L 16 BA 46/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
16.
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 360/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 BA 46/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 5. April 2019 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.760,76 Euro festgesetzt.

 

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten über eine Nachforderung von Sozialversicherungs- und Umlagebeiträgen in Höhe von (i.H.v.) 4.760,76 Euro für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 als Verkäuferin von S-Produkten in der Zeit vom 1. Februar 2015 bis 31. Dezember 2016.

 

Die Klägerin war im Streitzeitraum Inhaberin der Firma „S “. Die Beigeladene zu 1, die vom häuslichen Arbeitszimmer aus seit 2005 ein inzwischen aufgegebenes Büroservice-Gewerbe (Schreib- und Sekretariatsarbeiten, Computerbauzeichnungen, Behördengänge) betrieb, war aufgrund mündlicher Verabredung für die Klägerin zwölf Wochenstunden an einem Verkaufsstand im „Kaufland“ F als Verkäuferin von „S-Produkten“ tätig. Nach den übereinstimmenden Angaben der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 im Verwaltungsverfahren führte die Beigeladene zu 1 dabei die gleichen Arbeiten aus wie fest angestellte Mitarbeiter der Klägerin, erhielt wie diese Weisungen von der Klägerin und war in deren Dienstplan eingegliedert. Für die Ausübung ihrer Tätigkeit wurden ihr kostenlos T-Shirts von der Klägerin gestellt. Eine eigene Preisgestaltung oder eine eigene Werbung war der Beigeladenen zu 1 nicht gestattet. Sie hatte weder Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall noch auf bezahlten Urlaub. Wenn die Beigeladene zu 1 erkrankte, war die Klägerin für die Erledigung des Auftrages zuständig. Für ihre Dienstleistung wurde die Beigeladene zu 1 wöchentlich nach Rechnungslegung entlohnt.

 

Nach einer Betriebsprüfung bei der Klägerin stellte die beklagte DRV Bund nach Anhörung die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1 in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis 31. Dezember 2016 aufgrund abhängiger Beschäftigung fest; zudem forderte sie von der Klägerin Beiträge und Umlagen i.H.v. 4.760,76 Euro nach (Betriebsprüfungsbescheid vom 15. Februar 2018, Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2018).

 

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat den Betriebsprüfungsbescheid aufgehoben (Gerichtsbescheid vom 5. April 2019). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Beigeladene zu 1 sei in der zu beurteilenden Tätigkeit für die Klägerin selbständig gewesen. Die zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1 getroffenen Vereinbarungen enthielten keine Regelungen, die für ein Arbeitsverhältnis typisch seien, wie z.B. über bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Beigeladene zu 1 sei nur als Urlaubsvertretung für die Klägerin tätig geworden und habe selbst entscheiden können, ob sie die Urlaubsvertretung übernehmen wolle. Während der Urlaubszeit der Klägerin habe die Beigeladene zu 1 im Übrigen frei schalten und walten können, wenngleich sie ihre Anwesenheit während der Öffnungszeiten habe gewährleisten müssen und auch den Verkaufsort nicht frei habe auswählen können.

 

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte vorgetragen: Entgegen der Auffassung des SG überwögen die Indizien, die für eine abhängige Beschäftigung sprächen. Anders als vom SG festgestellt sei die Beigeladene zu 1 nicht nur als Urlaubsvertretung tätig geworden, sondern habe regelmäßig zwölf Wochenstunden als Verkäuferin für die Klägerin an einem vorgegebenen Ort (Kaufland Finsterwalde) zu einer durch die Dienstpläne der Klägerin vorgegebenen Zeit weisungsabhängig ohne Möglichkeiten der eigenen Preisgestaltung oder Werbung gearbeitet. Die Arbeitsmittel in Form von Oberbekleidung und Verpackungen seien von der Klägerin kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Im Gesamtbild ergebe sich, dass die Beigeladene zu 1 einem Direktionsrecht der Klägerin hinsichtlich Zeit, Dauer und Ort der Arbeitsausführung unterlegen habe und in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen sei.

 

 

 

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 5. April 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist darauf hin, dass den vertraglichen Vereinbarungen entscheidendes Gewicht beizumessen sei. Hiernach sei eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 1 angestrebt gewesen. Im Übrigen überwögen die Indizien für eine selbständige Tätigkeit. Die Beigeladene zu 1 habe weder Anspruch auf Urlaub noch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gehabt. Auch habe die Beigeladene zu 1 frei entscheiden können, ob sie als Vertretung für die Klägerin tätig werden wollte oder nicht.

 

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

 

Das SG hat zu Unrecht den Betriebsprüfungsbescheid vom 15. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2018 aufgehoben. Der genannte Betriebsprüfungsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Rechtsgrundlage für die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragsforderung ist § 28p Absatz 1 Satz 1 und 5 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV). Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Sie erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. § 10 Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) stellt die Umlagen zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gleich (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 10. Dezember 2019 – B 12 R 9/18 R -, juris Rn. 12). Ausgehend von den zu § 7 SGB IV geltenden Maßstäben unterlag die Beigeladene zu 1 in ihrer Tätigkeit als Verkäuferin von Spreewald-Produkten aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in den hier streitigen Zweigen der Sozialversicherung.

 

Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der (hier nur streitigen) gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – <SGB VI> und § 25 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – <SGB III>). Nach § 7 Absatz 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil vom 23. Februar 2021 – B 12 R 15/19 R –, juris Rn. 13). Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden

 

Nach diesen Maßstäben war die Beigeladene zu 1 bei der Klägerin beschäftigt. Zum einen sind die ihrer Tätigkeit zugrunde liegenden mündlichen Abreden, die in der Praxis auch so gelebt wurden, überwiegend durch typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses geprägt. Nach den Ergebnissen der Ermittlungen im Verwaltungsverfahren waren eine regelmäßige Beschäftigung mit 12 Wochenstunden, durch einen Dienstplan festgelegten Arbeitszeiten und eine wöchentliche Entlohnung nach Rechnungslegung vereinbart. In Ausübung ihrer Tätigkeit war die Beigeladene zu 1 in die betriebliche Organisation der Klägerin eingegliedert. Sie trug die von der Klägerin zur Verfügung gestellte Oberbekleidung und war an deren vorgegebene Preise für die zu veräußernden Waren sowie deren Weisungen gebunden. Eigene Werbung war ihr nicht erlaubt. Auch hatte sie die Klägerin im Verhinderungsfall zu informieren. Ein wesentliches unternehmerisches Risiko, dem entsprechende unternehmerische Freiheiten gegenüberstanden, lag nicht vor. Die Beigeladene zu 1 setzte angesichts der vereinbarten wöchentlichen Vergütung ihre Arbeitskraft auch nicht mit der Gefahr des Verlusts ein. Soweit einzelne Abreden (z.B. die Nichtgewährung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub bzw. Urlaubsgeld, die Existenz von weiteren Auftraggebern und die Obliegenheit, Einnahmen selbst zu versteuern sowie selbst für eine Krankenversicherung zu sorgen) darauf gerichtet waren, an den Arbeitnehmer- bzw. Beschäftigtenstatus anknüpfende arbeits-, steuer- und sozialrechtliche Regelungen abzubedingen bzw. zu vermeiden, lassen diese ausschließlich Rückschlüsse auf den Willen der Vertragsparteien, Beschäftigung auszuschließen, zu. Darüber hinaus kommt solchen Vertragsklauseln bei der im Rahmen des § 7 Absatz 1 SGB IV vorzunehmenden Gesamtabwägung keine eigenständige Bedeutung zu. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen, der im Übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken rechtfertigt nicht die Annahme von Selbstständigkeit im Rechtssinne (st. Rspr., vgl. schon BSG, Urteil vom 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R –, juris Rn. 27 m.w.N.).

 

Dem Umstand, dass die Beigeladene zu 1 selbst ein Gewerbe (Büroservice-Gewerbe) betrieb und diesbezüglich Auftraggeber hatte, kommt für die Statusbeurteilung ihrer Tätigkeit für die Klägerin keine maßgebende Bedeutung zu. Die Beigeladene zu 1 setzte keine eigenen betrieblichen Mittel bei ihrer Tätigkeit für die Klägerin ein. Auch nach einer Abmeldung des Büroservice-Gewerbes hätte sie die Tätigkeit für die Klägerin unverändert fortsetzen können und hat dies nach ihren Auskünften in der mündlichen Verhandlung auch tatsächlich im Rahmen eines Anstellungsvertrages getan. Dass die gewährte Vergütung nicht als Arbeitsentgelt für eine abhängige Beschäftigung unter Abzug der Sozialversicherungsbeiträge berechnet, sondern von der Beigeladenen zu 1 in Rechnung gestellt und versteuert wurde, ist lediglich Ausfluss der (fehlerhaften) Selbsteinschätzung der Beteiligten ohne eigenen Indizwert.

 

Die Beigeladene zu 1 setzte zudem nur ihre eigene Arbeitskraft ein und erbrachte ihre Dienste stets persönlich.

 

Auch die Beitragsfestsetzung ist nicht zu beanstanden. Arbeitgeber haben für versicherungspflichtig Beschäftigte den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen (§ 28d Satz 1 und 2, § 28e Absatz 1 Satz 1 SGB IV). Der Beitragsbemessung liegt in der (hier nur betroffenen) GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung das Arbeitsentgelt aus der versicherungspflichtigen Beschäftigung zugrunde (§ 162 Nr. 1 SGB VI; § 342 SGB III). Darüber hinaus haben die Arbeitgeber die Mittel zur Durchführung der U1- und U2-Verfahren durch gesonderte Umlagen aufzubringen, die sich nach dem Entgelt richten, nach dem die Beiträge zur GRV für die im Betrieb Beschäftigten bemessen werden (§ 1 Absatz 1 und 2 Satz 1 AAG). Gleiches gilt für die Insolvenzgeldumlage (§ 358 SGB III). Dass die Beklagte die Beiträge und Umlagen fehlerhaft berechnet hätte, ist weder geltend gemacht worden noch ersichtlich.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Absatz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites. Die Klägerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Der in der Sache unterliegenden Beigeladenen zu 1 waren gem. § 197a Abs. 2 Satz 2 SGG keine Kosten aufzuerlegen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 trägt diese aus Gründen der Billigkeit (§ 162 Absatz 3 VwGO) selbst, weil sie keine Anträge gestellt und somit kein Kostenrisiko übernommen hat (BSG, Urteil vom 27. Juni 2007 – B 6 KA 37/06 R –, juris Rn. 38).

 

Die Revision wird nicht zugelassen, weil Gründe hierfür (§ 160 Absatz 2 SGG) nicht vorliegen.

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Absatz 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Absatz 2, § 52 Absatz 3, § 47 Absatz 1 GKG; sie ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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