L 7 AS 3508/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 28 AS 1678/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AS 3508/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. September 2021 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat ein Fünftel der außergerichtlichen Kosten der Kläger in beiden Instanzen zu erstatten.



Tatbestand

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum August 2016 bis Januar 2017 unter Berücksichtigung eines höheren Regelbedarfs sowie von Mehrbedarfen.

Die 1966 bzw. 1967 geborenen, verheirateten Kläger wohnen in einer im Eigentum der Klägerin zu Ziff. 1 stehenden Eigentumswohnung mit ca. 50 m² Wohnfläche, welche noch mit einem Immobilienkredit belastet ist. Die Kläger, bei denen keine Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt ist, sind selbständig tätig, erzielen hieraus – wie auch im Übrigen – jedoch nach eigenen Angaben jedenfalls seit Mai 2010 keine Einkünfte mehr. Sie stehen und standen auch im streitgegenständlichen Zeitraum im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II in Form von Arbeitslosengeld II.

Die Beklagte gewährte den Klägern auf deren Antrag vom 18. Juli 2016 mit dem Bescheid vom 21. Juli 2016 vorläufig Leistungen für die Zeit vom 1. August 2016 bis zum 31. Januar 2017 unter Berücksichtigung jeweils eines Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 2 (2016) und ohne Berücksichtigung von Mehrbedarfen (Gesamtleistungshöhe im August und den November 2016: 1.250,93 EUR, im Übrigen monatlich 945,93 EUR). Mit Änderungsbescheid vom 1. August 2016 bewilligte die Beklagte den Klägern aufgrund von Hausgeldvorauszahlungen für das Jahr 2016 sowie -nachzahlungen für den August 2016 vorläufig Leistungen mit einem Gesamtbetrag von 1.376,93 EUR und für den November 2016 in einer Höhe von 1.292,93 EUR; für die übrigen Monate des Bewilligungszeitraums August 2016 bis Januar 2017 verblieb es bei der bisherigen Leistungshöhe.

Mit Bescheid vom 25. August 2016 änderte die Beklagte die den Klägern vorläufig bewilligten Leistungen beschränkt auf den Zeitraum November 2016 bis Januar 2017 unter Einbeziehung eines gesenkten Heizkostenabschlags auf eine Höhe von 1.287,93 EUR für den November 2016 sowie von monatlich 940,93 EUR für Dezember 2016 und Januar 2017 ab.

Gegen den Bescheid vom 21. Juli 2016 legten die Kläger am Freitag, dem 26. August 2016 Widerspruch ein, gegen den Bescheid vom 1. August 2016 am 2. September 2016 und gegen den Bescheid vom 25. August 2016 am 26. September 2016. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25. August 2016 wies die Beklagte – mit einer auf einen den Zeitraum Februar bis Juli 2016 betreffenden Bescheid vom 27. Oktober 2016 bezogenen Begründung – mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2017 zurück. Über die Widersprüche gegen die Bescheide vom 21. Juli 2016 und 1. August 2016 entschied die Beklagte zunächst nicht.

Mit Bescheid vom 12. Juli 2017 erklärte die Beklagte bezüglich des Zeitraums vom 1. September 2016 bis zum 31. Januar 2017 die Bescheide vom 21. Juli 2016, 1. August 2016 und 25. August 2016 für endgültig. Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 14. August 2017 Widerspruch ein. Mit getrennten Bescheiden vom 12. Juli 2017 stellte die Beklagte den jeweiligen Leistungsanspruch der Klägerin zu Ziff. 1 und des Klägers zu Ziff. 2 für den August 2016 endgültig fest und forderte die Erstattung von sich jeweils ergebenden Überzahlungen von 136,74 EUR. Gegen diese Bescheide legten die Kläger die Widersprüche vom 13. August 2017 ein, welche die Beklagte zunächst nicht verbeschied.

Bereits am Montag, den 3. April 2017 haben die Kläger gegen den Bescheid vom 25. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2017 unter Benennung des Zeitraums 1. November 2016 bis 31. Januar 2017 Klage erhoben mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 monatlich und eines Mehrbedarfs von zumindest 50 EUR monatlich für beide der Kläger. Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 haben die Kläger insbesondere vorgetragen, dass zwar bisher der vorgenannte Bescheid mit dem angegebenen Leistungszeitraum klagegegenständlich sei, es aber grundsätzlich um den Bewilligungszeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 gehe. Gegen die zu diesem Zeitraum im Übrigen ergangenen Bescheide sei jeweils Widerspruch eingelegt worden. Die für 2017 erhöhten Regelsätze seien nicht berücksichtigt worden. Weiter haben die Kläger eine weitere Konkretisierung des geltend gemachten Anspruchs auf Mehrbedarfe angekündigt, diese ist jedoch nicht erfolgt.

In der mündlichen Verhandlung vom 28. September 2021 haben die Beteiligten einen Teilvergleich dahingehend geschlossen, dass den Klägern für den Januar 2017 jeweils der „Regelbedarf in Höhe von 368,00 [EUR] zu bezahlen“ sei, der Streitgegenstand dem Verfahren insoweit entzogen werde, jedoch der Streitgegenstand betreffend die Frage des Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 oder 2 sowie des Mehrbedarfs weiterhin anhängig sei.

Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die nunmehr auf den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 erstreckte Klage im verbliebenen Umfang abgewiesen, jedoch dabei nur den Zeitraum vom 1. September 2016 bis zum 31. Januar 2017 berücksichtigt. Die Kläger hätten in dieser Zeit keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II. Die Leistungshöhe sei seitens des Beklagten ordnungsgemäß bestimmt worden. Die Kläger hätten im streitgegenständlichen Zeitraum Anspruch auf Regelbedarfsleistungen in Höhe von 364,00 EUR (bis zum 31. Dezember 2016) beziehungsweise 368,00 EUR (ab 1. Januar 2017) pro Person gehabt. Die Festsetzung dieses Betrags begegne insbesondere auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Da das Grundgesetz selbst keine exakte Bezifferung des Anspruchs auf existenzsichernde Leistungen vorgebe, beschränke sich die materielle Kontrolle der Höhe von Sozialleistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz darauf, ob die Leistungen evident unzureichend seien (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09). Der Gesetzgeber sei durch Berücksichtigung der im September 2015 veröffentlichten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) aus dem Jahr 2013 seiner Pflicht zur Aktualisierung der Leistungsbeträge nachgekommen. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass auch in den Jahren, in welchen eine neue EVS nicht veröffentlicht wurde, fortlaufend eine Anpassung der Regelbedarfsleistungen erfolge. Auch die geringere Bemessung der Regelbedarfsleistung in der Regelbedarfsstufe 2 begegne keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Abweichung beruhe auf marktanalytischen Erhebungen, nach welchen für einen Einzelpersonenhaushalt höhere Pro-Kopf-Kosten entstünden, als für einen Mehrpersonenhaushalt. Den Klägern stehe auch kein Anspruch auf Mehrbedarfe zu. Zwar sei die Möglichkeit eines höheren Anspruchs aufgrund von Mehrbedarfen dem Regelungssystem des SGB II immanent, jedoch lägen dem Gericht keinerlei Anhaltspunkte vor, woraus sich ein Mehrbedarf der Kläger ergeben solle. Auch der letztlich von den Klägern genannte Betrag in Höhe von 50 EUR pro Person, vermöge daran nichts zu ändern. Dem Vorbringen der Kläger lasse sich weder entnehmen, aus welchen Lebensumständen sich der Mehrbedarf ergebe, ob aus diesen Umständen den Klägern tatsächlich auch höhere Kosten entstünden, noch wie sich die von den Klägern vorgebrachte Summe konkret zusammensetze.

Gegen dieses am 15. Oktober 2021 zugestellte Urteil haben die Kläger am 15. November 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Der Senat hat das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 21. Dezember 2022 im Hinblick auf die bis zu diesem Zeitpunkt nicht abgeschlossenen und den streitgegenständlichen Zeitraum betreffenden Widerspruchsverfahren ausgesetzt. Die Beklagte hat im Weiteren mit den Widerspruchsbescheiden vom 23. Dezember 2022 und 2. Januar 2023 die Widersprüche der Kläger gegen die Bescheide vom 21. Juli 2016, den Bescheid vom 1. August 2016, erneut den Bescheid vom 25. August 2016 und die Bescheide vom 12. Juli 2017 zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 20. März 2023 und vom 22. März 2023 hat die Beklagte die Aufhebung der Widerspruchsbescheide vom 2. Januar 2023 erklärt sowie der den August 2016 betreffenden Bescheide vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2023, soweit darin niedrigere Leistungen als mit dem Bescheid vom 21. Juli 2016 in der Fassung des Bescheides vom 1. August 2016 festgesetzt worden sind.

Die Kläger tragen zur Begründung der Berufung vor, die Entscheidung des SG sei unzutreffend und verletze darüber hinaus ihre Grundrechte, insbesondere hinsichtlich Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 3 Abs. 1 GG sowie das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Die Rechtsprechung des BVerfG aus den Jahren 2010 und 2014 hinsichtlich der Bedarfsstufen der Regelsatzleistungen sei durch die EVS 2018 und durch die Entscheidung des BVerfG vom 19. Oktober 2022 – 1 BvL 3/21 – faktisch überholt. Hinsichtlich der Regelsatzhöhe ergebe sich aus der EVS 2018, dass Paare in Haushalten von Arbeitslosen Mehrkosten gegenüber einem Single hätten und keine Einsparungen. Es werde hinsichtlich der bewilligten Regelsatzstufe 2 anstatt der begehrten Regelsatzstufe 1 eine Diskriminierung von Ehepaaren und Familien geltend gemacht.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. September 2021 aufzuheben, die Bescheide vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2022, hinsichtlich des August 2016 in der Fassung der Schreiben vom 20. März 2023 und 22. März 2023, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihnen für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 31. Januar 2017 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von jeweils einem monatlichen Regelbedarf nach der Regelbedarfsstufe 1 sowie Mehrbedarfen in Höhe von zumindest jeweils 50,00 EUR monatlich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG vom 28. September 2021 ist gemäß § 143 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere liegen Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Abs. 1 SGG nicht vor. Denn die Kläger haben – vor der Beschränkung der Berufung in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2022 – die Gewährung höherer Geldleistungen mit einem Wert von mehr als 750 EUR begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), indem sie für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis zum 31. Januar 2017 die Berücksichtigung eines um jeweils 40 EUR bzw. für den Januar 2017 41 EUR monatlich höheren Regelbedarfs sowie von monatlichen Mehrbedarfen von jeweils zumindest 50 EUR erstreiten wollten, wobei diese (wirtschaftlich nicht identischen) Ansprüche der Kläger als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 5 Zivilprozessordnung (ZPO) zusammenzurechnen sind (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. März 2006 – L 8 AS 4314/05 – juris Rdnr. 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, SGG § 144 Rdnr. 16).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, neben der erstinstanzlichen Entscheidung, (noch) die Bescheide vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2022 – hinsichtlich des August 2016 in der Fassung durch die Schreiben vom 20. März 2023 und 22. März 2023, mit welchen die Beklagte die diesbezüglichen Bescheide vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2022 insoweit aufgehoben hat, als mit ihnen niedrigere Leistungen als mit dem (vorläufigen) Leistungsbescheid vom 21. Juli 2016 in der Fassung des Bescheides vom 1. August 2016 festgesetzt worden sind. Die Bescheide vom 12. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 2022 sind dabei gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, da sie den vorangegangenen vorläufigen Bewilligungsbescheid vom 21. Juli 2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1. August 2016 und 25. August 2016, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2017, ersetzt und im Sinne des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt haben, ohne dass es einer Aufhebung oder Änderung dieser vorläufigen Entscheidung bedurft hätte (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 11. Juli 2019 - B 14 AS 44/18 R - juris Rdnr. 9; BSG, Urteil vom 29. April 2015 - B 14 AS 31/14 R - juris Rdnr. 11; BSG, Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 13/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr. 64 - juris Rdnr. 12; BSG, Urteil vom 26. Juli 2016 - B 4 AS 54/15 R - SozR 4-4225 § 1 Nr. 3 - juris Rdnr. 14). Einer Entscheidung über den klägerseits geltend gemachten Anspruch auf höhere Leistungen für den August 2016 im hiesigen Verfahren steht dabei nicht entgegen, dass das SG den diesbezüglichen Antrag der Kläger zwar aufgenommen, dann aber, wie aus den Entscheidungsgründen des Urteils vom 28. September 2021 ersichtlich, offenkundig versehentlich lediglich nur über den Zeitraum ab 1. September 2016 bis 31. Januar 2017 entschieden hat. Denn dieser „Prozessrest“ ist als eine Form der Klageänderung (§ 99 SGG) – jedenfalls im hier vorliegenden Einverständnis der Beteiligten – über ein Rechtmittel, hier der Berufung, des durch die Nichteinbeziehung Beschwerten in die nächste Instanz „heraufholbar“ (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R –, BSGE 97, 217-230, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, SozR 4-1500 § 123 Nr. 2, SozR 4-4200 § 7 Nr. 1, juris Rdnr. 27). Nicht mehr streitgegenständlich ist nach dem diesbezüglichen Abschluss eines Teilvergleichs in der mündlichen Verhandlung vor dem SG die (nunmehr erfolgte) Gewährung von Leistungen für den Januar 2017 unter Berücksichtigung eines jeweiligen Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 2 in der für das Jahr 2017 geltenden Höhe sowie nach der entsprechenden Aufhebungserklärung mit Schreiben vom 20. März 2023 und 22. März 2023 die ursprünglich hinsichtlich des August 2016 erhobene Erstattungsforderung der Beklagten gegen die Kläger. Schließlich ist das (verbleibende) Begehren der Kläger bei verständiger Würdigung ihres Vorbringens zuletzt dahingehend auszulegen, dass diese sich nur noch gegen die Bemessung des Regelbedarfs nebst der Berücksichtigung von Mehrbedarfen in dem vorgenannten Bewilligungszeitraum als abtrennbarem Streitgegenstand richten (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Dezember 2012 – L 3 AS 4252/11 – juris Rdnr. 15, entsprechend zu Kosten der Unterkunft und Heizung vgl. BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 37/14 R –, SozR 4-4200 § 27 Nr. 2, SozR 4-4200 § 11b Nr. 7, juris Rdnr. 12 m.w.N.).

3. Die Berufung der Kläger ist jedoch unbegründet, denn das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) der Kläger im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Gewährung von höherem Arbeitslosengeld II für den Zeitraum August 2016 bis Januar 2017 unter Berücksichtigung eines jeweiligen Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 1 sowie von Mehrbedarfen.

Die im örtlichen Zuständigkeitsbereich der sachlich zuständigen Beklagten wohnhaften Kläger haben für den genannten Bewilligungszeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Arbeitslosengeld II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, § 19 Abs. 1 und 3 SGB II, da sie die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, bei ihnen keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit (vgl. § 8 Abs. 1 SGB II) festgestellt ist und sie hilfebedürftig sind (vgl. § 9 SGB II), insbesondere verfügten sie auch in den hier maßgeblichen Zeiträumen nicht über zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes ausreichendes Einkommen oder Vermögen.

Die Beklagte hat den Klägern Arbeitslosengeld II für die Zeit von August 2016 bis einschließlich Januar 2017 (nach Abschluss des Vergleichs vom 28. September 2021) auch in zutreffender Höhe unter Berücksichtigung eines jeweiligen Regelbedarfs nach der Regelbedarfsstufe 2 von monatlich 364 EUR bzw. von 368 EUR für den Januar 2017 nach § 20 Abs. 1, 4 und Abs. 5 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011 (a.F.) in Verbindung mit § 28 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sowie der Anlage zu § 28 SGB XII gewährt.

Der von der Beklagten vorgenommene Ansatz der Regelbedarfsstufe 2 und nicht der Regelbedarfsstufe 1 zur Bemessung des Leistungsanspruchs der Kläger ist dabei zutreffend erfolgt. Denn, wie sich aus § 20 Abs. 4 und 5 SGB II a.F. i.V.m. in Verbindung mit § 28 SGB XII sowie der Anlage zu § 28 SGB XII ergibt, ist, wenn zwei Partner einer Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, als Regelbedarf für jede dieser Personen monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anzuerkennen. Diese Voraussetzungen sind bei den 1966 und 1967 geborenen, verheirateten und in einer im Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung zu Ziff. 1 zusammenlebenden Klägern erfüllt. Ein Anspruch auf die Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 steht den Klägern dagegen nicht zu, da dieser bei Personen anzuerkennen ist, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1, Abs. 4 und 5 SGB II a.F. in Verbindung mit § 28 SGB XII sowie der Anlage zu § 28 SGB XII).

Soweit die Kläger im Weiteren annehmen, dass auch die Einordnung volljähriger, eine Bedarfsgemeinschaft bildende Paare in die Regelbedarfsstufe 2 verfassungswidrig sei, teilt der Senat diese Bedenken gleichfalls nicht. Wie das BVerfG klargestellt hat, ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Regelbedarf bei Einpersonenhaushalten und damit die Regelbedarfsstufe 1 als Ausgangswert für die Festlegung der Höhe der Leistungen für den Regelbedarf auch derjenigen Erwachsenen nutzt, die mit anderen ebenfalls leistungsberechtigten Erwachsenen einen gemeinsamen Haushalt führen, also die Regelbedarfsstufe 2 für zwei erwachsene leistungsberechtigte Personen als Ehegattin und -gatte, Lebenspartnerinnen oder -partner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft. Das BVerfG hat zu dieser Frage der Bedarfsgemeinschaften bereits entschieden, dass der Bedarf einer weiteren erwachsenen Person in einer Höhe von 80 % von dem statistisch ermittelten Bedarf der Alleinstehenden abgeleitet werden darf, da die Erhebung nach Haushalten geeignet ist, den tatsächlichen Bedarf auch für solche Lebenssituationen zu ermitteln. Dementsprechend ist die Bestimmung des Regelbedarfs zusammenlebender und gemeinsam wirtschaftender Erwachsener in Höhe von 90 % des im SGB II für eine alleinstehende Person geltenden Regelbedarfs nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2014 a.a.O., Rdnr. 100). Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass durch das gemeinsame Wirtschaften Aufwendungen gespart werden und deshalb zwei zusammenlebende Partner einen im Vergleich geringeren finanziellen Mindestbedarf haben als zwei alleinwirtschaftende Personen (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 –, BVerfGE 125, 175-260, juris Rdnr. 154). Überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass sich diesbezüglich wesentliche Änderungen ergeben hätten, sind nicht ersichtlich und folgen insbesondere nicht schon daraus, dass – wie die Kläger anführen – Hintergrund statistische Erhebungen aus den 80er Jahren seien. Im Übrigen hat der als wissenschaftliche Studie durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales aufgrund der Berichtspflicht in § 10 RBEG 2011 in Auftrag gegebene Bericht der Bundesregierung über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik (BT-Drs. 17/14282, S. 25 ff.) den mit der Regelbedarfsstufe 2 angesetzten Einspareffekt bestätigt. Dem entgegenstehende tragfähige Gesichtspunkte ergeben sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus der EVS 2018, nach welcher Paare in Haushalten von Arbeitslosen höhere private Konsumausgaben, insbesondere bei Außerachtlassung von Ausgaben für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung, haben als entsprechende Alleinlebende. Denn aus dem Umstand höherer getätigter Ausgaben lässt sich noch nicht unmittelbar ein höherer Bedarf ableiten. Es ist auch nicht ersichtlich, aufgrund welcher Bedingungen ein solcher höherer Bedarf bestehen sollte. Weiter werden in der EVS Ausgaben berücksichtigt, die in der Bemessung des Regelbedarfs keinen Niederschlag finden (s. zum RBEG 2011: BT-Drs. 17/3404 S. 52 ff.). Auch bereinigt um dem Bereich der Kosten der Unterkunft und Heizung unterfallende Ausgaben scheidet daher eine unmittelbare Übertragung der Ergebnisse der EVS 2018 auf den Regelbedarf von vornherein aus. Einen hierzu schriftsätzlich angekündigten Beweisantrag haben die anwaltlich vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt (???). Ebenso ergibt sich keine andere Bewertung der vorliegenden Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 19. Oktober 2022 (1 BvL 3/21), mit welchem das BVerfG § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der Fassung vom 13. August 2019 insoweit für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hat, wie für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird. Denn das BVerfG hat mit dieser Entscheidung gerade nicht die Stichhaltigkeit und Rechtmäßigkeit der auch für Leistungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG in der vorgenannten Fassung heranzuziehenden Regelbedarfsstufe 2 nach § 28 SGB XII in Verbindung mit der Anlage zu § 28 SGB XII bemängelt, sondern (einzig) deren Heranziehung für die Leistungen an alleinstehende erwachsene Personen in Gemeinschaftsunterkünften. Hierzu hat das BVerfG ausgeführt, dass der Gesetzgeber nicht als Regelfall habe unterstellen können, dass Alleinstehende in Sammelunterkünften mit anderen Bewohnern gemeinsam wirtschafteten und dies ausdrücklich von Paarhaushalten abgegrenzt (vgl. BVerfG a.a.O. juris Rdnr. 73). Insofern erachtet es der Senat auch unter Berücksichtigung des aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden besonderen Schutzes von Ehe und Familie für – wie das BVerfG mit Nichtannahmebeschluss vom 3. Juli 2006 ausgeführt hat – verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber die Konsequenz aus der Erfahrung des täglichen Lebens zieht, dass in einer Haushaltsgemeinschaft umfassend „aus einem Topf“ gewirtschaftet wird mit der Folge, dass zwei zusammenlebende Ehegatten einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem Doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liegt (BVerfG a.a.O. – 1 BvR 2383/04 –, BVerfGK 8, 338-343, juris Rdnr. 14 m.w.N.).

Soweit die Kläger daneben die Berücksichtigung jeweiliger monatlicher Mehrbedarfe von (zumindest) 50 EUR begehren, besteht auch dieser Anspruch nicht. Mehrbedarfe umfassen nach § 21 Abs. 1 SGB II Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7 (beispielsweise bei Schwangerschaft oder für kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen), die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind. Die Kläger haben jedoch im Verlauf des seit 2017 laufenden gerichtlichen Verfahrens keine Angaben dazu gemacht, weswegen bei ihnen Mehrbedarfe zu berücksichtigen sein sollten. Diese sind von ihnen zwar der Höhe nach mit jeweils ca. 50 EUR beziffert worden, jedoch ist von ihnen diesbezüglich keine Substantiierung erfolgt und eine tatsächliche Grundlage für die Annahme von Mehrbedarfen der Kläger auch im Übrigen nicht ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten, hierbei insbesondere auch unter Berücksichtigung der Aufhebung Erstattungsforderungen bezüglich des August 201 seitens der Beklagten.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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