L 19 R 584/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 12 R 172/17
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 584/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX idF bis 31.12.2017 verbietet der Bundesagentur für Arbeit Feststellungen, ob die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorliegen, weil im Gegensatz zur Klärung der Zuständigkeitsabgrenzung nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI diese Voraussetzungen nicht innerhalb kurzer Zeit zu klären sind, sondern einen erheblichen umfangreicheren Prüfungsaufwand erfordern würden.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.09.2018 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 29.632,59 Euro festgesetzt.


T a t b e s t a n d :

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat, die sie in Sachen H aufgewendet hat.

Der 1968 geborene Versicherte H ist bei der Beklagten rentenversichert. Im Versicherungsverlauf des Versicherten sind Pflichtversicherungszeiten von Mai 1989 bis September 1990 wegen Wehr- und Zivildienst sowie vom 01.09.2000 bis 15.01.2001 und vom 01.02.2002 bis 19.11.2002 wegen abhängiger Beschäftigung enthalten. Eine weitere Zeit vom 01.05.1999 bis 23.07.1999 betrifft eine geringfügige Beschäftigung ohne Zuzahlung und in der Zeit vom 01.07.2013 bis 30.09.2013 wurde Arbeitslosengeld II bezogen. Es liegen somit 32 Kalendermonate mit Beitragszeiten vor.

Am 23.04.2014 wurde eine Betreuung für den Versicherten eingerichtet. Bei ihm liegen ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 und das Merkzeichen B, seit 19.05.2014 festgestellt, vor.

Am 18.06.2014 wandte sich das Sozialamt des Landkreises G unter Bezugnahme auf § 45 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) an die Beklagte, um die Frage beantwortet zu erhalten, ob beim Versicherten die Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB XII - u.a. voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) - vorlägen. Beim Versicherten sei seit Anfang der 90er Jahre eine paranoide Schizophrenie bekannt und außerdem würden jetzt Folgen von Erfrierungen der oberen und unteren Extremitäten bestehen. Vorgelegt wurde ein Arztbrief der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie C in G vom 24.06.2013. Weitere Arztbriefe dieser Klinik reichen bis ins Jahr 1995 zurück; eine Anordnung zur gerichtlichen Unterbringung in der Klinik sei am 26.09.1994 erfolgt.

In einer sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung der Beratungsärztin der Beklagten, H1, vom 29.07.2014 wurde festgehalten, dass beim Versicherten seit mindestens 16.05.2013 ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden täglich wegen Einschränkungen der geistig-psychischen Belastbarkeit bestehe. Eine Befristung des sozialmedizinischen Leistungsbilds sei nicht angezeigt. Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass der Versicherte seit Jahren an einer psychischen Erkrankung leide. Im Zeitraum von Mai 1993 bis November 2002 sei eine Besserung eingetreten gewesen; mit dem Krankenhausaufenthalt 31.12.2002 sei der Leistungsfall anzunehmen. Im Rahmen der Prüfung, ob eine vorzeitige Wartezeiterfüllung gegeben sei, kam die Beklagte am 07.08.2014 zum Ergebnis, dass die Erwerbsminderung innerhalb der Sechsjahresfrist nach Ausbildungsende - 15.01.2001 - eingetreten sei. Im maßgeblichen Zeitraum vom 31.12.2000 bis 30.12.2002 seien 12 Pflichtbeiträge vorhanden.

Die Beklagte schrieb den Versicherten am 20.08.2014 an und regte auf Grund ihrer Feststellungen zum Leistungsvermögen an, dass der Versicherte einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung stelle. Die Betreuerin des Versicherten unterschrieb am 11.09.2014 den übersandten Formblattantrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte hatte darauf vermerkt, dass ein Rentenvorverfahren entbehrlich sei, da die Erwerbsminderung bereits im Rahmen eines Amtshilfeersuchens festgestellt worden sei. Der Antrag weist zwei Eingangsstempel auf und zwar den 15.08.2014 und den 16.09.2014.

Mit Bescheid vom 22.12.2014 bewilligte die Beklagte dem Versicherten ab 01.08.2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer und legte hierbei einen Antrag vom 15.08.2014 zugrunde. Der Landkreis G machte im Folgenden Erstattungsansprüche gegenüber der zu zahlenden Erwerbsminderungsrente geltend, da während des Aufenthaltes in der Einrichtung R E Sozialhilfe nach dem SGB XII geleistet worden sei: Im August 2014 sei Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Barbetrags gezahlt worden, seit September 2014 habe eine monatliche Vergütung stattgefunden.

Bereits am 18.08.2014 ging bei der Klägerin ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe für Versicherte ein. Im Antragsformular ist der vorgedruckte Adressat "Deutsche Rentenversicherung" durchgestrichen und stattdessen eingefügt "Agentur für Arbeit". Es würden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Berufsbildungsbereich der Werkstatt R E beantragt.

Die Klägerin erstellte am 19.08.2014 einen internen Vermerk, wonach laut Auskunft der Beklagten der Versicherte nur 33 Versicherungsmonate aufzuweisen habe, keine Rente gezahlt werde und kein Heilverfahren durchgeführt worden sei. Hinweise auf die Zuständigkeit eines anderen Trägers würden nicht vorliegen. Es sei daher von der Zuständigkeit der Klägerin für die Teilhabeleistungen auszugehen. Mit Bescheid vom 19.08.2014 teilte die Klägerin dem Versicherten mit, dass sie zuständiger Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung (a.F.) sei.

Am 01.10.2014 wurde ein Gutachten nach Aktenlage durch M vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit G erstellt. Danach sei der Versicherte wegen einer mehrschichtigen chronifizierten seelischen Minderbelastbarkeit mit Desorganisiertheit und Schwierigkeiten der Selbstversorgung sowie Verlust der Vorfüße und einiger Fingerkuppen derzeit täglich weniger als drei Stunden einsatzfähig; dies sei voraussichtlich länger als sechs Monate anzunehmen, aber nicht auf Dauer vorliegend. Laut derzeit behandelnder Klinik sei eine Wiedereingliederungsmaßnahme insofern indiziert, als der Versicherte über entsprechende Ressourcen seiner Selbstversorgungskapazität verfüge und eine Überleitung in eine betreute Wohnform mit Angliederung in eine Arbeitsmaßnahme im weiteren Verlauf als realistische Möglichkeit erscheine. Die Eingliederung in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) werde empfohlen.

Am 13.10.2014 erfolgte seitens der Klägerin dem Versicherten gegenüber eine Zusage über die Förderung der Teilhabeleistungen.

Im Januar 2015 fand ein Beratungsgespräch statt und danach erfolgte die Aufnahme des Versicherten in das Eingangsverfahren der WfbM R in E zum 02.02.2015. Ab Mai 2015 befand sich der Versicherte dann im Berufsbildungsbereich. Ärztliche Befundberichte des Klinikums Schloss W vom 10.06.2015 und vom 12.10.2015 berichteten davon, dass sich der Versicherte seit Anfang September 2014 auf dem R befinde und vor der Aufnahme obdachlos im Ausland unterwegs gewesen sei.

Mit Schreiben vom 29.04.2015 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass der Versicherte bei ihr Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt habe, und machte ein Feststellungsverfahren zur Erfüllung der Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI geltend. Weiter wurde ein Eingliederungsplan übersandt: Danach sei der Versicherte werkstattfähig; externe Praktika seien aber aufgrund seiner Erkrankung kein Thema.

Mit Bescheid vom 11.11.2015 bewilligte die Beklagte dem Versicherten dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA), nahm diesen jedoch mit Bescheid vom 13.01.2016 wieder zurück. Es sei bereits eine Maßnahme in einer WfbM zu Lasten der Klägerin eingeleitet und diese sei zuständiger Kostenträger, da eine rechtzeitige Weiterleitung an die Beklagte nicht erfolgt sei.

Mit Schreiben vom 10.12.2015 machte die Klägerin am 16.12.2015 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. dem Grunde nach geltend. Verbunden war dies mit der Anfrage, ob zunächst auf die Einrede der Verjährung verzichtet würde. Mit Schreiben vom 05.01.2016 präzisierte die Klägerin den Erstattungsanspruch für den ersten Abschnitt auf 5.802,48 Euro. Mit weiterem Schreiben vom 24.06.2016 machte die Klägerin für die Zeit vom 02.05.2015 bis 01.05.2016 weitere 23.830,11 Euro als Erstattungsbetrag geltend.

Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI nicht erfüllt seien, da eine unbefristete Rente geleistet werde und eine Rückkehr auf den allgemeinen Arbeitsmarkt prognostisch nicht möglich erscheine. Eine rückwirkende Bewilligung von Rente für einen Zeitraum vor dem Zeitpunkt der Reha-Antragstellung sei zur Erfüllung der Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht ausreichend. Dementsprechend wies die Beklagte mit Schreiben vom 16.09.2016 den Erstattungsantrag der Klägerin zurück.

Mit Schreiben vom 16.02.2017 hat die Klägerin am 21.02.2017 Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie hat geltend gemacht, dass die Beklagte ihre Zuständigkeit für die LTA dem Grunde nach mit Schreiben vom 11.11.2015 erklärt habe, die von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsbeträge aber nicht gezahlt habe. Daher sei Klage geboten gewesen. Inhaltliche Grundlage sei das medizinische Gutachten der Klägerin gewesen, wonach der Versicherte voraussichtlich bis zu sechs Monaten, aber nicht auf Dauer erwerbsunfähig sein werde und deshalb die Teilnahme an der Maßnahme in der WfbM empfohlen werde.

Die Beklagte hat erwidert, dass § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. dazu führe, dass ein erstangegangener unzuständiger Rehabilitationsträger keinen Anspruch auf Erstattung habe, wenn er eine Leistung wegen des Versäumnisses der Zweiwochenfrist erbracht habe. Gleichzeitig mit dem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, der an die Klägerin gerichtet worden sei, habe der Versicherte bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt, die ihm auf Dauer ab dem 01.08.2014 bewilligt worden sei. Die Weiterleitung einer Kopie des Antrags des Versicherten von der Klägerin an die Beklagte mit Schreiben vom 29.04.2015, somit acht Monate nach Antragseingang bei der Klägerin, sei nicht rechtmäßig und begründe in der Folge keinen Erstattungsanspruch gemäß § 14 Abs. 4 SGB IX a.F.

In einem Verhandlungstermin vom 10.08.2017 hat das SG darauf hingewiesen, es könne noch nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen von § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorliegend erfüllt seien; die Beklagte müsse hierzu noch ihre ärztlichen Unterlagen vollständig vorlegen. Bezüglich des Anspruchs nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI stelle das Gericht fest, dass bereits mehrfach entschieden worden sei, dass es genüge, wenn sämtliche Voraussetzungen des Rentenanspruchs erfüllt seien und lediglich die Bescheid-erteilung noch ausstehe. Problematisch erscheine hier jedoch, dass die Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX a.F. von der Klägerin nicht eingehalten worden sei. Die Beteiligten sind zu einer möglichen Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.

Die Klägerin hat ergänzend geltend gemacht, dass der Teilhabeantrag am 18.08.2014 bei der Agentur für Arbeit gestellt worden sei und aus den Antragsunterlagen nicht zu entnehmen gewesen sei, dass ein anderer Träger zuständig sein könnte. Die Bewilligung der Leistung zur Teilhabe sei dann am 03.02.2015 erfolgt. Die Tatsache, dass der Versicherte dauerhaft Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen habe, sei der Klägerin erst durch Schreiben vom 11.02.2015 bekannt geworden. Zum Zeitpunkt der Bewilligung der Teilhabeleistungen habe ein ärztliches Gutachten vorgelegen, aus dem keine dauerhafte Leistungseinschränkung zu erwarten gewesen sei und somit nicht von einer unbefristeten Rentengewährung auszugehen gewesen sei. Vorgelegt worden ist als Beleg eine     E-Mail der Betreuerin des Versicherten vom 10.02.2015.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 05.09.2018 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI könne nicht als Grundlage für einen Erstattungsanspruch herangezogen werden, da die in § 14 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB IX a.F. normierte Zweiwochenfrist zur Weiterleitung des LTA-Antrages nicht eingehalten worden sei. Auch § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI sei nicht erfüllt. Zwar habe die Klägerin den vorläufigen Charakter der Leistungsgewährung deutlich gemacht, indem sie nach Leistungsbewilligung den Antrag an die Beklagte weitergeleitet habe, weil sie als erstangegangener Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. eben gerade nicht Feststellungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI in eigener Zuständigkeit habe treffen können.

Es sei jedoch so, dass dem Versicherten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht unmittelbar eine Erwerbsminderung und damit eine Berentung gedroht habe; vielmehr habe bereits ein unter dreistündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Dauer vorgelegen. Nach der Prognose der Beklagten vom August 2014 sei eine Besserung unwahrscheinlich gewesen. Zwar sei aus dem letzten Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 24.06.2013 wieder eine gewisse Stabilisierung beim Versicherten zu ersehen. Jedoch sei zu bedenken gewesen, dass es sich um den zehnten stationären Aufenthalt gehandelt habe und eine gewisse Stabilisierung sich auch bei früheren Aufenthalten gezeigt habe, jedoch nie lange angehalten habe. Aus dem Bericht ergebe sich insgesamt gerade keine positive Prognose bezüglich einer möglichen Teilnahme des Versicherten am Erwerbsleben. Auch im Gutachten der Klägerin vom 01.10.2014 sei ein Leistungsvermögen von täglich weniger als drei Stunden angenommen worden; zwar sei eine Überleitung in eine betreute Wohnform mit Angliederung an eine Arbeitsmaßnahme als realistische Möglichkeit im weiteren Verlauf bezeichnet worden. Dieser Auffassung schließe sich das SG nicht an. Die Prognose hinsichtlich der Frage, ob der Versicherte wieder auf den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren könne, sei durch die Beklagte zutreffend negativ beurteilt worden, so dass dann auch die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer erfolgt sei. Demzufolge sei die Klägerin zuständige Leistungsträgerin und die Klage sei abzuweisen gewesen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin mit Telefaxschreiben am 01.10.2018 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass maßgeblich sei, ob zum Zeitpunkt der Antragstellung es nicht völlig unwahrscheinlich gewesen sei, dass durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Rente wegen Erwerbsminderung abgewendet werden könne. Hierzu sei auf den Bericht der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie C G vom 24.06.2013 zu verweisen, wonach eine gewisse Stabilisierung habe erreicht werden können. Die Gutachterin der Klägerin habe am 01.10.2014 eine Leistungsfähigkeit von täglich weniger als drei Stunden voraussichtlich länger als sechs Monate aber nicht auf Dauer sowie Werkstattfähigkeit festgestellt. Bei dieser sozialmedizinischen Stellungnahme handle es sich um die aktuellste vorliegende medizinische Stellungnahme und eine positive Prognose hinsichtlich der Frage, ob der Versicherte wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren könne. Auch wenn eine bestehende Erwerbsminderung nicht behoben werden könne, könne anstelle der Eingliederung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ein Verbleiben in der Produktionsstufe einer WfbM als Rehabilitationsziel prognostisch erreicht werden. Auch sei zu beachten, dass der Versicherte gleichzeitig Leistungen zur Teilhabe bei der Klägerin und eine Rente bei der Beklagten beantragt habe. Die Beklagte habe trotz der im Dezember 2014 bewilligten Rente am 11.11.2015 nach weiterer Prüfung durch L auch selbst Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt. Folglich habe sie nach medizinischer Beurteilung keine Aussichtslosigkeit für Teilhabeleistungen gesehen. Das Ziel des Gesetzgebers, eine Erweiterung der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zu bewirken, würde konterkariert, wenn für die Gewährung von Teilhabeleistungen für Versicherte, die die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zwar erfüllten, diese aber noch nicht beziehen würden, nicht der Rentenversicherungsträger, sondern die Arbeitsverwaltung zuständig wäre. Zu verweisen sei auf ein Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.03.2014 - S 7 AL 188/11.

Die Beklagte hat entgegnet, dass der Bescheid vom 11.11.2015 mit Bescheid vom 30.01.2016 in Form einer Rücknahme korrigiert worden sei.

Der Rechtsstreit hat im Hinblick auf das beim BSG anhängige Verfahren B 5 R 1/19 R geruht. Am 28.08.2020 hat die Beklagte die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt und auf die in jenem Verfahren ergangene Entscheidung des BSG (Urteil vom 26.02.2020) hingewiesen.

Die Klägerin hat ausgeführt, dass sich aus diesem Urteil gerade nicht ergebe, dass eine Kostenerstattung für Leistungen in einer WfbM durch die Beklagte generell nicht in Betracht komme. Die Entscheidung über den Reha-Bedarf sei am 13.10.2014 auf der Grundlage des ärztlichen Gutachtens vom 01.10.2014 getroffen worden, darin sei eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit nicht auf Dauer bescheinigt worden. Der Versicherte befinde sich im Arbeitsbereich der WfbM und der aktuelle Bericht gehe davon aus, dass der Versicherte weiterhin den Rahmen einer Werkstatt benötigen werde. Insoweit sei einzuräumen, dass der aktuelle Stand die seinerzeitige Prognoseentscheidung nicht ausdrücklich bestätige; diese werde aber auch nicht widerlegt. Nach wie vor sei nach Auffassung der Klägerin nicht auszuschließen, dass eine Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sein könnte.

Hinzuweisen sei auch darauf, dass die Beklagte ihre Zuständigkeit erklärt habe und der Erstattungsanspruch erst daraufhin bei der Beklagten geltend gemacht worden sei. Eine Rücknahme hätte die Rechtswidrigkeit der Ausgangsentscheidung vorausgesetzt, was aber im Erlasszeitpunkt im November 2015 auf keinen Fall feststehen habe können. Weiterhin dürfte eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ohnehin ausgeschlossen gewesen sein, weswegen der Bewilligungsbescheid jedenfalls zeitweilig gegen die Beklagte wirke.

Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.09.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Kosten in Höhe von 29.632,59 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.09.2018 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten und der Klägerin Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig. Die Klage ist zutreffend als allgemeine Leistungsklage erhoben worden (§§ 51, 54 Abs. 5, 57 SGG). Dabei war eine Beiladung des Versicherten nicht erforderlich (vgl. BSG, Urt. v. 26.02.2020, Az. B 5 R 1/19 R - nach juris).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet; die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Versicherten H im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM R E in der Zeit vom 01.02.2015 bis 01.05.2016.

Die Klägerin kann den geltend gemachten Erstattungsanspruch gegen die Beklagte nicht auf § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. stützen, weil dessen Voraussetzungen im Fall des Versicherten nicht vorliegen.

§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. lautet: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Sätze 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften.

§ 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F. sieht nach ständiger Rechtsprechung einen Erstattungsanspruch für den sogenannten zweitangegangenen Leistungsträger vor, an den ein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe von einem anderen Leistungsträger, bei dem der Antrag gestellt wurde, innerhalb der 2-Wochen-Frist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F. weitergeleitet wurde. Der zweitangegangene Leistungsträger hat dann die notwendigen Leistungen zur Teilhabe an den Antragsteller/Versicherten zu erbringen und zwar unter Anwendung sämtlicher denkbarer Leistungsgesetze nach dem Sozialgesetzbuch (SGB). War er für diese Leistungen aber nicht leistungszuständig, hat ihm der eigentlich zuständige Leistungsträger die Kosten der erbrachten Leistungen zu erstatten.

Die Klägerin hat aber nicht als zweitangegangener Leistungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht, weil der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom Versicherten am 18.08.2014 bei der Klägerin gestellt worden war und es sich nicht um einen innerhalb der 2-Wochen-Frist weitergeleiteten Antrag gehandelt hat. Die Klägerin war erstangegangener Leistungsträger und hat in dieser Eigenschaft auch die vom Versicherten beantragten Leistungen erbracht.

Die Leistungserbringung erfolgte dabei auch nach einer internen Abklärung der Leistungszuständigkeit der Beklagten zur Frage, ob an diese der Antrag des Versicherten hätte weitergeleitet werden können. Nach den in den Akten vorliegenden Unterlagen hatte die Beklagte die Auskunft erteilt, dass der Versicherte die notwendige Vorversicherungszeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht erfüllt habe (nur 33 Kalendermonate), auch aktuell nicht im laufenden Rentenbezug stehe (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) und die Beklagte zuvor keine Leistungen zur medizinischen Rehabilitation an den Versicherten erbracht habe (§ 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI), was alles objektiv zutreffend war.

Die Klägerin hatte deshalb dem Versicherten mit Schreiben vom 19.08.2014 bestätigt, dass sie der für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständige (erstangegangene) Leistungsträger ist.

§ 14 SGB IX a.F. bezweckt im Interesse des Antragstellers/Versicherten eine möglichst rasche Klärung der Zuständigkeit eines Leistungsträgers im gegliederten System der gesetzlichen Sozialversicherung bzw. allgemein nach dem SGB, um eine möglichst rasche Versorgung des Antragstellers mit den notwendigen medizinischen und/oder beruflichen Leistungen zur Teilhabe zu gewährleisten, ohne dass ein längerer Zuständigkeitsstreit der Leistungsträger untereinander abgewartet werden muss (Ulrich, in: juris-PK SGB IX, Stand 2018, § 14 SGB IX, Rn 65). Wird ein Antrag nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F. vom erstangegangenen Leistungsträger innerhalb von 2 Wochen weitergeleitet, muss der zweitangegangene Leistungsträger die Leistungen nach sämtlichen in Betracht kommenden Regelungen des SGB prüfen und erbringen, auch wenn er hierfür eigentlich nach den für ihn geltenden gesetzlichen Regelungen nicht leistungszuständig wäre. Als Ausgleich für die quasi infolge der Weiterleitung "aufgedrängten" Zuständigkeit (Joussen, in LPK SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 15 Rn 2) hat der eigentlich zuständige Träger die aufgewandten Kosten zu erstatten. Mangels Weiterleitung des Antrags im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX a.F. fehlt es an einer der Klägerin "aufgedrängten Zuständigkeit", die einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift begründen könnte.

Eine ähnliche vom Gesetzgeber "aufgedrängte Zuständigkeit" kann man zwar auch dann erwägen, wenn die Weiterleitung des Antrags durch besondere gesetzliche Regelungen eingeschränkt oder gehindert wird. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch auch nicht aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX a.F., der insoweit auf die Regelung des § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SGB IX a.F. Bezug nimmt. Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. ist nämlich dann, wenn der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe bei der Bundesagentur für Arbeit - also vorliegend bei der Klägerin - gestellt wird, nicht zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) - also ein Vorrang anderer Leistungen zu Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nach dem SGB III - gegeben wäre, und es sind auch keine Feststellungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI zu treffen.

Nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI wären die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungszuständigkeit der Beklagten auch dann gegeben, wenn ohne die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI soll bewirken, dass neben Beziehern einer Rente wegen Erwerbsminderung, die bereits nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllen, auch Versicherte Leistungen zur Teilhabe beanspruchen können, die - ohne eine solche Rente zu beziehen - Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente haben könnten. Es muss also, soweit die gesundheitlichen und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt wären oder als erfüllt gelten würden, eine solche Berentung unmittelbar drohen, wobei wohl von einem Zeitraum von bis zu 12 Monaten auszugehen wäre (Kater in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Mai 2021, § 11 SGB VI, Rn 21 mwN).

§ 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. "verbietet" der Bundesagentur für Arbeit - vorliegend der Klägerin - Feststellungen, ob die Voraussetzungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI vorliegen, weil - im Gegensatz zur Klärung der Zuständigkeitsabgrenzung zur Beklagten nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 und § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI diese Voraussetzungen nicht innerhalb kurzer Zeit zu klären sind, sondern einen erheblichen umfangreicheren Prüfungsaufwand erfordern würden.

§ 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. bezweckt ebenfalls die Beschleunigung der Zuständigkeitsklärung und die möglichst rasche Leistungserbringung an einen Antragsteller/Versicherten. Es soll dabei auch nicht vorab durch die Rentenversicherungsträger festgestellt werden, ob ohne die beantragten Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. Diese Feststellungen sollen vielmehr erst in einem Verfahren nach Abs. 4 getroffen werden, allerdings bereits während der nach § 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. einzuleitenden Leistungen. Dabei soll eine Weiterleitung nicht schematisch erfolgen; vielmehr sollen nach § 14 Abs. 4 Satz 2 SGB IX a.F. nur solche Anträge von der Bundesagentur für Arbeit an die Rentenversicherung weitergeleitet werden, bei denen konkrete Anhaltspunkte ersichtlich sind, wonach der Träger der Rentenversicherung zur Leistung einer Rente verpflichtet sein könnte. Dadurch "soll der Verwaltungsaufwand bei der Rentenversicherung auf ein Minimum beschränkt" werden (Joussen in: LPK SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 14 SGB IX Rn 14 bzw. 4. Aufl. 2014, § 14 SGB IX Rn 24; Oppermann in: Hauck/Noftz, Stand August 2021, § 14 SGB IX, Rn 18; BT-Drs. 14/5074 S. 102 f. zu § 14 SGB IX [a.F.]).

Im Ergebnis bedeutet die gesetzlichen Regelung zur raschen Zuständigkeitsklärung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. ebenfalls eine Art "aufgedrängter Zuständigkeit" für die Klägerin. Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der raschen Zuständigkeitsklärung aufgrund des Regelungssystems des § 14 SGB IX a.F. und auch nach den §§ 14 bis 16 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sollen im Ergebnis keine dauerhaften materiell-rechtlichen Verschiebungen der Leistungszuständigkeit und der Kostentragungspflicht des eigentlich zuständigen Trägers stattfinden, weshalb ein Ausgleich der von der Klägerin getragenen Kosten durch die Beklagte durchaus denkbar sein könnte, soweit es auf Feststellungen nach § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ankäme.

Beim Versicherten war jedoch bereits vor Stellung des Antrages auf Teilhabeleistungen durch den Rentenversicherungsträger, also die Beklagte, die Feststellung getroffen worden, dass eine volle Erwerbsminderung auf Dauer vorliege. Eine positive Feststellung im Sinne des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI, also dass ohne diese Leistungen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu leisten wäre, ist somit ausgeschlossen, da diese Rente auch bei Gewährung der Teilhabeleistungen zu gewähren ist. Es fehlt also insoweit an einem Erstattungsanspruch der Klägerin.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Beklagte, nachdem die Klägerin sie am 29.04.2015 angeschrieben hatte und darum gebeten hatte, zur Vorbereitung eines eventuellen Erstattungsantrages die Erfüllung von § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI zu prüfen, dem Versicherten einige Monate später eine Teilhabeleistung dem Grunde nach bewilligt hatte. Abgesehen davon, dass die Bewilligung später mit bestandskräftigem Bescheid vom 13.01.2016 zurückgenommen wurde, fehlt es an Auswirkungen auf den Erstattungsvorgang. Weder sind auf Grund des Bescheides vom 11.11.2015 Leistungen erbracht worden, noch ist darin ein Anerkenntnis des Erstattungsanspruchs erfolgt. Da bereits eine laufende Leistungserbringung erfolgt war, kam es auch nicht darauf an, dass bei einem hypothetisch erst im April 2015 gestellten LTA-Antrag bei laufendem Bezug einer Erwerbsminderungsrente durch den Versicherten die Voraussetzung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI erfüllt gewesen wäre.

Die Klägerin kann auch nicht aufgrund der allgemeinen Vorschriften der §§ 102 bis 105 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - von der Beklagten die Erstattung der aufgewandten Kosten verlangen. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff. SGB X vor (BSG, Urteil vom 25.08.2011, Az. B 8 SO 7/10 R - nach juris) und verdrängt diese auch (BSG, Urteil vom 03.11.2011, Az. B 3 KR 4/11 R - nach juris). Aber selbst unter dem Aspekt eines Ausgleichssystems, dem § 14 Abs. 4 SGB IX a.F. gegebenenfalls nicht ausreichend gerecht werden könnte, ergäbe sich aus den allgemeinen Regelungen der §§ 102 bis 105 SGB X kein Erstattungsanspruch der Klägerin.

Dabei sind die von der Klägerin an den Versicherten erbrachten Leistungen in Form der Gewährung von Übergangsgeld, Übernahme der Maßnahmekosten, Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen und Erstattung von Fahrtkosten unstreitig Leistungen der beruflichen Rehabilitation und auch ihre von der Klägerin geltend gemachte Höhe von insgesamt 29.632,59 Euro ist zwischen den Beteiligten unstreitig.

Die Klägerin hat auch die Ausschlussfrist des § 111 SGB X eingehalten, weil sie den Erstattungsanspruch im Dezember 2015 noch während der Leistungsgewährung erstmalig geltend gemacht hat und mit Schreiben vom 24.06.2016 (knapp zwei Monate nach Maßnahmeende) den geltend gemachten Erstattungsbetrag genau beziffert gefordert hat. Durch die Klageerhebung im Februar 2017 ist die Verjährung gehemmt worden (§ 113 SGB X).

§ 102 SGB X ist nicht einschlägig, weil entgegen der vom SG angedeuteten Auffassung ("vorläufiger Charakter") die Klägerin die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht nur vorläufig erbracht hat. Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) kann ein Leistungsträger vorläufig Leistungen erbringen, deren Umfang er nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt, wenn ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und zwischen mehreren Leistungsträgern streitig ist, wer zur Leistung verpflichtet ist. Er hat diese Leistungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB I zu erbringen, wenn der Berechtigte es beantragt. § 43 SGB I ist vorliegend schon deshalb nicht anwendbar, da der Versicherte keinen Rechtsanspruch im Sinne einer gebundenen Entscheidung nach § 38 SGB I hat. Zwar besteht ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe dem Grunde nach im Hinblick auf das "Ob" der Leistung, die Ausgestaltung, also das "Wie" der Leistung, steht hingegen im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts des Versicherten (§ 13 Abs. 1 SGB VI). Zum anderen soll gerade mit der von § 14 SGB IX a.F. bezweckten raschen Zuständigkeitsklärung innerhalb von 2 Wochen ein länger andauernder Zuständigkeitskonflikt zwischen den Leistungsträgern zu Gunsten des Versicherten von vorneherein vermieden werden. Diese Regelung stellt deshalb für Leistungen zur Teilhabe behinderter Menschen eine abschließende Regelung dar, die den allgemeinen Regelungen zur vorläufigen Zuständigkeit oder Leistungserbringung im  SGB I vorgeht (Schifferdecker in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 2020, § 43 SGB I Rn 7, unter Hinweis auf die Neuregelung in § 24 Satz 3 SGB IX, der insoweit nur klarstellende Bedeutung zukomme).

§ 104 SGB X ist ebenfalls nicht einschlägig, weil die Klägerin nicht subsidiärer Leistungsträger gegenüber der Beklagten ist. Das Gesetz sieht eine solche Nachrangigkeit nicht vor, vielmehr ergibt sich aus § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX a.F. eine vorrangige Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit der Zielsetzung, Versicherte in den Arbeitsbereich einer WfbM einzugliedern. Dieses Ziel konnte aufgrund der von der Klägerin in ihrer eigenen Zuständigkeit an den Versicherten erbrachten Leistungen auch erreicht werden.

Die Klägerin war dementsprechend auch nicht unzuständiger Leistungsträger von Anfang an oder unzuständig in Folge einer nachträglichen Änderung im Sinne der §§ 103 und 105 SGB X.

Selbst wenn man der Ansicht des Senates zur fehlenden Erstattungsregelung nicht folgen wollte, würde sich keine Zuständigkeit der Beklagten für die Erbringung von Teilhabeleistungen für den Versicherten in einer WfbM ergeben haben.

Für Leistungen, die in einer WfbM entweder im Eingangsverfahren oder im Berufsbildungsbereich erbracht werden, regelte 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX a.F., dass sich eine Zuständigkeit der Träger der Rentenversicherung (nur) unter den Voraussetzungen der   §§ 11 bis 13 SGB VI ergebe. Der Versicherte hat jedoch keine der Voraussetzungen aus § 11 SGB VI erfüllt.

Eindeutig hat der Versicherte die Wartezeit von 15 Jahren nicht erfüllt gehabt und im Übrigen auch in der Folgezeit bisher nicht erfüllt (§ 11 Abs. 1 Nr.1 SGB VI).

Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI nicht für die Erfüllung der Voraussetzungen in Betracht. Abgesehen davon, dass auch der Senat wie schon das SG nicht die Auffassung der Klägerin teilt, dass im August 2014 noch eine medizinische Prognose zur erfolgreichen Wiedereingliederung des Versicherten in den Arbeitsmarkt hätte gestellt werden können - das Gutachten der M von Oktober 2014 ist offensichtlich nur auf Grundlage eines Teils der vorhandenen medizinischen Unterlagen ergangen -, würde selbst bei Zugrundelegung der medizinischen Auffassung der Klägerseite diese Voraussetzung nicht erfüllt werden können. Der Versicherte hat die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente nur erfüllt, wenn der Leistungsfall - wie von der Beklagten angenommen - kurz nach Ende einer Ausbildung eingetreten war. Ansonsten wäre wegen Nichterfüllung der allgemeinen Wartezeit eine Rente an den Versicherten nicht in Betracht gekommen und eine Erfüllung von § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI wäre aus diesem Grund nicht möglich gewesen.

Eine für § 11 Abs. 2a Nr. 2 SGB VI erforderliche vorherige medizinische Rehabilitation durch die Beklagte hat nicht stattgefunden, so dass diese Vorschrift schon aus diesem Grund ausscheidet. Im Übrigen würde es - wie bereits ausgeführt - auch an der erforderlichen Prognose einer Wiedereingliederung des Versicherten in den allgemeinen Arbeitsmarkt fehlen.

Die Erfüllung der Voraussetzungen ergibt sich auch nicht daraus, dass der Versicherte "bei Antragstellung" eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI). Maßgebliches Datum ist hierfür der 18.08.2014. Der Versicherte hat an diesem Tag - wie die Beklagte auch der Klägerin auf Anfrage mitgeteilt hatte - keine Erwerbsminderungsrente bezogen; ein entsprechender Rentenbescheid erging erst am 21.12.2014 und danach setzte der Rentenbezug ein.

Der Senat teilt auch nicht die Überlegungen diese Vorschrift erweiternd auszulegen (vgl. Urteil des Senats vom selben Tag, Az. L 19 R 761/18). Im Übrigen wären aus Sicht des Senates am 18.08.2014 auch nicht alle Voraussetzungen für einen Anspruch des Versicherten auf eine Erwerbsminderungsrente erfüllt gewesen, so dass nicht nur der Erlass des Bescheides noch ausgestanden hätte. Zwar lagen Feststellungen zum medizinischen Leistungsfall und zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bereits vor. Es fehlte jedoch am erforderlichen Rentenantrag. Ein Reha-Antrag lag nicht vor, womit eine Umdeutung nach § 116 Abs. 2 SGB VI ausschied. Der Formblattantrag wurde dem Versicherten erst am 20.08.2014 übermittelt und von ihm erst am 11.09.2014 unterschrieben. Somit ist der zweite Eingangsstempel mit dem Datum 15.08.2014 offensichtlich fehlerhaft. Anhaltspunkte für eine vorherige mündliche Antragstellung sind in keiner Weise ersichtlich; auch der Inhalt des Anschreibens der Beklagten an den Versicherten spricht dagegen. Auch der Amtshilfevorgang löste nur die Hinweispflicht der Beklagten aus, führte aber nicht zu einer Antragstellung.
Bei der zweiten Variante der erweiternden Auslegung, die an der nachträglich festgestellten Rentenzahlung ansetzt, wäre zwar das Vorliegen eines (nachträglichen) Rentenbezugs ab Anfang August 2014 zu bejahen (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI führt bei einem lange zurückliegenden medizinischen Leistungsfall zu einem Rentenbeginn der Erwerbsminderungsrente mit dem Monat der Antragstellung). Dessen Fehlerhaftigkeit auf Grund der Annahme des offensichtlich unrichtigen Antragsdatums wäre auf Grund der Fristen des § 45 SGB X wohl auch nicht mehr zu korrigieren. Nach dem Sinn und Zweck der so erweiterten Auslegung soll aber gerade die objektiv materiell zutreffende Sach- und Rechtslage fingiert werden, so dass dies gegen eine Erweiterung im vorliegenden Fall sprechen würde.

Nach alledem hat die Klägerin keinen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Nürnberg vom 05.09.2018 war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -, da weder die Klägerin noch die Beklagte zu dem nach § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehören.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Entscheidung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen (vgl. Urteil des Senats vom 26.10.2022, Az. L 19 R 331/18).

Der Streitwert des Verfahrens ergibt sich aus § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Er war auf 29.632,59 Euro festzusetzen.

 

Rechtskraft
Aus
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