L 1 R 292/22 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 5 R 167/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 1 R 292/22 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Ist über eine zulässige Berufung gegen einen Gerichtsbescheid rechtskräftig durch Urteil des LSG entschieden worden, ist der Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem SG gemäß § 105 Abs 2 Satz 2 SGG unzulässig.

2. Da mangels eines noch anhängigen Klageverfahrens über die Zulässigkeit oder die Statthaftigkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung kein klärungsbedürftiger Streit bestehen konnte, kann das SG den Antrag durch Beschluss zurückweisen. Es bedarf keiner Entscheidung der Kammer durch Urteil.

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Streitig ist die Durchführung von mündlichen Verhandlungen vor dem Sozialgericht Magdeburg nach rechtskräftigem Abschluss der beiden Klageverfahren. Der Kläger erstrebt in der Sache die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung schon zu einem früheren Zeitpunkt sowie eine höhere Altersrente.

 

Die Beklagte hatte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. November 2008 bis 30. Juni 2010 bewilligt. In dem dagegen gerichteten Klageverfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg einigten sich die Beteiligten im gerichtlichen Vergleich vom 7. Dezember 2012 auf einen Rentenbeginn ab dem 1. Oktober 2008  (S 5 (19) R 375/09).

 

Gegen den Ausführungsbescheid vom 25. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2013 erhob der Kläger erneut Klage. Das Sozialgericht verband diese mit einem anderen Rechtsstreit betreffend eine höhere Altersrente ab 1. Juli 2010 (S 5 R 1017/13 und S 8 R 1637/12). Das Verfahren endete durch gerichtlichen Vergleich vom 20. Oktober 2015. Der Ausführungsbescheid vom 5. November 2015 wurde bestandskräftig.

 

Am 28. Juni 2016 beantragte der Kläger gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) die Überprüfung der Renten wegen Erwerbsminderung und wegen Alters. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 25. Juli 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Dezember 2016 erhob der Kläger abermals Klage. Das Sozialgericht wies diese mit Gerichtsbescheid vom 6. April 2020 ab, da kein Anspruch auf Neufeststellung der Renten bestehe (S 5 R 167/17).

 

Zwischenzeitlich hatte der Kläger am 14. Oktober 2017 die Wiederaufnahme der Verfahren S 5 (19) R 375/09 und S 8 R 1637/12 beantragt. Bei dem Vergleich vom 7. Dezember 2012 habe er einen schweren Fehler gemacht. Das Sozialgericht wies die Wiederaufnahmeklage mit Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2020 ab, da der Rechtsstreit wirksam beendet worden sei.

 

Nach Zustellung beider Gerichtsbescheide hat der Kläger beim Sozialgericht Magdeburg am 17. Februar und 21. April 2020 die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt. Nach Hinweisen auf die Zulässigkeit der Berufungen hat er am 9. März und 24. April 2020 Berufungen beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Er hat aber darauf bestanden, dass ihm daneben auch ein Anspruch auf mündliche Verhandlungen beim Sozialgericht zustünde.

 

Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat die Berufungen mit rechtskräftigen Urteilen vom 3. Februar 2022 (L 3 R 53/20) und vom 2. Juni 2022 (L 3 R 90/20) zurückgewiesen. Diese seien zwar zulässig, aber unbegründet.

 

Das Sozialgericht hat mit Beschlüssen vom 20. September 2022 die Anträge des Klägers auf mündliche Verhandlung verworfen. Die Anträge seien unzulässig, da mündliche Verhandlungen nach § 105 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht zulässig hätte beantragt werden können. Wegen der Unstatthaftigkeit der Anträge könne darüber in entsprechender Anwendung von §§ 158 S. 2, 169 S. 3 SGG durch Beschluss entschieden werden. Es sei nicht notwendig, über jeden Antrag auf mündliche Verhandlung eine solche durchzuführen. Denn diese könne nur beantragt werden, wenn die Berufung nicht gegeben sei. Hier sei jeweils das Rechtsmittel der Berufung gegeben gewesen, denn der Wert des Beschwerdegegenstands habe jeweils 750 € überschritten.

 

Dagegen hat der Kläger am 20. Oktober 2022 jeweils Beschwerde beim Sozialgericht Magdeburg eingelegt, das diese an das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt weitergeleitet hat. Er macht im Wesentlichen geltend, die Arbeitsweise der zuständigen Richterin habe schwere Verfahrensmängel gezeigt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten L 3 R 90/20 und L 3 R 53/20 Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

II.

1.

 

Die Beschwerden des Klägers sind nach § 172 Abs. 1 SGG zulässig. Bei einem Antrag auf mündliche Verhandlung nach Abschluss des Klageverfahrens durch Gerichtsbescheid handelt es sich um einen Rechtsbehelf und nicht lediglich um eine prozessleitende Verfügung i.S.v. § 172 Abs. 2 SGG (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 105 Rn. 18).

 

Die Beschwerden sind auch form- und fristgerecht gemäß § 173 S. 1 SGG beim Sozialgericht eingelegt worden.

 

2.

 

Die Beschwerden sind aber unbegründet, da das Sozialgericht zu Recht die Anträge des Klägers auf Durchführung von mündlichen Verhandlungen als unzulässig verworfen hat.

 

a.

 

Der Antrag auf mündliche Verhandlung beim Sozialgericht nach Erlass eines Gerichtsbescheids ist gemäß § 105 Abs. 2 S. 2 SGG nur dann zulässig, wenn die Berufung nicht gegeben ist. Die Regelung in § 105 Abs. 2 S. 3 SGG über den Vorrang des Antrags auf mündliche Verhandlung vor einem eingelegten Rechtsmittel setzt die Zulässigkeit des Antrags voraus (Bundessozialgericht, Beschluss vom 31. Januar 2017, B 13 R 33/16 BH).

 

Hier war gegen beide Gerichtsbescheide das Rechtsmittel der Berufung gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 SGG gegeben. Der Wert des Beschwerdegegenstands lag jeweils über        750 €. Die Zulässigkeit der Berufungen ist auch in den rechtskräftigen Urteilen des Landessozialgerichts vom 3. Februar und 2. Juni 2022 bestätigt worden. Somit waren die Anträge auf mündliche Verhandlung unzulässig.

 

b.

 

Die Kammervorsitzende des Sozialgerichts Magdeburg durfte die Anträge auch im Wege von Beschlüssen verwerfen. Da diese einen Rechtsbehelf zum Gegenstand gehabt haben, waren sie zu begründen (§ 142 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 SGG).

 

Einer Entscheidung des Sozialgerichts durch Urteil über die Anträge auf mündliche Verhandlung gemäß § 125 SGG bedurfte es nicht. Hier ging es nicht (mehr) um Entscheidungen des Sozialgerichts über die beiden Klagen, da diese bereits rechtskräftig durch Urteile des Landessozialgerichts beendet worden sind. Diese binden gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG den Kläger und die Beklagte in Bezug auf die Streitgegenstände. Mangels noch anhängiger Rechtstreitigkeiten hinsichtlich der Renten wegen Erwerbsminderung und wegen Alters fehlt für die Anträge auf Durchführung der mündlichen Verhandlung jedes Rechtsschutzinteresse.

 

Insoweit unterscheidet sich die Prozesslage von der Situation, dass - bei einem noch nicht rechtskräftig beendeten Verfahren - Streit über die Zulässigkeit oder die Statthaftigkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung besteht. Dies kann etwa den Wert des Beschwerdegegenstands betreffen, die Einhaltung der formellen Voraussetzungen oder aber die Einhaltung von Rechtsbehelfsfristen (so etwa: Beschluss des Senats des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. Januar 2022, L 5 AS 670/21 B). Ob in einem solchen Fall über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Urteil zu entscheiden ist, kann hier offenbleiben. Denn mangels anhängiger Klagen konnte über die Zulässigkeit oder die Statthaftigkeit des Antrags auf mündliche Verhandlung gar kein klärungsbedürftiger Streit bestehen.

 

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

 

gez. Müller-Rivinius                           gez. Schäfer                          gez. Wiecha

Rechtskraft
Aus
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