L 33 R 79/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
33
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 184/19 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 33 R 79/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein durch den Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründeter erstinstanzlicher Verfahrensmangel kann im Berufungsverfahren geheilt werden.

2. Das "Zulassen" eines banküblichen Zahlungsgeschäfts im Sinne von § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI erfordert ein pflichtwidriges Unterlassen durch vorwerfbar unterlassene Handlungen (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 - B 13 R 105/11 R -, SozR 4-2600 § 118 Nr. 11, juris Rn. 30).

3. Mit der Erteilung einer Kontovollmacht als solcher ist nicht ohne weiteres die Verpflichtung des Bevollmächtigten verbunden, nach dem Ableben des Kontoinhabers alle das Kontoguthaben vermindernden Verfügungen zu verhindern (Sächsisches LSG, Urteil vom 17. März 2021 - L 6 R 236/18 - juris Rn. 47; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. November 2018 - L 3 R 716/17 -, juris Rn. 39; SG Berlin, Urteil vom 6. September 2017 - S 31 R 2567/16 - juris Rn. 46 ff.). 

4. Die Feststellung eines pflichtwidrigen Unterlassens setzt stets voraus, dass zwischen Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers und den entsprechenden Kontobewegungen, die der Bevollmächtigte unterbinden soll, ein ausreichender Zeitraum zum Handeln liegt (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2020 - L 6 R 283/17 - juris Rn. 30; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 17. März 2021 - L 6 R 236/18 - juris Rn. 50).

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

 

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist, ob die Klägerin zur Erstattung einer über den Sterbemonat ihres Vaters hinaus erbrachten Rentenzahlung verpflichtet ist.

 

Die Klägerin ist die Tochter des 1933 geborenen und  2017 verstorbenen Herrn H Z (im Folgenden: Rentenempfänger). Dieser bezog von der Beklagten Witwerrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), zuletzt in Höhe von monatlich 401,52 €. Von einem anderen Rentenversicherungsträger erhielt er zudem eine Altersrente. Die Rentenzahlungen wurden laufend für den jeweiligen Monat zum Monatsanfang auf sein bei der beigeladenen Bank geführtes Girokonto überwiesen.

 

Bereits im Jahr 2006 hatte die Klägerin von dem Rentenempfänger eine Kontovollmacht erteilt bekommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die formularmäßige Vollmachtsurkunde vom 7. Februar 2006 Bezug genommen.

 

Vom Tod des Rentenempfängers erfuhr die Klägerin noch am selben Tag – dem 23. April 2017 – durch Mitteilung des Krankenhauses.

 

Am 28. April 2017 gingen die Witwerrentenzahlung für Mai 2017 in Höhe von 401,52 € sowie die Altersrentenzahlung in Höhe von 1.458,37 € auf dem Konto des (verstorbenen) Rentenempfängers ein.

 

Am 2. Mai 2017 erfolgten mehrere Abbuchungen von dem Konto des Rentenempfängers wegen der Ausführung von – noch zu Lebzeiten erteilter – Daueraufträge. Diese beliefen sich auf insgesamt 290,47 € und setzten sich zusammen aus Zahlungen an die  GmbH (100,- €), die L GmbH (28,40 €), die E AG (38,68 €), die A   AG (73,39 €) und die „e“ (50,- €).

 

Am 3. Mai 2017 wurde die Beigeladene über den Renten Service der Deutschen Post AG zur Rücküberweisung der über den Sterbemonat hinaus gezahlten Witwerrente an die Beklagte aufgefordert. Der Sollsaldo des Kontos belief sich bei Eingang des Rücküberweisungsverlangens auf 894,28 €.

 

Unter dem 29. September 2017 machte die Beklagte gegenüber der Beigeladenen unter Hinweis auf § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI (nochmals) den Rücküberweisungsanspruch geltend. Sie bezifferte diesen auf 99,18 €. Hierbei ging sie von einer Gesamtüberzahlung in Höhe von 1.804,88 € (Witwerrente: 389,65 €; Altersrente: 1.415,23 €) aus. Von diesem Betrag zog sie die „Summe der anderweitigen Verfügungen“ in Höhe von 290,47 € sowie die von der Beigeladenen zu diesem Zeitpunkt bereits an den anderen Rentenversicherungsträger geleistete Rücküberweisung in Höhe von 1.415,23 € ab. Die Beigeladene kam dem Rücküberweisungsverlangen der Beklagten kurz darauf in der geforderten Höhe von 99,18 € nach.

 

Im Januar 2018 hörte die Beklagte die Klägerin zu der Absicht an, die über den Sterbemonat des Rentenempfängers hinaus gezahlte Geldleistung von ihr als Verfügende im Sinne von § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI in Höhe von 290,47 € (389,65 € abzüglich des von der Beigeladenen gezahlten Betrags in Höhe von 99,18 €) zurückzufordern. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 6. Februar 2018. Sie führte aus, dass sie „kontoberechtigt“ gewesen sei, da ihr Vater verschuldet gewesen sei und sie gebeten habe, seine Überweisungen per Online-Banking zu tätigen, damit „er von seinen Schulden runter kommt“. Nach seinem Tod habe sie keine Bankgeschäfte mehr getätigt.

 

Ferner reichte die Klägerin eine notarielle Urkunde bei der Beklagten ein, aus der hervorgeht, dass sie bereits am 16. Mai 2017 die Erklärung über die Ausschlagung der Erbschaft abgegeben hatte.

 

Mit Bescheid vom 22. Februar 2018 forderte die Beklagte die Klägerin zur Erstattung des Betrags in Höhe von 290,47 € auf. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2018 zurück. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Rentenzahlung für Mai 2017 in Höhe von 389,65 € zu Unrecht erbracht worden sei. Wegen des Todes des Rentenempfänger am 23. April 2017 habe ein Rentenanspruch gemäß § 102 Abs. 5 SGB VI nur bis zum 30. April 2017 bestanden. Die gezahlte Rente habe bis auf einen Betrag von 290,47 € zurückgefordert werden können. Die Beigeladene sei nicht zur Erstattung dieses Betrags verpflichtet, weil über den entsprechenden Betrag bereits vor Eingang der Rückforderung anderweitig verfügt worden sei (§ 118 Abs. 3 SGB VI). Vielmehr sei die Klägerin gemäß § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI erstattungspflichtig, denn sie habe als Kontoverfügungsberechtigte trotz Kenntnis vom Tod bankübliche Zahlungsgeschäfte (hier: Abbuchungen) zugelassen. Diese seien in Höhe von 290,47 € aus der zu Unrecht gezahlten Rentenleistung erfolgt. Innerhalb des Erstattungsanspruchs nach § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI seien Empfänger und Verfügende gleichrangig zur Erstattung verpflichtet. Daraus folge, dass seitens des Rentenversicherungsträgers ein Wahlrecht bestehe, wer in Anspruch genommen werde. Vorliegend werde der Anspruch aus Zweckmäßigkeitsgründen der Klägerin gegenüber geltend gemacht, da sie erstattungspflichtig in Höhe des gesamten Betrags sei.

 

Am 20. August 2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Cottbus erhoben, mit der sie die Aufhebung des Bescheids vom 22. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2018 begehrt hat. Sie hat zur Begründung ihrer Klage vorgetragen, dass der Rückgriff auf sie nicht erforderlich sei, da die Beklagte vorrangig die Begünstigten aus den Daueraufträgen in Anspruch nehmen könne. Selbst wenn man ihr aufgrund der Kontovollmacht eine Verpflichtung zum Handeln auferlegen wollte, sei sie dieser jedenfalls nachgekommen. Mit der Beauftragung des Bestattungsinstituts habe sie veranlasst, dass sämtliche zu diesem Zeitpunkt „aktiv bekannten“ Zahlungsverpflichtungen ihres Vaters eingestellt würden. Darüber hinaus habe sie bereits am 26. April 2017 die Vertragspartner, für die eine Einzugsermächtigung bestanden habe, über das Ableben ihres Vaters informiert und entsprechende Verträge gekündigt.

 

Zur Untermauerung ihres Vortrags hat die Klägerin Auflistungen des Bestattungsinstituts vorgelegt, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird.

 

Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Klägerin als Verfügende im Sinne von § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI erstattungspflichtig sei. Zwar habe die Klägerin zwischen dem Eingang der Rentenzahlung auf dem Konto des verstorbenen Rentenempfängers am 28. April 2017 und dem Eingang des Rückforderungsverlangens bei der Beigeladenen am 3. Mai 2017 Verfügungen nicht (aktiv) „vorgenommen“, sie habe jedoch Verfügungen „zugelassen“. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Juli 2012 (B 13 R 105/11 R) erfordere das „Zulassen“ eines banküblichen Geschäfts ein „pflichtwidriges Unterlassen“ durch eine vorwerfbar unterlassene Handlung wie z. B. die Kontosperrung oder eine andere gebotene Handlung, die Verfügungen Dritter über das Konto verhindern könne. Nach ihrer (der der Beklagten) Auffassung bestehe auch eine Verpflichtung des Kontobevollmächtigten, nach dem Tod des Kontoinhabers das Konto sperren zu lassen, um Daueraufträge nicht mehr stattfinden zu lassen. Würde man nicht von einer entsprechenden Pflicht des Kontobevollmächtigten ausgehen, Verfügungen bzw. den Empfang von Geldbeträgen durch Dritte zu verhindern, würden die Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem genannten Urteil keinen Sinn ergeben. Die Klägerin habe als Verfügungsberechtigte ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos zugelassen, indem sie es unterlassen habe, die betreffenden Abbuchungen vom Konto des verstorbenen Rentenempfängers zu verhindern. Offenbar habe sie sich nicht umgehend an die Beigeladene gewandt und entsprechende Maßnahmen ergriffen. Schon auf der Grundlage der alten, bis zum 28. Juni 2002 geltenden Fassung des § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI habe das Bundessozialgericht dargelegt, dass eine anderweitige – also das Geldinstitut entreichernde – Verfügung vorliege, wenn diese einer kontoverfügungsberechtigten Person zugerechnet werden könne (Hinweis auf BSG, Urteil vom 9. Dezember 1998 – B 9 V 48/97 R). Durch die ab dem 29. Juni 2002 geltende Neufassung der Vorschrift habe der Gesetzgeber den Personenkreis sowohl der Empfänger als auch der Verfügenden näher definiert bzw. konkretisiert; inhaltlich habe sich hierdurch jedoch keine Änderung ergeben. Bereits mit der Schaffung des § 118 Abs. 4 SGB VI sei beabsichtigt gewesen, die Rentenversicherungsträger in die Lage zu versetzen, in Todesfällen schnell und unbürokratisch die überzahlten Geldbeträge für die Versichertengemeinschaft zurückzuerlangen. Es sei nicht davon auszugehen, dass den Rentenversicherungsträgern hierbei die Prüfung, zu welchen Zwecken die Vollmacht im Einzelfall erteilt worden sei, auferlegt werden sollte. Eine Kontovollmacht, die über den Tod des Vollmachtgebers hinaus gelte, werde gerade zu dem Zweck erteilt, dass sich der Bevollmächtigte um die nach dem Tode anfallenden Bankgeschäfte kümmere. Die Klägerin habe durch ihre Unterschrift auf der Vollmacht zu erkennen gegeben, dass sie sich des „Handlungsspielraums“, der für sie auch nach dem Tod des Rentenempfängers bestehen würde, bewusst gewesen sei.

 

 

Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zunächst mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2019, den Beteiligten zugestellt am 12. März 2019, aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin nicht dem erstattungspflichtigen Personenkreis nach § 118 Abs. 4 SGB VI unterfalle, insbesondere sei sie nicht Verfügende. Der Wortlaut der Vorschrift verlange eine Verfügung „über den entsprechenden Betrag“. Die Beklagte stelle allein auf die abstrakte Verfügungsgewalt ab. Hierauf komme es aber nicht an, sondern auf die konkrete Verfügung. Über den geltend gemachten Betrag habe die Klägerin jedoch nicht verfügt. Auch die Auffassung, die Klägerin sei deshalb Verfügende, weil sie nicht verhindert habe, dass Abbuchungen vorgenommen würden, könne nicht überzeugen. Es sei nicht erkennbar, woraus sich eine Rechtspflicht der Klägerin, entsprechende Abbuchungen durch weitere Personen zu verhindern, ergeben sollte.

 

Auf den am 11. April 2019 gestellten Antrag der Beklagten nach § 105 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozialgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt und hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 13. Dezember 2019 (nochmals) aufgehoben. Zur Begründung hat es auf den Gerichtsbescheid Bezug genommen. Anders als noch im Gerichtsbescheid hat es nunmehr die Berufung zugelassen.

 

Die Beklagte hat am 17. Januar 2020 Berufung gegen das ihr am 30. Dezember 2019 zugestellte Urteil eingelegt. In der Sache wiederholt sie ihren erstinstanzlichen Vortrag. Darüber hinaus macht sie geltend, dass sie durch die Entscheidung des Sozialgerichts in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sei. Weder enthalte die Entscheidung eine Erörterung der vorgetragenen Argumente noch finde eine substanzielle Auseinandersetzung mit der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung statt.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Dezember 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

 

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie äußert sich auch nicht zur Sache.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide der Beklagten zu Recht aufgehoben.

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – neben dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2018 – nur das aufgrund mündlicher Verhandlung erlassene Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Dezember 2019, nicht hingegen der Gerichtsbescheid vom 1. März 2019. Der Gerichtsbescheid gilt gemäß § 105 Abs. 3 Halbsatz 2 SGG als nicht ergangen, weil die Beklagte nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG rechtzeitig die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht beantragt hatte.

 

II. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie nach §§ 143, 144 SGG statthaft. Die Berufung bedurfte der Zulassung, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750,- € nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Sozialgericht hat die Zulassung der Berufung im Urteil ausgesprochen. Hieran ist der Senat gemäß § 144 Abs. 3 SGG gebunden.

 

III. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2018 auf die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) aufgehoben.

 

Hierbei kann offen bleiben, ob das Urteil des Sozialgerichts die Beklagte in ihrem Recht auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) verletzt. Ein etwaiger, durch den Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründeter Verfahrensmangel wäre jedenfalls inzwischen als geheilt anzusehen (vgl. zur Heilung von erstinstanzlichen Verfahrensfehlern in der Berufungsinstanz Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 62 Rn. 11e). Die Beklagte hatte im Berufungsverfahren nochmals ausreichend Möglichkeit, sich zu äußern. Der Senat hat den Vortrag der Beklagten zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen einbezogen (dazu sogleich unten). Der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör ist somit jedenfalls im Berufungsverfahren realisiert worden. Eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht wegen eines (wesentlichen) Verfahrensmangels wäre gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG ohnedies nur möglich, wenn aufgrund des Verfahrensmangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig wäre. Dies ist indes hier nicht der Fall, da in erster Linie Rechtsfragen im Streit stehen.

 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten war – wie das Sozialgericht zutreffend erkannt hat – aufzuheben. Er ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

 

Gemäß § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI sind, soweit Geldleistungen für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten zu Unrecht erbracht worden sind, sowohl die Personen, die die Geldleistung unmittelbar in Empfang genommen haben oder an die der entsprechende Betrag durch Dauerauftrag, Lastschrifteinzug oder sonstiges bankübliches Zahlungsgeschäft auf ein Konto weitergeleitet wurde (Empfänger), als auch die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (Verfügende), dem Träger der Rentenversicherung zur Erstattung des entsprechenden Betrags verpflichtet. Der Träger der Rentenversicherung hat Erstattungsansprüche durch Verwaltungsakt geltend zu machen (§ 118 Abs. 4 Satz 2 SGB VI). Ein Anspruch gegen die Erben nach § 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) bleibt unberührt (§ 118 Abs. 4 Satz 4 SGB VI).

 

Der Erstattungsanspruch der Beklagten scheitert vorliegend bereits daran, dass die Klägerin nicht zu dem Personenkreis gehört, der nach § 118 Abs. 4 Satz 1 SGB VI bzw. nach § 50 SGB X (i. V. m. 118 Abs. 4 Satz 4 SGB VI) zur Erstattung von nach dem Tod des Rentenempfängers überzahlten Geldleistungen verpflichtet ist.

 

Eine Haftung der Klägerin als Erbin nach § 50 SGB X (i. V. m. § 118 Abs. 4 Satz 4 SGB VI) kommt ersichtlich nicht in Betracht und wird von der Beklagten auch nicht geltend gemacht. Die Klägerin hat die Erbschaft ausgeschlagen. Hierdurch ist der Erbschaftsanfall rückwirkend beseitigt worden (§ 1953 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB).

 

Ebenso wenig ist die Klägerin „Empfängerin“ (§ 118 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB VI) der nach dem Tod des Rentenempfängers zu Unrecht erbrachten Geldleistungen; sie wird als solche auch nicht von der Beklagten in Anspruch genommen. Weder hat die Klägerin eine Geldleistung unmittelbar in Empfang genommen noch ist ein entsprechender Betrag durch ein bankübliches Zahlungsgeschäft wie z. B. eine Überweisung auf ihr Konto weitergeleitet worden.

 

Schließlich ist die Klägerin nicht als „Verfügende“ haftbar. Verfügende sind die Personen, die als Verfügungsberechtigte über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft zu Lasten des Kontos vorgenommen oder zugelassen haben (§ 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI). Dies setzt schon nach dem Wortlaut der Vorschrift mehr als nur die Verfügungsberechtigung über das Konto voraus. Denn der Verfügende muss dem Geldinstitut gegenüber wirksam zu Lasten des Kontos verfügt, also Rechtsgeschäfte vorgenommen haben, die unmittelbar darauf gerichtet waren, auf ein bestehendes Recht einzuwirken, es zu verändern, zu übertragen oder aufzuheben (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 – B 13 R 105/11 R –, SozR 4-2600 § 118 Nr. 11, juris Rn. 29).

 

Eine Verfügung durch aktives Tun fällt der Klägerin nicht zur Last. Sie hat keinerlei Überweisungen, Abhebungen oder sonstige Zahlungsgeschäfte getätigt. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht unstreitig.

 

Anders als die Beklagte meint, kann die Klägerin auch nicht als Verfügungsberechtigte in Anspruch genommen werden, die über den entsprechenden Betrag ein bankübliches Zahlungsgeschäft „zugelassen“ hat. Offen bleiben kann hierbei, ob die der Klägerin 2006 eingeräumte Kontovollmacht nach dem Tod des Rentenempfängers am 23. April 2017 überhaupt noch fortwirkte und sie somit überhaupt die rechtliche Möglichkeit hatte, die Ausführung der – noch zu Lebzeiten vom Rentenempfänger erteilten – Daueraufträge am 2. Mai 2017 über insgesamt 290,47 € zu stoppen. Denn auch die Alternative des „Zulassens“ eines banküblichen Zahlungsgeschäfts setzt jedenfalls mehr als die bloße Verfügungsberechtigung über das Konto voraus. Sie erfordert nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012 – B 13 R 105/11 R –, SozR 4-2600 § 118 Nr. 11, juris Rn. 30), der sich der Senat anschließt, ein pflichtwidriges Unterlassen (durch vorwerfbar unterlassene Handlungen, wie z. B. die Kontosperrung oder andere gebotene Handlungen, durch die Verfügungen Dritter über das Konto verhindert werden können). Genau daran fehlt es hier aber.

 

Mit der Erteilung einer Kontovollmacht als solcher ist nicht ohne weiteres die Verpflichtung des Bevollmächtigten verbunden, nach dem Ableben des Kontoinhabers alle das Kontoguthaben vermindernden Verfügungen zu verhindern (Sächsisches LSG, Urteil vom 17. März 2021 – L 6 R 236/18 – juris Rn. 47; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. November 2018 – L 3 R 716/17 –, juris Rn. 39; SG Berlin, Urteil vom 6. September 2017 – S 31 R 2567/16 – juris Rn. 46 ff.). Aus der rechtlichen Möglichkeit, dies zu tun, folgt nicht automatisch auch die rechtliche Verpflichtung hierzu. Soweit die Beklagte befürchtet, dass unter dieser Prämisse kein ausreichender Anwendungsbereich für den Tatbestand des „Zulassens“ eines banküblichen Zahlungsgeschäfts im Sinne von § 118 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 SGB VI und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verbleibt, ist diese Sorge unbegründet. Denn auch ohne die Annahme einer generellen Verpflichtung des Kontobevollmächtigten, Verfügungen bzw. den Empfang von Geldbeträgen durch Dritte zu verhindern, kann ihn gleichwohl im Einzelfall eine Pflicht zum „Eingreifen“ treffen. Zu denken ist an Fälle, in denen der Kontoinhaber den Bevollmächtigten im Innenverhältnis ausdrücklich damit beauftragt hat, nach seinem Tod bestimmte Zahlungsgeschäfte zu stoppen, oder in denen sich eine entsprechende Handlungspflicht aus sonstigen Umständen des Einzelfalls (vgl. hierzu etwa Pflüger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, § 118 Rn. 161) ergibt.

 

Des Weiteren ist zu beachten, dass die Feststellung eines pflichtwidrigen Unterlassens stets voraussetzt, dass zwischen Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers und den entsprechenden Kontobewegungen, die der Bevollmächtigte unterbinden soll, ein ausreichender Zeitraum zum Handeln liegt (Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2020 – L 6 R 283/17 – juris Rn. 30; vgl. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 17. März 2021 – L 6 R 236/18 – juris Rn. 50). Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass ab Erhalt der Todesnachricht mit Priorität regelmäßig eine Fülle von Aufgaben und Formalitäten zu erledigen sind (so zutreffend Hessisches LSG, Urteil vom 18. November 2020, a. a. O.).

 

Im vorliegenden Fall steht der Annahme eines pflichtwidrigen Unterlassens jedenfalls der zeitliche Gesichtspunkt entgegen. Es ist der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie nach dem Tod ihres Vaters keine Priorität darauf verwendet hat, sogleich die in Frage stehenden Daueraufträge, die Beträge zwischen rund 30,- € und 100,- € zum Gegenstand hatten, zu löschen. Zwischen dem Tod (Sonntag, 23. April 2017) und der Realisierung der Abbuchungen (Dienstag, 2. Mai 2017) lagen gerade einmal sechs Werktage. Erst ab dem Eingang der Rentenleistung auf dem Konto des verstorbenen Rentenempfängers (Freitag, 28. April 2017) war überhaupt erkennbar, dass es zu einer Überzahlung (eben der Rente) gekommen war und dass ggf. anstehende Zahlungsgeschäfte die Rücküberweisung dieser Geldleistung beeinträchtigen könnten. Selbst bei sofortigem Handeln an diesem Tag ist fraglich, ob die Daueraufträge noch hätten gestoppt werden können, zumal der 1. Mai 2017 ein Feiertag war. Die Klägerin hatte sich, wie den von ihr vorgelegten Unterlagen zu entnehmen ist, in der Woche nach dem Tod ihres Vaters zunächst an ein Bestattungsinstitut gewandt und auch diverse Einrichtungen über dessen Ableben informiert. Sie ist also keineswegs untätig gewesen. Dass sie die Daueraufträge in der Kürze der Zeit nicht oder jedenfalls nicht mit Erfolg storniert hat, kann angesichts der anderen drängenden Aufgaben und der typischerweise mit dem Tod des eigenen Elternteils einhergehenden emotionalen Belastung keinen vorwerfbaren Pflichtenverstoß begründen.

 

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 154 ff. Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen, und zwar in beiden Rechtszügen (§ 154 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO). Die Regelung des § 193 SGG ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht anwendbar. Weder die Klägerin noch die Beklagte gehört in kostenrechtlicher Hinsicht zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis. Der Senat war befugt, eine entsprechende Kostenentscheidung unter Korrektur des erstinstanzlichen Ausspruchs auch für das Klageverfahren zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 11 AL 6/09 R – juris Rn. 24). Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, weil dies nicht der Billigkeit entspricht (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Beigeladene hat selbst keinen Antrag gestellt und war dementsprechend auch keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

 

V. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.

 

 

Rechtskraft
Aus
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