L 1 BA 7/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 193 BA 304/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 BA 7/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 BA 9/23 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbstständigen Tätigkeit bei einem Gästeführer im Rahmen von Hop on/Hopp off-Stadtrundfahrten. 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2021 wird zurückgewiesen.

 

Die Klägerin trägt auch die Kosten für das Berufungsverfahren mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst zu tragen haben.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beigeladene zu 1 in seiner Tätigkeit als Gästeführer für die Klägerin in der Zeit ab dem 6. März 2017 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

 

Die Klägerin ist ein Busverkehrs- und Reiseunternehmen mit Sitz in B, das u.a. auf dem Gebiet der Stadt Berlin Busrundfahrten mit festen Fahrplänen und Abfahrtszeiten anbietet und durchführt. Darüber hinaus bietet das Unternehmen Stadtrundfahrten, Fahrten mit einem Partybus, Busvermietung, Busreparatur, LKW-Reparatur, Busumbau, Busreisen (Seniorenreisen, Klassenfahrten, Schülerreisen, Fernreisen, Sportreisen, Städtereisen, Rundreisen, Tagesfahrten, Erlebnisfahrten), Messe-Shuttle-Service und Airport-Transfers an.

 

Am 11.02.2017 schlossen die Klägerin und der Beigeladene zu 1, der eine Internetseite als Stadtführer unter der Adresse www.j.de betreibt, einen „Honorarvertrag für freie Mitarbeiter / innen“. Als Beginn der Tätigkeit wurde hierin der 01.03.2017 vereinbart, zum Inhalt der Tätigkeit sind keine Abreden enthalten. Ferner heißt es in dem Vertrag:

„Für die Entrichtung der gesetzlichen Abgaben und Meldung (Steuer, Sozialversicherungsbeiträge, Arbeitsamt etc.) ist Herr / Frau B selbst verantwortlich.“

Ab dem 06.03.2017 war der Beigeladene zu 1 – mit verschiedenen durch die COVID-19 Pandemie bedingten Pausen - für die Klägerin tatsächlich tätig. Nach dem 7. November 2021 fanden keine Einsätze mehr statt.

 

Für die Zeit vom 06.03.2017 bis zum 31.12.2017 berechnete der Beigeladene zu 1 mit neun Rechnungen vom 05.04.2017, 04.05.2017, 01.06.2017, 02.07.2017, 03.08.2017, 04.09.2017, 13.10.2017, 06.11.2017 und 08.01.2017 der Klägerin für seine Leistungen jeweils Beträge zwischen 200,00 € und 675,00 € monatlich. Für die Zeit vom 04.01.2018 bis zum 22.02.2020 berechnete er mit insgesamt 15 Rechnungen jeweils Beträge zwischen 108,00 € und 1.951,80 € und für die Zeiträume vom 14.06.2020 bis zum 13.10.2020 sowie 05.07.2021 bis 07.11.2021 mit insgesamt sieben Rechnungen zwischen 211,20 € und 1.689,60 €. Pro ganzer Tour rechnete der Beigeladene zu 1 gegenüber der Klägerin zwischen 105,00 € (Herbst/Winter) und 135,00 € (Frühjahr/Sommer) ab.

 

Am 25. Oktober 2017 beantragte der Beigeladene zu 1 bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status im Hinblick auf seine Tätigkeit für die Klägerin. Er gab an, seit dem 01. März 2017 Stadtführungen bei Busrundfahrten (deutsch-englisch) durchzuführen. Neben der zu beurteilenden Tätigkeit sei er auch für den Tourismusverein T-K tätig. Weitere abhängige Beschäftigungen würden nicht ausgeübt. Eine Kontrolle im engeren Sinne erfolge nicht, es bestehe aber Kontakt zur Dispatcherin. Die tägliche Arbeitszeit sei festgelegt, die Auswahl der Termine frei. Die Tätigkeit werde im Bus auf fremden Routen ausgeübt. Er mache keine eigene Werbung außer der Verteilung von Visitenkarten. Ergänzend teilte der Beigeladene zu 1 unter dem 10. Januar 2018 mit, er biete der Klägerin Einsatzmöglichkeiten an, die dann per SMS durch die Dispatcherin bestätigt würden oder nicht. Er erbringe für die Klägerin je Tag fünf Runden, im Winter vier Runden deutsch-englische Stadtrundfahrten in Berlin. Eigenes Kapital setze er nicht ein, auch benötige er keine eigenen Arbeitsmittel. Bus, Fahrer und Mikrofonanlage würden durch die Klägerin zur Verfügung gestellt. Die Arbeitszeit betrage im Sommer neun Stunden, im Winter sieben Stunden. Im Sommer sei er zweimal wöchentlich, im Winter einmal wöchentlich für die Klägerin tätig. Ein Verhinderungsfall sei bisher nicht eingetreten.

 

 

Die Klägerin teilte auf Anfrage der Beklagten mit, der Beigeladene zu 1 sei als Bus-Guide bei Hop on / Hop off Stadtrundfahrten tätig und erzähle, während der Busfahrer fahre. Die jeweiligen Beauftragungen erfolgten per Handy bzw. E-Mail. Die Leistungen würden von 9:30 bis 17:00 Uhr erbracht. Eigenes Kapital setze der Beigeladene zu 1 nicht ein. Als Arbeitsmittel benötige er lediglich seine Stimme. Für den Tag, an dem der Beigeladene zu 1 gebucht sei, trete er als Mitarbeiter der Klägerin auf.

 

Mit Bescheid vom 16. März 2018 stellte die Beklagte nach Anhörung der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 fest, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Gästeführer während Stadtrundfahrten bei der Klägerin seit dem 06. März 2017 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und in dem Beschäftigungsverhältnis, beginnend ab dem 06. März 2017, Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht. Nach der Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der Tätigkeit relevanten Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sei ausgeschlossen, weil der Beigeladene zu 1 hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sei. Da keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung vorliege, bestehe auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2018 zurück.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 11. August 2018 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 handele es sich um eine selbstständige Tätigkeit. Der Beigeladene zu 1 trete im Internet als selbstständiger Reiseführer auf und biete dort für diverse Anlässe verschiedene Touren an, die der Kunde individuell buchen könne. Der eigene Internetauftritt sei entsprechend einer eigenen Betriebsstätte zu sehen. Er sei gerade nicht über die Klägerin kontaktierbar wie ein abhängig beschäftigter Arbeitnehmer. Es stehe ihm völlig frei, auf welche Weise und in welchem Umfang er Werbung für sich betreibe. Er könne somit neue Auftraggeber anwerben, Konkurrenztätigkeit zu seiner Arbeit bei der Klägerin betreiben und durch andere Auftraggeber seine wirtschaftliche Existenz erweitern. Der Beigeladene zu 1 arbeite als freier Mitarbeiter für mindestens sechs weitere Auftraggeber. Die bei der Klägerin durch den Beigeladenen zu 1 betreuten Kunden würden durch freie Mitarbeiter als Fahrgäste angeworben, auch der Beigeladene zu 1 betreibe eigene Kundenakquise. Er entscheide für jeden Auftraggeber in eigener Verantwortung, ob er die Leitung einer Tour übernehmen wolle oder nicht. Die zeitliche Einteilung innerhalb der Tour bestimme ebenfalls er. Eine Weisungsgebundenheit bestehe nicht. Er habe keinen Anspruch auf Urlaub gegenüber der Klägerin, auch nicht auf Bezahlung für Urlaubstage. Unzutreffend sei, dass der Beigeladene zu 1 wie das Personal der Klägerin auftrete. Die Mitarbeiter der Klägerin trügen eine einheitliche Arbeitskleidung, auf der sich der Firmenschriftzug befinde. Diese Arbeitskleidung trügen die freien Mitarbeiter gerade nicht. Es erfolge auch keine Einordnung des Beigeladenen zu 1 in die Dienst-/Organisationspläne der Klägerin. Eine Einteilung durch die Klägerin sei gerade nicht möglich. Eine Kontrolle oder Weisungen durch den klägerischen Geschäftsführer erfolgten nicht. Auch bestehe keine Nutzung der klägerischen Arbeitsmittel, der Beigeladene zu 1 statte sich selbst mit allen für die Tour notwendigen Utensilien aus. Der Beigeladene zu 1 verteile bei den Fahrten Werbung für die über ihn buchbaren fußläufigen Touren und betreibe damit Werbung in eigener Angelegenheit. Er erhalte von der Klägerin eine Honorarvergütung, das Honorar werde nur bei erfolgreich abgeschlossener Tour gezahlt.

 

Ergänzend hat die Klägerin vorgetragen, bei ihr seien fest angestellte Guides in Voll- sowie Teilzeit tätig. Einige seien im Wege des Minijobs beschäftigt. Daneben gebe es viele freie Guides. Von den Freiberuflern erhalte die Klägerin Terminvorschläge. Die Klägerin müsse sich danach richten, wie die Kapazitäten der freien Guides seien. Die fest angestellten Mitarbeiter hätten hingegen regulär feste freie Tage. Wollten diese einen anderen Tag frei haben, müssten sie mit einem anderen Mitarbeiter tauschen.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 21. Januar 2021 hat der Beigeladene zu 1 seine Tätigkeit für die Klägerin näher beschrieben: Er habe über eine Kollegin, die wie er für den Spandauer Museumsdienst tätig gewesen sei, von der Klägerin gehört und habe dann dort wegen der Durchführung von Stadtrundfahrten angerufen. Es handele sich um niveauvolle Stadtrundfahrten auf Deutsch sowie Englisch, bei denen er versuche, die Leute zu informieren und gleichzeitig zu unterhalten. Die Stadtrundfahrt werde mehrere Male hintereinander täglich durchgeführt. Eine Tour dauere 2,5 Stunden und umfasse den West- sowie den Ostteil der Stadt. Die Route sei festgelegt. Meistens fänden die Fahrten am Wochenende statt, sodass wegen Demonstrationen nur in Ausnahmefällen die angegebene Route befolgt werden könne. Man müsse permanent umdisponieren, teilweise dem Busfahrer auch Tipps geben. Das Umdisponieren finde in Kooperation zwischen dem Busfahrer und dem jeweiligen Tour-Guide statt. Der Guide kenne die möglichen Orte, der Busfahrer die Straßen. Da er selbst Berlin gut kenne, habe es immer Alternativen gegeben, die man sich habe einfallen lassen können. Von Seiten der Klägerin gebe es für die Touren in erster Linie Sicherheitsanweisungen, die an die Gäste weitergegeben würden. Hinsichtlich des Inhalts seiner Führung existierten keine Vorgaben. Es gehe um klassische Hop on / Hop off Stadtrundfahrten, bei denen es einen Fahrplan und feste Stationen gebe, an denen die Gäste nach Belieben aus- bzw. einsteigen könnten. Während der Rundfahrten gebe es zwei fahrplanmäßige Pausen von 10 / 15 Minuten. Wenn es die Zeit zulasse, könne auch außerhalb der Reihe angehalten werden, regelmäßig jedoch nicht. Abgesehen von einem Windschutz für das Mikrofon verwende er kein eigenes Equipment. Zur Höhe des Honorars habe es mit der Klägerin keine Vereinbarung gegeben. Er habe sich vielmehr über das Büro bzw. Kollegen erkundigt. Zuletzt habe er 105,00 € für einen Tageseinsatz im Winter abgerechnet. Er teile der Dispatcherin der Klägerin auf deren Anfrage Termine mit, zu denen er arbeiten könne und diese teile ihm mit, wann er zum Einsatz komme. Im Falle der Verhinderung etwa durch Krankheit teile er dies der Klägerin mit oder suche einen Kollegen als Ersatz. Dieser müsse sich dann an die Dispatcherin der Klägerin wenden. Der Ersatz rechne auch direkt mit der Klägerin ab. Er sei nie als Mitarbeiter der Klägerin aufgetreten. Er stelle sich immer persönlich und den Namen des Busfahrers vor. Während der Fahrten werde Trinkgeld in einer Dose gesammelt, das für den Tour-Guide gedacht sei, aber von ihm mit dem Fahrer geteilt werde. Die Tickets für die Touren würden von gesonderten Verkäufern verkauft, die auch Gäste anwürben. Er selbst mache durchaus Werbung für die Touren der Klägerin, wenn er etwa im Rahmen von Schiffstouren tätig sei.

 

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 21. Januar 2021 abgewiesen. Zu Recht habe die Beklagte festgestellt, dass es sich bei der seit dem 06. März 2017 für die Klägerin ausgeübten Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Reiseführer/Tour-Guide um eine abhängige Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt handele. Die über die – wenigen – vertraglichen Abreden hinaus deutlich gewordenen äußeren Umstände der auf der Grundlage des „Honorarvertrages“ von dem Beigeladenen zu 1 für die Klägerin erbrachten Tätigkeiten sprächen überwiegend für das Vorliegen einer – abhängigen – Beschäftigung. Entscheidendes Gewicht messe die Kammer dem Umstand bei, dass sich die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 in ein weitgehend und vergleichsweise eng von der Klägerin vorgegebenes organisatorisches Gefüge einzufügen gehabt habe. Bei den von ihm für die Klägerin begleiteten Stadtrundfahrten habe es sich nicht etwa um gelegentliche, unregelmäßig angebotene Charterfahrten für feste Reisegruppen oder dergleichen gehandelt, sondern vielmehr um Serien regelmäßig für zufällige Teilnehmer nach einem festen Fahrplan mit im Wesentlichen vorgegebenen Routen und Zwischenstation angebotener Stadtrundfahrten im Sinne eines „Hop-on-Hop-off“. Hierbei aber trete die inhaltliche Ausgestaltungsfreiheit des Beigeladenen zu 1 hinsichtlich seiner konkreten Ausführungen zu einzelnen Sehenswürdigkeiten in den Hintergrund gegenüber den – trotz der vorgetragenen, gelegentlich notwendigen Modifikationen aufgrund von Demonstrationen oder dergleichen – im Wesentlichen vorgegebenen Routen und Fahrplänen. Hierzu sei auf die Erwägungen des Sozialgerichts Hamburg in einem vergleichbaren Fall (Urteil vom 10. November 2017 – S 34 R 20/13 – juris) zu verweisen, welche die Kammer auf den vorliegenden Fall für übertragbar erachte. In der Gesamtschau überwögen nach alledem die Indizien, die für eine abhängige Beschäftigung des Beigeladenen zu 1 bei der Klägerin sprächen. Die vereinbarte Beziehung, so wie sie von den Parteien tatsächlich gelebt werde, stelle sich als von Dauerhaftigkeit geprägte Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 innerhalb der Arbeitsorganisation der Klägerin dar. Ein unternehmerisches Agieren des Beigeladenen zu 1 werde im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht deutlich.

 

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Zur Begründung trägt sie u.a. vor, der Beigeladene zu 1 arbeite für sechs weitere Unternehmen als freier Mitarbeiter. Weil er diverse Aufträge im Rahmen der Fremdenführung habe, spreche dies für eine selbstständige Tätigkeit. Ebenso nehme der Beigeladene zu 1 durch seine eigene Kundenakquise, unter anderem über die Homepage, Visitenkarten, Flyer, Weiterempfehlungen etc. diverse andere Aufträge an. Die Klägerin könne ihm keine Vorgaben machen, wann er Dienste bei ihr zu erbringen habe. Gerade die eingereichten Rechnungen zeigten, dass der Beigeladene zu 1 nicht in die Arbeitszeiten der Klägerin integriert sei. So beginne und beende er die Touren zu ganz unterschiedlichen Zeiten, gelegentlich auch sehr früh um 16:50 Uhr (Rechnungen 479 und 481). Dies sei der Tatsache geschuldet, dass der Beigeladene zu 1 nach der Busfahrt mit den Gästen noch eigene Touren in eigener Verantwortung mache. Das vom SG herangezogene Urteil des Sozialgerichts Hamburg sei nicht übertragbar, denn die dort beschäftigten Reiseleiter hätten feste Vorgaben dazu gehabt, was sie zu den einzelnen Sehenswürdigkeiten zu moderieren hätten. Die Klägerin hingegen überlasse es den verschiedenen Tour-Guides völlig frei verantwortlich, bei welchen Sehenswürdigkeiten welchen Inhalt sie in welchem Umfang und auf welche Weise vortragen wollten. Der Beigeladene zu 1 habe so die Touren frei zusammenstellen können. Darüber hinaus mache der Beigeladene zu 1 eigene Werbung. Er lade die Touristen zu Führungen in Parks, Museen sowie sonstigen touristischen Attraktionen ein bzw. unterbreite Komplettangebote. Er animiere die Gäste, die Fahrt mit dem Bus nur als Teilprogramm zu nutzen und anschließend bei ihm direkt weitere Besichtigungen oder Führungen separat zu beauftragen oder sich an bereits terminierten weiteren Führungen als zusätzliche Kunden einzubuchen. Der Beigeladene zu 1 nutze die Verbindung auch andersherum: Wenn Gruppen über seine Homepage eine Berlin-Besichtigung gebucht hätten, verbrächten sie eine vorab besprochene Zeit im klägerischen Bus und führen die Sehenswürdigkeiten ab, um dann an einem vereinbarten Ort mit der gesamten Gruppe den Bus zu verlassen und als Führung mit dem Beigeladenen zu 1 weitere Sehenswürdigkeiten zu Fuß oder mit dem Schiff zu besichtigen. Er verknüpfe also die Bustouren der Klägerin mit seinen eigenen Aufträgen oder werbe bei den Bustouren eigene Aufträge an. Der Beigeladene zu 1 unterliege keinem Weisungsrecht seitens der Klägerin hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seiner Tätigkeit. Er trage auch das Unternehmerrisiko selbstständig. Er habe kein monatliches Mindesteinkommen, kein Urlaubs-/Weihnachtsgeld. Das Unternehmerrisiko müsse zwar bestehen, andererseits aber nicht exorbitant sein, sodass bereits die Möglichkeit des Honorarausfalls in fest gebuchten Zeiten für die Annahme eines Unternehmerrisikos genüge. Der Beigeladene zu 1 verfüge auch über eine eigene häusliche Betriebsstätte. Soweit das SG ausführe, dass es sich bei den klägerischen Fahrten um Serien fester Fahrten nach Fahrplänen handele, sei dies nur bedingt richtig. Die Klägerin biete zwar Stadtrundfahrten nach Fahrplan an, jedoch auch weitere Bustouren z.B. für Klassenreisen, Betriebsausflüge o. ä. Ihr Angebot sei somit breit gefächert, sodass die Tour-Guides gerade nicht einheitlich arbeiteten, sondern individuell auswählen und gestalten könnten. Im Übrigen sagten die vom SG zur Begründung herangezogenen fest vereinbarten Termine nichts über die Frage der abhängigen Beschäftigung aus. Jeder Selbstständige, der bei Veranstaltungen arbeite, habe sich an zeitlichen Eckpunkten zu orientieren. Der Beigeladene zu 1 stehe aber in Konkurrenz zu diversen anderen freien Stadtführern, die sich ebenfalls um diese Touren bemühten. Ausdrücklich werde auf die Vertragsgestaltung vom Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e.V. hingewiesen. Diese sei von Gemeinden, Landkreisen sowie Städten anerkannt und in Verwendung z.B. bei städtischen Touristeninformationsbüros. Danach seien Gästeführer selbstständig tätig.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Januar 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene zu 1 seine Tätigkeit für die Klägerin als Stadtführer ab dem 06. März 2017 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt und eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung nicht besteht.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei, sofern – wie hier - die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart werde und insbesondere kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliege, für die Frage der Versicherungspflicht allein auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestünden.

 

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

 

Der Beigeladene zu 1 hat im Rahmen des Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 29. April 2022 angegeben, er sei seit einem halben/dreiviertel Jahr nicht mehr für die Klägerin im Einsatz. Dabei habe er seine Tätigkeit für die Klägerin nicht endgültig eingestellt, vielmehr sei diese bedingt durch COVID-19 zum Ruhen gekommen. Eine Einweisung oder Schulung im Hinblick darauf, was bei den einzelnen Sehenswürdigkeiten zu sagen sei, habe vor Aufnahme der Tätigkeit nicht stattgefunden. Zu Beginn der Fahrten habe er sich den Gästen mit seinem Namen vorgestellt und bei konkreter Nachfrage auch mitgeteilt, dass er freier Stadtführer sei. Er habe bislang für die Klägerin keine individuellen Busfahrten als Tour-Guide betreut. Allerdings habe er gelegentlich für die Klägerin Stadtrundfahrten beim „Festival of Lights“ (Lichterfahrten) begleitet. Bei diesen Touren stünden nur Anfangsort bzw. –zeit sowie Endhaltestelle und –zeit fest, die Route habe er anhand der beleuchteten Gebäude selbst zusammengestellt. Die Einsätze seien mit einem Vorlauf von ungefähr einem Monat geplant worden. Er habe während der Fahrten kein Werbe- oder Informationsmaterial der Klägerin verteilt. Ob bei den Touren auch Mitarbeiter der Klägerin mitgefahren seien, um die Art und Weise der Führung zu kontrollieren, wisse er nicht. Feedback-Gespräche seien mit ihm nicht geführt worden. Soweit sich Kunden bei ihm für individuelle Stadtführungen über seine eigene Webseite gemeldet hätten, habe er diese durchaus auch auf die Hop on / Hop off Fahrten hingewiesen. Gleichfalls habe er die Gäste während der Fahrten auf von ihm selbst veranstaltete Stadtführungen aufmerksam gemacht. Hinsichtlich der Route bei den Hop on / Hop off Fahrten hat er ergänzt, es seien seitens der Klägerin lediglich die Haltestellen vorgegeben, nicht aber die zu präsentierenden Sehenswürdigkeiten. Insoweit gebe es jedenfalls in Berlin-Mitte, wo zahlreiche Sehenswürdigkeiten dicht beieinander lägen, Möglichkeiten zur Variation der Route. Er hat schließlich Kopien sämtlicher von ihm an die Klägerin gestellten Rechnungen seit Januar 2018 zur Akte gereicht.

 

Die Beteiligten haben unter dem 5. Oktober 2022 (Beigeladener zu 1), 10. Oktober 2022 (Beigeladene zu 3), 11. Oktober 2022 (Beklagte), 13. Oktober 2022 (Beigeladene zu 2 und 29. November 2022 (Klägerin) einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichtsakten und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da alle Beteiligte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

 

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 SGG), Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Berufung ist auch statthaft (§ 143 SGG). Sie bedurfte nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung bzw. einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt noch eine Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der Entscheidung des SG der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018, mit welchem die Beklagte festgestellt hat, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Gästeführer während Stadtrundfahrten bei der Klägerin seit dem 06. März 2017 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird und Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung besteht. Zu Recht hat das SG die Klage (eine nach §§ 54 Abs. 1, 56 SGG statthafte kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage) abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 7a Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften – (SGB IV in der bis 31. März 2022 geltenden Fassung vom 12. November 2009 – a.F.), wonach die Beklagte im Anfrageverfahren über das Vorliegen von Versicherungspflicht in einer Tätigkeit zu entscheiden hat, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet.

 

Bei der streitigen Statusentscheidung handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Ein solcher liegt vor, wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich ändert (BT-Drucks 8/2034 S 34 zu § 43). Der Verwaltungsakt muss über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus rechtliche Wirkungen erzeugen (BSG, Urteil vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 10/01 R - juris Rn.). Das ist bei einem Statusfeststellungsbescheid der Fall (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 12 KR 1/20 R – juris Rn. 14).

 

Regelungsgegenstand einer Statusentscheidung nach § 7a SGB IV (in der bis zum 31. März 2022 geltenden Fassung) ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG das (Nicht-)Bestehen von Versicherungspflicht (z.B. BSG, Urteil vom 27.4.2021 - B 12 KR 27/19 R - juris Rn. 12) in der konkret beurteilten Tätigkeit/Beschäftigung beim Auftraggeber. Entscheidungsgrundlagen sind dabei die zum Auftragsverhältnis gemachten Angaben der Beteiligten und vorgelegten Unterlagen (vgl. § 7a Abs. 3 SGB IV a.F.). Die nach deren Prüfung getroffene Statusentscheidung bindet die Versicherungsträger nach Maßgabe der §§ 44 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X> (§ 77 SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 20. Februar 2017 - B 12 KR 24/16 B - juris Rn. 14) und entfaltet deshalb jedenfalls für die Dauer der konkret beurteilten Tätigkeit/Beschäftigung rechtliche Wirkung. Ihre Regelungswirkung reicht damit über die punktuelle Feststellung eines Rechtsverhältnisses hinaus (vgl. Schütze in Schütze, SGB X, 9. A. 2020, § 45 Rn. 76). Dies gilt unabhängig davon, ob das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Versicherungspflicht festgestellt wird. (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2009 - B 12 KR 31/07 R – juris Rn. 21).

 

Der angefochtene Bescheid der Beklagten begegnet keinen formellen Bedenken. Insbesondere war die Beklagte für die beantragte Statusfeststellung zuständig, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25. Oktober 2017 anderweitig kein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung des Beigeladenen zu 1 bei der Klägerin eingeleitet war. Etwas Gegenteiliges wird von den Beteiligten weder behauptet, noch liegen Anhaltspunkte für ein weiteres Verfahren über eine Statusfeststellung vor. Die Beklagte hat darüber hinaus ordnungsgemäß auch den Beigeladenen zu 1 am Feststellungsverfahren beteiligt (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB X) und die Beteiligten vor ihrer Entscheidung zu der beabsichtigten Feststellung entsprechend § 7a Abs. 4 SGB IV a.F. angehört.

 

Die Feststellung der Beklagten, dass der Beigeladene zu 1 während der Ausübung der jeweiligen Einzelaufträge für die Klägerin als Gästeführer während Stadtrundfahrten in der Zeit ab dem 6. März 2017 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag, ist nach dem Ergebnis des Verfahrens auch materiell rechtmäßig. Dies gilt, auch wenn seit dem 1. April 2022 § 7a SGB IV geändert ist und die Beklagte auf Antrag nur noch darüber entscheidet, ob eine Beschäftigung oder selbstständige Beschäftigung vorliegt (§ 7a Abs. 2 Satz 1 SGB IV in der aktuellen Fassung), während die Beurteilung der Versicherungspflicht den anderen Versicherungsträgern obliegt (§ 7a Abs. 2 Satz 4 SGB IV in der aktuellen Fassung). Der Gesetzgeber hat keine Regelungen zum Umgang mit noch laufenden Statusfeststellungsverfahren betreffend fortlaufend ausgeübter Tätigkeiten getroffen, weshalb in einem solchen Fall im Grundsatz die Regelungen zum intertemporalen Recht zur Anwendung kommen. Im vorliegenden Fall übt der Beigeladene zu 1 jedoch tatsächlich die Tätigkeit als Gästeführer während Stadtrundfahrten bei der Klägerin nicht aus. Nach eigenen und von der Klägerin unbestrittenen Angaben geht er dieser Tätigkeit bedingt durch die Folgen der COVID 19-Pandemie seit November 2021 nicht mehr nach. Dies wird durch die vorgelegten Rechnungen bestätigt. Zwar hat er diese Tätigkeit nach eigenem Bekunden nicht endgültig eingestellt, es fehlt jedoch an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass er die Tätigkeit in unmittelbarer Zukunft oder zu einem konkreten Zeitpunkt wieder aufnehmen wird. Es ist daher davon auszugehen, dass die Tätigkeit tatsächlich auf unabsehbare Zeit beendet ist und deswegen durch den Senat letztlich über einen vor Inkrafttreten der Neureglung des § 7a SGB IV abgeschlossenen Zeitraum zu entscheiden ist, weshalb Erwägungen dazu, ob für die Zeit ab dem 1. April 2022 der streitige Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 aufzuheben wäre, dahingestellt bleiben können.

 

§ 2 SGB IV legt den von der Sozialversicherung umfassten Personenkreis fest. Kraft Gesetzes versichert sind nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB IV allgemein Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Entsprechende Regelungen (Versicherungspflicht von Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind) finden sich für die Arbeitslosenversicherung in § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und für die gesetzliche Rentenversicherung in § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

 

Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 12) setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden.

 

Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen, den die Verwaltung und die Gerichte konkret festzustellen haben. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen. Erst auf der Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit vorzunehmen (stRspr; vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 13 m.w.N.). Diese wertende Zuordnung kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbstständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person - als selbstständig oder beschäftigt - allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (vgl. BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R – Rn. 24).

 

Bei Vertragsgestaltungen, in denen - wie hier - die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird und insbesondere kein Dauerschuldverhältnis mit Leistungen auf Abruf vorliegt, ist für die Frage der Versicherungspflicht allein auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen. Außerhalb der Einzeleinsätze liegt schon deshalb keine die Versicherungspflicht begründende "entgeltliche" Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV vor, weil keine latente Verpflichtung des Beigeladenen zu 1 bestand, Tätigkeiten für den Kläger auszuüben, und dieser umgekehrt auch kein Entgelt zu leisten hatte (vgl. BSG, Urteile vom 19. Oktober 2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 14, 4. Juni 2019 - B 12 R 11/18 R – Rn. 21 und 18. November - B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 19).

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Beigeladene zu 1 im Rahmen seiner Tätigkeit für die Klägerin abhängig beschäftigt.

 

Ausgangspunkt für die rechtliche Bewertung sind die im Folgenden dargestellten Umstände, die der Senat aufgrund des Gesamtinhalts des Verfahrens, insbesondere den Angaben der Klägerin und des Beigeladenen zu 1 im Rahmen des Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahrens und den vorgelegten Rechnungsunterlagen feststellt.

 

Der Beigeladene zu 1 war in der Zeit ab dem 06. März 2017 – mit Unterbrechungen vom 23. Februar bis 13. Juni 2020, 14. Oktober 2020 bis 4. Juli 2021 sowie seit dem 08. November 2021 – als Gästeführer bzw. Tour-Guide während Stadtrundfahrten für die Klägerin tätig. Diese bot und bietet laut Internetauftritt Stadtrundfahrten, Fahrten mit einem Partybus, Busvermietung, Busreparatur, LKW-Reparatur, Busumbau, Busreisen (Seniorenreisen, Klassenfahrten, Schülerreisen, Fernreisen, Sportreisen, Städtereisen, Rundreisen, Tagesfahrten, Erlebnisfahrten), Messe-Shuttle-Service und Airport-Transfers an. Der Beigeladene zu 1 war bislang nach eigenem Bekunden ganz überwiegend als Gästeführer bzw. Tour-Guide bei den von der Klägerin angebotenen Hop on / Hop off Stadtrundfahrten („B C T“) tätig, bei denen nach einem festen Fahrplan vorgegebene Haltestellen (insgesamt 22 laut Internetauftritt) im Zentrum Berlins (sowohl City West als auch Berlin-Mitte) angefahren und entlang des Weges Sehenswürdigkeiten wie etwa die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder das Brandenburger Tor passiert und vom Gästeführer / Tour-Guide bzw. allgemein Wissenswertes über die Stadt präsentiert werden. Laut der vom Beigeladenen zu 1 vorgelegten Rechnungen erfolgten lediglich am 12. und 19. Oktober 2019 Einsätze bei so genannten „Lichterfahrten“ im Rahmen des „Festival of Lights“, bei denen nach seinen eigenen Angaben die Route von ihm konzipiert wurde. Die hierfür gezahlten „Honorare“ insgesamt unterschreiten 100,00 €.

 

Der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 für die Klägerin lag ausweislich der Angaben des Beigeladenen zu 1 sowie der Klägerin im Vorverfahren bzw. gerichtlichen Verfahren und der vorgelegten Unterlagen ein schriftlicher Vertrag zugrunde, der allerdings – wie bereits das SG zutreffend dargelegt hat – weder die genaue Tätigkeit bezeichnet noch die Hauptleistungspflichten regelt. Feste Arbeitszeiten waren ebenfalls nicht vereinbart, ergaben sich jedoch letztlich aus den mit einem Vorlauf von einem Monat festgelegten Einsatzdaten, denn der Beigeladene zu 1 wurde – wie sich dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Einsatzplan für den 3. und 4. Januar 2018 entnehmen lässt - für konkrete Busnummern und Touren mit Anfangsort und – uhrzeit eingeteilt. Der Endzeitpunkt ergab sich – da der Beigeladene zu 1 je nach Jahreszeit vier bis fünf Touren hintereinander moderierte - zwangsläufig aus dem Ende der letzten täglichen Tour mit dem konkreten Bus. Weitere konkrete mündliche Abreden sind nicht feststellbar.

 

Zur Durchführung seiner Tätigkeit benutzte der Beigeladene zu 1 nur seine Stimme und einen Windschutz für das Mikrofon. Alle anderen Arbeits- bzw. Betriebsmittel – der Bus einschließlich Fahrer sowie die Mikrofon-Anlage - wurden von der Klägerin gestellt. Er trug seine eigene Kleidung. Bei den Fahrten stellte er sich weder explizit als Mitarbeiter der Klägerin noch als „freier Mitarbeiter“, sondern mit seinem Namen vor. Nur bei konkreter Nachfrage teilte er mit, dass er selbstständiger Gästeführer sei. Er betrieb Kundenakquise für seine eigenen Stadtführungen über seine Webseite sowie Visitenkarten oder Flyer und war nach eigenen Angaben auch für andere Auftraggeber tätig. Der Beigeladene zu 1 konnte frei entscheiden, ob er die Aufträge, die ihm von der Klägerin angetragen wurden, annahm. Falls er einen Auftrag übernahm, hing seine Tätigkeit von dessen Inhalt ab. Im Rahmen der Einsätze arbeitete der Beigeladene zu 1 mit Mitarbeitern der Klägerin, nämlich dem Busfahrer, zusammen, mit dem er auch das eingesammelte Trinkgeld teilte. Er führte die Aufträge persönlich durch. Bei Abwesenheit oder Verhinderung unterrichtete der Beigeladene zu 1 die Klägerin oder bemühte sich, eine Kollegin / einen Kollegen zu finden, die / der einsprang und nach Rücksprache mit der Dispatcherin dann direkt mit der Klägerin abrechnete.

 

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen ist der Senat unter Würdigung der vorliegenden Umstände des Einzelfalles zu der Überzeugung gelangt, dass zwischen dem Beigeladenen zu 1 und der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestand.

 

Dass der Beigeladene zu 1 auch für andere Auftraggeber tätig war und die einzelnen Aufträge der Klägerin ablehnen konnte, ist für die Abgrenzung zwischen einer Beschäftigung und einer selbständigen Tätigkeit nicht ausschlaggebend. Denn für die Beurteilung der Versicherungspflicht ist – wie oben dargelegt - auf die Verhältnisse abzustellen, die nach Annahme der einzelnen Aufträge bestanden.

 

Des Weiteren geht der Senat bei seiner Würdigung der Einzelaufträge davon aus, dass die Tätigkeit eines „Gästeführers bzw. Tour-Guides bei Stadtrundfahrten“ zu den maßgeblich durch persönliche Zuwendung und die individuellen Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen des Dienstleisters geprägten Tätigkeiten gehört, die grundsätzlich sowohl in der Form einer abhängigen Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden können (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – juris Rn. 16; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. November 2015 – L 1 KR 275/15 – juris Rn. 36). Dies lässt sich schon daraus erkennen, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 auch von angestellten Gästeführern ausgeübt wurde. Bei solchen Tätigkeiten kommt dem Willen der Vertragsparteien nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 14. März 2018 – B 12 R 3/17 R – juris Rn. 13) eine gewichtige indizielle Bedeutung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung zu. In Fällen der vorliegenden Art kann daher für eine selbständige Tätigkeit sprechen, wenn die beteiligten Vertragsparteien – wovon anhand des Vortrags der Klägerin sowie des Beigeladenen zu 1 auszugehen ist – nach ihren vertraglichen Vereinbarungen keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen wollten. Allerdings kommt es auf eine entsprechende vertragliche Abrede nur dann entscheidend an, wenn die übrigen tatsächlichen Umstände in etwa gleichermaßen für eine Selbstständigkeit oder für eine Beschäftigung sprechen (BSG, a.a.O.). Denn die Versicherungspflicht in der Sozialversicherung entsteht bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen kraft Gesetzes und ist der vertraglichen Disposition von Auftraggeber und Auftragnehmer entzogen (BSG, Beschluss vom 23. Januar 2018 – B 12 KR 55/17 B – juris Rn. 11). Dies schließt es – wie bereits dargelegt - aus, über die rechtliche Einordnung einer Tätigkeit allein anhand der von den Vertragschließenden getroffenen Vereinbarungen zu entscheiden. Auch eine von den Beteiligten ausdrücklich gewollte Selbständigkeit muss mithin vor den tatsächlichen Verhältnissen bestehen können. Nach diesen Grundsätzen kommt dem Umstand, dass jedenfalls die Klägerin und der Beigeladene zu 1 einen „Honorarvertrag für freie Mitarbeiter“ abgeschlossen und der Beigeladene zu 1 Honorarrechnungen gestellt hat, keine entscheidende Bedeutung zu. Denn bei näherer Betrachtung der vertraglichen Absprachen und der tatsächlichen Ausgestaltung des Verhältnisses überwiegen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit die für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sprechenden Merkmale.

 

Zwar deuten durchaus einige Indizien auf eine Selbständigkeit hin. Für eine Selbständigkeit spricht insbesondere, dass der Beigeladene zu 1 bei der Art und Weise, wie er die Stadtrundfahrt moderierte, keinen Weisungen seitens der Klägerin unterlag. Weder war ihm bindend vorgegeben, welche Sehenswürdigkeiten er näher erläutern sollte noch mit welchem Inhalt und auf welche Weise dies geschehen sollte. Dies gilt auch für die regelmäßig bei solchen Fahrten typischerweise dargebrachten Erläuterungen zu Stadtgeschichte oder bekannten Persönlichkeiten. Auf der anderen Seite ergaben sich die „Hauptsehenswürdigkeiten“ bereits aus dem von der Klägerin vorgegebenen Fahrplan und der damit verbundenen – für die Gäste auch erwartet verlässlichen - Route, von der der Beigeladene zu 1 nur in Zusammenarbeit mit dem Busfahrer zwar fallweise (etwa bei Verkehrsbehinderungen) abweichen konnte und musste, aber immer unter Rückführung auf die vorgesehenen Haltestellen.

 

Soweit die Klägerin hier zuletzt behauptet, der Beigeladene zu 1 sei auch bei der Routengestaltung zwischen den Haltestellen völlig frei gewesen, überzeugt dies nicht. So hat der Beigeladene zu 1 angegeben, am Wochenende müssten die Strecken zwischen den Haltestellen etwa wegen Demonstrationen oft variiert werden. Fahrplan, Haltestellen und Pausen seien vorgegeben. Außer der Reihe werde regelmäßig nicht angehalten. Insbesondere in Berlin-Mitte, wo die Sehenswürdigkeiten dicht beieinander lägen, seien verschiedene Routen-Varianten zwischen den Stopps möglich gewesen. Konkrete Wünsche der Gäste gebe es selten. Betrachtet man aber die einzelnen Stopps (im Wesentlichen unverändert seit Jahren laut Internetauftritt der Klägerin):

„01 Kurfürstendamm 231 Ecke Joachimsthaler Str., MAREDO

02 KaDeWe, Tauentzienstraße 21-24

03 Lützowplatz, ggü. Haupteingang Hotel Berlin Berlin

04 Philharmonie / Kulturforum, Herbert-von-Karajan-Str.

05 Potsdamer Platz 1. vor Kollhoff-Tower, MAREDO, LEGOLAND® Discovery Centre

06 Linkstraße, Potsdamer Platz, Souvenirs to go

07 Topografie des Terrors, Martin-Gropius Bau

08 Checkpoint Charlie, Friedrichstr. 43-45, Asisi Panorama

09 Gendarmenmarkt, gegenüber Taubenstraße, MAREDO

10 Alexanderplatz am Neptunbrunnen, MAREDO, Berlin Dungeons, Little Big City

11 Karl-Liebknecht-Str. 5, Aquadom & Sealife, Ausstieg zum Schiff

12 Museumsinsel, Schloßplatz

13 Humboldt-Universität, gegenüber Bebelplatz, Unter den Linden

14 Unter den Linden 36, vor dem ZDF-Hauptstadtstudio

15 Unter den Linden 74, vor Madame Tussauds Berlin

16 Brandenburger Tor, Ebertstraße

17 Reichstag, Scheidemannstraße

18 Haus der Kulturen der Welt / John-Foster-Dulles-Allee

19 Hauptbahnhof /Washingtonplatz

20 Schloss Bellevue, Spreeweg / Siegessäule / Tiergarten

21 Bikini Haus, Budapester Str. 38-50

22 Bahnhof Zoo, Hardenbergplatz, hinter dem Taxistand“

ist bereits ersichtlich, dass es insbesondere in Berlin-Tiergarten und -Mitte kaum Möglichkeiten gibt, die Route zu variieren. Hier sind etwa die Strecken vom Potsdamer Platz bis zum Checkpoint Charlie sowie vom Neptunbrunnen bis zum Haus der Kulturen der Welt stadt- und verkehrsplanerisch vorgegeben. Darüber hinaus ist auf der Internetseite der Klägerin unter https://t.de/route/ zur Orientierung für die Gäste eine Route vorgegeben. Dass der Beigeladene zu 1 hiervon bei jeder Tour abgewichen wäre, widerspricht dem gesunden Menschenverstand, zumal Limitierungen aufgrund des Raumbedarfs des Busses auf der Straße zu beachten und zuvor stets eine Absprache mit dem Busfahrer erforderlich ist. Letzterer – und nicht der Beigeladene zu 1 - ist letztlich auch als die erfahrene Person anzusehen, die einen Überblick über die für Busse gängigen Routen und aktuelle Straßensperrungen hat. Soweit der Beigeladene zu 1 angegeben hat, die Route habe wegen Demonstrationen oft variiert werden müssen, sind diese Routenabweichungen nicht Ausfluss der eigenständigen Gestaltung der Fahrstrecke, sondern bedingt durch äußere Umstände.

 

Soweit die Klägerin im Weiteren vorträgt, der Beigeladene zu 1 sei auch in der Gestaltung seiner Arbeitszeit – anders als abhängig beschäftigte Mitarbeiter – frei gewesen und habe diese Freiheit insbesondere zur Ausübung seiner unstreitig freiberuflichen Stadtführertätigkeit bzw. zur Verknüpfung jener Tätigkeit mit der Tätigkeit bei der Klägerin genutzt, so kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Insbesondere bieten weder die vom Beigeladenen zu 1 vorgelegten Rechnungen noch seine Einlassungen zur Frage einer Verknüpfung der verschiedenen Tätigkeiten hierzu irgendwelche Anhaltspunkte. Die von der Klägerin in Bezug genommenen Rechnungen 426, 479 und 481 geben hierfür nichts her. Zwar sind gewisse Variationen der Anfangszeiten erkennbar in allen Rechnungen (zwischen 9:13 Uhr und 9:47 Uhr). Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Anfangszeit abhängig ist von der eingeteilten Tour. Wie sich dem im Verwaltungsverfahren vorgelegten Einsatzplan entnehmen lässt, fangen die Touren – je nachdem, an welcher Haltestelle die erste Tour morgens beginnt – zu unterschiedlichen Uhrzeiten an. Darüber hinaus ist es erforderlich, einige Minuten vorher vor Ort zu sein. Mit den unterschiedlichen Anfangszeiten korrespondieren zwangsläufig verschiedene Zeitpunkte, zu denen die Touren enden. Auch führen die Verkehrsbedingungen zu Verschiebungen in den Endzeiten. Ferner ergeben sich Unterschiede nach den Jahreszeiten, wie auch der Beigeladene zu 1 vor Gericht angegeben hat. Während im Sommer fünf Touren hintereinander mit Pausen gefahren werden, sind es im Wintern vier Touren. Dies spiegelt sich in den Rechnungen wider. So enden die Touren in den Herbst-/Wintermonaten meistens zwischen 17 Uhr und 17:15 Uhr, während sie im Frühjahr / Sommer bis 18:50 / 19:10 Uhr dauern. Soweit in der Rechnung 479 für den 9. Und 12. September 2020 Touren bis jeweils 16:50 Uhr abgerechnet wurden (ebenso wie in den Rechnungen 475 am 11. Juli 2020 und 481 am 6. Oktober 2020) besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass dies auf einer freien Entscheidung des Beigeladenen zu 1 beruht. Dies wäre auch verwunderlich, denn dann hätte der Gästeführer während der laufenden Tour seitens der Klägerin ersetzt werden müssen. Auffällig sind Endzeitpunkte am 2. Mai 2020 am 12:35 Uhr sowie am 6. Juni 2020 um 15:22 Uhr (jeweils Rechnung 456), dies beruht jedoch ausweislich der Vermerke auf den Rechnungen auf Problemen mit den Fahrzeugen. Zu einem weiteren sehr frühen Tourende für den Beigeladenen zu 1 kam es am 3. August 2020 (Rechnung 469). Hier spricht die Wahrscheinlichkeit ebenso für einen Abbruch wegen Fahrzeugproblemen.

 

Der Beigeladene zu 1 hat auch die Behauptungen der Klägerin, er würde die Bustouren mit eigenen Stadtführungen verknüpfen, indem er Bustouren zur Fuß fortsetze, nicht bestätigt. Auf explizite Nachfrage in dem Termin zur Erörterung am 29. April 2022 hat er lediglich angegeben, er habe Kunden, die sich über seine Webseite gemeldet hätten, auf die Bustouren hingewiesen und ebenso ggf. während der Bustouren auf seine eigenen Stadtführungen. Eine unmittelbare Verknüpfung dürfte schon praktisch kaum möglich gewesen sein. Schließlich musste der Beigeladene zu 1 bis zum Ende der letzten Tour fahren und dann war es regelmäßig spät, im Winter darüber hinaus dunkel. Dass er die Tätigkeit für die Klägerin also (lediglich) als Ausfluss bzw. Erweiterung seiner unstreitig selbstständigen Tätigkeit als Stadtführer für individuelle Stadtrundgänge genutzt hätte, ist danach nicht ersichtlich.

 

Für eine Beschäftigung spricht aber im Streitfall – trotz der Freiheiten bei der Moderation der Tour - maßgeblich die Eingliederung des Beigeladenen zu 1 in die betriebliche Arbeitsorganisation der Klägerin. Die Eingliederung in einen Betrieb ist ein gesetzlicher Anhaltspunkt zur Abgrenzung von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Entscheidend ist hierbei, ob der Mitarbeiter Glied eines fremden Betriebes ist oder im Mittelpunkt des eigenen Unternehmens steht (vgl. BSG, Urteil vom 28. Januar 1960 – 3 RK 49/56BSGE 11, 257, 260).

 

Die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV genannten Merkmale der Weisungsgebundenheit und Eingliederung in den Betrieb stehen weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen. Vielmehr kommt dem Kriterium der Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Betriebs gerade in solchen Fällen eine eigenständige Bedeutung zu, in denen – wie typischerweise bei hochqualifizierten oder spezialisierten Dienstnehmern – die Weisungsgebundenheit auf stärkste eingeschränkt und zur „funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juli 2021 – L 4 BA 75/20 – juris, Rn. 79; Segebrecht in: Schlegel/Voelzke, jurisPK, Stand: September 2021, § 7 SGB IV, Rn. 89 f.). Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind sämtliche, auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentliche-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise „in der Natur der Sache“ liegen. Ihnen ist nach der Rechtsprechung des BSG zwar nicht zwingend eine entscheidende Indizwirkung für eine abhängige Beschäftigung beizumessen (vgl. BSG Urteil vom 14. März 2018 – B 12 KR 3/17 R – juris Rn15); umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung aber auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil sich bestimmte Weisungsrechte oder Vorgaben aus der Eigenart der Tätigkeit ergeben oder ihr innewohnen (BSG, Urteile vom 27. April 2021 – B 12 R 16/19 R – juris Rn. 15 und – B 12 KR 27/19 R – juris Rn. 15).

 

Ebenso wie das SG misst der Senat für die wertende Zuordnung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 dem Umstand, dass sich dessen Tätigkeit in ein weitgehend und vergleichsweise eng von der Klägerin vorgegebenes organisatorisches Gefüge einzuordnen hatte, eine entscheidende Bedeutung zu. Der Beigeladene zu 1 war gerade nicht im Einsatz für die Betreuung verschiedener Gruppentouren, für die individuelle Touren mit einem individuellen Zeitplan zusammengestellt wurden. Der Beigeladene zu 1 begleitete vielmehr Serien regelmäßig für zufällige Teilnehmer nach einem festen Fahrplan mit im Wesentlichen vorgegebenen Routen und Zwischenstationen angebotener Stadtrundfahrten im Sinne von Hop on / Hop off Stadtrundfahrten. Die Planung dieser Touren oblag nicht dem Beigeladenen zu 1, sondern ergab sich aus dem Programm der Klägerin. Diese übernahm auch das Marketing und den Ticketverkauf. Darüber hinaus stellte sie die wesentlichen Arbeitsmittel. Zwar trug der Beigeladene zu 1 bei der Ausübung der Tätigkeit für die Klägerin keine Firmenkleidung. Aus Sicht der Fahrgäste und Dritter stellte sich seine Leistung (informierende und unterhaltende Erklärungen) aber nicht etwa als diejenige eines selbständigen Reiseführers, sondern als Teil der bei der Klägerin zu erwerbenden Gesamtleistung dar, zumal er sich nur auf konkrete Nachfrage als selbstständiger Stadtführer vorstellte. Es ist im Übrigen davon auszugehen, dass es von entscheidender Bedeutung für die Kunden bzw. Gäste der Klägerin war, sich auf einen bestimmten Tourverlauf und die damit verbundene Präsentation bestimmter Sehenswürdigkeiten verlassen zu können.

 

Dass der Inhalt der Erläuterungen des Beigeladenen zu 1 als Gästeführer von der Klägerin nicht vorgegeben war, sondern vielmehr dessen Gestaltungsfreiheit unterlag, führt nicht etwa dazu, dass sich die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als insgesamt weisungsfrei und damit selbständig darstellt. Die Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers kann nach der zutreffenden, ständigen Rechtsprechung des BSG – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein (vgl. zuletzt BSG, Urteile vom 29. März 2022 – B 12 R 2/20 R – und vom 19. Oktober 2021 – B 12 R 10/20 R – jeweils juris). Für ein attraktives Angebot erscheint es geradezu unabdingbar, dass durch die Gästeführer ein individuelles und anregendes Programm geboten und nicht etwa ein Standardvortrag „abgespult“ wird, was letztlich ebenso gut (und kostengünstiger) durch das Abspielen eines Tonbandes erfolgen könnte. Die freie Gestaltung des Vortrags stellt sich daher als Teil der von dem Beigeladenen zu 1 geschuldeten Leistung, nicht jedoch als Ausdruck von Weisungsfreiheit dar (so auch: LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. September 2022 – L 4 BA 9/20 – juris Rn. 40).

 

Der Beigeladene zu 1 war in seiner Tätigkeit für die Klägerin auch keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt. Allein der Umstand, dass er keinen Anspruch darauf hatte, von der Klägerin weiter beauftragt zu werden, begründete ein solches Risiko nicht. Denn das Risiko, nicht wie gewünscht arbeiten zu können, weil kein Folgeauftrag angeboten wird, stellt kein spezifisches Unternehmerrisiko dar, sondern eines, das auch jeden Arbeitnehmer trifft, der nur Zeitverträge bekommt oder auf Abruf arbeitet und nach Stunden bezahlt wird oder unständig Beschäftigte ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteilt vom 16. Juli 2021 - L 4 BA 75/20 – juris Rn. 81). Das (allgemeine) Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft nicht verwerten zu können, ist insofern für die Frage des Status in der konkreten Tätigkeit irrelevant (BSG, Urteile vom 4. Juni 2019 – B 12 R 10/18 R – juris Rn. 37 und 18. November 2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 36). Es kommt hierfür vielmehr nur auf die typischen Risiken einer Selbständigkeit, aber auch deren höhere Chancen innerhalb der konkret zu beurteilenden Tätigkeit an. Maßgebliches Kriterium für ein solches, typisches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss ist (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R – juris, Rn. 25; BSG, Urteil vom 25. April 2012 – B 12 KR 24/10 R – juris, Rn. 29 m.w.N.). Vorliegend trug der Beigeladene zu 1 kein relevantes Verlustrisiko. Er setzte außer dem Mikrofonschutz keine eigenen Arbeits-/Betriebsmittel ein. Er beschäftigte kein eigenes Personal, sondern erbrachte die Leistungen nur in eigener Person. Er unterhielt auch keine Betriebsstätte. Eine Webseite stellt keine Betriebsstätte i.S.v. § 12 Abgabenordnung (AO) dar. Ein relevantes Unternehmerrisiko bestand insoweit nicht. Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich bei der Tätigkeit als Gästeführer um eine reine Dienstleistung handelt, die keinen nennenswerten Kapitaleinsatz oder aufwändige Betriebsmittel erfordert, sondern durch den Einsatz von Arbeitskraft geprägt ist, ergibt sich nichts Anderes. Das Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Klägerin als unmittelbarer Vertragspartner des Beigeladenen zu 1 hat auch ein Arbeitnehmer im Grundsatz zu tragen. Zwar hätte der Beigeladene zu 1 alleine das Risiko des Ausfalls seiner Arbeitskraft getragen ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, auf bezahlten Urlaub oder auf Leistungen aus der Sozialversicherung. Bei diesen Tatsachen handelt es sich jedoch nicht um Umstände, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses und der Tätigkeit prägen, sondern um solche, die sich als Rechtsfolge ergeben, wenn keine abhängige Beschäftigung ausgeübt werden soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.01.2001 - B 12 KR 17/00 R - juris Rn. 24). Für den Beigeladenen zu 1 bestand anderseits auch nicht die Chance, im Rahmen der Tätigkeit für die Klägerin seine Geschäftstätigkeit zu erweitern und seine Verdienstmöglichkeiten dadurch zu erhöhen. Auch die Vereinbarung von Tagespauschalen eröffnete dem Beigeladenen zu 1 keine Möglichkeiten, seine Verdienstchancen in relevantem Umfang zu steigern, denn der zeitliche Rahmen der Tätigkeit war im Wesentlichen vorgegeben durch Art, Zeitpunkt und Dauer der konkreten Touren. Im Übrigen rechnete er für seine Tätigkeit gegenüber der Klägerin an der Länge der Arbeitszeit ausgerichtete Tagespauschalen (grob zwischen 105 und 135 €) und keine „Erfolgshonorare“ ab.

 

Für eine Selbstständigkeit spricht auch nicht entscheidend, dass der Beigeladene zu 1 neben der Klägerin für mehrere andere Auftraggeber tätig war. Denn zum einen ist – wie dargestellt – für die Statusbeurteilung der konkreten Tätigkeit auf den jeweiligen Einzelauftrag und nicht auf die außerhalb dieses Auftrags bestehenden Verhältnisse abzustellen (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019 – B 12 R 10/18 R – juris Rn. 40). Der konkrete Auftrag kann jedoch unabhängig von der Anzahl und Rechtsnatur weiterer Tätigkeiten als Beschäftigung zu qualifizieren sein. Denn das Sozialversicherungsrecht ordnet Versicherungspflicht nicht nur für dauerhafte Vollzeitbeschäftigungen an, sondern erstreckt diese auch auf befristete Teilzeitbeschäftigungen. Zum anderen ist eine Tätigkeit für mehrere Auftraggeber auch kein Spezifikum einer selbständigen Tätigkeit, sondern kommt in gleicher Weise auch bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern vor, die nebeneinander mehrere Beschäftigungen bei verschiedenen Arbeitgebern oder neben ihrer Teilzeitbeschäftigung eine selbstständige Tätigkeit ausüben. Auch das Fehlen eines Wettbewerbsverbots ist insoweit kein zuverlässiges Indiz für Selbstständigkeit, da auch Arbeitnehmer mehrere Arbeitsverhältnisse bei verschiedenen Arbeitgebern in derselben Branche nebeneinander haben können.

 

Zutreffend hat die Beklagte dann die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt. Besondere Umstände, welche auf Versicherungsfreiheit hindeuten würden, sind nicht erkennbar und auch nicht geltend gemacht.

 

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 197a SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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