L 3 AL 303/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 AL 1369/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 303/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10.01.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes aufgrund der Berücksichtigung einer Prämie.
 
Der 1960 geborene Kläger war als Außendienstmitarbeiter im Vertrieb vom 01.05.2013 bis zum 30.06.2019 bei der K Vertriebsgesellschaft mbH und vom 01.07.2019 bis einschließlich 29.02.2020 bei der G-GmbH tätig. Nach Erhalt der Kündigung seines Arbeitsverhältnisses
meldete sich der Kläger am 02.12.2019 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte am 08.12.2019 Arbeitslosengeld mit Wirkung zum 01.03.2020.
 
Aus der von der K Vertriebsgesellschaft mbH vorgelegten Arbeitgeberbescheinigung ergab sich ein monatlicher Verdienst des Klägers für die Zeit vom 01.07.2018 bis zum 30.09.2018 i.H.v. monatlich 5.722,67 €, für die Zeit vom 01.10.2018 bis einschließlich 30.06.2019 i.H.v. monatlich 5.775,67 € sowie eine beitragspflichtige Einmalzahlung im Monat April 2019 i.H.v. 3.697,32 €. Laut Arbeitsbescheinigung der G-GmbH verdiente der Kläger vom 01.07.2019 bis zum 29.02.2020 monatlich 5.416,70 €.
 
Mit Bescheid vom 05.02.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag von 65,11 € für die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 28.02.2022. Der Berechnung lag ein Bemessungsentgelt von 191,62 € bei Steuerklasse IV und einem Prozentsatz von 60 % zugrunde.
 
Seinen hiergegen am 05.03.2020 erhobenen Widerspruch
begründete der Kläger unter Vorlage der jeweiligen Lohnabrechnungen damit, dass ihm bei der G-GmbH ein Dienstfahrzeug mit privater Nutzung zugestanden habe, für die in den Gehaltsabrechnungen mit 395,00 € als zusätzliche Bruttovergütung abgerechnet worden seien. Auch die von der K bescheinigte Zusatzzahlung sei nicht korrekt. Er habe im April 2019 eine Prämie i.H.v. 10.311,70 € erhalten, welche bei der Berechnung vollumfänglich zu berücksichtigen sei. Aus der Lohnabrechnung der K für April 2019 ergab sich die Prämienhöhe von 10.311,70 €. 
 
Die Beklagte berücksichtigte daraufhin aufgrund der Privatnutzung des Dienstwagens für die Zeit vom 01.07.2019 bis zum 29.02.2020 ein monatliches Gehalt i.H. von 5.811,67 € und bewilligte dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 13.05.2020 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Bemessungsentgelt von 200,26 €, einem täglichen Leistungsentgelt von 111,90 € und einem täglichen Leistungsbetrag von 67,14 € für die Zeit vom 01.03.2020 bis zum 28.02.2022.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2020 wies die Beklagte den Widerspruch im Übrigen zurück. Der Bemessungsrahmen gemäß § 150 SGB III umfasse die Zeit vom 01.03.2019 bis 29.02.2020. Das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt sei bei der Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für versicherungspflichtig Beschäftigte zu berücksichtigen, soweit das bisher gezahlte beitragspflichtige Arbeitsentgelt die anteilige Beitragsbemessungsgrenze nicht erreiche. Erzielte Arbeitsentgelte, die die Beitragsbemessungsgrenze überstiegen, könnten sich auf die Höhe des Arbeitslosengeldes nicht mehr auswirken. Die Beitragsbemessungsgrenze habe im Jahr 2019 bei 6.700 € und im Jahr 2020 bei 6.900 € gelegen. Die anteilige Jahresbeitragsbemessungsgrenze sei nach § 23a Abs. 3 Satz 2 SGB IV der Teil der Beitragsbemessungsgrenze, der dem laufenden Kalenderjahr bis zum Ablauf des Entgeltabrechnungszeitraumes entspreche, dem die Einmalzahlung zuzuordnen sei. Damit sei im April 2019 das Arbeitsentgelt zu begrenzen gewesen. Die Überlassung des betrieblichen Kfz zur privaten Nutzung sei als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt anzunehmen. Damit sei im Bemessungszeitraum ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von 73.293,36 € erzielt worden, woraus sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt von 200,26 € ergäbe.
 

Hiergegen hat der Kläger am 03.06.2020 Klage zum SG Mannheim erhoben und vorgetragen, die gezahlte Prämie sei in voller Höhe von 10.311,70 € zu berücksichtigen. Da die Einmalzahlung in einem Monat gezahlt worden sei, der zum Bemessungszeitraum gehöre, sei sie vollumfänglich zu berücksichtigen, da rt während des gesamten Jahres 2019 versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt erhalten und die vollständige Berücksichtigung der Prämie auch nicht zur Überschreitung der anteiligen Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung geführt habe.
 
Nach einem Erörterungstermin am 06.05.2021 hat das SG Mannheim eine Auskunft bei der K eingeholt. Diese hat unter dem 26.05.2021 mitgeteilt, dass es sich um eine leistungsbezogene Prämie handele, die auf Grundlage einer jährlich abgeschlossenen Zielvereinbarung ihren Auszahlungszeitpunkt im April des jeweiligen Folgejahres habe. Die 3.697,32 € stellten den sozialversicherungspflichtigen Anteil der Prämie dar.

Mit Änderungsbescheid vom 28.11.2020 bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 01.01.2021 bis zum 28.02.2022 aufgrund des Gesetzes zur Rückführung des Solidaritätszuschlags vom 10.12.2019 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag von 68,65 € (Bemessungsentgelt: 200,26 € täglich, Leistungsentgelt von 114,41 € täglich).

Mit Änderungsbescheiden vom 27.11.2020 (Änderung der Berechnungsgrundlage für die Übernahme der Beiträge zur privaten Sozialversicherung ab dem 01.12.2020), 13.01.2021 (Beiträge zur privaten Krankenversicherung nach § 174 SGB III), 10.03.2021 (Beiträge zur privaten Krankenversicherung nach § 174 SGB III), 29.11.2021 (Änderung der Berechnungsgrundlage für die Übernahme der Beiträge zur privaten Sozialversicherung ab dem 01.12.2021) erfolgte keine Veränderung der Höhe des Arbeitslosengeldes.


Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, die Arbeitgeberin habe ausdrücklich mitgeteilt, dass von der gezahlten Prämie „nur“ 3.697,32 € sozialversicherungspflichtig gewesen seien. Der Teil der Prämie, der nicht versicherungspflichtig in der Arbeitslosenversicherung gewesen sei, könne auch nicht bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden. Lohnsteuerpflichtiges Entgelt und sozialversicherungspflichtiges Entgelt müsse nicht identisch sein.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG Mannheim die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2022 abgewiesen und ausgeführt, die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Gegenstand des Rechtsstreits sei der Bescheid vom 05.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020, gegen den sich der Kläger zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) wende und höhere Geldleistungen ab dem 01.03.2020 begehre, was auch im Höhenstreit dem Grunde nach (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG), also ohne exakte Bezifferung, zulässig sei. Die Klage sei allerdings unbegründet. Die – auch in einem Höhenstreit stets zu prüfenden – Anspruchsvoraussetzungen für Arbeitslosengeld gemäß § 137 SGB III lägen dem Grunde nach vor. Der Kläger habe sich zum 01.03.2020 arbeitslos gemeldet (§ 141 SGB III), sei nach dem Gesamtzusammenhang arbeitslos i.S. von § 138 SGB III gewesen und habe die Anwartschaftszeit erfüllt. Zu Recht habe die Beklagte das Arbeitslosengeld ab dem 01.03.2020 i.H.v. täglich 67,14 €, ausgehend von einem täglichen Bemessungsentgelt von 200,26 € gewährt. In dem zu berücksichtigenden Bemessungsrahmen habe der Kläger insgesamt 73.293,36 € verdient. Dies ergebe sich aus seinem Arbeitseinkommen i.H.v. 5.775,67 € in den Monaten März 2019 bis einschließlich Juni 2019, der im April 2019 ausgezahlten Prämie i.H.v. 3.697,32 € sowie seinem Arbeitsentgelt von Juli 2019 bis einschließlich Februar 2020 in Höhe von 5.811,67 € (5.416,67 € Grundgehalt sowie 395,00 € für die private Nutzung des Geschäftsfahrzeugs). Die Höhe des Arbeitslosengeldes bestimme sich nach § 149 SGB III, wonach das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, abhängig davon, ob sie ein Kind i.S. des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 EStG hätten, 60 % (allgemeiner Leistungssatz) oder 67 % (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) betrage, das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasse die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltzeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (§ 150 Abs. 1 SGB III). Das Bemessungsentgelt sei das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe (§ 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr. Damit seien im Bemessungsrahmen, vorliegend vom 01.03.2019 bis zum 29.02.2019, insgesamt 73.293,36 € an 366 Tagen erzielt, was ein tägliches Bemessungsentgelt von 200,26 € ergebe. Das von der Beklagten aus der Arbeitgeberauskunft entnommene Grundgehalt für die Monate Juli 2019 bis Februar 2020 i.H.v. 5.416,70 € sei nicht korrekt gewesen. Aus den bereits während des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Lohnabrechnungen der G-GmbH für die Monate Juli 2019 bis Februar 2020 habe sich ergeben, dass das Grundgehalt 5.416,67 € betragen habe und für die Privatnutzung des Dienstwagens zusätzliche 395,00 € anzusetzen seien. Damit sei für den Zeitraum Juli 2019 bis Februar 2020 ein Arbeitsentgelt i.H.v. 5.811,67 € der Berechnung zugrunde zu legen. Dies habe die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 13.05.2020 korrigiert. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die im April 2019 gezahlte Prämie nicht in voller Höhe zu berücksichtigen. Das Arbeitsentgelt sei bei der Bestimmung des Bemessungsentgelts nur zu berücksichtigen, wenn und soweit es der Beitragspflicht unterliege, § 151 Abs. 1 SGB III. Die Beitragspflicht sei in den §§ 341, 342 SGB III geregelt und setze Einnahmen aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder einer solchen zur Berufsausbildung voraus. In diesem Zusammenhang sei die Beitragsbemessungsgrenze (§ 341 Abs. 4 SGB III) zu beachten. Soweit keine Betragspflicht aufgrund des Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze bestanden habe, sei das Arbeitsentgelt nicht mehr bei der Bestimmung des Bemessungsentgeltes berücksichtigungsfähig gewesen. Erfasst seien auch Einmalzahlungen, die wie jedes beitragspflichtige Entgelt bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts für den Zeitraum zu berücksichtigen seien, für den sie geleistet worden seien. Die Berechnung der Beitragspflicht von Einmalzahlungen bestimme sich zudem nach § 23 a SGB IV. Die Einmalzahlung werde laut Auskunft der K immer im April des Folgejahres ausgezahlt. Damit sei sie auch für diesen Zeitraum geleistet. Entgegen der Auffassung des Klägers gehe die Kammer davon aus, dass die Prämie nicht für das Jahr 2018 geleistet worden sei, auch wenn sie auf die Zielvereinbarung aus dem Jahr 2018 zurückgehe. Auch § 23 a Abs. 4 SGB IV greife nicht ein. Hiernach seien Einmalzahlungen in der Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März dem letzten Entgeltabrechnungszeitraum des vergangenen Kalenderjahres zugeordnet, wenn es vom Arbeitgeber dieses Entgeltabrechnungszeitraumes gezahlt werde und zusammen mit dem sonstigen für das laufende Kalenderjahr festgestellten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt die anteilige Beitragsbemessungsgrenze nach Absatz 3 Satz 2 übersteige. Da die Prämie erst im April ausgezahlt worden sei, scheidet die Zuordnung zum vergangenen Kalenderjahr aus. Damit sei gemäß § 23a Abs. 3 SGB IV das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt bei der Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für Beschäftigte zu berücksichtigen, soweit das bisher gezahlte beitragspflichtige Arbeitsentgelt die anteilige Beitragsbemessungsgrenze nicht erreiche. Die anteilige Beitragsbemessungsgrenze sei der Teil der Beitragsbemessungsgrenze, der der Dauer aller Beschäftigungsverhältnisse bei demselben Arbeitgeber im laufenden Kalenderjahr bis zum Ablauf des Entgeltabrechnungszeitraumes entspreche, dem das einmalig gezahlte Arbeitsentgelt zuzuordnen sei. Die Prämie sei dem Monat April 2019 zuzuordnen und damit seien vorliegend die Monate Januar 2019 bis einschließlich April 2019 bei der Berechnung ausschlaggebend. Bei einem Grundgehalt von 5.775,67 € in den Monaten Januar bis April 2019 und einer Beitragsbemessungsgrenze von 6.700 € liege die monatliche Differenz zwischen geleistetem Arbeitseinkommen und der Beitragsbemessungsgrenze bei 924,33 €. Die Beitragsbemessungsgrenze sei mit der Zahlung von 3.697,32 € erreicht (924,33 € x 4), sodass die darüberhinausgehende Prämienzahlung nicht mehr der Beitragspflicht unterlegen habe. Nach alldem sei die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden und die Klage abzuweisen. 
 
Gegen diesen ihm am 11.01.2022 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 03.02.2022 per Fax und am 10.02.2022 per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung. Zur Begründung trägt er vor, mit der vom SG Mannheim vertretenen Rechtsauffassung hänge die Frage, in welcher Höhe eine Einmalzahlung beitragspflichtiges Einkommen darstelle, letztlich vom Zufall ab – nämlich von dem Zeitpunkt, in dem die Einmalzahlung abgerechnet werde. Er habe während des gesamten Jahres 2019 versicherungspflichtiges Arbeitsentgelt erzielt und wäre die Einmalzahlung erst im Dezember abgerechnet worden, hätte die vollständige Prämie nicht zur Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenze geführt. Zumindest in den Fällen, in denen wie hier für das gesamte Kalenderjahr Einkommen unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielt werde, gebiete eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften der §§ 341 SGB III, 23a SGB IV daher, das gesamte im Kalenderjahr erzielte Einkommen bis zum Erreichen der Jahresarbeitsentgeltgrenze bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu Grunde zu legen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,


den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 10.01.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 05.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 28.11.2020 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Sie verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im erstinstanzlichen Urteil und trägt – unter Verweis auf das BSG (Urteil vom 03.06.2009 – B 12 R 12/07 R) – ergänzend vor, es sei richtig, dass die Auszahlung der Prämie im April 2019 die sog. März-Regelung in § 23 a Abs. 4 SGB IV umgehe. Jedoch sei es rechtlich zulässig, durch die Wahl des Auszahlungszeitpunktes auf die zeitliche Zuordnung einmalig gezahlten Arbeitsentgelts Einfluss zu nehmen und auf diesem Wege Beiträge zu ersparen. Der Gesetzgeber habe mit § 23a Abs. 3 Satz 2 SGB IV eine präzise Regelung für die Fälle getroffen, die nicht unter die „Märzklausel“ fielen. Sie könne die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung nicht erkennen.


Die Berichterstatterin hat am 29.06.2022 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Auf den Inhalt des Protokolls wird verwiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin anstelle des Senats ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG sowie ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.


Entscheidungsgründe

Die Berichterstatterin ist aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten befugt, anstelle des Senats ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG (Knittel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage, § 155 Rn. 89) sowie durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG zu entscheiden. Sie nimmt in Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens von dieser Befugnis Gebrauch, da keine Umstände ersichtlich sind, den Rechtsstreit einer Entscheidung durch den gesamten Senat vorzubehalten, zumal die sich stellenden Rechts- und Tatfragen in der Rechtsprechung bereits umfassend geklärt sind und es deshalb einer besonderen Verfahrensbehandlung durch einen größeren Spruchkörper nicht bedarf (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.03.2010 – L 18 (2) KN 268/09, juris Rn. 14 f.).

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

1. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere hat der Prozessbevollmächtigte am 10.02.2022 die zuerst per Fax eingelegte Berufung gegen den ihm am 11.01.2022 zugestellten Gerichtsbescheid noch innerhalb der am 11.02.2022 endenden Berufungsfrist des
§ 151 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG i.V.m. § 105 SGG als elektronisches Dokument gem. § 65d SGG (in Kraft getreten am 01.01.2022) über das beA eingelegt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG
Mannheim vom 10.01.2022 sowie des Bescheides vom 05.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 28.11.2020 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von höherem Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung der vollen Prämie in Höhe von 10.311,70 €.

Die Berufungssumme von 750,00 € (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) wird aufgrund der Differenz der Höhe des bewilligten Arbeitslosengeldes (unter Berücksichtigung des versicherungspflichtigen Anteils der Prämie i.H.v. 3.697,32 €) im Vergleich zu der Höhe des begehrten Arbeitslosengeldes (unter Berücksichtigung der vollen Prämie i.H.v. 10.311,70 €) erreicht. Nach Berechnung der Beklagten würde sich der tägliche Leistungsbetrag bei Berücksichtigung der vollen Prämie in der Zeit vom 01.03.2020 bis 31.12.2020 um 4,22 € auf 71,36 € und in der Zeit vom 01.01.2021 bis 28.02.2022 um 4,04 € auf 72,69 € erhöhen. Damit läge die Differenz des ausgezahlten Arbeitslosengeldes zu dem vom Kläger begehrten Arbeitslosengeld deutlich über 750,00 €.

Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4 SGG), da sich das Begehren des Klägers auf die Auszahlung höherer Leistungen richtet, was auch ohne exakte Bezifferung von deren Höhe zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 21.06.2018 – B 11 AL 8/17 R, juris Rn. 10; Urteil vom 11.03.2014 – B 11 AL 10/13 R, juris Rn. 14).

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 05.02.2020 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 13.05.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.05.2020 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 28.11.2020, 27.11.2020, 13.01.2021,10.03.2021 und 29.11.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Gewährung höheren Arbeitslosengeldes.

a. Der Kläger war im streitigen Zeitraum dem Grunde nach leistungsberechtigt nach § 137 Abs. 1 i.V.m. § 138 SGB III, weil er am 01.03.2020 beschäftigungslos und damit arbeitslos gewesen ist, sich bei der Beklagten auch bereits am 02.12.2019 arbeitslos gemeldet und den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden hat. Aufgrund seiner von Mai 2013 bis Februar 2020 andauernden versicherungspflichtigen Außendiensttätigkeit bei der K und der G-GmbH hat er auch die Anwartschaftszeit gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III i.V.m. § 143 Abs. 1 SGB III erfüllt. Die Leistungsdauer ist für den zum Zeitpunkt der Antragstellung 59 Jahre alten Kläger zutreffend nach § 147 Abs. 2 SGB III auf 24 Monate (720 Tage) festgesetzt worden. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.


b. Zur streitigen Höhe des Arbeitslosengeldanspruchs des Klägers hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass dem Kläger Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines täglichen Bemessungs-entgelts von 200,26 € zusteht, da die 10.311,70 € betragende Prämie nur i.H.v. 3.697,32 € zu berücksichtigen war. Dies hat auch das SG Mannheim in seiner Entscheidung vom 10.01.2022 zutreffend dargestellt. Der Senat schließt sich den Ausführungen an und sieht gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.

c. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die Auffassung vertreten hat, eine
verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften der §§ 341 SGB III, 23a SGB IV gebiete, das gesamte im Kalenderjahr erzielte Einkommen bis zum Erreichen der Jahresarbeitsentgeltgrenze bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes zu Grunde zu legen, wenn für das gesamte Kalenderjahr Einkommen unterhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielt worden sei, kann dieser Auffassung aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 23a Abs. 3 Satz 2 SGB IV in Bezug auf die „anteilige Bemessungsgrenze“ sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung und der Kommentierung nicht gefolgt werden.

Das BSG hat keine Bedenken im Hinblick auf die Anwendung der anteiligen Beitragsbemessungsgrenze des § 23a Abs. 3 SGB IV auf Einmalzahlungen (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2019 – B 12 R 9/18, juris Rn. 26; Urteil vom 04.09.2018 – B 12 R 4/17 R, juris Rn. 17). Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber berücksichtigt, dass sich einmalig gezahltes Arbeitsentgelt vom laufenden Arbeitsentgelt dadurch unterscheidet, dass es für einen längeren Zeitraum gewährt wird. Deshalb ist einmalig gezahltes Arbeitsentgelt bei der Feststellung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts für versicherungspflichtige Beschäftigte insoweit zu berücksichtigen, als das bisher gezahlte Arbeitsentgelt die anteilige (Jahres-)Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht. Bei der Ermittlung der anteiligen Jahresbeitragsbemessungsgrenze sind alle Beschäftigungszeiträume bis zum Zuordnungsmonat der Einmalzahlung bei dem Arbeitgeber zu berücksichtigen, der die Sonderzuwendung zahlt (vgl. hierzu die übereinstimmenden Kommentierungen in Gagel/Rolfs, 84. EL Dezember 2021, SGB III, § 341 Rn. 16-17; BeckOK SozR/Wagner, 64. Ed. 1.3.2022, SGB IV, § 23a Rn. 8; Krauskopf/Stäbler, 113. EL Dezember 2021, SGB IV, § 23a Rn. 15; KassKomm/Zieglmeier, 117. EL Dezember 2021, SGB IV, § 23a Rn. 22).


Im Hinblick auf die Verfassungskonformität des Abstellens auf den Zuordnungsmonat bei der anteiligen Beitragsbemessungsgrenze in der Regelung des § 23a Abs. 3 Satz 2 SGB IV bestehen unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Stichtagsregelungen (vgl. hierzu u.a. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15.05.2014 – 1 BvR 2681/11, juris Rn. 8 m.w.N; zuletzt auch bzgl. der Pflicht zum Nachweis einer Impfung gegen Masern: BVerfG, Beschluss vom 21.07.2022 – 1 BvR 469/20, juris Rn. 168) keine Bedenken. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24.05.2000 (Az. 1 BvL 1/98) die damalige Vorgängerregelung des § 23a SGB IV nur insoweit als unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG gewertet, als damals einmalig gezahltes Arbeitsentgelt zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen worden ist, ohne dass es bei der Berechnung beitragsfinanzierter Lohnersatzleistungen berücksichtigt worden ist. Das ist bei der hier im Streit stehenden Regelung nicht mehr der Fall.

Auch der vom Kläger als Ungerechtigkeit empfundene Umstand, dass bei einer Auszahlung der Prämie (erst) im Dezember 2019 die volle Prämie berücksichtigt worden wäre, führt nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Denn die Wahl des Auszahlungszeitpunktes einer Prämie unterliegt der vertraglichen Dispositionsbefugnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, welche mit der Vereinbarung eines bestimmten Auszahlungszeitpunktes die Höhe der darauf zu entrichtenden Beiträge ebenso beeinflussen können wie die Höhe daraus erwachsender Anwartschaften auf Leistungen.

Das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG Mannheim ist mithin rechtmäßig. Die Berufung ist daher zurückzuweisen.


3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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