L 18 AL 46/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 120 AL 771/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 46/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2022 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 

Im Streit steht die Erteilung eines schriftlichen Anerkennungsbescheides als Voraussetzung für die Zahlung von Kurzarbeitergeld (Kug) für die in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmerin J N (im Folgenden: N.) im Zeitraum vom 1. März 2020 bis 31. Dezember 2020.

 

Die Klägerin ist ein im Ausland ansässiges, 2010 gegründetes Unternehmen mit Hauptsitz in S. Dort sind die drei Firmengründer tätig. Die Firma betreibt ausweislich ihrer Website ( recherchiert am 7. Februar 2023) Niederlassungen in B und P. Sie bietet Dienstleistungen im Bereich der Unternehmensberatung für Marken und Einzelhändler an, die ihr Geschäft international ausbauen wollen (Entwicklung einer Strategie für die internationale Expansion, Analyse verschiedener Märkte und potenzieller Partner). Die schwedische Staatsangehörige N. ist aufgrund eines im Juni 2017 geschlossenen Arbeitsvertrages seit 1. August 2017 als „International Business Developer“ für die Klägerin in B tätig. Sie berät projektbasiert Kunden aus den Bereichen Mode, Kosmetik und Innenarchitektur, und zwar sowohl internationale Marken und Einzelhändler, die in den deutschen Markt eintreten sollen, als auch deutsche Marken und Einzelhändler, die sich im skandinavischen oder internationalen Markt etablieren wollen. Zu ihren Aufgaben gehört u.a. die Erstellung und Bewertung von Geschäftsszenarien, die Untersuchung von Markteinstiegs- und Marktauswahlmöglichkeiten, die Unterstützung bei der Personalauswahl (Bewertung/Beurteilung von Bewerbern) und der Besetzung von Schlüsselpositionen bei den Kunden, die Kontaktaufnahme mit den Geschäftspartner für Marken/Einzelhändler in ausgewählten Märkten und die Unterstützung bei Vertragsabschlüssen. Auf der Plattform „Linkedin“ (recherchiert am 7. Februar 2023) firmiert sie als „D D B“. Hinsichtlich weiterer Informationen über die von D angebotenen Dienstleistungen wird in „Linkedin“ auf „d.com“ verwiesen. Für N. werden Beiträge zur deutschen Sozialversicherung entrichtet. Der Arbeitsvertrag hat auszugsweise folgenden Inhalt:

 

  1. Aufgabengebiet und Arbeitsort
    1.  

Der Arbeitnehmer wird als International Business Developer eingestellt. Tätigkeitsort ist derzeit B, Germany.

1.2

Der Arbeitgeber ist berechtigt, dem Arbeitnehmer aus betrieblichen Gründen unter Wahrung der Interessen des Arbeitnehmers eine andere, gleichwertige Tätigkeit oder ein anderes Arbeitsgebiet zu übertragen, soweit dies den Fähigkeiten und Kenntnissen des Arbeitnehmers entspricht, oder auch gleichermaßen den Arbeitnehmer an einem anderen Ort einzusetzen.

(…)

14. Rechtswahl

14.1

Das Arbeitsverhältnis und der Arbeitsvertrag unterliegen dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.

(…)

 

Bis Ende April 2020 stellte die Klägerin der N. zur Ausübung ihrer Tätigkeit Büroräumlichkeiten in einem Co-Working-Gebäude in der B Fstraße zur Verfügung. Im Anschluss daran richtete die Klägerin der N. einen Heimarbeitsplatz in B ein.

 

Die Klägerin beantragte für N. im Hinblick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie ab dem 1. März 2020 Kug bei der Beklagten. In der „Anzeige über Arbeitsausfall“ gab sie an, dass die regelmäßige betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit mit Wirkung des Monats März 2020 bis voraussichtlich Dezember 2020 für den Gesamtbetrieb herabgesetzt werde. Eine Betriebsvertretung sei nicht vorhanden. Von Kurzarbeit sei voraussichtlich eine Arbeitnehmerin betroffen. Der Arbeitsausfall beruhe auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die meisten Projekte seien auf Eis gelegt. Die Kunden kämpften damit, dass keine Käufer mehr in den Geschäften seien. Viele hätten ihre Läden geschlossen. Die Beklagte lehnte die Zahlung von Kug mit der Begründung ab, dass der Betriebssitz der Klägerin im Ausland liege. Dies habe die Steuerberaterin der Klägerin auf telefonische Nachfrage hin bestätigt. Es sei auch keine im Inland gelegene Betriebsabteilung erkennbar. Es fehle an einer eigenen institutionellen Leitung, die die Durchführung der arbeitstechnischen Zwecke steuere und dabei den Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich wahrnehme (Bescheid vom 21. April 2020; Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2020).

Das Sozialgericht Berlin (SG) hat auf die Klage, die auf Zahlung von Kug längstens bis einschließlich Dezember 2020 gerichtet war, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2020 verpflichtet, der Klägerin einen Anerkennungsbescheid nach § 99 Absatz 3 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) für die Monate April bis Dezember 2020 zu erteilen (Urteil vom 15. März 2022, der Beklagten zugegangen am 31. März 2022). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt: Wie sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebe, sei die Arbeitnehmerin N. zu dem Verfahren nicht notwendig beizuladen gewesen. Dies folge aus der fehlenden Klagebefugnis eines Arbeitnehmers in Verfahren über einen Anspruch auf Kug, was sich aus der besonderen Ausgestaltung dieses Verfahrens ergebe. Der Klageantrag sei mit Blick auf das zweistufig konzipierte Verwaltungsverfahrens zur Zahlung von Kug sachdienlich auszulegen gewesen auf Erteilung eines schriftlichen Bescheides darüber, ob aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorlag und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt waren. Der Bescheid der Beklagten vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2020 sei rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten hätten die Voraussetzungen zur Erteilung eines Anerkennungsbescheides nach § 99 Absatz 3 SGB III vorgelegen. Aufgrund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen sei vom Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls auszugehen. Dieser sei auch spätestens am 1. April 2020 angezeigt worden. Die betrieblichen Voraussetzungen zur Gewährung von Kug seien erfüllt gewesen. Schon aufgrund der räumlichen Entfernung des Tätigkeitsortes der Arbeitnehmerin N. vom Tätigkeitsort der Arbeitgeberin sei nicht von einem einheitlichen Betrieb mit ausschließlichem Betriebssitz in S auszugehen. Der Begriff der Betriebsabteilung im Sinne des SGB III sei unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Kug-Regelungen und unter Beachtung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Vorgaben weit auszulegen. Danach liege hier eine Betriebsabteilung vor. Der klar definierte Aufgabenbereich der Arbeitnehmerin N. weise einen Bezug zum deutschen Wirtschafts- und Arbeitsmarkt auf bei gleichzeitiger inhaltlicher Abgrenzung zu den in S vorgenommenen Unternehmenstätigkeiten. Im Hinblick auf die Gesamtgröße des Unternehmens (lediglich drei Unternehmensgründer in S und die Arbeitnehmerin N. in B), den Unternehmenszweck (Unternehmensberatung), den der N. zugewiesenen Aufgabenbereich und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten moderner Kommunikation liege es auf der Hand, dass für die Wahrnehmung der in Deutschland anfallenden Aufgaben nicht noch eine weitere Leitungsperson oder weitere Arbeitnehmer erforderlich seien. Eine Betriebsabteilung könne durchaus auch nur mit einer Arbeitnehmerin besetzt sein, solange diese einen abgrenzbaren und autonomen Aufgabenkreis mit Bezug zum deutschen Wirtschaftsmarkt bearbeite. Dies sei hier der Fall.

 

Zur Begründung ihrer Berufung vom 26. April 2022 hat die Beklagte vorgetragen: Entgegen der Auffassung des SG seien die betrieblichen Voraussetzungen für das Vorliegen von Kurzarbeit nach § 97 SGB III nicht erfüllt. Eine Betriebsabteilung in Deutschland liege nicht vor. Ausgehend von Sinn und Zweck des § 97 SGB III sei eine Betriebsabteilung dann anzunehmen, wenn eine gewisse, vor allem personalpolitische Selbständigkeit vorliege und die Betriebsabteilung gesondert bestimmten allgemeinen wirtschaftlichen Risiken und nachfolgenden Arbeitsausfällen ausgesetzt sei, die nicht den gesamten Betrieb beträfen. Entscheidendes Kriterium sei insofern eine Abgrenzbarkeit vom Gesamtbetrieb. Hieran fehle es. Die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit einer Beschäftigten aus dem Homeoffice heraus könne keine eigene Betriebsabteilung begründen, da es an der erforderlichen Abgrenzung vom Gesamtbetrieb in Schweden fehle. Es mangele insbesondere an der in Deutschland angesiedelten festen betrieblichen Struktur und einem eigenen Verwaltungsapparat. Das vom Standort in B aus erbrachte Dienstleistungsangebot unterscheide sich nicht vom allgemeinen Leistungsspektrum der Klägerin. Wirtschaftliche Risiken und Arbeitsausfälle beträfen den gesamten Betrieb. Die Klägerin habe sich im Übrigen auch vorbehalten, ihre Arbeitnehmerin N. an einem anderen Ort als in Berlin zu beschäftigen, wie sich aus Ziffer 1.1 und 1.2 des Arbeitsvertrages ergebe. Eine Verletzung von Grundrechten der Klägerin oder ein Verstoß gegen das Recht der Europäischen Union liege nicht vor.

 

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Für die Annahme einer Betriebsabteilung reiche aus, wenn dort eine Arbeitnehmerin beschäftigt sei. Unerheblich sei, ob diese in einem Büro, in einem Coworking-Space oder im Homeoffice arbeite. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass sowohl Verfassungsrecht – insbesondere das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz – als auch Europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungs- sowie Niederlassungsfreiheit eine weite Auslegung des Begriffs der „Betriebsstätte“ erforderten.

 

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

 

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, auf die wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

 

Das SG hat die Beklagte zu Unrecht unter Aufhebung des Bescheides vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2020 verpflichtet, der Klägerin einen Anerkennungsbescheid nach § 99 Absatz 3 SGB III für die Monate April bis Dezember 2020 zu erteilen. Das SG-Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Streitgegenstand des Verfahrens, das die Klägerin als Prozessstandschafterin ihrer Arbeitnehmerin N. führt, ohne dass deren Beiladung nach § 75 Absatz 2 SGG notwendig wäre (vgl. BSG, Urteile vom 3. November 2021 – B 11 AL 6/21 R –, juris Rn. 10 und vom 25. Mai 2005 - B 11a/11 AL 15/04 R -, juris Rn. 17), ist neben der Entscheidung der Vorinstanz der Bescheid vom 21. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2020. Durch diesen Bescheid hat die Beklagte auf der ersten Stufe des zweistufig konzipierten Verwaltungsverfahrens auf die Anzeige des Arbeitsausfalls der Klägerin die Feststellung der betrieblichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kug im Anerkennungsverfahren abgelehnt (sog. negativer Anerkennungsbescheid; vgl. dazu BSG, Urteile vom 14. September 2010 – B 7 AL 21/09 R – und vom 21. Juni 2018 – B 11 AL 4/17 R –, juris). Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass nur dieser Bescheid Gegenstand des Verfahrens ist. Soweit die Klägerin erstinstanzlich Geldleistungen für die betroffene Arbeitnehmerin dem Grunde nach (§ 130 Absatz 1 Satz 1 SGG) geltend gemacht hat, liegt hierüber keine Entscheidung der Beklagten vor, die zulässiger Gegenstand der Klage sein könnte.

 

Für den vorliegenden Rechtsstreit mit Auslandsberührung ist die Gerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland als primäre Sachurteilsvoraussetzung gegeben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 – Xa ZR 19/08 –, juris Rn. 22). Die Klage richtet sich gegen einen Träger der deutschen Sozialversicherung mit Sitz und Wirkungsbereich im räumlichen Bereich der deutschen Staatsgewalt. Er ist der staatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland unterworfen.

 

Die örtliche Zuständigkeit des SG, die dieses bejaht hat, ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu prüfen (§ 98 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Absatz 5 Gerichtsverfassungsgesetz).

 

Anders verhält es sich in Bezug auf die deutsche internationale Zuständigkeit, die auch im Rechtsmittelverfahren zu prüfen ist (vgl. Landessozialgericht <LSG> für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. März 2021 – L 9 AL 198/20 B ER –, juris Rn. 44 mit Hinweis auf BGH im o.a. Urteil vom 9. Juli 2009, a.a.O., Rn. 23). Diese ist maßgebend für die Frage, ob in einem Rechtsstreit mit Auslandsberührung die Sachentscheidung durch ein Gericht der Bundesrepublik Deutschland getroffen werden darf oder hierfür das Gericht eines ausländischen Staates zuständig ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. Januar 1983 – 1 S 2/82 –, juris Rn. 23). Für den vorliegenden Rechtsstreit, der eine Auslandsberührung aufweist, da die Klägerin ihren Sitz im Ausland (Schweden) hat, ist eine internationale Zuständigkeit der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben. Die deutsche internationale Zuständigkeit für ein Verfahren wird mangels eines entgegenstehenden internationalen Abkommens und einer ausdrücklichen internationalen Zuständigkeitsvorschrift durch die örtliche Zuständigkeit des inländischen Sozialgerichts indiziert (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 26. Januar 1983, a.a.O. Rn. 27). Nach § 57 Absatz 3 SGG ist örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat, wenn der Kläger seinen Sitz oder Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Ausland hat. Da die beklagte Bundesagentur für Arbeit ihren Sitz in Nürnberg hat, wäre grundsätzlich das SG Nürnberg zuständig. Gemäß § 369 SGB III können Klagen gegen die Bundesagentur für Arbeit jedoch auch bei dem Gericht erhoben werden, in dessen Bezirk die Regionaldirektion oder die Arbeitsagentur ihren Sitz hat, zu deren Aufgabenbereich die Klage Bezug hat (Wahlgerichtsstand). Ein Bezug zum Aufgabenbereich der Agentur für Arbeit Berlin besteht, da die Klägerin bei der Beklagten eine Anzeige über Arbeitsausfall nach § 99 SGB III erstattet hat. Die Zuständigkeit des SG Berlin (und nachfolgend des hiesigen Landessozialgerichts <LSG>) folgt im Übrigen auch daraus, dass im vorliegenden Verfahren deutsches Sachrecht anwendbar ist. Denn im Sozialrecht besteht ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen im o.a. Beschluss vom 8. März 2021, a.a.O. Rn. 44 mit Verweis auf Hauck/Noftz, EU-Sozialrecht, Einführung, Rn. 175).

Der Klägerin steht die Erteilung eines Anerkennungsbescheides nicht zu, da die Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Gemäß § 99 Absatz 3 SGB III hat die Agentur für Arbeit der oder dem Anzeigenden unverzüglich einen schriftlichen Bescheid darüber zu erteilen, ob auf Grund der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind. Vorliegend kann offenbleiben, ob im Betrieb der Klägerin im Zeitraum von April bis Dezember 2020 ein erheblicher Arbeitsausfall vorgelegen hat, da die betrieblichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

 

Gemäß § 97 Satz 1 SGB III sind die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt, wenn in dem Betrieb mindestens eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer beschäftigt ist. Betrieb im Sinne der Vorschriften über das Kurzarbeitergeld ist auch eine Betriebsabteilung. Weitere Voraussetzung ist, dass sich der Betrieb im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs (§ 30 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil des SGB - <SGB I>) befindet (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 11 AL 11/18 R –, juris Rn. 12 ff.). Dies ist hier indes nicht der Fall. Denn der Betriebssitz der Klägerin befindet sich in Schweden. In ihrer „Anzeige über Arbeitsausfall“ hat die Klägerin den Anspruch auf Kug auch nur bezogen auf den Gesamtbetrieb geltend gemacht. Das im Anzeigeformular alternativ vorgesehene Feld „die Betriebsabteilung“ hat sie nicht angekreuzt und den nachstehenden Platzhalter für die nähere Bezeichnung der Betriebsabteilung nicht ausgefüllt.

 

Soweit die Klägerin ihren Anspruch nunmehr darauf stützen möchte, dass ihr Kug in Bezug auf den in ihrer Betriebsabteilung in Berlin entstandenen Arbeitsausfall zustünde, fehlt es bereits an der Voraussetzung einer entsprechenden Anzeige gegenüber der Beklagten. Gemäß § 95 Satz 1 Nr. 4 SGB III setzt der Anspruch auf Kug u.a. voraus, dass der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist. Die Anzeige ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung, die neben anderen Voraussetzungen den Anspruch auf Kug begründet (vgl. BSG, Urteil vom 21. Januar 1987 – 7 RAr 76/85 –, juris Rn. 18). Sie muss grundsätzlich in dem Zeitpunkt, für den Kug gewährt werden soll, vorliegen. Dementsprechend regelt § 99 Absatz 2 Satz 1 SGB III, dass Kug frühestens von dem Kalendermonat an geleistet wird, in dem die Anzeige über den Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit eingegangen ist. Eine Anzeige über Arbeitsausfall in einer Betriebsabteilung hat die Klägerin indes nicht erstattet, sondern dies lediglich bezogen auf den Gesamtbetrieb getan. Die Anzeige in Bezug auf die Betriebsabteilung ist auch nicht entbehrlich. Da Kug nicht nur in Betrieben, sondern auch in Betriebsabteilungen gewährt wird, die im Sinne der Vorschriften über das Kug Betriebe sind (§ 97 Satz 2 SGB III), entscheidet die Beklagte je nach dem Inhalt der Anzeige und dem danach erstrebten Anerkennungsbescheid, ob die betrieblichen Voraussetzungen für Kug im Betrieb, in einzelnen oder ggfs. allen Betriebsabteilungen gegeben sind. Bei einem Betrieb, der sich in Betriebsabteilungen gliedert, muss daher die Anzeige ergeben, welcher Anerkennungsbescheid bzw. welche Anerkennungsbescheide begehrt werden (vgl. BSG im o.a. Urteil vom 21. Januar 1987, a.a.O. Rn. 19). Schon wegen des mit der Anzeige erstrebten anderen Anerkennungsbescheides, aber auch wegen der anderen Angaben, die dabei zu machen sind, unterscheidet sich die Anzeige der Kurzarbeit in einem Betrieb von der Anzeige der Kurzarbeit in einer Betriebsabteilung. Soweit die Klägerin im Nachhinein ihre Anzeige auf die Betriebsabteilung bezogen sehen möchte, hilft ihr dies nicht. Das Anzeigeverfahren nach § 95 Satz 1 Nr. 4 SGB III soll eine möglichst umgehende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen ermöglichen. Es dient damit nicht nur dem Interesse des Arbeitgebers und der betroffenen Arbeitnehmer an einer schnellen Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach, sondern berücksichtigt ebenfalls die Belange der Arbeitsverwaltung. Diesem Zweck liefe es zuwider, wenn das Bezugsobjekt der Anzeige im Nachhinein ausgetauscht werden könnte.

 

Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es sich bei der Zweigstelle der Klägerin in B auch nicht um eine Betriebsabteilung im Sinne des § 97 Satz 2 SGB III handelt.

 

Was unter "Betriebsabteilung" zu verstehen ist, kann den Regelungen des SGB III allerdings nicht unmittelbar entnommen werden. Das BSG ist in Orientierung an der arbeitsrechtlichen Sichtweise in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass eine Betriebsabteilung ein räumlich, personell und organisatorisch vom Gesamtbetrieb abgegrenzter Betriebsteil ist, der mit eigenen technischen Betriebsmitteln einen eigenen Betriebszweck verfolgt, der auch nur ein Hilfszweck sein kann (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 1982 - 10/8b RAr 9/80 - SozR 4100 § 75 Nr. 9 S. 17 f.; BSG, Urteil vom 29. April 1998 – B 7 AL 102/97 R - BSGE 82, 124, 125 = SozR 3-4100 § 64 Nr. 4 S. 25). In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung und in Anlehnung an diejenige des Bundesarbeitsgericht (BAG) zum tarifrechtlichen Begriff der Betriebsabteilung hat das BSG weiter zugrunde gelegt, dass eine räumliche und organisatorische Abgrenzung auch für Außenstehende wahrnehmbar sein muss. Eine bloß betriebsinterne Spezialisierung in der Weise, dass getrennte Arbeitsgruppen jeweils bestimmte Aufgaben erfüllen, hat es nicht genügen lassen (vgl. in Bezug auf die Winterbeschäftigungs-Umlage BSG, Urteil vom 14. Oktober 2020 – B 11 AL 6/19 R –, juris Rn. 24 unter Hinweis auf BAG, Urteil vom 30. Oktober 2019 – 10 AZR 177/18 – BAGE 168, 290 RdNr 36 = juris RdNr 36 mwN). Vielmehr setzt das Erfordernis einer deutlichen Erkennbarkeit der organisatorischen Trennung von Betriebsabteilung und (Gesamt-)Betrieb auch für Außenstehende voraus, dass in weiteren Bereichen eine Eigenständigkeit deutlich hervortritt. Die Leistungen der unterschiedlichen Unternehmensbereiche dürfen nicht "aus einer Hand" angeboten werden, sondern es muss sich für Außenstehende erkennbar um verschiedene eigenständige Unternehmensteile handeln. Das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzungen ist bereits mit der erforderlichen Anzeige des Arbeitsausfalls glaubhaft zu machen (§ 99 Absatz 1 Satz 4 SGB III).

 

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist das Vorliegen eines räumlich, personell und organisatorisch vom schwedischen Gesamtbetrieb abgegrenzten Betriebsteils in B nicht feststellbar. Soweit die Klägerin im Klageverfahren vorgetragen hat, dass der in B befindliche Betriebsteil organisatorisch klar vom Betrieb in S abgrenzbar sei, hat sie dies nicht belegt. Es ist schon nicht erkennbar, dass die Klägerin überhaupt beabsichtigte, dauerhaft einen Standort in B zu etablieren, was denknotwendige Voraussetzung für die Annahme einer eigenen Betriebsabteilung wäre. Vielmehr weisen die die Arbeitnehmerin N. betreffenden arbeitsvertraglichen Regelungen darauf hin, dass die Einrichtung einer Zweigstelle der Klägerin in Berlin unter Vorbehalt stand. Denn zum einen ist arbeitsvertraglich bestimmt, dass der Tätigkeitsort „derzeit B, Germany“ sein sollte; zum anderen behielt sich die Klägerin vor, N. „an einem anderen Ort einzusetzen“. Eine vertragliche und tatsächliche Bindung der N. an den Standort B (vgl. zu diesem Kriterium LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2020 – L 20 AL 109/20 B ER –, juris Rn. 38) ist nicht erkennbar. Den Angaben der Klägerin lässt sich auch nicht entnehmen, dass sich das vom Standort in B aus erbrachte Dienstleistungsangebot wesentlich von ihrem allgemeinen Leistungsspektrum unterscheidet. Die Klägerin bietet Dienstleistungen im Bereich der Unternehmensberatung für Marken und Einzelhändler an, die ihr Geschäft international ausbauen wollen. Dieses Tätigkeitsspektrum erfüllt auch N., indem sie Kunden aus den Bereichen Mode, Kosmetik und Innenarchitektur berät, und zwar sowohl internationale Marken und Einzelhändler, die in den deutschen Markt eintreten sollen, als auch deutsche Marken und Einzelhändler, die sich im skandinavischen oder internationalen Markt etablieren wollen. Dass es sich für Außenstehende bei der BNiederlassung erkennbar um einen von der S Firma getrennten, eigenständigen Unternehmensteil handelt, ist den Ausführungen der Klägerin nicht zu entnehmen. Ebenso wenig lassen ihre Darlegungen erkennen, dass sämtliche kaufmännischen, technischen und personellen Maßnahmen und Planungen ausschließlich dem gesonderten Unternehmensbereich in Berlin, nicht jedoch dem Gesamtbetrieb zugeordnet wären. Allein aus der räumlichen Entfernung des Betriebsteils in B vom Hauptsitz in S dürfte sich in Zeiten moderner Kommunikationsmittel, die ein Arbeiten fern vom eigentlichen Arbeitsplatz zulassen, nicht ableiten lassen, dass eine selbständige Betriebsabteilung im Rechtssinn vorliegt (vgl. aber in diesem Sinne noch BSG, Urteil vom 17. März 1972 – 7 Rar 50/69 –, juris Rn. 19). Dass die Klägerin für N. in Deutschland Sozialversicherungsbeiträge an deutsche Sozialversicherungsträger entrichtet, ist unerheblich (vgl. BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 – B 11 AL 30/00 R –, juris Rn. 19 im Zusammenhang mit dem Konkursausfallgeldanspruch eines ausländischen Unternehmens).

 

Anders als die Klägerin meint, steht der Beschränkung der Gewährung von Kug auf in einem deutschen Betriebsteil beschäftigte Arbeitnehmer weder nationales Verfassungsrecht noch europäisches Gemeinschaftsrecht entgegen. Diese ist insbesondere im Hinblick auf das Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz nicht zu beanstanden und findet ihre Rechtfertigung in der Verfolgung eines legitimen, sich auf den inländischen Arbeitsmarkt beziehenden Zwecks, nämlich der Verstetigung bzw. Erhaltung der von einer Unternehmenskrise betroffenen Beschäftigungsverhältnisse und damit der Verhinderung von Arbeitslosigkeit (vgl. zum Normzweck des § 95 SGB III Müller-Grune in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 3. Aufl., § 95 SGB III <Stand: 15. Januar 2023>, Rn. 38). Auch das Europäische Gemeinschaftsrecht erfordert keine andere Auslegung; aus ihm lässt sich kein Anspruch auf Kug für Auslandssachverhalte ableiten. Der Senat nimmt insoweit zur näheren Begründung Bezug auf das Urteil des BSG vom 7. Mai 2019 (– B 11 AL 11/18 R –, juris Rn. 22 ff.), dessen Ausführungen er sich anschließt. Danach liegt auch keine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit der Klägerin vor (vgl. BSG a.a.O. Rn 27). Vorliegend ohne Auswirkung ist hingegen die neue Verordnung (EU) 2020/672 des Rates vom 19. Mai 2020 zur Schaffung eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung der Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch. Diese auf Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gestützte Verordnung dient nach ihrem Artikel 1 der Finanzierung von Kurzarbeitsregelungen. Sie soll nach Artikel 2 und Artikel 3 die nationalen Maßnahmen der Mitgliedstaaten durch finanziellen Beistand ergänzen, deren öffentliche Ausgaben aufgrund von Kurzarbeitsregelungen unvermittelt und heftig angestiegen sind. Vorgaben hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Kug enthält die Verordnung indes nicht.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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