Verschiebt sich der Schwerpunkt innerhalb eines Gesamtunternehmens von der Entsorgung zur Logistik, so liegt allein darin noch keine grundlegende Umgestaltung, die eine Überweisung an eine andere Berufsgenossenschaft rechtfertigen könnte, wenn die Unternehmerin weiterhin als Verbunddienstleisterin auftritt und deshalb die Entsorgungssparte mit ihren spezifischen Anlagen prägend bleibt.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Revisionsverfahrens als Gesamtschuldner.
G r ü n d e :
I
1
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte BG Rohstoffe und chemische Industrie das Unternehmen der Klägerin an die beigeladene BG Verkehr überweisen muss.
2
Die Klägerin betreibt ein Tierkörperbeseitigungsunternehmen mit neun Logistikstandorten und vier Beseitigungsanlagen. Die BG der chemischen Industrie (BG Chemie) nahm sie zum 1.1.1991 in ihr Unternehmerverzeichnis auf (Bescheid vom 6.3.1991). Als deren Rechtsnachfolgerin ist die Beklagte ua für Unternehmen zuständig, die Tierkörper und tierische Abfälle verwerten, Stoffe aus tierischen Abfallprodukten extrahieren und besondere Abfälle in Anlagen entsorgen. Die Beigeladene ist zuständig für Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes mit seinen Einrichtungen, wozu in der Entsorgungswirtschaft ua die Abfall- und Reststoffbeförderung, die Müllabfuhr sowie die Verwertung von Alt-, Abfall- und Wertstoffen gehören.
3
1991 beschäftigte die Klägerin 130 Mitarbeiter und verwertete in erster Linie Tierkörper, die sie daneben auch mit eigener Logistik einsammelte. Daraus stellte sie mit 100 Produktionsmitarbeitern Tiermehl als Futtermittel für die Landwirtschaft her. Aufgrund der BSE-Krise ("Bovine Spongiforme Enzephalopathie" bei Rindern auftretende schwammartige Veränderung von Gehirnsubstanz Rinderwahn) darf Tiermehl seit 1994 nicht an Wiederkäuer und ab 2001 auch nicht mehr an andere Nutztiere verfüttert werden. Seitdem verbrennt die Klägerin das Tiermehl in ihren vier Beseitigungsanlagen, soweit es nicht ausnahmsweise noch für die Biodieselproduktion verwendbar ist. Deshalb und aufgrund verschärfter seuchenhygienischer Regelungen wurde das professionelle Abholen, Sammeln und Befördern von Tierkörpern mit Spezialfahrzeugen bedeutsamer. Infolgedessen hat die Klägerin ihren Fuhrpark erweitert und bis 2010 die Zahl der dort beschäftigten Mitarbeiter nach eigenen Angaben schrittweise auf 160 von insgesamt 306 Mitarbeitern erhöht.
4
Den Antrag der Klägerin, ihr Unternehmen an die Beigeladene zu überweisen, weil es sich von einem Entsorgungs- und Recyclingbetrieb in ein Logistik- und Transportunternehmen gewandelt habe, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 6.6.2012; Widerspruchsbescheid vom 6.11.2012).
5
Das SG hat die Überweisungsklage trotz weiteren Anstiegs der Fuhrparkmitarbeiter auf 174 im Jahr 2016 abgewiesen (Urteil vom 7.10.2016). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 5.6.2020): Weder die Struktur noch das Gepräge des Unternehmens seien grundlegend und wesentlich umgestaltet worden. Das in erster Linie betriebene Geschäft der Tierkörperbeseitigung und -verwertung sei im Kern unverändert geblieben. Deshalb scheide eine Überweisung des Unternehmens an die Beigeladene aus.
6
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzungen materiellen Rechts (§ 136 Abs 1 und 2 SGB VII, Art 2 Abs 1 GG und Art 56, 57 AEUV). Für eine grundlegende Umgestaltung innerhalb eines Gesamtunternehmens genüge eine Schwerpunktverlagerung der Geschäftstätigkeit, die nach Mitarbeiterzahl und Lohnsummen zu bemessen sei. Dagegen dürfe nicht verlangt werden, dass der Teil der unternehmerischen Tätigkeit, der zuvor den wirtschaftlichen Schwerpunkt gebildet habe, vollständig eingestellt werde. Keinesfalls dürfe ihr eine Zweifelsfallregelung entgegengehalten und die Beweislast aufgebürdet werden, dass die Beigeladene der besser geeignete Unfallversicherungsträger sei. Insofern verkenne das LSG die Bedeutung der allgemeinen Handlungsfreiheit und der europäischen Dienstleistungsfreiheit.
7
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 2020 und des Sozialgerichts Dortmund vom 7. Oktober 2016 sowie den Bescheid vom 6. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Zuständigkeitsbescheid der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie vom 6. März 1991 zum 31. Dezember 2011 aufzuheben und ihr Unternehmen ab dem 1. Januar 2012 an die Beigeladene zu überweisen.
8
Die Beklagte, die den angefochtenen Urteilen beipflichtet, beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
9
Die Beigeladene, die dem Überweisungsbegehren der Klägerin beitritt, beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Juni 2020 und des Sozialgerichts Dortmund vom 7. Oktober 2016 sowie den Bescheid vom 6. Juni 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. November 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Zuständigkeitsbescheid der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie vom 6. März 1991 zum 31. Dezember 2011 aufzuheben und das Unternehmen der Klägerin ab dem 1. Januar 2012 an die Beigeladene zu überweisen.
II
10
Die zulässige Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Var 1 und 3, § 56 SGG) ist unbegründet, weil der Bescheid vom 6.6.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.11.2012 (§ 95 SGG) rechtmäßig ist. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, das Unternehmen der Klägerin ab dem 1.1.2012 an die Beigeladene zu überweisen. Denn die ursprünglich richtig festgestellte Zuständigkeit im Bescheid der BG Chemie vom 6.3.1991 hat sich nachträglich nicht wesentlich geändert. Vielmehr stimmt die formell durch Verwaltungsakt festgestellte Zuständigkeit weiterhin mit der materiellen Zuständigkeit überein.
11
Nach § 136 Abs 1 Satz 4 Var 2 SGB VII in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz <UVEG> vom 7.8.1996, BGBl I 1254) überweist der Unfallversicherungsträger ein Unternehmen dem zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn sich nachträglich die ursprünglich richtig festgestellte Zuständigkeit für ein Unternehmen ändert. Der Verwaltungsakt über die ursprüngliche Zuständigkeitsfeststellung ist nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X, die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, liegt vor, wenn das Unternehmen grundlegend und auf Dauer umgestaltet worden ist (§ 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII idF des UVEG).
12
Diese Überweisungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Seit dem Erlass des Zuständigkeitsbescheids der BG Chemie vom 6.3.1991, einem ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) mit Dauerwirkung (dazu 1.), hat sich der Schwerpunkt des Gesamtunternehmens von der Produktion zur Logistik verlagert. Diese Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen (dazu 2.) war jedoch weder rechtlich wesentlich (dazu 3.) noch führte sie zu einer grundlegenden Umgestaltung des Unternehmens (dazu 4.), sodass die Beklagte weiterhin und nicht die Beigeladene der sachlich zuständige Unfallversicherungsträger für das Unternehmen der Klägerin ist. Dies ist sowohl mit nationalem Verfassungsrecht (dazu 5.) als auch mit der europäischen Dienstleistungsfreiheit (dazu 6.) vereinbar.
13
1. Der feststellende Verwaltungsakt vom 6.3.1991 über die Zuständigkeit der Beklagten und die Mitgliedschaft der Klägerin, dessen Aufhebung sie allein wegen einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (§ 48 Abs 1 SGB X iVm § 136 Abs 1 Satz 4, Abs 2 Satz 2 SGB VII) und nicht wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit (§ 44 Abs 2 SGB X iVm § 136 Abs 1 Satz 4, Abs 2 Satz 1 SGB VII) begehrt, hatte Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn seine Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Bekanntgabezeitpunkt hinaus Wirkungen erzeugt (vgl BSG Urteile vom 8.12.2021 B 2 U 10/20 R BSGE 133, 163 = SozR 42700 § 56 Nr 5, RdNr 14 und vom 13.2.2013 B 2 U 25/11 R NZS 2013, 464, RdNr 13 mwN). Dies war hier der Fall. Denn der Verwaltungsakt vom 6.3.1991 stellte die Zuständigkeit der BG Chemie für das Unternehmen der Klägerin und deren Mitgliedschaft zukunftsbezogen auf unbestimmte Zeit fest (vgl für Zuständigkeitsbescheide bereits BSG Urteil vom 18.1.2011 B 2 U 16/10 R SozR 42700 § 123 Nr 2 RdNr 23 f).
14
2. Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist eingetreten, weil sich der Schwerpunkt des Gesamtunternehmens von der Produktion im Jahr 1991 allmählich zur Logistik gewandelt hat. Nach den bindenden Feststellungen des LSG beschäftigte die Rechtsvorgängerin der Klägerin 1991 insgesamt 130 Mitarbeiter, von denen 100 in der Produktion (77 % der Gesamtbelegschaft), 22 in der Verwaltung und acht in der Instandhaltungsabteilung beschäftigt waren. Dagegen setzte sich das Unternehmen der Klägerin im Jahr 2010 aus dem Fuhrpark (160 Mitarbeiter = 52 % der Gesamtbelegschaft), der Produktion (91 Mitarbeiter = 30 % der Gesamtbelegschaft), der Verwaltung (45 Mitarbeiter) sowie dem Reinigungsbereich (zehn Mitarbeiter) zusammen. Der Schwerpunkt des Gesamtunternehmens hatte sich damit innerhalb von 20 Jahren von der Produktion zum Fuhrpark verlagert, und diese Entwicklung hatte sich bis 2016 verfestigt, indem die Anzahl der Fuhrparkmitarbeiter auf 174 (56 % der Gesamtbelegschaft und der Lohnsumme) gestiegen war.
15
3. Die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen war indes für die festgestellte Zuständigkeit nicht wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X (vgl dazu BSG Urteile vom 19.3.1991 2 RU 33/90 BSGE 68, 205, 207 = SozR 32200 § 667 Nr 1, vom 26.5.1982 2 RU 70/80 juris RdNr 15 und vom 18.12.1979 2 RU 67/77 BSGE 49, 222, 226 = SozR 2200 § 653 Nr 3). Eine Änderung ist wesentlich, wenn der Verwaltungsakt, so wie er ursprünglich erlassen wurde, nach der neuen Sach- und Rechtslage nicht mehr ergehen dürfte. Dafür ist das materielle Recht maßgebend (stRspr; vgl BSG Urteile vom 8.12.2021 B 2 U 10/20 R BSGE 133, 163 = SozR 42700 § 56 Nr 5, RdNr 17, vom 20.3.2007 B 2 U 21/06 R SozR 41300 § 48 Nr 11 RdNr 11 mwN und vom 6.11.1985 10 RKg 3/84 BSGE 59, 111 = SozR 1300 § 48 Nr 19 = juris RdNr 11).
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Um zu entscheiden, ob die formell durch Verwaltungsakt festgestellte Zuständigkeit noch mit der materiellen übereinstimmt oder zwischenzeitlich ein anderer Unfallversicherungsträger zuständig geworden ist, sind die Satzungsregelungen der beteiligten Unfallversicherungsträger über die sachliche Zuständigkeit heranzuziehen, soweit sie höherrangiges Recht zutreffend konkretisieren. Dies ist hier der Fall. Nach § 122 Abs 2 iVm § 114 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VII bleibt jede der in Anl 1 aufgeführten gewerblichen BGen für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie vor dem Inkrafttreten des SGB VII am 1.1.1997 zuständig war, solange eine nach § 122 Abs 1 SGB VII erlassene Rechtsverordnung die Zuständigkeit nicht anders regelt und soweit nichts anderes bestimmt ist. Da das BMAS von der Verordnungsermächtigung in § 122 Abs 1 Satz 1 SGB VII keinen Gebrauch gemacht hat und abweichende Bestimmungen fehlen, richtet sich die sachliche Zuständigkeit nach bisherigem Recht, dh nach den Bundesratsbeschlüssen vom 21.5.1885 (AN 1885, 143) und vom 15.4.1886 (AN 1886, 50). Danach ist die Beklagte seit jeher für die Unternehmen der Tierkörperverwertung und beseitigung (Abdeckerei, vgl dazu Bundesratsbeschluss vom 21.5.1885, AN 1885, 143, 149) und die Beigeladene für gewerbsmäßige Fuhrwerksbetriebe (Fracht- und Rollfuhrwerksbetriebe, vgl dazu den Bundesratsbeschluss vom 15.4.1886, AN 1886, 50) zuständig. Diese Bestimmungen gelten als vorkonstitutionelles Recht (Art 123 Abs 1 GG) fort (BSG Urteile vom 9.5.2006 B 2 U 34/04 R SozR 42700 § 122 Nr 1 RdNr 22 ff mwN, vom 4.5.1999 B 2 U 11/98 R SozR 3-2200 § 664 Nr 2 = juris RdNr 23, vom 4.8.1992 2 RU 5/91 BSGE 71, 85, 86 = SozR 3-2200 § 646 Nr 1 = juris RdNr 14, vom 30.1.1975 2 RU 119/74 BSGE 39, 112, 113 = SozR 2200 § 646 Nr 1 und vom 26.7.1963 2 RU 95/61 SozR Nr 4 zu RAM-Erl Gemeindl UV). Die Beklagte und die Beigeladene haben diese abstrakt-generellen Zuständigkeitsbestimmungen in ihren Satzungen zutreffend konkretisiert. Danach ist die Beklagte ua für Unternehmen zuständig, die Tierkörper und tierische Abfälle verwerten, Stoffe aus tierischen Abfallprodukten extrahieren und besondere Abfälle in Anlagen entsorgen (Abschnitt C. VII. 3 und 4 der Anl zu § 3 Abs 1 der Satzung der Beklagten), während die Beigeladene für Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes mit seinen Einrichtungen zuständig ist, wozu in der Entsorgungswirtschaft ua die Abfall- und Reststoffbeförderung, die Müllabfuhr sowie die Verwertung von Alt-, Abfall- und Wertstoffen gehören (§ 3 Abs 2 Satz 2 Nr 1.2 der Satzung der Beigeladenen). Zwischen diesen Satzungsregelungen besteht kein kumulatives, sondern ein alternatives Konkurrenzverhältnis, wenn für ein Unternehmen wie hier die Zugehörigkeit zu beiden Unfallversicherungsträgern in Betracht kommt. Denn nach materiellem Unfallversicherungsrecht ist ein Unternehmen immer nur (genau) einem und nicht mehreren Unfallversicherungsträgern zuzuordnen, wie durch das Organisationsrecht verdeutlicht wird (vgl §§ 130 ff SGB VII). Die alternative Konkurrenz ranggleicher Normen ist nach den Regeln der Spezialität und Subsidiarität aufzulösen. Danach verdrängt die spezielle Norm die allgemeine (lex specialis derogat legi generali) und zwischen Normen, deren Tatbestände an unterschiedliche Merkmale anknüpfen, besteht ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis, wenn sich aus den jeweiligen Zwecken der konkurrierenden Normen ergibt, dass die eine Regelung die andere als subsidiär verdrängen soll (vgl zB Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 7. Aufl 2023, S 102 f).
17
Die Satzungsbestimmungen der Beklagten sind spezieller und verdrängen schon deshalb die allgemein abgefassten Zuständigkeitsvorschriften der Beigeladenen. Das Unternehmen der Klägerin erfüllt die spezifischen Voraussetzungen des Abschnitts C. VII. 3 und 4 der Anl zu § 3 Abs 1 der Satzung der Beklagten. Denn es trennt nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) Tierkörper und tierische Abfälle in ihre Grundbestandteile und entsorgt das extrahierte Wasser in Kläranlagen, verfeuert das abgeschiedene Fett in Krematorien und die übrigen Feststoffe als Tiermehl in Kraftwerken. Hinter diese Sonderzuständigkeit für Betriebe der Tierkörperbeseitigungsbranche, die ua tierische Nebenprodukte und Folgeprodukte (iS des § 15 Satz 1 des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes <TierNebG> idF vom 4.8.2016 iVm Art 3 Nr 1 und 2 Verordnung [EG] Nr 1069/2009) abholen, sammeln, kennzeichnen, befördern, lagern, behandeln, verarbeiten, verwenden oder beseitigen (vgl § 3 Abs 3 TierNebG), tritt die allgemeine Zuständigkeit der Beigeladenen für Unternehmen des gesamten straßengebundenen Verkehrsgewerbes mit seinen Einrichtungen zurück, wozu in der Entsorgungswirtschaft ua die Abfall- und Reststoffbeförderung, die Müllabfuhr sowie die Verwertung von Alt-, Abfall- und Wertstoffen gehören (§ 3 Abs 2 Satz 2 Nr 1.2 der Satzung der Beigeladenen). Zwar befördert die Klägerin mit ihrem Fuhrpark auch tierische Abfälle und Tierkörper, denen sich die (Vor)Besitzer (und Kunden der Klägerin) entledigen möchten bzw müssen. Darauf ist die Geschäftstätigkeit der Klägerin aber nicht beschränkt. Denn sie betreibt ein Gesamtunternehmen, das mit der Tierkörperbeseitigung von der Abholung und Beförderung über die Behandlung und Verarbeitung im Sinne der Extraktion bis zur Beseitigung in eigenen Anlagen befasst ist. Für diese Verbunddienstleistungen aus einer Hand ist die Beklagte der spezielle und damit zuständige Unfallversicherungsträger. Aufgrund der bereichsspezifischen regulatorischen Regelungen ist die Logistik (das Abholen, Sammeln, Kennzeichnen, Befördern, Lagern) von der Behandlung, Verarbeitung, Verwendung und Beseitigung tierischer Nebenprodukte und Folgeprodukte in speziellen Anlagen nicht zu trennen. Denn nach § 3 Abs 2 TierNebG in der bis zum 11.2.2017 geltenden bzw § 3 Abs 3 TierNebG in der ab 12.2.2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetzes und zur Änderung des BVL-Gesetzes (vom 4.8.2016, BGBl I 1966) kann die behördliche Beseitigungspflicht für tierische Nebenprodukte und Folgeprodukte nur an solche natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts ganz oder teilweise übertragen werden, die einen Verarbeitungsbetrieb, eine Verbrennungsanlage oder eine Mitverbrennungsanlage betreiben. Insofern ist die Klägerin gezwungen, als Verbunddienstleisterin aufzutreten und ein Gesamtunternehmen der Tierkörperbeseitigung bzw -verwertung zu betreiben, sodass die Entsorgungssparte mit ihren spezifischen Anlagen auch dann prägend bleibt, wenn im Logistikbereich die Mehrheit der Mitarbeiter beschäftigt ist, die höchste Lohnsumme verdient wird, die wertvollsten Betriebseinrichtungen unterhalten werden und dort der höchste Umsatz und Gewinn erzielt werden. Folglich wäre die Beklagte auch nach geltender Rechtslage der zuständige Unfallversicherungsträger für das Tierkörperbeseitigungsunternehmen der Klägerin und hätte einen entsprechenden Zuständigkeitsbescheid nach § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII zu erteilen. Eine Überweisung an die Beigeladene scheidet damit aus.
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4. Für einen Zuständigkeitswechsel gemäß § 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII idF des UVEG fehlt es unbeschadet der Konkurrenz der besonderen Zuständigkeitsregelungen an der erforderlichen grundlegenden Umgestaltung im Sinne einer strukturell-prägenden Umwandlung des Unternehmens. Diese Voraussetzung für einen Zuständigkeitswechsel ergibt die Auslegung des § 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII anhand der anerkannten Methoden der Gesetzesinterpretation nach dem Wortlaut der Norm (dazu a), dem systematischen Zusammenhang (dazu b), der Entstehungsgeschichte (dazu c) sowie ihrem Sinn und Zweck (dazu d), mit denen der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers zu ermitteln ist (stRspr; BVerfG Urteile vom 19.3.2013 2 BvR 2628/10 ua BVerfGE 133, 168, 205 und vom 20.3.2002 2 BvR 794/95 BVerfGE 105, 135, 157 sowie Beschlüsse vom 26.8.2014 2 BvR 2400/13 NJW 2014, 3504 RdNr 15 und vom 17.5.1960 2 BvL 11/59 ua BVerfGE 11, 126, 130 f; BSG Urteile vom 7.5.2019 B 2 U 27/17 R BSGE 128, 92 = SozR 42700 § 67 Nr 1, RdNr 11, vom 23.5.2017 B 1 KR 24/16 R SozR 42500 § 301 Nr 8 RdNr 14 und vom 15.12.2016 B 5 RE 2/16 R SozR 42600 § 3 Nr 7 RdNr 29).
19
a) Das Erfordernis einer grundlegenden Umgestaltung des Unternehmens auf Dauer deutet schon sprachlich ein enges Verständnis in dem Sinne an, dass nur gravierende, massive und strukturell-prägende Umwandlungen die Überweisung an einen anderen Unfallversicherungsträger ermöglichen sollen. Bloße Modifikationen genügen nicht, erforderlich ist vielmehr eine Transformation im Sinne einer strategischen Neuausrichtung und organisatorischen Umwandlung eines Unternehmens.
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b) Auch aus systematischer Sicht liegt ein restriktives Normverständnis nahe, wenn das SGB in einem seiner besonderen Teile wie hier in § 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII Rechtsbegriffe aus dem allgemeinen Teil wie hier die wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen iS des § 48 Abs 1 SGB X näher umschreibt bzw (legal)definiert. In dieser Situation darf der Normanwender davon ausgehen, dass das Gesetz unterschiedliche Formulierungen ("wesentliche Änderung" einerseits, "grundlegende Umgestaltung" andererseits) nicht gleichbedeutend (synonym) verwendet (aA Feddern in Kasseler Kommentar, Stand 1.9.2020, § 136 SGB VII RdNr 20; Ricke, BG 2009, 256, 257), sondern damit verschiedene Inhalte verbindet. Es spricht dann eine gewisse Vermutung dafür, dass die Definition in einem besonderen Teil dem dort geregelten Sachgebiet eher gerecht wird, eine größere Sachnähe aufweist und das Gemeinte (Bezeichnete) in der Sonderregelung deutlicher und konkreter zum Ausdruck kommt als in der allgemeinen Vorschrift (Kramer, Juristische Methodenlehre, 3. Aufl 2010, S 109).
21
c) Diese Annahme bestätigt die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des UVEG. Danach konkretisiert § 136 Abs 2 SGB VII den Begriff der wesentlichen Änderung "entsprechend der Rechtsprechung" (BTDrucks 13/2204 S 108). Mit der Verwendung des Begriffs der grundlegenden Umgestaltung knüpft das Gesetz somit bewusst an das restriktive Verständnis des BSG an, das den Ausnahmecharakter von Betriebsüberweisungen in der Tradition des Reichsversicherungsamtes (RVA) stets hervorgehoben hat (vgl nur BSG Urteil vom 31.5.1988 2 RU 62/87 juris RdNr 27). Vor diesem Hintergrund hat der Senat ausgeführt, dass die Definition des Begriffs der wesentlichen Änderung in § 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII den Kriterien entspricht, die RVA und BSG zu dessen Vorgängervorschrift (§ 667 Abs 1 RVO) entwickelt haben (BSG Urteil vom 11.8.1998 B 2 U 31/97 R HVBG-Info 1998, 2757 = juris RdNr 30). Danach sollen im Hinblick auf die Grundsätze der Katasterrichtigkeit und Katasterstetigkeit nur solche nachhaltigen wesentlichen Betriebsveränderungen zu einer Überweisung führen, die das Gepräge des Unternehmens (seine Struktur) grundlegend umgestaltet haben (BSG Urteile vom 11.8.1998 B 2 U 31/97 R HVBG-Info 1998, 2757 = juris RdNr 30, vom 14.12.1995 2 RU 37/94 BSGE 77, 162, 163 = SozR 32200 § 667 Nr 2 S 9 f, vom 13.10.1993 2 RU 23/92 juris RdNr 19 und vom 19.3.1991 2 RU 33/90 BSGE 68, 205, 207 = SozR 32200 § 667 Nr 1 S 3). "Grundlegend" bedeutet, dass das Unternehmen also seine "Tätigkeit" (§ 658 Abs 2 Nr 1 RVO, § 121 Abs 1 SGB VII) nicht mehr in die bisherige Gefahrengemeinschaft passt, der die zentralen Aufgaben der fachbezogenen Verhütung von BKen, Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren (§ 1 Nr 1, §§ 14 ff SGB VII) sowie der Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit (§ 1 Nr 2, § 26 SGB VII) auch und gerade durch berufsspezifische Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 35 SGB VII iVm § 49 bis § 55 SGB IX) mit allen geeigneten Mitteln (§ 1 Nr 2, § 26, § 35 SGB VII) zugewiesen sind (BSG Urteil vom 11.8.1998 B 2 U 31/97 R HVBG-Info 1998, 2757 = juris RdNr 30). Die grundlegende Umgestaltung in der Unternehmensstruktur muss für die Zuständigkeitsfrage wesentlich sein (BSG Urteile vom 19.3.1991 2 RU 33/90 BSGE 68, 205, 207 = SozR 32200 § 667 Nr 1 S 3, vom 26.5.1982 2 RU 70/80 juris RdNr 15 und vom 18.12.1979 2 RU 67/77 BSGE 49, 222, 226 = SozR 2200 § 653 Nr 3). Die wesentliche Änderung im Unternehmen muss sich auf die Herstellungsweise der Erzeugnisse, die in Betracht kommenden Arbeitsvorgänge sowie die dabei benutzten Betriebseinrichtungen beziehen (BSG Urteil vom 11.8.1998 B 2 U 31/97 R HVBG-Info 1998, 2757 = juris RdNr 30) und kann auch in der Be- bzw Verarbeitung anderer Rohstoffe erblickt werden (BSG Urteil vom 31.5.1988 2 RU 62/87 HV-INFO 1988, 1662 = juris RdNr 27). Bedeutsam ist dabei der Anteil der mit neuen Verfahren beschäftigten Arbeitnehmer, der Gefahrencharakter der überwiegend ausgeübten Tätigkeiten sowie die Frage, ob die Eigenart des Betriebes (zB mit einem Fabrikationszweig) in entscheidenden und sich auch deutlich ausprägenden Arbeitsvorgängen erhalten geblieben ist (BSG Urteil vom 31.5.1988 2 RU 62/87 HV-INFO 1988, 1662 = juris RdNr 27). Eine grundlegende Änderung kann sowohl durch Verschmelzung selbstständiger Unternehmen zu einem Gesamtunternehmen eintreten (BSG Urteile vom 19.3.1991 2 RU 33/90 BSGE 68, 205, 207 = SozR 32200 § 667 Nr 1 S 3 und vom 5.2.1980 2 RU 80/79 BSGE 49, 283, 284 = SozR 2200 § 667 Nr 3) als auch durch grundlegende Änderungen in der Unternehmensstruktur mit Verlagerung des Schwerpunktes innerhalb eines Gesamtunternehmens (BSG Urteile vom 14.12.1995 2 RU 37/94 BSGE 77, 162, 163 = SozR 32200 § 667 Nr 1 S 9 f und vom 13.10.1993 2 RU 23/92 HV-INFO 1993, 2677 = juris RdNr 19). Schwerpunktverschiebungen in Gesamtunternehmen mit unterschiedlichen zuständigkeitsrelevanten Bestandteilen (hier vom Bereich der Verwertung/Beseitigung zum Bereich der Logistik/Transport) müssen einen wesentlichen Umfang haben, sodass ein bloßes Überwiegen des neuen Schwerpunktes nicht genügt (Feddern in Kasseler Kommentar, SGB VII, Stand 1.9.2020, § 136 SGB VII RdNr 20a).
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d) Die enge Interpretation ist auch mit Sinn und Zweck der Überweisungsvorschrift vereinbar. Denn aus ihr lässt sich ablesen, dass eine einmal begründete und praktizierte Zuständigkeit nur in einem geordneten Verfahren und unter erschwerten Bedingungen wieder geändert werden kann und dass Verwaltungsakte, auch wenn sie unrichtig geworden sind, weiterbestehen sollen, sofern die strengen Voraussetzungen des § 136 Abs 2 SGB VII nicht erfüllt sind (BSG Urteil vom 5.9.2006 B 2 U 27/05 R UV-Recht Aktuell 2007, 233 = juris RdNr 14). Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Zuständigkeit "angesichts der mannigfaltigen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den den einzelnen BGen zugewiesenen Gewerbezweigen oftmals nicht befriedigend gelöst werden kann" (BSG Urteil vom 28.11.1961 2 RU 36/58 BSGE 15, 282, 288 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2018, § 136 RdNr 28). Um Kontinuität, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu wahren, ist die Korrektur anfänglich unrichtiger oder später unrichtig gewordener Zuständigkeitsfeststellungen daher an strenge Voraussetzungen geknüpft (BSG Urteile vom 5.9.2006 B 2 U 27/05 R UV-Recht Aktuell 2007, 233 = juris RdNr 14, vom 12.4.2005 B 2 U 8/04 R BSGE 94, 258 = SozR 42700 § 136 Nr 1, RdNr 9, 11, vom 11.8.1998 B 2 U 31/97 R HVBG-Info 1998, 2757, vom 12.12.1985 2 RU 57/84 SGb 1986, 338, vom 30.10.1974 2 RU 42/73 BSGE 38, 187, 191 ff = SozR 2200 § 664 Nr 1 S 6 ff und vom 28.11.1961 2 RU 36/58 BSGE 15, 282, 288 = SozR Nr 1 zu § 666 RVO; Diel in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Mai 2018, § 136 RdNr 28; Feddern in Kasseler Kommentar, Stand 1.9.2020, § 136 SGB VII RdNr 18).
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Dass das Unternehmen der Klägerin einen tiefgreifenden Transformationsprozess erfolgreich mit dem Ziel durchlaufen haben könnte, seine Beziehungen zu seinem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld neu auszurichten und sich strukturell-prägend umzuwandeln, hat das LSG weder festgestellt noch ist dies sonst erkennbar. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass das Unternehmen der Klägerin nicht mehr in die bisherige Gefahrengemeinschaft passen könnte, obwohl die Beklagte nach wie vor für die gesamte Tierkörperbeseitigungsbranche sachlich zuständig ist. Die Schwerpunktverlagerung innerhalb des Gesamtunternehmens auf den Fuhrpark hat mit einem Anteil von 52 % der Gesamtbelegschaft (2010) bzw 56 % der Gesamtbelegschaft und der Lohnsumme (2016) noch kein zuständigkeitsrelevantes Ausmaß erreicht, zumal die Klägerin aufgrund der regulatorischen Regelungen des TierNebG als Verbunddienstleisterin auftreten muss, die neben einem Fuhrpark auch Verarbeitungsbetriebe bzw (Mit)Verbrennungsanlagen betreibt. Damit bleibt die Entsorgungssparte mit ihren spezifischen Anlagen prägend, auch wenn im Logistikbereich die Mehrheit der Mitarbeiter beschäftigt ist, die höchste Lohnsumme verdient wird, die wertvollsten Betriebseinrichtungen unterhalten werden und dort der höchste Umsatz und Gewinn erzielt werden. Insoweit sind schon die tatsächlichen Verhältnisse mit denen der von der Klägerin zitierten Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.1.2022 L 21 U 221/19 juris) nicht vergleichbar.
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Da bereits keine grundlegende Umgestaltung des Unternehmens vorliegt, kommt es auf die weitere notwendige Überweisungsvoraussetzung nicht mehr an, dass die Umgestaltung gemäß § 136 Abs 2 Satz 2 SGB VII auch "auf Dauer" erfolgt ist. Folglich ist auf die konkretisierenden Kriterien in § 136 Abs 2 Satz 3 bis 6 SGB VII, die durch das Unfallversicherungsmodernisie-rungsgesetz (UVMG) neu eingeführt worden sind, nicht näher einzugehen. Soweit sich § 136 Abs 2 Satz 3 SGB VII mit den Worten "Dies ist (…) der Fall" auf den gesamten Inhalt des Satzes 2 aaO bezieht, ist diese Verweisung zu weit gefasst, weil sie nicht die grundlegende Umgestaltung näher umschreibt, sondern nur deren Dauer (Feddern in Kasseler Kommentar, § 136 SGB VII RdNr 23a; Ricke, BG 2009, 256, 257; vgl auch BTDrucks 16/9154 28 f). Eine Überweisung bei "schwerwiegenden Unzuträglichkeiten" sieht das Gesetz entgegen der Rechtsansicht der Klägerin nur bei anfänglicher Rechtswidrigkeit vor (§ 136 Abs 2 Satz 1 SGB VII).
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5. Die fortbestehende Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten verstößt weder gegen die negative Vereinigungsfreiheit (Art 9 Abs 1 iVm Art 19 Abs 3 GG) der Klägerin (dazu a) noch gegen ihre allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 iVm Art 19 Abs 3 GG; dazu b).
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a) Die gesetzlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft in öffentlich-rechtlichen Körperschaften unterfällt nicht dem Schutzbereich des Grundrechts auf Vereinigungsfreiheit, wie das LSG zu Recht angenommen hat. Art 9 Abs 1 GG zielt auf freiwillige Zusammenschlüsse zu frei gewählten Zwecken. Eine gesetzlich angeordnete Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft beruht hingegen auf einer Entscheidung des Gesetzgebers, bestimmte öffentliche Aufgaben auch unter kollektiver Mitwirkung privater Akteure zu erledigen (BVerfG Beschlüsse vom 12.7.2017 1 BvR 2222/12 BVerfGE 146, 164, RdNr 78 und vom 7.12.2001 1 BvR 1806/98 NVwZ 2002, 335, 336 = juris RdNr 29; Axer in Ruland/Becker/Axer, Sozialrechtshandbuch, 7. Aufl 2022, § 15 RdNr 8; Kaltenborn, NZS 2001, 300 mwN). Art 9 Abs 1 GG enthält insbesondere das Recht, in einer Distanz zum Staat und zu politischen Parteien eigene Vereinigungen zu gründen oder ihnen fernzubleiben. Das weitere Recht, nicht durch Pflichtmitgliedschaft von Körperschaften in Anspruch genommen zu werden, ergibt sich demgegenüber aus Art 2 Abs 1 GG (BVerfG Beschlüsse vom 12.7.2017 1 BvR 2222/12 BVerfGE 146, 164, RdNr 78 und vom 18.12.1974 1 BvR 430/65 BVerfGE 38, 281, 298 = juris RdNr 88).
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b) Die fortbestehende Pflichtmitgliedschaft als solche ist weder ausschließlich rechtlich vorteilhaft noch wirkungsneutral, sondern greift in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 Halbsatz 1 GG) der Klägerin ein, die auch vor Pflichtmitgliedschaften in öffentlich-rechtlichen Körperschaften schützt. Die Regelungen des § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII zur Pflichtmitgliedschaft und des § 136 Abs 1 Satz 4 und Abs 2 SGB VII zum Überweisungsverfahren, die auf der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art 74 Abs 1 Nr 12 ("Sozialversicherung") beruhen, genügen den Anforderungen an die Rechtfertigung dieses Eingriffs. Für das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gelten die Schranken des Art 2 Abs 1 Halbsatz 2 GG. Es ist nicht verletzt, wenn die Eingriffsnorm formell und materiell verfassungsgemäß ist, insbesondere durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gedeckt und verhältnismäßig ist (BVerfG Beschlüsse vom 26.6.2007 1 BvR 2204/00 SozR 42600 § 2 Nr 10 RdNr 28 und vom 18.2.1998 1 BvR 1318/86 BVerfGE 97, 271, 286 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1; Axer in Ruland/Becker/Axer, Sozialrechtshandbuch, 7. Aufl 2022, § 15 RdNr 9).
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Mit den Regelungen des § 136 Abs 1 Satz 1, 4 und Abs 2 SGB VII hat der Gesetzgeber von seinem Gestaltungsspielraum in verfassungskonformer Weise Gebrauch gemacht. Die Zwangsmitgliedschaft in der nach Art und Gegenstand der Unternehmen untergliederten gesetzlichen Unfallversicherung verfolgt legitime Zwecke. Denn sie begrenzt die privatrechtliche Haftpflicht der Unternehmer für Arbeitsunfälle und BKen (§§ 104 ff SGB VII) und überträgt die Pflicht, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des sozial schutzbedürftigen Verletzten "mit allen geeigneten Mitteln" wiederherzustellen und ihn oder seine Hinterbliebenen durch Geldleistungen zu entschädigen (§ 1 Nr 2 SGB VII), auf den stets solventen Unfallversicherungsträger (§ 114 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Neben der Haftungsbeschränkung und der Entschädigung des Verletzten dient die gesetzliche Unfallversicherung auch der Allgemeinheit, indem sie "mit allen geeigneten Mitteln" Arbeitsunfälle und BKen sowie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren verhütet, Hilfebedürftigkeit entgegenwirkt und so eine übermäßige Inanspruchnahme der staatlichen Gemeinschaft verhindert. Die Anordnung der Zwangsmitgliedschaft in § 136 Abs 1 Satz 1 SGB VII ist dafür unter Zubilligung eines weitreichenden sozialpolitischen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers (vgl BVerfG Beschluss vom 18.7.2005 2 BvF 2/01 BVerfGE 113, 167, 215, 222 = SozR 42500 § 266 Nr 8 RdNr 86, 104) geeignet, erforderlich und aufgrund einer Vielzahl von Gemeinwohlgründen auch verhältnismäßig. Denn sie trägt der sozialen Schutzbedürftigkeit des Einzelnen ebenso Rechnung wie dem Erhalt der Leistungsfähigkeit bzw Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Unfallversicherung durch Bildung leistungsfähiger Solidargemeinschaften (vgl BVerfG Beschlüsse vom 18.7.2005 2 BvF 2/01 BVerfGE 113, 167, 215, 220 ff = SozR 42500 § 266 Nr 8 RdNr 86, 96 ff und vom 4.2.2004 1 BvR 1103/03 BVerfGK 2, 283 = SozR 42500 § 5 Nr 1 RdNr 25). Der Belastung mit der Beitragspflicht, die alle Unternehmer gleichermaßen (Art 3 Abs 1 GG) trifft, steht die Entlastung auf Haftungsseite gegenüber.
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6. Schließlich verletzt die Pflichtmitgliedschaft auch nicht die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU (Art 56, 57 AEUV). Obgleich das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit grundsätzlich unberührt lässt (vgl EuGH Urteile vom 11.6.2020 C262/18 P und C271/18 P ZESAR 2021, 131 = juris RdNr 30, vom 28.4.1998 C158/96 SozR 36030 Art 59 Nr 5 "Kohll" und vom 12.7.2001 C157/99 SozR 36030 Art 59 Nr 6 "Smits und Peerbooms"), kann der freie Dienstleistungsverkehr iS des Art 57 AEUV dadurch beschränkt werden, dass ein Mitgliedstaat ein gesetzliches Versicherungssystem einrichtet, das die Pflichtmitgliedschaft von Unternehmen bei BGen zur Versicherung gegen Arbeitsunfälle und BKen vorsieht (EuGH Urteil vom 5.3.2009 C350/07 SozR 42700 § 157 Nr 6 "Kattner Stahlbau GmbH"). Selbst wenn man hiervon ausgehend annähme, dass die Versagung der Überweisung eines inländischen Unternehmens an eine von ihr gewünschte BG den freien Dienstleistungsverkehr in der EU behindert, so wäre dies gerechtfertigt. Denn die Pflichtmitgliedschaft und der erschwerte Wechsel zwischen BGen entsprechen nicht nur zwingenden Gründen des Allgemeinwohls, sondern sind auch geeignet, die mit ihnen verfolgten Ziele zu gewährleisten, und gehen nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist. Ein zwingender Grund des Allgemeinwohls liegt insbesondere darin, erheblichen Gefährdungen des finanziellen Gleichgewichts eines sozialen Sicherheitssystems zu begegnen (vgl EuGH Urteile vom 5.3.2009 C350/07 SozR 42700 § 157 Nr 6 "Kattner Stahlbau GmbH", vom 28.4.1998 C158/96 SozR 36030 Art 59 Nr 5 "Kohll" und vom 12.7.2001 C157/99 SozR 36030 Art 59 Nr 6 "Smits und Peerbooms"). Die Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Unfallversicherung und die strengen Überweisungsvorschriften, die einen BG-Wechsel auch bei Schwerpunktverlagerungen innerhalb eines Gesamtunternehmens und ein bloßes Überwiegen des neuen Schwerpunktes nicht genügen lassen, bezweckt die Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts eines der traditionellen Zweige der sozialen Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland. Die gesetzlichen Überweisungsvorschriften sind geeignet, das System der gesetzlichen Unfallversicherung durch stabile Solidargemeinschaften leistungs- und funktionsfähig zu halten sowie Kontinuität, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu gewährleisten; sie gehen nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2, Abs 3 Halbsatz 1, § 159 Satz 2 VwGO.