L 17 U 368/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 35/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 368/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zur Frage der Anerkennung eines Nierenzellkarzinoms als Berufskrankheit Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe).
2. Hier: Fehlender Nachweis der notwendigen beruflichen Einwirkungen im Sinne einer intensiven Exposition gegenüber Trichlorethen im Hochdosisbereich.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.12.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin und Berufungsklägerin ist die Witwe des 1964 geborenen und 2018 (während des Verwaltungsverfahrens) verstorbenen Versicherten A (nachfolgend: Versicherter). Der Versicherte hatte bei der Beklagten und Berufungsbeklagten die Anerkennung seiner Erkrankung (Nierenzellkarzinom) als Berufskrankheit (BK) nach § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) i.V.m. Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) beantragt. Die Klägerin führt dieses Verfahren nach dem Tod ihres Ehemannes als Sonderrechtsnachfolgerin fort.

Der Versicherte war gelernter Kfz-Mechaniker und nach abgeschlossener Berufsausbildung (01.09.1979 bis 31.08.1982) bis 31.10.1982 als Geselle beim Ausbildungsbetrieb (R) beschäftigt. Nach kurzer Arbeitslosigkeit war er vom 17.01.1983 bis 22.05.1983 bei der D im Paketdienst tätig. Anschließend verrichtete der Versicherte vom 02.01.1984 bis 31.03.1985 seinen Wehrdienst als Kfz- und Panzerschlosser (Panzergrenadierbataillon H). Vom 01.04.1985 bis 29.02.1988 (P) sowie vom 01.04.1988 bis 30.04.1990 (T) war der Versicherte jeweils als Kfz-Mechaniker bei zwei verschiedenen Kfz-Werkstätten beschäftigt; die zweite Werkstatt hatte zudem eine eigene Lackiererei. Seit 02.05.1990 bis zum Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit am 21.06.2018 war der Versicherte bei der S zunächst als Qualitätskontrolleur (Laufkontrolle in Fertigung, Montage, Schleiferei und Zieherei) und ab 02.05.1995 in der Qualitätssicherung QS tätig.

Am 02.08.2018 erstattete die Ärztin G (Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin der Universität E) eine ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit. Bei dem Versicherten sei ein Nierenzellkarzinom diagnostiziert worden; erste Beschwerden seien im Juni 2018 aufgetreten. Ab 1979 hätte Umgang mit trichlorethylenhaltigem Bremsreiniger und weiteren eventuell trichlorethylenhaltigen Produkten bestanden.

Der Versicherte gab an, während seiner Beschäftigungen (mit Ausnahme des Paketdienstes) jeweils Umgang mit Reinigungs-/Entfettungsmitteln gehabt zu haben, bei der S sei insbesondere das Reinigungsmittel "Frigen" verwendet worden; in der Qualitätssicherung habe er jedoch nur noch gelegentlich Kontakt zu diesen Produkten gehabt. Seitens der S wurde auf Nachfrage der Beklagten schriftlich mitgeteilt, dass der Versicherte 5-10 min pro Schicht bei der Entfettung von Werkstücken Umgang mit Reinigungsmitteln gehabt habe, bis 1991 mit "Frigen 113 TR-T", danach alkalische Reinigung auf wässriger Basis. Werksärztliche Untersuchungen wegen Beschwerden am Arbeitsplatz hätten nicht stattgefunden.

Am 04.09.2018 fand eine Besprechung zwischen einem Mitarbeiter der Beklagten und dem Versicherten, der Klägerin sowie deren Tochter statt. Dabei gab der Versicherte u.a. an, er habe praktisch während der gesamten Zeit seiner Tätigkeit als Kfz-Mechaniker mit einem Reinigungs-/Entfettungsmittel gearbeitet, für das die Bezeichnung "Frigen" gebräuchlich gewesen sei; dieses sei sehr aggressiv gewesen, die Haut sei davon weiß geworden. Ob es sich dabei um Trichlorethen gehandelt habe, könne er nicht angeben.

Am 18.09.2018 nahm der Präventionsdienst der Beklagten Stellung zur Arbeitsplatzexposition des Versicherten. Dabei konnten Angaben des Versicherten sowie der beiden Arbeitgeber R und S verwertet werden. Für die Tätigkeit beim R gab der Versicherte insbesondere an, dass etwa zwei Stunden/Woche Teile gereinigt worden seien "mit allem, was da war" (z.B. Nitroverdünnung, Bremsreiniger, Waschbenzin, Ottokraftstoff). Außerdem seien ein bis drei Neufahrzeuge pro Woche mit Unterbodenschutz behandelt worden. Im Anschluss habe er sich das Gesicht mit den vorgenannten Reinigern gesäubert. Es sei vorgekommen, dass ihm schwindlig geworden sei. Bei den beiden weiteren Kfz-Werkstätten seien die Verhältnisse ähnlich gewesen. Der Betriebsinhaber R erklärte, dass Arbeiten mit Kaltreinigern ca. 30 Minuten/Woche durchgeführt worden seien. Zusammenfassend gelangte der Präventionsdienst zu der Einschätzung, dass eine tatsächliche Verwendung von konkret benannten Kaltreinigern nicht habe bewiesen werden können. Kaltreiniger hätten bis November 1993 gesetzlich erlaubt u.a. bis zu 6 % Trichlorethen enthalten dürfen, ohne dass eine Kennzeichnungspflicht bestanden habe. Hätte eine Verwendung von Kaltreinigern stattgefunden, wäre eine relevante Exposition im Sinne der BK Nr. 1302 jedoch allein schon wegen der niedrigen Expositionszeiten nicht wahrscheinlich. Darüber hinaus sei Trichlorethen (neben anderen Halogenkohlenwasserstoffen wie Dichlormethan und Tetrachlorethen) ggf. nur als Beimischung in Kaltreinigern enthalten gewesen. Ein Umgang mit reinem Trichlorethen zu Reinigungszwecken habe während des Berufslebens des Versicherten nicht ermittelt werden können. Das bei der S eingesetzte "Frigen" bestehe laut beigefügtem Sicherheitsdatenblatt aus 1,1,2-Trichlor-1,2,2-Trifluorethan, einem leichtflüchtigen Fluorchlorkohlenwasserstoff (FCKW) und komme somit (als Ursache der Berufserkrankung) nicht in Betracht. Soweit ein Kontakt zu Nitroverdünnern, Waschbenzin oder Otto-Kraftstoffen stattgefunden habe, würden diese Produkte keine Chlorkohlenwasserstoffe (und somit auch kein Trichlorethen) enthalten.

Der Gewerbeärztliche Dienst der Regierung von Oberfranken konnte mit Schreiben vom 09.10.2018 eine BK Nr. 1302 nicht zur Anerkennung empfehlen. Zusammenfassend lasse sich feststellen, dass die Voraussetzungen beim Versicherten aus arbeitstechnischen Gründen nicht gegeben seien. Voraussetzungen zur Anerkennung von Nierenzellkarzinomen durch Trichlorethen seien:
1. der pathologisch-histologische Nachweis eines primären Nierenzellkarzinoms,
2. eine mehrjährige Exposition im Hochdosisbereich (Exposition gegenüber Luftkonzentrationen ab einer Höhe von ca. 300 ppm [parts per million]),
3. regelmäßige Expositionsdauer von drei Jahren mit gravierenden und lang anhaltenden expositionsbezogenen pränarkotischen Zuständen bzw. mit einer Mindestexpositionsdauer von 30 Minuten pro Arbeitsschicht im Hochdosisbereich.
Die Ermittlungen hätten ergeben, dass der Versicherte keiner relevanten mehrjährigen Exposition im Hochdosisbereich ausgesetzt gewesen sei.

Mit Schreiben vom 15.10.2018 zeigte der Bevollmächtigte die Vertretung der Klägerin an. Wegen der divergierenden Angaben zwischen dem Versicherten und den Betrieben seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Mit Schreiben vom 21.11.2018 ergänzte der Bevollmächtigte, dass unter Bezugnahme auf die wissenschaftliche Stellungnahme zur BK Nr. 1302, Nierenkrebs durch Trichlorethen, das Vorliegen der Berufskrankheit zu bejahen sei. Ein kausaler Zusammenhang zwischen einer intensiven Trichlorethen-Exposition und Nierenkrebs werde angenommen. Die in der Stellungnahme genannten Kriterien würden beim Versicherten vorliegen - aufgrund der Auswertung der Urinprobe auch das sog. Kriterium d). Später wurde geltend gemacht, dass der Versicherte sowohl bei den Kfz-Betrieben (R, P, T) als auch bei der S Kontakt mit Trichlorethylen gehabt habe (Schreiben vom 16.01.2019).

Auf eine Nachfrage der Beklagten teilte die Witwe des verstorbenen Betriebsinhabers von T mit Schreiben vom 23.10.2018 mit, dass ihr die Beschäftigung des Versicherten in der Kfz-Werkstatt erinnerlich, eine weitergehende Auskunft zur Tätigkeit aber leider nicht möglich sei. Die Person des Betriebsinhabers P konnte nicht ermittelt werden; der Kfz-Betrieb existiert nicht mehr.

Mit Bescheid vom 18.01.2019 stellte die Beklagte fest, dass beim Versicherten keine Berufskrankheit nach Nr. 1302 der Berufskrankheitenliste (Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe) bestanden habe. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass beim Versicherten eine relevante Einwirkung in Form einer mindestens dreijährigen Exposition gegenüber Trichlorethen im Hochdosisbereich, die zu pränarkotischen Symptomen geführt habe, nicht (im Vollbeweis) habe nachgewiesen werden können. Soweit der Versicherte während seiner Beschäftigungen bei verschiedenen Kfz-Werkstätten Kontakt zu Nitroverdünnung, Waschbenzin und Ottokraftstoffen gehabt habe, enthielten diese Stoffe nach den Ausführungen des Präventionsdienstes kein Trichlorethen. Soweit Kaltreiniger verwendet worden seien, sei es vorgekommen, dass diesen Reinigern Halogenkohlenwasserstoffe, u.a. auch Trichlorethen, beigemischt wurden. Es könne aber weder nachvollzogen werden, ob dies bei den vom Versicherten verwendeten Kaltreinigern tatsächlich der Fall gewesen sei, noch, in welchem Umfang der Versicherte damit Kontakt gehabt habe. Aufgrund der geringen Zeitanteile, in denen Reinigungsarbeiten verrichtet worden seien, könne jedoch eine Einwirkung von Trichlorethen im Hochdosisbereich ausgeschlossen werden. Ab 1990 sei der Versicherte bei der S als Qualitätsprüfer in der Qualitätssicherung tätig gewesen. Zur Entfettung von Werkstücken seien zunächst der Reiniger Frigen 113, später eine alkalische Reinigung auf wässriger Basis bzw. Iso-Propanol verwendet worden. Keines dieser Reinigungsmittel habe Trichlorethen enthalten.

Hiergegen erhob der Bevollmächtigte der Klägerin am 23.01.2019 Widerspruch. Die Voraussetzungen zur Anerkennung der Berufskrankheit würden vorliegen; ein umfangreicher Kontakt mit Trichlorethen habe nachweislich stattgefunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die arbeitsplatzbezogene Schadstoffbelastung (sog. Exposition) müsse qualitativ und quantitativ im konkreten Einzelfall nach Art und Umfang nachgewiesen sein. Dieser Beweisgrundsatz werfe regelmäßig, insbesondere bei zeitlich bereits Jahrzehnte zurückliegenden Beschäftigungsverhältnissen erhebliche Schwierigkeiten auf; ein Abweichen von den Beweisanforderungen sei jedoch nicht zulässig. Vorliegend habe eine Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoff in allen Beschäftigungsverhältnissen nicht im Vollbeweis gesichert werden können; zumindest eine Einwirkung von Trichlorethen im Hochdosisbereich könne ausgeschlossen werden.

Dagegen hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 19.03.2019 (eingegangen am selben Tag) Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Ergänzender Vortrag ist mit Schreiben vom 07.05.2019, vom 16.10.2019 und vom 13.11.2019 erfolgt. Dabei ist insbesondere eine vom 15.10.2019 datierende schriftliche Stellungnahme vorgelegt worden, die die gemeinsame Tochter des Versicherten und der Klägerin erstellt hat. Darin hat die Tochter ausgeführt, sie habe durch die tägliche Begleitung ihres Vaters während seiner restlichen Lebenszeit ab Juli 2018 einen spezifischeren Einblick in dessen beruflichen Werdegang erlangt, insbesondere in die Kontaktaufnahme mit dem Stoff Trichlorethylen. Ihr Vater habe angegeben, dass in den meisten Betrieben die Kurzbegriffe "Pre" und "Tri" verwendet worden seien, worunter laut aktueller Literatur die Halogenkohlenwasserstoffe zu verstehen seien. Seit seiner Ausbildungszeit bis zur Versetzung in die Qualitätssicherung habe er sehr regelmäßigen Kontakt mit Trichlorethylen gehabt. Damals sei sehr sorglos mit "Tri" umgegangen worden. Außerdem seien die äußeren Umstände zu beachten wie kleinere Hallen ohne Belüftung, das fehlende Tragen von Handschuhen, fehlende Schutzmasken sowie, dass nach der Arbeit Hände, Arme und Gesicht mit Tri-haltigen Lösungsmitteln gewaschen worden seien; die Hände hätten sich danach stets weiß verfärbt. Ihr Vater habe erläutert, immer wieder unter Kopfschmerzen gelitten und sich nach dem Kontakt mit Reinigern und Lacken taumelig und "schwummerig" gefühlt zu haben. Ferner habe er während der Arbeitswochen häufig unter Husten gelitten. All diese Symptome seien mehrmals pro Arbeitswoche aufgetreten. Darüber hinaus habe ihr Vater vor ca. mindestens 13 Jahren seinen Geruchs- und Geschmackssinn verloren. Die in der wissenschaftlichen Stellungnahme zur BK Nr. 1302, Nierenkrebs durch Trichlorethen, genannten Voraussetzungen seien im Fall ihres Vaters vollständig erfüllt. Nachdem die Betriebe teilweise nicht mehr existierten bzw. die Inhaber keine Auskunft mehr erteilen könnten, könne die Frage nach der Konzentrationshöhe von Trichlorethylen keinesfalls von Bedeutung sein. Ferner könnten Nierenschäden auch nach langfristiger Exposition gegenüber geringen Konzentrationen von Halogenkohlenwasserstoffen auftreten. Im Übrigen werde zur Konzentrationshöhe auf den Befund der Urinanalyse hingewiesen, so dass auch das sog. Kriterium d) erfüllt sei. Im aufgezeigten Gesamtzusammenhang müsse die Frage, ob eine andere als die berufsbedingte Ursache für das Nierenzellkarzinom eruiert werden könne, hinfällig sein. Mit Schreiben vom 05.12.2019 hat der Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend diverse medizinische Unterlagen vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des Sachverständigengutachtens des D, Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Friedrich-Alexander-Universität E vom 21.04.2020 nach Aktenlage; das Gutachten wurde unter Mitarbeit des S erstellt. Der Sachverständige hat festgestellt, dass bei dem Versicherten im Juli 2018 ein Nierenzellkarzinom gesichert worden sei; an dieser Erkrankung sei der Versicherte am 18.09.2018 verstorben. Die beim Versicherten anhand von Urinanalysen festgestellte vermehrte Ausscheidung von Beta-2-Mikroglobulin und Alpha-1-Mikroglobulin spreche für einen tubulären Nierenschaden, der verschiedene Ursachen haben könne. Die hier erst kurz vor dem Ableben des Versicherten am 14.09.2018 und 17.09.2018 im Rahmen palliativmedizinischer Behandlung vorgenommenen Urinanalysen seien insoweit nicht aussagekräftig; die tubuläre Nierenschädigung könne durch Minderperfusion, Schock oder auch toxisch medikamentös verursacht worden sein. Eine Trichlorethen-Exposition lasse sich aus den vorgelegten Urinanalysen nicht abschätzen. Andere Halogenkohlenwasserstoffe oder Lösungsmittel seien nicht relevant. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung und der beruflichen Tätigkeit des Versicherten wäre nur dann hinreichend wahrscheinlich, wenn eine intensive berufliche Trichlorethen-Exposition im Hochdosisbereich stattgefunden hätte; eine solche sei jedoch bislang nicht bestätigt worden und aus arbeitsmedizinischer Sicht könne insoweit keine weitere Sachaufklärung geleistet werden.

Gegen das Gutachten hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 05.06.2020 (ergänzt mit Schreiben vom 24.07.2020) eingewandt, dass es nach dem sog. Kriterium d) für die Anerkennung der BK Nr. 1302 keine Rolle spiele, zu welchem Zeitpunkt der Urin abgenommen worden sei; auch werde die Urinanalyse an keine sonstigen Bedingungen geknüpft. Zusammenfassend sei nach dem Gutachten lediglich offen, ob ein entsprechender Kontakt mit der Chemikalie stattgefunden habe. Insoweit könnten die Klägerin bzw. die Tochter bestätigen, dass der Versicherte bereits während seiner Arbeitszeit von 1985 bis 1995 wiederholt mitgeteilt habe, dass es ihm sowohl während der Arbeitszeit als auch nach Feierabend "schwummerig" gewesen sei. Beschrieben worden seien eine Art Benommenheitsgefühl und Kopfschmerzen sowie Husten am Feierabend. Diese Symptome habe der Versicherte auch während seiner Ausbildungszeit wahrgenommen. In der Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 18.09.2018 sei vermerkt: "Es sei vorgekommen, dass ihm schwindlig geworden wäre." Dem Gesetzgeber seien zahlreiche Fälle bekannt, in denen keine Sachaufklärung vor Ort in den Betrieben erfolgen könne. Es gehe daher darum, einen Gesamtzusammenhang herzustellen und Hinweise über die damals üblichen Methoden und Verwendungen von Stoffen zu erlangen und einzubeziehen. Im Sachverständigengutachten sei erörtert worden, dass Trichlorethen bis 1993 ohne Kennzeichnungspflicht verwendet worden sei. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass dies auch in den Betrieben des Versicherten der Fall gewesen sei.

Nach Durchführung eines Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 06.10.2020 und im Einverständnis mit den Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09.12.2020 (S 4 U 35/19) abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung der Berufskrankheit. Es liege weder ein Vollbeweis der arbeitstechnischen noch der medizinischen Voraussetzungen vor. Nach Nummer 1302 Anlage Berufskrankheiten-Verordnung könnten Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe eine Betriebskrankheit (gemeint: Berufskrankheit) hervorrufen. Nach Mehrtens/Brandenburg/Perlebach, BKV, M 1302, S. 18, sei für die Anerkennung der Krebserkrankung als Berufskrankheit erforderlich:
* pathologisch-histologischer Nachweis eines primären Nierenzellkarzinoms
* mehrjährige Exposition im Hochdosis-Bereich (Exposition gegenüber Luftkonzentrationen ab einer Höhe von ca. 300 ppm)
* regelmäßige Expositionsdauer von 3 Jahren
o mit gravierenden und langanhaltenden expositionsbezogenen präkomatösen Zuständen (mehrfach wöchentlich über mindestens 3 Jahre)
o mit einer Mindestexpositionsdauer von 30 Minuten pro Arbeitsschicht im Hochdosis Bereich (Exposition gegenüber Luftkonzentrationen ab einer Höhe von 300 ppm)
* Latenzzeit 20 Jahre, mindestens 10 Jahre
* Nachweis eines tubulären Nierenschadens (insbesondere Schädigung der Nierenkanälchen)
* gegebenenfalls somatische Mutationen im VHL-Gen des Tumorgewebes.
Die Klägerin habe für den Versicherten nicht nachweisen können, dass dieser bei den Firmen R, P und T sowie bei der Firma S trichlorethenhaltigen Produkten in relevanter Dosis ausgesetzt gewesen sei. Auch der Sachverständige D habe im Gutachten vom 21.04.2020 auf die Notwendigkeit einer intensiven Einwirkung hingewiesen. Schließlich habe beim Versicherten auch die medizinische Voraussetzung einer tubulären Nierenschädigung (Schädigung der Nierenkanälchen) durch die berufliche Einwirkung nicht nachgewiesen werden können.

Gegen den ihm am 10.12.2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Bevollmächtigte der Klägerin noch am selben Tag Berufung eingelegt und diese mit Schreiben vom 26.01.2021 unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrages begründet. Der Nachweis des Biomarkers Alpha-1-Mikroglobulin im Urin des Versicherten bedinge eine hohe Exposition gegen Trichlorethylen. Ferner müssten Arbeitsplatzerhebungen der damaligen Zeit eruiert werden, durch die man Rückschlüsse auf die üblichen gesundheitsgefährdenden Tätigkeiten ziehen könne.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde im Berufungsverfahren das Gutachten der H, Fachärztin für Innere Medizin und Nephrologie, Diabetologie, Notfallmedizin, Medizinische Klinik und Poliklinik I, Universitätsklinikum W vom 28.04.2022 eingeholt. Die Sachverständige hat dargelegt, dass beim Versicherten seit Juni 2018 ein primäres Nierenzellkarzinom gesichert sei. Die Anerkennung dieser Erkrankung als Berufskrankheit setze voraus, dass eine mehrjährige Exposition gegenüber Trichlorethylen im Hochdosisbereich (Werte über 300 ppm per Kubikmeter Raumluft) bzw. eine Mindestexposition von 30 Minuten mit einer Luftkonzentration ab einer Höhe von ca. 300 ppm vorgelegen habe. Hier habe der Versicherte regelmäßig Kontakt zu Trichlorethylen gehabt, welches zur Hautreinigung (Arme, Hände und Gesicht) verwendet worden sei. Außerdem habe der Versicherte Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Schwummerigkeit berichtet; derartige Symptome würden frühestens bei Dosen von 100 ppm auftreten. Soweit eine regelmäßige Expositionsdauer von drei Jahren mit länger anhaltenden expositionsbezogenen pränarkotischen Zuständen (Rauschgefühl, Benommenheit, Schwindel, Kopfschmerzen) zu fordern sei, seien die drei Jahre mit den Beschäftigungen in den drei Kfz-Betrieben zwischen 1979 und 1990 erfüllt. Die Latenzzeit betrage in der Regel etwa 20 Jahre, mindestens aber 10 Jahre, und sei hier nahezu genau erfüllt. Durch die Urinuntersuchungen vom 14.09.2018 und 17.09.2018 sei zudem der Nachweis einer tubulären Nierenschädigung erbracht. Die festgestellte unselektive Proteinurie mit der deutlich erhöhten Alpha-1-Mikroglobulinausscheidung und der Beta-2-Mikroglobulinausscheidung sei nach Ausschluss anderer Ursachen höchstwahrscheinlich durch jahrelange Trichlorethylenexposition verursacht. Eine Mutation im VHL-Gen lasse sich demgegenüber nicht nachweisen, was jedoch kein Ausschlusskriterium darstelle. Einschlägige Vorerkrankungen oder Risikofaktoren für die Entstehung eines Nierenzellkarzinoms hätten beim Versicherten nicht vorgelegen. Unklar sei jedoch, ob die aufgenommene Menge in den über zehn Berufsjahren, in denen der Versicherte mit Trichlorethylen gearbeitet habe, ausreichend gewesen sei. Ob sich die Trichlorethylenexposition beim Versicherten im gewünschten Hochdosisbereich bewegt habe, sei im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen und nicht zu widerlegen. Insbesondere andere Applikationswege, erhöhte kurzfristige Spitzenkonzentrationen oder die kumulative Dosis könnten nicht bewiesen werden. Die durch den Versicherten mehrfach geschilderten Symptome während der über 10-jährigen Berufstätigkeit würden für die regelmäßige Exposition gegenüber hohen Dosen sprechen. In Abwesenheit aller anderen Risikofaktoren für die Entwicklung eines primären Nierenzellkarzinoms und im Hinblick auf die langjährige berufliche Exposition sei in Zusammenschau aller Befunde von einem kausalen Zusammenhang auszugehen.

Der Senat hat anschließend die ergänzenden Stellungnahmen des D vom 28.07.2022 und, auf Antrag nach § 109 SGG, der H vom 06.12.2022 eingeholt. Beide Sachverständige haben an ihren Auffassungen festgehalten.

Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 09.12.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2019 zu verurteilen, die Erkrankung des verstorbenen Versicherten (Nierenzellkarzinom) als Berufskrankheit Nr. 1302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass lediglich bei Arbeiten des Versicherten bei seinen Tätigkeiten als Kfz-Mechaniker mit Kaltreinigern eine Exposition gegenüber Trichlorethen möglich gewesen sei. Die tatsächliche Verwendung von konkret benannten Kaltreinigern habe jedoch nicht bewiesen werden können. Der Versicherte habe angegeben, Reinigungsarbeiten mit Kaltreinigern ca. zwei Stunden/Woche "mit allem, was da war" (somit nicht ausschließlich nur mit Kaltreinigern) durchgeführt zu haben. Somit könne selbst unter der Annahme einer tatsächlichen Exposition gegenüber Trichlorethen bei Arbeiten mit Kaltreinigern weder die erforderliche Konzentrationshöhe von ca. 300 ppm festgestellt werden noch ergebe sich aus den Zeitangaben eine Mindestexpositionsdauer von 30 Minuten pro Arbeitsschicht (Schreiben vom 10.02.2021). Der notwendige Vollbeweis einer Exposition des Versicherten gegenüber Trichlorethen im Hochdosisbereich während der Beschäftigungszeit von 1979 bis 1990 könne auch aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen H nicht überzeugend geführt werden; darauf weise die Sachverständige selbst ausdrücklich hin (Schreiben vom 20.06.2022).

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten verwiesen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird insbesondere gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 136 Abs. 2 Satz 1 SGG auf die genannten Schreiben der Beteiligten sowie die Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen von D und H Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 151 SGG) und bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, die auf die Anerkennung der Erkrankung des Versicherten (Nierenzellkarzinom) als Berufskrankheit Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV (BK Nr. 1302) gerichtet ist, ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 18.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.03.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es lässt sich nicht feststellen, dass die Voraussetzungen zur Anerkennung des Nierenzellkarzinoms als BK Nr. 1302 erfüllt sind.

1. Die Klägerin konnte das Verwaltungsverfahren mit nachfolgendem Klage- und Berufungsverfahren anstelle des Versicherten als dessen Sonderrechtsnachfolgerin (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I) fortsetzen. Sie war die Ehefrau des Versicherten und lebte bis zu dessen Tod mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt. Der Versicherte ist während des Verwaltungsverfahrens, welches (spätestens) durch den Eingang der ärztlichen Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit bei der Beklagten am 23.08.2018 eingeleitet worden ist, am 18.09.2018 verstorben. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Anerkennung der geltend gemachten BK Nr. 1302 besteht, weil es möglich erscheint, dass fällige laufende Geldleistungsansprüche des verstorbenen Versicherten, die bei Vorliegen einer BK Nr. 1302 zu dessen Lebzeiten entstanden sind (z.B. Verletztengeld, Rente, Pflegegeld), auf die Sonderrechtsnachfolgerin übergegangen sind (vgl. § 59 Satz 2 SGB I; Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 17/19 R -, juris Rn. 14 f., 19 f.). Das Verwaltungsverfahren des Versicherten über seine etwaigen Leistungsansprüche war auch noch nicht durch (insoweit) bestandskräftigen Verwaltungsakt beendet. Soweit die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid unter Ziffer 2 des Verfügungssatzes auch "Ansprüche auf Leistungen" verneint hatte, ergibt die Auslegung am Maßstab des objektivierten Empfängerhorizonts eines verständigen Beteiligten, dass damit erkennbar keine konkreten Leistungen abgelehnt werden sollten, sondern ersichtlich nur allgemein die Folgerungen beschrieben werden, die sich aus der Nichtanerkennung der BK Nr. 1302 ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 17/19 R -, juris Rn. 21 ff.). Dies ergibt sich aus der Begründung des Bescheides und des Widerspruchsbescheides sowie dem Ablauf des Verwaltungsverfahrens, deren Gegenstand vorliegend allein die Prüfung der Voraussetzungen der BK Nr. 1302 gewesen ist.

2. Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1302 der Anlage 1 zur BKV.

a) Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als solche bezeichnet sind (sog. Listen-BK) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) sowie dass eine Krankheit vorliegt. Des Weiteren muss die Krankheit durch die Einwirkungen verursacht worden sein (haftungsbegründende Kausalität). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist die Berufskrankheit nicht anzuerkennen. Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (z.B. BSG, Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 10/17 R -, BSGE 126, 244 und juris Rn. 13 m.w.N.; BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 7/19 R -, BSGE 131, 297 und juris Rn. 27).

b) Die Klägerin macht vorliegend geltend, dass das beim Versicherten diagnostizierte Nierenzellkarzinom als BK Nr. 1302 anzuerkennen sei.

aa) Die BK Nr. 1302 umfasst "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe". Hinsichtlich der näheren Voraussetzungen der BK Nr. 1302 ist zu verweisen auf das "Merkblatt zur BK Nr. 1302: Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe - Merkblatt für die ärztliche Untersuchung (Bek. des BMA v. 29. März 1985, BArbBl. 6/1985)" sowie hier insbesondere auf die "Wissenschaftliche Stellungnahme zur Berufskrankheit Nr. 1302 "Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe" - Nierenkrebs durch Trichlorethen - Bek. d. BMAS v. 1. Februar 2018 - IVa 4-45222 - 1302 - GMBl 2018, S. 220-223 [Nr. 12-13] (vom 06.04.2018)".

Das genannte Merkblatt aus dem Jahr 1985 führt aus, dass die Halogenkohlenwasserstoffe (Verbindungen von Kohlenwasserstoffen mit Fluor, Chlor, Brom, Jod) eine heterogene Gruppe zahlreicher organischer Verbindungen sind, die auch in toxikologischer Hinsicht uneinheitlich sind (Vorbemerkung). Sie sind u.a. in Lösungsmitteln enthalten. Trichlorethen (früher Trichloräthylen bzw. Trichlorethylen, umgangssprachlich "Tri") zählte damals zu den meistbenutzten Lösemitteln (vgl. Merkblatt Ziffer I. 1.1). Die Gesundheitsgefährdung wird bei den Halogenkohlenwasserstoffen wesentlich durch deren jeweilige Toxizität sowie Intensität und Dauer der Exposition bestimmt (Merkblatt Ziffer II.). Der Heterogenität der Halogenkohlenwasserstoffe entsprechen unterschiedliche akute und/oder chronische Krankheitsbilder (Merkblatt Ziffer III.).

Für die beim Versicherten zweifelsfrei nachgewiesene Erkrankung eines primären Nierenzellkarzinoms ergänzt die Wissenschaftliche Stellungnahme zu Nierenkrebs durch Trichlorethen aus dem Jahr 2018, dass Trichlorethen in der Vergangenheit u.a. als Lösungsmittel für die Entfettung von Metallen sowie in Farben und Lacken verwendet worden ist (Ziffer 1. der Stellungnahme). Trichlorethen wird über die Atmung und die Haut aufgenommen (Ziffer 2. der Stellungnahme). 1996 wurde der Stoff als humankanzerogen eingestuft. Auf Grund der vorliegenden Evidenz, insbesondere des Nachweises eines gentoxischen Trichlorethen-Metaboliten, der positiven Evidenz für eine krebserzeugende Wirkung in tierexperimentellen Studien und der vorliegenden epidemiologischen Evidenz nimmt der Ärztliche Sachverständigenbeirat "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen kausalen Zusammenhang zwischen einer intensiven Trichlorethen-Exposition und Nierenkrebs an. In Übereinstimmung mit Brüning et al. (2005) setzt die Anerkennung eines Nierenzellkarzinoms im Rahmen der BK Nr. 1302 folgende Kriterien (die während des Verfahrens bereits von den Beteiligten in Bezug genommen worden sind) voraus:
a) Der Beschäftigte war einer mindestens dreijährigen Einwirkung mit Trichlorethen ausgesetzt, die zu pränarkotischen Symptomen in Form von Rausch- oder Trunkenheitsgefühl, Benommenheit, Schwindel oder Kopfschmerzen geführt hat.
b) Die Latenzzeit zwischen der erstmaligen Trichlorethenexposition und dem Auftreten des Nierenzellkarzinoms beträgt mindestens zehn Jahre.
c) Bei dem Beschäftigten wurde ein primäres Nierenzellkarzinom diagnostiziert.
d) Bei dem Beschäftigten besteht eine toxische Nierenschädigung durch Trichlorethen in Form einer erhöhten Ausscheidung von Beta-2-Mikroglobulin, Alpha-1-Mikroglobulin, Delta-N-Acetyl-D-Glucosaminidase oder Glutathion-S-Transferase Alpha.
Dabei ist das Kriterium d) aber keine Bedingung für die Anerkennung des Nierenkrebses durch Trichlorethen im Sinne der BK Nr. 1302. Sofern das Kriterium d) erfüllt ist, spricht dies jedoch zusätzlich für das Vorliegen einer BK Nr. 1302, weil Beschäftigte mit hoher Trichloretheneinwirkung häufig, aber nicht immer eine toxische Nierenschädigung im Sinne des Kriteriums d) aufweisen (Ziffer 5. der Stellungnahme).

Die danach zu fordernde intensive Trichlorethen-Exposition wird angenommen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 1193 unter Bezugnahme auf Brüning et al.) bei einer
- mehrjährigen Exposition im Hochdosisbereich (Exposition gegenüber Luftkonzentrationen ab einer Höhe von ca. 300 ppm) sowie einer
- regelmäßigen Expositionsdauer von 3 Jahren
* mit gravierenden und langanhaltenden expositionsbezogenen pränarkotischen Zuständen (mehrfach wöchentlich über mindestens drei Jahre)
* mit einer Mindestexpositionsdauer von 30 Minuten pro Arbeitsschicht im Hochdosisbereich (Exposition gegenüber Luftkonzentration ab einer Höhe von 300 ppm).

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat anschließt, liegen nicht alle Voraussetzungen für die Anerkennung des Nierenzellkarzinoms des Versicherten als BK Nr. 1302 vor.

Der Senat hat bei seiner Prüfung keine Bedenken, sich der Auffassung und den Ausführungen des Sachverständigen D anzuschließen. Der Sachverständige ist für die zur Beurteilung stehende Frage fachkompetent. Seine Bewertung stützt er auf eine umfassende Auswertung der sich aus den Akten ergebenden Informationen sowie auf die aktuelle medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung. Anhaltspunkte für eine unzutreffende Beurteilung sind nicht ersichtlich. Die Bewertung steht mit der unfallversicherungsrechtlichen Begutachtungsliteratur und dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft in Einklang. Sie deckt sich letztlich auch in allen wesentlichen Punkten mit derjenigen der Sachverständigen H. Die Ausführungen des sehr erfahrenen Sachverständigen D sind schlüssig, in sich widerspruchsfrei und überzeugend begründet.

Danach wurde beim Versicherten zwar die Diagnose eines primären Nierenzellkarzinoms gesichert und auch ein tubulärer Nierenschaden ist aufgrund der Urinanalysen zweifelsfrei gesichert. Für einen Ursachenzusammenhang spricht im Fall des Versicherten zudem der deutlich vorverlagerte Erkrankungszeitpunkt im Alter von 53 Jahren (statt im Mittel mit etwa 70 Jahren). Darüber hinaus ist mittlerweile in der medizinischen Wissenschaft der Zusammenhang der Erkrankung an einem primären Nierenzellkarzinom mit einer intensiven Exposition zu Trichlorethen dem Grunde nach unstreitig. Diese Gesichtspunkte allein führen jedoch noch nicht zur Anerkennung einer BK Nr. 1302.

Der Senat kann sich vorliegend nicht im notwendigen Beweismaßstab des Vollbeweises davon überzeugen, dass der Versicherte infolge seiner den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeiten einer intensiven Trichlorethen-Exposition im oben dargestellten Sinne ausgesetzt gewesen ist. Es fehlt somit an der notwendigen beruflichen Einwirkung (sog. arbeitstechnische Voraussetzung).

Von Relevanz sind insoweit ausschließlich die kraft Gesetzes versicherten Ausbildungs- (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII) und Beschäftigungsverhältnisse (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) als Kfz-Mechaniker beim R, beim P und bei T im Zeitraum zwischen 1979 und 1990. Sowohl für die Beschäftigung im Paketdienst als auch bei der S kann ein Umgang mit Trichlorethen ausgeschlossen werden. Während der Zeit des Wehrdienstes bestand kein Versicherungsschutz nach dem SGB VII.

Nach den Ausführungen des Präventionsdienstes der Beklagten in der Stellungnahme vom 18.09.2018, die im Wesentlichen auf den Angaben des Versicherten beruht sowie Ermittlungen bei den Arbeitgebern des Versicherten miteinbezieht (soweit diese noch erreichbar waren), steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Versicherte nur während seiner drei Beschäftigungsverhältnisse als Kfz-Mechaniker in den Kfz-Werkstätten beim R, beim P und bei T in den Jahren zwischen September 1979 und April 1990 Kontakt zu Trichlorethen gehabt haben kann. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus den Angaben des Klägers sowie dem Inhaber des R. Die Inhaber der beiden weiteren Kfz-Betriebe konnten nicht erreicht werden bzw. keine relevanten Angaben mehr machen. Bei seinem letzten Arbeitgeber, der S, deren Mitarbeiter vom Präventionsdienst ebenfalls befragt werden konnten, hatte der Versicherte hingegen keinen Kontakt mehr zu Trichlorethen. Der Versicherte war dort zunächst als Qualitätskontrolleur (Laufkontrolle in Fertigung, Montage, Schleiferei und Zieherei) und ab 02.05.1995 in der Qualitätssicherung QS tätig. Soweit dort bis 1991 das Entfettungsmittel "Frigen 113 TR-T" verwendet wurde bzw. anschließend alkalische Reiniger auf wässriger Basis, enthalten diese Mittel kein Trichlorethen. Auch die Sachverständigen D und H gehen in Übereinstimmung hiermit von Expositionen des Versicherten gegenüber Trichlorethen nur im Rahmen der Beschäftigungen bei den Kfz-Betrieben aus; aufgrund der verschiedenen Unterbrechungen ergibt sich hier zusammengerechnet insgesamt ein Beschäftigungszeitraum von acht Jahren.

Allerdings kann für diese Beschäftigungsverhältnisse in den Kfz-Betrieben eine Exposition zu Trichlorethen in der Intensität, die nach dem derzeitigen medizinisch-wissenschaft-lichen Erkenntnisstand ein Nierenzellkarzinom verursachen oder zumindest wesentlich mitverursachen könnte, nicht festgestellt werden. D sieht aufgrund der Aktenlage und unter Berücksichtigung der anamnestischen Angaben des Versicherten weder Hinweise auf eine entsprechend intensive Exposition gegenüber Trichlorethylen noch kann durch den medizinischen Sachverständigen hier eine weitere Klärung erfolgen. Sonstige Ermittlungsmöglichkeiten sind für den Senat ebenfalls nicht ersichtlich. Auf eine etwaige Exposition gegenüber anderen Arbeitsstoffen kommt es für die Erkrankung des Versicherten nicht an.

D führt nachvollziehbar aus, dass ein ursächlicher Zusammenhang hinsichtlich einer Nierenkrebserkrankung bisher ausschließlich für den Halogenkohlenwasserstoff Trichlorethen hinreichend wahrscheinlich gemacht werden konnte. Für Expositionen gegenüber anderen Halogenkohlenwasserstoffen oder anderen Lösungsmitteln oder Reinigungsmitteln ist nach derzeitigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine Verursachung einer Nierenkrebserkrankung nicht wahrscheinlich zu machen. Aus arbeitsmedizinischer Sicht ist zudem darauf hinzuweisen, dass es sich um eine intensive Trichlorethen-Exposition gehandelt haben muss. Hierzu hat D erläutert, dass die krebserzeugende Wirkung von Trichlorethylen erst relativ spät (1995) erkannt wurde und in der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch lange kontrovers diskutiert worden ist, obwohl dieses Lösemittel in großem Umfang weltweit eingesetzt wurde. Ein Ursachenzusammenhang konnte jedoch erst nachgewiesen werden als sehr hoch exponierte Kollektive untersucht wurden. Denn für die kanzerogene Wirksamkeit in der Niere werden Stoffwechselprodukte (Metabolite) von Trichlorethen verantwortlich gemacht, die (nur) bei hohen Dosen über einen reduktiven Stoffwechselweg entstehen. Bei weniger intensiver Belastung wird Trichlorethylen nicht in die krebserzeugenden Stoffwechselprodukte umgewandelt.

Beide Sachverständige (D und H) bestätigen, dass die Anerkennung des Nierenzellkarzinoms des Versicherten eine entsprechend intensive Trichlorethen-Exposition im Hochdosisbereich (wie sie unter Ziffer 2. b) aa) der Entscheidungsgründe dargestellt worden ist) voraussetzt. Beim Versicherten lässt sich jedoch eine solche Exposition im Hochdosisbereich nicht im notwendigen Vollbeweis belegen, letztlich nicht einmal abschätzen.

Nach den für den Senat überzeugenden Feststellungen des Präventionsdienstes vom 18.09.2018 hat der Versicherte während seiner Beschäftigungen als Kfz-Mechaniker zwischen 1979 und 1990 neben chlorkohlenwasserstofffreien Nitroverdünnungen/-lacken, Waschbenzin und Otto-Kraftstoffen (die kein Trichlorethen enthalten) lediglich noch zu Kaltreinigern Kontakt gehabt, denen damals u.a. auch Trichlorethen beigemischt wurde, allerdings nur in einer Konzentration von bis zu 6 %. Der Umgang mit reinem Trichlorethen zu Reinigungszwecken hat dagegen nicht ermittelt werden können. Bereits aufgrund dieser geringen Konzentration und dem auch nur teilweisen Umgang mit Kaltreinigern kann eine Hochdosisexposition gegenüber Trichlorethen nicht begründet werden. Zudem ist nach den eigenen Angaben des Versicherten (Reinigungsarbeiten für die Dauer von ca. zwei Stunden/Woche "mit allem, was da war", somit nicht ausschließlich nur mit Kaltreinigern) die geforderte tägliche Mindestexpositionsdauer von 30 Minuten pro Arbeitsschicht nicht erfüllt.

Insoweit kommt es letztlich nicht darauf an, ob und ggf. welche pränarkotischen Symptome (vgl. Kriterium a) im Sinne der wissenschaftlichen Stellungnahme zu Nierenkrebs durch Trichlorethen) beim Versicherten vorgelegen haben. Daher war eine Anhörung der Klägerin oder eine Einvernahme der Tochter als Zeugin nicht erforderlich. Die ausführliche schriftliche Stellungnahme der Tochter vom 15.10.2019 wurde zudem berücksichtigt.

Ausgehend von den originären Angaben des Versicherten gegenüber der Beklagten verneint D im Übrigen das Vorliegen entsprechender Rauschzustände. Dies ist für den Senat nachvollziehbar. Soweit die eigenen Angaben des Versicherten von der Beklagten dokumentiert worden sind, ergibt sich daraus an Symptomen lediglich, dass er praktisch während seiner gesamten Tätigkeit als Kfz-Mechaniker mit einem Reinigungs-/ Entfettungsmittel gearbeitet habe, für welches die Bezeichnung "Frigen" gebräuchlich gewesen sei. Ob es sich dabei um Trichlorethen gehandelt hat, konnte der Versicherte nicht angeben. Das Mittel wurde von ihm als sehr aggressiv beschrieben, die Haut sei davon weiß geworden (Gespräch am 04.09.2018). Im Rahmen der Ermittlungen des Präventionsdienstes gab der Versicherte zusätzlich an, dass es vorgekommen sei, dass ihm schwindlig geworden wäre. Über mehrfach wöchentlich auftretende, gravierende und langanhaltende pränarkotische Symptome hat der Versicherte selbst somit nicht berichtet.

Aber auch die Sachverständige H, die sich näher mit den Angaben der Tochter des Versicherten (insbesondere im Schreiben vom 15.10.2019) auseinandergesetzt hat und darauf verweist, dass nach der Arbeit TRI-haltige Lösungsmittel verwendet worden seien, um Hände, Arme und Gesicht zu reinigen sowie auf die Angaben zu Kopfschmerzen, Schwindel und Schwummerigkeit Bezug nimmt, vermag aus diesen Symptomen keine ausreichend belastbaren Rückschlüsse auf eine intensive Exposition gegenüber Trichlorethen im Hochdosisbereich herzuleiten. Denn neurotoxische Effekte wie Schwindel, Kopfschmerzen oder verschwommenes Sehen treten nach ihren Darlegungen (bereits) bei etwa 100 ppm Konzentration auf. Damit ist der Hochdosisbereich jedoch nicht erreicht. Wie hoch die transdermale Aufnahme gewesen sei, kann ebenfalls nicht abgeschätzt werden. In ihrer ergänzenden Stellungnahme spricht die Sachverständige selbst lediglich davon, dass nach der Schilderung des Versicherten Symptome vorgelegen hätten, die auf eine potenziell krebserregende Exposition gegenüber Trichlorethen schließen lassen könnten. Soweit sie ausführt, dass für Wirkungen, wie z.B. dem vom Versicherten beschriebenen Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, in den meisten Studien höhere Expositionskonzentrationen benötigt worden seien, wird nicht aufgezeigt, warum dieser etwaige (nicht nachgewiesene) Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn beim Versicherten vorliegend überhaupt Berücksichtigung finden könnte. Denn nach den Angaben der Tochter im Schreiben vom 15.10.2019 trat der behauptete Verlust dieser Sinne vor etwa 13 Jahren ein, somit zu seinem Zeitpunkt, als der Versicherte seit etlichen Jahren nachweislich (und entsprechend auch seinen eigenen Angaben) nicht mehr gegenüber Trichlorethen exponiert gewesen ist.

Überdies wäre das sog. Kriterium a) allein durch das Vorliegen von pränarkotischen Symptomen ohne Nachweis einer tatsächlichen Trichlorethen-Exposition im Hochdosisbereich ohnehin nicht erfüllt.

Auf eine Exposition im Hochdosisbereich kann auch nicht aus den Urinanalysen des Versicherten rückgeschlossen werden (vgl. Kriterium d) im Sinne der wissenschaftlichen Stellungnahme zu Nierenkrebs durch Trichlorethen). Zwar können im Hochdosisbereich die aus Trichlorethen gebildeten nephrotoxischen Metabolite einen tubulären Nierenzellschaden verursachen. Dieser ist jedoch nicht bei allen mit Trichlorethen hochexponierten Patienten mit Nierenzellkarzinom nachweisbar. Umgekehrt kann eine Vielzahl vor Ursachen zu einer Tubulusschädigung der Nieren führen. Der Tubulusschaden ist somit weder sensitiv noch spezifisch für eine in Bezug auf das Nierenzellkarzinom relevante Exposition gegenüber Trichlorethen. Selbst wenn der tubuläre Schaden der Nieren hier bereits vor der Karzinom-Erkrankung des Versicherten zweifelsfrei gesichert worden wäre, wäre dies nicht ausreichend, um alleine damit eine hohe und langjährige Exposition gegenüber Trichlorethen zweifelsfrei zu sichern, da ein tubulärer Nierenschaden viele unterschiedliche Ursachen haben kann. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Kriterium d) lediglich um ein Zusatzkriterium; es kann den notwendigen Nachweis der Exposition im Hochdosisbereich nicht ersetzen.

Soweit im Gutachten von H auf das deutsche Konzept der Expositions-Risiko-Beziehung bei krebserzeugenden Arbeitsstoffen hingewiesen wird, ist dies im Hinblick auf die Prävention zweifelsohne richtig. lm Hinblick auf eine Verursachungskausalität können aber derartige Expositions-Risiko-Beziehungen nach den Ausführungen des D nur bedingt herangezogen werden. Die in Deutschland abgeleiteten Toleranz- und Akzeptanzrisiken für krebserzeugende Arbeitsstoffe wie beispielsweise Trichlorethen sind daher für die Beurteilung des Einzelfalls der Kausalität einer Krebserkrankung wenig hilfreich. Im Übrigen ergeben sich daraus keine Rückschlüsse auf die Trichlorethen-Exposition des Versicherten.

Zusammenfassend weist auch die Sachverständige H darauf hin, dass unklar ist, ob die aufgenommene Menge in den über zehn Berufsjahren (tatsächlich waren es acht Jahre), in denen der Versicherte mit Trichlorethen gearbeitet habe, ausreichend gewesen ist. Die Schwellenwerte von 300 ppm Raumluftkonzentration sind nicht nachzuweisen und kaum mit anderweitigen Applikationsformen wie transdermaler Aufnahme zu vergleichen. Zwar soll auch die kumulative Dosis des aufgenommenen Trichlorethen ein entscheidender Faktor sein, allerdings kann dieser im Nachhinein ebenfalls nicht ausreichend gewürdigt werden.

Wenn H vorliegend darauf verweist, dass die stattgehabte Expositionsdosis beim Versicherten nicht widerlegt werden könne und es außerdem keinen anderen ersichtlichen Faktor gebe, der für die Entstehung der Erkrankung verantwortlich sein könnte, so genügt eine solche Aussage nicht den Beweismaßstäben im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung gilt im Berufskrankheitenrecht, wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Theorie der wesentlichen Bedingung (st.Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 10/17 R -, BSGE 126, 244 und juris Rn. 18 m.w.N.). Danach müssen zunächst die Einwirkungen bei der beruflichen Tätigkeit des Versicherten als eine Ursache positiv nachgewiesen sein. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Auf das Vorliegen etwaiger außerberuflicher Alternativursachen kommt es hier daher gar nicht (mehr) an. Insbesondere kann aus einer fehlenden Alternativursache nicht auf die berufliche Tätigkeit als (alleinige) Ursache rückgeschlossen werden.

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin mehrfach bemängelt hat, die Beklagte habe den Sachverhalt in Bezug auf den geltend gemachten Kontakt des Versicherten mit Trichlorethen nicht ausreichend aufgeklärt, wird weder aufgezeigt noch ist ersichtlich, welche weiteren Ermittlungsmöglichkeiten hier in Betracht gekommen wären. Soweit behauptet wurde, ein umfangreicher Kontakt mit Trichlorethen habe nachweislich stattgefunden, trifft dies gerade nicht zu. Denn insbesondere die Dauer und der konkrete Umfang der Exposition sind unbekannt. Dabei wurde die schriftliche Stellungnahme der Tochter des Versicherten vom 15.10.2019 berücksichtigt.

Auch eine Herabsetzung der Beweisanforderungen kommt vorliegend nicht in Betracht. Derartiges ist im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich nicht vorgesehen, obwohl das Problem der Feststellung konkreter Arbeitsplatzbedingungen gerade bei der Prüfung von möglichen Berufskrankheiten im Zusammenhang mit lange zurückliegenden Beschäftigungsverhältnissen sehr wohl bekannt ist. Nach den Grundsätzen der Beweiswürdigung sind typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalls ergeben, im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R -, juris Rn. 17; BSG, Urteil vom 10.08.2021 - B 2 U 2/20 R -, juris Rn. 31 m.w.N.). Die Vermutungsregel des § 9 Abs. 3 SGB VII greift nicht ein, da etwaige besondere Bedingungen der versicherten Tätigkeiten des Versicherten in diesem Sinne gerade nicht nachgewiesen sind und sich die Beweiserleichterung allein auf den Kausalverlauf bezieht (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.2006 - B 2 U 20/04 R -, BSGE 96, 291 und juris Rn. 16). Im Übrigen hat der Präventionsdienst der Beklagten in seiner Stellungnahme vom 18.09.2018 derartige Schwierigkeiten berücksichtigt und insbesondere ausgehend von den eigenen Angaben des Versicherten allgemeine Erkenntnisse über bestimmte Arbeitsstoffe (hier: Kaltreiniger) und deren Zusammensetzung (hier: bis zu 6 % Beimischung von Trichlorethen) zugrunde gelegt. Dem Einwand des Bevollmächtigten der Klägerin, es gehe darum, einen Gesamtzusammenhang herzustellen und Hinweise über die damals üblichen Methoden und Verwendungen von Stoffen zu erlangen und einzubeziehen, wurde somit Rechnung getragen.

Wenn der Bevollmächtigte der Klägerin zudem darauf hinweist, dass Trichlorethen bis 1993 ohne Kennzeichnungspflicht verwendet worden sei und daher davon ausgegangen werden müsse, dass dies auch in den Betrieben des Versicherten der Fall gewesen sei, so genügt eine derartige Annahme nicht dem Beweismaßstab des Vollbeweises. Denn die hier notwendige intensive Einwirkung durch Trichlorethen muss bezüglich ihrer Dosis und der zeitlichen Einwirkungsdauer konkret festgestellt werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Als Sonderrechtsnachfolgerin ist die Klägerin nach § 183 SGG kostenprivilegiert (BSG, Urteil vom 16.03.2021 - B 2 U 17/19 R -, juris Rn. 44).

4. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
Saved