S 7 KR 2016/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 7 KR 2016/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 150/19
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Der Bescheid der Beklagten vom 19.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2018 wird aufgehoben und es wird festgestellt, dass keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf die Übergangsversorgung zu entrichten sind.

 

II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die seit dem 01.01.2018 erhobenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu erstatten.

 

III. Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.


T a t b e s t a n d :


Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe ihrer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Die 1963 geborene Klägerin war in der Zeit vom 11.02.2018 bis 24.04.2018 als Bezieherin von Arbeitslosengeld I bei der Beklagten gesetzlich gegen Krankheit versichert. Ab dem 25.04.2018 ist die Klägerin als Rentnerin pflichtversichert.

Die D. AG übermittelte am 23.01.2018 die Auszahlungsdaten eines laufenden Versorgungsbezugs ab 01.01.2018 in Höhe von monatlich 3.515,60€ an die Beklagte.

Mit Bescheid vom 19.04.2018 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Versorgungsbezug die gesetzlich festgelegte Mindestgrenze von 152,25€ übersteige. Daher habe sie aus diesem Betrag Beiträge zu zahlen. Man habe die Zahlstelle bereits informiert. Diese werde die Beiträge berechnen, vom Bruttobetrag des Versorgungsbezuges abziehen und direkt an die Beklagte überweisen.

In der Folge wurde ein Schreiben der L. bei der Beklagten vorgelegt.
Seitens der  L. wurde bestätigt, dass die Klägerin zum 31.12.2017 wegen dauernder Flugdienstuntauglichkeit als Kabinenmitarbeiter aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide. Nach Ausscheiden aus dem fliegerischen Arbeitsverhältnis wegen dauernder Flugdienstunfähigkeit, d.h. ab dem 01.01.2018 erhalte die Klägerin eine tarifliche Übergangsversorgung nach Tarifvertrag Übergangsversorgung Flugbegleiter in der Neufassung vom 01.07.2003, die aus drei Bestandteilen bestehe. Die ÜV-Firmenrente werde aus Rückstellungen der Gesellschaft finanziert. Der zweite Teil, die ÜV-Versichertenrente, sei eine Kapitallebensversicherung, deren Prämien vom Mitarbeiter erbracht worden seien und bei der Rente aus der Versorgungskasse, dem dritten Teil, handle es sich um eine betriebliche Unterstützungskasse i.S.d. Betriebsrentengesetzes. Die Beiträge seien von der Gesamtvergütung des Mitarbeiters erhoben und durch die  L. eingezahlt worden.
Die UV-Firmenrente werde bis zum frühestmöglichen Beginn der Altersversorgung (Renten der gesetzlichen Altersversorgung, VBL-Betriebsrente und  L.-Betriebsrente), längstens bis zur Vollendung des 63. Lebensjahrs gezahlt.
Bei der ÜV-Firmenrente handle es sich um Zahlungen eigener Rechtsnatur, die einer Firmenrente nahekommen würden, auch wenn es sich nicht um eine Rente im Sinne des Gesetzes über die betriebliche Altersversorgung handle und folglich auch nicht unter das Betriebsrentengesetz falle.
Ebenfalls wolle man feststellen, dass die ÜV-Firmenrente keine sozialversicherungspflichtige Leistung darstelle, wie z.B. Überbrückungsgeld und Vorruhestandsgeld. Da die Zahlung ohne Gegenleistung (=Arbeitsleistung) erfolge, handle es sich auch nicht um Erwerbseinkommen.
Die ÜV-Firmenrente habe zwar die Funktion eines Lohnersatzes, sei jedoch auch nicht als sog. Erwerbsersatzeinkommen zu charakterisieren, da diese Leistungen nur aufgrund oder in entsprechender Anwendung öffentlich-rechtlicher Vorschriften erbracht würden.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 09.05.2018 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 19.04.2018 Widerspruch.

Bei der Übergangsversorgung der D.  L. AG handle sich nicht um einen Versorgungsbezug. Da die Klägerin seit dem 01.01.2018 Arbeitslosengeld I beziehe und damit pflichtversichert sei, sei die Übergangsversorgung bei der Beitragsbemessung nicht zu berücksichtigen.

Die streitgegenständliche Übergangsversorgung sei dazu gedacht, die Zeit zwischen dem Ausscheiden aufgrund von dauerhafter Fluguntauglichkeit oder dem Erreichen der Altersgrenze bis zum Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung zu überbrücken. Sie sei nicht zur Alterssicherung bestimmt, weil sie ausschließlich für Zeiten in Aussicht gestellt werde, die vor dem Zeitpunkt lägen, in dem bei den von der Zusage erfassten Mitarbeitern typischerweise mit einem Ausscheiden aus dem Berufs- oder Erwerbsleben gerechnet werden müsse. Sie stelle keine Einnahme dar, die im Sinne von § 229 Abs. 1 S. 1 SGB V zur Altersversorgung erzielt werde, weil sie keinen Versorgungs-, sondern lediglich einen Überbrückungszweck habe und die Zusage der Einnahme nach ihrem objektivem Inhalt den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis oder in den Ruhestand erleichtern solle.

Weiterhin handle es sich auch nicht um eine Leistung wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder Invalidität. Abgesichert werden solle spezifisch die Flugdienstuntauglichkeit zur Überbrückung einer erwarteten Arbeitslosigkeit aufgrund des branchenspezifischen Risikos der Flugdienstuntauglichkeit bis zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Flugdienstuntauglichkeit komme schon bei einer Depression oder leichten Sehstörungen und ähnlichen - im Normalerwerbsleben nicht relevanten - Erkrankungen in Betracht. Hieran ändere die zufällige (teilweise) Überschneidung zwischen einer festgestellen DFU und einer Erwerbsminderungsrente nichts. Die Leistung habe Entschädigungscharakter für den Verlust des fliegerischen Arbeitsverhältnisses und sei damit vielmehr vergleichbar mit den Leistungen gem. § 229 Abs. 1 Ziffer 1 lit. a bis d SGB V, die ebenfalls nicht beitragspflichtig seien.

Mit Bescheid vom 18.09.2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.

Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 18.10.2018 erhob die Klägerin zunächst Klage zum E..

Dieses verwies mit Beschluss vom 07.11.2018 den Rechtstreit an das Sozialgericht Nürnberg.

In Ergänzung des Sachvortrags aus dem Widerspruchsverfahren wurden Entscheidungen des Sozialgerichts Berlin (Urteil vom 15.12.2017) sowie des LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 18.10.2018) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt
1. den Bescheid der Beklagten vom 19.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.09.2018 aufzuheben und festzustellen, dass keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge auf die Übergangsversorgung zu entrichten sind.
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die ab dem 01.01.2018 auf die Übergangsversorgung erhobenen Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt
die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 21.02.2019 wurde die Pflegekasse der Beklagten zum Verfahren beigeladen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die zulässige Klage hat Erfolg.

Zu Unrecht hat die Beklagte die Aufhebung der Beitragsbescheide und die Erstattung hierauf geleisteter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (für den Zeitraum ab dem 01.01.2018) abgelehnt.

Die Klägerin war bei der Beklagten im streitigen Zeitraum durchweg in der Krankenversicherung pflichtversichert gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2,11 SGB V und in der Pflegeversicherung pflichtversichert, § 20 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Die der Klägerin von ihrem früheren Arbeitgeber ab dem 01.01.2018 zugewandten laufenden Geldzahlungen, als "Firmenrente gemäß § 2 Tarifvertrag Übergangsversorgung Flugbegleiter" bezeichnet, sind keine Versorgungsbezüge in Form einer Rente der betrieblichen Altersversorgung, auf die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erheben sind.

Rechtsgrundlage der Heranziehung der Firmenrente ist § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V i.V.m. § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V.

Gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V gelten als Versorgungsbezüge (als der Rente vergleichbare Einnahmen) soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden, Renten der betrieblichen Altersversorgung einschließlich der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst und der hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung.

Für die Einordnung einer Leistung als Rente der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des § 1 Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) handelt. Das BSG hat den Begriff der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Beitragsrechts der GKV seit jeher als gegenüber dem Begriff der betrieblichen Altersversorgung im BetrAVG eigenständig verstanden (stRspr, z.B. BSG, Urteil vom 25. Mai 2011, B 12 P 1/09 R). Wird der Bezug einer Leistung nicht schon institutionell (Versicherungseinrichtung, Versicherungstyp) vom Betriebsrentenrecht erfasst, sind wesentliche Merkmale einer Rente der betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Beitragsrechts der GKV ein Zusammenhang zwischen dem Erwerb dieser Rente und der früheren Beschäftigung sowie ihre Einkommens-(Lohn- bzw. Entgelt-)Ersatzfunktion (vgl BSG, a.a.O.). Leistungen sind u.a. dann der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen, wenn sie die Versorgung des Arbeitnehmers im Alter bezwecken, also der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen sollen (vgl. BSG, Urteil vom 13. September 2006, B 12 KR 5/06 R). Durch diese Zwecksetzung unterscheidet sich die betriebliche Altersversorgung von sonstigen Zuwendungen des Arbeitgebers, etwa solchen zur Überbrückung erwarteter Arbeitslosigkeit oder Abfindungen für den Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2015, B 12 KR 4/14 R).

Zur Abgrenzung solcher "Überbrückungsgelder", "Überbrückungshilfen", "Übergangsleistungen" usw., die nicht der Beitragsbemessung in der GKV zugrunde zu legen sind, von Leistungen des Arbeitgebers, die der betrieblichen Altersversorgung zuzurechnen sind, hat sich der zuständige Senat des BSG an der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts orientiert (BSG, Urteile vom 29. Juli 2015, B 12 KR 4/14 R und B 12 KR 18/14 R), das in ständiger Rechtsprechung unabhängig von den subjektiven Vorstellungen und Beweggründen der Arbeitsvertragsparteien auf den objektiven Inhalt der Leistung blickt und vor allem dem vereinbarten Leistungsbeginn große Bedeutung beimisst (vgl. BAG, Urteil vom 28. Oktober 2008, 3 AZR 317/07, unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 18. März 2003, 3 AZR 315/02). Im Anschluss hieran hat das BSG die Eigenschaft als Versorgungsbezug dann verneint, wenn bei der Zusage von Übergangsbezügen, Überbrückungsgeldern usw. nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den Leistungsbeginn auf ein Lebensalter abgestellt wird, das nach der Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestands gelten kann, und wenn diese Zuwendung bis zum Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand befristet ist (BSG, Urteile vom 29. Juli 2015, B 12 KR 4/14 R und B 12 KR 18/14 R). Als Lebensalter, das nach der Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestands gelten kann, hat der Senat in diesen Entscheidungen ein Alter von 55 bzw. 50 Jahren angesehen. Allerdings lässt sich kein fester Zeitpunkt ermitteln, von dem an eine betriebliche Altersversorgung überhaupt nur in Betracht kommt, weil die Wahl einer niedrigeren Altersgrenze wegen besonderer Beanspruchungen der Berufsgruppe auch auf sachlichen Gründen beruhen kann (BSG, aaO, jeweils unter Hinweis auf Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Oktober 2003, L 9 KR 410/01 (Zusage einer befristeten "Firmenrente" für Flugbegleiter ab dem 55. Lebensjahr; SG Hannover, Urteil vom 20. Juli 1999, S 11 KR 114/98 (Seeleute) sowie BAG, Urteil vom 10. März 1992, 3 AZR 153/91 (Verkehrsflugzeugführer); siehe auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Januar 2016 - L 5 KR 333/15 -, juris).

In Anwendung dieser Grundsätze stellt die der Klägerin gewährte Firmenrente keine Einnahme dar, die im Sinne von § 229 Abs 1. Satz 1 SGB V "wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt" wird; sie verfolgt keinen Versorgungs-, sondern lediglich einen "Überbrückungszweck", weil die Zusage dieser Einnahme nach ihrem objektiven Inhalt den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis oder in den Ruhestand erleichtern soll.

Der bei der "einfachen" Firmenrente des § 2 Abs. 1 TV ÜV-FB an das Ende des Beschäftigungsverhältnisses und das Erreichen des 55. Lebensjahr geknüpfte Beginn der monatlichen Zahlung sowie ihr Ende im Zeitpunkt der frühstmöglichen Inanspruchnahme der gesetzlichen Altersrente, spätestens mit dem vollendeten 63. Lebensjahr zeigen nach den von dem BSG aufgestellten Grundsätzen, dass diese Zahlung zur Absicherung der Zeit vor dem Eintritt in das Rentenalter dient. Für die Absicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist die Leistung aus dem Tarifvertrag L.-Betriebsrente vorgesehen.

Aufgrund der bei der Klägerin festgestellten Flugdienstuntauglichkeit wird der Beginn der Firmenrente zeitlich noch vor das 55. Lebensjahr gezogen, § 2 Abs. 4 TV ÜV-FB. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Firmenrente 54 Jahre alt. Dieses Alter kann nach der Verkehrsanschauung typischerweise nicht schon als Beginn des Ruhestands gelten. Dass die Klägerin im konkreten Fall als erwerbsunfähig aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, ändert daran nichts.

Es handelt sich auch nicht um eine Rente wegen einer "Einschränkung der Erwerbsfähigkeit" (§ 229 Abs. 1 Satz 1 SGB V) in diesem Sinne. Vielmehr bedeutet Flugdienstuntauglichkeit in diesem Sinne zwar keine Einsatzverwendungsmöglichkeit als Flugbegleiterin/Flugbegleiter mehr. Nach § 2 Abs. 5 TV ÜV-FB ist eine Weiterbeschäftigung am Boden auf Wunsch des Betroffenen jedoch möglich.

Auch ist zu berücksichtigen, dass auf die gewährte Firmenrente Einkünfte aus einem hiernach aufgenommenen Arbeitsverhältnis (teilweise) angerechnet wird, § 3 TV ÜV-FB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

 

Rechtskraft
Aus
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