L 7 KA 56/19

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 1 KA 145/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 56/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

 

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger aufgrund von Praxisbesonderheiten ein höheres Honorar für die Quartale I bis IV 2016 zu gewähren hat.

 

Der Kläger ist als Facharzt für Augenheilkunde an den Standorten S und L jeweils mit einem halben Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er hat einen operativen Praxisschwerpunkt.

 

Für die augenchirurgische Versorgung in Brandenburg schloss die Augenärztegenossenschaft Brandenburg e.G. mit den Krankenkassen Verträge zur integrierten Versorgung (IV-Verträge) ab, über welche der Kläger ambulante Operationen direkt mit den Krankenkassen abrechnen kann, z.B. Katarakt (Grauer Star)-Operationen gegenüber der AOK.

 

Vor und nach einer Augenoperation sind engmaschige binokulare Untersuchungen des gesamten Augenhintergrundes in Mydriasis (Weitstellung der Pupille) erforderlich, die bis zum 28. postoperativen Tag in der in den IV-Verträgen geregelten Vergütung enthalten sind. Abgesehen davon sind diese – auch im nichtoperativen Bereich üblichen – Augenhintergrunduntersuchungen im vertragsärztlichen Vergütungssystem über die Gebührenordnungsposition (GOP) 06333 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) abzurechnen.

 

Für das Jahr 2016 ergingen für den Standort Stahnsdorf folgende Honorarbescheide, mit der u.a. die GOP 06333 wie folgt vergütet wurde:

 

Quartal

I/2016

II/2016

III/2016

IV/2016

Honorarbescheid

28.07.2016

27.10.2016

26.01.2017

27.04.2017

Bruttohonorar

98.785,33 €

102.446,61 €

90.991,04 €

83.857,42 €

Anzahl abgerechneter GOP 06333

2.783

2.988

2.624

2.566

Wert je 06333

5,32 €

5,32 €

5,32 €

5,32 €

Abgerechnet (Quotient) (06333)

14.805,56 €

15.896,16 €

13.959,68 €

13.651,12 €

Anerkannt nach RLV (06333)

6.400,90 €

6.872,40 €

6.323,84 €

6.286,70 €

Überschreitung RLV (06333)

8.404,66 €

9.023,76 €

7.635,84 €

7.364,42 €

Überschreitung quotiert (06333)

3.673,56 €

2.061,72 €

3.175,04 €

3.361,46 €

Vergütung insgesamt (06333)

10.074,46 €

8.934,12 €

9.498,88 €

9.648,16 €

Differenz

4.731,10 €

6.962,04 €

4.460,80 €

4.002,96 €

 

Gegen diese Bescheide legte der Kläger jeweils Widersprüche ein mit der Bitte um Prüfung von Praxisbesonderheiten. Im Vergleich zu den nicht operativ tätigen Augenärzten müsse er die GOP 06333 aufgrund seines operativen Praxisschwerpunktes sehr viel häufiger abrechnen. Eine gesonderte Arztgruppe der operativ tätigen Augenärzte gebe es im Rahmen der Zuweisung des Regelleistungsvolumens (RLV) nicht.

 

Die Beklagte wies sämtliche Widersprüche durch den Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 2017 zurück. Bei der binokularen Untersuchung handele es sich um eine augenarzttypische Leistung. Daher liege keine Praxisbesonderheit vor.

 

Hiergegen hat der Kläger am 30. November 2017 Klage erhoben. Die erhöhte Abrechnungshäufigkeit des GOP 06333 hänge mit den speziellen Leistungen in Form von ambulanten Operationen zusammen, die eine besondere Praxisausstattung erforderten. Nur ca. 5 % der in Brandenburg zugelassenen Augenärzte würden intraoculare Operationen wie z.B. die Katarakt-Operationen erbringen. In den streitigen Quartalen entfalle beim Kläger ein überwiegender Anteil der Gesamtvergütung auf ambulante Operationen (I/2016: 55 %, II/2016: 61 %, III/2016: 50 %, IV/2016: 49 %). Er erbringe an beiden Standorten insgesamt ca. 3.000 Operationen jährlich und versorge damit im Rahmen der Nachsorge das ca. 10-fache eines durchschnittlichen, nicht-operativ tätigen Augenarztes. Dass der Kläger überwiegend operativ tätig werde, lasse sich nicht anhand der Fallzahlen ablesen, da die Abrechnung und Vergütung aufgrund des IV-Vertrags nicht gegenüber der Beklagten erfolge, sondern direkt mit den Krankenkassen durchgeführt werde. Die Vergütung über den IV-Vertrag umfasse aber nur die Operation selbst und die erforderlichen Nachuntersuchungen bis zum 21. postoperativen Tag. Auch nach dem 28. Tag seien Nachuntersuchungen aber wegen eines erhöhten Risikos der Netzhautablösung, der intraokularen Entzündung des Glaskörpers und einer Augenvenenthrombose häufiger erforderlich.

 

Mit Urteil vom 16. Oktober 2019 hat das Sozialgericht Potsdam die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine Anerkennung von Praxisbesonderheiten sei von der Beklagten zu Recht abgelehnt worden. Die Regelung des § 14 Abs. 3 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) sei nicht zu beanstanden und auch sachgerecht. Die GOP 06333 sei nicht als eine spezialisierte Leistung der Arztgruppe des Klägers anzusehen. Als Praxisbesonderheiten anzuerkennende Leistungen zeichneten sich dadurch aus, dass es sich um Leistungen einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung handele, die von derselben Arztgruppe nicht in dem Umfang erbracht werde. Der HVM fordere eine im Vergleich zum Durchschnitt der Arztgruppe mindestens 50%ige Überschreitung. Das bedeute, dass nicht allein der Schwerpunkt der Tätigkeit eines Arztes zur Anerkennung einer Praxisbesonderheit führen könne. Es dürfe sich vielmehr nicht um typische, zum Kern der Leistungen der jeweiligen Arztgruppe gehörende Leistungen handeln. Allein ein „Mehr“ bzw. eine besondere Häufigkeit der Abrechnung fachgruppentypischer Leistungen genüge nicht. Es müssten im besonderen Maße spezielle Leistungen erbracht werden, wobei es sich typischerweise um arztgruppenübergreifend erbrachte spezielle Leistungen handele, die eine besondere (Zusatz)-Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erforderten. Arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen erbringe der Kläger nicht. Eine untypische Praxisausrichtung liege nicht vor. Bei der GOP 06333 handele es sich nicht um Leistungen einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung. Die GOP sei im Kapitel III (arztgruppenspezifische GOP) unter 6. Augenärztliche GOP geregelt, weshalb davon auszugehen sei, dass diese Leistung zum wesentlichen Spektrum eines niedergelassenen Augenarztes gehöre. Die GOP 06333 werde von der gesamten Arztgruppe des Klägers erbracht und abgerechnet, auch von den nur konservativ tätigen Augenärzten. Dass die GOP im Zusammenhang mit den durchgeführten Operationen stünden, reiche zur Begründung einer Praxisbesonderheit nicht aus. Es sei die Entscheidung des Klägers, überwiegend operativ tätig zu sein. Bei dieser Praxisausrichtung handele es sich auch nicht um eine Besonderheit innerhalb seiner Arztgruppe. Die Praxisbesonderheit setze nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass eine Praxis eine untypische Ausrichtung aufweise, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl habe (Urteil vom 26. Juni 2019, B 6 KA 1/18 R). Dies sei zu verneinen, da ein Großteil der niedergelassenen Augenärzte in Brandenburg operativ tätig sei und wie der Kläger am IV-Vertrag teilnehme, etwa bei Katarakt-Operationen. Zudem überschreite der Kläger durch die Operationen alleine nicht das Regelleistungsvolumen. Das Bestehen des IV-Vertrags könnte zwar für einen besonderen Versorgungsbedarf sprechen, allerdings werde dieser auch außerbudgetär vergütet. Der Kläger könne die im Rahmen der Teilnahme am IV-Vertrag zur Durchführung ambulanter Operationen erbrachten Leistungen nicht, soweit dort nicht vergütet, gegenüber der Beklagten geltend machen.

 

Gegen das ihm am 22. Oktober 2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 21. November 2019 Berufung eingelegt. Er trägt vor, dass zwar richtig sei, dass es sich bei der binokularen Untersuchung nach der GOP 06333 um eine allgemeine Leistung handele, die sowohl von operativen als auch von konservativ tätigen Augenärzten erbracht werde. Die Tatsache, dass die Leistung zu den augenarzttypischen Untersuchungen zähle, schließe allerdings nicht die Berücksichtigung im Rahmen von Praxisbesonderheiten aus. Entscheidend sei nicht, ob es sich um eine arztgruppentypische Leistung handele, sondern ob sie auf speziellen Leistungen beruhe. Auch der Rechtsprechung des BSG sei nicht zu entnehmen, dass das Merkmal „fachgruppentypisch“ einer Erhöhung des RLV entgegenstehe (Urteil vom 26. Juni 2019, B 6 KA 1/18 R). Die erhöhte Abrechnungshäufigkeit des GOP 06333 hänge mit den speziellen Leistungen in Form von Operationen zusammen. Ambulante Operationen am Auge erforderten eine besondere Praxisausstattung. Das Sozialgericht habe angenommen, dass ein Großteil der niedergelassenen Augenärzte in Brandenburg operativ tätig sei und am IV-Vertrag teilnehme, ohne anzugeben, auf welcher Grundlage es zu dieser Feststellung komme. Der Umstand, wie hoch der Anteil der zur Fachgruppe gehörenden Ärzte sei, der die Leistung ebenfalls abrechne, sei aber nach der Rechtsprechung des BSG besonders zu würdigen (Urteil vom 26. Juni 2019, B 6 KA 1/18 R). Die operative Tätigkeit in der Augenheilkunde erfordere eine besondere Praxisausstattung, was als Nachweis einer besonderen Praxisausrichtung zu werten sei. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen den spezialisierten Leistungen und der RLV-relevanten Leistungserbringung, der auch nicht dadurch ausgeschlossen sei, dass die operativen Hauptleistungen außerbudgetär vergütet würden. Dass der Kläger sich selber dazu entschieden habe, überwiegend operativ tätig zu sein, sei unerheblich bei der Prüfung der Praxisbesonderheiten.

 

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 16. Oktober 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Honorarbescheide vom 28. Juli 2016, vom 27. Oktober 2016, vom 26. Januar 2017 und vom 27. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2017 zu verurteilen, über den Honoraranspruchs des Klägers für die Quartale I-IV/2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

 

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie trägt vor, die Augenhintergrunduntersuchung nach GOP 06333 gehöre zum normalen Leistungsspektrum der Fachärzte für Augenheilkunde. Im Quartal I/2016 hätten beispielsweise von 193 Fachärzten für Augenheilkunde 178 diese GOP erbracht und abgerechnet. Der Umstand, dass der Kläger eine fachgruppentypische Leistung besonders häufig abrechne, lasse nicht auf einen besonderen Versorgungsbedarf schließen. Es käme der Zuerkennung eines Individualvolumens gleich, wenn ein individuell höherer Anteil an einzelnen vertragsärztlichen Leistungen, die zum Kern des Fachgebietes gehörten, zu einem Anspruch auf individuelle Anhebung des RLV führen würde. Die GOP 06333 mutiere auch nicht dadurch zu einer Praxisbesonderheit, dass sie im Zusammenhang mit den außerbudgetär zu vergütenden ambulanten OPs stehe. Denn es stehe dem System der vertragsärztlichen Vergütung durch RLV entgegen, wenn ein Teil der Fachgruppe ausschließlich die niedriger bewerteten Leistungen erbringe und abrechne, während ein anderer Teil ausschließlich hoch bewertete Leistungen erbringe und dafür eine individuelle Erhöhung des RLV erhalten würde. Es sei außerdem fraglich, ob im Zusammenhang mit Leistungen aus IV-Verträgen entstehende Mehrleistungen überhaupt im Rahmen der regulären Honorarverteilung als Praxisbesonderheit zu werten sein könnten. Es widerspräche der Honorarverteilungsgerechtigkeit, wenn der Kläger die Vorteile aus dem IV-Vertrag genießen und darüber hinaus noch Honorarvolumen zulasten der anderen Augenärzte in Anspruch nehmen könne. Zudem müsse die abweichende Praxisausrichtung messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktezahl haben. Da die fraglichen operativen Leistungen überwiegend außerbudgetär vergütet würden, sei der Einfluss der operativen Tätigkeit des Klägers auf sein RLV nicht messbar.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg. Streitgegenstand sind die Honorarbescheide der Beklagten vom 28. Juli 2016, vom 27. Oktober 2016, vom 26. Januar 2017 und vom 27. April 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Oktober 2017.

 

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Form einer Neubescheidungsklage (§ 54 Abs. 1, § 131 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) statthafte Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die streitigen Honorarbescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat das RLV/QZV des Klägers in den streitigen Quartalen I-IV/2016 rechtlich beanstandungsfrei ohne die Anerkennung der vorliegend geltend gemachten Praxisbesonderheit festgesetzt.

Gesetzliche Grundlage der hier anzuwendenden Verteilungsregelungen ist § 87b Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Fassung vom 10. Dezember 2015. Nach dieser Vorschrift verteilt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) die vereinbarten Gesamtvergütungen an die Ärzte, Psychotherapeuten, medizinischen Versorgungszentren sowie ermächtigten Einrichtungen, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung (Abs. 1 S. 1). Sie wendet dabei den Verteilungsmaßstab an, der im Benehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen festgesetzt worden ist (Abs. 1 S. 2). Bei der Verteilung war demnach der HVM der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) anzuwenden.

 

Nach § 14 Abs. 3 S. 1 und 2 HVM in den ab dem 1. Januar 2016, 1. Juli 2016 und 1. Oktober 2016 geltenden und insoweit wortgleichen Fassungen erfolgt die Anerkennung von abweichenden Praxisbesonderheiten im RLV im Widerspruchsverfahren gegen den Honorarbescheid. Von „Praxisbesonderheiten“ wird ausgegangen

  • bei einer um mindestens 10 Prozentpunkte höheren Überschreitung des Volumens aus RLV und QZV als im Durchschnitt des jeweiligen Versorgungsbereichs sowie
  • einer Überschreitung des Fallwertes der Arztgruppe des Arztes lt. Anlage 1 um mindestens 15 % im Widerspruchsquartal aufgrund einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung und
  • unter der Voraussetzung, dass der jeweilige Anteil spezialisierter im RLV enthaltener Leistungen gemessen am arztindividuellen Fallwert größer als 15% ist und sich im Vergleich zur Arztgruppe eine Überschreitung von mindestens 50% ergibt.

Weiter heißt es in § 14 Abs. 3 S. 3 bis 5 HVM: „In diesen Fällen kann der Fallwert für die Berechnung des RLV angehoben werden. Die Erhöhung erfolgt um den Anteil der Überschreitung des normativen Fallwertes, für den die Spezialisierung des Arztes gegenüber der Arztgruppe ursächlich ist. Als spezialisierte Leistungen gelten nicht regelmäßig in erheblichem Umfang in der Arztgruppe durchgeführte Leistungen.“

 

Die Voraussetzungen für eine Praxisbesonderheit sind nicht erfüllt, da die (unstreitige) Überschreitung des Fallwertes der Arztgruppe des Arztes lt. Anlage 1 um mindestens 15 % im Widerspruchsquartal nicht aufgrund einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung erfolgte. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass die Augenhintergrunduntersuchung nach GOP 06333 eine allgemeine Leistung darstellt, die sowohl von operativen als auch von konservativ tätigen Augenärzten durchgeführt wird. Betrachtet man allein diese Leistung, ist nicht von einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung im Sinne des § 14 Abs. 3 HVM auszugehen. Anderes trägt auch der Kläger nicht vor.

 

Die Augenhintergrunduntersuchung wird nach der Überzeugung des Senats aber auch nicht durch die operative Praxisausrichtung des Klägers zu einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung. Denn diesbezüglich fehlt es an der Verknüpfung der Überschreitung des Fallwertes mit der Spezialisierung. § 14 Abs. 3 HVM sieht vor, dass die Überschreitung des Fallwertes aufgrund der Spezialisierung erfolgt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) muss die Überschreitung des praxisindividuellen RLV „darauf beruhen“, dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden, und zwar typischerweise arztgruppenübergreifend erbrachte spezielle Leistungen, die typischerweise eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern (Urteil vom 29. Juni 2011, B 6 KA 19/10 R, zitiert nach juris, Rn. 22; s.a. Urteil vom 26. Juni 2019, B 6 KA 1/18 R, zitiert nach juris, Rn. 19: „besonders hoher Anteil der in einem speziellen Leistungsbereich abgerechneten Punkte“). Der Kläger macht geltend, er sei durch die operative Praxisausrichtung spezialisiert. Allerdings begründet er die Praxisbesonderheit nicht mit einer vermehrten Abrechnung der operativen Leistungen, da diese außerbudgetär vergütet werden, sondern mit den postoperativ vermehrt anfallenden binokularen Untersuchungen. Diese Untersuchungen werden bis zum 28. postoperativen Tag von der außerbudgetären Vergütung über die IV-Verträge mitumfasst. Die Vertragsparteien der IV-Verträge sehen einen vergütungsrelevanten Zusammenhang zwischen OP und Nachsorgeuntersuchungen demnach bis zum 28. postoperativen Tag.

 

Soweit der Kläger die Überschreitung des RLV mit den ab Tag 29 vorgenommenen binokularen Untersuchungen begründet, ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Überschreitung darauf „beruht“, dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden, die eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern. Die Leitlinie Nr. 19a (Operation der Katarakt im Erwachsenenalter) des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands e.V. empfiehlt postoperativ eine Kontrolluntersuchung am ersten postoperativen Tag durch den Operateur oder den augenärztlichen Zuweiser sowie „weitere postoperative augenärztliche Kontrollen in den ersten Tagen und Wochen je nach OP und Verlauf, bei Komplikationen kurzfristig“. Weiter heißt es, dass sich Art und Umfang der postoperativen Untersuchung nach dem klinischen Befund richteten, wozu u.a. auch eine Untersuchung des Augenhintergrundes in Mydriasis einschließlich der Peripherie gehöre. Das entspricht auch den Ausführungen von Kohnen u.a. in der Übersichtsarbeit „Kataraktchirurgie mit Implantation einer Kunstlinse“ (Dtsch. Ärztebl. Int 2009; 106 [43]: 695-702); danach besteht die „postoperative Nachsorge (…) in der Regel in einer Tages-, einer Wochen- und einer Monatskontrolle“. 

 

Der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, dass er Augenhintergrunduntersuchungen postoperativ auch nach Ablauf von vier Wochen zur Kontrolle in besonderer Häufigkeit vornehme, spiegelt sich nicht in den Leitlinien, sondern deutet nur auf eine individuell bezweckte Leistungsmengenausweitung, die keine Praxisbesonderheit begründen kann. Es handelt sich damit bei den ab dem 29. postoperativen Tag vorgenommenen binokularen Untersuchungen um schlicht augenarzttypische Leistungen.

 

Selbst wenn man in dem operativen Praxisschwerpunkt eine Spezialisierung im Sinne des § 14 Abs. 3 HVM und auch die RLV-Überschreitung der binokularen Untersuchungen als von diesem Schwerpunkt mit umfasst sehen würde, führte das nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn der Senat folgt den Ausführungen des Sozialgerichts, dass Leistungen, die im Rahmen der über den IV-Vertrag außerbudgetär vergüteten ambulanten Operationen erbracht werden und von der außerbudgetären Vergütung nicht vollständig abgegolten sind, nicht im Übrigen als Praxisbesonderheit gegenüber der Beklagten geltend gemacht werden können (vgl. auch Urteil des Senats vom 9. Februar 2022, L 7 KA 10/18, zitiert nach juris, dort Rn. 65: keine Praxisbesonderheit allein aufgrund der Teilnahme an der Sozialpsychiatrie-Vereinbarung). Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Sachprüfung diesbezüglich auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass es der Honorarverteilungsgerechtigkeit widerspräche, wenn der Kläger die Vorteile aus dem IV-Vertrag genießen und darüber hinaus Honorarvolumen zulasten der anderen Augenärzte in Anspruch nehmen könnte.

 

Es kann somit dahinstehen, ob der operative Praxisschwerpunkt des Klägers eine für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung im Sinne des § 14 Abs. 3 HVM darstellt. Daher ist nach der Überzeugung des Senats auch nicht entscheidungserheblich, wie hoch der Anteil der zur Fachgruppe gehörenden Ärzte ist, der ambulante Operationen ebenfalls abrechnet. Dahinstehen kann ebenfalls, ob der Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktezahl messbar ist.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 VwGO.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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