L 12 BA 29/19

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Oldenburg (NSB)
Aktenzeichen
S 81 R 22/17
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 BA 29/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 20.11.2019 und der Bescheid der Beklagten vom 23.5.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2016 aufgehoben, soweit die Beklagte festgestellt hat, dass der Beigeladene zu 1. vom 1.6.2011 bis zum 31.12.2014 und der Beigeladene zu 4. vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2014 durchgehend in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und der Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung unterlegen haben.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu drei Vierteln und die Beklagte zu einem Viertel. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin vollständig. Ausgenommen sind die Kosten der Beigeladenen aus beiden Instanzen, die nicht zu erstatten sind.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren endgültig auf 142.057,07 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die Klägerin führte gewerbliche Hubschraubertransporte durch, insbesondere sog. Sekundärtransporte, d.h. die Verbringung von Patienten von einer Klinik in eine andere. Sie besaß Niederlassungen bzw. Stationen in K. (Niedersachsen), L. und M. (beide Mecklenburg-Vorpommern). Für die Flüge setzte sie verschiedene Piloten ein, u.a. die Beigeladenen zu 1. und 4., die von M. aus flogen. Nach einer sog. „Freelance-Vereinbarung“ zwischen ihr und dem Beigeladenen zu 4. vom 1.3.2005 stand ihr dieser ab März 2005 „als freier Mitarbeiter (Pilot) für Flugdienste zur Verfügung“. Weiter hieß es dort, seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten ergäben sich aus dem „JAR-OPS 3 Betriebshandbuch in der jeweils gültigen Fassung“. Er sei an keine regelmäßige Arbeitszeit gebunden, gewährleiste aber die rechtzeitige und fristgerechte Erledigung der beauftragen Arbeiten an den Diensttagen. Dienstzeiten würden monatlich im Voraus bzw. kurzfristig entsprechend den Erfordernissen festgelegt. Die Vergütungen würden separat geregelt. Im Rahmen seiner Tätigkeit sei er vom Be- bis zum Entsteigen des Hubschraubers i.H.v. 52.000,00 Euro für den Todesfall und i.H.v. 104.000,00 Euro für den Invaliditätsfall versichert. Eine entsprechende „Freelance-Vereinbarung“ vom 1.6.2011 bestand zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1. für den Zeitraum ab Juni 2011.

Im „EU-OPS Betriebshandbuch – Anhang 3 – Verfahrensanweisung zur 2. DVO LuftBO“ bestimmte die Klägerin, dass ihre Stationen von Rettungsassistenten besetzt würden. Diese würden nach der Beauftragung für einen Ambulanzflug durch eine Leitstelle oder ein Krankenhaus die Piloten alarmieren. Für Letztere seien keine täglichen Dienstzeiten festgelegt. Ihre Aufgaben umfassten lediglich die sichere Durchführung der angenommenen Flüge und die dazugehörigen Verpflichtungen. Für sie stünden Pilotenwohnungen zur Verfügung. Zusätzlich sei jede Station mit einem Ruheraum ausgestattet. Die Arbeitszeit beginne mit der Fahrt zur Station und ende mit deren Verlassen. Halte sich der Pilot aus dienstlichen Gründen auf der Station auf, sei die Bereitschaftszeit als Arbeitszeit anzurechnen. Die Aufgabe der Piloten nach Alarmierung bestehe mindestens aus dem Klarmachen des Hubschraubers nach der Klarliste, dem Einholen der Wetterberatung, der Flugplanung, der Erstellung eines Flugdurchführungsplanes bei Bedarf, der Prüfung der Kraftstoffmenge, gegebenenfalls der Betankung, der Meldung des Fluges an die Zentrale, der Durchführung des Fluges, der Meldung während und nach der Flugdurchführung bei der Zentrale, der Nachflugkontrolle mit einer umfassenden täglichen Kontrolle nach Klarliste sowie den Abschlussarbeiten (Ausfüllen des Bordbuches und der Patientenbegleitpapiere, Nachbesprechung des Fluges mit begleitendem Notarzt und Assistenten sowie gegebenenfalls Reinigung und Desinfektion des Hubschraubers).

Vom 4.5.2015 bis zum 25.2.2016 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für die Jahre 2011 bis 2014 durch. Unter dem 14.9.2015 gab der Beigeladene zu 4. an, unter seiner Privatanschrift eine Betriebsstätte unterhalten zu haben. Die Arbeiten für die Klägerin habe er dort ausgeführt, Flüge und Bereitschaften allerdings an deren Standorten. Für Schäden am „Flugzeug“ oder eine nicht sachgerechte Ausführung eines Fluges sei er nie in Haftung genommen worden. Es habe keine festgelegten Arbeitszeiten gegeben. „Nach Absprache“ sei seine „periodische Erreichbarkeit“ bzw. Bereitschaft zur Durchführung von Flügen sicherzustellen gewesen. Die Klägerin habe ihm keine Weisungen erteilt. Er habe jedoch ihr Betriebshandbuch beachten müssen. Zeiten der Bereitschaft habe er frei festlegen, Aufträge jederzeit ablehnen können. Die Abrechnung sei nach „Anwesenheit/Bereitschaft“ erfolgt. Die Einsatzpauschalen seien „dem Markt entsprechend frei kalkuliert“ worden. Er habe eigene Rechnungen erstellt. Die Aufzeichnungen über Dienst-, Flugdienst-, Block- und Ruhezeiten hätten gemäß Vorgabe des Luftfahrt-Bundesamts (LBA) bei einem Unternehmen geführt werden müssen, hier also der Klägerin. Als von ihm eingesetztes Kapital nannte er seinen Pkw, seine Büroausstattung, seinen PC sowie Gebühren für Untersuchungen, Lizenzen und sonstige Nachweise. In einer Anlage führte er seine weiteren Tätigkeiten für die eigene Firma und andere Auftraggeber auf. Außerdem fügte er zwei Gewerbe-Ummeldungen vom 22.2.2005 und vom 5.12.2006 bei, laut denen er u.a. eine Tätigkeit als selbständiger Hubschrauberpilot ausgeübt habe.

Der Beigeladene zu 1. teilte der Beklagten unter dem 19.9.2015 mit, er habe sich nach einer Beschäftigung als Pilot im Frühjahr 2011 im Rahmen einer von der Arbeitsagentur geförderten Existenzgründung selbständig gemacht. Zunächst sei er unter der Firma „N.“, seit 2015 unter der Firma „O.“ tätig gewesen. Die Anschriften der Firmen seien mit seiner privaten identisch gewesen. Neben der Klägerin nannte er zwei weitere Auftraggeber. Die Arbeiten für die Klägerin habe er an deren Standorten ausgeführt. Für Schäden am „Flugzeug“ oder eine nicht sachgerechte Ausführung eines Fluges sei er nie in Haftung genommen worden. Die Arbeitszeiten seien „flexibel, nach Bedarf und Absprache“ gewesen. Auf die Frage nach Weisungen der Klägerin verwies er auf deren Betriebshandbuch. Er habe selbst entschieden, ob er Aufträge durchführe. Er habe eine eigene Kalkulation der Tages-/Einsatzpauschalen vorgenommen und Rechnungen erstellt. Es sei nach Arbeitstagen abgerechnet worden. Die Aufzeichnungen über Dienst-, Flugdienst-, Block- und Ruhezeiten seien von der Klägerin geführt worden; üblicherweise werde ein Auftraggeber durch das LBA bestimmt. Als von ihm eingesetztes Kapital nannte er sein Büro, Aufwendungen zur Aufrechterhaltung der Lizenzen sowie seinen Pkw.

In einem verwaltungsinternen Vermerk vom 19.1.2016 heißt es, der Beigeladene zu 1. habe im ersten Halbjahr 2012 laut Finanzbuchhaltung für 88 Flugtage ein Entgelt i.H.v. 22.000,00 € erhalten. Aus der Einsatzstatistik gingen aber nur 21 Einsatztage hervor. Er habe also für weitere 67 Flugtage Entgelt bekommen, an denen er etwas Anderes gemacht oder Bereitschaft gehabt haben müsse. Es sei deshalb nicht nachvollziehbar, dass es keine Einsatzpläne gegeben haben solle. In einem Gespräch am 19.11.2015 habe der damalige Geschäftsführer der Klägerin P. geschildert, Ambulanzflüge müssten innerhalb von zwei Stunden beginnen. Bei einer Anfrage kontaktiere der Rettungsassistent nacheinander die zur Verfügung stehenden Piloten, da es keine festen Dienstpläne gebe. Die Piloten würden sich nur untereinander absprechen. Derjenige, der sich bereithalte, würde sich in der Nähe aufhalten. Die Rechnungen habe der Geschäftsführer nach seinen Angaben nicht kontrolliert. Im Zweifel habe er die Einsatzstatistik zugrunde legen können. Die Vergütung betrage je Einsatztag 250 €. Bereitschaftstage gäbe es „ja so in der Form“ nicht. Eine Bezahlung erfolge nur für die tatsächlich geleistete Arbeit. Weiter heißt es im Vermerk, aus der Einsatzstatistik und dem Konto Fremdleistungen habe nachvollzogen werden können, dass es sehr wohl Bereitschaftstage und Absprachen gegeben haben müsse. So habe der Beigeladene zu 4. z.B. im Januar 2012 zwei Flugeinsätze an zwei Tagen durchgeführt, aber 15 Flugtage mit insgesamt 3.750 € in Rechnung gestellt.

Mit Anhörungsschreiben vom 2.3.2016 teilte die Beklagte der Klägerin ihre Absicht mit, Nachforderungen zur Sozialversicherung i.H.v. 195.011,66 € (einschl. Säumniszuschlägen i.H.v. 51.764,50 €) zu erheben. Die Beigeladenen zu 1. und 4. seien von Juni bzw. Januar 2011 bis Dezember 2014 sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Gewerbliche Luftfahrzeugbetreiber müssten ein Luftverkehrsbetreiberzeugnis besitzen. Ein solches besäßen die Klägerin, nicht aber die Beigeladenen zu 1. und 4. Nach der Zweiten Durchführungsverordnung zur Betriebsordnung für Luftfahrtgerät (2. DV LuftBO) habe der Arbeitgeber Dienst-, Flugdienst-, Block- und Ruhezeiten der Besatzungsmitglieder aufzuzeichnen. Die komplette Organisation, d.h. die Frage, wann welcher Flug von welchem Flughafen zu welchem Zielort und zu welchem Preis gehe, einschließlich Rechnungslegung und Realisieren der Forderung, werde von der Klägerin erledigt. Diese trage auch die Kosten für Flugbenzin, Gebühren usw. Keiner der Piloten besitze einen eigenen Hubschrauber. Wenn der Auftrag eines Kunden feststehe, stelle der Rettungsassistent die Besatzung zusammen. Dabei bediene er sich des Pools der angeblich freiberuflichen Piloten. Der Beigeladene zu 4. habe zusätzlich eine Pauschale i.H.v. 450,00 €/Monat für die Boden- und Betriebsleitung erhalten. Über die Sicherstellung der Flugdurchführung innerhalb von zwei Stunden habe die Klägerin keine vernünftige Aussage getätigt. So wohne der Beigeladene zu 4. in Salzkotten und habe Anfahrtszeiten zu den Niederlassungen von knapp zwei Stunden und mehr. Es müsse also Bereitschaftszeiten gegeben haben. Das gehe auch aus der Einsatzstatistik und dem Konto Fremdleistungen hervor. Dass sich die Piloten untereinander abgesprochen hätten, sei kein Indiz für eine Selbständigkeit. Des Weiteren hätten sie der Kontrollmöglichkeit der Klägerin unterlegen, da diese jederzeit die Flugstatistik mit den abgewickelten Aufträgen habe vergleichen können. Denn die Unterlagen über Dienst-, Flugdienst-, Block- und Ruhezeiten seien bei ihr vorzuhalten gewesen. Die Beigeladenen zu 1. und 4. hätten auch kein Unternehmerrisiko getragen. Die Entlohnung sei nach festen Stunden- bzw. Tagessätzen, nicht nach dem jeweiligen Gewerk erfolgt. Für zwei geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer würden zudem Pauschalbeträge zur Krankenversicherung nacherhoben. Auf die nachgeforderten Beiträge seien Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) zu erheben.

Unter dem 13.4.2016 antwortete die Klägerin, sie habe auf einen Pool von acht bis neun freiberuflichen Piloten zurückgreifen können. Diejenigen, die nach den internen Absprachen bestimmte „Dienstzeiten“ übernommen hätten, hätten ihre Anwesenheit innerhalb der notwendigen Zeitfenster sicherstellen müssen. Sie habe den Beigeladenen 1. und 4. keine personenbezogenen Weisungen erteilt. Diese hätten zudem nicht nur einen Zuerwerb erzielen, sondern auch die notwendigen Flüge zur Aufrechterhaltung ihrer Fluglizenzen generieren wollen. Im Übrigen hätten sie Unternehmerversicherungen bei der Berufsgenossenschaft unterhalten.

Mit Schreiben vom 18.5.2016 teilte die Beklagte den Beigeladenen zu 1. und 4. jeweils mit, dass diese seit Juni bzw. Januar 2011 als Hubschrauberpiloten versicherungspflichtig zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gewesen seien. Die Beiträge würden von der Klägerin nachgefordert. Mit Bescheid 23.5.2016 machte sie gegenüber Letzterer die angekündigte Nachforderung geltend und stellte fest, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. von Juni bzw. Januar 2011 bis Dezember 2014 sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen seien. Sie wiederholte im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Anhörungsschreiben und betonte, auch nach dem Vortrag der Klägerin hätten die Piloten nach internen Absprachen bestimmte Dienstzeiten übernommen. Die Situation stelle sich anders dar als im „Freelancer“-Urteil des BSG vom 28.5.2008. Dort habe das Unternehmen Vollzeitpiloten beschäftigt und lediglich in Spitzenzeiten auf „Freelancer“ zurückgegriffen. Für die Beigeladenen zu 1. und 4. habe Versicherungspflicht in allen Zeiten der Sozialversicherung bestanden. Daneben seien für zwei Arbeitnehmer Pauschalbeiträge zur Krankenversicherung (1.190.09 €) und auf sämtliche nachzufordernden Beiträge Säumniszuschläge zu erheben.

Am 31.5.2016 erhob die Klägerin Widerspruch und beantragte die Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Sie hielt es für entscheidend, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. nicht weisungsabhängig und nicht in die betrieblichen Abläufe eingegliedert gewesen seien. Ferner seien sie nicht verpflichtet gewesen, Aufträge anzunehmen. Mit Bescheid vom 23.6.2016 lehnte die Beklagte die Aussetzung der Vollziehung ab, mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2016 wies sie den Widerspruch zurück. Sie vertrat weiterhin die Auffassung, die Beigeladenen zu 1. und 4. seien abhängig beschäftigt gewesen.

Am 2.1.2017 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Am 19.1.2017 hat sie Klage erhoben. Das SG hat im Klageverfahren die Beigeladenen zu 1. und 4. sowie deren Kranken- und Pflegeversicherungsträger und die Bundesagentur für Arbeit beigeladen.

Mit Beschluss vom 23.1.2017 hat das SG den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt. Auf die Beschwerde der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 13.4.2017 die aufschiebende Wirkung angeordnet. Er hat ausgeführt, feste Arbeitszeiten oder Weisungen seien nicht vorgesehen gewesen. Die Ausführungen der Beklagten zum Bestehen von Bereitschaftszeiten widersprächen den Angaben der Klägerin sowie der Beigeladenen zu 1. und 4. Es bestünden ernsthafte Zweifel, dass diese in deren Betrieb eingegliedert gewesen seien. Nach den glaubhaften Ausführungen sei es ihnen jeweils möglich gewesen, angebotene Aufträge abzulehnen. Dies unterscheide sie von angestellten Piloten. Ein Weisungsrecht der Klägerin ergebe sich weder aus den Vereinbarungen noch aus der tatsächlich gelebten Beziehung. Gegebenenfalls sei der Sachverhalt durch die Vernehmung eines Rettungsassistenten als Zeugen ergänzend aufzuklären.

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, die Piloten seien nicht verpflichtet gewesen, sich in den Betriebsräumen aufzuhalten. Auch seien deren Einsätze nicht einseitig durch von ihr aufgestellte Dienstpläne geregelt worden. Vielmehr hätten sie sich selbst organisiert und untereinander abgesprochen, wer in welchem Zeitraum die Flüge übernehme. Die Beigeladenen zu 1. und 4. hätten zudem Existenzgründungszuschüsse erhalten.

In der mündlichen Verhandlung am 20.11.2019 hat das SG den früheren Geschäftsführer P., den aktuellen Geschäftsführer Q. sowie den Beigeladenen zu 4. angehört. Ersterer hat angegeben, die Klägerin habe je Station zwei Piloten und zusätzlich einen Springerpiloten eingesetzt. Der Rettungsassistent habe gewusst, welcher Pilot Bereitschaft habe. Er habe zu diesem im Kontakt gestanden und das entweder am Vortag oder am betreffenden Morgen gewusst. Wenn ein Pilot „mal einen Auftrag nicht annehmen konnte bzw. an einem Tag seine Bereitschaft nicht durchführen konnte“, sei sie informiert worden. Der Beigeladene zu 4. hat erklärt, die Piloten hätten sich in einer Wohnung der Klägerin ausruhen können. Die Bereitschaft, Flüge durchzuführen, sei „quasi“ jeden Tag aufs Neue besprochen worden. In der Regel sei die Absprache für ca. fünf bis sechs Tage erfolgt. Ansonsten hätte sich das angesichts der langen Anfahrt nicht gerechnet. Meistens habe er sich die Bereitschaft mit dem Beigeladenem zu 1. geteilt, so dass jeder ca. 15 Bereitschaftstage monatlich habe abrechnen können. Innerhalb dieser Bereitschaftstage sei er in der Regel nur drei bis fünf Tage geflogen. In dem Termin hat die Beklagte ein „Teilanerkenntnis hinsichtlich der Säumniszuschläge i.H.v. 51.450 € …, soweit sich die Beitragsforderung auf die beiden beigeladenen Piloten bezieht“ erklärt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis angenommen.

Mit Urteil vom 20.11.2019 hat das SG die verbliebene Klage abgewiesen. Es hat darauf abgestellt, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. „üblicherweise und regelmäßig“ im normalen Betriebsablauf eingesetzt worden seien. Dies stelle einen maßgeblichen Unterschied zu der Konstellation dar, über die das BSG im Urteil vom 28.5.2008 entschieden habe. Weiter hat es ausgeführt, die Klägerin habe den Helikopter und die übrige Besatzung zur Verfügung gestellt, die Aufträge akquiriert, die Auftragsabwicklung organisiert, die Aufträge gegenüber den Kunden abgerechnet und sei diesen gegenüber für die ordnungsgemäße Durchführung verantwortlich gewesen. Die Beigeladenen 1. und 4. seien in Rufbereitschaft gewesen und hätten die Aufträge je nach Bedarf ausgeführt. Sie hätten nicht jeden Auftrag einzeln zusagen oder ablehnen können. Nach dem Vortrag der Klägerin hätten sie die Zeiten ihrer Verfügbarkeit untereinander abgestimmt, also bestimmte Dienstzeiten übernommen und diese dem Rettungsassistenten mitgeteilt. Das SG sei nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betrieb ohne die Verpflichtung zur Übernahme von Bereitschaftsdiensten nicht aufrechtzuerhalten gewesen sei. Diese Zeiten seien auch vergütet worden. Die Beigeladenen zu 1. und 4. seien ausschließlich vom Standort M. aus geflogen, der von ihren Wohnorten über 400 km entfernt gewesen sei. Eine spontane Verfügbarkeit innerhalb von zwei Stunden sei ohne Bereitschaftszeiten vor Ort nicht möglich gewesen. Nach Angaben des Beigeladenen zu 4. habe er sich diese mit dem Beigeladenen zu 1. etwa hälftig aufgeteilt. Bei lebensnaher Betrachtung sei auch von der Existenz von Dienstplänen auszugehen. Die Klägerin habe mit den Krankenkassen Verträge über die finanziellen Eckdaten zu den Transporten geschlossen. Sie habe die Beigeladenen zu 1. und 4. wie Festangestellte eingeplant und für diese eine Pilotenwohnung bereitgehalten. Auch wenn sie damit einer gesetzlichen Verpflichtung entsprochen haben sollte, hätten sich die Piloten dort aufhalten können und dies nach Angaben des Beigeladenen zu 4. auch getan. Zwar hätten die Beigeladenen zu 1. und 4. angegeben, keine Weisungen erhalten zu haben, jedoch seien „Einsatzort und Einsatzzeit sowie Einsatzarzt“ stets vorgegeben gewesen. Der Beigeladene zu 1. habe jeweils am Monatsende Zahlungen erhalten, die z.B. 2014 zwischen 3.250,00 € und 4.500,00 € gelegen hätten. Auch der Beigeladene zu 4. habe 2011 und 2012 monatliche, im Übrigen „ca. quartalsweise“ Zahlungen in relativ konstanter Höhe erhalten. Beide hätten kein Unternehmensrisiko getragen. Die von Ihnen zu tragenden Kosten für den Erhalt der Fluglizenzen fielen nicht ins Gewicht.

Am 3.12.2019 hat die Klägerin Berufung eingelegt.

Sie trägt vor, die Beigeladenen zu 1. und 4. hätten sich nicht in „Rufbereitschaft“ befunden. Nicht nur die Flüge selbst, sondern auch die Zeiten der Verfügbarkeit hätten mit ihnen abgestimmt werden müssen. Der Verweis des SG auf „vergütete Bereitschaftstage“ gehe ebenfalls fehl. Die Wohnung habe sie nicht angemietet, um die Piloten in die betriebliche Organisation einzubinden, sondern weil das Gesetz einen Ruheraum verlange. Die Piloten seien nicht verpflichtet gewesen, sich dort aufzuhalten. In fachlicher Hinsicht seien sie ohnehin nicht weisungsgebunden gewesen. Insbesondere hätten sie immer die letzte Entscheidung getroffen, ob ein Flug stattfinde.

 

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Oldenburg vom 20.11.2019 und den Bescheid der Beklagten vom 23.5.2016 in der Gestalt des Teilanerkenntnisses der Beklagten vom 20.11.2019 aufzuheben, soweit die Beklagte die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. im Zeitraum vom 1.1.2011 bis 31.12.2014 und des Beigeladenen zu 4. im Zeitraum vom 1.6.2011 bis 31.12.2014 aufgrund einer Beschäftigung bei der Klägerin sowie eine Beitragsnachforderung in Höhe von mehr als 1.504,59 € (einschließlich Säumniszuschlägen) festgestellt hat.

 

Die Beklagte beantragt,

                     die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verweist auf ihre bisherigen Ausführungen sowie die des SG im Urteil vom 20.11.2019.

 

Der Beigeladene zu 4. hat mit Schriftsatz vom 7.4.2022 bestätigt, Existenzgründungszuschüsse erhalten zu haben. Er verfüge hierzu aber über keine Unterlagen mehr. Mit der Klägerin sei eine Tagespauschale von 250,00 € vereinbart gewesen. Für die von ihm wahrgenommene Boden- und Flugbetriebsleitung habe er eine Pauschale von 450,00 €/Monat erhalten.

 Die Beigeladenen zu 5. und 6. haben sich der Auffassung der Beklagten „grundsätzlich“ angeschlossen. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht zur Sache geäußert.

Keiner der Beigeladenen hat einen Antrag gestellt.

Der Berichterstatter hat den kontoführenden Rentenversicherungsträger der Beigeladenen zu 1. und 4. von dem Verfahren und der Möglichkeit einer Beiladung auf Antrag (§ 75 Abs. 2b SGG) benachrichtigt. Ein entsprechender Antrag ist nicht erfolgt.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 28.4.2022 die Beigeladenen zu 1. und 4. angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen R. (Büroangestellte der Klägerin) und S. (bei der Klägerin angestellter Rettungsassistent). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird ebenfalls auf das Sitzungsprotokoll sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind und der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet. Im Übrigen, zum ganz überwiegenden Teil, ist sie unbegründet.

Angefochten ist der Bescheid vom 23.5.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2016 in Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 20.11.2019. Hinsichtlich der Säumniszuschläge auf die Beitragsnachforderung für die Beigeladenen zu 1. und 4. ist der Rechtsstreit dagegen bereits durch das in der mündlichen Verhandlung vor dem SG von der Beklagten erklärte und von der Klägerin angenommene Teilanerkenntnis erledigt. Gegen die Nachforderung von Pauschalbeiträgen zur Krankenversicherung für zwei geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer i.H.v. 1.504,59 € (einschließlich Säumniszuschlägen) hat sich die Klägerin jedenfalls mit ihrem zuletzt gestellten Antrag nicht mehr gewandt. Die Beteiligten streiten mithin noch um die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 142.057,07 €.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und beeinträchtigen die Klägerin in ihren Rechten, soweit die Beklagte festgestellt hat, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. von Juni bzw. Januar 2011 bis Dezember 2014 durchgehend versicherungspflichtig beschäftigt waren. Denn diese standen zwar durchaus in Beschäftigungsverhältnissen, allerdings nur während der jeweiligen Bereitschaftsdienste. Die Höhe der von der Beklagten geltend gemachten Nachforderung bleibt davon unberührt.

Versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung waren im streitgegenständlichen Zeitraum Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine abhängige Beschäftigung eine persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber voraus. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb liegt eine solche Abhängigkeit vor, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil vom 7.6.2019 – B 12 R 6/18, st. Rspr.). Die Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung stehen dabei weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen (BSG, Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 17/19 R – juris, Rn. 24).

Auszugehen ist vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen. Liegen diese in schriftlicher Form vor, ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit vorzunehmen. Diese wertende Zuordnung kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über den Status einer Person – als selbständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (BSG, Urteil vom 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris, Rn. 13 und 16; Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 17/19 R – juris, Rn. 18; st. Rspr.). Einem im Vertrag dokumentierten Willen der Vertragsparteien, kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu wollen, kommt allerdings durchaus indizielle Bedeutung zu, jedoch nur dann, wenn dieser den festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnissen nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird (BSG, Urteil vom 28.5.2008 – B 12 KR 13/07 R).

  1. Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die Beigeladenen zu 1. und 4. nicht durchgehend von Januar bzw. Juni 2011 bis Dezember 2014 bei der Klägerin beschäftigt. Die „Freelance-Vereinbarungen“ vom 1.3.2005 bzw. vom 1.6.2011 lassen – wie schon die Bezeichnung erkennen lässt – darauf schließen, dass die Vertragsparteien gerade keine Beschäftigungsverhältnisse begründen wollten. Hierfür spricht des Weiteren die Bezeichnung der Beigeladenen zu 1. und 4. als „freie Mitarbeiter“ und die Feststellung, dass sie nicht an regelmäßige Arbeitszeiten gebunden seien, auch wenn im letzten Satz dieser Vereinbarung dann doch von einem „Arbeitsvertrag“ die Rede ist. Dieser insgesamt im Vertrag zum Ausdruck gekommene Wille entsprach zudem den tatsächlichen Verhältnissen. Letzteren lassen sich ebenso wenig wie den Vereinbarungen Anhaltspunkte für Dauerschuldverhältnisse entnehmen, die die genannten Zeiträume in Gänze erfassten. Die „Freelance-Vereinbarungen“ stellten vielmehr lediglich Rahmenverträge dar, die für sich genommen – losgelöst vom Abschluss konkretisierender Einzelverträge – weder eine Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. und 4. begründeten, für die Klägerin tätig zu werden, noch umgekehrt eine Verpflichtung der Klägerin, diesen Aufträge anzubieten.
  2. Die weitere Prüfung ergibt allerdings, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. während der von ihnen jeweils übernommenen Bereitschaftsdienste bei der Klägerin sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Denn für diese Zeiträume waren sie in deren Betriebsablauf eingegliedert. So haben die Beigeladenen zu 1. und 4. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend berichtet, dass sie sich untereinander über die zu übernehmenden Bereitschaftszeiten abgestimmt und diese Zeiten sodann dem bei der Klägerin angestellten Rettungsassistenten, dem Zeugen S., mitgeteilt haben. Die Mitteilungen seien für etwa einen Monat im Voraus erfolgt und vom Zeugen festgehalten worden. Wie von der Zeugin R. bestätigt, haben der Zeuge S., zweitweise auch die Beigeladenen zu 1. und 4. selbst, dem Büro der Klägerin mitgeteilt, wer jeweils den Bereitschaftsdienst auszuüben hatte. Im von der Zeugin R. geführten Dienstplan seien zunächst zwar nur die Rettungsassistenten eingetragen gewesen; sie habe später aber auch die Piloten hinzugefügt, um die Bearbeitung, insbesondere der Aufstellung der in Rechnung gestellten Stunden, zu erleichtern. Auch der Zeuge S. hat bestätigt, dass ihm die Beigeladenen zu 1. und 4. jeweils einen Monat im Voraus die von ihnen übernommenen Bereitschaftsdienste mitgeteilt haben.

 

Während der von ihnen übernommenen Bereitschaftsdienste hielten sich die Beigeladenen zu 1. und 4. bereit, die ihnen von der Klägerin angetragenen Flüge durchzuführen. Es wurde von ihnen erwartet, dass sie nach einer Mitteilung des Rettungsassistenten über einen anstehenden Flug diesen auch durchführten. Dass sie dabei im Einzelfall einen Flug aus Sicherheitsgründen ablehnen konnten, etwa wegen schlechten Wetters oder weil ein Patient zu infektiös war, lässt keinesfalls auf eine selbständige Tätigkeit schließen. Denn eine entsprechende Prüfung obliegt jedem – auch einem angestellten – Piloten. Die Beigeladenen zu 1. und 4. haben auf Nachfrage schließlich noch einmal betont, dass sie „abgesehen von äußeren Bedingungen“ keine Flüge abgelehnt haben. Weiter belegt wird deren Verpflichtung, während der übernommenen Bereitschaftsdienste die ihnen angetragen Flüge – sofern nicht Sicherheitsgründe dagegensprachen – stets durchzuführen durch die Tagespauschale von 250,00 €. Denn ohne eine solche Verpflichtung wäre nicht erkennbar, welche Leistungen der gezahlten Pauschale gegenübergestanden hätten. Schließlich steht der Annahme einer Beschäftigung nicht entgegen, dass es ihnen jeweils freistand, überhaupt einen Bereitschaftsdienst zu übernehmen. Denn die freie Entscheidung für die Übernahme eines solchen Dienstes ist als Entscheidung zu qualifizieren, jeweils ein (neues) Beschäftigungsverhältnis einzugehen.

Die Übernahme eines Bereitschaftsdienstes beinhaltete zugleich die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1. und 4., sich nicht allzu weit vom Flughafen M. im Land T. entfernt aufzuhalten. Insbesondere konnten sie sich in diesen Zeiträumen nicht in ihren Heimatorten in U. aufhalten. Denn von ihren dortigen Wohnungen aus hätten sie den Flughafen nicht innerhalb von zwei Stunden erreichen können. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat haben sie selbst hervorgehoben, sich während ihrer Bereitschaftsdienste stets in einem Umkreis um den Flughafen M. aufgehalten zu haben, der es ihnen erlaubt habe, diesen in innerhalb von maximal zwei Stunden zu erreichen.

Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass der gesamte organisatorische Rahmen von der Klägerin bestimmt wurde. Auf dessen Ausführungen nimmt der Senat insoweit Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Dass über die Vorgabe bestimmter „Eckdaten“ (wie etwa der Benennung der Krankenhäuser, von und zu dem ein Patient transportiert werden sollte) hinausgehende Weisungen an die Beigeladenen zu 1. und 4. kaum möglich waren, spricht nicht gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung. Denn bei Tätigkeiten eines Hubschrauberpiloten handelt es sich um Dienste höherer Art, die schon aus praktischen Gründen, aber auch rechtlich zwingend mit weitreichenden Verantwortlichkeiten des Piloten verbunden sind, und zwar unabhängig davon, ob er diese Dienste im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung oder einer selbständigen Tätigkeit ausübt (vgl. zu Schiffsführern: LSG Hamburg, Urteil vom 22.2.2017 – L 2 R 122/15 – juris, Rn. 44).

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt das sog. Freelancer-Urteil des BSG vom 28.5.2008 keine gegenteiligen Schlüsse auf den hier zu beurteilenden Fall zu. Zwar bestanden hier wie dort Rahmenvereinbarungen, die für sich genommen noch keine Verpflichtungen der Piloten begründeten, Flüge durchzuführen. Im vom BSG entschiedenen Fall übernahmen die Piloten aber gerade keine Bereitschaftsdienste für bestimmte Zeiträume, innerhalb derer sie Flüge durchführen mussten. Vielmehr übernahmen sie lediglich einzelne Flüge, über die jeweils gesonderte Vereinbarungen geschlossen wurden. Vereinbart wurden „Zeitpunkt, Dauer, Art und Umfang eines jeden Einsatzes … im Einzelfall zwischen den Parteien“ (§ 1 Satz 3 der dortigen Dienstverträge, zitiert unter juris Rn. 2 des BSG-Urteils vom 28.5.2008). Das Unternehmen konnte von den Piloten also nicht verlangen, einen bestimmten Flug durchzuführen, sofern nicht gerade dieser Flug Gegenstand einer Vereinbarung war. Ebenso wenig ließ sich dort eine Eingliederung in den Betriebsablauf des Auftraggebers feststellen. Im Übrigen hat das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass das Unternehmen in dem vom BSG entschiedenen Fall Vollzeitpiloten beschäftigte und lediglich in Spitzenzeiten auf „Freelancer“ zurückgriff, die überwiegend nebenberuflich tätig wurden. Die hiesige Klägerin hat dagegen am Flughafen M. ausschließlich „Freelancer“ als Piloten eingesetzt und diese wie Festangestellte im regulären Betriebsablauf eingeplant.

Dahinstehen kann, ob sich die Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte zu Lastkraftwagenfahrern, der zufolge diese abhängig beschäftigt sind, wenn sie über kein eigenes Fahrzeug verfügen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2015 – L 11 R 3989 – juris, Rn. 24; Bayerisches LSG, Urteil vom 9.5.2012 – L 5 R 23/12 – juris, Rn. 22; Hessisches LSG, Urteil vom 24.2.2009 – L 1 KR 249/08 – juris, Rn. 28; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18.7.2013 – L 11 R 1083/12 – juris, Rn. 35), auf Hubschrauberpiloten übertragen lässt. Jedenfalls trugen die Beigeladenen zu 1. und 4. angesichts ihre Vergütung in Form von Tagespauschalen kein typisches Unternehmerrisiko. Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen ist maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, Urteil vom 28.9.2011 – B 12 R 17/09 R – juris, Rn. 25; st. Rspr.). Die Beigeladenen zu 1. und 4. haben weder erhebliches Kapital eingesetzt noch ihre Arbeitskraft mit dem Risiko ungewissen Erfolgs eingesetzt. Vielmehr wurden sie für jeden Tag eines für jeweils eine Woche übernommenen Bereitschaftsdienstes pauschal mit 250,00 € vergütet, insbesondere unabhängig davon, ob überhaupt Flüge anfielen. Die mit der Aufrechterhaltung der Fluglizenzen unbestritten verbundenen Kosten sowie die geltend gemachten Beiträge zu ihren Unternehmerversicherungen bei der Berufsgenossenschaft sind angesichts dessen, insbesondere aber aufgrund der bereits festgestellten Eingliederung in den Betriebsablauf, nicht ausschlaggebend.

Bestätigt wird die Annahme einer abhängigen Beschäftigung weiter dadurch, dass sich die Zahlungen der Klägerin an die Beigeladenen zu 1. und 4. für die übernommenen Bereitschaftsdienste nahezu durchgehend im Bereich zwischen lediglich 3.250,00 € und 4.500,00 €/Monat zzgl. Umsatzsteuer bewegten und damit – wie typischerweise bei Beschäftigten – eine gewisse Gleichmäßigkeit aufwiesen. Sie lagen damit zugleich im unteren Bereich des Rahmens von 3.500,00 € bis 7.000,00 €/Monat, den der Beigeladene zu 1. – von der Klägerin unbestritten - als Verdienstspanne für angestellte Hubschrauberpiloten genannt hat. Die gezahlten Vergütungen setzten den Beigeladenen zu 1. und 4. schließlich enge Grenzen, Vorsorge für die finanziellen Risiken bei Krankheit und vor allem für das Alter zu treffen, wie sie Selbständigen obliegt. Insofern nachvollziehbar hat der Beigeladene zu 1. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, keine Altersvorsorge betrieben zu haben. Es spricht für eine abhängige Beschäftigung, wenn eine Vergütung nicht deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Beschäftigten liegt und sie nicht oder nur sehr begrenzt Eigenvorsorge gegen die genannten Risiken erlaubt (BSG, Urteil vom 25.4.2012 – B 12 KR 24/10 R – juris, Rn. 29; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 2.10.2020 – L 1 R 101/16 – beck-online, Rn. 45 ff.).

Darüber hinaus enthielt das für die Beigeladenen zu 1. und 4. geltende „EU-OPS Betriebshandbuch – Anhang 3 – Verfahrensanweisung zur 2. DVO LuftBO“ Regelungen, die nach der 2. DV LuftBO nur für abhängig Beschäftigte unmittelbar gelten, so etwa die Regelungen zu den Ortstagen (Ziffer 5.4 des Anhangs) und die Begrenzung der kalenderjährlichen Dienstzeit auf 2.000 Stunden (Ziffer 5.5 des Anhangs). Selbständige nimmt die 2. DV LuftBO dagegen von der Geltung der entsprechenden Regelungen ausdrücklich aus (§ 6 Abs. 3 bzw. § 5 Abs. 3 der 2. DV LuftBO).

Dass die Beigeladenen zu 1. und 4. für weitere Auftraggeber tätig werden durften, begründet keine selbständige Tätigkeit. Eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber erhält nämlich nur in der Zusammenschau mit weiteren typischen Merkmalen einer selbständigen Tätigkeit Gewicht (BSG, Urteil vom 7.6.2019 – B 12 R 6/18 R – juris, Rn. 33). An derartigen Merkmalen fehlt es vorliegend. Vor allem aber ließ der zeitliche Umfang der Tätigkeit für die Klägerin ein Tätigwerden für weitere Auftraggeber nur sehr eingeschränkt zu und fand tatsächlich nur vereinzelt statt. Die Beigeladenen zu 1. und 4. hatten auch nicht die Möglichkeit, ihre Tätigkeiten für die Klägerin durch Dritte ausführen zu lassen. Bereits die von einem Piloten zu erfüllenden Voraussetzungen, damit er mit einem Hubschrauber der Klägerin für diese vom Flughafen M. aus hätte fliegen durfte, standen dem entgegen, wie der Beigeladene zu 1. in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat.

Auch die Förderung der Existenzgründung der Beigeladenen zu 1. und 4. durch die Bundes-agentur für Arbeit belegt keine selbständige Tätigkeit. Für den Beigeladene zu 4. Liegt kein Bescheid über die Förderung vor. Der vom Beigeladenen zu 1. vorgelegte Bescheid der Bundesagentur vom 30.5.2011 beschränkt sich auf die Bewilligung eines Gründungszuschusses nach § 57 SGB III in der bis zum 27.12.2011 geltenden Fassung. Ein solcher Bescheid trifft weder eine Feststellung über das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit noch bindet er den Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung. Die Vermutung einer selbständigen Tätigkeit begründete § 7 Abs. 4 SGB IV nur in der bis zum 30.6.2009 geltenden Fassung und ausschließlich für Bezieher eines Existenzgründungsschusses nach § 421l SGB III in der bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung, und zwar beschränkt auf die Dauer des Bezugs dieses Zuschusses (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.4.2016 – L 5 R 1753/15 – juris, Rn. 68).

Ist demnach festzustellen, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. während der übernommenen Bereitschaftsdienste abhängig beschäftigt waren, folgt deren jeweilige Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung aus den eingangs genannten Vorschriften (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Anhaltspunkte für eine Versicherungsfreiheit oder -befreiung hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich.

  1. Obwohl die Beigeladenen zu 1. und 4. demnach abhängig beschäftigt waren, sind die angefochtenen Bescheide teilweise rechtswidrig. Wenn nämlich – wie hier – „unter dem Dach“ eines Rahmenvertrages die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und insbesondere kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, ist allein auf die einzelnen Dienste abzustellen (BSG, Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 17/19 R – juris, Rn. 19; Urteil vom 30.10.2013 – B 12 KR 17/11 R – juris, Rn. 25). Die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses ist daher schon dann zu beanstanden, wenn sie fehlerhaft auf ein Dauerschuldverhältnis anstatt auf die jeweiligen Einzelaufträge abstellt (Hessisches LSG, Urteil vom 11.4.2019 – L 8 KR 487/17 – juris, Rn. 30; aufgehoben durch BSG, Urteil vom 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 17, weil das LSG zwar „im Ausgangspunkt zutreffend … auf die jeweiligen Einzeleinsätze der Beigeladenen abgestellt“ habe, die Beklagte aber „zu erkennen gegeben (habe), dass sie gerade nicht von einem dauerhaften Beschäftigungsverhältnis ausging, sondern die jeweiligen Einzelaufträge zugrunde legte“). Dabei ist ein Verwaltungsakt über das Bestehen von Versicherungspflicht aufgrund einer abhängigen Beschäftigung durchaus der Auslegung zugänglich (BSG – B 12 KR 29/19 R – a.a.O., Rn. 18). In Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV hält das BSG eine Feststellung etwa schon dann für hinreichend bestimmt, wenn sie noch ausreichend erkennen lässt, dass sich der Rentenversicherungsträger auf die Durchführung von Einzelaufträgen und nicht auf ein Dauerschuldverhältnis bezieht (BSG, Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 10/20 R – juris, Rn. 27; Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R – juris, Rn. 19; Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 17/19 R – juris, Rn. 23). Entsprechendes gilt auch für das Gerichtsverfahren (BSG, a.a.O.). Der Senat sieht keinen Anlass, auf Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht nach § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV andere Maßstäbe anzuwenden.

 

Im vorliegenden Fall ist die Beklagte allerdings ersichtlich davon ausgegangen, dass die Beigeladenen zu 1. und 4. von Juni bzw. Januar 2011 bis Dezember 2014 durchgehend sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren und der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung unterlagen. Insoweit sind ihre Bescheide rechtswidrig und aufzuheben.

  1. Der vorgenannte Fehler in den angefochtenen Bescheiden hat sich aber nicht auf die von der Beklagten geltend gemachte Nachforderung und deren Höhe ausgewirkt. Fehler in der Berechnung hat die Klägerin weder geltend gemacht noch sind solche erkennbar. Insoweit ist der Bescheid – jedenfalls nachdem die Beklagte im Rahmen eines Teilanerkenntnisses auf die Säumniszuschläge verzichtet hat, die auf die Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge für die Beigeladenen zu 1. und 4. entfielen – rechtmäßig.

 

  1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2 und 162 Abs. 3 VwGO. Ein Grund für die Erstattung außergerichtlicher Kosten eines der Beigeladenen besteht nicht; insbesondere haben die Beigeladenen keine eigenen Anträge gestellt (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 197b, Rn. 29).

 

  1. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

  1. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

 

Rechtskraft
Aus
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