S 15 R 626/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 R 626/14
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 R 498/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 51.669,97 Euro zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d :


Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von berufsfördernden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Versicherten C. in Höhe von 51.669,97 Euro streitig.

Der im Jahre XXXX geborene Versicherte beantragte am 17.06.2011 bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung.

Am 19.07.2011 stellte er bei der Klägerin einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Ärztliche Dienst der Klägerin hielt den Versicherten für voraussichtlich länger als sechs Monate, aber nicht auf Dauer, für weniger als 3 Stunden täglich belastbar. Er empfahl die Eingliederung des Versicherten in eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM).

Der Versicherte wurde für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 31.01.2012 in das Eingangsverfahren einer WfbM aufgenommen.

Mit Bescheid vom 11.10.2011 gewährte die Beklagte dem Versicherten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend ab dem 01.06.2011.

Mit Schreiben vom 04.11.2011 meldete die Klägerin ihren Erstattungsanspruch dem Grunde nach bei der Beklagten an.

In dem Zeitraum vom 01.02.2012 bis 31.01.2014 absolvierte der Versicherte den Berufsbildungsbereich der WfbM, wobei er ab dem 14.05.2013 auf einem Arbeitsplatz bei einer regionalen, wohnortnahen Firma begleitet und betreut wurde.

Mit Schreiben vom 07.11.2012 und 20.01.2014 wies die Klägerin die Beklagte nochmals auf den Erstattungsanspruch hin.

Mit Schreiben vom 20.03.2014 bezifferte die Klägerin schließlich ihren Erstattungsanspruch auf 51.669,97 Euro und forderte die Beklagte zur Erstattung auf. Diese lehnte den Erstattungsanspruch ab.
Am 03.07.2014 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin bestehe. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Versicherten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen. Die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr.1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hätten vorgelegen. Mit Schriftsatz vom 12.12.2017 machte die Klägerin auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI geltend.

Die Beklagte führte zur Klageerwiderung an, dass sie für die Leistungen nicht zuständig gewesen sei. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 SGB VI hätten nicht vorgelegen. Durch die rückwirkende Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente könnten die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht erfüllt werden. Zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Teilhabeleistungen hätten noch kein entsprechender Rentenbescheid und kein Rentenbezug vorgelegen. Auch die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2a Nr.1 SGB VI seien nicht erfüllt, da die in der WfbM erbrachten Leistungen nicht hätten dazu führen können, die beim Versicherten bereits bestehende rentenrelevante Erwerbsminderung zu beheben. Die Rente wegen Erwerbsminderung wäre unabhängig von der erbrachten Leistung zur Teilhabe ohnehin zu leisten gewesen.

Im Rahmen eines vor dem Gericht stattgefundenen Erörterungstermins am 19.06.2018 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass das Gericht gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheidet.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 51.669.97 Euro zu erstatten
2. der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Klägerin und der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere auf das Vorbringen der Parteien in den eingereichten Schriftsätzen, Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der von ihr für den Versicherten erbrachten Leistungen zur Teilhabe im Rahmen der Maßnahme in der WfbM.

Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Gemäß § 102 Abs. 1 SGB X ist der zur Leistung verpflichtet Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein anderer Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat.

Die Klägerin hat dem Versicherten vorläufig Leistungen erbracht.

Hierzu war die Klägerin gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) verpflichtet, dass sie den von dem Versicherten gestellten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht an einen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hatte. Die Weiterleitung war nicht erfolgt, da es der Klägerin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht möglich war, die Zuständigkeit zu klären. In diesem Fall führt
§ 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX im Verhältnis der Rehabilitationsträger zueinander nur zu einer "zunächst" bestehenden Leistungsverpflichtung. Diese besondere Struktur des § 14 SGB IX zwingt bei der Anwendung von § 102 Abs. 1 SGB X dazu, darauf zu verzichten, dass die gesetzliche Ermächtigung, aufgrund derer die Leistung erbracht wird, die Leistung ausdrücklich als vorläufig bezeichnet (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2009, Az. B 5 R 44/08 R).

Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X sind auch insoweit erfüllt, als der Wille der Klägerin, lediglich eine "zunächst" bestehende Leistungsverpflichtung zu erfüllen, durch die rechtzeitige Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auch nach außen erkennbar war.


Die Beklagte war auch der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger.

Nach Ansicht des Gerichts waren die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI gegeben. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, die bei Antragstellung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen. Zwar lag hier zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe am 19.07.2011 der Rentenbescheid über die Gewährung der Erwerbsminderungsrente noch nicht vor, jedoch waren bereits sämtliche Voraussetzungen für den Rentenbezug, einschließlich der Stellung des Rentenantrages (17.06.2011), erfüllt. Nach Ansicht des Gerichts genügt es für die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI, wenn sämtliche Voraussetzungen des Rentenanspruchs erfüllt sind und lediglich die Bescheiderteilung aussteht. In diesem Sinne äußert sich auch die Kommentarliteratur (vgl. jurisPK-SGB VI, 2. Auflage, § 11 SGB VI, Rn. 31 und auch KassKomm/Kater, SGB VI, § 11 Rn. 7).

Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer WfbM gehören unstreitig auch zum Leistungskatalog der Beklagten (vgl. § 42 SGB IX).

Aufgrund dieses Ergebnisses bedarf es keiner weiteren Erörterung der Frage, ob sich eine Leistungspflicht der Beklagten aus der Vorschrift des § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI ergibt mit hieraus folgendem Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

Entsprechend den obigen Ausführungen besteht der Erstattungsanspruch der Klägerin bereits gemäß § 102 Abs. 1 SGB X.

Der Klage war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
 

 

Rechtskraft
Aus
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