L 4 KR 384/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KR 125/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 384/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zur weiterhin bestehenden Verfassungsmäßigkeit der Höchstaltersgrenze für Frauen im Rahmen der Genehmigung einer Behandlung zur künstlichen Befruchtung.

 

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. August 2022 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig sind die Kostenerstattung und -übernahme bzw. die Erteilung einer Genehmigung für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung.

Die bei der Beklagten und Berufungsbeklagten versicherte Klägerin und Berufungsklägerin ist 1979 geboren. Sie beantragte am 16.08.2021 die Kostenübernahme für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung. Hierzu hatten sie und ihr Ehemann am 27.04.2021 einen Vertrag mit dem Universitätsklinikum E über die "Kryokonservierung, Lagerung und weitere Verwendung von unbefruchteten Eizellen, Eizellen im Vorkernstadium Pronucleus (PN) und Embryonen" geschlossen und diesen mit der Antragstellung vorgelegt. Mit Schreiben vom 18.08.2021 und 02.09.2021 reichte die Klägerin Quittungsbelege für Arzneimittel vom 17.08.2021 über 1.160,29 EUR, vom 26.08.2021 über 358,27 EUR und über 54,74 EUR (jeweils inklusive ärztlicher Verordnung) nach und beantragte die Erstattung der Kosten. Beigefügt waren ferner die von der Klägerin und ihrem Ehemann am 17.08.2021 unterzeichnete "Vereinbarung über die Erbringung der medizinischen Wahlleistung aus dem Bereich Endokrinologie ("Kinderwunschbehandlung") und eine E-Mail vom 31.08.2021 des Universitätsklinikums E.

Mit Bescheid vom 07.09.2021 lehnte die Beklagte eine Übernahme bzw. Erstattung der Kosten von Leistungen zur künstlichen Befruchtung ab, da die vorgegebene Altersgrenze für Frauen (Vollendung des 40. Lebensjahres) von der Klägerin überschritten werde. Des Weiteren habe die Klägerin keinen Behandlungsplan vorgelegt.

Im Widerspruchsverfahren berief sich die Klägerin auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 04.12.2019 (IV ZR 323/18), nach dem das Alter der Frau allein kein Grund sei, die Kosten der künstlichen Befruchtung nicht zu übernehmen. Sie übermittelte weitere Rechnungsunterlagen des Universitätsklinikums E (vom 27.09.2021 über 1.819,93 EUR, vom 28.09.2021 über 347,65 EUR und vom 28.09.2021 über 157,25 EUR) und weitere Quittungsbelege für Arzneimittel (vom 14.10.2021 und 08.11.2021 über jeweils 48,02 EUR, vom 06.12.2021 über 44,11 EUR, vom 19.01.2022 über 961,35 EUR und vom 24.01.2022 über 361,57 EUR). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.03.2022 zurück. Anspruch auf Sachleistungen nach § 27a Abs. 1 SGB V bestehe nur für Versicherte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben; der Anspruch bestehe nicht für weibliche Versicherte, die das 40. und für männliche Versicherte, die das 50. Lebensjahr vollendet haben (§ 27a Abs. 3 Satz 1 SGB V). Die Regelung "Höchstalter weiblich 40 Jahre" trage dem Gesichtspunkt Rechnung, dass bereits jenseits des 30. Lebensjahres das natürliche Konzeptionsoptimum überschritten und die Konzeptionswahrscheinlichkeit nach dem 40. Lebensjahr sehr gering sei (vgl. BT-Drs. 15/1525). Vor Beginn der Behandlung sei der Krankenkasse ferner ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen (§ 27 a Abs. 3 Satz 2 SGB V). Nach § 27a Abs. 4 Satz 2 SGB V gelte die Höchstaltersgrenze von 40 Jahren für weibliche Versicherte auch für die Kryokonservierung.

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bestimme gemäß § 27a Abs. 5 SGB V in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen ("Richtlinien über künstliche Befruchtung). Die angegebenen Altersgrenzen müssten für beide Partner in jedem Behandlungszyklus (Zyklusfall) zum Zeitpunkt des ersten Zyklustages im Spontanzyklus, des ersten Stimulationstages im stimulierten Zyklus bzw. des ersten Tages der Down-Regulation erfüllt sein (Punkt 9.1 der Richtlinie über künstliche Befruchtung). Die Krankenkasse sei nicht bereits dann leistungspflichtig, wenn die beantragte Therapie nach Einschätzung des Versicherten, des Leistungserbringers oder seiner behandelnden Ärzte positiv verlaufen sei bzw. wenn einzelne Ärzte/Therapeuten die Therapie befürwortet hätten (BSG, Urteil vom 03.07.2012, B1 KR 6/11 R).

Die von der Klägerin im Widerspruchsverfahren hervorgebrachten Argumente und das von ihr zitierte, zur Leistungspflicht im Rahmen der privaten Krankenversicherung ergangene Urteil des BGH vom 04.12.2019 (Az.: IV ZR 323/18 - juris) könnten aufgrund der klaren gesetzlichen Regelungen keine abweichende Entscheidung bewirken. Die in den gesetzlichen Vorschriften definierten Altersgrenzen zur Kostenübernahme der künstlichen Befruchtung seien zwingend. Ein Ermessensspielraum der gesetzlichen Krankenkasse bestehe nicht. Nachdem die Altersgrenze die Leistungspflicht der Beklagten einschränke, könne nicht gegen die eindeutige Gesetzeslage verstoßen werden. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 25.06.2009 (Az.: B 3 KR 7/08 R - juris) bestätigt, dass der Leistungsausschluss für Frauen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, rechtmäßig ist und nicht gegen das Grundgesetz verstößt. Nachdem ein Leistungsanspruch für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung nicht bestanden habe, könne auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten nach § 13 Abs. 3 SGB V nicht realisiert werden.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben und die Übernahme der Kosten für zwei fehlgeschlagene Versuche der künstlichen Befruchtung in Höhe von insgesamt 9.495,17 EUR und die Übernahme der Kosten für einen dritten Versuch beantragt. Beigefügt waren u.a. der Klinikvertrag und zahlreiche Rechnungsbelege - im Laufe des Verfahrens hat die Klägerin Rechnungen in Höhe von insgesamt 9.495,17 EUR eingereicht. Die eingereichten Rechnungen würden sich auf zwei durchgeführte Versuche zur künstlichen Befruchtung beziehen, die aber im Ergebnis leider nicht den gewünschten Erfolg gezeigt hätten. Es sei somit noch eine künstliche Befruchtung ausständig, bis die drei Versuche erreicht seien, die grundsätzlich von den Krankenkassen zu tragen seien.

Im Übrigen ist für die Klägerin im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt worden. Die Voraussetzungen des § 27a Abs. 1 SGB V würden bei der Klägerin sämtlich vorliegen. Die Ablehnung der Behandlungskosten zur künstlichen Befruchtung durch die Beklagte wegen Überschreitens der Höchstaltersgrenze verstoße gegen oberste richterliche Rechtsprechung in Deutschland (siehe Urteil des BGH, a.a.O.) sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz. Der BGH mache hier keine Unterscheidung, ob es sich um private oder gesetzliche Krankenversicherungen handele. Der BGH stelle fest, dass diese Voraussetzungen auch bei Frauen über 40 Jahren gegeben seien. Weiterhin unterliege das Selbstbestimmungsrecht eines Paares nicht der Art der Krankenversicherung, es müsse also egal sein, ob diese privat oder gesetzlich sei. Somit sei das Alter der Frau allein kein Ablehnungsgrund, die Kosten der künstlichen Befruchtung nicht zu übernehmen. Nur, wenn die Kinderwunschbehandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg führen könne und mit hohen Risiken behaftet sei, dürfe die Krankenversicherung die Erstattung verweigern. Aus der allgemein gehaltenen Urteilsbegründung sei abzuleiten, dass es sich hier nicht nur um die Aussage bezüglich einer privaten Krankenversicherung handele. Der Klägerin seien ärztlicherseits gute Erfolgsaussichten gegeben worden und die Risiken seien altersgerecht kalkulierbar, weshalb die Haltung der Beklagten nicht hinnehmbar sei. Für die Klägerin stelle es eine Ungleichbehandlung dar, wenn der BGH hier zwar im Rahmen eines Privatrechtsstreits zwischen privater Krankenversicherung und dem Versicherungsnehmer diese grundsätzlichen Überlegungen zum Kinderwunsch einer über 40 Jahre alten Frau anstelle und eine Zahlungspflicht der privaten Krankenversicherung bejahe, sich die gesetzliche Krankenversicherung der Beklagten allerdings hinter die Vorschriften des SGB V zurückziehe und ohne Prüfung des Einzelfalles allein aufgrund des Alters der Klägerin die Übernahme der Behandlungskosten ablehne. Letzten Endes hinke die gesetzliche Krankenversicherung dem realen Leben hinterher. Gerade der mittlerweile nicht mehr als ungewöhnlich zu bezeichnende Wunsch, dass sich Frauen in einem höher qualifizierten Beruf erwerbsmäßig betätigten, führe dazu, dass sich Ehe und Kinderwunsch erst nach Ausbildung (Studium, Referendariat usw.) sowie Fuß-Fassen in der Berufswelt und somit erst spät realisieren ließen. Sofern das Ehepaar sich dann dazu entscheide, grundsätzlich Kinder haben zu wollen und dies geraume Zeit auf natürlichem Wege versuche, sei die Altersgrenze, die das SGB V vorgebe, deutlich zu eng gefasst. Statistischen Erhebungen zufolge sei das Durchschnittsalter der Gebärenden in den vergangenen Jahren stets angestiegen. Diesen Entwicklungen könne sich auch das SGB V nicht verschließen, indem es den Zeitrahmen zwischen 25 und 40 Jahren setze, während dem die Kosten für eine medizinische Behandlung zur künstlichen Befruchtung übernommen würden.

Hinsichtlich eines Behandlungsplans habe die Klägerin in ihrem Widerspruch vom 12.09.2021 ausdrücklich angeboten, einen derartigen beizubringen, was aber von der Beklagtenseite bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheides nie mehr gefordert worden sei. Allein die Verfahrensdauer von der Antragstellung am 16.08.2021 bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheids am 30.03.2022 lasse Rückschlüsse darauf zu, wie lange es gedauert hätte, wenn die Klägerin sich vorab einen Behandlungsplan hätte genehmigen lassen wollen. Während der Verfahrensdauer wäre aber weiterhin wertvolle Lebenszeit der Klägerin verstrichen. Bei Antragstellung am 16.08.2021 habe die Klägerin den Vertrag mit dem behandelnden Klinikum E beigelegt und habe die Beklagte durch Vorlage der jeweiligen Rechnungen über den Gang der medizinischen Maßnahmen auf dem Laufenden gehalten.

Nach Ansicht der Beklagten besteht ein Anspruch auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach § 27a SGB V nur für Versicherte, die das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Dies sei bei der Klägerin der Fall. Die Norm verstoße auch nicht gegen Verfassungsrecht (Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe bereits entschieden, dass das gesetzgeberische Konzept des § 27a SGB V verfassungsrechtlich unbedenklich sei, wonach Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht als Behandlung einer Krankheit, sondern als eigenständiger Versicherungsfall anzusehen seien und lediglich den für Krankheiten geltenden Regelungen des SGB V unterstellt würden (vgl. BT-Drucks 11/6760, S. 14 sowie BVerfG, Urteil vom 28.02.2007, 1 BvL 5/03, juris-Rn. 34 f). Es liege im Rahmen der grundsätzlichen Freiheit des Gesetzgebers, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung näher zu bestimmen (BVerfG, a.a.O.; vgl. auch BSG, Urteil vom 24.5.2007, B 1 KR 10/06 R, juris Rn. 12). Die in § 27a Abs. 3 S. 1 SGB V angegebenen Höchstaltersgrenzen seien zwingend, es gebe keine Ausnahmen, ein Ermessensspielraum bestehe nicht.

Das Sozialgericht hat am 21.06.2022 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin erörtert und die Klage mit Urteil vom 16.08.2022 abgewiesen. Ergänzend zur Begründung im Widerspruchsbescheid hat die Kammer hinsichtlich der Altersgrenze auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 03.03.2009 (B 1 KR 12/08 R - juris Rn. 11 ff) hingewiesen und dieses zitiert. Das BSG habe hierin keinen Verfassungsverstoß gesehen. Außerdem sei auf die Ausführungen des BSG zur Ungleichbehandlung von privat und gesetzliche Versicherten bei der Kostenübernahme von Maßnahmen einer künstlichen Befruchtung bei weiblichen Versicherten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, im Rahmen des Beschlusses vom 02.11.2006 (Az.: B 1 KR 111/06 B unter Rn. 9) hinzuweisen, wobei die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss nicht zur Entscheidung angenommen worden sei (BVerfG, 1. Senat, 2. Kammer vom 1.2.2010 - 1 BvR 3134/06). Die Ungleichbehandlung von Personen, die privat versichert seien, gegenüber den gesetzlich Versicherten sei Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für zwei Systeme der Krankenversicherung. Das BVerfG habe bereits entschieden, dass der Gesetzgeber trotz seiner Bindung an Art. 3 Abs. 1 GG weitgehend frei sei, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der gesetzlichen Krankenversicherung festzulegen, soweit er nicht gleichheitswidrig bestimmte Gruppen ausschließe (BVerfG, Beschluss vom 27.05.1964 - 1 BvL 4/59, BVerfGE 18, 38, 45 f; vom 26.11.1964 - 1 BvL 14/62, BVerfGE 18, 257, 265 ff; vom 16.02.1965 - 1 BvL 20/64, BVerfGE 18, 366 = SozR Nr 54, 55, 56 zu Art 3 GG). Wie das BSG wiederholt ausgeführt habe, stehe es unter Geltung des Sozialstaatsprinzips im Ermessen des Gesetzgebers, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz unterschiedlich auswirke (BSG, Urteil vom 26.09.1974 - 5 RJ 77/72, BSGE 38, 149, 150 = SozR 2200 § 1267 Nr 3 S 10; Urteil vom 05.02.1976 - 11 RK 2/75, BSGE 41, 157, 158 f = SozR 5420 § 2 Nr 2 S 2; Urteil vom 06.12.1978 - 9 RV 78/77, BSGE 47, 259, 260 f = SozR 3100 § 40a Nr 6 S 16 f). Die unterschiedliche Behandlung in gesetzlicher und privater Krankenversicherung verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
 
Gegen das am 24.08.2022 zugestellte Urteil hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 21.09.2022 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung die Ansicht vertreten, dass sich das Sozialgericht nicht auf jahrzehntelange Entscheidungen von Obergerichten berufen könne, wenn sich aus gesellschaftlichen Entwicklungen heraus die Notwendigkeit ergebe, von einer einmal getroffenen Rechtsprechung abzuweichen. Der deutschen Rechtsprechung sei es immanent, stets eine einzelfallbezogene Entscheidung zu treffen. Die Erwägungen des BGH (BGH, a.a.O.) seien zwar zur privaten Krankenversicherung ergangen, trotzdem seien diese auch für gesetzlich Versicherte zutreffend. Zwar sei eine Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten gegeben und zulässig, allerdings sei eine Altersdiskriminierung, die dem laufenden medizinischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Entwicklungen widerspreche, nicht zulässig. Im Einzelnen ist auf Daten des Statistischen Bundesamts zu Geburten und Alter der Frauen verwiesen worden.

Heute sei ein Alter der Frauen als Mütter über 40 Jahre beinahe schon ein normales Geburtsalter. Das Durchschnittsalter bei Erstgeburten von Frauen habe sich deutlich erhöht - von 29 Jahren in 2011 auf 29,9 Jahre in 2020. In anderen Ländern der Europäischen Union sei es bereits deutlich über 30 Jahren. Gleichzeitig sei die medizinische Versorgung von Müttern und Säuglingen seit den 1950-er Jahren immer besser geworden.

Da die Bevölkerung in Deutschland jedes Jahr schrumpfe, sei eine Diskriminierung von über 40-jährigen Frauen, die einen Kinderwunsch hegten, gegenüber jüngeren Frauen zum einen nicht mehr begründbar und widerspreche zum anderen den gesellschaftlichen Interessen an Geburten - auch um die Sozialgemeinschaft aufrecht zu erhalten. Die Konsequenz der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hin zur berufstätigen Frau sei, dass Frauen immer später, meist nachdem sie ihren beruflichen Stand gefestigt und die Ausbildung abgeschlossen hätten, sich entschlössen, Mutter zu werden. Eine Berufstätigkeit der Frauen sei für die Gesellschaft absolut notwendig und gewünscht. Somit stünden zwei gesellschaftliche "Wunschvorstellungen" - auf der einen Seite die frühe Mutterschaft, auf der anderen die berufliche Tätigkeit von Frauen - klar im Widerspruch. Erwerbstätige Frauen würden durch die Höchstaltersgrenze benachteiligt - zum Schaden der Gesellschaft.

Das Erreichen der Volljährigkeit des Kindes trete auch bei einem Alter der Mutter über 40 Jahre noch zu einem Zeitpunkt ein, wenn die Mutter mit 60 Jahren noch voll im Erwerbsleben stehe. Dementsprechend sei das Renteneintrittsalter in den vergangenen Jahren angepasst worden, nicht jedoch die hier maßgebliche Höchstaltersgrenze. Das Risiko einer vorzeitigen Erkrankung oder von Unfällen, die zu einer eingeschränkten Erwerbstätigkeit vor der Regelaltersgrenze führten, sei bei jüngeren Müttern in gleichem Maße gegeben.

Die weitere herangezogene Argumentation, dass eine Schädigung des ungeborenen Kindes durch das Alter der Mutter naheliegen würde, lasse sich ebenfalls nicht aufrecht erhalten. Die Klägerin hat auf geeignete Untersuchungsmethoden zur frühzeitigen Erkennung und Vermeidung von Schädigungen des ungeborenen Kindes hingewiesen. Generell könne man festhalten, dass heute die Risiken einer über 40-jährigen Frau nicht signifikant anders seien als die Risiken einer 35-jährigen zum Zeitpunkt gewesen seien, als die gesetzliche Regelung verfasst worden sei.    

Zu unterstellen sei ein Recht auf späte Elternschaft. Die Altersgrenze hätte durch Festlegung einer gestaffelten Quote nach Erreichen der Altersgrenze abgemildert werden müssen. Es fehle ferner jegliche Möglichkeit, auf besondere Gründe des Einzelfalls einzugehen.  

Zuletzt hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 03.03.2023 ergänzend ausgeführt, die derzeitige Regelung einer starren Altersgrenze mit 40 verstoße gegen das neuere Antidiskriminierungsgesetz, das jünger als das SGB V sei. Man könne inzwischen die Finanzierung an mittlerweile mögliche medizinische Untersuchungen (z.B. durch Bestimmung des Anti-Müller-Hormons) betreffend der Fruchtbarkeit der Frau binden.

Die Beklagte ist der Berufung entgegen getreten. Sie hat lediglich auf ihre bisherigen Ausführungen und auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen. Neue Erkenntnisse könnten in der rechtlichen Beurteilung nicht erkannt werden.

Für die Klägerin ist mit Schriftsatz vom 14.12.2022 auf Nachfrage des Senats mitgeteilt worden, dass ein dritter Versuch noch nicht durchgeführt worden sei. Die Klägerin habe für den dritten Versuch am 19.07.2022 einen Antrag auf Kostenerstattung (mit Behandlungsplan des Klinikums E vom 04.05.2022) bei der Beklagten gestellt. Ferner hat sie den erbetenen Lebenslauf der Klägerin übersandt. Diesen Antrag hat die Beklagte mit Bescheid vom 19.12.2022 ebenfalls wegen Überschreitens der Altersgrenze abgelehnt. Die Klägerin hat hiergegen Widerspruch eingelegt. Zur Frage, ob dieser Bescheid gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist (so die Rechtsbehelfsbelehrung), sind sich die Beteiligten einig, dass § 96 SGG nicht anzuwenden sei. Das Widerspruchsverfahren zum beantragten dritten Versuch ist deshalb von den Beteiligten ruhend gestellt worden.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit Schriftsatz vom 09.01.2023, die Beklagte mit Schriftsatz vom 25.11.2022 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16. August 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.03.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung der Klägerin zu tragen, sowie die bereits eingereichten Kosten für zwei fehlgeschlagene Versuche der künstlichen Befruchtung in Höhe von insgesamt 9.495,17 EUR an die Klägerin zu erstatten.

Hilfsweise wird beantragt,

den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen.

Die Beklagte beantragt,
      die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), jedoch im Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG zugestimmt.

Zulässige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), hier gerichtet auf Kostenerstattung und Erteilung einer Genehmigung nach § 27a Abs. 3 SGB V als Verwaltungsakt. Der klägerische Antrag bezieht sich auf die Erstattung der Kosten für die beiden bereits durchgeführten, aber fehlgeschlagenen Versuche der künstlichen Befruchtung in Höhe von insgesamt 9.495,17 EUR sowie allgemein auf die Übernahme der Kosten; dies betrifft einen dritten, noch nicht durchgeführten Versuch; dieser Teil des Klageantrags ist auszulegen als Antrag auf Erteilung der Genehmigung  (§ 27a Abs. 3 Satz 2 SGB V - hierzu: BeckOK SozR, § 27a SGB V, Rn. 35).

Der dritte Versuch wurde von der Klägerin mit Schreiben vom 19.07.2022 beantragt und mit Bescheid der Beklagten vom 19.12.2022 abgelehnt. Das Widerspruchsverfahren ruht diesbezüglich. Bei gebotener strenger Auslegung nach § 96 SGG ersetzt der Bescheid vom 19.12.2022 weder den Bescheid vom 07.09.2021 noch ändert er ihn ab, so dass der Bescheid vom 19.12.2022 nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist. Ein Neuantrag liegt nahe, da nach 9.2 der Richtlinie über künstliche Befruchtung genehmigte Maßnahmen innerhalb eines Jahres umgesetzt werden müssen.

Somit ist der dritte Versuch nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Berufungsantrag der Klägerin, der insoweit auf Kostenübernahme bzw. auf Erteilung einer Genehmigung gerichtet ist, ist entsprechend auszulegen.

Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsanspruch kommt lediglich § 13 Abs. 3 in Verbindung mit § 27a SGB V in Betracht.

Nach § 13 Abs. 3 SGB V sind dem Versicherten die Kosten einer selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte (erste Fallgruppe) oder wenn die Krankenkasse die Leistung zu Unrecht abgelehnt hatte (zweite Fallgruppe).

§ 13 Abs. 3 S.1 Fall 2 SGB V bestimmt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch nach § 27a SGB V; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben.
Die bislang geltend gemachten Kosten in Höhe von 9.495,17 EUR sind durch vorgelegte Rechnungen belegt.
Da der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter reicht als ein entsprechender Sach-leistungsanspruch, steht auch diesem das Überschreiten der Höchstaltersgrenze für die Frau nach § 27a Abs. 3 Satz 1 HS 2 SGB V entgegen. Unstreitig ist, dass die Klägerin bei Antragstellung das 40. Lebensjahr überschritten hatte.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Anträge auf Kostenübernahme und -erstattung unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil v. 03.03.2009, a.a.O., und BSG, Beschluss v. 02.11.2006, a.a.O.) abgelehnt. Dabei ist das Sozialgericht auch auf einschlägige Entscheidungen des BVerfG (z.B. BVerfG, Beschl. v. 27.05.1964, 1 BvL 4/59) sowie das Urteil des BGH (BGH, Urteil vom 04.12.2019, a.a.O.) eingegangen. Gemäß § 153 Abs. 2 SGG wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts verwiesen.

I.
Die Klägerin beruft sich im Berufungsverfahren zum einen auf eine Diskriminierung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber privat Versicherten, zum anderen auf eine Altersdiskriminierung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG und des Altersdiskriminierungsgesetzes. Zwar ist bei der Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt, eine Diskriminierung wegen einer Behinderung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ist aber nicht erkennbar.

1.
Die Beklagte ist im Widerspruchsbescheid auch auf das von der Klägerin angeführte Urteil des BGH vom 04.12.2019 (a.a.O.) eingegangen. Jenes ist allerdings für den Bereich der privaten Krankenversicherung ergangen und kann deshalb, zumindest nicht unmittelbar, auf die gesetzliche Krankenversicherung übertragen werden. Unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahren für die Klägerin Vorgebrachten weist der Senat zur Verdeutlichung und Ergänzung auf Folgendes hin:

Im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG bestehen grundlegende Strukturunterschiede zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung (siehe hierzu bereits BVerwG, Urteil v. 15.12.2005, 2 C 35/04 - BVerwGE 125, 21 ff - juris Rn. 33, ergangen zum Beihilfeanspruch; BSG, Urt. v. 17.07.1997, SozR 3-4100 § 155 AFG Nr. 5; Urteil v. 18.03.1999, B 12 KR 13/98 R - juris; Urteil v. 28.03.2000, B 8 KN 10/98 KR - juris). Dies gilt z.B. für die Ausgestaltung als privates Vertragsverhältnis gegenüber einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis, das Finanzierungssystem (versicherungsvertragliche Berechnung gegenüber solidarischer Finanzierung), sozialer Ausgleich etc. Systembedingt kann es deshalb zu Unterschieden im Leistungsbereich kommen. Insoweit besteht somit ein sachlicher Grund für eine Differenzierung.

2.
Nach Überzeugung des Senats liegt aber auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Form der Altersdiskriminierung von Frauen vor:

Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf die neueren Entwicklungen in der Medizin und der Gesellschaft und hält deshalb die bisherige Rechtsprechung überholt und die strikte Altersgrenze in § 27a SGB V für verfassungswidrig. Dabei sind nach Ansicht der Klägerin die Erwägungen des BGH auch für gesetzlich Versicherte zutreffend. Die BGH-Entscheidung hat folgenden Leitsatz: "Für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) sind deren Erfolgsaussichten grundsätzlich nur am Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft zu messen." Das nach einer mittels reproduktionsmedizinischer Maßnahmen herbeigeführten Schwangerschaft allgemein bestehende und in Abhängigkeit zum Alter der Mutter steigende Risiko einer Fehlgeburt sei grundsätzlich nicht mehr Gegenstand der Behandlung der Unfruchtbarkeit, sondern Teil eines allgemeinen Lebensrisikos, welches werdende Eltern unabhängig davon zu tragen hätten, ob ihr Kind auf natürlichem Wege oder mit medizinischer Hilfe gezeugt worden sei (BGH, a.a.O., juris   Rn. 15).

Weiter stellt der BGH in dieser Entscheidung klar (juris Rn. 16): "Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten umfasst grundsätzlich auch die Entscheidung, sich den Kinderwunsch in fortgeschrittenem Alter unter Inkaufnahme altersspezifischer Risiken zu erfüllen. Hiermit wäre es grundsätzlich nicht vereinbar, die medizinische Notwendigkeit der IVF/ICSI-Behandlung über die Erfolgswahrscheinlichkeit der Herbeiführung einer Schwangerschaft hinaus auch am voraussichtlichen weiteren Verlauf der Schwangerschaft zu messen, soweit sich diese Prognose allein auf generelle statistische Erkenntnisse stützt (so aber Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung 5. Aufl. § 1 MB/KK Rn. 105; Kalis, VersR 1989, 1244, 1246; wohl auch Damm, VersR 2006, 730, 738)."

Der BGH weicht damit - für den Bereich der privaten Krankenversicherung - klar von der Rechtsprechung des BSG, gestützt auch auf das BVerfG (BVerfG, a.a.O.), ab, das von der Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze für Frauen gemäß § 27a Abs. 3 Satz 1 HS 2 SGB V ausgegangen ist; das Sozialgericht hat die beiden einschlägigen Entscheidungen des BSG in seinen Urteilsgründen umfassend zitiert. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 03.03.2009 (BSG, a.a.O.) aber anerkannt, dass der Normgeber eine Beobachtungs- und ggf. Reaktionspflicht treffen kann, wenn sich nach Erlass einer Regelung im Verlauf der Zeit herausstellt, dass der Zweck der Regelung nicht erreicht oder gar gänzlich verfehlt wird (vgl. z.B. BSGE 83, 1, 4 ff = SozR 3-​2500 § 85 Nr. 26 S 186 ff; BSGE 93, 258 = SozR 4-​2500 § 85 Nr. 12, jeweils Rn. 25 ff; BSG SozR 4-​2500 § 62 Nr. 6 Rn. 45, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen). Hierzu hat das BSG ausgeführt: "Dafür, dass eine solche zum Eingreifen des Gesetzgebers verpflichtende Situation hier vorliegt, ist indessen selbst nach den von der Klägerin eingereichten Statistiken nichts Hinreichendes ersichtlich. Das BVerfG ist noch im Jahr 2007 unter Zugrundelegung des Deutschen IVF-​Registers 2005 davon ausgegangen, dass die Konzeptionswahrscheinlichkeit durch eine Behandlung nach der ICSI-​Methode für unter 35-​jährige Frauen bei über 30 % liegt, für über 40-​jährige dagegen nur bei etwa 12 % (BVerfGE 117, 316, 319, insoweit in SozR 4-​2500 § 27a Nr 3 nicht abgedruckt). Es kann dahinstehen, ob die Auffassung der Klägerin zutrifft, dass sich im Gefolge verbesserter Behandlungsmethoden nach den Erkenntnissen für das Jahr 2006 die Erfolgswahrscheinlichkeit einer künstlichen Befruchtung per IVF bei Frauen erst mit dem 43. Lebensjahr signifikant verschlechtere und nicht schon mit dem 40. Lebensjahr. Für das Jahr 2006 haben sich die Parameter des BVerfG insoweit nicht wesentlich geändert. Jedenfalls widerlegt auch das von der Klägerin herangezogene Zahlenmaterial nicht den vom Gesetzgeber zur Begründung angeführten Umstand, dass bereits vom 30. Lebensjahr der Frau an die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung stetig abnimmt. Denn selbst nach den Zahlen des IVF-​Registers 2006 liegt die Schwangerschaftsrate nach durchgeführter ICSI schon bei Frauen im 40. Lebensjahr nur bei 18 %, während sie selbst in der Gruppe der Frauen im 30. Lebensjahr mit 34 % noch fast doppelt so hoch ist (Vergleichszahlen IVF: 22 % bzw 39 %)." (BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris Rn. 18).

In seinem Beschluss vom 27.08.2019 (BSG, B 1 KR 8/19 R; Vorinstanz: Bayer. Landessozialgericht, Urteil v. 05.09.2018, L 4 KR 705/17) hat das BSG die Frage der Verfassungswidrigkeit der Altersgrenze für Frauen nicht angezweifelt oder aufgegriffen.

2.1.
Nach Ansicht des Senats liegt auch weiterhin kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG vor, da weiterhin aufgrund einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nicht von einer unzulässigen Altersdiskriminierung auszugehen ist. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung ist gegeben, wenn für die angenommene Diskriminierung ein sachlicher Grund vorhanden und die Regelung verhältnismäßig ist. Sachliche Gründe können auch geschlechtsspezifische Regelungen sein, also solche Regelungen, die durch objektive Umstände bedingt werden, die im Geschlecht begründet sind.

Für den Gesetzgeber stand bei Einführung der neuen Regelung "Höchstalter weiblich 40 Jahre" das natürliche Konzeptionsoptimum im Vordergrund, welches bei Frauen bereits jenseits des 30. Lebensjahres überschritten ist; die Konzeptionswahrscheinlichkeit ist nach dem 40. Lebensjahr sehr gering. Der Gesetzgeber stützt sich dabei auf damals beschlossene Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (BT-Drs. 15/1525 S. 83). Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I 2003, S. 2190 ff, 2192 - Art. 1 Nr. 14) wurde § 27a Abs. 3 SGB V neu gefasst und die Altersgrenze für weibliche Versicherte vom 40. Lebensjahr eingeführt.

Nach dem IVF-Register 2006 lag die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung und Schwangerschaft nach durchgeführter ICSI schon bei Frauen im 40. Lebensjahr nur bei 18 %, während sie selbst in der Gruppe der Frauen im 30. Lebensjahr mit 34 % noch fast doppelt so hoch war.

Die Zahlen haben sich auch 2020/2021 nicht signifikant geändert. Auch nach dem IVF-Register 2021 (Geburten 2020) liegt die Quote der Schwangerschaft bei Frauen im 40. Lebensjahr unter 20 % - bereits im 39. Lebensjahr sank die Geburtenrate unter 20 % (Quelle: D I R Jahrbuch 2021 - Auszug, Kurz und knapp, Die Jahre 2020 und 2021 im Deutschen IVF-Register, S. 6). Als besonders bemerkenswert wird die Altersabhängigkeit von Schwangerschafts- und Geburtenrate herausgestellt (a.a.O., Seite 4). In der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren betrug pro Embryotransfer die Schwangerschaftschance 39,4 % und die Geburtenrate 30,0 %; in der Altersgruppe von 41 bis 43 Jahren betrug die Schwangerschaftsrate pro Embyrotransfer nur mehr 17,8 %, die Geburtenrate lediglich 8,2 % (siehe hierzu: IVF-Register 2020, S. 26). Der für den Gesetzgeber maßgebliche Gesichtspunkt der Konzeptionswahrscheinlichkeit ist vor diesem Hintergrund also weiterhin als relevant anzusehen und hat sich in diesem Bereich - belegt durch neuere statistische Daten - nicht wesentlich verändert.  

Der Gesetzgeber beabsichtigte bei der Einführung der oberen Altersbegrenzungen ferner auch eine starke "Gewichtung des künftigen Wohls des erhofften Kindes" (BT-Drs. 15/1525 S. 83). Dabei spielt für den Senat das Alter der Mutter bei Erreichen der Volljährigkeit des Kindes keine maßgebliche Rolle, da auch die Volljährigkeit bei einem Alter der Mutter von 40 Jahren die ersten Jahre noch zu einem Zeitpunkt eintritt, wenn die Mutter mit 58 Jahren noch voll im Erwerbsleben steht.

Insgesamt war das Ziel des Gesetzgebers, dass die Neuregelung der Begrenzung der Ausgaben für künstliche Befruchtung auf Fälle medizinischer Notwendigkeit dient. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dieser Leistung nach § 27a SGB V nicht um den Kernbereich der GKV handelt (BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris Rn. 14).

Dies sind jeweils sachgerechte Erwägungen des Gesetzgebers, die die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausschließen.  

Soweit sich die Klägerin auf einen Anstieg des Durchschnittsalters der erstgebährenden Frauen von 29 Jahren (2011) auf 29,9 Jahre (2020) beruft, rechtfertigt dies nicht die Aufhebung der Höchstaltersgrenze von 40 Jahren, da die Höchstaltersgrenze immer noch 10,1 Jahre über dem Durchschnitt liegt.

Hinsichtlich der von der Klägerin vorgebrachten deutlichen Verbesserung der medizinischen Versorgung der Gebährenden und der Säuglinge seit den 1950-er Jahren ist jedoch nicht auf die Verbesserung der medizinischen Versorgung seit den 50-er Jahren des 20. Jahrhunderts, sondern allenfalls ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 27a Abs. 3 SGB V abzustellen; dies geschah durch Gesetz vom 14.11.2003 (BGBl I S. 2190) mit Wirkung zum 01.01.2004. Die vom Sozialgericht zitierte BSG-Rechtsprechung hierzu datiert aus den Jahren 2006 und 2009. Eine eklatante Verbesserung der medizinischen Versorgung in den letzten 13 Jahren ist sicher nicht festzustellen und von der Klägerin auch nicht behauptet.

Auch aus einem gesellschaftlichen Interessen an Geburten - auch um die Sozialgemeinschaft aufrecht zu erhalten - lässt sich kein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Kostenübernahme oder -erstattung von ICSI-Behandlungen von Frauen über 40 Jahre ableiten. Gegenüber diesen lediglich sozial- und familienpolitischen Gründen sind die o.g., den Gesetzgeber leitenden Regelungsabsichten als stärkere Argumente anzusehen. Dies gilt sowohl für die sehr geringe Konzeptionswahrscheinlichkeit bei Frauen jenseits des 40. Lebensjahres mit dem damit verbundenen Interesse der Solidargemeinschaft auf angemessenen wirtschaftlichen Umgang mit den Krankenkassenbeiträgen, als auch für das künftige Wohl des erhofften Kindes. Verbesserte Untersuchungsmethoden zur frühzeitigen Erkennung und Vermeidung von Schädigungen des ungeborenen Kindes kann dabei nur die Frage betreffen, wie man diese heute besser feststellen und damit umgehen kann (zur Nichtbeanstandung der mit dem Alter der Eltern zunehmenden Anzahl von Fehlbildungen beim Kind als hinreichend sachliches Differenzierungskriterium: BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris   Rn. 17. Dies ist vor dem Hintergrund der Kosten für die Solidargemeinschaft zu sehen. Eine Wertung des Lebens verbietet sich allerdings nach Art. 1 Abs. 1 GG).

Entsprechendes gilt für das klägerische Argument der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hin zur berufstätigen Frau (Anstieg der Geburten von Müttern über 40 Jahren: 2017: ca. 5,2 %; 2021: ca. 6,2 %) und einem damit verbundenen Selbstbestimmungsrecht der Frau. Dies Entwicklung ist oftmals verbunden mit Studium und anschließender beruflicher Tätigkeit - und damit verbunden zu "älteren Müttern". Auch hier steht dieser Argumentation vorrangig die Wahrscheinlichkeit der erfolgreichen Befruchtung bzw. die Konzeptionswahrscheinlichkeit sowie das Kindeswohl gegenüber. Es handelt sich auch insoweit weiterhin um ein hinreichend sachgerechtes Differenzierungskriterium.

Damit ist auch im Hinblick auf die Argumentation der Klägerin von einem sachlichen Grund im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG auszugehen.

2.2.
Wie oben dargelegt, muss die Differenzierung (Altersgrenze von 40 Jahren) im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 GG als Eingriff auch verhältnismäßig sein. Für die Klägerin wird im Berufungsverfahren auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung, das Selbstbestimmungsrecht der Frau und die verbesserten medizinischen Untersuchungen betreffend die Fruchtbarkeit der Frau sowie zur Feststellung des Wertes für die Fruchtbarkeit der Frau (z.B. über das Anti-Müller-Hormon) hingewiesen. Nach klägerischer Ansicht wird die strikte Altersgrenze von 40 Jahren als unverhältnismäßig angesehen und z.B. für eine Verlängerung auf 45 Jahre - ähnlich wie im Rentenrecht bei der Anhebung der Regelaltersgrenze geschehen - bzw. für eine Einzelfallentscheidung plädiert.

Hierzu hat das BSG für die gesetzliche Krankenversicherung festgehalten, dass der Gesetzgeber nach der Verfassungsrechtslage nicht verpflichtet gewesen ist, weitere Differenzierungen je nach der individuellen Empfängnisfähigkeit vorzunehmen, wie es der Rechtslage vor dem 01.01.2004 entsprach. Eine typisierende und pauschalierende Regelung ist demnach zulässig, ohne dass dabei für jeden Einzelfall Ausnahmen geschaffen werden müssen (BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris Rn. 15).

2.3
Insgesamt ist im Übrigen dem Gesetzgeber auch in diesem Bereich ein gewisser Gestaltungsspielraum bzw. ein Einschätzungsermessen zuzubilligen. Zwar ist eine gewisse medizinische Weiterentwicklung seit der Einführung der Höchstaltersgrenze mit dem GMG vom 14.11.2003 nicht von der Hand zu weisen. Dabei obliegt die gesetzliche Normierung aber der Legislative und nicht der Judikative. Diese ist an Recht und Gesetz gebunden; eine Verfassungswidrigkeit der derzeit geltenden Regelung des § 27a Abs. 3 SGB V kann der Senat, wie dargelegt, nicht erkennen.  

Zum Ergebnis, dass kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG bzw. gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vorliegt, gelangt auch die Kommentarliteratur (z.B. Becker/Kingreen/Lang, SGB V, 8. Aufl. 2022, § 27 a Rn. 17; zur Europarechtskonformität: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 14.02.2008, L 5 KR 93/07, juris Rn. 34 ff).

3.
Es liegt auch kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG im Hinblick auf das ungleiche Höchstalter von Frauen und Männern nach § 27a Abs. 3 S. 1 SGB V vor. Diese Regelung trägt den biologischen Unterschieden zwischen dem typischerweise früher eintretenden Ende der Gebährfähigkeit bei Frauen und der Zeugungsunfähigkeit bei Männern Rechnung (hierzu: BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris Rn. 11).

4.
Schließlich ergibt sich aus dem Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Die Förderung liegt im Ermessen des Gesetzgebers (BSG, Urteil v. 03.03.2009 - juris Rn. 20 m.w.N.).
 
II.
Ergänzend zu der Entscheidung des Sozialgerichts weist der Senat ferner darauf hin, dass ein Anspruch auf Kostenerstattung vorliegend auch daran scheitert, dass die Klägerin nicht vor Beginn der Behandlung der Beklagten einen Behandlungsplan zur Genehmigung vorgelegt hat, wie dies nach § 27a Abs. 3 S. 2 SGB V vorgesehen ist. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig; die Beklagte hat darauf in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 07.09.2021 auch hingewiesen, allerdings im weiteren Verlauf des Verfahrens ihre Ablehnung nicht darauf gestützt. Es handelt sich jedoch um eine Anspruchsvoraussetzung für die Erteilung einer vorherigen Genehmigung der Behandlung (hierzu z.B. BeckOGK, § 27a SGB V, Rn. 33). Dies kann auch grundsätzlich nicht durch das klägerische Angebot im Widerspruchsverfahren, auf Aufforderung einen Behandlungsplan vorzulegen, nachgeholt werden. Das Vorbringen, dass ein derartiges Verfahren den Behandlungsbeginn erheblich verzögert hätte und daher unzumutbar gewesen wäre, ist durch nichts belegt und eine reine Mutmaßung.
 
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen ist. Auch dem Hilfsantrag auf Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG war nicht stattzugeben, da der Senat aus den dargelegten Gründen keinen Verstoß gegen Grundrechte der Klägerin sieht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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