L 10 SF 1848/21 E-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SF 716/21 E
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 SF 1848/21 E-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Eine Einigungsgebühr des nach dem Recht der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts entsteht nicht, wenn ein zwischen den Beteiligten unter Mitwirkung des Rechtsanwalts geschlossener (widerruflicher) Vergleich widerrufen wird. Einigen sich die Beteiligten später ohne (erneute) Mitwirkung des Rechtsanwalts dann doch vergleichsweise, ist eine gebührenbegründende Fortwirkung der anwaltlichen Mitwirkung auf der Grundlage des (zunächst) widerrufenen Vergleichs jedenfalls dann zu verneinen, wenn die nach dem Widerruf getroffene Einigung ohne Beteiligung des Anwalts nicht „im Kern“ bzw. „im Großen und Ganzen“ der widerrufenen Einigung entspricht.

Die Beschwerde des Erinnerungsführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 25.05.2021 (S 1 SF 716/21 E) wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.




Gründe

Über die Beschwerde entscheidet der Berichterstatter des allein für Kostensachen zuständigen 10. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg als Einzelrichter ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 155 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 und 3 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes - RVG -), nachdem die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung hat.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Erinnerungsführers ist unbegründet. Das Sozialgericht Konstanz (SG) hat die Erinnerung gegen die Vergütungsfestsetzungsverfügung der Kostenbeamtin vom 17.03.2021 mit Beschluss vom 25.05.2021 jedenfalls im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Erinnerungsführer hat keinen Anspruch auf eine höhere Vergütung aus der Staatskasse für seine Tätigkeit als nach dem Recht der Prozesskostenhilfe (PKH) vom SG als Terminsvertreter in Untervollmacht der Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Klageverfahren S 1 KR 271/18 zur Wahrnehmung der mündlichen Verhandlung am 18.06.2020 beigeordneter (Beschluss des SG vom 17.06.2020, Bl. 98 SG-Akte S 1 KR 271/18) Rechtsanwalt. Mehr als die festgesetzten 535,50 € (= 892,50 € gemäß Antrag abzgl. der hier allein streitigen Einigungsgebühr i.V.m. 300,00 € nebst entsprechendem Umsatzsteueranteil) kann der Erinnerungsführer nicht von der Staatskasse verlangen.

Selbst wenn zu Gunsten des Erinnerungsführers davon ausgegangen wird, dass er am Zustandekommen des Vergleichs in der mündlichen Verhandlung am 18.06.2020, der auf einem Vorschlag des Gerichts beruhte, „mitgewirkt“ hat, kommt dem für die Entstehung der Einigungsgebühr (Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Nrn. 1005, 1006 des Vergütungsverzeichnisses - VV - der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) hier keine Bedeutung zu, weil dieser Vergleich von der seinerzeitigen Beklagten entsprechend dem Widerrufsvorbehalt (Nr. 4 des Vergleichs) widerrufen wurde. Nach Nr. 1000 Abs. 3 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann, wenn bei einem Widerrufsvorbehalt der (Einigungs-)Vertrag nicht mehr widerrufen werden kann. Vorliegend übte die Beklagte des Hauptsacheverfahrens aber gerade ihr Widerrufsrecht aus, sodass die Einigungsgebühr auf der Grundlage des Vergleichs(vorschlags) vom 18.06.2020 gerade nicht entstand, was das SG in den Gründen der angefochtenen Entscheidung zutreffend dargelegt hat (vgl. auch Senatsbeschluss vom 30.04.2020, L 10 SF 3795/18 E-B). Dem entsprechend spielt es auch schon keine Rolle, dass der Erinnerungsführer - auch dies zu seinen Gunsten als zutreffend unterstellt - in seinem Terminsbericht gegenüber den Prozessbevollmächtigten des Klägers empfahl, den Vergleich von Klägerseite nicht zu widerrufen.

Dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers später den „modifizierten“ Vergleichsvorschlag der Beklagten (Schriftsatz vom 02.12.2020, Bl. 115 Rs. SG-Akte S 1 KR 271/18) nach Rücksprache mit dem Kläger annahmen (Schriftsatz vom 05.01.2021, Bl. 118 SG-Akte S 1 KR 271/18), führt ebenfalls nicht dazu, dass zu Gunsten des Erinnerungsführers eine Einigungsgebühr entstanden ist. Dass der Erinnerungsführer unmittelbar an dieser, der mündlichen Verhandlung nachfolgenden Einigung mitwirkte, hat er selbst nicht einmal behauptet; unabhängig davon wäre eine entsprechende Tätigkeit im Nachgang zur mündlichen Verhandlung am 18.06.2020 auch schon nicht mehr von der gerichtlichen Beiordnung umfasst, die allein auf die Terminswahrnehmung in der mündlichen Verhandlung beschränkt war (vgl. § 48 Abs. 1 RVG).

Soweit in Rechtsprechung und Literatur angenommen wird, eine (Mit-)Ursächlichkeit der Tätigkeit eines (Termins-)Anwalts an einer Einigung sei auch dann noch gegeben, wenn die Beteiligten nach einer widerruflich abgeschlossenen und sodann widerrufenen Einigung eine nicht wesentlich abweichende Einigung mit nur geringfügigen Änderungen treffen (so etwa Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 25. Aufl. 2021, RVG VV 1000 Rdnrn. 275 ff. m.w.N.) - mit der Konsequenz, dass der (Termins-)Anwalt dann eine Einigungsgebühr beanspruchen kann (und zusätzlich ggf. auch der Hauptbevollmächtigte, vgl. dazu Bundesgerichtshof - BGH -, Beschluss vom 26.02.2014, XII ZB 499/11, in juris, Rdnr. 14) -, kann der Senat vorliegend offenlassen, ob dem in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann (vgl. etwa auch Schütz in Riedel/Sußbauer, RVG, RVG VV 1000 Rdnr. 72 m.w.N.) und ob dies namentlich auch dann gilt, wenn die nachwiderrufliche Einigung außerhalb der gerichtlich beschränkten Beiordnung des (Termins-)Anwalts erfolgt. Denn jedenfalls kann vorliegend entgegen der Annahme des Erinnerungsführers - und auch entgegen dem SG - nicht davon gesprochen werden, die nach dem Widerruf getroffene Einigung (ohne Beteiligung des Erinnerungsführers, s.o.) entspreche „im Kern“ bzw. „im Großen und Ganzen“ (so etwa Oberlandesgericht - OLG - München, Urteil vom 02.10.1996, 21 U 3394/96, NJW 1997, S. 1313, 1315; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, a.a.O., Rdnr. 275) der (widerrufenen) Einigung in der mündlichen Verhandlung. Der später geschlossene Vergleich entspricht vielmehr in wesentlichen Punkten gerade nicht dem widerrufenen Vergleich. Dabei geht es nicht zuvörderst darum, dass die spätere Einigung einen vom Kläger zu zahlenden Betrag i.H.v. 1.347,23 € beinhaltete (gegenüber einem Betrag von 1.262,28 € im widerrufenen Vergleich), sondern vielmehr darum, dass im widerrufenen Vergleich noch eine Einigung der Beteiligten hinsichtlich der Beendigung der sog. Auffangversicherung am 27.07.2013 enthalten war (Nr. 1 des Vergleichs vom 18.06.2020) - und damit der Wegfall der entsprechenden Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen Pflegeversicherung -, die in dem später geschlossenen Vergleich nicht mehr enthalten war. Dabei handelte es sich um eine materiell-rechtliche, das Versicherungsverhältnis respektive den Sozialversicherungsstatus des Klägers betreffende Regelung, die von der Beitragsforderung (nebst Zuschlägen und Gebühren) zu unterscheiden ist. Darüber hinaus enthielt der (spätere) Vergleich auch eine - im widerrufenen Vergleich nicht enthaltene - sofortige Fälligkeitsabrede hinsichtlich des gesamten Schuldbetrags „nebst weiter anfallender Säumniszuschläge“ für den Fall nicht fristgerechter Zahlung der vereinbarten Summe. Außerdem war dem Kläger im (widerrufenen) Vergleich vom 18.06.2020 noch eine Zahlungsfrist von rund viereinhalb Monaten (bezogen auf den Tag des Abschlusses am 18.06.2020) eingeräumt worden, im später geschlossenen Vergleich hingegen nur noch eine von nicht einmal zwei Monaten (bezogen auf den Tag des Abschlusses am 05.01.2021).

Unter Zugrundelegung all dessen handelt es sich bei der späteren Einigung mitnichten „im Kern“ bzw. „im Großen und Ganzen“ um die Einigung, an der der Erinnerungsführer (zu seinen Gunsten unterstellt) am 18.06.2020 als Terminsvertreter mitwirkte, sie unterscheidet sich vielmehr in wesentlichen und nicht nur geringfügigen Punkten.

Die Gebührenfreiheit des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG; die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Satz 3 RVG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).


 

Rechtskraft
Aus
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