L 10 U 2749/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 289/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2749/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Lässt sich eine funktionelle Schwäche des linken Beines keiner Diagnose nach einem gängigen Diagnosesystem (z.B. ICD-10, DSM IV, DSM V) zuordnen, ist sie nicht als Unfallfolge feststellbar. Eine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H. liegt nicht vor, wenn nur geringe Bewegungseinschränkungen des linken Kniegelenks mit muskulär kompensierter Kniebandinstabilität nachweisbar sind, neurologische Störungen nicht bestehen und keine objektiven Hinweise für eine schmerzbedingte Minderbelastbarkeit des linken Beines vorliegen.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 03.07.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht noch die Gewährung von Verletztenrente über den 30.06.2015 hinaus und die Anerkennung weiterer Unfallfolgen im Streit.

Die.1964 geborene Klägerin war als Pflegesachverständige beim  (MDK) sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Am 25.06.2013 stürzte sie auf dem Heimweg von der Arbeit bei regennasser Fahrbahn auf Grund einer verkehrsbedingten starken Bremsung von ihrem Motorrad (Bl. 1 VA) und zog sich eine Gehirnerschütterung, eine Brust(BWS)- und Lendenwirbel(LWS)-Prellung, eine Partialruptur des hinteren Kreuzbandes (HKB) am linken Kniegelenk sowie eine Handprellung zu und wurde bis zum 02.07.2013 stationär in der BG Uklinik T (BGU) stationär behandelt (Bl. 5 f. VA). Die HKB-Partialruptur wurde konservativ mittels einer PCL-Jackorthese therapiert. Die Klägerin wurde weitgehend beschwerdefrei aus der stationären Behandlung entlassen. Der Heilverlauf gestaltete sich zunächst unauffällig (s. Zwischenberichte der BGU Bl. 15 f., 28 f., 37 f., 40 f., 55 f. VA).

Im Rahmen der Verlaufskontrolle am 18.09.2013 klagte sie (erstmals) über ein unsicheres Gefühl beim Gehen, Kraftverlust und ein Wegknicken des linken Beines (Bl. 69 ff. VA). Allerdings fanden sich keine Hinweise auf eine Nervenschädigung, Blutumlaufstörung, ein sensomotorisches Defizit oder eine Instabilität des Kniegelenkes (Bl. 71, 79, 94 VA). Im November 2013 wurde bei ihr eine traumatische Innenmeniskushinterhornläsion links diagnostiziert und arthroskopisch eine partielle Synovektomie und IM-HH-Teilresektion mit Plica-Resektion durchgeführt (Bl. 104 f. VA). Laut Zwischenbericht der BGU von Januar 2014 gestaltete sich der Heilungsverlauf zeitgemäß und die Beweglichkeit im Bereich des linken Kniegelenks wurde als frei beschrieben (0-0-135°, Bl. 111 f. VA). Der K führte den Innenmeniskusriss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 25.06.2013 zurück (Bl. 138, 146 VA).

Auf Grund einer im November 2014 durchgeführten auffälligen MRT des linken Kniegelenks (Beurteilung: neu aufgetretene, leichtgradige Retropatellararthrose mit prä-/infrapatellarer Bursairritation, bei Zustand nach <Z.n.> geringgradiger Teilresektion unverändert residueller horizontaler Einriss des Innenmeniskus-Hinterhorns mit neu aufgetretener diskreter Meniskuszyste am Hinterhorn, Bl. 152 VA) wurde bei der Klägerin am 28.01.2015 eine erneute Arthroskopie in der Klinik W durchgeführt, wonach eine Innenmeniskusruptur bei Z.n. Innenmeniskusresektion am linken Knie ausgeschlossen, jedoch eine geringe kombinierte dorsolaterale Instabilität links bei Z.n. konservativ behandelter HKB-Ruptur, eine Chondromalazie Grad 3 laterales Tibiaplateau und eine Chondromalazie Grad 2 mediales Tibiaplateau beschrieben wurde (Bl. 160 f. VA). Auch im Anschluss daran gestaltete sich der postoperative Heilverlauf (zunächst) ungestört, es fanden sich lediglich leichte bewegungsabhängige Beschwerden, ohne Entzündungszeichen bei freier Beweglichkeit und das Verbleiben einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Ausmaß wurde ausgeschlossen (Bl. 176 VA). Ab Anfang März 2015 war die Klägerin - ihren eigenen Angaben nach - (zunächst) wieder arbeitsfähig, wurde jedoch wegen zunehmender Schmerzen Ende April 2015 seitens ihres Hausarztes wieder für arbeitsunfähig erachtet (Bl. 181 VA).

Ende April 2015 stellte sich die Klägerin wegen einer Schwäche im linken Bein bei dem D vor, der u.a. eine unklare Beinparese links diagnostizierte, den klinisch neurologischen Befund jedoch als unauffällig beschrieb (Bl. 186 f. VA). Im Juni 2015 stellte sie sich bei dem Z vor, der ebenfalls eine unklare Schwäche im Bereich des linken Beines von fluktuierender Intensität diagnostizierte, jedoch eine Polyneuropathie ausschloss (Bl. 243 f. VA).

Vom 06.08.2015 bis 02.09.2015 befand sich die Klägerin in ganztägig ambulanter Rehabilitation zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung (Bl. 68 ff. Senatsakte). Im Aufnahmebefund wurde u.a. ein unauffälliges Gangbild ohne Benutzung orthopädischer Hilfsmittel, ein seitengleich sicher demonstrierbarer Zehen- und Fersenstand und eine deutliche Minderung der Kraft im Bereich des linken Beines bezüglich Knie- und Hüftstrecker und -beuger mit einem Kraftgrad drei bis vier von fünf, Fuß- und Zehenheber und -senker mit einem Kraftgrad eins von fünf beschrieben und u.a. eine Schwäche des linken Beines (Hüfte, Knie, Fuß, Zehen-Ext./Flex.) seit Juni 2013, eine Sturzgefährdung mit Sensibilitätsstörung im Dermatom L5, ein Z.n. Motorradunfall 2013 mit Außenbandläsion am linken Knie, ein IM-Hinterhornriss sowie ein Wirbelsäulensyndrom bei fortschreitenden degenerativen Veränderungen verstärkt durch Fehlstatik und muskuläre Verspannungen/Dysbalance diagnostiziert.

Im Dezember 2015 wurde die Klägerin im Auftrag der Beklagten von dem W1 begutachtet (Bl. 311 ff. VA, Untersuchungstag: 14.12.2015). Auch er beschrieb u.a. ein unauffälliges Gangbild - allenfalls im Barfußgang zeigte sich ein angedeutetes Schonhinken links -, seitengleich beschwielte Fußsohlen, keine Muskelminderung im Bereich des linken Unterschenkels, eine muskulär vollständig kompensierte leichte Schubladeninstabilität sowie eine muskulär nicht ganz vollständig kompensierbare mediale Seitenbandlockerung und als Unfallfolgen noch endgradige Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk mit den nachgewiesenen Veränderungen am Innenmeniskushinterhorn sowie am Schienbeinkopf. Die Prellungen im Bereich der Wirbelsäule seien folgenlos ausgeheilt und die noch bestehenden Veränderungen im Bereich der BWS und LWS seien degenerativer Natur und nicht (mehr) auf den Unfall zurückzuführen. Nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit habe die MdE für die Dauer von sechs Monaten 20 v.H. betragen.

Mit Bescheid vom 07.03.2016 (Bl. 334 ff. VA) bewilligte die Beklagte der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25.06.2013 für die Zeit vom 13.01.2014 bis 12.07.2014 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie eine geringe Bewegungseinschränkung und leichte Instabilität des Kniegelenks, eine Kapselverdickung mit Reizerguss im Kniegelenk, Operationsnarben und röntgenologische Veränderungen an und lehnte die Anerkennung von verschleißbedingten Veränderungen der gesamten Wirbelsäule mit Bandscheibenschäden, Zustand nach Kniegelenkszerrung mit Dehnung des vorderen Kreuzbandes links und Knorpelschäden im linken Kniegelenk ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 343 VA) begründete die Klägerin mit auf den Unfall zurückzuführende Knorpelschäden (Chondromalazie II. und III. Grades) sowie einer Nervenläsion im linken Unterschenkel (Bl. 348 VA).

Die Beklagte ließ die Klägerin daraufhin von dem H (Bl. 14 ff. eVA, Untersuchungstag: 29.09.2016) und von dem H1 (Bl. 59 ff. eVA, Gutachten vom 28.10.2016) begutachten. Auch H vermochte - wie bereits D und Z - eine Gesundheitsstörung auf neurologischem Fachgebiet - trotz Durchführung elektrophysiologischer und elektromyographischer Untersuchungen - nicht zu objektivieren und konnte folglich kein organisches Korrelat für die demonstrierte Schwäche der Fuß- und Zehenheber sowie Fuß- und Zehensenker linksseitig mit begleitender Gefühlsstörung des gesamten linken Unterschenkels feststellen. Vielmehr diagnostizierte er eine sich im posttraumatischen Verlauf entwickelte dissoziative Bewegungsstörung, deren Entstehung jedoch nicht kausal auf den Unfall, sondern auf eine bereits langjährig vorbestehende psychiatrische Symptomatik und langjährige funktionelle Beschwerden i.S.e. somatoformen Störung zurückzuführen sei. H1 beschrieb im Bereich des linken Kniegelenks eine endgradige Bewegungseinschränkung (120-3-0°) und eine muskulär weitgehend kompensierbare Instabilität. Als Unfallfolgen diagnostizierte er im Bereich des linken Kniegelenks einen Z.n. Distorsionsverletzung mit partieller Kontinuitätsunterbrechung des hinteren Kreuzbands und mediodorsaler Instabilität, überwiegend muskulär kompensiert, eine traumatische Innenmeniskusschädigung und eine posttraumatische Knorpelschädigung. Die neurologisch beurteilte Gangunsicherheit sei nicht auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE schätzte er ab dem 13.07.2014 auf 10 v.H.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2017 (Bl. 87 ff. eVA) änderte die Beklagte den Bescheid vom 07.03.2016 insoweit ab, als sie auch die Knorpelschädigungen im linken Kniegelenk (Chondromalazie) als Folge des Arbeitsunfalls vom 25.06.2013 anerkannte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch der Klägerin zurück. Die bei der Klägerin vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigten keine MdE von mindestens 20 v.H. über den 12.07.2014 hinaus, da die Beweglichkeit des linken Kniegelenks lediglich minimal in Beugung und Streckung eingeschränkt sei und die Instabilität weitgehend muskulär kompensiert sei. Die von H diagnostizierte Schwäche der Fuß- und Zehenheber sowie Fuß- und Zehensenker linksseitig mit begleitender Gefühlsstörung des gesamten linken Unterschenkels seien auf Grund der unauffälligen elektrophysiologischen und elektromyographischen Untersuchungen nicht auf organische Ursachen zurückzuführen, weshalb ein Zusammenhang zu dem Unfall vom 25.06.2013 nicht bestehe.

Hiergegen hat die Klägerin am 09.02.2017 - vertreten durch ihre (damaligen) Prozessbevollmächtigten - Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und u.a. darauf hingewiesen, dass es laut MRT von März 2017 (Bl. 27 SG-Akte) zwischenzeitlich sogar zu einer Reruptur des Meniskusrisses gekommen sei. Zuletzt hat sie die Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um mindestens 20 v.H. unter Anerkennung einer Schwäche des linken Beines über den 12.07.2014 hinaus begehrt (s. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2019, Bl. 268 f. SG-Akte).

Das SG hat den die Klägerin behandelnden H2 (schriftlich) als sachverständigen Zeugen befragt (Bl. 33 f. SG-Akte), der eine MdE von 50 v.H. angesetzt hat. Sodann hat das SG von Amts wegen ein Sachverständigengutachten bei dem K1 eingeholt (Bl. 92 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 12.09.2017). Dieser hat u.a. eine normale Schrittlänge, eine seitengleiche Fußsohlenbeschwielung, eine nahezu seitengleiche Bemuskelung beider Beine und eine Kniegelenksbeweglichkeit von 0-0-135° objektivieren können und als Unfallfolgen allein solche im Bereich des linken Kniegelenks in Form einer leichten, überwiegend muskulär kompensierten dorsomedialen Instabilität, einer Knorpelschädigung (Chondromalazie), eines Rezidivs einer Innenmeniskusläsion Stadium 3 nach Stoller und einer leichten Muskelminderung des linken Oberschenkels beschrieben. Die Prellungen im Bereich der Hand, der Wirbelsäule und des Thorax seien folgenlos ausgeheilt. Die MdE hat er ab dem 15.07.2014 auf 10 v.H. geschätzt.

Im Herbst 2017 hat sich die Klägerin bei dem H3 vorgestellt, der die Verdachtsdiagnose einer Plexusläsion links gestellt und sie zur weiteren Abklärung zu dem Facharzt u.a. für N verwiesen hat (Bl. 155 f. SG-Akte). N hat nach Durchführung u.a. elektroneurographischer Untersuchungen, die keinen Hinweis auf Nervenschädigungen erbracht haben, ebenfalls die Verdachtsdiagnose einer Schädigung des linken Plexus lumbosacralis gestellt, gleichzeitig darauf hingewiesen, dass diese eher selten seien und die Durchführung eines Becken-CTs empfohlen.

Auf Antrag der Klägerin gem. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das SG schließlich ein Sachverständigengutachten bei N eingeholt (Bl. 170 ff. SG-Akte, Untersuchungstag: 11.05.2018). N hat im Rahmen seiner Untersuchungen abermals keine Hinweise für eine periphere Nervenschädigung oder für eine Schädigung der zentralen Motorik gefunden (Bl. 179 SG-Akte) und auch eine Schädigung des Plexus lumbosacralis ausgeschlossen, da das angefertigte Becken-CT unauffällig gewesen sei (Bl. 180 SG-Akte). Als Unfallfolgen hat er schließlich eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) und eine Anpassungsstörung mit situationsbezogenen Ängsten (ICD-10 F43.2) diagnostiziert (Bl. 178 SG-Akte) und die MdE auf seinem Fachgebiet ab dem 15.07.2014 auf 30 v.H. geschätzt. Hieran hat er auch in seinen ergänzenden Stellungnahmen von September 2018 (Bl. 194 SG-Akte) und Dezember 2018 (Bl. 236 SG-Akte) festgehalten. Demgegenüber hat der W2 in seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen von Juni 2018 (Bl. 185 ff. SG-Akte), Oktober 2018 (Bl. 198 ff. SG-Akte) und Januar 2019 (Bl. 263 ff. SG-Akte) den Ursachenzusammenhang zwischen der diagnostizierten dissoziativen Bewegungsstörung und dem Unfallgeschehen verneint.

Mit Urteil vom 03.07.2019 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 verurteilt, der Klägerin über den 12.07.2014 hinaus Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. bis zum 30.06.2015 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es in erster Linie ausgeführt, dass die vom Sachverständigen N diagnostizierte dissoziative Bewegungsstörung auf den Unfall zurückzuführen sei, dies jedoch - entsprechend einer Anpassungsstörung - lediglich für die Dauer von zwei Jahren nach dem Unfall. Die darüber hinaus fortbestehende dissoziative Bewegungsstörung könne nicht mehr auf den Unfall zurückgeführt werden. Vielmehr sei es ab dann zu einer Verschiebung der Wesensgrundlage gekommen, da bei der Klägerin eine Disposition zu behandlungsbedürftigen psychischen Reaktionen auf belastende Lebensereignisse vorgelegen habe.

Gegen das ihren Bevollmächtigten am 22.07.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin - vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten - am 14.08.2019 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die objektiven Befunde und Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich ihres linken Kniegelenks rechtfertigten eine dauerhafte MdE von wenigstens 20 v.H. Eine weitere bei E in der BGU durchgeführte Untersuchung (Verlaufsbericht BGU vom 21.08.2019, Bl. 35 f. Senatsakte) bestätige das Vorliegen unfallbedingter Gesundheitsschäden, insbesondere Nervenschädigungen. Außerdem verkenne das SG in rechtlich zu beanstandender Weise, dass auch über den 30.06.2015 hinaus von einer unfallbedingten fortbestehenden dissoziativen Bewegungsstörung auszugehen sei. Es sei nicht nachvollziehbar und auch vom SG nicht begründet worden, weshalb spätestens zwei Jahre nach dem Unfall eine Verschiebung der Wesensgrundlage eingetreten sein soll. Insofern habe sich das SG auch nicht hinreichend mit den Ausführungen des Sachverständigen N auseinandergesetzt, der das Vorliegen von Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestätigt und eine zeitliche Begrenzung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der chronifizierten dissoziativen Bewegungsstörung und dem Unfall gerade nicht festgestellt habe. Der seit dem Unfallereignis am 25.06.2013 bestehende Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert (Bl. 48a Senatsakte). Die Klägerin hat (weitere) medizinische Befundberichte vorgelegt (u.a. vom 26.06.2020, Bl. 77 Senatsakte, und vom 19.08.2020, Bl. 80a f. Senatsakte).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 03.07.2019 und den Bescheid der Beklagten vom 07.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin eine Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 v.H. über den 30.06.2015 hinaus auf unbestimmte Zeit zu gewähren und als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 25.06.2013 in Bezug auf die Schwäche im linken Bein eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) bzw. eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) als Unfallfolge anzuerkennen.
 
Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat darauf verwiesen, dass entgegen der Ausführungen der Klägerin im September 2019 in der BGU gerade keine Nervenschädigung festgestellt worden sei. Vielmehr sei eine neurologische Untersuchung bzw. Begutachtung empfohlen worden, wobei den dortigen Ärzten offenbar die Ergebnisse der bereits erfolgten neurologischen Begutachtungen und Beurteilungen nicht bekannt gewesen seien. Eine Befundänderung habe sich gerade nicht ergeben. Auf chirurgischem Fachgebiet lägen zwischenzeitlich drei - in der Beurteilung übereinstimmende - Gutachten vor (W1 vom 17.01.2016, H1 vom 28.10.2016, K1 vom 20.09.2017) vor, in denen die MdE mit 10 v.H. bewertet werde. Der W2 habe zudem schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, weshalb der Auffassung des N, wonach die dissoziative Bewegungsstörung auf den Unfall zurückzuführen sei, nicht gefolgt werden könne. Vielmehr sei diese auf vorbestehende persönlichkeitsbedingte Reaktionsmuster zurückzuführen. Die Beklagte hat weitere Befundberichte vorgelegt (Verlaufsberichte BGU vom 25.10.2019, Bl. 29 f. Senatsakte, und 29.06.2020, Bl. 58 f. Senatsakte, sowie D-Arztbericht vom 17.09.2019, Bl. 46 f. Senatsakte) und zur Erledigung des Berufungsverfahrens einen Vergleichsvorschlag unterbreitet (Bl. 45 Senatsakte), der seitens der Klägerin jedoch nicht angenommen worden ist.

Nach Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme des M1 aus August 2020 (Bl. 84 ff. Senatsakte) hat der Senat ein Gutachten von Amts wegen bei dem S (Bl. 184 ff. Senatsakte, Untersuchungstage: 05.02.2021 und 31.03.2021) sowie ein u.a. auf elektrophysiologischen Untersuchungen (Bl. 159 ff. Senatsakte) basierendes Zusatzgutachten bei dem M2 (Bl. 118 ff. Senatsakte, Untersuchungstag: 12.04.2021) eingeholt. Da die elektrophysiologischen Untersuchungen (magnetisch evozierte motorische Potenziale <MEP>, Ableitung von den Beinen, Nervus tibialis-evozierte somatosensible Hirnpotenziale <Tibialis-SEP>, motorische Elektroneurografie, F-Wellen, Elektromyografie <EMG>, galvanischer Hautreflex <sympathetic skin response, SSR>) allesamt einen unauffälligen Befund ergeben haben, hat M2 eine Läsion nervaler oder muskulärer Strukturen ausgeschlossen und eine funktionelle Beinlähmung mit Sensibilitätsstörung links nach Verletzung des linken Knies im Sinne einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) diagnostiziert (Bl. 153 Senatsakte). Da bei der Klägerin relevante Vorerkrankungen (Kniegelenksdistorsion links mit Plica mediopatellaris und Bone-bruise des dorso-lateralen Tibiaplateaus, Angsterkrankung und depressive Störung, gemischt) bestanden haben, hat er die Kausalitätsbewertung dem S überlassen. Für den Fall der Annahme eines Kausalzusammenhangs hat er die MdE - unter Einschluss der orthopädischen MdE - auf 20 v.H. seit Entlassung aus der Rehabilitationsbehandlung geschätzt (Bl. 155 Senatsakte). S hat auch auf seinem Fachgebiet - unter Einbeziehung der Ergebnisse der neurokognitiven Zusatzuntersuchungen (Bl. 203 ff. Senatsakte) - die Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bestätigt und - mangels zum Unfallzeitpunkt am 25.06.2013 bestehender psychiatrischer Symptomatik - die Unfallkausalität bejaht (Bl. 200/RS f. Senatsakte). Die MdE hat er auf 20 v.H. seit dem Unfalltag eingeschätzt (Bl. 202 Senatsakte).

Die Beklagte hat daraufhin eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes u.a. für L von Oktober 2021 vorgelegt (Bl. 220 ff. Senatsakte), in der dieser die eingeholten Gutachten als nicht hinreichend schlüssig und nachvollziehbar beschrieben und auch die MdE-Bewertung mit 20 v.H. als nicht korrekt bewertet hat. Die Sachverständigen M2 (Bl. 231 ff. Senatsakte) und S (Bl. 241 ff. Senatsakte) haben hierzu im März und April 2022 ergänzend Stellung genommen und an ihren bisherigen Einschätzungen festgehalten. Diesen Stellungnahmen ist L in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme von Juli 2022 abermals entgegengetreten (Bl. 257 ff. Senatsakte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und Gewährung einer Verletztenrente über den 30.06.2015 hinaus.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 07.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017, soweit die Beklagte die Gewährung einer vorläufigen Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. nur bis zum 12.07.2014 gewährt und lediglich eine geringe Bewegungseinschränkung und leichte Instabilität des Kniegelenks, eine Kapselverdickung mit Reizerguss im Kniegelenk, Operationsnarben, röntgenologischen Veränderungen sowie die Knorpelschädigungen im linken Kniegelenk (Chondromalazie) als Folge des Arbeitsunfalls vom 25.06.2013 anerkannt hat und nicht auch die - ihrer Auffassung nach durch eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) bzw. eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) hervorgerufene - Schwäche im linken Bein. Da das SG in seinem - lediglich von Klägerseite angefochtenen - Urteil vom 03.07.2019 der Klägerin eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 20 v.H. bis zum 30.06.2015 gewährt und die Klage im Übrigen abgewiesen hat, hat der Senat lediglich (noch) darüber zu entscheiden, ob der Klägerin auch über den 30.06.2015 hinaus eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit (§ 62 Abs. 2 SGB VII) zusteht und ob eine - durch eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) bzw. chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) hervorgerufene - Schwäche im linken Bein als weitere Unfallfolge - hierüber hat das SG in seinem Urteil keine ausdrückliche Entscheidung getroffen - vorliegt. Die Anerkennung weiterer - nicht die Schwäche im linken Bein betreffender - Unfallfolgen ist vorliegend nicht streitig, da die Klägerin ihren Klageantrag bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung beim SG entsprechend beschränkt hat.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide, mit denen die Beklagte eine Weitergewährung der Verletztenrente und die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolge abgelehnt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (BSG 05.07.2011, B 2 U 17/10 R, zitiert-  wie sämtliche höchstrichterliche Rechtsprechung - nach juris, mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage). Dem entsprechend begehrt die Klägerin hier zulässigerweise zum einen die Weitergewährung der Verletztenrente über den 30.06.2015 hinaus auf unbestimmte Zeit und die Verpflichtung der Beklagten, weitere Unfallfolgen - also eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) bzw. eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) - anzuerkennen.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung weiterer über die in dem Bescheid vom 07.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 bereits anerkannten Unfallfolgen - geringe Bewegungseinschränkung und leichte Instabilität des Kniegelenks, Kapselverdickung mit Reizerguss im Kniegelenk, Operationsnarben, röntgenologische Veränderungen sowie Knorpelschädigungen im linken Kniegelenk (Chondromalazie) - in Form einer dissoziativen Bewegungsstörung (ICD-10 F 44.4) - wie vom Sachverständigen N angenommen - bzw. einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) - wie von den Sachverständigen M2 und S angenommen - liegen nicht vor.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG 12.04.2005, B 2 U 27/04 R). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob neben der versicherten Ursache weitere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn (erste Stufe) zum Gesundheitsschaden beitrugen. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u.a. BSG 30.04.1985, 2 RU 43/84). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG 09.05.2006, B 2 U 40/05 R, auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Darüber hinaus muss der anzuerkennende Gesundheitsschaden in ein gängiges Diagnosesystem (zB ICD-10, DSM IV, DSM V) einzuordnen sein (BSG 26.11.2019, B 2 U 8/18 R; BSG 15.05.2012, B 2 U 31/11 R). Zur Überzeugung des Senats scheitert es - unabhängig vom Vorliegen des im Unfallversicherungsrecht erforderlichen Ursachenzusammenhangs - bereits hieran. Denn der Senat ist weder vom Vorliegen der u.a. vom gerichtlichen Sachverständigen N diagnostizierten dissoziativen Bewegungsstörung nach ICD-10 F44.4, noch vom Vorliegen einer - wie von den Sachverständigen M2 und S diagnostiziert - chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren entsprechend ICD-10 F45.41 überzeugt.

Zwar geht auch der Senat - wie von M2 ausgeführt - davon aus, dass bei der Klägerin eine funktionelle Beinlähmung mit Sensibilitätsstörung links nach einer Verletzung des linken Knies vorliegt (Bl. 153 Senatsakte). Als „funktionell“ werden - laut dem Sachverständigen - neurologische Symptome bezeichnet, deren Ursache nicht in einer Läsion oder metabolischen Störung des zentralen oder peripheren Nervensystems oder der Muskulatur zu finden ist, sondern in einer innerseelischen Beeinträchtigung der Steuerung oder des Zugriffs auf Muskeln bzw. der Wahrnehmung (Bl. 145 Senatsakte). Nicht nur die die Klägerin behandelnden Ärzte, sondern insbesondere auch der Verwaltungsgutachter H - dessen Gutachten im Wege des Urkundsbeweises verwertbar ist - und die gerichtlichen Sachverständigen N und M2 haben eine Minderung der groben Kraft im Bereich des linken Beines und Fußes - wenn auch von unterschiedlicher Intensität (H im September 2016: Beinhalteversuch links ohne erkennbare Absinktendenz, bei der Prüfung der groben Kraft am linken Bein wechselhaft ausgeprägte distale Paresen der Zehenheber links von Kraftgrad 2-3/5, der Fußheber links von Kraftgrad 2-3/5 und der Zehensenker links von Kraftgrad 3-4/5, Fersen- und Zehengang bds. mit Haltehilfe ohne erkennbare Krafteinschränkungen an den Füßen durchführbar, Seiltänzergang etwas unsicher, aber gut durchführbar, Bl. 46 f. eVA; N im Mai 2018: Kraftgrad 4+/5 bei Beugung und Streckung im Bereich des Hüft- und des Kniegelenks, Kraftgrad ca. 3-4/5 bei Fußhebung und -streckung sowie Zehenbeugung und -streckung, Zehen- und Fersengang nicht durchführbar, linksseitiges Absinken im Beinhalteversuch, Bl. 177 f. SG-Akte; M2 im April 2021: durchgehende Kraftminderung für die gesamte Muskulatur des linken Beines auf Kraftgrad 3/5 bzw. 0/5 bei Fußhebung, kein Hinweis auf weitere latente oder manifeste Paresen, kein Absinken im Beinhalteversuch, Zehen- und Fersengang links durchführbar, aber stark eingeschränkt mit deutlicher ängstlicher Bewegungskomponente, Bl. 136 Senatsakte) - beschrieben, eine neurologische Erklärung für diese Schwäche im Bereich des linken Beines jedoch nicht objektivieren können. Weder der Verwaltungsgutachter H (Bl. 48 f., 52 eVA) noch der gerichtliche Sachverständige M2 (Bl. 139 f., 144 f. Senatsakte) haben nach der Durchführung elektrophysiologischer, elektroneurografischer und elektromyographischer Untersuchungen eine Nervenschädigung oder periphere -kompression und auch keine Muskelschädigung objektivieren können. Auch der Sachverständige N hat im Rahmen seiner der gutachterlichen Untersuchung vorausgehenden erstmaligen Vorstellung der Klägerin im Dezember 2017 durchgeführten elektrophysiologischen Diagnostik (Bl. 157 f. SG-Akte) keine Schädigung der Beinnerven oder der Pyramidenbahn beschreiben können. Auch hat er an seiner im Rahmen dieser erstmaligen Vorstellung der Klägerin differentialdiagnostisch gestellten Verdachtsdiagnose der Schädigung des lumbosakralen Nervengeflechts (Schädigung des Plexus lumbosacralis) anlässlich seiner Begutachtung u.a. wegen eines zwischenzeitlich durchgeführten unauffälligen Becken-CTs nicht mehr festgehalten (Bl. 180 SG-Akte). Soweit auch der die Klägerin behandelnde H3 anlässlich der Vorstellung der Klägerin im Oktober und November 2017 die Verdachtsdiagnose einer Plexusläsion links gestellt hatte, so hatte er die Klägerin zur weiteren Abklärung gerade an N verwiesen, der diese Diagnose im Rahmen seiner Begutachtung schließlich ausgeschlossen hat. Weshalb H3 in seinem Befundbericht von Juni 2020 dennoch an dieser Verdachtsdiagnose festgehalten hat (Bl. 77 Senatsakte), ist nicht nachvollziehbar. Im Übrigen haben auch die anderen - die Klägerin behandelnden - Fachärzte (u.a.) für Neurologie Z (Untersuchung im Mai 2015, Bl. 193 f. VA), P (Untersuchung im Oktober 2017, Bl. 176 f. Senatsakte) und D1 (Untersuchung im August 2020, Bl. 80a f. Senatsakte) u.a. auf Grund durchgeführter Zusatzdiagnostiken Nervenläsionen im Bereich des linken Beines ausgeschlossen und somit ebenfalls kein neurologisches Korrelat für die seitens der Klägerin geklagten Beschwerden gefunden. Eine neurologische Erkrankung der Klägerin ist somit nicht nachgewiesen, weshalb es sich bei der von der Klägerin geklagten und dokumentierten Kraftminderung im Bereich des linken Beines lediglich um eine - nicht näher klassifizierbare - funktionelle Störung handeln kann.

Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass es sich hierbei - wie insbesondere von N diagnostiziert - um eine dissoziative Bewegungsstörung (ICD-10 F44.4) handelt. Der Senat stützt seine diesbezüglichen Zweifel auf die Ausführungen des Sachverständigen M2 (Bl. 148 f. Senatsakte). Dieser hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass es sich bei der dissoziativen Störung um eine spezielle Unterform der funktionellen Störung handelt, die durch Umwandlung (Konversion) eines unerträglich empfundenen Konflikts in ein körperlich erscheinendes Symptom mit Symbolcharakter entsteht, wodurch der damit verbundene Konflikt gewissermaßen neutralisiert wird. Der durch das bevorstehende Ereignis verursachte intrapsychische Konflikt wird ins Un(ter)bewusste („verdrängt“) verlagert, was mit einer Desintegration von Bewusstsein, Gedächtnis, Identität und/oder Wahrnehmung einhergeht (z.B. Verhinderung der Teilnahme an der ängstlich erwarteten Beerdigung der kürzlich verstorbenen Mutter durch eine unvermittelt auftretende konversionsneurotische Beinlähmung mit Stand- und Gangunfähigkeit). Diese Desintegration wird als Dissoziation bezeichnet. Die Diagnose einer dissoziativen Störung in diesem engeren Sinn hat also einen scheinbar unlösbaren subjektiven Konflikt zur Voraussetzung. Einen solchen hat M2 in Anlehnung an die nervenärztlichen (Vor)Gutachten und seiner diesbezüglichen Exploration jedoch nicht identifizieren können. Vielmehr hat er explizit darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin eine tatsächliche Erkrankung des linken Kniegelenks vorliegt, in deren Folge die funktionellen Beschwerden der Klägerin entstanden sind. Vor diesem Hintergrund hält der Senat die Diagnose einer dissoziativen Bewegungsstörung entsprechend ICD-10-Code F44.4 nicht für nachgewiesen.

Gleiches gilt jedoch auch für die von den gerichtlichen Sachverständigen M2 und S gestellte Diagnose einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41). Im Vordergrund des klinischen Bildes stehen laut der ICD-10-Definition seit mindestens sechs Monaten bestehende Schmerzen in einer oder mehreren anatomischen Regionen, die ihren Ausgangspunkt in einem physiologischen Prozess oder einer körperlichen Störung haben. Psychischen Faktoren wird eine wichtige Rolle für Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der Schmerzen beigemessen, jedoch nicht die ursächliche Rolle für deren Beginn. Der Schmerz verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leiden und Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen. Der Schmerz wird nicht absichtlich erzeugt oder vorgetäuscht (wie bei der vorgetäuschten Störung oder Simulation). Schmerzstörungen insbesondere im Zusammenhang mit einer affektiven, Angst-, Somatisierungs- oder psychotischen Störung sollen hier nicht berücksichtigt werden.

Wie bereits oben ausgeführt, haben zwar der Verwaltungsgutachter H und die gerichtlichen Sachverständigen N und M2 eine Kraftminderung im Bereich des linken Beines/Fußes beschrieben. Unabhängig davon, dass diese nicht durchgehend in derselben Ausprägung objektiviert worden ist (s.o.) und der Fersen- und Zehengang sowohl im Rahmen der Begutachtung durch H als auch mehr als viereinhalb Jahre später im Rahmen der Begutachtung durch M2 durchführbar gewesen ist - lediglich im Rahmen der Begutachtung durch N hat die Klägerin den Zehen- und Fersengang nicht durchführen können -, liegen keine objektiven Befunde vor, die auf eine Schmerzstörung in obigem Sinne (ICD-10 F45.51) im Bereich des linken Beines schließen lassen. So hat k
einer der die Klägerin behandelnden oder begutachtenden Ärzte eine Minderbeschwielung im Bereich des linken Fußes oder eine - worauf L in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom Oktober 2021 (Bl. 220 der Senatsakte) zutreffend hingewiesen hat - auf Minderbelastung zurückzuführende Muskelminderung im Bereich des linken Unterschenkels objektiviert. Ganz im Gegenteil: Der Verwaltungsgutachter W1 - dessen Gutachten verwertet der Senat ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises - und der gerichtliche Sachverständige K1 haben anlässlich ihrer knapp zwei Jahre auseinanderliegenden Untersuchungen im Dezember 2015 (W1) und September 2017 (K1) eine seitengleiche Fußsohlenbeschwielung (Bl. 322 VA und Bl. 114 SG-Akte) und eine nahezu seitengleiche Bemuskelung des linken Unterschenkels (W1: Umfangmaße: 15cm unterhalb inn. Kniegelenkspalt: rechts. 42,5cm, links 43cm; Unterschenkel, kleinster Umfang: bds. 23cm; Knöchel: bds. 26cm; Rist über Kahnbein: bds. 25cm; Vorfußballen: rechts 25cm, links 24cm, Bl. 323 VA; K1: 15cm unterhalb inn. Kniegelenkspalt: rechts 45cm, links 44cm; Unterschenkel, kleinster Umfang: bds. 24cm; Knöchel: rechts 27,5cm, links 27cm; Rist über Kahnbein: bds. 26,5cm; Vorfußballen: bds. 25cm, Bl. 115 SG-Akte) beschrieben. K1 hat lediglich eine leichte Muskelminderung des linken Oberschenkels (Umfangmaße 20cm oberhalb inn. Kniegelenkspalt: bds. 66cm; 10cm oberhalb inn. Kniegelenkspalt: rechts 59cm, links 58cm, Bl. 114 SG-Akte) objektiviert und dem Unfall zugerechnet (Bl. 130 SG-Akte). Auch der neurologische Gutachter H hat Muskeltonus und Muskeltrophik der unteren Extremitäten der Klägerin anlässlich seiner Untersuchung im September 2016 als unauffällig beschrieben (Bl. 46 eVA) und sogar der neurologische Sachverständige M2 hat ca. viereinhalb Jahre später anlässlich seiner Untersuchung von April 2021 eine Muskelabmagerung immer noch verneint (Bl. 144 der Senatsakte).

Hinzu kommt, dass auch die seitens des neurologischen Verwaltungsgutachters H und der neurologischen sowie psychiatrischen gerichtlichen Sachverständigen N, M2 und S erhobenen psychischen Befunde (s. u.a. M2: bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert, dem Gespräch konzentriert zugewandt, keine Beeinträchtigung der Rapportfähigkeit, ausgeglichene Stimmungslage, Stimmung in beide Richtungen auslenkbar, keine Anhaltspunkte für Anhedonie, Vitalstörungen oder depressive Herabgestimmtheit, Bl. 138 f. Senatsakte; S: wach, bewusstseinsklar, voll orientiert, keine Hinweise auf Aggravation, Stimmung allenfalls im Ansatz gedrückt, Schwingungsfähigkeit unbeeinträchtigt, Gedankengang klar, keine Hinweise auf Störungen der Denkabläufe oder Denkinhalte, insbesondere auf typisch depressive Befürchtungen abstellende Grübelneigung, keine Hinweise auf Störungen der Wahrnehmung, des Ich-Erlebens, des Antriebs oder der Psychomotorik, keine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit, Bl. 157/RS Senatsakte; N: altersentsprechender, gepflegt gekleideter Eindruck, im Kontakt freundlich und zugewandt, keine kognitive Beeinträchtigung, gutes Auffassungs- und Konzentrationsvermögen, normale Gedächtnisfunktion, keine inhaltlichen Denkstörungen, keine psychomotorische Verlangsamung, Antrieb nicht reduziert, stimmungsmäßig bedrückt, leicht depressiv, affektiv gut schwingungsfähig, berichtet situative Ängste beim Autofahren, Bl. 178 SG-Akte; H: zu allen Qualitäten voll orientiert, Rapport flüssig, Beschwerdeschilderung sachlich, Stimmungslage weitgehend ausgeglichen, affektive Schwingungsfähigkeit etwas vermindert, Antrieb regelrecht, Psychomotorik normal, keine Hinweise auf psychotische Symptome oder Wahrnehmungsstörungen, formales Denken geordnet, inhaltliche Denkstörungen nicht erkennbar, deutliche inhaltliche Fixierung auf Schwäche im linken Bein und anhaltende Schmerzsymptomatik, keine Hinweise auf relevante neurokognitive Leistungseinschränkungen, Bl. 47 f. eVA) keine Rückschlüsse auf ein besonders belastendes und sich auf das psychische Wohlbefinden der Klägerin auswirkendes Schmerzerleben zulassen und die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt eine spezielle Schmerztherapie durchlaufen hat. Der Senat hält daher das Vorliegen einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10 F45.41) ebenfalls nicht für nachgewiesen, weshalb er die Schwäche im Bereich des linken Beines keiner konkreten, nach einem anerkannten Diagnosesystem verschlüsselten Diagnose zuordnen und folglich auch nicht als Unfallfolge feststellen kann.

Darüber hinaus steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Verletztenrente über den 30.06.2015 hinaus zu.


Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern.

Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Die Klägerin hat unstreitig am 25.06.2013 einen solchen Arbeitsunfall erlitten als sie auf dem direkten Heimweg von ihrer bei der Beklagten versicherten Tätigkeit mit ihrem Motorrad gestürzt ist und sich jedenfalls eine Gehirnerschütterung, eine BWS- und LWS-Prellung, eine Partialruptur des hinteren Kreuzbandes (HKB) am linken Kniegelenk sowie eine Handprellung zugezogen hat.

Indessen ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch die gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls vom 25.06.2013 jedenfalls nicht über den 30.06.2015 hinaus um mindestens 20 v.H. - wie vom SG in seinem Urteil vom 03.07.2019, gegen das die Beklagte keine Berufung eingelegt hat, tenoriert - gemindert.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli­chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG 22.06.2004, B 2 U 14/03 R): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö­gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un­ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße­rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus­wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent­behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar­auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz­ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir­kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli­chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Hat ein Arbeitsunfall Schäden an mehreren Körperteilen gebracht, so ist die MdE im Ganzen zu würdigen. Dabei ist entscheidend eine „Gesamtschau“ der „Gesamteinwirkung“ aller einzelnen Schäden auf die Erwerbsfähigkeit (BSG 24.11.1988, 2 BU 139/88, unter Hinweis auf Rechtsprechung zum Schwerbehindertenrecht). Dementsprechend sind mathematische Formeln kein rechtlich zulässiges oder gar gebotenes Beurteilungsmittel zur Feststellung der Gesamt-MdE (BSG 15.03.1979, 9 RVs 6/77), vielmehr muss bei der Gesamtbeurteilung bemessen werden, wie im Einzelfall die durch alle Störungen bedingten Funktionsausfälle gemeinsam die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen (BSG, a. a. O.).

Ausweislich des im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten und auf einer Untersuchung der Klägerin im September 2017 basierenden fachorthopädisch-unfallchirurgischen Gutachtens des K1 liegen bei der Klägerin als Unfallfolgen nur noch Beeinträchtigungen im Bereich des linken Beines in Form einer leichten, überwiegend muskulär kompensierten dorsomedialen Instabilität, einer Knorpelschädigung (Chondromalazie), eines Rezidivs einer Innenmeniskuläsion Stadium 3 nach Stoller und eine leichte Muskelminderung des linken Oberschenkels vor. Die auf seinem Fachgebiet unmittelbar nach dem Unfall diagnostizierten Gesundheitsschäden in Form einer Handprellung rechts, einer Prellung der BWS und LWS sowie einer Thoraxprellung hat er als folgenlos ausgeheilt beschrieben (Bl. 130 SG-Akte). Diese Diagnosen stehen auch in Einklang mit den von ihm erhobenen Befunden. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Sachverständige trotz von der Klägerin demonstrierter Probleme beim Vorführen der Gang- und Standvarianten bei gleichzeitiger normaler Schrittlänge zu ebener Erde (Bl. 113 SG-Akte), weder eine ungleiche Fußsohlenbeschwielung, noch eine Muskelminderung im Bereich des linken Unterschenkels zu objektivieren vermocht. Die Bewegungsmaße der unteren Extremitäten - insbesondere der Kniegelenke mit bds. 0-0-135° - haben alle im Normbereich gelegen (Bl. 114 SG-Akte). Auch hat er weder eine Ergussbildung, noch ein Patellatanzen und auch keinen Schwellzustand im Bereich des linken Kniegelenks nachweisen können. Allerdings hat er ein retropatellares Knacken bei passiver Bewegung des linken Kniegelenkes und einen ausgeprägten Druckschmerz im Bereich des medialen und lateralen Kniegelenkspaltes sowie einen solchen bei Betastung der Kollateralbänder und einen diffusen Druckschmerz in der linken Kniekehle beschrieben. Die Überprüfung des Kniebandapparates hat eine lediglich grenzwertige Innenbandinstabilität und Stabilität der hinteren Schublade in 90° und eine leichte Innenbandinstabilität in 30° Beugung und der vorderen Schublade in 90° ergeben (Bl. 116 SG-Akte). Auch der Verwaltungsgutachter W1 hat im Rahmen seiner Begutachtung im Dezember 2015 eine seitengleiche Fußsohlenbeschwielung, lediglich eine geringe Muskelabmagerung im Bereich des linken Oberschenkels (Umfangmaße 20cm oberhalb inn. Kniegelenkspalt: rechts 66cm, links 65 cm; 10 cm oberhalb inn. Kniegelenkspalt: rechts 55cm, links 56cm) und keine Muskelverschmächtigung im Bereich des linken Unterschenkels (s.o.) objektivieren können. Er hat ebenfalls lediglich eine leichte und komplett muskulär ausgeglichene Schubladeninstabilität sowie eine mediale, muskulär nicht ganz vollständig kompensierbare Seitenbandlockerung und darüber hinaus eine - im Vergleich zur Untersuchung durch K1 knapp zwei Jahre später leicht schlechtere - Kniegelenksbeweglichkeit links von 0-5-120° beschrieben. Zwar ergibt sich aus dem Verlaufsbericht der BGU (Bl. 35 f. Senatsakte) anlässlich einer Vorstellung der Klägerin am 20.08.2019, dass die Kniegelenksbeweglichkeit - bei jedoch regelrechtem Gangbild - auf 0-0-90° eingeschränkt gewesen ist. Laut Verlaufsbericht der BGU von Juni 2020 (Bl. 58 f. Senatsakte) ist die Beweglichkeit sogar auf 5-0-75° - bei ebenfalls regelrechtem Gangbild - eingeschränkt gewesen. Jedoch hat der M3 im September 2019 und somit zwischen diesen beiden Untersuchungen wiederum eine Kniegelenksbeweglichkeit links von 0-0-130° - wenn auch unter Schmerzangabe - bei stabilen Seitenbändern und lediglich leichter Kreuzbandinstabilität beschrieben (Bl. 46 Senatsakte), so dass der Senat keine Anhaltspunkte für eine dauerhafte Verschlechterung der Beweglichkeit des linken Knies hat. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige M2 im Rahmen seiner Untersuchung im April 2021 und somit mehr als eineinhalb Jahre nach der im August 2019 seitens der Ärzte der BGU - erstmals - dokumentierten Bewegungseinschränkung keinerlei Muskelabmagerung im Bereich des linken Beines hat objektivieren können, was ebenfalls gegen eine dauerhafte Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit spricht. Der Sachverständige K1 hat die bei der Klägerin im Bereich des linken Knies ab Mitte Juli 2014 verbleibende MdE auf 10 v.H. eingeschätzt und auch W1 hat eine rentenberechtigende MdE ab demselben Zeitpunkt nicht mehr gesehen. Nach der unfallversicherungsrechtlichen Literatur (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.), die der Senat regelmäßig seinen Beurteilungen zugrunde legt, ist eine muskulär kompensierte Kniebandinstabilität mit einer MdE von 10 v.H. und muskulär nicht kompensierbare Instabilität mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten (S. 653). Darüber hinaus richtet sich die MdE-Bewertung von Kniegelenkserkrankungen grundsätzlich nach den vorliegenden Bewegungseinschränkungen (S. 685). Eine Bewegungseinschränkung von 0-0-120° führt zu einer MdE von 10 v.H., eine Beweglichkeit von 0-0-90° zu einer MdE von 15 v.H. und erst eine Bewegungseinschränkung von 0-0-80° führt zu einer rentenberechtigenden MdE von 20 v.H. Da bei der Klägerin also allenfalls eine leichte Bewegungseinschränkung und eine muskulär überwiegend kompensierbare Instabilität vorliegt, schließt sich der Senat der überzeugenden MdE-Einschätzung des Sachverständigen K1 auf 10 v.H. an. Soweit der die Klägerin behandelnde H2 im Rahmen seiner sachverständigen Zeugenauskunft gegenüber dem SG eine MdE von 50 v.H. veranschlagt hat, hat er jedoch keine Befunde mitgeteilt, die diese Einschätzung stützen könnten, und ist diese auch von den Sachverständigen nicht bestätigt worden, weshalb sich eine weitere Auseinandersetzung mit dessen Einschätzung erübrigt.

Darüber hinaus liegt bei der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet eine funktionelle Beinlähmung mit Sensibilitätsstörung links nach einer Verletzung des linken Knies vor. Dass diese Gesundheitsstörung nicht in ein gängiges Diagnosesystem eingeordnet werden kann, spielt bei der Bemessung der MdE keine entscheidende Rolle, da es hierbei lediglich auf die verbliebenen Funktionsstörungen ankommt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., 2017, S. 124). Ob diese funktionelle Beinlähmung jedoch tatsächlich auch kausal - wie u.a. vom S angenommen - auf den Arbeitsunfall oder aber vielmehr - wie von H und dem W2 angenommen - auf in der Persönlichkeit der Klägerin liegende Gründe zurückzuführen ist, kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls führt diese funktionelle Beinlähmung nicht zu einer Erhöhung der MdE. Wie bereits oben dargestellt, leidet die Klägerin an einer Kraftminderung der Fuß- und Zehenheber im Bereich des linken Fußes, die jedoch seitens des Verwaltungsgutachters H und der gerichtlichen Sachverständigen N und M2 nicht immer gleich ausgeprägt objektiviert werden konnte. Sowohl im Rahmen der Untersuchung bei H im September 2016 als auch der Untersuchung durch M2 im April 2021 ist der Klägerin der Zehen- und Fersengang - wenn auch eingeschränkt - möglich gewesen und es liegen auch - wie ebenfalls bereits oben dargestellt - keine weiteren objektiven Hinweise auf eine schmerzbedingte Minderbelastung des linken Fußes vor. M2 hat darüber hinaus das Vorliegen latenter oder manifester Paresen ausdrücklich verneint. Die Ärzte der BGU haben außerdem sowohl im August 2019 (Bl. 35 f. Senatsakte) als auch im Juni 2020 (Bl. 58 f. Senatsakte) ein regelrechtes Gangbild beschrieben. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin (a.a.O., S. 252 f.) sind vollständige Ausfälle der für die Fuß- und Zehenheberschwäche grundsätzlich verantwortlichen Nervi peroneus communis und profundus jeweils mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. Teillähmungen (Paresen) sind geringer zu bemessen. Da bei der Klägerin eine Nerven(teil)läsion gerade nicht vorliegt (s.o.), die objektivierte Kraftminderung im linken Fuß allenfalls als leichtgradig einzuschätzen ist und auch das Gangbild der Kläger nicht durch Auffälligkeiten geprägt ist, sieht der Senat auch in analoger Heranziehung dieser Bewertungsmaßstäbe keine Veranlassung, die auf orthopädischem Fachgebiet angesetzte MdE von 10 v.H. durch die funktionelle Beinlähmung zu erhöhen.

Soweit der Sachverständige N eine Anpassungsstörung mit situationsbezogenen Ängsten (ICD-10 F43.2) diagnostiziert hat, sieht der Senat bereits das Vorliegen dieser Erkrankung nicht als nachgewiesen an. Laut der ICD-10-Definition handelt es sich hierbei um Zustände von subjektiver Bedrängnis und emotionaler Beeinträchtigung, die im Allgemeinen soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung oder nach belastenden Lebensereignissen auftreten. Die Belastung kann das soziale Netz des Betroffenen beschädigt haben (wie bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnissen) oder das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder sozialer Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht). Sie kann auch in einem größeren Entwicklungsschritt oder einer Krise bestehen (wie Schulbesuch, Elternschaft, Misserfolg, Erreichen eines ersehnten Zieles und Ruhestand). Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst oder Sorge (oder eine Mischung von diesen). Außerdem kann ein Gefühl bestehen, mit den alltäglichen Gegebenheiten nicht zurechtzukommen, diese nicht vorausplanen oder fortsetzen zu können. Hervorstechendes Merkmal kann eine kurze oder längere depressive Reaktion oder eine Störung anderer Gefühle und des Sozialverhaltens sein. Im Vordergrund dieser Erkrankung stehen somit depressive Symptome, Angstzustände oder Verhaltensauffälligkeiten (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 152). Derartige Beeinträchtigungen liegen bei der Klägerin jedoch gerade nicht vor. Wie ebenfalls bereits oben ausgeführt, ist der psychische Befund der Klägerin nahezu unauffällig. Insbesondere ergeben sich auch aus ihren gegenüber den Verwaltungsgutachtern und Sachverständigen gemachten anamnestischen Angaben keine Angstzustände oder Verhaltensauffälligkeiten von Krankheitswert. Soweit sie bei N „über situative Ängste beim Autofahren“ geklagt hat (Bl. 175 SG-Akte), ist schon völlig unklar, wann und in welcher Form diese auftreten. Jedenfalls führen diese ganz offensichtlich nicht zu einem Vermeidungsverhalten, da sie diesem zudem berichtet hat, sogar ihre Eltern noch zum Arzt oder zum Friseur zu fahren (Bl. 176 SG-Akte). Überdies hat sie gegenüber dem S berichtet, dass ihr Ehemann ihr sechs Monate nach dem Unfall ein neues Motorrad geschenkt habe, sie einen „Wiedereinstiegskurs“ absolviert habe und anschließend noch sechs Monate Motorrad gefahren sei, was ihr Spaß bereitet habe. Schließlich habe sie das Motorradfahren aber aufgegeben, da sie Probleme beim Schalten gehabt habe. Auch aus diesen Angaben der Klägerin lässt sich nicht auf das Vorhandensein von krankheitswertigen Ängsten schließen, zumal S auch ausdrücklich ausgeführt hat, dass bei der Klägerin keine Symptome explorierbar seien, die auf eine Traumafolgestörung nach dem Unfallereignis hindeuteten (Bl. 198 Senatsakte). Hinzu kommt, dass eine Anpassungsstörung innerhalb eines Zeitraums von längstens drei Monaten nach dem belastenden Ereignis beginnt und selten länger als sechs Monate anhält (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 152). Vor diesem Hintergrund ist die Diagnose einer Anpassungsstörung zum Zeitpunkt der Begutachtung durch N im Mai 2018 und somit fast fünf Jahre nach dem Unfallereignis nicht nachvollziehbar.

Weitere, bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigende, Schäden - insbesondere auf neurologischem Fachgebiet (s.o.) - liegen bei der Klägerin nicht vor.

Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. auf unbestimmte Zeit über den 30.06.2015 hinaus liegen daher ebenso wenig vor, wie diejenigen zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 


 

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