S 25 KR 932/22 DS ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 932/22 DS ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 168/22 DS B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

1.    Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, die den Antragsteller betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln. 
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. 

2.    Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers. 

 
Gründe

I. 

Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die vorläufige Untersagung der Übermittlung der ihn betreffenden Daten gemäß § 303b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) und § 3 Abs. 1 Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die Datentransparenz (Datentransparenzverordnung - DaTraV) an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV Spitzenverband). 

§§ 303a ff. SGB V in der Fassung des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG) vom 9. Dezember 2019 (Bundesgesetzblatt <BGBl> I 2019, 2562) etablieren ein Datentransparenzverfahren, in dem von den Krankenkassen die in § 303b Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Daten der gesetzlich Versicherten, darunter Alter, Geschlecht, Wohnort und bestimmte Gesundheitsdaten an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Datensammelstelle (§ 303a Abs. 1 Satz 1 SGB V) übermittelt und von diesem anschließend an das Forschungsdatenzentrum nach § 303d SGB V (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte <BfArM>, § 2 Abs. 2 DaTraV) weitergegeben werden. Dieser Vorgang wird von einem Pseudonymisierungsverfahren begleitet, das maßgeblich durch die Vertrauensstelle nach § 303c SGB V (Robert Koch-Institut <RKI>, § 2 Abs. 1 DaTraV) durchgeführt wird. Dabei soll gewährleistet sein, dass die Pseudonyme kassenübergreifend eindeutig einem bestimmten Versicherten zugeordnet werden können, um basierend auf diesen Zuordnungen beispielsweise medizinische Langzeitstudien oder Längsschnittanalysen durchführen zu können. Das Forschungsdatenzentrum stellt den in § 303e Abs. 1 SGB V aufgezählten Nutzungsberechtigten auf Antrag die Datensätze grundsätzlich aggregiert und anonymisiert, gegebenenfalls aber auch pseudonymisiert oder in kleinen Fallzahlen zur Verfügung. Die Datenverarbeitung durch die Nutzungsberechtigten darf zu den in § 303e Abs. 2 SGB V bestimmten Zwecken stattfinden, wozu neben medizinischen Forschungsvorhaben auch Planung, Analyse und Evaluation der Gesundheitsversorgung im System der gesetzlichen Krankenversicherung und Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung zählen. Das Nähere regelt nach § 303a Abs. 4 SGB V die Verordnung zur Umsetzung der Vorschriften über die Datentransparenz (Datentransparenzverordnung - DaTraV) vom 19. Juni 2020 (BGBl I 2020, 1371). 

Der 1984 geborene, bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragsteller leidet an einer angeborenen schweren Blutgerinnungsstörung, einer rezidivierenden depressiven Störung und einer kombinierten Persönlichkeitsstörung. Mit Schreiben vom 1. März 2022 forderte er die Antragsgegnerin auf, von einer Übermittlung ihn betreffender personenbezogener Daten im Datentransparenzverfahren an die Datensammelstelle abzusehen. 

Die Antragsgegnerin lehnte mit Schreiben vom 8. März 2022 das Unterlassungsbegehren mit der Begründung ab, die Datenverarbeitungen im Datentransparenzverfahren beruhten auf einer hinreichenden Rechtsgrundlage. 

Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 15. März 2022 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden ist. 

Am 3. Mai 2022 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Frankfurt am Main den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, der Antragsgegnerin die Übermittlung der ihn betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für die Berichtsjahre 2019 und 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen vorläufig zu untersagen. Er ist der Ansicht, die gesetzliche Ausgestaltung des Datentransparenzverfahrens weise gravierende Mängel bezüglich der IT-Sicherheit der sensiblen Gesundheitsdaten auf und verletze daher sowohl Verfassungsrecht als auch Unionsrecht. Der Antragsteller befürchtet, trotz Pseudonymisierung aus den Datensätzen reidentifiziert werden zu können. Der Anordnungsgrund für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung folge daraus, dass die jederzeit und spätestens zum 1. Oktober 2022 drohende Datenübermittlung einen für sich genommen nicht reversiblen Eingriff in die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 7 und Art. 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) bewirken würde. Zudem drohten aufgrund einer Übermittlung weitere nachteilige Folgen, die sich gleichfalls in vielen Fällen nicht mehr rückgängig machen ließen. 

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine einstweilige Anordnung nicht vorliegen, da ein Anordnungsgrund nicht gegeben sei. Über den Widerspruch des Antragstellers werde der Widerspruchsausschuss zeitnah entscheiden. Nach den der Antragsgegnerin vorliegenden Informationen seien derzeit die technischen Bedingungen der Datenlieferung nicht abschließend geklärt. Frühestens bis zum Jahresende 2022 sei mit einer Lieferung der Daten entsprechend § 303b Abs. 3 SGB V zu rechnen. 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin. 


II. 

1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, soweit der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf vorläufige Untersagung der Übermittlung der ihn betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2019 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen begehrt. Die Übermittlung von Daten für 2019 ist gesetzlich nicht angeordnet und von der Antragsgegnerin nicht beabsichtigt. Nach § 3 Abs. 2 DaTraV erfolgt die Datenübermittlung erstmals für das Berichtsjahr 2021 zum 1. Oktober 2022. 

2. Hinsichtlich der Übermittlung der den Antragsteller betreffenden Daten gemäß § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV für das Berichtsjahr 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen ist der zulässige Antrag begründet, denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. 

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Vorliegend richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Sicherungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG. Eine solche Sicherungsanordnung verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der summarischen Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - BVerfGK 5, 237, 242). Ein Anordnungsanspruch ist dabei gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch des Antragstellers mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. 

Droht dem Antragsteller ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in dem Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden kann, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Hierbei ist dem Gewicht der infrage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Hieraus ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz. Hinsichtlich des fachgerichtlich begründeten Erfordernisses der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs bedeutet dies, dass die Anforderungen an dessen Vorliegen, gemessen an der drohenden Rechtsverletzung, nicht überspannt werden dürfen (vgl. Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 -, Juris, Rdnr. 11; entsprechend zum Anordnungsgrund BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 – 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1, 15; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. September 2016 - 1 BvR 1630/16 -, Juris, Rdnr. 9). 

Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat die Entscheidung über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dann auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - BVerfGK 5, 237, 242; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2013 - 1 BvR 2366/12 -, BVerfGK 20, 196-199, Rdnr. 2 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. Juni 2018 - 1 BvR 733/18 -, Juris, Rdnr. 3 f.; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 –, Juris, Rdnr. 15). 

Nach diesen Maßstäben war dem Antragsbegehren auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur vorläufigen Untersagung der Übermittlung der ihn betreffenden, in § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV bezeichneten Daten für das Berichtsjahr 2021 an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen stattzugeben. 

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Auf seine umfangreichen Ausführungen in der Antragsschrift (Blatt 1 bis 65 der Gerichtsakte) wird zur Vermeidung von Schreibarbeiten Bezug genommen. Das Datentransparenzverfahren nach §§ 303a ff. SGB V in Verbindung mit der Datentransparenzverordnung wirft komplexe datenschutzrechtliche und grundrechtliche Fragen auf, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend entschieden werden können. Das Bundesverfassungsgericht führt in seiner Entscheidung vom 19. März 2020 (1 BvQ 1/20 – Juris, Rdnr. 8) hierzu aus: 

„Eine gegebenenfalls noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Der Antragsteller bringt gewichtige Bedenken gegen die streitgegenständlichen Vorschriften vor. Darüber hinaus waren diese bereits im Gesetzgebungsverfahren umstritten; die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Vorschriften wurde unter den Aspekten des Reidentifikationsrisikos, der Datensicherheit insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit einer Verschlüsselung der Daten statt einer Anonymisierung oder Pseudonymisierung und des Selbstbestimmungsrechts der gesetzlich Versicherten über ihre Daten diskutiert sowie mit Blick auf den sensiblen Charakter der genutzten Daten auch in Teilen bezweifelt (vgl. BRDrucks 360/19 [Beschluss], S. 9; BT-Plenarprotokoll 19/116, S. 14291B, C, D; BT-Plenarprotokoll 19/124, S. 15366A, B, 15368C, D, S. 15369B, C; siehe auch BT-Ausschussprotokoll 19/63, S. 17 ff.). Auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hatte im Gesetzgebungsverfahren in einer Stellungnahme vom 23. Oktober 2019 Bedenken geäußert. In einem gegebenenfalls durchzuführenden Hauptsacheverfahren würden sich komplexe Fragen der verfassungsrechtlichen Datenschutzdogmatik stellen, insbesondere die Frage, ob die vom Gesetzgeber mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz verfolgten Zwecke auch durch eine in Umfang, Erhebungs- oder Verarbeitungsmodalitäten begrenzte Datennutzung (zum Beispiel durch verpflichtend einzuholende Einwilligungen oder weiter als bisher reichende Widerspruchsmöglichkeiten der Versicherten) im Ergebnis ohne nennenswerte Abstriche hinsichtlich Repräsentativität und Qualität des Datenmaterials erreicht werden könnten. Diese Fragen bedürfen näherer Aufklärung und können angemessen nicht in der für das Eilverfahren gebotenen Kürze der Zeit behandelt werden. Hierbei wird besonderes Augenmerk auf die Aspekte der Anonymisierung und Pseudonymisierung sowie auf die Vorkehrungen zur IT-Datensicherheit und auf die institutionelle Ausgestaltung der datenverarbeitenden Stellen zu richten sein. Für ein gegebenenfalls durchzuführendes Hauptsacheverfahren ist davon auszugehen, dass der Vortrag insoweit weiter ausgebaut und substantiiert wird.“

Weitere datenschutzrechtliche Fragen der Übermittlung und Verarbeitung der hochsensiblen Gesundheitsdaten der Versicherten sind – soweit ersichtlich – ebenfalls noch nicht abschließend geklärt. Beispielhaft ist anzuführen, dass nach den Regelungen der §§ 303a ff. SGB V und der DaTraV die Abrechnungsdaten der Krankenkassen pseudonymisiert im Forschungsdatenzentrum (FDZ) beim BfArM zusammenlaufen, wo sie unter anderem zu Forschungszwecken genutzt werden können. Bedenklich erscheint, dass die Datenbank mit hochsensiblen Daten auf das BfArM übertragen wurde (§ 2 Abs. 2 DaTraV), das nach § 303e Abs. 1 Nr. 16 SGB V selbst Nutzungsberechtigter der Datenbank ist und nach § 303e Abs. 3 SGB V nur über einen Antrag Zugang zu den sensiblen Gesundheitsdaten erhält, den es nun selbst zu prüfen hat. Ein Schwerpunkt zu regelnder Datenschutzvorkehrungen ist die sachgerechte Bildung des sogenannten periodenübergreifenden Pseudonyms (PüP). Dieses PüP wird von der Vertrauensstelle gebildet und dient zur Zuordnung der Krankenkassendaten über Jahre hinweg. Zudem können nach den Regelungen aus dem Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur (Patientendaten-Schutz-Gesetz - PDSG) vom 14. Oktober 2020 (BGBl I 2020, 2115) ab dem Jahr 2023 Daten aus der elektronischen Patientenakte (ePA) für das Forschungsdatenzentrum freigegeben werden (§ 363 Abs. 1 bis 7 SGB V). Für diese Daten aus der ePA muss ein Verfahren entwickelt werden, welches eine Zuordnung zum gleichen periodenübergreifenden Pseudonym sicherstellt. Für die Erzeugung des Übermittlungs-Pseudonyms soll ein asymmetrisches kryptografisches Verfahren eingesetzt werden. Bezüglich der Daten aus der ePA verwendet das Verfahren einen Public Key des RKI, der in der ePA-App liegt, und eine Arbeitsnummer, um die Daten zunächst verschlüsselt an die Vertrauensstelle zu leiten. Für die Freigabe aus der ePA ist zudem festzulegen, wo die Einwilligung dokumentiert und die Freigabe auch dem Umfang nach protokolliert wird. Zudem ist sicherzustellen, dass im Falle des Widerrufs der Einwilligung die Daten unverzüglich gelöscht werden. 

Aus den vorstehend skizzierten Gründen ist es nach in einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausreichender summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage offen, ob die Klage in einem Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird. Ein Obsiegen des Antragstellers ist ebenso wahrscheinlich wie eine Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Datenübermittlung durch die Antragsgegnerin an den GKV- Spitzenverband. Da der erkennenden Kammer eine eingehende und umfassende rechtliche Bewertung des Datentransparenzverfahrens im Eilverfahren nicht möglich ist, entscheidet sie anhand einer Folgenabwägung. Die Nachteile, die sich für den Antragsteller ergeben, wenn dem Antrag nicht stattgegeben wird, er aber in einem Hauptsacheverfahren obsiegt, überwiegen bei Weitem die Nachteile, die der Antragsgegnerin drohen, wenn dem Antrag stattgegeben wird und die Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren obsiegt. Im Rahmen der Interessenabwägung ist dem Schutz der Grundrechte des Antragstellers ein überragendes Gewicht beizumessen. In den durch §§ 303a ff. SGB V vorgesehenen Datenverarbeitungs- und -übermittlungsmaßnahmen liegt vor allem in Anbetracht des teils sensiblen und in hohem Maße persönlichkeitsrelevanten Charakters der genutzten Daten und der dabei breitflächigen Erhebung ein erheblicher Grundrechtseingriff. Verstärkt wird dieser Effekt durch die beträchtliche Menge an Daten, die erhoben, übermittelt, ausgewertet und anderweitig weiterverarbeitet werden dürfen. Insofern ist darauf zu verweisen, dass auch einzelne Daten mit scheinbar gering ausgeprägter Persönlichkeitsrelevanz in der Zusammenschau mit anderen Daten einen intensiven Persönlichkeitsbezug entfalten können (BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 19. März 2020 – 1 BvQ 1/20 – Rdnr. 13, Juris). Würde die begehrte einstweilige Anordnung nicht erlassen, wäre der eingetretene Nachteil des Antragstellers bei einem Obsiegen in einem Hauptsacheverfahren im Hinblick auf seine zu Unrecht erhobenen und gespeicherten Daten nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßigen Aufwand reversibel. Nach dem Vorbringen des Antragstellers, dem die Antragsgegnerin nicht entgegengetreten ist, erscheint jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden trotz der gesetzlich angeordneten Pseudonymisierung ein Personenbezug zu dem Versicherten durch die Daten verarbeitenden Stellen nicht rechtssicher ausgeschlossen zu sein. Der Antragsteller leidet an einer seltenen Erkrankung (schwere Blutgerinnungsstörung) in Kombination mit psychischen Erkrankungen. 

Auch ein Anordnungsgrund wird von der Kammer bejaht. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Sicherungsanordnung vor, wenn eine Regelung entsprechend § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG zur Abwendung der Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes nötig erscheint. Es müssen Tatsachen vorliegen, die auf eine unmittelbar bevorstehende Veränderung schließen lassen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rdnr. 27a). Sicherungsanordnungen dienen der Sicherung eines bestehenden Zustandes; das Gericht trifft demgemäß nur bestandsschützende Maßnahmen. 

Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Eilbedürftigkeit liegt hier vor. Die Antragsgegnerin ist verpflichtet, die den Antragsteller betreffenden Daten gemäß § 303b Abs. 1 SGB V und § 3 Abs. 1 DaTraV für das Berichtsjahr 2021 spätestens zum 1. Oktober 2022 (§ 3 Abs. 2 DaTraV) an den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu übermitteln; eine frühere Datenübermittlung ist somit zulässig und jederzeit möglich. Mangels Kenntnis des Zeitpunktes der Datenübermittlung und angesichts einer nicht normierten Informationspflicht der Krankenkasse hat der Antragsteller auch keine andere Möglichkeit, rechtzeitig Rechtsschutz zu erhalten. Dem Antragsteller ist es damit nicht zuzumuten, die Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten, ohne dass ihm ein nicht wiedergutzumachender, erheblicher Grundrechtseingriff droht. 

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG
 

Rechtskraft
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