L 9 R 3950/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 2973/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3950/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. November 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1979 geborene Klägerin verfügt über einen Hauptschulabschluss und hat eine Ausbildung zur Verkäuferin begonnen, diese jedoch aufgrund der Schwangerschaft mit dem ersten Kind nach eigenen Angaben nicht beendet. Nach den Kindererziehungszeiten war die Klägerin bei unterschiedlichen Firmen als Arbeiterin/Produktionsmitarbeiterin sowie als Reinigungskraft und zuletzt im Jahr 2015 als Verkäuferin bei einem Lebensmitteldiscounter tätig. Als letzte Pflichtbeitragszeit (für Pflegetätigkeit) ist der Zeitraum vom 06.12.2018 bis 31.12.2018 im Versicherungsverlauf vom 08.10.2019 ausgewiesen. Bei der Klägerin ist mit Bescheid des Landratsamts S-H vom 21.01.2019 ein Grad der Behinderung von 50 seit 15.08.2016 anerkannt.

In der Zeit vom 29.06.2016 bis zum 12.08.2016 wurde die Klägerin in der Psychiatrie S-H teilstationär behandelt. Als relevante Diagnosen führt der Entlassbericht eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode, eine somatoforme Funktionsstörung, eine generalisierte Angststörung und Folgen einer Verletzung am Auge an. Eine weitere stationäre Behandlung wurde in der Zeit vom 07.12.2016 bis 13.01.2017 im Klinikum C G durchgeführt.

Am 06.09.2018 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Als wesentliche Gesundheitsstörungen gab sie Leiden auf orthopädischem sowie nervenärztlichem Fachgebiet an.

Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin auf nervenärztlichem Fachgebiet von H gutachterlich untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 06.02.2020 folgende Diagnosen: Augenprothese links als Z.n. Augenverletzung im Kindesalter, Dysthymia sowie die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung. Eine relevante depressive Symptomatik habe er im Untersuchungszeitpunkt nicht feststellen können. Daneben bestehe ein nicht näher zuordenbarer Kopfschmerz, es würden Wirbelsäulenbeschwerden ohne Hinweis auf Ausfall- und Reizsymptomatik angegeben und es liege ein Zustand nach Karpaltunnel-Syndrom rechts ohne Relevanz für das rentenrechtliche Leistungsvermögen vor. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht sei die Klägerin als Verkäuferin ebenso wie für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten sechs Stunden und mehr leistungsfähig. Zum Untersuchungszeitpunkt bestehe keine posttraumatische Belastungsstörung. Die Augenverletzung sei eingebracht worden.

Mit Bescheid vom 15.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2019 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente aufgrund fehlender medizinischer Voraussetzungen ab. Unter Berücksichtigung der bei der Klägerin vorliegenden und beachtlichen Gesundheitsleiden könne diese noch sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer leichten körperlichen Tätigkeit nachgehen. Lediglich qualitative Leistungseinschränkungen bestünden aufgrund der festgestellten Diagnosen.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.09.2019 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat sie ausgeführt, sie halte sich aufgrund der orthopädischen sowie psychischen Gesundheitsleiden für erwerbsgemindert. Entgegen der Leistungsbewertung des eingeholten Gutachtens im Verwaltungsverfahren sei ihr Leistungsvermögen auf unter drei Stunden täglich für den allgemeinen Arbeitsmarkt gesunken.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG zunächst die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.
K hat unter dem 13.12.2019 mitgeteilt, er habe bei der Klägerin ein chronisches Lumbalsyndrom diagnostiziert. Er halte sie sowohl bzgl. der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als auch für eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für vollschichtig leistungsfähig. Lediglich qualitative Leistungseinschränkungen seien beachtlich, so könne die Klägerin nicht regelmäßig Lasten von über 10 kg heben und tragen. Zu vermeiden sei darüber hinaus auch eine Tätigkeit in gebückter Haltung sowie in Zwangshaltung. Unter dem 16.01.2020 hat K1 ausgeführt, die Klägerin habe in der Kindheit eine perforierende Verletzung am linken Auge erlitten; in der Folge sei es zu einer schmerzhaften Schrumpfung des erblindeten Augapfels mit Entfernung und Implantat im Jahr 2011 gekommen. Das rechte Auge sei vollkommen gesund und nicht beeinträchtigt; es bestehe dort eine Sehschärfe von 100 %. Aus augenärztlicher Sicht bestehe keine quantitative Einschränkung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Eine berufliche Tätigkeit mit hohen Anforderungen an die visuellen Fähigkeiten und an das räumliche Sehen könne die Klägerin jedoch nicht ausüben. Auch besonders augengefährdende Tätigkeiten seien wegen des Verletzungsrisikos aufgrund des bloß einen verbliebenen gesunden Auges zu vermeiden. B hat am 17.03.2020 angegeben, die Klägerin seit Oktober 2018 zu behandeln. Es bestehe eine depressive Störung in mittelschwerer Ausprägung, sowie eine gemischte Angststörung mit generalisierenden und phobischen Anteilen. Eine medikamentöse Therapie werde durchgeführt. Die Klägerin sei nicht in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, das Restleistungsvermögen betrage nach seiner Einschätzung unter drei Stunden. Einschränkungen, die üblichen Wege und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen bestünden nicht. Da in dieser schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage kein psychischer Befund mitgeteilt wurde, hat das SG die von B seit Behandlungsbeginn erstellten Befundberichte angefordert. Dieser hat daraufhin mit Schreiben vom 16.04.2020 mitgeteilt, dass er seit Behandlungsbeginn keinen Befundbericht erstellt habe.

Da SG hat dann B1 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In seinem Gutachten vom 16.07.2020 hat er bei der Klägerin eine Persönlichkeitsakzentuierung bei gleichzeitig niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau, anklingende Panikattacken ohne spezifisch ausgerichtete Behandlung, inhaltsabhängige Dysthymia mit erhaltener affektiver Auslenkbarkeit, einen Spannungskopfschmerz, einen Z.n. Karpaltunnelsyndrom rechts 2018, eine Erblindung auf dem linken Auge nach Unfall im Kindesalter sowie Adipositas diagnostiziert. Es bestünden Hinweise für nicht authentische Beschwerdeanteile, klinische Anhaltspunkte für die geklagten Lendenwirbelsäulenbeschwerden mit neurologischen Ausfällen seien nicht belegt. Die Klägerin sei auf Grundlage des erhobenen Befundes unter zumutbarer Willensanstrengung in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit für mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Lediglich – näher benannte - qualitative Leistungseinschränkungen seien beachtlich.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2020 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser oder gar voller Erwerbsminderung. Der Bescheid vom 15.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2019 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass die Klägerin noch in der Lage sei, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig auszuüben. Das SG hat sich hinsichtlich der Erkrankungen auf nervenärztlichem Fachgebiet auf das Gutachten von B1 gestützt. Darüber hinaus ergäben sich auch aufgrund der Leiden auf augenärztlichem sowie auf orthopädischem Fachgebiet keine Einschränkungen, die zu einer relevanten quantitativen Leistungsminderung in rentenrechtlicher Hinsicht führten, was den sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte K sowie K1 zu entnehmen sei. Die Klägerin sei noch in der Lage, eine leichte körperliche Tätigkeit bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (keine Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das räumliche Sehen stellen, keine augengefährdende Tätigkeit, zu vermeiden sind darüber hinaus Tätigkeiten bei denen einseitige Wirbelsäulenbelastungen bestehen, sowie bei denen die Klägerin schwere Lasten Tragen und Heben muss, kein Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht und die keine besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und überdurchschnittlich fordernd bzgl. sozialen Interaktionen sind) für mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Im Vordergrund stünden bei der Klägerin Beschwerden auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Insoweit stütze sich die Kammer auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des im gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen B1. Ein untervollschichtiges Leistungsvermögen lasse sich anhand des objektiv vorliegenden psychischen Befundes nicht nachweisen. Auf nervenärztlichem Fachgebiet leide die Klägerin aufgrund der Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen B1 an einer Persönlichkeitsakzentuierung bei gleichzeitig niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau, anklingenden Panikattacken ohne spezifisch ausgerichtete Behandlung, inhaltsabhängiger Dysthymia mit erhaltener affektiver Auslenkbarkeit, einem Spannungskopfschmerz, dem Z.n. Karpaltunnelsyndrom rechts 2018, einer Erblindung auf dem linken Auge nach Unfall im Kindesalter sowie Adipositas. Im psychisch erhobenen Befund habe sich kein Anhalt für mnestische oder kognitive Defizite ergeben. Die Konzentration der Klägerin sei über die gesamte mehrstündige Begutachtungszeit nicht relevant gemindert, sondern unverändert erhalten gewesen. Anhaltspunkte für eine relevante Schmerzbeeinträchtigung hätten sich ebenfalls nicht gezeigt. Die Klägerin habe keinerlei Anzeichen für eine vorzeitige Ermüdung oder Erschöpfung gezeigt. Inhaltsabhängig sei ein akzentuiertes Kommunikationsmuster festzustellen gewesen, das der Gutachter eindrücklich in der Anamneseerhebung dargestellt und als Persönlichkeitsakzentuierung unter Berücksichtigung der durchgeführten Beschwerdevalidierungstests bewertet habe. Bis zuletzt werde eine regelrechte Antriebslage durch den Gutachter wahrgenommen, was dieser nachvollziehbar und zutreffend in Diskrepanz zu der subjektiv geschilderten Krankheitsausprägung sieht. Anhalte für eine relevante depressive Störung zeigten sich ebenfalls nicht. B1 habe die Klägerin während der Gutachtenssituation mit facettenreichem Ausdrucksverhalten erlebt, auch humorvoll und lachend und teilweise mit strahlendem Gesichtsausdruck beschreibend. Auch anhand der von der Klägerin geschilderten Aktivitäten der Teilhabe am Leben ergäben sich keine relevanten Anhaltspunkte für eine bedeutsam ausgeprägte Störung in diesem Bereich. So gehe die Klägerin schwimmen, fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Pkw, erledige Hausarbeiten und gehe eigenen Interessen nach. Daneben werde ausgeführt, dass unterstellt, die finanziellen Möglichkeiten seien vorhanden, auch Interesse an Essengehen, Wellness und Auslandreisen bestehe. Auch dies spreche gegen eine stärker ausgeprägte depressive Störung. Aufgrund der doch erheblichen Diskrepanz des beobachteten Verhaltens unter Berücksichtigung der ausgewerteten Testungen simulierter Symptome schlussfolgere B1, dass bei der Klägerin Versorgungswünsche vorliegen und diese neben den originären Beschwerden gleichrangig vorhanden sind. Relevante neurologische Defizite ließen sich ebenfalls nicht feststellen, auch nicht hinsichtlich des operierten Karpaltunnelsyndroms. Daher könne auch nicht der Leistungsbewertung des B gefolgt werden. Dieser habe dem SG in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage keinen aktuellen psychischen Befund mitgeteilt. Auf die Anforderung der seit 2018 erstellten Befundberichte habe B schlicht mitgeteilt, in den knapp zwei Jahren der Behandlungsübernahme der Klägerin von seinem Vorgänger keinen eigenen Befundbericht erstellt zu haben. In der Folge sei die von B getroffene Bewertung der Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht im Ansatz nachvollziehbar und in sich schlicht unschlüssig. Daneben falle insofern eine Diskrepanz in der Konsistenz der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes auf, welcher eine agrophobische Angststörung als relevante Diagnose nenne, gleichwohl jedoch davon ausgehe, dass die Klägerin ungemindert in der Lage sei, täglich zweimal öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.

Gegen den ihr am 27.11.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.12.2020 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, entgegen der Einschätzung des SG sei das Gutachten von B1 nicht überzeugend. Die Anamnese des Gutachtens sei größtenteils durchsetzt von Bewertungen des Sachverständigen. Die Anmerkungen des Sachverständigen im Rahmen der Anamnese deuteten auch auf Schwierigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich zwischen der Klägerin und dem Sachverständigen hin, sodass nicht gewährleistet sei, dass vom Sachverständigen aus den Angaben der Klägerin die zutreffenden Schlüsse gezogen wurden. Vor dem Hintergrund der von der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen erheblich abweichenden und die Erwerbsminderungsrente tragenden (diagnostischen) Einschätzung des behandelnden Facharztes B sei es erforderlich, ein weiteres Gutachten einzuholen. Das Gutachten des B1 könne nicht einer Entscheidung zugrunde gelegt werden, die Klägerin habe sich während der Begutachtung stark eingeschüchtert und verunsichert gefühlt. Der Gutachter sei nicht auf ihre Befindlichkeiten eingegangen. Viele Fragen hätten sie unvermittelt getroffen und auch verunsichert. Sie habe den Eindruck gehabt, der Gutachter habe möglichst schnell mit der Gutachtenserstellung fertig werden wollen; er habe sehr unfreundlich auf sie gewirkt. Zusätzlich sei ihr zwischenzeitlich ein starkes Medikament gegen Kopfschmerzen verordnet worden, das ihr monatlich einmal gespritzt werden müsse.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. November 2020 sowie den Bescheid vom 15. Februar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. September 2018 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe, zumindest auf Zeit, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die angefochtenen Bescheide und den angefochtenen Gerichtsbescheid Bezug und hat eine Stellungnahme des N vom 23.08.2021 vorgelegt.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat K1 schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. In seiner Stellungnahme vom 26.05.2021 hat er ausgeführt, bei der Klägerin bestehe eine anhaltende depressive Symptomatik über Jahre mit rezidivierenden Kopfschmerzen und einer Migräne. Es bestehe eine eingeschränkte Belastungsfähigkeit im beruflichen Bereich. Durch hochdosierte medikamentöse Therapie habe keine gravierende Besserung erzielt werden können.

Die Berichterstatterin hat am 22.03.2022 einen Termin zur Erörterung des Sachverhalts durchgeführt, in dem sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe gemäß § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung ist nicht begründet, da das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19.11.2020 zu Recht abgewiesen hat. Der Bescheid der Beklagten vom 15.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.08.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein solcher Anspruch nicht besteht, weil die bei der Klägerin festzustellenden Gesundheitsstörungen nicht zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich führen. Das SG hat dies unter Auswertung der vorliegenden Gutachten, insbesondere des Gutachtens von B1, sowie der sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte ausführlich, sorgfältig und im Ergebnis überzeugend begründet. Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des SG nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht deswegen gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurück.

Ergänzend und zu den Einlassungen im Berufungsverfahren weist der Senat darauf hin, dass sich auch aus der im Berufungsverfahren eingeholten sachverständigen Zeugenaussage des K1 keine andere Leistungsbeurteilung ergibt. Der Senat schließt sich vielmehr den hiergegen vorgebrachten Einwänden des N in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23.08.2021 an. N weist zunächst auf die Behandlungsfrequenz hin. Im Jahr 2018 fand insoweit eine Häufung statt, wobei im Jahr 2019 überhaupt keine nervenärztliche Behandlung stattgefunden hat, die Behandlung danach im Jahr 2020 nur vier Behandlungstermine umfasst hatte und im Jahr 2021 bis zur Aussage nur zwei, sodass ungefähr die niedrigst mögliche Behandlungsfrequenz quartalsweise (dem Abrechnungszeitraum der kassenärztlichen Vereinigung) erfolgt war, was den Eindruck erlaubt, dass hier keine wesentliche Erkrankung im Sinne der Fragestellung vorliegt. Darüber hinaus belegen, wie N überzeugend darlegt, die durch K1 mitgeteilten Befunde keine Hinweise auf ein quantitativ leistungsminderndes Krankheitsbild, allenfalls eine subsyndromale Ausprägung, wobei die diagnostische Einschätzung einer mittelschweren depressiven Störung und Angststörung aufgrund der mitgeteilten psychopathologischen Anknüpfungstatsachen nicht nachvollzogen werden kann. Im Wesentlichen werden keine abweichenden medizinischen Anknüpfungstatsachen zum Gutachtensergebnis von B1 bekannt, weshalb sich keine abweichenden sozialmedizinischen Rückschlüsse ziehen lassen. Hinsichtlich der durch K1 angenommenen „anhaltenden depressiven Symptomatik", ist B1, wie das SG ausführlich dargelegt hat, schlüssig und überzeugend zu der Einordnung als Dysthymia gelangt. N verweist insoweit überzeugend darauf, dass die durch K1 mitgeteilten psychopathologischen Anknüpfungstatsachen zu dem Gutachtensergebnis von B1 besser passen, als zu den durch K1 angenommenen Diagnosen. Die beigefügten Befundberichte früherer Behandlungstermine bilden, wie N ebenso überzeugend darlegt, nicht die Kriterien einer leichten depressiven Episode ab und stehen damit auch in der Nähe zu einem Normalbefund, was zu der Einschätzung des Krankheitsbildes als Dysthymia im Gutachten von B1 passt. Zutreffend führt N darüber hinaus aus, dass es K1 nicht anzukreiden sei, dass im therapeutischen Kontext Aspekte außer Acht gelassen werden, die in der Regel in einer auf Vertrauen basierenden Arzt-Patienten-Beziehung nicht untersucht wurden, nämlich in Form einer Aussagenvalidierung. Eine solche Aussagenvalidierung hat B1 aber gerade vorgenommen und dabei „extremst ausgeprägte Hinweise für nicht-authentische Beschwerdeanteile" festgestellt und in einem Beschwerdevalidierungstest die massive Punktwerterhöhung als „simulative Tendenzen" interpretiert. Insgesamt ergeben sich keine wesentlichen abweichenden Verhältnisse zum Ergebnis der Begutachtung durch B1 in erster Instanz: Es ergeben sich, wie N schlüssig darlegt, keine Hinweise auf eine Befundverschlechterung oder wesentlich neu hinzugetretene Erkrankungsbilder im Sinne der Fragestellung, sodass eine abweichende sozialmedizinische Einschätzung des Leistungsvermögens nicht erfolgen kann. Der Senat hat vor dem Hintergrund, dass die behandelnden Ärzte keine (B) oder vergleichbare (K1) Befunde wie B1 mitgeteilt haben, keinen Anlass, dessen Befunderhebung und die darauf basierende Leistungsbeurteilung in Frage zu ziehen. Im Hinblick auf das ausführliche Gutachten des B1 hat der Senat auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es oberflächlich erstellt worden wäre oder der Gutachter, wie die Klägerin vortragen lässt, möglichst schnell hätte fertig werden wollen. Allein die Anamneseerhebung hat, wie der Gutachter mitteilt, 2 Stunden 15 Minuten gedauert und umfasst 25 Seiten des Gutachtens. B1 beschreibt selbst, dass die Kommunikation mit der Klägerin sich schwierig gestaltet hat, was aber nicht auf sprachliche Schwierigkeiten, sondern ein Abblocken der Klägerin zurückzuführen gewesen ist. Die Klägerin zeigte sich zunächst in einem Kommunikationsmuster, das der Gutachter als missmutig, gleichzeitig wirklich doch recht akzentuiert beharrlich, den Gutachter auch in „unverfänglichen Themenbereichen die Dinge immer wieder erarbeiten lassend, sich gelangweilt gebend“ beschreibt. Die Klägerin war aber immer wieder auch auslenkbar und im weiteren Verlauf der Begutachtung kooperativ. Den Tonfall beschreibt der Gutachter im weiteren Verlauf als unbekümmert und durchaus auch humorvoll. Dass die Klägerin im Rahmen der umfangreichen und mehrere Stunden (9:10 Uhr bis 13:10 Uhr) umfassenden Begutachtung ihre Beschwerden nicht hätte hinreichend zum Ausdruck bringen können, erschließt sich dem Senat auch vor dem Hintergrund der ausgesprochen umfangreichen anamnestischen Angaben, die im Gutachten wiedergegeben werden, nicht. Soweit sie sinngemäß vorträgt, sie habe kein vertrauensvolles Verhältnis zum Gutachter aufbauen können und habe ihn als unfreundlich wahrgenommen, steht dies der Verwertung des Gutachtens ebenfalls nicht entgegen. Zwischen dem Gutachter und der Klägerin war kein vertrauensvolles Arzt-Patienten-Verhältnis aufzubauen, sondern eine Untersuchung im Rahmen einer Begutachtung durchzuführen. Anhaltspunkte dafür, dass der Gutachter unsachlich argumentieren würde, vermag der Senat nicht zu erkennen. Im Rahmen der ausführlichen Befunderhebung hat er sich ausführlich mit der Krankheitsgeschichte der Klägerin auseinandergesetzt und gründlich Befunde erhoben. Der Senat ist davon überzeugt, dass das Gutachten verwertet werden kann und zu Recht durch das SG verwertet worden ist. Das SG ist daher im Wesentlichen auch gestützt auf das Gutachten von B1 zu der überzeugenden Einschätzung gelangt, dass der Klägerin zumindest leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zugemutet werden können.

Damit kann der Senat sich nicht davon überzeugen, dass die Erkrankungen der Klägerin für sich genommen wie auch insgesamt betrachtet seit der Rentenantragstellung zu einer mindestens sechs Monate andauernden auch zeitlichen Leistungseinschränkung geführt haben. Die vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen können somit zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keinen Zweifel an ihrer weitgehend normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung kann vorliegend auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 -, Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit ist erst dann zu benennen, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der „Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl. BSG, Urteile vom 20.08.1997 - 13 RJ 39/96 -, vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 -, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 - und vom 09.09.1998 - B 13 RJ 35/97 R -, Juris). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.04.1982 - 1 RJ 132/80 -, Juris) jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen von Gegenständen, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich sind. Dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen – wenigstens sechs Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, „erwerbstätig zu sein“, hat das BSG zuletzt mit Urteil vom 11.12.2019 (- B 13 R 7/18 R -, Juris) bestätigt. Bei der Klägerin sind, wie sich insbesondere aus dem Gutachten von B1 und aus den Angaben der durch das SG als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte ergibt, keine Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das räumliche Sehen erfordern und keine augengefährdenden Tätigkeiten zumutbar. Zu vermeiden sind darüber hinaus Tätigkeiten, bei denen einseitige Wirbelsäulenbelastungen bestehen, sowie bei denen die Klägerin schwere Lasten tragen und heben muss, kein Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht und die keine besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und überdurchschnittlich fordernd bzgl. sozialen Interaktionen sind. Auch unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Leistungseinschränkungen sind der Klägerin die durch das BSG aufgezeigten Tätigkeitsfelder noch möglich und zumutbar. Dass der Klägerin bislang keine leidensgerechte Arbeit vermittelt werden konnte, führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Vermittlung einer grundsätzlich möglichen und leidensgerechten Tätigkeit ist Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit. Das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG, Urteile vom 25.06.1986 - 4a RJ 55/84 - und vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, Juris). Der Klägerin ist trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen und der daraus folgenden qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten eröffnet, sodass keine Summierung ungewöhnlicher oder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vorliegt und keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden muss.

Die Klägerin ist auch trotz der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen in der Lage, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die sog. Wegefähigkeit der Klägerin ist nicht in rentenrechtlich relevantem Ausmaß eingeschränkt. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BSG ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (BSG, Urteile vom 12.12.2011 - B 13 R 21/10 R - und - B 13 R 79/11 R -, vom 30.01.2002 - B 5 RJ 36/01 R -, Juris m.w.N., vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, a.a.O.). Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl. BSG, Urteile vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R - und vom 30.11.1965 - 4 RJ 101/62 -, Juris). Anhaltpunkte dafür, dass sich die Gesundheitsstörungen auf die Wegefähigkeit der Klägerin auswirken würden, bestehen nicht.

Die Klägerin hat nach alledem keinen Anspruch auf die begehrte Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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