S 28 KR 3866/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 28 KR 3866/19
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I. Die Klage wird abgewiesen.


II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.


T a t b e s t a n d:

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung von Krankenhausleistungen i.H.v. 2.095,41 € streitig.

Der bei der Beklagten versicherte A.G. wurde vom 20.06.2018 bis 22.06.2018 im Klinikum der Klägerin stationär behandelt. Der Versicherte litt an einem degenerativen HWS-/LWS-Syndrom, Osteochondrose, Facettengelenksarthrose HWS/LWS, multisegmentaler Foramenstenose/Congenitaler Spinalkanalstenose, Bandscheibenverlagerungen der LWS sowie an einem chronifizierten Schmerzsyndrom (Gerbershagen III). Es erfolgte eine perkutane Implantation einer Neurostimulations-/Multifunktionselektrode in den Epiduralraum zur gepulsten Radiofrequenzbehandlung (epiduraler interlaminärer Zugang L4/5), kontinuierliche epidurale Schmerztherapie sowie tägliche epidurale Einspritzungen. Die Klägerin stellte der Beklagten am 28.06.2018 für die Behandlung 2.059,41 € in Rechnung, aufgrund DRG I68D (nicht operativ behandelte Erkrankungen und Verletzungen im Wirbelsäulenbereich, mehr als ein Belegungstag oder andere Femurfraktur, außer bei Diszitis oder infektiöser Spondylopathie, ohne Kreuzbeinfraktur). Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst, beauftragte jedoch den MDK zur Überprüfung der primären und sekundären Fehlbelegung. Der MDK zeigte den Prüfauftrag mit Schreiben vom 06.07.2018 der Klägerin an. Der MDK kam in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 15.12.2018 zu dem Ergebnis, dass die medizinische Notwendigkeit stationärer Behandlung im Sinne der G-AEP-Kriterien den Unterlagen nicht entnommen werden könne. Die Aufnahme erfolgte elektiv, akute Funktionsstörungen bzw. ambulant nicht beherrschbare Schmerzen seien nicht nachvollziehbar. Ein klinischer Aufnahmebefund sei nicht erhoben worden. Zur Methodenbewertung werde auf das MDS-Gutachten (SEG 7) vom 30.06.2017 verwiesen.

Die Beklagte teilte der Klägerin darauf hin mit, dass gemäß Gutachten des MDK eine ambulante Behandlung medizinisch möglich gewesen sei; keines der G-AEP-Kriterien sei erfüllt. Daraus resultiere ein Erstattungsanspruch in Höhe von 2.059,41 €. Dieser Betrag sei mit anderen Leistungsfällen verrechnet worden. Die von der Beklagten übermittelte Zahlungsmitteilung vom 02.01.2019 enthielt die Verrechnung in Höhe von 2.059,41 €.

Die Klägerinvertreter wiesen in einem außergerichtlichen Schreiben vom 28.11.2019 darauf hin, dass versehentlich die Kodierung des OPS-Codes 5-039.38 unterblieben worden sei; die Klägerin sehe jedoch davon ab, diesen Code nachträglich noch zu verschlüsseln und die hieraus resultierende höhere Rechnungsforderung geltend zu machen.

Die Klägerin hat am 20.12.2019 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Sie weist darauf hin, dass die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie (ePRF) einen festen Stellenwert im Therapiealgorithmus der speziellen Schmerztherapie besitzt und seit 2009 mit der Ziffer 5-039.38 in den OPS-Katalog aufgenommen worden ist. Es handele sich um eine dem allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmethode; dies werde auch vom MDK Bayern bestätigt.

Das Gericht hat mit Beweisanordnung vom 23.06.2022 W. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Schmerztherapie) zum Sachverständigen ernannt. Der Sachverständige verweist in seinem Gutachten vom 02.08.2022 (nach Aktenlage) auf sein früheres Gutachten im vor dem Sozialgericht München geführten Verfahren S 55 KR 3842/19, in dem er festgestellt hatte, dass im Hinblick auf die spinale epidurale Radiofrequenztherapie die Ergebnisse hinsichtlich des Nutzens der epiduralen Neurostimulation, soweit randomisierte Studien vorliegen, wenig eindeutig seien. Eine zumindest gewisse Evidenz ergebe sich jedoch für neuropathische Schmerzen bei älteren Patienten mit umschriebenen radikulären Nervenschmerzen, bedingt durch Kompression von lumbosakralen (und zervikalen) Nervenwurzeln, bei diabetischen Neuropathien, bei kardialen Durchblutungsstörungen sowie beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS). Dies gelte auch für die im vorliegenden Fall konkret eingesetzte gepulste Radiofrequenztherapie. Daneben habe der Sachverständige auch die seit dem Vorgutachten 2021 publizierten wissenschaftlichen Arbeiten durchgesehen, ohne dabei jedoch vorliegend relevante Studien zu finden. Der Sachverständige tat sich nach eigenen Worten bei der Beantwortung der Frage der medizinischen Notwendigkeit der stationären Behandlung des Patienten recht schwer. Bei dem Patienten habe bereits seit mehreren Jahren eine hochgradige Spinalkanalstenose mit auch beginnender Rückenmarkskompression, dies allerdings im Bereich der Halswirbelsäule, bestanden. Für diesen Befund habe er keinen vernünftigen Zweifel daran, dass hierfür grundsätzlich die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung mit operativer Dekompression bestanden habe. Die zervikale Spinalkanalstenose sei jedoch vorliegend gar nicht behandelt worden, sondern eine gemäß Angaben der Klinik "therapieresistente Lumboischialgie" mit einer "stark zunehmenden Mobilitätseinschränkung" und einer "vernichtenden Schmerzsituation". Hinsichtlich dieser Diagnosestellung vermöge er jedoch lediglich die beschriebene Therapieresistenz als gesichert anzusehen, nachdem eine umfangreiche tagesklinische Behandlung bis zum Frühjahr 2018 keine wesentliche Besserung der beklagten polytopen Schmerzen (Kopf-, Nacken-, Schulter-, Arm- und LWS-Schmerzen) erbrachte. Der polytope Charakter der Schmerzen drücke sich nicht zuletzt auch in den eigenen Angaben des Patienten in dem Anamnesebogen aus. Im Übrigen dürfe auch ein erheblicher psychosozialer Anteil der Schmerzproblematik im Zusammenhang mit den nicht leidensgerechten körperlichen Arbeitsbedingungen bei erheblichen degenerativen Wirbelsäulenveränderungen angenommen werden. Nicht zu erkennen vermöge der Sachverständige demgegenüber eine "Lumboischialgie" im engeren Sinne, demnach die Kombination von Rückenschmerzen (Lumbalgie) zusammen mit einer Reizung oder Kompression der Ischiasnerven (Ischialgie), nachdem hierzu weder von der Klinik noch von den Voruntersuchern ein entsprechendes sensomotorisches Defizit an den Beinen und auch keine entsprechende Schmerzausstrahlung beschrieben sei. Nicht zu erkennen vermöge er auch eine "stark zunehmende Mobilitätseinschränkung", nachdem Wochen vor der stationären Aufnahme in der Klinik M3-Stadt ein freies Gangbild beschrieben worden sei, ebenso nicht einen "vernichtenden" Schmerz angesichts einer eher "bescheidenen" Schmerzmedikation mit Ibuprofen 600 bei Bedarf, wie im Rahmen der Vorbehandlungen vermerkt. Trotzdem habe er in der Gesamtschau keinen vernünftigen Zweifel daran, dass aufgrund der chronifizierten Schmerzsymptomatik in Verbindung mit einem durchaus schwergradigen körperlichen Befund (Spinalkanalstenose) und einer erheblichen psychosozialen Komorbidität aus der ex ante Sicht des aufnehmenden Krankenhausarztes die medizinische Notwendigkeit eines Krankenhausaufenthalts bestanden und insbesondere ambulante Verfahren nicht mehr ausreichten, dokumentiert durch die zahlreichen ambulanten Vorstellungen in den Wochen vor dem streitigen Aufenthalt. Bei dem Patienten habe zum Zeitpunkt der stationären Behandlung im Hinblick auf die hochgradige zervikale Spinalkanalstenose eine schwerwiegende Erkrankung vorgelegen. Die streitige Behandlung habe jedoch die Lendenwirbelsäule betroffen. Eine unmittelbar lebensbedrohliche Erkrankung habe zum Zeitpunkt des streitigen stationären Aufenthalts nicht bestanden. Angesichts der polytopen Schmerzsymptomatik bestünden jedoch keine vernünftigen Zweifel, dass eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorgelegen habe. Anhand der Krankenunterlagen vermöge der Sachverständige vorliegend keine der genannten Diagnosen (neuropathische bzw. radikuläre Schmerzen, diabetische Neuropathie, kardiale Durchblutungsstörung, CRPS) als hinreichend gesichert zu erkennen, für die eine hinreichende Evidenz für den Einsatz der gepulsten Radiofrequenztherapie in der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur beschrieben sei. Als gesicherte Diagnosen anzusehen seien zum einen eine zervikale Spinalkanalstenose, für welche als "Standardtherapie" bei dem Alter des Patienten lediglich operative Maßnahmen infrage kämen, zum anderen chronifizierte polytope Schmerzen mit u.a. auch lumbalen Rückenschmerzen im Rahmen einer beruflichen Konfliktsituation aufgrund einer nicht leidensgerechten Tätigkeit, dies jedoch ohne hinreichenden Nachweis neuropathischer Schmerzen aufgrund einer Kompression lumbaler Nervenwurzeln. "Standardtherapie" bei derartigen Beschwerden sei in Deutschland die multimodale Schmerztherapie. Nachdem gemäß den vorhandenen Berichten ambulante lumbale Infiltrationen zwar mehrfach durchgeführt worden seien, jedoch lediglich vorübergehend zu einer Besserung geführt hätten und eine tagesklinische Schmerztherapie 2017/2018 gescheitert sei, wäre hier im nächsten Schritt als "Standardtherapie" eine vollstationäre Behandlung mit einem erneuten Versuch angezeigt gewesen, dem Patienten die "bio-psycho-soziale" Verursachung seiner Schmerzsymptomatik nahezubringen und insbesondere auch eine adäquate schmerzdistanzierende medikamentöse Therapie einzuleiten.

Die Klägerseite hat zu dem Gutachten ausgeführt, dass sich der Sachverständige lediglich zu der Frage, ob für den Patienten noch eine Standardtherapie zur Verfügung gestanden habe, zu Ungunsten der Klägerin geäußert habe. In diesem Zusammenhang stelle sich für die Klägerin die Frage, warum eine nochmalige Behandlung auch mit Blick auf das bio-psycho-soziale Schmerzmodell und die Anpassung der Medikation sinnvoll gewesen sein sollte. Der Patient sei bereits von Oktober 2017 bis April 2018 - zwei Monate vor der stationären Aufnahme - teilstationär im Klinikum M3-Stadt behandelt worden. Gegenstand der dortigen teilstationären Behandlung sei insbesondere auch eine ausführliche Schmerzanamnese und eine psychologische Evaluation und Behandlung des Patienten gewesen. Dem Entlassungsbericht des Klinikums Harlaching vom 23.04.2018 lasse sich auch eine detaillierte psychologische Verlaufsbeschreibung entnehmen. Ebenso ließe sich dem Entlassungsbericht die Anpassung der Schmerzmedikation entnehmen. Die teilstationäre Behandlung unterscheide sich von einer stationären Behandlung nicht durch die aufgewandten Mittel des Krankenhauses. Diese seien in der Regel gleich. Der entscheidende Unterschied bestehe darin, dass aufgrund eines weitergehenden Überwachungs- oder Behandlungsbedarfs im Rahmen einer stationären Behandlung der Patient auch über Nacht im Krankenhaus verbleiben müsse. Sowohl für die teilstationäre Behandlung als auch die stationäre Behandlung seien jedoch die besonderen Mittel eines Krankenhauses erforderlich. Der Klägerin erschließe sich daher nicht, weswegen eine Behandlung nach dem Grundsatz "mehr von dem selben" für den Patienten noch einen Gewinn gebracht hätte. Nach Auffassung der Klägerin sei der Patient also bereits vor der hier streitgegenständlichen stationären Behandlung mit allen in Betracht kommenden Behandlungsmaßnahmen behandelt worden. Keine dieser Behandlungsmaßnahmen habe eine dauerhafte Besserung gebracht. Aus Sicht der behandelnden Ärzte durfte daher auch der Versuch unternommen werden, den Patienten mit einer Behandlungsmethode mit Potenzialcharakter zu behandeln.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.08.2022 hat der gerichtliche Sachverständige auf die Einwände der Klägerin ausgeführt, dass vorliegend weder die in den Wochen vor der Aufnahme im Vordergrund stehende zervikale Spinalkanalstenose noch die generalisierte Schmerzproblematik behandelt worden sei, sondern lediglich ein Teilaspekt der Schmerzsymptomatik in Form seit vielen Jahren bestehender Lumbalgien. Unter dem Aspekt des Qualitätsgebots erscheine dabei die durchgeführte gepulste Radiofrequenztherapie nicht adäquat, da für diese anhand der wissenschaftlichen Studienlage eine hinreichende Evidenz lediglich für neuropathische bzw. radikuläre Schmerzen vorliege. Aus den vorliegenden Unterlagen vermöge der Sachverständige jedoch zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme in der Klinik im "anatomischen Umfeld" der durchgeführten gepulsten Radiofrequenztherapie weder eine neuropathische noch eine radikuläre Schmerzsymptomatik als hinreichend gesichert zu erkennen. Dies betreffe insbesondere auch die beschriebene (Lumbo) Ischialgie, demnach eine Schädigung oder zumindest Reizung der Ischiasnerven - von Seiten der Klinik finde sich kein konkreter Befund, der eine andere Einschätzung zulassen könnte. Gleiches gelte für die genannte "stark zunehmende Mobilitätseinschränkung" angesichts des wenige Wochen zuvor erhobenen neurochirurgischen Befunds, der derartiges nicht beschrieb. Sicherlich sei richtig, dass die vorherige teilstationäre Schmerztherapie Ende 2017 und im Frühjahr 2018 keine wesentliche Besserung der polytopen, nicht nur die Lendenwirbelsäule betreffenden Schmerzsymptomatik erbracht habe und der Patient der medizinisch indizierten operativen Versorgung der zervikalen Spinalstenose skeptisch gegenüber gestanden habe. Es entspreche jedoch langjähriger eigener schmerzmedizinischer Erfahrung, dass ein mangelnder Behandlungserfolg während der (teil)stationären Behandlung in einer Klinik keine hinreichende Aussage über eine auch zukünftig ungünstige Prognose zulasse, da es gerade bei körperlich nicht oder nur zum Teil erklärbaren polytopen Schmerzsyndromen mit psychischer Komorbidität häufig entscheidend sei, ob es gelinge, während der Behandlung einen geeigneten Zugang zu den betroffenen Patienten zu bekommen, so dass es sich eben gerade nicht um lediglich "mehr von dem selben" handele.

Das Gericht hat die Akten des Verfahrens S 55 KR 3842/19 beigezogen. In diesem Verfahren, in dem auch eine Behandlung mit der epiduralen gepulsten Radiofrequenztherapie streitgegenständlich ist, analysiert der Sachverständige W. in seinem Gutachten vom 26.04.2021 die Studienlage und kommt zu der Bewertung, dass die Datenlage zu Neurostimulationsverfahren insgesamt unbefriedigend sei, insbesondere dadurch, dass nur in geringem Umfang wissenschaftlich adäquate Studien vorlägen, die eine Placebogruppe beinhalteten. Dass auch bei invasiven Verfahren Placebo-kontrollierte Studien möglich seien, sei bereits vor vielen Jahren in der hierzu richtungsweisenden Studie von Moseley et al. (2002) im Zusammenhang mit Arthroskopien bei Kniegelenksarthrose eindeutig gezeigt worden. Nachdem die gepulste RFT bereits zur selben Zeit eingeführt worden sei, sei das Fehlen belastbarer Daten daher nicht damit zu begründen, dass kein geeignetes Studienmodell zur Verfügung stünde. Soweit randomisierte Studien vorlägen, seien deren Ergebnisse wenig eindeutig, was möglicherweise auch an den geringen Fallzahlen läge. Eine zumindest gewisse Evidenz ergebe sich jedoch für neuropathische Schmerzen bei älteren Patienten mit umschriebenen radikulären Nervenschmerzen, bedingt durch Kompression von lumbosakralen (und zervikalen) Nervenwurzeln, bei diabetischen Neuropathien, bei kardialen Durchblutungsstörungen sowie beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS). Dies gelte auch für die gepulste Radiofrequenztherapie, bei der im Gegensatz zur ungepulsten Radiofrequenztherapie Nerven nicht zerstört, sondern in der Erwartung stimuliert würden, dass es hierbei zu schmerzlindernden Effekten komme. Unzweifelhaft handele es sich dabei jedoch um eine invasive Methode, die damit auch mit Risiken verbunden sei, so dass deren Einsatz zwingend eine nachvollziehbare Indikation erfordere. Für die streitgegenständliche epidurale Schmerztherapie bei lumbalen Schmerzen bestehe lediglich eine sehr geringe Evidenz, bedingt durch den Mangel an randomisierten Placebo-kontrollierten Studien, wie dies auch für die hier zu diskutierende epidurale gepulste Radiofrequenztherapie gelte. Vor einer abschließenden Beurteilung der Wirksamkeit erschienen derartige Studien angesichts der beschriebenen Placebo-Effekte jedoch unverzichtbar. Dies sei auch praktisch realisierbar. Es bestehe eine mäßige Evidenz für den Einsatz der epiduralen Schmerztherapie bei einem eng umschriebenen Spektrum an Indikationen. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Invasivität stelle die epidurale Schmerztherapie jedoch lediglich als "second line" eine Behandlungsalternative dar, wenn nicht-invasive, adäquate Behandlungsverfahren wie aktivierende Physiotherapie, eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie auch unter Einsatz von Co-Analgetika sowie geeignete psychiatrisch-psychotherapeutische Interventionen bei entsprechender Komorbidität gescheitert seien und auch psychosoziale Faktoren nicht im Vordergrund stünden.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.059,41 € nebst Zinsen in Höhe von 4%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.01.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie nicht die Anforderungen an Qualität und Wirtschaftlichkeit erfüllt. Auch verneine der Sachverständige letztendlich die Indikation der Radiofrequenztherapie, weil keine der sie indizierenden Erkrankungen nach Aktenlage als gesichert festgestellt worden sei.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akten des Sozialgerichts (im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren ) und der Beklagten sowie die Patientenakte verwiesen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der als Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 SGG erhobenen Klage liegen allesamt vor.

Die Klage ist aber unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Vergütung in Höhe von 2.059,41 € zuzüglich Zinsen.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Klägerin aufgrund stationärer Behandlung anderer Versicherter der Beklagten einen Anspruch auf Vergütung in Höhe der Klageforderung von 2.059,41 € hat; insoweit erübrigt sich eine weitere Prüfung des Gerichts.

Dieser Vergütungsanspruch ist aber dadurch erloschen, dass die Beklagte wirksam mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Zahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten A.G. aufgerechnet hat (§ 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. §§ 387 ff. BGB). Ein solcher Erstattungsanspruch stand der Beklagten zu, da die streitgegenständliche Behandlung nicht dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprach und auch die Voraussetzungen zur Leistungserbringung nach dem Potenzialmaßstab gemäß § 137c Abs. 3 SGB V nicht vorlagen.

Die von der Beklagten gegenüber der Klägerin erklärte Aufrechnung ist wirksam (vgl. näher BSG, Urteil vom 25.10.2016, Az. B 1 KR 7/16 R, Rn. 12ff.).

Eine Präklusion des Erstattungsanspruchs der Beklagten gemäß § 8 Satz 3 PrüfVV 2016 kommt nicht in Betracht, da die Beklagte der Klägerin in ihrer der Zahlungsmitteilung vom 02.01.2019 vorangegangenen Nachricht die wesentlichen Gründe ihrer abschließenden Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung bzw. zur Korrektur der Abrechnung dargelegt hat.

Die durchgeführte epidurale gepulste Radiofrequenztherapie entsprach nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V. Hiernach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies erfordert für die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (BSG, Urteil vom 18.08.2022, Az. B 1 KR 29/21 R, Rn. 16 m.w.N.). Die Kammer stützt sich insoweit auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W. im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren S 55 KR 3842/19. Danach besteht für die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie bei lumbalen Schmerzen eine sehr geringe Evidenz, bedingt durch den Mangel an randomisierten Placebo-kontrollierten Studien. Der Sachverständige hat zudem nachvollziehbar ausgeführt, dass auch bei invasiven Verfahren Placebo-kontrollierte Studien möglich seien. Die Klägerseite hat zwar im Verfahren S 55 KR 3842/19 eingewandt, dass für die Indikation lumbaler radikulärer Schmerzen die beste Evidenz erzielt werde. Hierauf kommt es jedoch vorliegend nicht an, da der gerichtliche Sachverständige anhand der vorliegenden Unterlagen keine radikuläre Schmerzsymptomatik bei dem Versicherten A.G. als hinreichend gesichert zu erkennen vermochte. Infolgedessen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass die durchgeführte epidurale gepulste Radiofrequenztherapie zur Behandlung von Lumbalgien zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen stationären Aufenthalts nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V entsprach.

Ebenso wenig lagen die Voraussetzungen zur Leistungserbringung nach dem Potenzialmaßstab gemäß § 137c Abs. 3 SGB V vor.

Gem. § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V (in der Fassung vom 16.07.2015, künftig: a.F.) dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach Absatz 1 getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Absatz 1 Satz 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Absatz 1 noch nicht abgeschlossen ist (§ 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V a.F.).

Im Anwendungsbereich des § 137c SGB V ist das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V durch § 137c Abs. 3 SGB V partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung. An die Stelle des allgemeinen Qualitätsgebots tritt der Potentialmaßstab. Der Anwendungsbereich von Potentialleistungen zur Gewährleistung eines ausreichenden Patientenschutzes ist nach der Rechtsprechung des BSG für den Fall einer - wie hier - noch nicht existierenden Erprobungsrichtlinie (Erp-RL) wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen. Der Potentialmaßstab des § 137c Abs. 3 SGB V geht unter den nachfolgend dargestellten Einschränkungen als lex specialis dem allgemeinen Qualitätsgebot vor. Versicherte haben außerhalb eines auf einer Erp-RL beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung Anspruch auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es 1. um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar ist und wenn 3. die Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (BSG, ebenda, Rn. 18f. m.w.N.).

Vorliegend bietet die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie nach Überzeugung der Kammer nicht das hinreichende Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bei Lumbalgien, an denen der Versicherte A.G. litt. Zudem war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung auch noch eine andere Standardbehandlung verfügbar:

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob bei dem Versicherten A.G. eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorlag. Wie der Sachverständige Prof. F. ausgeführt hat, lag im Hinblick auf die hochgradige zervikale Spinalkanalstenose offensichtlich eine schwerwiegende Erkrankung bei dem Versicherten vor. Die hier behandelte Erkrankung an der Lendenwirbelsäule stuft der Sachverständige hingegen nicht als schwerwiegend ein. Allerdings hat er angesichts der polytopen Schmerzsymptomatik bei dem Versicherten bestätigt, dass eine die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vorgelegen hat. Infolgedessen könnte möglicherweise diese polytope Schmerzsymptomatik, die teilweise auch auf lumbale Rückenschmerzen zurückzuführen ist, als schwerwiegende Erkrankung angesehen werden. Da jedoch die weiteren Voraussetzungen des Potenzialmaßstabs nach § 137c Abs. 3 SGB V a.F. nicht gegeben sind, kann diese Frage im Ergebnis offen gelassen werden.

Zu Überzeugung der Kammer war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung eine andere Standardbehandlung verfügbar. Wie der Sachverständige W. ausgeführt hat, ist "Standardtherapie" bei derartigen Beschwerden in Deutschland die multimodale Schmerztherapie. Nachdem ambulante lumbale Infiltrationen zwar mehrfach durchgeführt worden seien, jedoch lediglich vorübergehend zu einer Besserung geführt hätten, und eine tagesklinische Schmerztherapie 2017/2018 scheiterte, wäre nach Auffassung des Sachverständigen im nächsten Schritt als "Standardtherapie" eine vollstationäre Behandlung mit einem erneuten Versuch angezeigt gewesen, dem Patienten die "bio-psycho-soziale" Verursachung seiner Schmerzsymptomatik nahezubringen und insbesondere auch eine adäquate schmerzdistanzierende medikamentöse Therapie einzuleiten. Soweit die Klägerseite dies in Abrede stellt und dagegen einwendet, dass der Versicherte bereits vor der hier streitgegenständlichen Behandlung mit allen in Betracht kommenden Behandlungsmaßnahmen behandelt worden sei und eine vollstationäre multimodale Schmerztherapie nicht mehr sei als eine teilstationäre, folgt dem die Kammer nicht. Für die Kammer sind die Ausführungen des Sachverständigen, die seiner langjährigen eigenen schmerzmedizinischen Erfahrung entsprechen, plausibel und nachvollziehbar, wonach ein mangelnder Behandlungserfolg während der (teil) stationären Behandlung in einer Klinik keine hinreichende Aussage über eine auch zukünftig ungünstige Prognose zulässt. Denn gerade bei körperlich nicht oder nur zum Teil erklärbaren polytopen Schmerzsyndromen mit psychischer Komorbidität sei es häufig entscheidend, ob es gelinge, während der Behandlung einen geeigneten Zugang zu den betroffenen Patienten zu bekommen. Für eine vollstationäre Schmerztherapie sprechen häufig u.a. Aspekte wie die Herauslösung des Patienten aus seinem sozialen Umfeld oder auch die Einstellung/Anpassung der medikamentösen Schmerztherapie. Angesichts der Krankheitsgeschichte des Versicherten und der Ausführungen des Sachverständigen gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass diese Gesichtspunkte auch im vorliegenden Fall relevant sind bzw. sein können und deshalb die vollstationäre multimodale Schmerztherapie zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlung als "Standardbehandlung" zur Verfügung stand.

Schließlich bietet die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie nach Überzeugung der Kammer nicht das hinreichende Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bei Lumbalgien.

Nach der Rechtsprechung des BSG bietet eine Methode das hinreichende Potential - das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative - im Rechtssinne, wenn ihr Nutzen mangels aussagekräftiger wissenschaftlicher Unterlagen weder eindeutig belegt noch ihre Schädlichkeit oder Unwirksamkeit festgestellt werden kann, die Methode aufgrund ihres Wirkprinzips und der bisher vorliegenden Erkenntnisse aber mit der Erwartung verbunden ist, dass sie im Vergleich zu anderen Methoden eine effektivere Behandlung ermöglichen kann und dass die nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin bestehende Evidenzlücke durch eine einzige Studie in einem begrenzten Zeitraum geschlossen werden kann (BSG Urteil vom 18.12.2018, Az. B 1 KR 11/18 R, Rn. 32 m.w.N.).

Die Kammer kann den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen W. im vorliegenden Verfahren sowie im Verfahren S 55 KR 3842/19 nicht entnehmen, dass die epidurale gepulste Radiofrequenztherapie das hinreichende Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bei Lumbalgien hat. Die vom Sachverständigen dargestellte Studienlage ist nicht der Gestalt, dass lediglich der letzte Beweis für die allgemeine Wirksamkeit der Methode bei der Behandlung von Lumbalgien fehlt. Die Kammer versteht die Rechtsprechung des BSG dahingehend, dass hohe Anforderungen an das Vorliegen des hinreichenden Potenzials zu stellen sind. Hierfür spricht die vom BSG in Übereinstimmung mit Kap. 2 § 14 der Verfahrensordnung des G-BA erhobene Forderung, dass für einen Anspruch gegen den G-BA auf Durchführung einer Erprobungsstudie bereits genügend Erkenntnisse vorhanden sein müssen, um durch eine einzige weitere Studie zu einer abschließenden Einschätzung kommen zu können sowie die weitere Forderung, dass für die Annahme eines hinreichenden Potenzials grundsätzlich bereits Studien der Evidenzklasse I vorliegen müssten (vgl. Schneider, SGb 2021, 661, 668 m.w.N.). Da für die streitgegenständliche epidurale gepulste Radiofrequenztherapie zur Behandlung von Lumbalgien nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen lediglich eine sehr geringe Evidenz besteht, ist die Annahme eines hinreichenden Potentials ausgeschlossen.

Auf die Frage, ob vorliegend eine ordnungsgemäße Aufklärung des Versicherten erfolgte (vgl. BSG, Urteil vom 19.03.2020, Az. B 1 KR 20/19 R, Rn. 35ff.), muss nach alledem nicht mehr eingegangen werden.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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