L 1 U 827/20

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Nordhausen (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 1 U 465/19
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 827/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 56 SGB VII, § 48 SGB X

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Feststellung einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 S 1 SGB 10 - maßgeblicher Zeitpunkt - Verwaltungsakt mit Dauerwirkung - Anforderungen an die Annahme einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung

1. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen nach Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung ist nach § 48 Abs. 1 S 1 SGB 10 durch den Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung der Verwaltung mit denen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Tatsachengerichts zu bestimmen.

2. Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. August 2020 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Beteiligten streiten über die Entziehung einer Verletztenrente ab dem 1. November 2018.

Der 1953 geborene Kläger erlitt am 9. Juli 2014 einen Arbeitsunfall, als er auf dem Weg von der Arbeitsstätte zum Pkw auf einer Treppe im Außenbereich ausrutschte. Als Erstdiagnose nach ICD-10-GM (Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - Deutsche Version, im Folgenden: ICD-10) nannte Dr. B.  ICD-10 S82.21 G (Dislozierte Fraktur distaler Unterschenkel [Tibia und Fibula]).

Laut Arztbrief der Krankenhaus K.  gGmbH Chirurgische Klinik vom 15. Juli 2014 befand sich der Kläger vom 9. bis 16. Juli 2014 in stationärer Behandlung. Als Therapie erfolgte eine geschlossene Reposition einer Fraktur am Tibiaschaft durch Verriegelungsnagel sowie eine offene Reposition einer Fraktur an der distalen Fibula durch Platte. Der postoperative Verlauf war zunächst komplikationslos. 

Laut Nachschaubericht des Dr. S.  vom 21. Juli 2014 stellte sich der Kläger zur weiteren Behandlung vor. Die Wunden seien reizlos, jedoch eine deutliche Schwellung und leichte Rötung auf der Innenseite prätibial. Laut Zwischenbericht des Dr. B.  vom 12. Oktober 2014 berichtete der Kläger u.a., Schmerzen bestünden hauptsächlich im linken Sprunggelenk. Im klinischen Befund seien die Narben weiterhin reizlos, das Gangbild hinkend und verlangsamt, es bestehe eine leichte Schwellung im Bereich des oberen Sprunggelenkes (im Folgenden: OSG). Während einer stationären Behandlung vom 23. bis 25. Oktober 2014 erfolgte die Entfernung des Osteosynthesematerials (drei Schrauben Tibia proximal). Bei der Wiedervorstellung bei Dr. B.  am 9. November 2014 klagte der Kläger über Schmerzen, vor allem bei Belastung. Es bestehe noch eine Schwellung des gesamten Unterschenkels. Laut Bericht des Prof. Dr. H.  anlässlich einer Vorstellung des Klägers am 6. März 2015 in der BG-Sprechstunde der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik F. gibt der Kläger acht Monate nach der Unfallverletzung und osteosynthetischer Versorgung weiterhin ein schmerzhaftes Belastungsdefizit an, wobei Gründe hierfür in den Röntgenaufnahmen und auch bei der klinischen Untersuchung nicht ohne weiteres erkannt werden könnten. Es werde eine Intensivierung der Rehabilitationsmaßnahmen im Rahmen einer berufsgenossenschaftlichen stationären Weiterbehandlung (BGSW) für erforderlich gehalten; es sei eine vierwöchige BGSW in der Rehabilitationsklinik in L.  verordnet worden. Ein durch die Fachklinik L.  veranlasste Computertomografie (CT) des linken Unterschenkels am 15. April 2015 ergab eine Pseudoarthrosebildung im Bereich der distalen Tibiadiaphyse. Im Entlassungsbericht der Fachklinik L.  vom 24. Mai 2015 wird ausgeführt, es bestehe bei dem Kläger ein linkshinkendes Gangbild bei Vollbelastung des linken Beines.

Hinsichtlich der vorliegenden Pseudoarthrose erfolgte am 22. Mai 2015 eine operative Versorgung. Prof. Dr. D.  gab in seinem Zwischenbericht vom 30. Juli 2015 an, die Röntgenkontrolle zeige eine gute zunehmende Überbauung der bestehenden Pseudoarthrose. Im Aufnahmebericht der Fachklinik in L.  vom 22. Oktober 2015, in der der Kläger eine weitere stationäre Rehabilitation absolvierte, führten die Ärzte aus, es bestehe eine Muskelmengenminderung im gesamten linken Bein sowie eine dezente Schwellneigung. Sämtliche Operationswunden seien reizlos verheilt. Am 3. September 2015 ergab ein CT im Vergleich zur Voruntersuchung ein unverändertes Bild einer Pseudoarthrose im Bereich der distalen Fibiadiaphyse. Laut Entlassungsbericht der Fachklinik in L.  vom 22. Oktober 2015 gelang eine Kräftigung der Muskulatur, ansonsten gab der Kläger weiterhin belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des linken Unterschenkels an. Am 23. September 2015 wurde der Kläger in den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H. wegen des Verdachts einer Infektpseudoarthrose stationär aufgenommen und bis zum 8. Oktober 2015 behandelt. Vom 22. Oktober bis zum 7. November 2015 absolvierte er erneut eine BGSW in der Fachklinik in L. . Anlässlich seiner erneuten Vorstellung im BG Klinikum H.  am 12. Januar 2016 zeigte sich im Unterschenkel-CT links eine vollständige knöcherne Konsolidierung der Pseudoarthrosezone links mit noch leicht bestehender Defektzone ventrolateral. Die Behandlung sei bei konsolidierter Fraktur abgeschlossen. Laut Nachschaubericht des Prof. Dr. D.  vom 16. Februar 2016 empfehle er aufgrund der mechanischen Irritation der distalen Verriegelungsbolzen eine Entfernung derselben. Dies erfolgte am 12. April 2016 in Kassel.

Mit Schreiben vom 1. Juni 2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, durch eine ärztliche Begutachtung solle festgestellt werden, ob und welche Unfallfolgen/Erkrankungsfolgen bestünden und ob eine Rente zustehe.

Laut dem Ersten Rentengutachten des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016 bestehen bei dem Kläger als Unfallfolgen eine Narbenbildung am linken Unterschenkel nach osteosynthetisch versorgter Unterschenkelfraktur, eine Muskelminderung der linksseitigen Ober- und Unterschenkelmuskulatur (-1 bis - 4 cm), eine Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk (0/0/120 Grad) sowie im linken OSG (5/0/30) und USG (1/2), ein hinkendes Gangbild sowie eine radiologisch in achsengerechter Stellung verheilte Unterschenkelfraktur links mit radiologischen Zeichen der posttraumatischen Arthrose des linken Kniegelenkes sowie der Inaktivitätsosteoporose des linken distalen Unterschenkels und des linken Fußes. Bei längerem Stehen sehe man eine deutliche Blutumlaufstörung des linken Fußes; dieser verfärbe sich bläulich. Des Weiteren sei hier eine Schwellneigung zu beobachten. Die Fußsohlenbeschwielung auf der linken Seite sei gegenüber rechts vermindert. Im Bereich des linken distalen Unterschenkels sowie des linken Rückfußes zeige sich röntgenologisch eine deutliche Entkalkung im Sinne einer Inaktivitätsarthropie. Vom 31. Mai bis 10. Juli 2016 bestehe eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H, ab dem 11. Juli 2016 bis auf weiteres eine MdE von 20 v.H. Die MdE in rentenpflichtigem Umfang bis zur Beendigung des dritten Jahres nach dem Unfall werde auf 20 v.H. eingeschätzt. Zur Wiederherstellung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit sei die Metallentfernung des Nagels im Unterschenkel in ca. einem Jahr erforderlich.

Die Beklagte holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie G.  vom 8. November 2016 ein, der ausführte, dass sich bereits auf den Bildern des linken Kniegelenkes vom 9. Juli 2014 das Kniegelenk mit einer deutlich medial betonten Gelenkspaltverschmälerung, deutlicher Osteophytenbildung und unregelmäßiger Gelenkkonturierung  gezeigt habe. Demnach ergebe sich bereits zu diesem Zeitpunkt eine Arthrose Grad 3 des linken Kniegelenks nach der Klassifikation nach Kellgren und Lawrence. Eine unfallbedingte Verletzung des Kniegelenkes sei in den Behandlungsunterlagen nicht dokumentiert. Die Versorgung mittels Nagelosteosynthese habe eine anatomie- und achsengerechte Stabilisierung der Unterschenkelfraktur links gezeigt. Daher sei die längsseitige Kniegelenksarthrose des Versicherten nicht auf das Ereignis vom 4. Juli 2014 zurückzuführen. Der im Gutachten des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016 dokumentierte Befund der Blutumlaufstörung erscheine überraschend. Im Erstbefund des Durchgangsarztberichtes vom 9. Juli 2014 sei keine Blutumlaufstörung oder Verletzung des Gefäßsystems beschrieben.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Januar 2017 erklärte Prof. Dr. D. , bei der Kniegelenksarthrose links handle es sich eindeutig um eine unfallunabhängige Erkrankung. Die Blutumlaufstörung, in der Form einer venösen Rückflussstörung bzw. Lymphstörung, sei als posttraumatisches Geschehen zu werten und als Begleitfolgeschaden nicht unüblich. Eine angiologische Zusatzbegutachtung sei nicht erforderlich. Die MdE werde weiterhin in rentenpflichtigem Ausmaß von 20 v.H. bewertet.

Die Beklagte holte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Arztes G.  vom 10. März 2017 ein, der erklärte, die Blutumlaufstörung sollte in eine geringe Lymphflussstörung geändert werden. Hinweise für eine Thrombose oder eine arterielle Durchblutungsstörung seien weder bei der BGSW, noch im Gutachten festgestellt worden. Die Beweglichkeit des OSG sei mit (Heben zu Senken 5-0-30) links gemessen worden. Nach den Erfahrungswerten ergebe die Beweglichkeit im OSG von 0-0-30 eine MdE von 10 v.H. Demgegenüber sei der Versicherte bessergestellt. Eine Verletzung des OSG durch das Ereignis vom 9. Juli 2014 liege nicht vor. Unter Berücksichtigung der leichten Einschränkung der Beweglichkeit des USG, der Umfangsunterschiede und der Lymphflussstörung ergebe sich auf unbestimmte Zeit eine MdE von 10 v.H.

Mit Bescheid vom 7. April 2017 führte die Beklagte aus, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls habe er keinen Anspruch auf Rente. Die Erwerbsfähigkeit sei über die 26. Woche nach Eintritt des Arbeitsunfalls bzw. nach dem Ende des Verletztengeldanspruchs nicht um wenigstens 20 v.H. gemindert. Als Unfallfolgen stellte sie eine eingeschränkte Beweglichkeit im OSG und USG nach in achsengerechter Stellung verheiltem Unterschenkel- und Wadenbeinbruch mit noch einliegendem Material, eine Kalksalzminderung am körperfernen Unterschenkel sowie am Rückfuß, eine Muskelminderung, eine geringe Lymphflussstörung sowie reizlose Operationsnarben fest. Unabhängig von dem Arbeitsunfall lägen formverbildende Veränderungen (Arthrose) im linken Kniegelenk mit Bewegungseinschränkung vor. Hinsichtlich der MdE-Einschätzung schließe sie sich der Einschätzung des Prof. Dr. D.  nicht an. Nach den Erfahrungswerten zum Grad der MdE betrage diese bei einer Bewegungseinschränkung im OSG mit Fußhebung bei 0 Grad und Senkung bis 30 Grad 10 v.H. Bei ihm sei die Fußhebung bis 5 Grad, die Fußsenkung bis 30 Grad möglich. Bei einer Versteifung des vorderen USG betrage z.B. die MdE nach den Erfahrungswerten 10 v.H. Bei ihm sei die Beweglichkeit im USG nur um die Hälfte eingeschränkt. Eine MdE von 20 v.H. sei somit nicht gerechtfertigt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und verwies hinsichtlich der Beeinträchtigung auf das Gutachten des Prof. Dr. D. . Die Begründung, dass nach medizinischen Erfahrungswerten in der Fachliteratur zum Grad der MdE aufgrund seiner Unfallfolgen keine MdE in Höhe von 20 v.H. vorliege, sei nicht nachvollziehbar, da sich diese Erfahrungswerte nur auf eine isolierte Verletzung des OSG bezögen. Eine solche habe er nicht erlitten, sondern einen Unterschenkel- und Wadenbeinbruch. Er beantrage dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. D.  zu folgen.

Die Beklagte holte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie G.  vom 16. Juni 2017 ein. Dieser führte aus, schließe man sich den Ausführungen des Prof. Dr. D.  in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. Januar 2017 an, könne auch die durch die Inaktivität bestimmte Minderung der Knochendichte (Osteoporose) des linken Unterschenkels auf das Ereignis vom 9. Juli 2014 zurückgeführt werden. Laut Zwischenbericht vom 11. April 2017 halte die Blutumlaufstörung des linken Beines an. In Kenntnis dieser Befunde könne die MdE auch für unbestimmte Zeit auf 20 v.H. eingeschätzt werden. Eine Nachuntersuchung sollte nach einem Jahr veranlasst werden.

Mit Bescheid vom 7. Juli 2017 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 7. April 2017 ab. Der Kläger habe Anspruch auf eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Sie beginne am 31. Mai 2016.

Nach vorheriger Information des Klägers beauftragte die Beklagte mit Schreiben vom 25. Juni 2018 Dr. L.  mit der Begutachtung zu der Frage, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Vergleichsmaßstab sei das Gutachten des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016. Dr. L.  führte in seinem Gutachten vom 31. August 2018 aus, in den für die Höhe der Rente maßgebenden funktionellen Verhältnissen sei eine Änderung gegenüber den maßgeblichen früheren Vergleichsbefunden eingetreten. Die im Gutachten des Prof. Dr. D.  beschriebene „deutliche Blutumlaufstörung des linken Fußes, dieser verfärbt sich bläulich“ sei nicht mehr vorliegend, ebensowenig eine Schwellneigung. Die Fußsohlenbeschwielung sei nicht gemindert, d.h. heute seitengleich. Die Beweglichkeit im Kniegelenk sei nicht mehr um mehr als 20 Grad im Vergleich zur gesunden Gegenseite eingeschränkt, sondern nur noch um 10 Grad für die Beugung. Die Beweglichkeit im OSG (5/0/30) habe sich für das Heben nicht geändert, für das Senken sei sie jedoch der Gegenseite entsprechend. Eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit im USG sei nicht mehr vorliegend. Die Muskelminderung des Oberschenkels habe damals -4 cm betragen, sie betrage heute -2 cm. Die MdE werde auf 10 v.H. eingeschätzt. Eine weitere Änderung sei nicht zu erwarten.

Mit Schreiben vom 26. September 2018 (Anhörung) teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige die Rente durch Bescheid zu entziehen. Es seien folgende wesentliche Besserungen eingetreten: „Die Beweglichkeit im OSG sei nur noch in der Fußhebung eingeschränkt. Die USG seien seitengleich frei beweglich. Die Muskelminderung am Bein betrage nach wie vor 2 cm. Blutumlaufstörungen am Unterschenkel und Fuß sowie eine Schwellneigung des Sprunggelenkes sei nicht mehr zu verzeichnen. Eine Kopie des Gutachtens füge sie bei. Die aufgrund der ärztlichen Befunde festgestellten Folgen des Versicherungsfalls bedingten nach Überprüfung und Bewertung keine rentenberechtigende MdE mehr. Sie räumte ihm hierzu Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18. Oktober 2018 ein.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2018 entzog die Beklagte dem Kläger die Rente ab dem 1. November 2018. Es liege keine MdE in rentenberechtigendem Grad mehr vor. Die Entscheidung stütze sich auf das Gutachten des Dr. L. . Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, es sei keine wesentliche Besserung eingetreten. Er leide weiterhin unter Schmerzen, einem hinkenden Gangbild und einer Bewegungseinschränkung im linken Knie- und Sprunggelenk. Das Einnehmen der Hocke sei ihm nicht vollständig möglich. Außerdem sei laut CT vom 12. Januar 2016 der Bruch seines linken Schienbeines nicht vollständig durchbaut, es bestehe ein Restdefekt artherolateral. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Februar 2019 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zunächst weise sie darauf hin, dass die Veränderungen im Bereich des linken Kniegelenkes mit einhergehender Bewegungseinschränkung nicht Folge des Arbeitsunfalls am 9. Juli 2014 seien, sondern unabhängig davon vorlägen und somit bei der Bewertung der MdE nicht zu berücksichtigen seien. Die anerkannten Unfallfolgen haben sich nach sorgfältiger Auswertung der Befunde im Vergleich zu den maßgeblichen Vorbefunden wesentlich verbessert. Insbesondere die Beweglichkeit im linken OSG sei nur noch hinsichtlich der Fußhebung eingeschränkt. Das linke USG sei frei beweglich und die Spuren des Mindergebrauchs (z.B. verminderte Fußsohlenbeschwielung) hätten sich zurückgebildet. Der medizinische Sachverhalt sei vollständig und umfassend aufgeklärt.

Im Klageverfahren hat der Kläger erneut auf die Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk hingewiesen. Auch das Senken des linken Sprunggelenks habe sich seit der letzten Begutachtung nicht gebessert und sei weiterhin mit 30 Grad eingeschränkt; die Muskelminderung habe sich ebenfalls nicht wesentlich gebessert.

Das SG hat diverse Befundberichte mit medizinischen Anlagen (u.a. Durchgangsarztbericht des Dr. R. vom 5. Juni 2019 <deutliche Einschränkung Beweglichkeit USG links, Sensitivität und Durchblutung ohne Befund>) beigezogen und ein Gutachten von Dr. U.  vom 4. März 2020 eingeholt. Danach sind aktuell als Unfallfolgen objektivierbar: Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes (0/0/120), Bewegungseinschränkung OSG (10/0/30) und USG (1/2) links, Muskelminderung des linken Beines bis - 4 cm, leichte Außenrotationsfehlstellung linker Fuß relativ zum Kniegelenk links. Die Unfallfolgen begründeten eine MdE von 10 v.H. Die vor allem maßgeblichen Bewegungseinschränkungen im OSG und USG links begründeten für sich allein genommen eine MdE von 10 v.H. Eine Bewegungseinschränkung allein im OSG auf Extension/Flexion 0/0/30 werde mit einer MdE von 10 v.H. bewertet. Beim Kläger sei die für den Abrollvorgang wichtige Vorfußhebung über die Neutralstellung hinaus sogar noch bis 10 Grad möglich. Durch das endgradige Hebedefizit im linken Kniegelenk werde der Kläger nicht wesentlich stärker beeinträchtigt als es durch die Bewegungseinschränkung des Fußes ohnehin schon der Fall sei. Das gleiche gelte für die leichte Außenrotationsfehlstellung und die Muskeldefizite am linken Bein. Nur zum Vergleich sei der MdE-Richtwert von 25 v.H. für einen Zustand mit Komplettversteifung des OSG und USG in Funktionsstellung genannt. Mit einem solchen funktionellen Defizit sei jenes beim Kläger auch nicht annäherungsweise vergleichbar. Eine wesentliche Änderung im Unfallfolgenzustand - im Vergleich zum Vorgutachten vom 14. Juli 2016 - sei nicht eingetreten. Die Kniegelenkbeugung sei um 10 Grad besser, die Bewegungseinschränkung im OSG und USG sei für die Fußhebung um 5 Grad besser. Diese Änderungen seien nicht wesentlich, weil sie für sich allein genommen keine MdE von mehr als 5 v.H. begründeten. Am Muskeldefizit sei ebenfalls keine wesentliche Änderung eingetreten.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass, soweit Dr. U.  von der Einschätzung des im Verwaltungsverfahren eingeholten Ersten Rentengutachtens des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016 bezüglich der damaligen MdE-Einschätzung abweiche, dem entgegenzuhalten sei, dass er die seinerzeit noch vorliegenden gravierenden Gebrauchseinschränkungen des linken Beines des Klägers, aufgrund derer sie den Abhilfebescheid vom 7. Juli 2017 erteilt habe, verkenne. Insoweit verweise sie auf die Vorlage an den fachärztlichen Berater vom 14. Juni 2017.

Mit ergänzender Stellungnahme vom 9. Juni 2020 hat Dr. U.  ausgeführt, neue Informationen zum medizinischen Sachverhalt würden nicht vorgetragen. Es sei bis heute keine wesentliche Änderung im Unfallfolgenzustand im Vergleich zum Vorgutachten aus 2016 eingetreten.

Mit Urteil vom 20. August 2020 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2019 aufgehoben. Eine wesentliche Änderung nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sei nicht eingetreten. Der Umfang der Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit aus dem anerkannten Versicherungsfall sei zwar geringer geworden, das geforderte Ausmaß der Verbesserung erreiche jedoch 10 v.H. nicht. Im Hinblick auf das OSG und das USG sei tatsächlich lediglich eine Verbesserung um 5 Grad im Hinblick auf die Hebung dokumentiert. Soweit die Beweglichkeit des USG durch Dr. L.  und Dr. U.  unterschiedlich bewertet werde, folge das Gericht der Einschätzung und Dokumentation bei Dr. U. . Sie werde bestätigt durch den Durchgangsarztbericht des Dr. R. vom 5. Juni 2019. Auch hier sei neben einer Einschränkung der Beweglichkeit im OSG eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit im USG links dokumentiert. Dies entspreche auch der Darstellung des Klägers. Auffällig sei, dass bei Prof. Dr. D.  noch eine deutliche Blutumlaufstörung des linken Fußes nach längerem Stehen beschrieben sei, die jetzt nicht mehr dokumentiert werde. Die Beklagte habe ursprünglich, aufbauend auf der beratungsärztlichen Stellungnahme des Arztes G. , die MdE bei maximal 10 v.H. gesehen. Die Gewährung der Verletztenrente basiere im Wesentlichen auf einer veränderten Einschätzung der Blutumlaufstörung im linken Bein. Hierzu ziehe das Gericht die Empfehlungen im Hinblick auf thrombotische Veränderungen heran (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2019, Seite 640). Dokumentiert sei jedoch in den Messblättern zu keiner Zeit eine erhebliche Schwellung des linken Fußes gegenüber dem rechten. Auch im Übrigen seien bis auf die Verfärbung keine Auffälligkeiten beschrieben. Eine MdE von mindestens 10 v.H. sei hierbei nicht zu erkennen.

Im Berufungsverfahren macht die Beklagte geltend, die erst im Wege der Abhilfe erfolgte Gewährung der Verletztenrente beruhe nicht allein auf der veränderten Einschätzung der Blutumlaufstörung im Bein. Zudem lasse sich das Vorliegen einer Schwellung des linken Fußes nicht allein anhand von Messblatt-Daten ausschließen, wenn im Befundtext des Gutachtens vom 14. Juli 2016 eindeutig eine vom untersuchenden Arzt beobachtete Schwellneigung beschrieben sei. Dass dieser Arzt an der gleichen Stelle seinerzeit auch eine deutliche Blutumlaufstörung des linken Fußes beschrieben habe, sei dem Sozialgericht aufgefallen und es habe auch die dokumentierte Minderbelastung kurz erwähnt. Es sei jedoch gleichwohl bei seiner Gesamtwürdigung der Einschränkungen zu dem Ergebnis gelangt, dass es seiner Auffassung zum Fehlen einer wesentlichen Verbesserung auf die Beurteilung des Dr. U.  stützen könne. Dies sei insoweit fehlerhaft, als Dr. U.  bei seiner Beurteilung des zur Rentenfeststellung führenden Befundes im Gutachten vom 14. Juli 2016 offenbar nur die Messwerte berücksichtigt habe, sich jedoch mit den in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16. Juni 2017 herausgearbeiteten weiteren Zeichen der damals noch vorliegenden erheblichen Gebrauchsminderung des linken Beines überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Dies fehle auch in der ergänzenden Stellungnahme vom 9. Juni 2020. Sie verweise auf eine Gegenüberstellung der Ergebnisse der Gutachten Prof. Dr. D.  und des Dr. L. . Soweit  das SG die Befunde im Gutachten von Dr. L.  vom 31. August 2018, welche die Beklagte der Rentenentziehung zugrunde gelegt habe, unter Verweis auf gewisse Unterschiede zu den von Dr. U.  am 13. Januar 2020 erhobenen Befunden in Zweifel zu ziehen versuche, überzeuge dies nicht. Im Hinblick auf den Zeitabstand zwischen beiden Gutachten seien solche Befundabweichungen nicht ungewöhnlich, denn innerhalb dieses Zeitraums könne sich das Bewegungsausmaß eines Gelenks durchaus verändern. Im Übrigen sei auch der Durchgangsarztbericht des Dr. R. von Juni 2019 erst 9 Monate nach dem Gutachten des Dr. L.  erstellt worden. Im Ergebnis habe sie eine wesentliche Änderung zwischen dem zur Rentenfeststellung führenden Gutachtensbefund vom 11. Juli 2016, der eine MdE von 20 v.H. rechtfertige, und dem der Rentenentziehung zugrunde gelegten Gutachtensbefund vom 29. August 2018 nachgewiesen, aus welcher nur noch eine MdE von 10 v.H. abgeleitet werden könne.

Die Beklagte beantragt,

              das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. August 2020 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ergebnisse der Begutachtung durch Dr. U. .

Der Senat hat ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten des Dr. N.  vom 30. Juni 2021 eingeholt. Danach liegt bei dem Kläger eine verheilte Unterschenkelfraktur links (ICD-10 S82.7) vor. Hieraus resultiere ein reizlos einliegendes Osteosynthesematerial, eine anteilige Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes, Bewegungseinschränkungen des linken OSG und USG, eine spornartige Knochenausziehung der Schienbeinvorderkante links, eine anteilige Muskelverschmächtigung am linken Ober- und Unterschenkel und eine leichte Außendrehstellung des linken Unterschenkels. Unfallunabhängig bestünden ein Kniegelenksverschleiß links und rechts (ICD-10 M17.0). Nach operativer Versorgung der Unterschenkelfraktur sei der weitere Verlauf durch eine unzureichende knöcherne Heilung (Pseudoarthrose) gekennzeichnet, letztendlich sei die Fraktur dann aber knöchern konsolidiert. Das Gangbild des Klägers sei zügig ohne Nutzung von Hilfsmitteln; die Weichteilverhältnisse am linken Bein völlig unauffällig. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes habe i.S.d. Streckung/Beugung 0/0/120 Grad betragen. Zusätzlich vorhanden seien leichte Bewegungseinschränkungen im OSG und USG. Als Zeichen einer Belastungsminderung habe sich eine Verschlechterung im Ober- bzw. Unterschenkelbereich der linken Seite von maximal 2,5 cm gefunden. Die Beschwielungen der Fußsohlen seien jedoch seitengleich ausgeprägt, sodass sich anhand dieser Befunde eine schwere Belastungsminderung des linken Beines nicht habe objektivieren lassen. Für das OSG werde für eine Bewegungseinschränkung i.S.d. Fußhebung/-senkung von 10/0/30 Grad eine MdE in Höhe von 10 v.H. empfohlen. Der Kläger sei hier insbesondere aufgrund der vorhandenen Fußhebung deutlich bessergestellt und das USG sei von der Beweglichkeit her nur minimal eingeschränkt (3/4). Unter subsumierender Betrachtung werde man hier aktuell eine MdE-Empfehlung in Höhe von 10 v.H. geben können. Zum Zeitpunkt der Begutachtung durch Prof. Dr. D.  habe bei dem Kläger ein hinkendes Gangbild bestanden, der Zehenspitzen- und Fersenstand sei nur mit Mühe demonstrierbar gewesen. Die Muskelverschmächtigung habe 2 bis 4 cm betragen und sei somit im Vergleich zum heutigen Tag stärker ausgeprägt gewesen. Explizit beschrieben worden seien Blutumlaufstörungen mit einer bläulichen Verfärbung des linken Fußes und einer Schwellneigung, auch sei die Fußsohlenbeschwielung, wiederum als Zeichen einer relevanten Belastungsminderung, vermindert gewesen. Die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes und auch des linksseitigen Sprunggelenkbereichs sei annähernd so gewesen wie auch am heutigen Tag. Die Blutumlaufstörung sei im Jahr 2017 als unfallabhängig anerkannt worden. In diesem Zusammenhang sei dann die MdE-Empfehlung in Höhe von 20 v.H. gegeben worden. Dies bedeute nun im Umkehrschluss, wenn man die zum heutigen Tag eigentlich annähernd identischen Bewegungsausmaße zugrunde lege, werde die Bemessung der Unfallfolgen eben durch die Blutumlaufstörung und auch noch stärkere Muskelverschmächtigung erhöht. Auch in den weiteren Gutachten des Dr. L.  vom 29. August 2018 und zuletzt des Dr. U.  vom 13. Januar 2020 stellten sich im Wesentlichen für das linke Kniegelenk und das linke OSG identische Bewegungsausmaße dar. In beiden Gutachten fänden sich keinerlei Hinweise mehr für eine Blutumlaufstörung und auch die Muskelverschmächtigung habe hier maximal -2 cm (Dr. L. ) bzw. -4 cm (Dr. U. ) betragen. In der heutigen Begutachtung werde eine maximale Muskelverschmächtigung von -2,5 cm, also wie im Gutachten des Dr. L.  zu verzeichnen, gemessen.

Die Beklagte sieht sich durch das Gutachten des Dr. N.  vom 30. Juni 2021 hinsichtlich des Eintritts einer wesentlichen Änderung in ihrer Auffassung bestätigt.

Der Kläger verweist weiter auf das Gutachten des Dr. U. , der im März 2020 eingeschätzt habe, dass zwar Änderungen vorlägen, diese jedoch keine MdE von mehr als 5 v.H. umfassten. Dieser Auffassung werde weiterhin gefolgt. Sein Gangbild sei nicht zügig, er hinke deutlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig (§§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sie ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Februar 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Verletztenrente ab dem 1. November 2018 lagen vor.

Voraussetzung für eine Aufhebung der Bewilligung einer Verletztenrente ist nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des die Verletztenrente bewilligenden Verwaltungsaktes vorgelegen haben. Diese Vorschrift wird für Renten der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 SGB VII ergänzt. Nach § 73 Abs. 3 SGB VII ist eine Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. beträgt. Für eine vollständige Aufhebung der Bewilligung einer Verletztenrente muss die verbliebene MdE schließlich weniger als 20 v.H. betragen (vgl. BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020 - B 2 U 10/19 R m.w.N., Rn. 8, nach juris).

a) Der Verwaltungsakt vom 7. April 2017, abgeändert durch Bescheid vom 7. Juli 2017, unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt. Da die Beklagte dem Kläger mit Verwaltungsakt vom 7. Juli 2017 eine Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt hat, hat der Verwaltungsakt Dauerwirkung.

b) Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt nicht vor, jedoch ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, wie ein Vergleich der zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten bestehenden Unfallfolgen ergibt.

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts. In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen, wobei es auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordenen Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse ankommt, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese durch Bescheid vom 7. April 2017, abgeändert durch Bescheid vom 7. Juli 2017 mit Wirkung ab 31. Mai 2016 festgestellten tatsächlichen Umstände sind mit den unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides der Beklagten am 24. Oktober 2018 (mit Wirkung ab 1. November 2018) vorgelegen haben (BSG, Urteil vom 6. Oktober 2020 m.w.N., a.a.O.). Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind. Entscheidend ist allerdings nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteil vom 20. Dezember 2016 - B 2 U 11/15 R m.w.N., nach juris).

Nach dem Bescheid vom 7. April 2017 (MdE 10 v.H.) lagen beim Kläger als Folge des Arbeitsunfalls vom 9. Juli 2014 eine eingeschränkte Beweglichkeit im OSG und USG nach in achsengerechter Stellung verheiltem Unterschenkel- und Wadenbeinbruch mit noch einliegendem Material, eine Kalksalzminderung am körperfernen Unterschenkel sowie am Rückfuß, eine Muskelminderung, eine geringe Lymphflussstörung sowie reizlose Operationsnarben vor, die letztlich zu einer MdE i.H.v. 20 v.H. seit dem 31. Mai 2016 führten. Grundlage hierfür war das Gutachten des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016 nebst ergänzender Stellungnahme vom 19. Januar 2017 sowie schließlich die Stellungnahme des Beratungsarztes G.  vom 16. Juni 2017. Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 7. Juli 2017 eine MdE von 20 v.H. fest. Grundlage des Entziehungsbescheides vom 24. Oktober 2018 ist das Gutachten des Dr. L.  vom 31. August 2018. Danach ist in den für die Höhe der Rente maßgebenden funktionellen Verhältnissen eine (wesentliche) Änderung gegenüber den maßgeblichen früheren Vergleichsbefunden eingetreten. Eine Blutumlaufstörung mit Schwellneigung liegt nicht mehr vor. Die Fußsohlenbeschwielung ist heute seitengleich. Die Beweglichkeit im Kniegelenk ist nicht mehr um mehr als 20 Grad im Vergleich zur gesunden Gegenseite eingeschränkt, sondern nur noch um 10 Grad für die Beugung. Die Beweglichkeit im OSG hat sich für das Heben nicht geändert, für das Senken ist sie jedoch der Gegenseite entsprechend. Eine Beeinträchtigung der Beweglichkeit im USG ist nicht mehr vorliegend. Die Muskelminderung des Oberschenkels hat damals - 4 cm betragen, sie beträgt heute -2 cm. Die MdE schätzt er auf 10 v.H. ein. Der Senat hat keinen Anlass an den erhobenen Messwerten und geänderten Funktionseinschränkungen zu zweifeln. Sie rechtfertigen lediglich eine MdE von 10 v.H.

Die Ergebnisse des Gutachtens werden durch das Gutachten des Dr. N.  vom 30. Juni 2021 im Wesentlichen bestätigt. Ergänzend ist allerdings auszuführen, dass Einschränkungen der Kniegelenksbeweglichkeit, die sowohl im Gutachten des Dr. L.  als auch im Gutachten des Dr. N.  Berücksichtigung gefunden haben, mit Bescheid der Beklagten vom 7. April 2017 nicht als Folgen des Arbeitsunfalls anerkannt wurden und somit außer Betracht zu bleiben haben. Eine wesentliche Funktionseinschränkung bezüglich des linken Beines liegt nicht mehr vor. Das Gangbild des Klägers war zügig ohne Nutzung von Hilfsmitteln. Die Weichteile sind im linken Bein völlig unauffällig, also ohne Hinweis auf rezidivierende Gewebswasseransammlungen (Ödeme) oder anderweitige throphische Störungen. Die Beschwielungen der Fußsohlen sind seitengleich ausgeprägt, sodass sich anhand dieser Befunde eine schwere Belastungsminderung des linken Beines nicht hat objektivieren lassen. Den Zehenspitzen- und Fersenstand hat der Kläger demonstriert. Die Bewegungsausmaße des OSG und USG sind nach den Messblättern in allen Gutachten nahezu identisch. Es finden sich jedoch in allen drei Gutachten keinerlei Hinweise mehr für eine Blutumlaufstörung und auch die Muskelverschmächtigung beträgt nach dem Gutachten des Dr. N.  maximal -2,5 cm und entspricht damit den Feststellungen im Gutachten des Dr. L. . Dr. N.  hat zusammenfassend bezüglich der gegenüber dem Ersten Rentengutachten vom 11. Juli 2016 eingetretenen Funktionsänderungen festgestellt: Keinerlei Blutumlaufstörungen, seitengleiche Fußsohlenbeschwielung, Fersen- und Zehenstand beidseits sicher vorführbar, Gangbild allenfalls diskret links hinkend. Different sind lediglich die Angaben in den Gutachten zur Muskelverschmächtigung am linken Bein sowie zum USG in den Gutachten des Dr. L.  (1/1) bzw. Dr. U.  (1/2), wobei er am Tag der Begutachtung 3/4 gemessen hat. Insoweit überzeugt das Gutachten des Dr. U.  vom 4. März 2020 nicht, weil er die als Unfallfolge anerkannte (leichte) Lymphstörung sowie die Funktionsfähigkeit des linken Beines, bei der Beurteilung der Frage des Eintretens einer Änderung, vollständig außer Acht gelassen hat. Auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Juni 2020 ist Dr. U.  hierauf nicht eingegangen.

c) Eine wesentliche Änderung wäre aber - aus Gründen des Vertrauensschutzes - nicht eingetreten, wenn die Feststellung der MdE für die Rente des Klägers von Anfang an rechtswidrig festgesetzt war und seitdem unverändert geblieben ist oder sich nicht in dem nach § 73 Abs 3 SGB VII erforderlichen Maße geändert hat. Für ersteres hat der Senat keine Anhaltspunkte. Die MdE richtet sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Es ist auf den Maßstab der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor Eintritt des Versicherungsfalls abzustellen. Maßgeblich ist aber nicht die konkrete Beeinträchtigung im Beruf des Versicherten, sondern eine abstrakte Berechnung (vgl. Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Mai 2022 - L 2 U 34/20 m.w.N, Rn. 51, nach juris). Die Blutumlaufstörung mit deutlicher Verfärbung und Schwellneigung wurde u.a. im Gutachten des Prof. Dr. D.  vom 14. Juli 2016 dokumentiert. Unfallbedingte venöse Veränderungen in der Form eines chronischen Ödems eines Beins können nach den MdE-Tabellenwerten eine MdE von 10 v.H. bis 30 v.H begründen (vgl. Mehrhoff, Ekkernkamp, Wich, Unfallbegutachtung, 14. Aufl. 2019, Seite 206). Zudem lag eine deutliche Funktionseinschränkung des linken Beines vor.

d) Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung gebotenen Entscheidung über die Höhe der MdE zu ziehen. Ergänzend hierzu schreibt § 73 Abs. 3 SGB VII vor, dass eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X bei Änderung der einer Rente zugrunde liegenden MdE nur vorliegt, wenn die Änderung der MdE mehr als 5 v.H. beträgt (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 25/11 R m.w.N., nach juris).

Für den erforderlichen Vergleich ist zunächst festzustellen, welche Regelung die Beklagte mit Verwaltungsakt vom 7. Juli 2017 getroffen hat. Der bindende Inhalt eines Verwaltungsakts wird durch seine Verfügungssätze bestimmt. Die Beklagte hat dem Kläger mit Bescheid vom 7. Juli 2017, unter Abänderung des Bescheids vom 7. April 2017 "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE von 20 v.H. bewilligt. Nur dieser Verfügungssatz ist wirksam und bindend geworden.

Hiervon ausgehend ist die Änderung der (hier allein zu betrachtenden) MdE wesentlich i.S.d. § 73 Abs. 3 SGB VII. Denn die durch die Gutachten des Dr. L.  vom 31. August 2018, bestätigt durch das Gutachten des Dr. N.  vom 30. Juni 2021, festgestellten eingetretenen Änderungen der zu vergleichenden MdE übersteigt den Wert 5 v.H. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids ist eine MdE in einem rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 v.H. nicht mehr gegeben, denn es liegt nur (noch) eine MdE von 10 v.H. vor. Dies wird auch von Dr. U.  in seinem Gutachten vom 4. März 2020 so gesehen.

e) Die Aufhebung des Verwaltungsakts hält sich auch sonst im Rahmen der Ermächtigung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts „hat“ nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Zukunft zu erfolgen. Sie hat bei Sozialleistungen, die für einen bestimmten Zeitraum bewilligt sind, auf den Zeitpunkt des Beginns des folgenden Leistungszeitraums hin zu erfolgen (§ 73 Abs. 1 SGB VII).

Der Aufhebungsbescheid vom 24. Oktober 2018 entfaltet lediglich Rechtswirkung für die Zukunft, hier für die Zeit ab 1. November 2018. Zu diesem Zeitpunkt sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rente bereits entfallen gewesen, denn seit der Begutachtung im August 2018 war bekannt, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Rentenanspruchs vorlagen. Die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung der Rente wurde schließlich nicht unter Verletzung des § 73 Abs. 1 SGB VII getroffen, denn sie entspricht dem „Folgemonatsprinzip“ dieser Regelung.

Der angefochtene Verwaltungsakt ist auch hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X). Das Bestimmtheitserfordernis verlangt als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts, dass dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Adressaten bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm angeordnete Rechtsfolge zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten  (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 m.w.N., a.a.O., nach juris).

Der angefochtene Verwaltungsakt entspricht diesen Anforderungen, denn er benennt ordnungsgemäß den aufzuhebenden Bescheid mit Datum und Regelungsgegenstand und verfügt dessen Aufhebung. Der Verwaltungsakt regelt auch, zu welchem Zeitpunkt die Verletztenrente des Klägers entfällt. Die ausgesprochene Rechtsfolge war für den Kläger aus den getroffenen Regelungen klar zu erkennen.

f) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an formellen Fehlern, denn die gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vor seiner Bekanntgabe erforderliche Anhörung hat stattgefunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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