L 6 U 49/21

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 23 U 25/17
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 6 U 49/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht erforderlich, dass ein besonderes oder ungewöhnliches Geschehen wie ein �Störfaktor� vorliegt (aA Thüringer LSG,U v 4.8.2022 - L 1 U 398/21, juris RN 21).

2. Soweit der Körper eines Jugendlichen (im Wachstumsalter) manchmal andere Stukturen aufweist als der eines Erwachsenen, führt das nicht zu einer Verminderung des Unfallversicherungsschutzes.

 

Die Berufung wird zurückgewiesen.

 

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Ereignis und die daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden als Arbeitsunfall bzw. Folgen eines Arbeitsunfalles anzuerkennen sind.

 

Der Kläger ist im Jahre 2002 geboren. Bei einem Fußballspiel am 7. Juni 2016 im Rahmen des Sportunterrichts an seiner Schule bremste er abrupt mit dem linken Bein ab. Nach der Unfallanzeige der Schule gab es einen „Knacks“ und eine Verletzung (Knochenstücke) wurde sichtbar.

 

Es erfolgte eine sofortige Vorstellung bei dem D-Arzt Dr. K.. Dieser diagnostizierte einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae (rauher Knochenfortsatz - Apophyse - am proximalen Ende der vorderen Schienbeinkante). Es zeigte sich ein deutliches Hämatom. Bei dem Arzt bestanden Zweifel am Vorliegen eines versicherten Ereignisses. Eine Operation am 9. Juni 2016 bestätigte einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae links.

 

In einem Fragebogen zu dem Vorfall führte der Kläger aus, es sei nicht zu einem Sturz gekommen. Neben dem Schulsport betreibe er Schwimmen. Am 25. Juni 2016 erklärte die Mutter des Klägers, er habe beim Fußballspiel einen scharfen Schuss abgegeben. Danach habe er starke Schmerzen im Bein gehabt.

 

Nach einem Gesprächsvermerk vom 22. Juli 2016 teilte der beratende Radiologe Dr. H. der Beklagten mit, es sei unklar, warum nach den Röntgenaufnahmen nun ein CT gefertigt worden sei. Dies bilde die interessanten Strukturen (Knorpel, Bänder, Weichteile) nicht ab. Nach den Röntgenaufnahmen weise das Fragment bereits Sklerosierungszonen auf. Dies spreche für das Vorliegen einer vorbestehenden Schädigung. Am Tag des Ereignisses habe offensichtlich das letzte Stück nachgegeben. Ob Ursache hier ein Trauma oder der vorbestehende Schaden sei, müsse ein Unfallchirurg bewerten.

 

In einer Stellungnahme vom 17. August 2016 führte der beratende Unfallchirurg Dr. L. aus, ein äußeres Ereignis sei nicht feststellbar. Zur Diskussion stehe nur eine Eigenbewegung, bei der nichts Bestimmungswidriges, Unphysiologisches oder Ähnliches dazwischengekommen sei. Es fehle jeglicher sogenannte Störfaktor. Weitere Überlegungen seien daher nicht erforderlich. Selbst wenn man die Abläufe unter den Unfallbegriff der gesetzlichen Unfallversicherung subsumieren wolle, wäre die versicherte Tätigkeit nicht wesentliche Teilursache. Allein wesentlich seien Schadensanlagen.

 

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung aus, im Fragment am knöchernen Ausriss seien bereits vorhandene Sklerosierungszonen festgestellt worden. Liege eine Schadensanlage vor, sei der Unfallbegriff nicht erfüllt. Bei dem beschriebenen Ereignis handele es sich um eine Eigenbewegung, bei der kein bestimmungswidriger oder unphysiologischer Hergang abgelaufen sei. Bei Jugendlichen im pubertären Alter könne es häufig zu einer Verzögerung der Verknöcherung des knorpligen Wachstumskernes kommen. Es hätte bereits eine Sklerosierung von Gewebe stattgefunden. Diese Anlage sei hier allein wesentlich.

 

Den hiergegen Anfang November 2016 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2017 zurück und vertiefte ihre bisherige Begründung.

 

Hiergegen hat der Kläger am 22. März 2017 Klage erhoben und ausgeführt, aus dem CT vom 8. Juni 2016 ergebe sich kein Hinweis auf Sklerosierungszonen.

 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Orthopäden und Unfallchirurgen Dr. G.. Dieser hat in seinem Gutachten vom 9. Januar 2018 als Unfallfolge einen knöchernen Ausriss der Tuberositas tibiae (Typ Watson-Jones II) und eine geringgradige schmerzhafte Funktionsbeeinträchtigung im linken Kniegelenk bei Zustand nach operativ versorgtem Abriss der Tuberositas tibiae mit posttraumatischer Wachstumsstörung und konsekutiver Entwicklung eines negativen tibialen Slopes festgestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, grundsätzlich könne es durch einen plötzlichen und verstärkten Zug auf das Ligamentum patellae z.B. infolge einer plötzlichen Kontraktion des Musculus quadriceps kommen. Während im Erwachsenenalter in der Regel die Bandstruktur reiße, sei im Entwicklungsalter wie hier bei einem Jugendlichen die lockere Verbindung von Epi- und Diaphyse bei einer kräftig entwickelten Muskulatur die schwächste Stelle. Diese lockere Verbindung sei eine physiologisch im Wachstumsprozess bestehende Schwachstelle ohne Krankheitswert und insbesondere keine Schadensanlage. Sie sei einer physiologischen Entwicklung geschuldet und kein krankhafter Prozess.

 

Die Beklagte hat eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. L. vorgelegt. Dieser hat unter anderem kritisiert, dass das Gericht dem Sachverständigen vorgegeben habe, dass der Hergang ein Unfallereignis darstelle. Ob ein Hergang ein äußeres Ereignis darstelle, sei aber primär eine Frage der Naturwissenschaft (Physik). Darüber hinaus müsse gefragt werden, wie es physikalisch möglich sein solle, dass der Kläger ausschließlich mit dem linken Bein abrupt abgebremst habe, als er mit dem rechten Bein einen Schuss abgeben wollte. Schließlich sei kein sogenannter Störfaktor ersichtlich, der doch zwingend sei, um eine altersentsprechende Struktur zu schädigen.

 

In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Sachverständige Dr. G. ausgeführt, aus den Darlegungen von Dr. L. und der zitierten Literatur ergebe sich keine andere Auffassung.

 

Mit Urteil vom 21. Mai 2021 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 7. Juni 2016 ein Arbeitsunfall mit der Folge eines knöchernen Ausrisses der Tuberositas tibiae (Typ Watson-Jones II) mit einer geringgradigen schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigung im linken Kniegelenk bei Zustand nach operativ versorgtem Abriss der Tuberositas tibiae mit posttraumatischer Wachstumsstörung mit konsekutiver Entwicklung eines negativen tibialen Slopes sowie einer posttraumatischen Überstreckbarkeit nach Wachstumsstörung der proximalen Tibiaepiphyse war. Zur Begründung hat es sich auf das Gutachten von Dr. G. gestützt. Die erhebliche Kraftanstrengung, die bei einem abrupten Abbremsvorgang auftrete, stelle eine äußere Einwirkung auf den Körper des Klägers dar. Auch ein alltäglicher Vorgang wie das Auftreten eines Beines auf den Boden beinhalte eine Einwirkung, da hierbei ein Teil der Außenwelt (der Erdboden) auf den Körper einwirke (vergleiche BSG, 29.11. 2011 - B 2 U 23/10 R, juris).

 

Gegen das ihr am 2. Juni 2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte noch im selben Monat Berufung eingelegt und erneut auf die Stellungnahme von Dr. L. sowie die von ihm zitierte Literatur hingewiesen. Die versicherte Einwirkung des Abbremsens ohne gefahrerhöhende Umstände sei ungeeignet, einen Gesundheitsschaden zu verursachen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

 

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

 

Der durch das Sozialgericht aufgehobene Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides beschwert den Kläger im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG, weil die darin ausgesprochene Ablehnung der Anerkennung des Ereignisses als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung und der Feststellung von dessen Folgen rechtswidrig ist.

 

Bei dem am 7. Juni 2016 beim Kläger eingetretenen Apophysenabriss handelt es sich als Arbeitsunfall um einen Versicherungsfall im Sinne von § 7 Abs. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII).

 

Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; zu dem Vorstehenden BSG, 27.11.2018 - B 2 U 28/17 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 68 Rn. 14). Die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und der „Erstschaden“ müssen im Sinne des Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen (BSG, 23.4.2015 - B 2 U 20/14 R, juris Rn. 10).

 

Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ist weiter ein Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und dem Erstschaden erforderlich. Hier genügt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. z.B. BSG, 4.7.2013 - B 2 U 11/12 R, juris Rn. 12; BSG, 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R, juris Rn. 15). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, 6.5.2021 - B 2 U 15/19 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 77, Rn. 20 m.w.N.).

 

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat infolge (dazu 4.) einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (dazu 1.) und der damit verbundenen Einwirkung (dazu 2.) einen Gesundheitsschaden (dazu 3.) erlitten.

 

1. Der Unfall ereignete sich in unmittelbarer Ausführung der versicherten Tätigkeit als Schüler nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b. SGB VII im Rahmen des Sportunterrichts an der Schule des Klägers.

 

2. Ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis liegt vor.

 

a) Der Senat legt die ständige und unveränderte Unfallschilderung des Klägers zugrunde, wobei offenbleiben kann, ob der Kläger den Schuss noch abgegeben hat oder nicht. Maßgeblich ist das Abbremsen aus vollem Lauf. Etwas anderes ist zu keinem Zeitpunkt aktenkundig geworden. Der zum Apophysenabriss führende Ablauf im Rahmen der Lauf- und Abbremsbewegung ist schlüssig und nachvollziehbar. Warum es nicht möglich sein sollte, speziell beim Fußball und in Vorbereitung eines Schusses mit dem rechten Bein mit dem linken Bein abzubremsen, ist nicht nur mangels irgendeiner Darlegung für den Senat nicht nachvollziehbar.

 

b) Es liegt ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vor, weil das zum Schaden (Apophysenabriss) führende Abbremsen ohne die Gegenwirkung des Bodens (vgl. BSG, 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R, juris Rn. 14; siehe zum Abbremsen aus vollem Lauf auch LSG Saarland, 15.5.1993 - L 2 U 46/89, HV-Info 1993, 2488 ff.) nicht möglich gewesen wäre. Sofern Dr. L. meint, ein äußeres Ereignis liege nicht vor, so ist dies eine Feststellung, die auch nach seinen eigenen späteren Ausführungen nicht in sein Fachgebiet fällt. Richtigerweise handelt sich hierbei um ein juristisches Tatbestandsmerkmal, welches das BSG klar definiert hat und optimalerweise dem Sachverständigen vom Gericht vorgegeben wird.

 

Der Anerkennung von Unfallfolgen steht nach der Rechtsprechung des BSG nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine bewusste und gewollte Bewegung handelte. Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung. In diesem Fall liegt ein äußeres Ereignis vor (vgl. BSG, 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R, juris Rn. 17; Thüringer LSG, 5.11.2020 - L 1 U 205/18, juris Rn. 27). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z.B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind. Das Merkmal des von außen einwirkenden Ereignisses dient insoweit der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps u.s.w., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen (BSG, 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R, juris Rn. 15).

 

Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht erforderlich, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen wie ein „Störfaktor“ vorliegt (vgl. BSG, 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R, BSGE 94, 269-273, SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, SozR 4-2200 § 548, Rn. 18; Schröter, MedSach 2013, 11; a.A. Thüringer LSG, 4.8.2022 - L 1 U 398/21, juris Rn. 21). Auch alltägliche Vorgänge können ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis sein (vgl. BSG, 29.11.2011 - B 2 U 23/10 R, NZS 2012, 390 Rn. 15; BSG, 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 Rn. 10). Bereits bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) können nach Ansicht des BSG äußere Ereignisse darstellen (BSG, 6.5.2021 - B 2 U 15/19 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 77, Rn. 18). Die äußere Einwirkung kann auch in der (unsichtbaren) Kraft liegen, die ein schwerer und festgefrorener Stein dem Versicherten entgegensetzt, wenn ein Versicherter zur Ausübung einer versicherten Tätigkeit gezielt eine erhebliche Kraftanstrengung unternimmt und dadurch einen Gesundheitsschaden nach der Theorie der wesentlichen Bedingung erleidet (BSG, 30.1.2007 - B 2 U 8/06 R, juris Rn. 15). Das BSG setzt nicht voraus, dass dieser Stein überraschenderweise festgefroren war (BSG, 30.1.2007 – a.a.O.; anders LSG Baden-Württemberg, 26.1.2009 - L 1 U 3612/08, juris Rn. 35).

 

3. Ein Gesundheits(erst)schaden liegt mit dem Apophysenabriss vor.

 

4. Dieser Apophysenabriss ist als unfallbedingter Erstschaden festzustellen. Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erstschaden gilt in der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht, nach der jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges ist, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non; dazu sogleich bei a). Erst wenn auf dieser sog. ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier das Abbremsen - eine naturphilosophische Ursache der Verletzung (hier: Apophysenabriss) ist, stellt sich auf der sog. zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr ist (BSG, 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 1103 Nr. 1, Rn. 16 m.w.N.; dazu bei b).

 

a) Maßgebend bei dem ersten Schritt der Kausalitätsprüfung ist die Feststellung von wissenschaftlichen Erfahrungssätzen und deren Tragweite. Als maßgeblich sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also - von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen - Konsens besteht (BSG, 30.3.2017 - B 2 U 6/15 R, SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 1103 Nr. 1, Rn. 18).

 

Das zeitliche Zusammentreffen von Abbremsen und Abriss steht nach den deutlichen Befunden und der sofortigen ärztlichen Vorstellung fest. Die ärztlichen Einschätzungen belegen den Zusammenhang zwischen dem Abbremsen und der Apophysenausriss mit hinreichender Wahrscheinlichkeit. Der maßgebliche Bewegungsablauf kann nicht entfallen, ohne dass der Abriss zu dieser Zeit auszuschließen ist.

 

Der Sachverständige hat in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Lehrmeinung eine Zugbelastung beschrieben, die gerade bei dem Abbremsen erheblich war. In der Literatur wird ausdrücklich ein kurzfristiger, explosiver Muskeleinsatz (so Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. S. 442) wie beispielsweise bei einem Schuss beim Fußball (Schröter, MedSach 2013, 14 f; Wolf, Apophysenausrisse, Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 2000, S. 306) als gefährdend bezeichnet (ähnlich Thüringer LSG, 17.10.2018 - L 3 U 146/17, juris Rn. 29). Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte in der Berufung vorträgt, hier sei das Abbremsen ohne gefahrerhöhende Umstände ungeeignet, einen Gesundheitsschaden zu verursachen. Ein „Störfaktor“ ist mit der vorgenannten Literatur und dem Sachverständigen naturwissenschaftlich/medizinisch nicht zu fordern (siehe auch Schröter, MedSach 2013, 11; a.A. Thüringer LSG, 4.8.2022 - L 1 U 398/21, juris Rn. 21; Kunze/Ludolph, MedSach 2013, 6; Hempfling/Wich/Bultmann/Ludolph, MedSach 2017, 166). Die Gegenansicht vermischt naturwissenschaftliche Kausalität und rechtliche Maßgaben, wobei sie zusätzlich die rechtlichen Voraussetzungen im Widerspruch zu denen des BSG definiert. Exemplarisch sind hier die Ausführungen des Beratungsarztes der Beklagten.

 

Im Übrigen spricht auch das von Dr. K. festgestellte deutliche Hämatom für ein Unfallgeschehen (Schröter, MedSach 2013, 15). Dies kann aber dahingestellt bleiben.

 

b) Die besondere Krafteinwirkung auf das Kniegelenk ist auch wesentliche Ursache des Apophysenabrisses.

 

Die Frage der Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet, der auch ergänzend zur Einzelbeurteilung heranzuziehen sein kann (BSG, 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R, SozR 4-2700 § 73 Nr. 2, Rn. 32; BSG, 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, Rn. 16; Becker, MedSach 2007, 92). Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes. Gesichtspunkt ist auch der zeitliche Ablauf des Geschehens, wobei eine Ursache nicht allein deswegen wesentlich ist, weil sie die letzte war.

 

Diese Entscheidung ergibt sich insbesondere aus der Abwägung des Ereignisses mit dem körperlichen Zustand des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls. Entgegen der Ansicht der Beklagten schließt das Vorliegen einer Schadensanlage nicht den Eintritt eines Arbeitsunfalls aus. Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben, so dass in Fällen wie dem vorliegenden eine Einzelfallprüfung notwendig ist (vgl. Urteil des Senats, 21.4.2022 - L 6 U 64/18, juris Rn. 59).

 

Der Senat geht mit dem Sachverständigen Dr. G. davon aus, dass bei Jugendlichen wie bei dem Kläger nur eine lockere Verbindung von Epi- und Diaphyse besteht. Dabei handelt es sich physiologisch um eine im Wachstumsprozess entstehende Schwachstelle, die im Normalfall keine Schadensanlage darstellt (vgl. hierzu auch Schröter, MedSach 2013, 11; Pretzsch/Scholz/Matzen, Sportverletzungen bei Kindern, KCS 2004, 35; Hempfling/Wich/Bultmann/Ludolph, MedSach 2017, 163). Gleichwohl kann diese zu einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit führen. Der Grund liegt in der Muskelkraft der Jugendlichen und dem noch nicht vollständigen Durchbau der Gelenke (näher zur Beschreibung der Störung Kunze/Ludolph, MedSach 2013, 6).

 

Diese Schwachstelle hat nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens im Sinne einer notwendigen Voraussetzung zum Eintritt des Apophysenabrisses beigetragen. Dies ergibt sich jedenfalls aus den Überlegungen des Sachverständigen, wonach insoweit eine erhöhte Gefährdung im Wachstumsalter durch die genannten Umstände bei jedem Apophysenschaden mit zu bedenken und im Sinne der Wesentlichkeit von einer traumatischen Einwirkung abzugrenzen ist.

 

Soweit der Körper eines Jugendlichen manchmal andere Merkmale aufweist als der eines Erwachsenen, führt das nicht zu einer Verminderung des Unfallversicherungsschutzes. Jeder ist in dem Zustand versichert, in dem er am Arbeitsleben bzw. Schulleben teilnimmt. Gerade im Bereich der Schülerunfallversicherung können wachstumsbedingte Vorgänge, die möglicherweise zu einer geringeren Stabilität des Knochensystems führen, nicht zu einer Aushebelung des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes führen (Thüringer LSG, 17.10.2018 - L 3 U 146/17, juris Rn. 30; Molkentin, MedSach 2011, 195). Hier sind der Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts (BSG, 6.10.2020 - B 2 U 10/19 R, SozR 4-2700 § 73 Nr. 2, Rn. 32; Becker, MedSach 2007, 92) sowie die Auffassung des praktischen Lebens (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 33) zu berücksichtigen.

 

Insbesondere bei einem Fußballspiel wirken besondere Kräfte auf das Kniegelenk ein, so dass diesem nicht nur die Bedeutung eines beliebigen, durch Alltagsereignisse austauschbaren Einflusses zukommt (zu dieser Voraussetzung BSG, 12.4.2005 - B 2 U 27/04 R, juris Rn. 16). Der jugendliche Spieler geht aus Spieltrieb und dem von der Schule gewünschten Ehrgeiz bis an die Grenze seiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Während er zunächst versucht, sprintend maximal schnell am Ball zu sein, muss er sodann möglichst scharf abbremsen, um diesen zu treffen. Dabei wirkte hier dann das Trägheitsmoment des Körpers und die Gegenkraft des Bodens massiv auf das linke Kniegelenk des Klägers ein, das so ein Vielfaches des Körpergewichts zu tragen hatte. Dies entspricht einer besonderen Belastung und keiner alltäglichen Situation, so dass offen bleiben kann, inwieweit Ballsport im Allgemeinen oder bei (männlichen) Jugendlichen „alltäglich“ ist. Solange Schüler im Sportunterricht besonderen Belastungen ausgesetzt sind, denen sie sich nicht entziehen können, muss der Unfallversicherungsschutz dem Umstand Rechnung tragen, dass der jugendliche Körper diesen Anforderungen in einigen Fällen nicht standhalten kann.

 

Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers von dem eines gleichaltrigen männlichen Jugendlichen grundsätzlich im Sinne eines Vorschadens oder Ähnlichem unterschied. Ein Morbus Osgood-Schlatter, eine Osteochondrosis dissecans oder eine Schädigung durch intensives und nachhaltiges sportliches Training (dazu jeweils Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 440; Schröter, MedSach 2013, 12; Molkentin, MedSach 2011, 192; Hempfling/Wich/Bultmann/Ludolph, MedSach 2017, 158) sind nicht feststellbar. Neben dem Schulsport betrieb der Kläger nur Schwimmsport. Durch die dabei entwickelte Kraftentfaltung im Wasser wird keine ähnliche Einwirkung hervorgerufen, wie beim Stemmen gegen den Erdboden.

 

Vorschäden hat auch der Sachverständige verneint. Im CT vom 7. Juni 2016 ist lediglich eine kleinere knöcherne Exostose festgestellt worden, aber keine Sklerosierung, wie die Beklagte meint. Die von Dr. H. angesprochenen Veränderungen hat außer ihm kein anderer Arzt einschließlich des behandelnden Radiologen festgestellt. Zum anderen ist eine solche Sklerosierung auch nicht weiter quantifiziert worden. Kritisch hat Dr. H. ausgeführt, ein CT bilde die interessanten Strukturen (Knorpel, Bänder, Weichteile) nicht ab. Zudem verweist Dr. H. zutreffend auf die notwendige Gesamtbeurteilung durch einen Chirurgen. Dr. L. hat sodann aber ohne weitere Auseinandersetzung zum Umfang und Ausmaß der „Schäden“ und anderen Faktoren eine allein wesentliche Anlage bejaht. Dies ist - anderes als die abwägenden Ausführungen des Sachverständigen - nicht überzeugend.

 

Soweit die Beklagte sich für ihre Auffassung auf das Urteil des Senats vom 6. Dezember 2010 - L 6 U 122/07, veröffentlicht bei juris, beruft, enthält dieses Urteil im Unterschied zum vorliegenden Fall keine Feststellung dazu, dass es sich bei der maßgeblichen Bewegung um eine besondere Belastung der betroffenen Körperstruktur gehandelt hat. Es geht vielmehr nach der Lage der Sachverständigengutachten vom Gegenteil aus.

 

5) Die Unfallfolgen hat der Sachverständige überzeugend und insoweit unangegriffen so aufgeführt, wie sie das Sozialgericht in seinem Tenor festgehalten hat. Dem schließt sich der Senat an.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Unterliegen der Beklagten.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nach § 144 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG nicht vor, weil die Entscheidung in der Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts auf den Einzelfall beruht.

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Aus
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