L 1 KR 361/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 224 KR 1929/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 361/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Rechtzeitige Meldung des Fortbestehens von Arbeitsunfähigkeit bei der Krankenkasse als Voraussetzung der Weiterbewilligung von Krankengeld. 

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2021 wird zurückgewiesen.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

 

Streitig ist die Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 15. bis zum 24. August 2020.

 

Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses krankenversichert. Sie erkrankte am 2. Juli 2020 arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 7. August 2020 informierte die Beklagte die Klägerin über die Modalitäten der Krankengeldzahlung einschließlich der Folgen eines verspäteten Nachweises der Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin wurde unter anderem darüber unterrichtet, an welche Adresse im Falle des Postversandes die Krankschreibung zu richten sei.

 

Bis zum 12. August 2020 erhielt sie Entgeltfortzahlung und ab dem 13. August 2020 Krankengeld von der Beklagten i.H.v. 82,09 € brutto/71,97 € netto kalendertäglich. Sie reichte durchgehende ärztliche Feststellungen über die Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten ein, unter anderem vom 31. Juli 2020 mit einer ärztlich festgestellten Dauer bis zum 14. August 2020 (Eingang bei der Beklagten am 6. August 2020) sowie vom 14. August 2020 mit einer ärztlich festgestellten Dauer bis zum 28. August 2020. Die Krankschreibungen versendete sie per Post jeweils an die Adresse der Geschäftsstelle der Beklagten in der Axel-Springer-Straße in Berlin. Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 ging bei der Beklagten am     25. August 2020 ein.

 

Mit Bescheid vom 26. August 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Krankengeldanspruch ruhe aufgrund der verspäteten Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 25. August 2020 für die Zeit vom 15. bis zum 24. August 2020.

 

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und teilte mit, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 am selben Tag durch Einwurf in einen Postbriefkasten an die Beklagte abgesandt zu haben.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei eine Verpflichtung des Versicherten. Dieser trage auch das Risiko des Nichteingangs oder des nicht rechtzeitigen Eingangs der Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Der Hinweis auf den rechtzeitigen Versand per Post könne daher zu keiner anderen Entscheidung führen.

 

Hiergegen hat die Klägerin Klage zu dem Sozialgericht Berlin erhoben. Sie hat geltend gemacht, die verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit sei von ihr nicht zu vertreten. Da sie erkrankungsbedingt schlecht habe laufen können, habe sie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils am Tag der Ausstellung zum Postbriefkasten gebracht und damit rechtzeitig abgesandt. Sie selbst habe keinen Einfluss auf die Postlaufzeiten.

 

Die Beklagte hat unter anderem angegeben, für die an die Axel-Springer-Straße adressierte Post sei ein Routingverfahren in Richtung des zentralen Scan- und Dienstleistungszentrums der Beklagten eingerichtet. Die Deutsche Post AG leite aufgrund dieses Routingverfahrens die Post automatisch nach dort um. Eine Zustellung der Poststücke an den Standort der Beklagten in der Axel-Springer-Straße durch die Post erfolge nicht. Die Beklagte unterhalte zwei Dienstleistungszentren, eines davon befinde sich in Wuppertal. Hierhin sei auch in dem vorliegenden Fall die Post zugestellt worden. Die angelieferte Post werde zunächst zur Überprüfung auf Gefahrgüter geröntgt, anschließend gewogen und geöffnet sowie ausgepackt. Danach werde die Post gesichtet und nach Fachbereichen sortiert. Es werde unterschieden, ob ein Schriftstück einem Scanprozess zugeführt werden könne oder nicht. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen gehörten zu der Post, die gescannt werden könne. Die ausgepackten und sortierten Dokumente würden anschließend an die Arbeitsvorbereitung übergeben. Nach einer zweiten Sichtung und Aufbereitung (z.B. Entfernung von Klammern) würden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen priorisiert, d.h. taggleich gescannt. Eine betriebsinterne Postlaufzeit gebe es nicht. Der Posteingang werde stets dort registriert, wo die Auslieferung der Post durch die Deutsche Post AG erfolge. Im Übrigen sei der Klägerin die Axel-Springer-Straße nicht als zu nutzende Anschrift mitgeteilt worden. Vielmehr sei sie mit Informationsschreiben vom 7. August 2020 gebeten worden, Post direkt an die für sie zuständige Adresse in Wuppertal zu senden.

 

Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 31. August 2021 abgewiesen. Zwar habe die Klägerin im Grundsatz im streitigen Zeitraum Anspruch auf Krankengeld, da sie arbeitsunfähig gewesen sei. Allerdings habe der Anspruch geruht, da die Klägerin die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit nicht innerhalb einer Woche bei der Beklagten gemeldet habe. Die hier maßgebliche ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. August 2020 sei erst am 25. August 2020 bei der Beklagten eingegangen. Damit trete die Rechtsfolge des Ruhens des Krankengeldanspruchs ein. Bei der Meldung handele es sich um eine dem Versicherten zurechenbare formfreie empfangsbedürftige Tatsachenmitteilung. Sie könne mündlich, telefonisch, schriftlich oder auch in elektronischer Form erfolgen. Demnach treffe die Klägerin die Obliegenheit der rechtzeitigen Meldung der – fortlaufenden – Arbeitsunfähigkeit bei der Beklagten. Die Übermittlungsdauer bei der Sendung durch die Post falle in ihren Organisationsbereich und sei mithin ihr zuzurechnen. Ungeachtet dessen, ob die Klägerin auf die rechtzeitige Übermittlung durch die Post vertraut habe, habe es ihr oblegen, für einen rechtzeitigen Meldezugang, gegebenenfalls vorab telefonisch, Sorge zu tragen. Ein Ausnahmefall, in welchem der verspätete Zugang der Meldung der fortbestehenden Arbeitsunfähigkeit der Beklagten zuzurechnen wäre, sei hier nach den Angaben der Klägerin bei rechtzeitiger Absendung der Post nicht anzunehmen.

 

Gegen diesen ihr am 3. September 2021 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 17. September 2021 beim Sozialgericht und am 24. September 2021 beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene „Widerspruch“ der Klägerin. Sie habe pünktlich am Tag der Krankschreibung ihren Krankenschein nach dem Arztbesuch in den Postbriefkasten geworfen. Sie finde es nicht in Ordnung, nur ihr den Fehler zuzusprechen. Für sie stehe hier eine Aussage gegen die andere Aussage. Es werde daher um nochmalige Überprüfung des Falles gebeten. Sie beantrage, den „Bescheid vom 31. August 2021“ aufzuheben.

 

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für die Zeit vom 15. August 2020 bis 24. August 2020 i.H.v. 82,09 € brutto/71,97 € netto kalendertäglich zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Ergänzend gibt sie an, das Routingverfahren mit der Deutschen Post AG sei bereits vor etwa zehn Jahren eingeführt worden.

 

Durch Beschluss vom 8. Juni 2022 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Berichterstatterin zur gemeinsamen Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung hat keinen Erfolg.

 

Auch wenn die Klägerin ihr Schreiben vom 15. September 2021 mit „Widerspruch“ überschrieben hat und sie nachfolgend– entgegen der Aufforderung des Sozialgerichts – nicht ausdrücklich klargestellt hat, dass es sich bei ihrem „Widerspruch“ um eine Berufung handeln soll, ist dieses Schreiben als Berufung auszulegen (§ 133 Bürgerliches Gesetzbuch analog). Die Bezeichnung als „Widerspruch“ ist insofern unschädlich. Denn mit diesem Schreiben hat die Klägerin deutlich gemacht, dass der Gerichtsbescheid vom 31. August 2020 überprüft und aufgehoben werden solle. Dieses Ziel ist nur mittels des Rechtsmittels der Berufung zu erlangen. Hierüber ist sie auch mit der Rechtsmittelbelehrung zum Gerichtsbescheid vom 31. August 2021 aufgeklärt worden.

 

Über die so verstandene Berufung war von der Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden, weil der Senat die Berufung gemäß § 153 Abs. 5 SGG der Berichterstatterin übertragen hat. Trotz Nichterscheinens der Klägerin zum Termin konnte eine mündliche Verhandlung durchgeführt und aufgrund dieser ein Urteil verkündet werden, denn die Klägerin ist mit ordnungsgemäß zugestellter Terminsmitteilung darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.

 

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld in der Zeit vom 15. bis zum 24. August 2020 verneint. Der Bescheid der Beklagten vom 26. August 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Zwischen den Beteiligten ist letztlich (zu Recht) außer Streit, dass die Voraussetzungen für den Anspruch der Klägerin auf Krankengeld dem Grunde nach erfüllt sind. Nach §§ 44 ff Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) setzt der Anspruch auf Krankengeld voraus, dass die Klägerin wegen Krankheit arbeitsunfähig war, die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wurde, und dass sie zu der Zeit vom 15. August bis 24. August 2020, für die sie Krankengeld begehrt, bei der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Dies war der Fall, weil die Arbeitsunfähigkeit der in der streitigen Zeit mit Anspruch auf Krankengeld versicherten Klägerin durch ihre behandelnden Ärzte festgestellt und durch Bescheinigungen vom 31. Juli und         14. August 2020 dokumentiert wurde. Der Anspruch auf Krankengeld entstand nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V vom Tag der ärztlichen Feststellung an und blieb nach § 46 Satz 2 SGB V bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wurde, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der Arbeitsunfähigkeit erfolgte, wobei Samstage insoweit nicht als Werktage gelten. Hier endete der am     31. Juli 2020 begonnene Bewilligungsabschnitt am Freitag, den 14. August 2020 und die Folge-Arbeitsunfähigkeits-Feststellung erfolgte am selben Tag bis zum 28. August 2020. Da die Klägerin als versicherungspflichtig Beschäftigte mit Anspruch auf Krankengeld versichert war, blieb diese Versicherung über den Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhalten.

 

Der Anspruch auf Krankengeld ruhte jedoch im streitigen Zeitraum nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, so lange die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin der Beklagten nicht gemeldet war, da die Meldung nicht - wie erforderlich - innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgte: Die Meldung der in der Bescheinigung vom 14. August 2020 dokumentierten, ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit ging bei der Beklagten nämlich erst am 25. August 2020 per Post ein. Ein früherer Zugang der Meldung lässt sich nicht nachweisen. Die Beklagte hat ausführlich dargestellt, wie bei ihr Posteingänge behandelt werden. In der Verwaltungsakte ist maschinell der 25. August 2020 als Eingangs- und Scandatum vermerkt. Damit war die Wochenfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB V nicht eingehalten, sodass das Ruhen des Krankengeldanspruchs der Klägerin eintrat.

 

Der Senat verweist zur Auslegung der genannten Regelung auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Urteile vom 25.10.2018 - B 3 KR 23/17 R - SozR 4-2500 § 49 Nr. 8 sowie vom 5. Dezember 2019 – B 3 KR 5/19 R – juris Rn. 15 ff.:

 

Danach ist die Meldung der Arbeitsunfähigkeit eine Tatsachenmitteilung, die telefonisch, schriftlich, mündlich oder auch in elektronischer Form erfolgen kann. Der Versicherte muss seine Arbeitsunfähigkeit nicht persönlich mitteilen, vielmehr kann die Mitteilung auch durch einen Vertreter übermittelt werden. Es ist grundsätzlich ausreichend, wenn der Krankenkasse die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bekannt gegeben wird und die Bekanntgabe dem Versicherten zuzurechnen ist, sofern er mit der Bekanntgabe an die Krankenkasse einverstanden ist und dieser Verfahrensweise nicht widersprochen hat. Zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit gehört dabei notwendig der Hinweis auf die ärztliche Feststellung, während es einer separaten mündlichen oder schriftlichen Erklärung des Versicherten, dass er arbeitsunfähig ist, neben der ärztlichen Feststellung gegenüber der Krankenkasse nicht bedarf.

 

Die Arbeitsunfähigkeitsmeldung bezweckt, der Krankenkasse die Nachprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen. Die Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V soll die Krankenkassen zum einen davon freistellen, die Voraussetzungen eines verspätet angemeldeten Krankengeldanspruchs im Nachhinein aufklären zu müssen, um beim Krankengeld Missbrauch und praktische Schwierigkeiten zu vermeiden, zu denen die nachträgliche Behauptung der Arbeitsunfähigkeit und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen können. Überdies sollen die Krankenkassen die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsunfähigkeit zeitnah durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) überprüfen zu lassen, um Leistungsmissbräuchen entgegenzutreten und Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einleiten zu können. Die Wochenfrist, innerhalb derer die Meldung der Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Krankenkasse erfolgen kann, ist mit Rücksicht darauf eine Ausschlussfrist.

 

Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist eine Obliegenheit des Versicherten, deren Folgen bei unterbliebener oder nicht rechtzeitiger Meldung grundsätzlich von diesem selbst zu tragen sind. Die Meldung ist erst dann erfolgt, wenn sie der Krankenkasse zugegangen ist. Bei verspäteter Meldung ist die Gewährung von Krankengeld daher selbst dann ausgeschlossen, wenn die Leistungsvoraussetzungen im Übrigen zweifelsfrei gegeben sind und den Versicherten kein Verschulden an dem unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung trifft. Auch eine vom Versicherten rechtzeitig zur Post gegebene, aber auf dem Postweg verloren gegangene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann den Eintritt der Ruhenswirkung des Krankengeldes daher selbst dann nicht verhindern, wenn die Meldung unverzüglich nachgeholt wird. Die Arbeitsunfähigkeit muss der KK vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengeldes auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat und wenn wegen der Befristung der bisherigen Attestierung der Arbeitsunfähigkeit über die Weitergewährung des Krankengeldes neu zu befinden ist.

 

Vom Vorliegen eines Ausnahmefalls, in dem das Risiko der rechtzeitigen Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht den Versicherten, sondern die Beklagte trifft, kann im Falle der Klägerin nicht ausgegangen werden.

 

Derartige Ausnahmefälle sind nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. etwa Urteil vom 25. Oktober 2018 - B 3 KR 23/17 R – juris Rn. 22 oder Urteil vom 5. Dezember 2019 – B 3 KR 5/19 R – a.a.O. Rn. 20) nur in engen Grenzen anerkannt. So kann sich die Krankenkasse beispielsweise nicht auf den verspäteten Zugang der dem Versicherten obliegenden Meldung der Arbeitsunfähigkeit berufen, wenn die Fristüberschreitung der Meldung auf Umständen beruhte, die in den Verantwortungsbereich der Krankenkasse fallen und der Versicherte weder wusste noch wissen musste, dass die Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis erlangt hatte. Die fehlende Feststellung oder Meldung der Arbeitsunfähigkeit darf dem Versicherten ausnahmsweise auch nicht entgegengehalten werden, wenn er entweder geschäfts- bzw. handlungsunfähig war, oder aber, wenn er seinerseits alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um seine Ansprüche zu wahren, daran aber durch eine von der Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung gehindert wurde.

 

Für das Vorliegen einer der vorstehend beschriebenen Ausnahmekonstellationen ist bei der Klägerin nichts ersichtlich. Der verspätete Zugang der die Klägerin betreffenden ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten trotz rechtzeitiger Absendung auf dem Postweg ist mit solchen Fällen nicht vergleichbar. Weder bestanden bei ihr Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit noch gibt es Anhaltspunkte für der Beklagten zuzurechnende Fehler noch dafür, dass die Versicherte etwa von ihrer Meldeobliegenheit durch Übernahme der Meldung durch den behandelnden Arzt gegenüber der Krankenkasse entlastet war. Denn der Klägerin wurde die für die beklagte Krankenkasse bestimmte Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom behandelnden Arzt tatsächlich ausgehändigt, und sie selbst nahm nach ihrem Vorbringen die Absendung an die Beklagte auch tatsächlich vor.

 

Von einem Organisationsverschulden der Beklagten kann auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil das von ihr beschriebene, mit der Deutschen Post AG vereinbarte und zum fraglichen Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren praktizierte Routingverfahren betreffend an die Geschäftsstellen gerichteter Post möglicherweise zu einer längeren Postlaufzeit bis zu den Dienstleistungszentren und damit zum Eingang bei der Beklagten beigetragen haben könnte. Denn die Klägerin ist ausdrücklich darüber aufgeklärt worden, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Falle der Versendung per Post an die Beklagte unter ihrer Adresse in Wuppertal und nicht an die Geschäftsstelle zu verschicken ist. Auch aus den Grundsätzen, die das BSG am 26. März 2020 zur vergleichbaren Bestimmung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (in der anwendbaren Fassung vom 16. Juli 2015) ausgeführt hat, ergibt sich keine für die Klägerin günstigere Sichtweise. Das BSG hat für die rechtzeitige Erstellung einer weiteren ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausgeführt, dass deren verspätete Ausstellung für die Versicherten unschädlich ist, wenn sie alles in ihrer Macht Stehende und ihnen Zumutbare getan haben und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht haben, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des (weiteren) Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus dem Vertragsarzt und der Krankenkassen zurechenbaren Gründen erst verspätet gekommen ist. Das soll insbesondere dann vorliegen, wenn die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folgebescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit in der Sphäre des Vertragsarztes und nicht in derjenigen des Versicherten liegen. Dies sei typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch des Vertragsarztes bzw. seines von ihm angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen Arzttermins (BSG, Urteil vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – juris Rn. 22 f.). Übertragen auf die Bestimmung von § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V würde das bedeuten, es muss zur Überzeugung des erkennenden Gerichts feststehen, dass die Versäumung der Meldefrist darauf beruht, dass der Versicherte von Vertragsärzten/Vertragsärztinnen oder deren Mitarbeiterschaft, die in die Bearbeitung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen einbezogen sind oder infolge eines Verhaltens von Mitarbeitenden der Krankenkasse, z.B. durch unzutreffende oder missverständliche Auskünfte zur Frist, dem Fristlauf oder einer Fristversäumnis, erhalten hat. Davon kann hier im Fall der Klägerin keine Rede sein. Insbesondere ist nicht nachweisbar, dass die Beklagte, respektive ihre Mitarbeitenden, dafür verantwortlich sind, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vor dem 25. August 2020 bei der Beklagten eingegangen ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.

Rechtskraft
Aus
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