L 9 KR 464/20 WA

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 73 KR 1205/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 464/20 WA
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Wird im Fall einer Minderheitsgesellschafterin einer GmbH (1 % Gesellschafteranteil), mit der ein Prokuristenvertrag abgeschlossen wurde, im Gesellschaftsvertrag festgelegt, dass alle Beschlüsse einstimmig zu treffen sind, gleichzeitig aber § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG für anwendbar erklärt, hat die Minderheitsgesellschafterin nicht die (konfliktfeste) Rechtsmacht, Weisungen an sich zu verhindern, weil die übrigen Gesellschafter das satzungsrechtliche Einstimmigkeitsprinzip ohne die Zustimmung der Minderheitsgesellschafterin ändern können. 

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2016 wird aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2013 wird geändert. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 2) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) seit dem 1. Dezember 2012 der Rentenversicherungspflicht gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterliegt.


Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass die Beigeladene zu 2) ab dem 1. Dezember 2012 in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung unterliegt.

 

Die Beigeladene zu 1), eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wurde im Jahre 2011 als „B I“ gegründet. Ihr Gegenstand war zunächst die Veranstaltung von Designmessen. Seit März 2012 ist die Beigeladene zu 1) unter dem heutigen Namen spezialisiert auf die Beratung und Vermittlung von Produkten für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung und von privaten Krankenversicherungen. Die Beigeladene zu 1) gehört heute zur F Unternehmensgruppe, zu welcher vier Gesellschaften, gehören, die F- und V-Dienstleistungen erbringen.

 

Zu den Dienstleistungen der Beigeladenen zu 1) für ihre Kunden gehört nach ihrem Internetauftritt u.a.:

 

            „KV-Vergleiche

Immer die neusten News zum Marktgeschehen  

Auslagerung von Pensionsverpflichtungen

Heilung von Pensionszusagen

Erstellung von Versorgungsordnungen

Beratung zur Sozialversicherungsbefreiung.“

 

Das Stammkapital der Beigeladenen zu 1) beträgt 25.000 Euro. Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft der Beigeladenen zu 1) erfolgten gemäß ihrer Satzung vom März 2012 durch einen oder mehrere Geschäftsführer. Im Innenverhältnis zwischen den Geschäftsführern und der Gesellschaft erstreckte sich die Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer gemäß der Satzung auf die Wahrnehmung aller Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Die Gesellschafterversammlung konnte Zustimmungserfordernisse durch Gesellschafterbeschluss, durch Erlass einer Geschäftsordnung oder im Rahmen eines Anstellungsvertrags mit dem Geschäftsführer festlegen (§ 5 Abs. 4 der Satzung). Die Gesellschafterbeschlüsse wurden gemäß der Satzung vom 12. März 2012 mit einer Mehrheit von 60 vom Hundert der auf das gesamte Stammkapital entfallenden Stimmen gefasst, sofern nicht das Gesetz oder die Satzung eine abweichende Mehrheit vorsahen (§ 10 Abs. 2 der Satzung vom 12. März 2012).

 

Die Stammanteile der Beigeladenen zu 1) hielten bei Gründung zu je 33 vom Hundert die drei Gesellschafter C G, T B und M V. Diese waren seit dem 1. März 2012 auch zu Geschäftsführern der Beigeladenen zu 1) bestellt.

 

Mit der Neuregelung der Satzung wurde mit Gesellschafterbeschluss vom                      21. November 2012 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2012 vereinbart, dass

-die Beigeladene zu 2) ab dem 1. Dezember 2012 Gesellschaftsanteile in Höhe von 1 vom Hundert (insgesamt zum Kaufpreis von 250,00 Euro) von den drei bisherigen Gesellschaftern erwarb und in dieser Höhe am Gesellschaftsvermögen beteiligt war,

-dass Beschlüsse der Gesellschaft einstimmig getroffen wurden (§ 10 Abs. 2 der Satzung). Für Satzungsänderungen war jedoch § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG anzuwenden (§ 2 des Beschlusses).

-dass der Beigeladenen zu 2) Einzelprokura erteilt wurde.

 

Die Einzelprokura der Beigeladenen zu 2) wurde am 10. Dezember 2012 in das Handelsregister eingetragen. Die Beigeladene zu 2) erhielt schließlich die Befugnis, mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen.

Die Beigeladene zu 2) schloss mit der Beigeladenen zu 1) zum 1. Dezember 2012 einen Prokuristenvertrag, wonach die Prokuristin u.a. ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 5.275,52 Euro erhielt (inkludiert war eine finanzierte betriebliche Altersversorgung in Höhe von 220,00 Euro). Für etwaige geleistete Überstunden wurde keine gesonderte Vergütung vereinbart. Die Prokuristin unterlag keinen Weisungen hinsichtlich Arbeitszeit, -ort und -dauer. Vereinbart war eine Arbeitszeit von 55 Wochenstunden. Die Beigeladene zu 2) hatte Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub pro Jahr. Sie konnte unter Berücksichtigung der Unternehmensbelange den Urlaub frei in Anspruch nehmen. Für die Kündigung des Dienstverhältnisses galten nach dem Vertrag die gesetzlichen Kündigungsfristen. Die Gesellschaft überließ der Prokuristin ein Fahrzeug als Dienstwagen, die Anschaffungskosten für dieses durften 45.000 Euro nicht überschreiten. Die Anschaffungs- sowie die regelmäßigen Unterhaltungskosten (inklusive Kraftstoff, Wartung und Reparaturen) trug die Gesellschaft. Der Prokuristin wurde widerruflich das Recht eingeräumt, den Dienstwagen für private Fahrten zu nutzen. Die Fahrzeugführung durfte auch durch Herrn M P und in Ausnahmefällen durch Familienangehörige der Beigeladenen zu 2) erfolgen. Jede Änderung, Ergänzung oder die Aufhebung des Vertrags bedurfte zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform, sie bedurfte zudem der Zustimmung der Gesellschaftsversammlung. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in die Verwaltungsakte der Beklagten befindlichen Prokuristenvertrag verwiesen.

 

Für die Zeit der Eintragung als Prokuristin in das Handelsregister vom 1. Oktober 2012 bis zum 30. November 2012 wurde kein (weiterer) Vertrag zwischen der Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2) geschlossen.

 

Das Arbeitsentgelt der Beigeladenen zu 2) verbuchte die Beigeladene zu 1) steuerrechtlich als Betriebsausgabe und entrichtete Lohnsteuer.

 

Die Prokura ist zum 15. August 2017 erloschen (Eintragung in das Handelsregister).

 

Die Beigeladene zu 2) war bis zum 30. September 2012 bei der Techniker Krankenkasse als Pflichtmitglied kranken- und pflegeversichert. Zum 1. Oktober 2012 wechselte sie die Krankenkasse und wurde als pflichtversichertes Mitglied der Beklagten angemeldet.

 

Mit Schreiben vom 7. Februar 2013 beantragte der Rentenberater M D für die Beigeladenen zu 1) und zu 2) auf einem „Feststellungsbogen zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH im Rahmen eines Anfrageverfahrens nach § 7a Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)“ bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status in der Tätigkeit der Beigeladenen zu 2) als Gesellschafter-Prokuristin (Statusfeststellung). Der Rentenberater äußerte die Auffassung, aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Änderungen könnte die Beigeladene zu 2) als Prokuristin die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich beeinflussen und sei weisungsfrei tätig. Jeder Geschäftsführer könne ihm unangenehme Weisungen durch Sperrminorität blockieren. Auch die übrigen Kriterien, wie z.B. die Regelungen des Prokuristenvertrages, die Einzelvertretungsbefugnis entsprächen derjenigen von Geschäftsführern. Sie sprächen deshalb für eine selbständige Tätigkeit der Beigeladenen zu 2). Dafür spreche auch, dass sie sich in einer unkündbaren Position befinde, denn für ihre Kündigung bedürfe es eines Gesellschafterbeschlusses. Im Hinblick auf ihren Gesellschaftsanteil von 1 % trage sie schließlich ein Unternehmerrisiko. Eine (Arbeitgeber-)Abmeldung „mit Grund 30“[1] könne nicht vorgenommen werden, da die Beigeladene zu 2) ihre Tätigkeit erst zum   1. Dezember 2012 in der Gesellschaft begonnen habe.

 

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 14. Februar 2013 fest, dass für die Beigeladene zu 2) in ihrer Tätigkeit als mitarbeitende Gesellschafterin und Prokuristin in der Firma der Beigeladenen zu 1) seit dem Beginn der Tätigkeit am 1. Dezember 2012 keine Versicherungspflicht in der Sozialversicherung bestehe, da es sich nicht um ein abhängiges versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis handele. Eine Bekanntgabe des Bescheides an die Klägerin, die Kontoführerin der Rentenversicherung für die Beigeladene zu 2) ist, erfolgte nicht. Die Beigeladene zu 1) meldete die Beigeladene zu 2) im Rahmen der Arbeitgebermeldung als pflichtversicherte Beschäftigte rückwirkend bei der Beklagten als Einzugsstelle ab.

 

Die Klägerin erfuhr im Rahmen einer turnusmäßigen Einzugsstellenprüfung durch Übersendung per Datenträger am 8. April 2015 von dem Bescheid der Beklagten. Die DRV Baden-Württemberg nahm am 13. April 2016 (für den Prüfzeitraum: 1. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2015) und am 11. Februar 2020 jeweils eine turnusmäßige Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1) vor. Zum Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen zu 2) wurden dabei keine Feststellungen getroffen.

 

Die Klägerin hat am 5. Mai 2015 Anfechtungsklage gegen den Bescheid zum Sozialgericht Berlin erhoben. Die Beklagte sei zwar für die Feststellung zuständig, diese stehe aber nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit. Die Beigeladene zu 2) habe einen Anstellungsvertrag mit der Beigeladenen zu 1) geschlossen und besitze als Gesellschafterin nicht die Rechtsmacht, im Konfliktfall unliebsame Weisungen ihres Arbeitgebers abzuwenden. Die Sperrminorität eines Minderheits-Gesellschafters ohne Geschäftsführungsfunktion schließe eine abhängige Beschäftigung zur Gesellschaft nicht von vornherein aus. Der (angestellte) Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität sei rechtlich nicht in der Lage, seine Weisungsgebundenheit gegenüber dem Geschäftsführer der GmbH aufzuheben oder abzuschwächen. Ein nicht zum Geschäftsführer bestellter Gesellschafter, der über eine Sperrminorität verfüge, habe auch keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Im vorliegenden Fall sie die Beigeladene zu 2) nicht zur Geschäftsführerin bestellt, so dass sie trotz ihrer Sperrminorität keine Rechtsmacht besitze, Weisungen an sich zu verhindern. Im Hinblick auf ihren nur geringen Kapitalanteil unterliege sie zudem keinem Unternehmerrisiko. Die in dem Prokuristenvertrag geregelten Einzelheiten seien Indizien für ein Beschäftigungsverhältnis, dafür spreche auch, dass das Arbeitsentgelt steuerrechtlich als Betriebsausgabe verbucht sowie Lohnsteuer entrichtet werde.

 

Das Sozialgericht hat die Akte des Amtsgerichts Stuttgart – Registergericht - zum Aktenzeichen HRB  beigezogen.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 2. Dezember 2016 hat das Sozialgericht Berlin die Klage der Klägerin abgewiesen. Die Klage sei, soweit zulässig, jedenfalls unbegründet. Die Klagefrist sei gewahrt, es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin vor dem 8. April 2015, ggf. während einer Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1), Kenntnis von dem angefochtenen Bescheid erhalten habe. Die Klägerin sei zur Anfechtung des streitgegenständlichen Bescheides nur befugt, soweit dieser Feststellungen zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung treffe, sie sei durch die von der Beklagten als Einzugsstelle des Gesamtsozialversicherungsbeitrags getroffene Entscheidung, wonach keine Rentenversicherungspflicht bestehe, beschwert. Der Bescheid sei nicht bereits deshalb aufzuheben, weil die Beklagte für seinen Erlass nicht zuständig sei. Es habe für die Beklagte keine Verpflichtung bestanden, die Entscheidung über den Antrag auf Feststellung zur Versicherungspflicht der Klägerin zu überlassen. Die Beklagte habe vielmehr als Einzugsstelle gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) u.a. über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zu entscheiden. Ein Fall, in dem sie den Antrag an die Klägerin hätte weiterleiten müssen, habe nicht vorgelegen. Gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV hätte das nur dann erfolgen müssen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers ergebe, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH sei. Als Prokuristin einer GmbH gehöre die Beigeladene zu 2) nicht zu diesem Kreis.

 

Die Beklagte habe zudem zu Recht festgestellt, dass die Beigeladene zu 2) in ihrer Tätigkeit als Prokuristin ab dem 1. Dezember 2012 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterliege. Es liege keine abhängige Beschäftigung gegen Entgelt vor. Bei Fremdgeschäftsführern habe das Bundessozialgericht regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen, es sei denn, es lägen Umstände vor, die eine Weisungsgebundenheit gegenüber den Gesellschaftern im Einzelfall aufheben. Ausgangspunkt sei im Fall der Klägerin der Prokuristenvertrag, der zum 1. Dezember 2012 geschlossen worden sei. Dieser beinhalte sowohl Regelungen, die für eine abhängige Beschäftigung sprechen, wie die monatlich feste Vergütung, mit der auch Überstunden abgegolten seien als auch solche, die für eine selbständige Tätigkeit typisch seien wie diejenige, wonach die Beigeladene zu 2) keinen Weisungen hinsichtlich Arbeitszeit, -ort und -dauer unterliege. Maßgebend sei, ob der Auftragnehmer über Mittel verfüge, den Inhabern des Unternehmens, denen er formal weisungsunterworfen sei, seinen Willen zu diktieren und Entscheidungen über das Wohl und Wehe des Unternehmens ohne oder gegen deren Willen durchzusetzen bzw. zu verhindern. Für eine (abhängige) Beschäftigung spreche hier das weitgehende Fehlen des für einen Selbständigen typischen Unternehmerrisikos. Gemessen daran sei der Erfolg des Einsatzes der von der Beigeladenen zu 2) eingesetzten Arbeitskraft nicht ungewiss, da sie eine gleichbleibende monatliche Vergütung beanspruchen könne. Dieses Entgelt werde für ihre Tätigkeit als Prokuristin geleistet. Soweit sie mit einem Anteil von 1 vom Hundert am Stammkapital beteiligt sei, partizipiere sie zwar direkt, aber nur im geringen Umfang am Unternehmenserfolg.

 

Allerdings verfüge sie über eine gesellschaftsrechtliche Position, welche es ihr erlaube, die Geschicke der Gesellschaft mit zu gestalten und insbesondere Entscheidungen über das Wohl und Wehe des Unternehmens gegen den Willen der Inhaber des Unternehmens zu verhindern. So besitze sie eine Einzelprokura, welche es ihr gestatte, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen. Außerdem verfüge sie in der Gesellschaftsversammlung über eine Sperrminorität. Beschlüsse müssten nach § 10 Abs. 2 der Satzung einstimmig getroffen werden, die Gesellschafterversammlung sei nur beschlussfähig, wenn 100 % der auf das Stammkapital entfallenden Stimmen anwesend seien. Den sich daraus ergebenden Rechten komme im Rahmen der sozialversicherungsrechtlich gebotenen Gesamtabwägung die entscheidende Indizfunktion für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit zu. Die Beigeladene zu 2) könne maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben, da sie stets ihr unangenehme Weisungen blockieren könne. Damit sei die nach der Rechtsprechung maßgebliche Rechtsmacht vorhanden.

 

Die Klägerin hat gegen den ihr am 23. Dezember 2016 zugestellten Gerichtsbescheid am 3. Januar 2017 Berufung eingelegt.

 

Die Beigeladene zu 2) habe als Prokuristin und mitarbeitende Minderheitsgesellschafterin nicht die Rechtsmacht, weisungsfrei in der GmbH tätig zu sein. Ein mitarbeitender GmbH-Gesellschafter mit Sperrminorität, der nicht zum (stellvertretenden) Geschäftsführer bestellt sei, habe keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft. Seine Rechtsmacht erschöpfe sich darin, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Er könne, da er kein Geschäftsführer sei, den Geschäftsbetrieb weder bestimmen noch als Minderheitsgesellschafter einen maßgebenden gestalterischen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 2. Dezember 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2013 aufzuheben und festzustellen, dass die Beigeladene zu 2) in ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) seit dem 1. Dezember 2012 der Rentenversicherungspflicht gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterliegt,

 

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

           

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Es sei für die Zulässigkeit der Klage zu ermitteln, ob es zwischen dem Erlass des streitigen Bescheides und der angeblich erstmaligen Kenntnisnahme der Klägerin eine Betriebsprüfung bei der Beigeladenen zu 1) oder andere Erkenntnisquellen gegeben habe, aufgrund derer die Klägerin bereits früher Kenntnis von dem Bescheid erlangt habe oder hätte erlangen können. Außerdem sei zu prüfen, ob eine Rechtsschutzinaktivität von mindestens einem Jahr nicht jedenfalls das Zeitmoment der Verwirkung erfülle. Da die Klägerin durch die Beitragsausfälle für die Beigeladene zu 2) jedenfalls gewusst habe, dass vorher ein Versicherungsverhältnis bestanden habe, liege auch das notwendige Umstandsmoment vor.

In der Sache komme es wegen des berechtigten Vertrauensschutzes der Beigeladenen allenfalls auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides an. Danach gelten noch die Maßstäbe, welche z.B. das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 2. Mai 2013 zur rückwirkenden Betrachtung eines Versicherungsverhältnisses (L 16 KR 32/12) aufgestellt habe. Auch entstehe bei der Aufhebung allein der Befreiung zur Rentenversicherungspflicht ein verwaltungsmäßig kaum praktikables Hybrid-Modell.

 

Die Beigeladene zu 1) beantragt schriftsätzlich,

 

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Weisungsfreiheit der Beigeladenen zu 2) ergebe sich aus dem Prokuristenvertrag, sie besitze mit der Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB die gleichen Rechte wie die Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1).

 

Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.

 

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 23. Oktober 2017 zum Ruhen gebracht und im Dezember 2020 wieder aufgenommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen und die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Klägerin und der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

A. Der Senat durfte in der Besetzung durch die Berichterstatterin und die beiden ehrenamtlichen Richter/Richterinnen über die Berufung entscheiden. Die erstinstanzliche Entscheidung erging im Wege eines Gerichtsbescheides und der (große) Senat hat die Berufung durch Beschluss vom 19. März 2021 übertragen (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

B. Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Befreiungsbescheides, denn ihre kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig (I.) und begründet (II.). Der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 2013 ist rechtswidrig und beschwert die Klägerin. In der Folge war festzustellen, dass die Beigeladene zu 2) in der Tätigkeit als Prokuristin ab dem 1. Dezember 2012 der Rentenversicherungspflicht unterfiel (III.)

 

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage, gerichtet auf die teilweise Aufhebung des Bescheides der Beklagten, betreffend die Feststellung zur Rentenversicherungspflicht, statthaft (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) und im Übrigen zulässig.

 

Die Klägerin ist klagebefugt, soweit sie die Aufhebung des Bescheides begehrt, der Feststellungen zur Rentenversicherungspflicht trifft. Zur Anfechtung eines Bescheides (Verwaltungsaktes) ist nicht nur der Adressat befugt, sondern auch Dritte, deren rechtliche Interessen durch die hoheitliche Maßnahme (Regelung) berührt sind

Gemessen daran ist die Klägerin als Rentenversicherungsträger gegenüber einem Verwaltungsakt der Einzugsstelle gemäß § 28h Abs 2 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) nur hinsichtlich ihres eigenen sachlichen Zuständigkeitsbereichs, d.h. hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung klagebefugt (BSG, Urteil vom 3. Juli 2013 – B 12 KR 8/11 R –, BSGE 114, 69-83, Rdnr. 18). Hingegen ist sie im vorliegenden Fall ohne Zweifel – und auch nach eigenem Vortrag – nicht als Clearingstelle hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht für alle Zweige der Sozialversicherung klagebefugt. Das wäre nur dann der Fall, wenn und soweit sie sich im obligatorischen Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Abs. 1 Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) gegen Statusfeststellungen einer Einzugsstelle wendet. Hier liegt unstreitig kein Fall vor, in welchem die Beklagte als Einzugsstelle verpflichtet war, einen Antrag auf Feststellung der Versicherungspflicht für die Beigeladene zu 2) bei der Klägerin zu stellen oder den Feststellungsantrag der Beigeladenen an die Klägerin weiterzuleiten. Voraussetzung hierfür wäre, dass die Beigeladene zu 2) geschäftsführende Gesellschafterin der Beigeladenen zu 1) war. Die Beigeladene zu 2) war zwar Gesellschafterin, arbeitete jedoch als Prokuristin und nicht als Geschäftsführerin (vgl. den Prokuristenvertrag und die Bestellung zur Prokuristin).

 

Die Frist zur Erhebung der Klage ist gewahrt und insbesondere ist das Klagerecht nicht verwirkt. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG ist die Klage grundsätzlich binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Ist der Verwaltungsakt einem Dritten nicht bekannt gegeben worden, so kommt auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist nicht in Betracht. Der von einem Dritten eingelegte Rechtsbehelf kann in einem solchen Fall gleichwohl unzulässig sein, soweit er seine Befugnis zur Einlegung des Rechtsbehelfs verwirkt hat. Dieselbe Rechtsfolge gilt in Bezug auf die Einhaltung einer in Gang gesetzten gesetzlichen Rechtsbehelfs- bzw. Klagefrist. (BSG, Urteil vom 3. Juli 2013 – B 12 KR 8/11 R –, BSGE 114, 69-83, Rdnr. 20, zitiert nach juris).

 

Für die Klägerin lief keine Klagefrist. Ob die Klage eines von einem Verwaltungsakt betroffenen Dritten innerhalb einer bestimmten Frist erhoben werden muss, richtet sich zunächst danach, ob ihm der Verwaltungsakt überhaupt bekannt gegeben wurde. Die Bekanntgabe richtet sich nach § 37 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Ausgehend davon hat die Beklagte der Klägerin den Bescheid vom 14. Februar 2013 nicht gezielt bekanntgegeben, sondern allein den Beigeladenen. Die Klägerin hat von ihm anlässlich einer turnusmäßigen Einzugsstellenprüfung am 8. April 2015 Kenntnis erhalten. Eine frühere Kenntnis im Rahmen einer zwischen dem Erlasszeitpunkt und der Einzugsstellenprüfung durchgeführten Betriebsprüfung ist nicht belegt. Die DRV Baden-Württemberg hat auf Anfrage der Klägerin im Berufungsverfahren am 14. Juni 2022 mitgeteilt, dass bei der Beigeladenen zu 1) im Jahr 2016 und 2020 jeweils eine turnusmäßige Betriebsprüfung (2016 für den hier streitigen Zeitraum ab 2012) stattgefunden hat. In der Zeit zwischen dem Erlass des angefochtenen Bescheides (Februar 2013) und der Klageerhebung im Mai 2015 hat dagegen keinerlei Betriebsprüfung stattgefunden, in deren Verlauf die DRV Baden-Württemberg Kenntnis von dem Bescheid hätte nehmen können. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob diese Kenntnis der Klägerin zurechenbar wäre.

 

Ungeachtet dessen wäre die Monatsfrist mit der Klageerhebung am 5. Mai 2015, ausgehend von der Erlangung der Kenntnis vom Bescheid am 8. April 2015, gewahrt. Auf die Frage, ob statt der Monatsfrist nach § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG die Jahresfrist lief, weil der Bescheid für die Klägerin als Verwaltungsträgerin im Hinblick auf § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG eine unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, kommt es danach nicht an (dazu Urteil des Senats vom 15. Juni 2022 – L 9 KR 226/20 WA –, Rdnr. 38, juris). Gründe dafür, dass das Klagerecht verwirkt sein könnte, bestehen nicht. Es fehlt bereits an dem notwendigen Umstandsmoment, so dass offen bleiben kann, ob eine „Rechtsschutzinaktivität von mindestens einem Jahr“, wie es die Beklagte behauptet, das notwendige Zeitmoment erfüllt. Allein dass die Klägerin von Beitragsausfällen gewusst haben soll, reicht nicht. Es liegt insoweit schon kein Beitragsausfall vor, weil die Beigeladene zu 2) ordnungsgemäß vom Arbeitgeber abgemeldet wurde.

 

Die Klage ist begründet, weil der Bescheid der Beklagten rechtswidrig erging. Zwar ist die Beklagte nach § 28h SGB IV als ab dem 1. Oktober 2012 zuständige Einzugsstelle für die Feststellung der Versicherungspflicht zuständig. Gemäß § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV entscheidet die Einzugsstelle über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung; sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid. Maßgebende Einzugsstelle ist die Krankenkasse, die die Krankenversicherung durchführt. Das war nach dem Wechsel der Beigeladenen zu 2) zum 1. Oktober 2012 seither die Beklagte. Eine vorrangige Zuständigkeit der Klägerin als Trägerin der Clearingstelle gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV bestand dagegen nicht, weil dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorlagen.

 

Die Feststellung der Beklagten ist sachlich unrichtig. Maßgebend ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides. Bereits zu diesem Zeitpunkt entsprach die Entscheidung nicht den Grundsätzen, wie sie § 7 SGB IV i.V.m. § 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI)  für die Frage einer Versicherungspflicht und der Beschäftigung aufstellten. Die Beigeladene zu 2) unterlag als Person, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt war, gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI der Rentenversicherungspflicht. Gegen Arbeitsentgelt beschäftigt i.S. von § 1 SGB VI sind jedenfalls Beschäftigte i.S. von § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2).

 

Die Beigeladene zu 2) war als Prokuristin ab dem 1. Dezember 2012 bei der Beigeladenen zu 1) gegen Entgelt beschäftigt. Sie war nach Weisungen tätig und in die Arbeitsorganisation der beigeladenen GmbH eingegliedert. Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist maßgebend dafür zunächst der zwischen den Beigeladenen zum 1. Dezember 2012 geschlossene Prokuristenvertrag. Dieser enthält – wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat - typische Elemente einer Beschäftigung, wie z.B. ein Anspruch auf ein festes monatliches Gehalt, welches die Beigeladene zu 1) als Lohn/Gehalt und Betriebsausgabe, hingegen nicht als Gewinn-Vorwegentnahme (der Minderheitsgesellschafterin) verbuchte. Die Beigeladene zu 2) hat einen vertraglich festgelegten Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Dieser übersteigt zwar den Urlaubsanspruch, den Arbeitnehmer gemäß § 3 Bundesurlaubsgesetz kraft Gesetzes haben (24 Werktage). Diese im Vergleich zum Gesetz umfangmäßige Privilegierung spricht aber nicht gegen, sondern für eine Beschäftigung und gegen eine Selbständigkeit. Die Beigeladene zu 2) hatte Anspruch auf Nutzung eines Dienstwagens, auch für private Fahrten (widerruflich), die Privatnutzung umfasste sogar die Fahrzeugführung durch weitere Personen (M P und in Ausnahmefällen Familienangehörige). Dass sie nach dem Vertrag keinen Weisungen hinsichtlich ihrer Arbeitszeit, des Arbeitsortes und der -dauer unterlag, ist für leitende Angestellte von Unternehmen keine untypische Vereinbarung. Maßgebend bleibt die Eingliederung in einen (fremden) Betrieb. Damit spricht dieses Merkmal nicht ohne Weiteres für eine selbständige Tätigkeit. Gleiches gilt für die ihr eingeräumte Befugnis, im Rahmen der Prokura von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreit zu sein, d.h., berechtigt zu sein, im Namen des Vertretenen mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Auch diese Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB ist für leitende Angestellte eines Unternehmens keinesfalls untypisch oder gerade Ausdruck einer selbständigen Tätigkeit. Außerdem führte die Beigeladene zu 1) Lohnsteuer ab

 

Entscheidend ist im vorliegenden Fall vor diesem Hintergrund, dass die Beigeladene zu 2) nicht in der Lage war, Weisungen an sich als Prokuristin kraft ihrer Stellung als (Minderheits-)Gesellschafterin jederzeit zu verhindern. Zwar besaß sie aufgrund der zum 1. Dezember 2012 beschlossenen und auch im Handelsregister eingetragenen Änderung der Satzung der beigeladenen GmbH eine Sperrminorität. Ab diesem Zeitpunkt hatten gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 der Satzung Beschlüsse der Gesellschaft einstimmig zu erfolgen. Daraus folgte, dass die Beigeladene zu 2) solche Gesellschafterbeschlüsse mit ihrem 1 %-igen Stimmanteil verhindern konnte (sog. Sperrminorität). Dies verlieh ihr aber aus zwei Gründen nicht die Rechtsmacht, Weisungen an sich als Prokuristin zu verhindern. Als Prokuristin unterstand sie den zum einen den Weisungen der Geschäftsführer. Sie konnte die Weisungen nicht kraft ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung verhindern. Denn die GmbH wird durch ihre Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG). Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind (§ 37 Abs. 1 GmbHG). Im Fall der Beigeladenen zu 1) bestimmte § 5 Abs. 4 der Satzung (in der Fassung 12. März 2012), dass im Innenverhältnis zwischen den Geschäftsführern und der Gesellschaft sich die Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer auf die „Wahrnehmung aller Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb mit sich bringt“, erstreckte. Die Gesellschafterversammlung konnte Zustimmungserfordernisse durch Gesellschafterbeschluss, durch Erlass einer Geschäftsordnung oder im Rahmen eines Anstellungsvertrags mit dem Geschäftsführer festlegen (§ 5 Abs. 4 Satz 2 der Satzung). Solche Zustimmungserfordernisse sind aber weder in der Satzung der Beigeladenen zu 1) enthalten noch ist nachgewiesen, dass sie in den Geschäftsführerverträgen enthalten waren. Daraus ergab sich, dass die Geschäftsführer im Rahmen des gewöhnlichen, d.h. des laufenden Geschäftsbetriebs keinen Beschränkungen i.S. von Zustimmungserfordernissen seitens der Gesellschafterversammlung unterlagen. Sie waren frei, ihren Angestellten, so auch der Prokuristin, im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebs Einzelweisungen zu erteilen. Diese waren nicht von einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung abhängig, konnten von dieser also auch nicht unterbunden werden. Soweit die Geschäftsführer ihrerseits grundsätzlich den Weisungen der Gesellschafterversammlung unterliegen, konnten diese nicht den laufenden Betrieb betreffen.

Außerdem war die gesellschaftsvertragliche Sperrminorität, die sich aus dem Einstimmigkeitsprinzip des § 10 Gesellschaftsvertrag ergab, nicht konfliktfest, denn sie war nicht unabänderlich. §  10 Abs. 2 Satz 2 des Gesellschaftsvertrags in der Fassung des Beschlusses vom 21. November 2012, erklärte § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG ausdrücklich für anwendbar. Dieser bestimmt, dass der einen Gesellschaftsvertrag abändernde Beschluss (der Gesellschafter) einer Mehrheit von drei Vierteilen der abgegebenen Stimmen bedarf. Auf § 53 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, wonach der Gesellschaftsvertrag noch andere Erfordernisse aufstellen kann, nimmt die Satzung gerade nicht Bezug. Daraus folgt, dass auch das gesellschaftsvertragliche Einstimmigkeitsprinzip mit einer satzungsändernden Mehrheit von drei Viertel geändert werden konnte. Da die Beigeladene zu 2) nur 1 % der Gesellschaftsanteile hielt, konnte sie eine Aufhebung des Einstimmigkeitsprinzip durch einen satzungsändernden Beschluss der übrigen Gesellschafter nicht verhindern. Sie konnte einen solchen Beschluss im Ergebnis auch nicht durch bloßes Nichterscheinen verhindern. § 9 Abs. 2 Satz 1 der Satzung bestimmte zwar, dass zur Beschlussfähigkeit der Gesellschafterversammlung 100 % des Stammkapitals vertreten sein musste. Satz 2 bestimmte aber ergänzend, dass, wenn eine Gesellschafterversammlung nicht beschlussfähig ist, eine neue mit gleicher Tagesordnung zu laden ist, die dann ohne Rücksicht auf die Zahl der Erschienen oder des (anwesenden) Kapitals beschlussfähig ist.

 

Aus beidem folgt, dass die Beigeladene zu 2) als Gesellschafterin im Konfliktfall Weisungen der Geschäftsführung an sich nicht verhindern konnte. Die notwendige (gesellschaftsrechtliche oder –vertragliche) Rechtsmacht war aus gleich zwei Gründen nicht konfliktfest ausgestaltet. Auf eine Schönwetterselbständigkeit können sich die Beigeladenen nicht berufen.

 

Keine andere Beurteilung rechtfertigt § 9 Abs. 2 des Prokuristenvertrags. Dieser bestimmte zwar, dass Änderungen oder Ergänzungen des Vertrags, wozu grundsätzlich auch seine Kündigung gehören dürfte, der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedurften. Die Beigeladene zu 2) hätte auf Grundlage dieser Bestimmung ihre eigene Kündigung als Prokuristen zwar verhindern können, nicht aber Einzelweisungen oder daran knüpfende Maßnahmen wie eine Abmahnung durch die Geschäftsführung. Allein darauf kommt es aber nach den sozialversicherungsrechtlichen Maßstäben an (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2016 – B 12 R 5/14 R Rdnr. 36 ff. zur Prokuristin). Dass dies für Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer u.U. abweichend zu beurteilen sein kann, ist im Fall der Beigeladenen ohne Belang.

 

Die Beigeladene zu 2) hatte schließlich kein relevantes Unternehmerrisiko zu tragen. Der Einsatz ihrer Arbeitskraft erfolgte in Anbetracht des monatlichen Festgehaltes nicht mit dem ungewissen Risiko eines Erfolges. 

 

Auf Vertrauensschutz können sich die Beigeladenen gegenüber der Feststellung der Rentenversicherungspflicht nicht berufen. Soweit die Klägerin die Klage nicht verwirkt hat (dazu oben), kommt ihr im Verhältnis zu den Beigeladenen § 49 Zehntes Buch SGB X zugute. Die Regelungen zum Vertrauensschutz kommen nach dieser Verfahrensbestimmung nicht zur Anwendung, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, u.a. während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch u.a. der Klage stattgegeben wird. Von einem solchen Fall ist hier auszugehen. Der rechtswidrig die Beigeladenen begünstigende Feststellungs-Bescheid der Beklagten beschwert die Klägerin (als Dritte). Der Bescheid wird mit einem kassatorischen Urteil zum Schutz der Rechte der Klägerin aufgehoben.

 

Im Übrigen konnten die Beigeladenen nicht darauf vertrauen, dass die Tätigkeit als Prokuristin 2013 – zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides – sozialversicherungsfrei war. Bereits in der Entscheidung vom 27. Mai 1998 (B 11 AL 71/97 R) hat das BSG für den Fall, in dem ein Minderheitsgesellschafter mit Sperrminorität kein Geschäftsführer der GmbH ist, ausgeführt, nur für den Geschäftsführer, der mit seiner Sperrminorität ihm nicht genehme Entscheidungen der Gesellschaft verhindern könne, sei eine abhängige Beschäftigung grundsätzlich zu verneinen, nicht aber für einen anderen Minderheitsgesellschafter ohne Geschäftsführerbestellung. Denn nur der Geschäftsführer sei nur an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden. Bei einem angestellten Minderheitsgesellschafter (im Fall des BSG einem Kaufmann) erschöpfe sich die durch die Sperrminorität vermittelte Rechtsmacht allein darin, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Damit könne dieser aber - da er nicht Geschäftsführer sei - den Geschäftsbetrieb weder bestimmen noch einen maßgebenden gestalterischen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen (BSG, aaO, Rdnr. 17 – juris). Vor diesem Hintergrund konnten die Beigeladenen im Jahr 2013 keineswegs darauf vertrauen, dass die Feststellung der Selbständigkeit für die Beigeladene zu 2) in dem angefochtenen Bescheid im Fall einer Anfechtung Bestand haben konnte.

 

III. Im Hinblick auf den Statusfeststellungsantrag der beiden Beigeladenen, über den die Beklagte eine inhaltlich unrichtige Feststellung getroffen hat, haben die Beteiligten wegen der gerichtlichen Aufhebung der Feststellung Anspruch darauf, dass durch das Gericht festgestellt wird, ob eine Rentenversicherungspflicht die Beigeladene zu 2) ab dem 1. Dezember 2012 bestand. Dies ist – wie oben ausgeführt – zu bejahen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Beigeladenen zu 1) waren die Hälfte der Kosten aufzuerlegen, weil sie einen Antrag gestellt hat, der nicht erfolgreich war (§ 154 Abs. 3 VwGO).

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

 

[1] „Abmeldung wegen Ende einer Beschäftigung“

Rechtskraft
Aus
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