S 4 R 360/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 360/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 184/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 15/22
Datum
-
Kategorie
Urteil

  I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für die Zeit vom 01.09.2016 bis 31.10.2018 für den Versicherten C. gezahlten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 47.440,13 € zu erstatten.

 II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird auf 47.440,13 € festgesetzt.


T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage über die Erstattung der Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) für den Versicherten C. (im Nachfolgenden: W.) in Höhe von 47.440,13 € im Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.10.2018.

Der 1983 geborene Versicherte W. stellte am 05.06.2013 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Antrag wurde seitens der Beklagten zunächst mit Bescheid vom 07.08.2013 abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2013 zurückgewiesen. Hieran schloss sich ein länger andauerndes Klageverfahren vor dem Sozialgericht L. an (siehe unten).
Am 09.11.2015, also während des Klageverfahrens gegen die Beklagte vor dem Sozialgericht L., stellte der 1983 geborene Versicherte zudem bei dieser einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte leitete den Antrag mit Schreiben vom 17.11.2015 an die Klägerin gestützt auf § 14 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) weiter, da sie wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen nicht zuständig sei. Mit Schreiben vom 27.11.2015 erklärte sich die Klägerin gegenüber W. als Rehabilitationsträger für zuständig.
Am 06.04.2016 meldete die Klägerin W. bei der AWO Werkstatt E. für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich der WfbM zum nächstmöglichen Zeitpunkt an. Gleichzeitig meldete die Agentur für Arbeit O. als zweitangegangener Rehabilitationsträger am 06.04.2016 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 14 SGB IX a. F. an. Es sei ein Klageverfahren zur Rentengewährung anhängig. Aus diesem Grund sei die Erfüllung der Voraussetzungen nach § 11 SGB VI in Betracht zu ziehen.
In der Fachausschusssitzung vom 07.06.2016 wurde die Aufnahme des W. in die AWO Werkstatt E. für das Eingangsverfahren ab 01.08.2016 bis 31.10.2016 sowie für den Berufsbildungsbereich ab 01.11.2016 bis 31.10.2018 bestätigt. Dem Eingliederungsplan vom 02.11.2016 ist zu entnehmen, dass W. an einer paranoiden Schizophrenie, einem Klinefelder-Syndrom und einer Skoleose leide. Der Eingangsbereich sei erfolgreich abgeschlossen worden. Bei einer Übernahme in den Berufsbildungsbereich sei absehbar, dass später die Voraussetzungen für die Eingliederung in einen Arbeitsbereich einer WfBM erfüllt werden.

 

Der im Klageverfahren vom Sozialgericht L. beauftragte Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass beim Versicherten eine paranoide Schizophrenie zu diagnostizieren sei. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in quantitativer Hinsicht nur noch Tätigkeit im Umfang von weniger als drei Stunden täglich ausüben. Dieses Leistungsbild bestehe bereits seit Ende 2011. Im gerichtlichen Verfahren einigte sich die Beklagte mit dem Versicherten auf die Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung bis 31.05.2019 ausgehend von einem Leistungsfall im November 2011. Der entsprechende Ausführungsbescheid erging unter dem 16.08.2017.
Am 16.08.2017 informierte die Beklagte die Agentur für Arbeit L. über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.06.2013 bis 31.05.2019. W. absolvierte das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich der WfbM erfolgreich und wurde ab 01.11.2018 in den dortigen Arbeitsbereich übernommen. Die der Klägerin entstandenen Kosten zur beruflichen Eingliederung des Eingangsverfahrens und des Berufsbildungsbereichs der WfbM belaufen sich auf 47.440,13 €.
Mit Schreiben vom 12.11.2018 bezifferte der für die Ausführung der Leistungsbewilligung zuständige Operative Service der Agentur für Arbeit L. den Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten gegenüber in vorgenannter Höhe und bat um Erstattung. Die Beklagte lehnte den geltend gemachten Erstattungsanspruch am 03.12.2018 ab, da die Antragsabgabe des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 09.11.2015 rechtmäßig wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen am Tag der Antragstellung am 17.11.2015 an die Agentur für Arbeit O. erfolgt sei.
Auf den seitens der Klägerin am 14.02.2019 vorgenommenen Einigungsversuch hielt die Beklagte mit Schreiben vom 29.11.2019 an der ablehnenden Entscheidung fest. Die von der Klägerin vertretene Auffassung, dass aufgrund der im Klageverfahren vergleichsweise rückwirkend ab 01.06.2013 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung und somit zum Zeitpunkt der Antragstellung am 09.11.2015 vorliegenden Rentenbezugs die Zuständigkeit der Beklagten nach § 11 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) gegeben sei, werde nicht geteilt. Durch die rückwirkende Bewilligung der Erwerbsminderungsrente könnten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt werden. Im Falle des W. habe zum Zeitpunkt des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 09.11.2015 kein Rentenantrag vorgelegen. Dieser sei bereits mit Bescheid vom 07.08.2013 abgelehnt worden und das Rentenklageverfahren sei seit 04.12.2013 gelaufen. Dem Erstattungsanspruch könne nicht entsprochen werden, da auch durch die im Vergleichswege rückwirkend bewilligte Erwerbsminderungsrente die Voraussetzungen nach § 11 SGB VI nicht hätten erfüllt werden können.

Die Klägerin hat unter dem 13.05.2020 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht nur dann vorliegen, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben tatsächlich bezogen wird und stützt sich hierzu auf die Entscheidung der 11. Kammer des erkennenden Gerichts in seiner Entscheidung vom 28.06.2017, Az. S 11 R 1141/15, Rn. 29 ff. juris. Dort werde ausgeführt, dass die Rente nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI grundsätzlich auch tatsächlich bezogen werden muss. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sei jedoch bereits die Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen für den Rentenbezug ausreichend, wozu auch die Stellung eines Rentenantrags gehöre.
Nach Auffassung der Klägerin könne das Rentenverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens nicht als beendet betrachtet werden. Weder die Bearbeitungsdauer im Verwaltungsverfahren der Beklagten noch die Dauer des gerichtlichen Verfahrens haben einen rechtlichen Einfluss auf die Beurteilung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Teilhabeleistungen die Voraussetzungen für eine Rentengewährung vorliegen. So liege es auch im Falle des W. Zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 09.11.2015 lägen die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit seit dem 01.06.2013 vor. Die Beklagte habe das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen und damit die Entstehung des Stammrechts im Klageverfahren mit Vergleich vom 26.07.2017 anerkannt.

 

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von insgesamt 47.440,13 € für die Kosten des Eingangsverfahrens und Berufsbildungsbereichs einer WfbM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, dass Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer WfbM regelmäßig darauf ausgerichtet sind, die Versicherten für den Einsatz im Arbeitsbereich einer WfbM zu befähigen. Hierbei sei der Bezug von teilweiser bzw. voller Erwerbsminderungsrente parallel möglich. Diese Leistungen verhinderten somit nicht die Zahlung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen können insoweit grundsätzlich nicht nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI erfüllt sein.
Unabhängig hiervon seien die Voraussetzung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nur dann erfüllt, wenn ein entsprechender Rentenbescheid im Zeitpunkt der Beantragung der Teilhabeleistung vorliege. Durch die rückwirkende Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente könnten die Voraussetzungen der Vorschrift nicht erfüllt werden. Mit dieser Auslegung folge man auch dem Kommentar von Hauck-Haines zu § 11 SGB VI unter Ziffer 7. Die Auslegung entspreche dem Gesetzeswortlaut und auch einer einfacheren Handhabung im Hinblick auf die Fristen des § 14 SGB IX.
Beide Beteiligte haben einer Entscheidung der Kammer mit Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und auf den Inhalt der Sozialgerichtsakte Bezug genommen

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


I.)
Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Beide Beteiligte haben zugestimmt, § 124 Abs. 2 SGG.

II.)
Die von der Klägerin gemäß §§ 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum örtlich und sachlich zuständigen SG erhobene Klage ist als allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig. Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streitig. Im Rahmen dieses Erstattungsbegehrens besteht zwischen der Klägerin und der Beklagten kein Über- und Unterordnungsverhältnis, sondern ein Gleichordnungsverhältnis, so dass die allgemeine Leistungsklage die statthafte Klageart ist (vgl. BSG, Urteil vom 01.04.1993, RK 10/92 m.w.N.; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl., § 54 Rn. 41).

III.)
Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Erstattung der von ihr für den Versicherten W. erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von 47.440,13 € nach § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. zu.
Nach § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F. stellt, wenn Leistungen zur Teilhabe beantragt werden, der Rehabilitationsträger innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu. Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. erstattet, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SGB IX festgestellt wurde, dass ein anderer Rehabilitationsträger für diese Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistungen erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Nach dieser Regelung besteht also ein spezialgesetzlicher Erstattungsanspruch des zweitangegangenen Reha-Trägers gegen den materiell-rechtlich originär zuständigen Reha-Träger. Dieser spezielle Anspruch geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) grundsätzlich vor.
Er ist begründet, soweit der Versicherte von dem Träger, der ohne die Regelung in § 14 SGB IX a.F. zuständig wäre, die gewährte Maßnahme hätte beanspruchen können (Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 06.03.2013, Az. B 11 AL 2/12 R, m. w. N.). Die Zuständigkeitszuweisung erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die in der konkreten Bedarfssituation für Reha-Träger vorgesehen sind. Im Verhältnis zum behinderten Menschen wird dadurch eine eigene gesetzliche Verpflichtung des zweitangegangenen Trägers begründet, die einen endgültigen Rechtsgrund für das Behalten der Leistungen in diesem Rechtsverhältnis bildet. Im Verhältnis der Reha-Träger untereinander ist jedoch eine Lastenverschiebung ohne Ausgleich nicht bezweckt (BSG, a. a. O.).

Vorliegend ist die Erstattungsvorschrift des § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. anwendbar, da die Beklagte den bei ihr eingegangenen Leistungsantrag des Versicherten acht Tage nach Antragseingang und damit unverzüglich im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F. an die Klägerin weitergeleitet hat. Dementsprechend hat die Klägerin die Leistungen an den Versicherten als zweitangegangener Reha-Träger im Sinne des § 14 SGB IX a.F. erbracht.
Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. ist, dass nach Bewilligung der Leistung durch den vorleistenden Reha-Träger festgestellt wird, dass der andere Träger für die Leistung zuständig ist. Eine solche Erstattungslage besteht also dann, wenn der zweitangegangene Reha-Träger selbst nicht für die erbrachte Leistung nach den Vorschriften seines Leistungsrechts zuständig ist. Dies ist vorliegend der Fall.

Nach § 42 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) erbringt die Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer WfbM die Bundesagentur für Arbeit (Nr. 1), soweit nicht einer der in den Nummern 2 bis 4 genannten Träger zuständig ist. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F. erbringen die Träger der Rentenversicherung unter den Voraussetzungen der §§ 11 bis 13 SGB VI Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer WfbM. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, wenn sie bei Antragstellung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI werden seitens der Deutschen Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an Versicherte auch erbracht, wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre.
Nach diesen Vorschriften ergibt sich vorliegend der Erstattungsanspruch der Klägerin. Dieser folgt aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. Denn die Beklagte ist nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F. zur Leistungserbringung im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer WfbM zuständig, da der Versicherte W. die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aufgrund der ihm rückwirkend gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit erfüllt, § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI.

1.)
Unstreitig erfüllt der 1983 geborene Versicherte die 15-jährige Wartezeit bei Antragstellung nicht, so dass eine Zuständigkeit der Beklagten nicht auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI gestützt werden kann.

2.)
Er erfüllt jedoch die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI. Danach gelten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen als erfüllt, wenn eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen wird. Hierunter fällt auch - wie vorliegend - eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit. Die Rente muss tatsächlich bezogen werden. Das Stammrecht allein reicht nicht aus. Es muss zumindest - wie vorliegend - ein Antrag gestellt worden sein (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.1994, Az. 5 RJ 18/93). Da der Anspruch aber nicht von der Bearbeitungsdauer des Rentenantrages abhängen kann, muss der Rentenbescheid noch nicht erlassen worden sein. Es genügt, wenn sämtliche Voraussetzungen des Rentenanspruchs erfüllt sind und lediglich die Bescheiderteilung noch aussteht (siehe Kater in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherung,. SGB VI § 11 Rn. 7, EL September 2020, 7). Auf diese Weise kann der Versicherungsträger Teilhabeleistungen bereits zu einem frühen Zeitpunkt und insbesondere vor Erlass des Rentenbescheides erbringen und hat so die Möglichkeit abzuwarten, ob der Rentenbezug durch Teilhabeleistungen nach Maßgabe des Grundsatzes "Rehabilitation vor Rente" noch abgewendet werden kann (siehe Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013, Stand: 19.12.2016, § 11 SGB VI, Rdnr. 31; siehe zu alldem auch SG Nürnberg, Urteil vom 09.12.2014, Az. S 3 R 1322/13). Gegen den Einwand der Beklagten, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI lägen nur dann vor, wenn eine Rente tatsächlich bezogen werde, spricht bereits daher, dass der Anspruch nicht von der Bearbeitungsdauer des Rentenantrags abhängen kann, so dass der Rentenbescheid noch nicht erlassen worden sein muss (so zu Recht Kater in: KassKomm, a.a.O.). Andernfalls könnte ein Reha-Träger Einfluss nehmen auf die Zuständigkeit für die Erbringung von Leistungen. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren. Zudem spricht für die erweiternde Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI auch, dass der Rentenversicherungsträger auf diese Weise Teilhabeleistungen bereits zu einem früheren Zeitpunkt und insbesondere vor Erlass des Rentenbescheids erbringen kann und so die Möglichkeit hat abzuwarten, ob der Rentenbezug durch Teilhabeleistungen nach Maßgabe der Grundsätze "Reha vor Rente" noch abgewendet werden kann (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 11 SGB VI, Rn. 31, vgl. zum Ganzen auch SG Nürnberg, Urteil vom 28. Juni 2017 - S 11 R 1141/15 -, Rn. 31, juris und SG Nürnberg, Urteil vom 09.12.2014, Az. S 3 R 1322/13). Daher kann es auch nicht darauf ankommen, ob aufgrund einer medizinischen Einschätzung in einer etwaig vorangegangen Reha der Rentenbezug absehbar wäre.

Ausgehend von diesen Grundsätzen sind zur Überzeugungen der erkennenden Kammer die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI erfüllt. Der Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung wurde am 05.06.2013 bei der Beklagten gestellt. Die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lagen bereits vor der Antragstellung vor, denn die Beklagte hat einen Leistungsfall der Erwerbsminderung am im November 2011 angenommen. Somit waren die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung bereits vor der Stellung des Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben am 09.11.2015 erfüllt.

3.)
Im Übrigen ergibt sich die Zuständigkeit der Beklagten auch aus § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI (vgl. SG Nürnberg, Urteile vom 27.05.2009, Az. S 18 R 4428/06 und vom 20.08.2013, Az. S 14 R 1433/11). Danach werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an Versicherte auch erbracht, wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre.

Mit Wirkung vom 01.01.1993 wurde Abs. 2a durch Art. 4 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Fördervoraussetzungen im AFG und anderen Gesetzen vom 18.12.1992 (BGBl. I, BGBL Jahr 1992 I Seite 2044) eingefügt und trat am 01.01.1993 in Kraft. Dadurch wurden erleichterte Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben geschaffen. Vormals wurden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausschließlich unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 erbracht. Durch die Einführung von Absatz 2a wurde die vormalige Zuständigkeit der Arbeitsverwaltung auf den Rentenversicherungsträger verlagert (vgl. dazu auch Luthe, aaO, § 11, Rn. 50) und das Ziel einer Erweiterung der Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger verfolgt. Der Rehabilitationsauftrag der Rentenversicherung sollte betont und verstärkt werden.
In der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache-Drucksache 12/3423, S. 60/61) ist dazu ausgeführt: "Die Vorschrift bewirkt, dass neben Beziehern einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die bereits nach geltendem Recht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für berufsfördernde Leistungen zur Reha erfüllen, auch Versicherte, die ohne eine solche Rente bereits zu beziehen, Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hätten, berufsfördernde Leistungen zur Reha von der Rentenversicherung erhalten können. Dies gilt auch, wenn der Antrag noch nicht gestellt ist."
§ 11 Abs. 2a SGB VI wurde also eingefügt, um Lücken bei der Zuständigkeit der Beklagten zu schließen und um - wie ausgeführt - den Rehabilitationsauftrag der Rentenversicherung zu stärken. Diese Regelung ist vor allem bei denjenigen jüngeren Versicherten einschlägig, die die Wartezeit von 15 Jahren noch nicht erfüllt haben, noch keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen, aber unmittelbar vor der Berentung stehe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ist der Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.
Zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt am 09.11.2015 drohte dem Versicherten nach den medizinischen Feststellungen im vor dem SG L. geführten Klageverfahren bereits unmittelbar eine Erwerbsminderung und damit eine Berentung. Nach der Prognose im Gutachten ist eine Besserung nicht völlig unwahrscheinlich. Zudem gewährte die Beklagte dem Versicherten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit und nicht etwa auf Dauer. Daraus ist zu schließen, dass auch sie eine Besserung für wahrscheinlich hält.

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte nicht zuständig ist, weil beim Versicherten noch vor Beginn der Maßnahme in der WfbM ein Leistungsfall der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung festgestellt und die Rente vor Beginn der streitgegenständlichen Maßnahme auch gewährt wurde, also eine Rente durch die Maßnahme gerade nicht abgewendet werden konnte. Denn die Zuständigkeit für die Leistungserbringung nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI setzt nicht voraus, dass durch die Teilhabeleistung die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente kausal abgewendet werden kann. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem Gesetzeszweck und der -systematik.
Nach der bereits zitierten Gesetzesbegründung bezweckt die Regelung des § 11 Abs. 2a SGB VI, dass auch Versicherte, die keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen, aber Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hätten, berufsfördernde Leistungen zur Reha von der Rentenversicherung erhalten können. Ziel des Gesetzgebers ist einer Erweiterung der Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger Der Rehabilitationsauftrag der Rentenversicherung sollte betont und verstärkt werden. Dieses Ziel würde vereitelt, wenn für die Gewährung von Teilhabeleistungen für Versicherte, die die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zwar erfüllen, diese aber (noch) nicht beziehen, nicht der Rentenversicherungsträger, sondern die Arbeitsverwaltung zuständig wäre. Im Übrigen kommt es - wie ausgeführt - maßgeblich auf eine Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ankommt, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Kausalität zwischen Rehabilitationsleistung und Verhinderung der Berentung nicht gefordert werden kann.


Die Klägerin hat daher gegen die Beklagte einen Erstattungsanspruch in der geltend gemachten Höhe nach § 14 Abs. 4 SGB IX, da die Beklagte aufgrund der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2a Nr. 1 SGB VI nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F. zuständiger Träger ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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