheit insbesondere auch vor dem Hintergrund der Art. 2 Abs. 1 und Abs. 1 GG für das Ermessen ebenso eine Rolle spielen wie die Häufigkeit des Vorkommens der betreffenden Krankheit. Zwar haben der Staat und damit die öffentlich-rechtlichen Krankenkassen eine Verpflichtung zum Gesundheitsschutz aus Art. 2 Abs. 2 GG, die dazu führen kann, dass das Ermessen auf Null reduziert wird. Das wird man aber regelmäßig nur bei Erkrankungen annehmen können, die das Leben bedrohen und die im EWR-/EU-Raum weder kausal noch symptomatisch behandelt werden können. Dass die Ausübung dieses Ermessens unter Berücksichtigung der Verpflichtungen aus dem Grundgesetz erfolgen muss, hindert die Möglichkeit nicht, Ermessen überhaupt auszuüben. Im Zusammenhang mit der Ermessensausübung ist grundsätzlich auch das gemäß § 275 Abs. 2, S. 1 Nr. 2 SGB V notwendige MDK-Gutachten einzubeziehen. Die Kassen sind an das Gutachten des MDK zwar rechtlich nicht gebunden, denn seine Einholung ist keine (materielle) Anspruchsvoraussetzung des § 18 Abs. 1 SGB V und die Krankenkasse - und nicht der MDK - hat über den jeweiligen Leistungsanspruch zu entscheidenden (Noftz in: Hauck/Noftz SGB V, § 18, Rn. 21 und § 40 Rn. 56 mit weiteren Nachweisen). Aber eine unzureichende Berücksichtigung des Gutachteninhalts zulasten eines Versicherten führt regelmäßig zu einem verwaltungs- und gerichtsverfahrensrechtlich relevanten Ermessensfehler seitens der Krankenkasse.

Vorliegend wird die Beklagte im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung hinsichtlich des Entschließungsermessen zu berücksichtigen haben, dass im konkreten Einzelfall des Klägers zum Zeitpunkt der Entscheidung am 14. Februar 2017 ihr Ermessen weitgehend reduziert war, d.h. die beantragte Klima-Heilbehandlung am Toten Meer in Israel war zu diesem Zeitpunkt medizinisch geeignet, notwendig und erforderlich und es stand – wie bereits dargelegt – im Inland keine ebenso geeignete Behandlungsmaßnahme zur Verfügung.

Für Klima-Heilbehandlungen am Toten Meer hat das Bayerische Landessozialgericht im Falle eine Psoriasis-Erkrankung im Urteil vom 25. Juni 2013 (L 6 R 921/11) für eine Ermessenreduzierung auf Null folgende Kriterien formuliert:

- ausgeprägte Krankheitsanamnese mit schwer chronifiziertem, über Jahrzehnte hinweg progredientem Verlauf der Psoriasis,
- ständige ambulante ärztlich Betreuung unter Einschluss erfolgloser sog. "systemischer Therapien“,
- Durchführung stationärer inländischer Rehabilitationsmaßnahmen mit nachweislich geringerem Erfolg und kürzeren Remissionszeiten,
- ausgeprägter Akutbefund mit schweren Haut-Efloreszenzen,
- individuelle Bestätigung durch behandelnde Ärzte wie beauftragte Sachverständige, dass für den betroffenen Versicherten letztlich erfolgversprechend alleine eine Maßnahme am Toten Meer ist

Entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts Darmstadt sieht der Senat im Falle des Klägers entsprechend für die schwere chronische Neurodermitis zu formulierende Voraussetzungen für die Frage des „Ob“ der Maßnahme als erfüllt an, so dass für den Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids insoweit von einer entsprechenden Ermessenreduzierung auszugehen ist. Wie bereits dargelegt, beschreibt die behandelnde Hautärztin Dr. D., dass der Kläger zum hier maßblichen Zeitpunkt im Frühjahr 2017 in Deutschland austherapiert war. Alle Lokaltherapien einschließlich systemischer Lichttherapie, stationären Krankenhaus- und Reha-Aufenthalte führten bisher zu keinen länger andauernden beschwerdefreien Intervallen vergleichbar mit den Klimaheilbehandlungen am Toten Meer. Der Kläger leidet von Geburt an unter einer Neurodermitis und hat nach den Angaben der Ärzte auch zahlreiche Patientenschulungen absolviert. Im Januar 2017 diagnostizierte die Hautärztin eine hohe Entzündungsaktivität mit massivem Juckreiz bei einem Score von 88. Eine wirksame Therapie (außerhalb der Kortisonbehandlung) war erst mit Zulassung neue Medikamente ab Herbst 2017 möglich.

Neben der Schwere der Erkrankung des Klägers und dem hiermit verbundenen erheblichen Leidensdruck sowie der im Januar 2017 alternativlosen Behandlungsoption am Toten Meer ist aus Sicht des Senats im Rahmen des Ermessens zusätzlich auch das Verhalten der Beklagten zu berücksichtigen. Die Beklagte hat die Kosten für die Klimaheilbehandlungen mehrfach übernommen, so auch in den Jahren 2010, 2013, 2014, 2015, 2016, 2018 und 2019; im Jahr 2020 konnte der Kläger die bereits bewilligte Heilbehandlung aufgrund der Pandemiebedingungen in Israel nicht durchführen. Zwar ist eine Krankenkasse rechtlich nicht gehindert, einem Versicherten Folgebehandlungen abzulehnen, auch wenn sie die Kosten für Vorbehandlungen voll übernommen hat, z.B. bei inzwischen gebesserter Versorgungslage im Inland (BSG Urteil vom 17. Februar 2010, B 1 KR 14/09 R). Es ist für den Senat jedoch nicht erkennbar, welche äußeren Umstände im Jahr 2017 eine andere Entscheidung hätten rechtfertigen können als in den Jahren 2013 bis 2016 (und nachfolgend 2018 bis 2020). Auch die Erkrankung des Klägers war unverändert hochchronisch und hatte sich bei Beantragung im Januar 2017 eher verschlechtert. Hinzu kommt, dass dem Kläger im Jahr 2006 - von der Beklagten unbestritten - mündlich zugesagt worden war, dass er aus Kostengründen jährlich eine Heilbehandlung am Tote Meer absolvieren könne. Dieses „selbstbindende“ Verhalten der Beklagten begründet zumindest ein Vertrauen des Klägers in eine gleichförmige Verwaltungsentscheidung bei unverändertem Sachverhalt und hebt die medizinische Erforderlichkeit der Heilbehandlung hervor. 

Die Gutachten des MDK vom 8. Februar 2017 und vom 5. Mai 2017 stehen dieser Beurteilung nicht entgegen. Die polemisch anmutende Feststellung des Dr. K. vom (externen) MDK Münster, „einen anhaltenden Effekt habe die Reha in 2016 scheinbar nicht gehabt“, zeigt, dass sich der angerufene MDK überhaupt nicht mit der Leidensgeschichte des Klägers und den Erfolgen der vorangegangenen Klima-Heilkuren im Vergleich zur lokalen Therapie mit Kortison und Salben auseinandergesetzt hat; offenbar war dem MDK schlicht nicht bekannt, dass die Beklagte seit 1997 regelmäßig die streitige Maßnahme bewilligt hat und hierzu auch ein entsprechendes positives Gutachten des MDK vom 8. Oktober 2012 vorliegt (Bl. 59 ff. der Gerichtsakte S 10 KR 42/12). Auch das Gutachten vom 5. Mai 2017 lässt die Einbeziehung vorangegangener Gutachten und Bewilligungen ebenso vermissen wie eine körperliche Untersuchung des Klägers durch einen Facharzt.

Nach Auffassung des Senats steht es dennoch im Ermessen der Beklagten, in welcher Höhe sie sich konkret an den geltend gemachten Kosten der medizinisch erforderlichen Behandlung im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 1 SGB V beteiligt und welche „weiteren Kosten“ gemäß § 18 Abs. 2 SGB V übernommen werden.

Das Ermessen der Krankenkasse hat dabei den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (§§ 2 Abs. 4, 12 Abs. 1 SGB V) zu beachten. Dieser erfasst das gesamte Leistungsrecht der GKV und mithin auch Auslandsbehandlungen (BSG, Urteil vom 17. Februar 2004, B 1 KR 5/02 R, Rz 20). Bei ihren pflichtgemäßen Ermessenserwägungen (vgl. §§ 39 Abs. 1 SGB I, 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X) hat die Krankenkasse insbesondere auch die sonstigen individuellen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten (vgl. BT-Drucks. SGB V 11/2237, S. 166) zu berücksichtigen (vgl. §§ 2 Abs. 1 u. 4, 2 a, 12 Abs. 1, 27 Abs. 1, 28; § 9 SGB IX; § 33 SGB I). Die Höhe der entstandenen Kosten sind ebenso zu beachten wie die Kosten der ansonsten zu gewährenden inländischen Therapien, insbesondere auch der im Inland angebotenen Klimakuren. Einzubeziehen ist dabei zudem, dass durch die Behandlung am Toten Meer bei dem Kläger regelmäßig eine vollständige und längerfristige Abheilung erreicht werden konnte und in der Folgezeit Aufwendungen für ambulante und stationäre Therapien erspart wurden. Eine Beschränkung auf die Kosten, die bei einer Inlandsbehandlung entstanden wären, sieht § 18 Abs. 1 S. 1 SGB V im Gegensatz zu § 18 Abs. 3 S. 2 SGB V indes nicht vor.

Auch im Rahmen des Auswahl- bzw. Gestaltungsermessens ist die Beklagte grundsätzlich durch ihr bisheriges Verwaltungshandeln insbesondere in den unmittelbar vorangegangenen Jahren 2013 bis 2016 gebunden. Soweit sie in den Vorjahren stets jeweils die Kosten „aller medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Maßnahmen der Behandlung (ärztliche Beratung, Diagnostik, Therapie, Medikamente, physikalische Therapie) mit Unterkunft (Zweibettzimmer mit Bad/Dusche, WC) und Verpflegung“ für fünf Wochen sowie die Kosten der An- und Abreise übernommen hat, sieht der Senat auch für das Jahr 2017 keine Gründe, von dieser Verwaltungspraxis abzuweichen. Entsprechendes wäre durch die Beklagte zu ermitteln. 

Nach Auffassung des Senats ist es der Beklagten jedoch unter Berücksichtigung der Einkommenssituation des Klägers nicht verwehrt, eine Eigenbeteiligung, z.B. wie bisher in Höhe von 10,- € täglich, einzurechnen. Zwar gelten die Regelungen über Zuzahlungen (vgl. insbes. §§ 31 Abs. 3, 32 Abs. 2, 39 Abs. 4, 61 SGB V) und Festbeträge (s. §§ 12 Abs. 2, 31 Abs. 2, 33 Abs. 2, 35, 36 SGB V) im Rahmen des § 18 SGB V (anders als i. R. v. § 13 Abs. 3 SGB V) prinzipiell nicht. Es steht nach Auffassung des Senats allerdings nichts entgegen, wenn die Krankenkasse im Rahmen des Ermessens bei vergleichbaren Behandlungssituationen Zuzahlungsbeträge für entsprechende Inlandsbehandlung berücksichtigt, um eine dem allgemeinen Gleichheitssatz entsprechende gleichmäßige Handhabung bei allen Versicherten einer Krankenkasse zu gewährleisten (so auch: Waltermann, in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm. z. SozR, SGB V § 18 Rz 6). Hinzu kommt, dass Kosten der Verpflegung z.B. auch bei heimatnahmen ambulanten Kurmaßnahmen anfallen und nicht von der GKV übernommen werden. Letztlich wird die Beklagte anhand der konkreten Einkommenssituation des Klägers zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung zu überprüfen haben, ob ein entsprechende Selbstbeteiligung zumutbar ist.
Schließlich steht es auch im Ermessen der Beklagten, ob die Kosten eines Einzelzimmerzuschlags zu übernehmen sind. Nach § 18 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse in den Fällen des § 18 Abs. 1 SGB V auch weitere Kosten für den Versicherten (und für eine erforderliche Begleitperson) ganz oder teilweise übernehmen. Der erkennende Senat hat für das Jahr 2013 mit Urteil vom 16. Juli 2015 (L 1 KR 32/14) bereits entschieden, dass eine entsprechende Erstattung der Kosten für eine Einzelzimmerbelegung nicht in Betracht kommt. Es ist nicht davon auszugehen, dass aus medizinischer Sicht dem Kläger eine Unterbringung in einem Doppelzimmer nicht zumutbar gewesen wäre. Dies gilt insbesondere auch, soweit der Kläger vorbringt, dass in klimatisch extremer Umgebung es bereits für eine gesunde Person unzumutbar sei, mit einer fremden Person das Hotelzimmer zu teilen - erst recht bei einem Menschen mit einem ausgeprägten Juckreiz am ganzen Körper. Insoweit sind hinsichtlich einer Rehabilitationsmaßnahme jedoch keine anderen Maßstäbe anzusetzen, als für eine stationäre Krankenhausbehandlung. In beiden Fällen bleibt es den Versicherten unbenommen, sich - bei eigener Kostentragung - um eine Unterbringung in einem Einzelzimmer zu kümmern. Aber auch insoweit obliegt es der Beklagten im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu überprüfen, ob im Jahr 2017 neue medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind. 

Der Berufung war somit im Umfang des Hilfsantrages stattzugeben. Die Beklagte wird veranlasst, den Antrag des Klägers unter Berücksichtigung der dargelegten Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen. 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Unterliegen des Klägers im Hinblick auf den Hauptantrag.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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