L 3 AL 2575/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 9 AL 2350/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AL 2575/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. In der Türkei zurückgelegte Beschäftigungszeiten sind bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht zu erfüllenden Anwartschaftszeit nicht zu berücksichtigen.
2. Eine in einem EU-Mitgliedstaat zurückgelegte Beschäftigungszeit kann bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld zu erfüllenden Anwartschaftszeit nur dann berücksichtigt werden, wenn zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit in Deutschland und dem Antrag auf Leistungen keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegt worden ist (Anschluss an EuGH vom 11.11.2004 - C-372/02 = SozR 4-6050 Art 71 Nr 4, juris Nr 52; LSG Baden-Württemberg vom 22.01.2020 - L 3 AL 2225/19, juris).

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.06.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Arbeitslosengeld streitig.

Am 13.11.2013 schlossen der 1958 geborene Kläger und seine ehemalige Arbeitgeberin, die B GmbH, bei der er seit dem 01.12.2008 als Anlagenbediener beschäftigt war, einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 30.11.2013 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 182.647,02 €. In dem Vermerk über sein Gespräch mit der Beklagten vom 14.11.2013 ist festgehalten, dass der Kläger über seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld aufgrund des Aufhebungsvertrags disponieren wolle und sich bestenfalls am 15.11.2014 mit Wirkung zum 01.12.2014 arbeitslos melden solle. Ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe liege nicht vor. In diesem Fall trete keine Sperrzeit und somit auch keine Anspruchsdauerminderung ein. Ein Risiko bestehe hinsichtlich der Verfügbarkeit ab dem 01.01.2014 und des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen bei der Arbeitslosmeldung. Der Kläger hat ferner die von ihm am 14.11.2013 unterschriebene Erklärung abgegeben, wonach sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erst am 01.12.2014 entstehen solle und er über die leistungsrechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung umfassend beraten und informiert worden sei.

Der Kläger meldete sich am 22.12.2014 mit Wirkung zum 01.01.2015 arbeitslos und beantragte am 26.01.2015 die Gewährung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28.01.2015 ab. Er habe keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, da er in den letzten zwei Jahren vor der Arbeitslosmeldung weniger als zwölf Monate versicherungspflichtig gewesen sei und damit die Anwartschaftszeit nicht erfüllt habe. Hiergegen legte der Kläger am 02.02.2014 unter Vorlage einer Arbeitsbescheinigung und eines Fragebogens bei eigener Kündigung oder Aufhebungsvertrag Widerspruch ein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.02.2015 zurück. Aufgrund der am 22.12.2014 erfolgten Arbeitslosmeldung umfasse die Rahmenfrist die Zeit vom 22.12.2012 bis zum 21.12.2014. Innerhalb dieser Rahmenfrist seien, da der Kläger nur bis zum 30.11.2013 beschäftigt gewesen sei, nur 344 Kalendertage zu berücksichtigen, in denen er versicherungspflichtig gewesen sei. Der Kläger habe daher die Anwartschaftszeit nicht erfüllt, da er nicht mindestens zwölf Monate, also 360 Kalendertage, in einem Versicherungsverhältnis gestanden habe. Eine frühere persönliche Arbeitslosmeldung, die zu einer anderen Rahmenfrist führe, liege nicht vor. Zwar habe der Kläger am 14.11.2013 persönlich vorgesprochen und erklärt, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld am 01.12.2014 entstehen solle. Eine Arbeitslosmeldung zum 01.12.2014 sei aber am 14.11.2013 nicht wirksam möglich gewesen, da eine Arbeitslosmeldung höchstens drei Monate vorher erfolgen könne.


Die hiergegen erhobene und unter dem Aktenzeichen S 4 AL 526/15 geführte Klage wies das Sozialgericht (SG) Heilbronn mit Gerichtsbescheid vom 04.02.2016 ab. Die hiergegen eingelegte und unter dem Aktenzeichen L 8 AL 883/16 geführte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.03.2018 zurück. Die eingelegte und unter dem Aktenzeichen B 11 AL 29/18 B geführte Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 24.07.2018 zurück.

Am 28.05.2019 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheides vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015. Er legte den Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung N vom 21.05.2019 vor. Darin ist für die Zeit nach dem 30.11.2013 eine ausländische Pflichtbeitragszeit vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 („Türkei ... Allgemeines System ... AUSL“) festgehalten. Der Kläger hat zur Begründung ausgeführt, aufgrund der in der Türkei zurückgelegten Zeiten sei die Anwartschaftszeit nunmehr erfüllt.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 06.06.2019 den Überprüfungsantrag abgelehnt. Die in der Türkei zurückgelegten Zeiten könnten nicht für die Anwartschaftszeit berücksichtigt werden. Beschäftigungen, die nicht in einem Mitgliedsstaat oder in einem Staat der früheren SFR Jugoslawien ausgeübt worden seien, könnten für einen Anspruch auf deutsches Arbeitslosengeld nicht berücksichtigt werden.

Hiergegen legte der Kläger am 26.06.2019 Widerspruch ein. Beschäftigungszeiten in der Türkei seien nach Art. 27 des Deutsch-türkischen Abkommens über die soziale Sicherheit (SozSichAbk TUR) bei der Anwartschaft zu berücksichtigen. Außerdem seien türkische Arbeitnehmer nach den Beschlüssen des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (AssRatsBeschlTürkei) Arbeitnehmern der Europäischen Union gleichgestellt. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 01.07.2019 zurück. Art. 27 SozSichAbk TUR beziehe sich ausschließlich auf die Erfüllung von Versicherungszeiten für den Bezug einer Rente. Der entsprechende Abschnitt V sei dementsprechend mit dem Betreff „Versicherungen für den Fall der Invalidität, des Alters und des Todes (Renten)“ überschrieben. Die Türkei sei in der Benennung des räumlichen Geltungsbereichs der für den Bezug von Arbeitslosengeld nach internationalem Recht der Europäischen Union zur Arbeitslosenversicherung maßgeblichen Verordnungen EGV 883/2004 und EGV 987/2009 nicht benannt. Die AssRatsBeschlTürkei änderten daran nichts.

Hiergegen hat der Kläger am 05.07.2019 Klage zum SG Heilbronn erhoben. Er hat ergänzend ausgeführt, unter Zugrundelegung von Art. 10 und Art. 13 AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80 dürften türkische Arbeitnehmer im Verhältnis zu Arbeitnehmern der Europäischen Union nicht benachteiligt werden.

Das SG Heilbronn hat mit Urteil vom 24.06.2021 die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe zu Recht die Zeiten der Beschäftigung in der Türkei vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 nicht als anwartschaftsbegründende Versicherungszeiten berücksichtigt, denn die Türkei gehöre nicht zur Europäischen Union. Die Verordnungen EGV 883/2004 und EGV 987/2009 fänden daher auf in der Türkei zurückgelegte Versicherungszeiten keine Anwendung. Art. 27 SozSichAbk TUR komme allein schon deswegen nicht in Betracht, weil sich dieses Abkommen lediglich auf die deutschen Rechtsvorschriften betreffend die Krankenversicherung und den Schutz der erwerbstätigen Mutter, die Unfallversicherung, die Rentenversicherung, die hüttenknappschaftliche Zusatzversicherung, die Altershilfe für Landwirte und das Kindergeld der Arbeitnehmer, nicht aber betreffend die Arbeitslosenversicherung beziehe. Ferner befinde sich diese Regelung im Abschnitt über Versicherungen für den Fall der Invalidität, des Alters und des Todes, wozu die Arbeitslosenversicherung zweifelsohne nicht gehöre. Art. 10 AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80 vermöge hier auch nicht als Anspruchsgrundlage zu dienen, da er sich mit der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen sowie mit der Unterstützung bei der Beschaffung eines Arbeitsplatzes, offensichtlich aber nicht mit Anwartschaftszeiten für das Arbeitslosengeld beschäftige.

Gegen das ihm am 30.06.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26.07.2021 Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Er stützt sich weiterhin auf Art. 27 SozSichAbk TUR sowie Art. 10 und Art. 13 AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.06.2021 und den Überprüfungsbescheid der Beklagten vom 06.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015 zurückzunehmen und ihm ab dem 22.12.2014 für die Dauer von 590 Tagen Arbeitslosengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Versicherungspflichtigkeit weiterer Zeiten sei nicht nachgewiesen. Bekannt sei lediglich, dass die Deutsche Rentenversicherung weitere Zeiten als Pflichtversicherungszeiten in der Rentenversicherung anerkannt habe. Die Anerkennung weiterer Versicherungszeiten durch die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen einer Kontobereinigung sei jedoch im Arbeitsförderungsrecht nicht bindend. Ferner verhelfe weder Art. 27 SozSichAbk TUR noch die AssRatsBeschlTürkei dem Kläger zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld. Doch selbst wenn die Auffassung des Klägers als richtig unterstellt werden würde und die Zeit vom 21.01.2014 bis zum 28.02.2014 als weitere versicherungspflichtige Zeit zu berücksichtigen wäre, hätte der Kläger keinen Anspruch auf eine Rücknahme der Bescheide und die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 22.12.2014. Denn hinzuweisen sei auf § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Der Kläger habe bei der Antragstellung nicht mitgeteilt, dass er auch in der Türkei versicherungspflichtige Zeiten zurückgelegt habe, obwohl diese Zeiten im Dezember 2014 bereits bekannt gewesen seien. Auf die Angaben des Klägers bei der Antragstellung werde hingewiesen. Aus diesem Grund habe zum damaligen Zeitpunkt nicht geprüft werden können, ob weitere Zeiten zu berücksichtigen seien. Der Bescheid beruhe somit auf Angaben, die der Kläger selbst vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Dies stehe einer Rücknahme des Ablehnungsbescheides entgegen. Zudem sei § 44 Abs. 4 SGB III zu beachten. Der Kläger begehre mit dem Überprüfungsantrag vom 28.05.2019 Arbeitslosengeld ab dem 22.12.2014, somit Leistungen für einen Zeitraum, der bereits nahezu sieben Jahre zurückliege. Dem stehe die Vierjahresfrist entgegen. Leistungen vor dem 28.05.2015 könnten auch wegen des Zeitablaufs nicht beansprucht werden.

Der Berichterstatter hat am 21.11.2022 das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben erklärt, sie seien mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG sowie ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden.

Entscheidungsgründe

Der Senat entscheidet über den vorliegenden Rechtsstreit durch Senatsurteil ohne mündliche Verhandlung in voller Besetzung. Das von den Beteiligten im Erörterungstermin vom 21.11.2022 erklärte Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als konsentiertem Einzelrichter
ohne ehrenamtliche Richter gemäß § 155 Abs. 3 und 4 SGG ist nicht bindend, vielmehr besteht insoweit Ermessen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 13. Auflage 2020, SGG § 155 Rn. 13). Der Senat ist indes aufgrund des auch insoweit erklärten Einverständnisses der Beteiligten befugt, vorliegend durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 124 Abs. 2 SGG zu entscheiden.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG Heilbronn vom 24.06.2021, mit dem dieses die auf die Aufhebung des Überprüfungsbescheides der Beklagten vom 06.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2019 sowie auf die Verpflichtung des Beklagten, den Bescheid vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015 zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 22.12.2014 für die Dauer von 590 Tagen Arbeitslosengeld zu gewähren, gerichtete kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage des Klägers nach § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG abgewiesen hat.

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte, nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015 und auf die Gewährung von Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 22.12.2014 für die Dauer von 590 Tagen.


Rechtsgrundlage für die begehrte Rücknahme des die Gewährung von Arbeitslosengeld ablehnenden Bescheides vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist.

Rechtsgrundlage für die begehrte Bewilligung von Arbeitslosengeld ist § 137 Abs. 1 in Verbindung mit § 142 Abs. 1 Satz 1, § 143 Abs. 1 SGB III in Verbindung mit § 24 Abs. 1 und § 25 Abs. 1 SGB III sowie § 7 Abs. 1 SGB IV.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 SGB III). Die Anwartschaftszeit hat erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Rahmenfrist beträgt zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 143 Abs. 1 SGB III in der Fassung vom 20.12.2011 [a. F.]). In einem Versicherungspflichtverhältnis stehen Personen, die als Beschäftigte oder aus sonstigen Gründen versicherungspflichtig sind (§ 24 Abs. 1 SGB III). Versicherungspflichtig sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind (§ 25 Abs. 1 SGB III). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).


Zwar ist die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom 28.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.02.2015 in Unkenntnis der vom Kläger erstmals im Überprüfungsverfahren geltend gemachten ausländischen und vom Rentenversicherungsträger berücksichtigten Pflichtbeitragszeit vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erwiesen hat. Aber die Beklagte hat dennoch das Recht richtig angewandt und Sozialleistungen zu Recht nicht erbracht.

Denn die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Arbeitslosengeld abgelehnt, da der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hat.

1. Aufgrund der persönlichen Arbeitslosmeldung vom 22.12.2014 hat der Kläger alle sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld im Sinne des § 143 Abs. 1 SGB III erfüllt, so dass die Rahmenfrist den Zeitraum vom 22.12.2012 bis zum 21.12.2014 umfasst.

2. Aus der Vorsprache des Klägers vom 14.11.2013 folgt keine andere Rahmenfrist, da § 141 Abs. 1 Satz 2 SGB III bestimmt, dass eine Meldung auch zulässig ist, wenn die Arbeitslosigkeit noch nicht eingetreten, der Eintritt der Arbeitslosigkeit aber innerhalb der nächsten drei Monate zu erwarten ist. Eine wirksame Arbeitslosmeldung am 14.11.2013 zum 01.12.2014 kommt daher nicht in Betracht. Auch wirkt eine Arbeitslosmeldung vom 14.11.2013 – unterstellt zum 01.12.2013 nach Ende des Arbeitsverhältnisses am 30.11.2013 – schon aufgrund der Erklärung des Klägers zum Anspruchsbeginn nicht bis zum 01.12.2014 fort, da der Kläger weder objektiv noch subjektiv verfügbar im Sinne der §§ 137 und 138 SGB III zum unterstellten Zeitpunkt am 01.12.2013 gewesen und die Arbeitslosmeldung durch eine hierdurch verursachte mehr als sechswöchige Unterbrechung der Arbeitslosigkeit gemäß § 141 Abs. 2 Nr.1 SGB III erloschen ist. Die Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung bezieht sich auf alle die Arbeitslosigkeit nach der Gesetzesdefinition begründenden Merkmale, worunter auch die Verfügbarkeit nach § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III fällt
(vergleiche zum Ganzen das bereits zwischen den Beteiligten ergangene Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23.03.2018 – L 8 AL 883/16).

3. Eine andere Rahmenfrist durch Fingierung einer früheren Arbeitslosmeldung kann auch nicht über einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erfolgen. Denn dieses Rechtsinstitut steht nicht zur Verfügung, um eine für einen bestimmten Zeitpunkt tatsächlich erforderliche, aber fehlende Arbeitslosmeldung zu ersetzen (BSG, Urteil vom 19.03.1986 – 7 RAr 48/84, juris Rn. 25). Abgesehen davon lässt sich eine Beratungspflichtverletzung der Beklagten nicht feststellen. Zum einen lässt der
Vermerk über das Gespräch des Klägers mit der Beklagten vom 14.11.2013 darauf schließen, dass der Arbeitsvermittler sowohl auf die fehlende Verfügbarkeit, als auch auf das Erfordernis einer erneuten Arbeitslosmeldung und die Notwendigkeit der erfüllten Anspruchsvoraussetzungen hingewiesen hat. Zum anderen ergibt sich aus der vom Kläger am 14.11.2013 unterschriebenen Erklärung, dass sein Anspruch auf Arbeitslosengeld erst am 01.12.2014 entstehen sollte und er über die leistungsrechtlichen Konsequenzen dieser Erklärung umfassend beraten und informiert worden ist (vergleiche zum Ganzen das bereits zwischen den Beteiligten ergangene Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23.03.2018 – L 8 AL 883/16).

4. In der sich mithin aus der persönlichen Arbeitslosmeldung vom 22.12.2014 ergebenden Rahmenfrist vom 22.12.2012 bis zum 21.12.2014 ist der Kläger nur 344 Tage, nämlich vom 22.12.2012 bis zum 30.11.2013 bei der B GmbH, und damit nicht mindestens zwölf Monate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Gemäß § 339 Satz 2 SGB III entspricht bei der Anwendung der Vorschriften über die Erfüllung der für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld erforderlichen Anwartschaftszeit ein Monat 30 Kalendertagen, so dass ein Zeitraum von zwölf Monaten 360 Kalendertage umfasst. Der Kläger hat mithin die Anwartschaftszeit nicht erfüllt.

5. Zwar ist in dem Versicherungsverlauf der Deutschen Rentenversicherung N vom 21.05.2019 für die Zeit nach dem 30.11.2013 eine ausländische Pflichtbeitragszeit vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 („Türkei ... Allgemeines System ... AUSL“) festgehalten.

5.1 Es gibt aber keinerlei rechtliche Anknüpfungspunkte dafür, dass in der Türkei zurückgelegte Beschäftigungszeiten bei der Ermittlung der für die Gewährung von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht zu erfüllenden Anwartschaftszeit zu berücksichtigen sind.

5.1.1 Dies gilt zum einen für das SozSichAbk TUR. Zwar gilt nach Art. 27 Satz 1 SozSichAbk TUR, dass, wenn nach den Rechtsvorschriften beider Vertragsparteien anrechnungsfähige Versicherungszeiten vorhanden sind, für den Erwerb des Leistungsanspruchs nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften auch die Versicherungszeiten berücksichtigt werden, die nach den Rechtsvorschriften der anderen Vertragspartei anrechnungsfähig sind und nicht auf dieselbe Zeit entfallen. Diese Regelung gilt aber nicht für die Arbeitslosenversicherung (Koch in Henssler/Braun, Arbeitsrecht in Europa, 3. Auflage 2011, Rn. 102). Dies ergibt sich schon daraus, dass sich diese Regelung in dem mit „Versicherungen für den Fall der Invalidität, des Alters und des Todes (Renten)“ überschriebenen Abschnitt V des SozSichAbk TUR befindet.

5.1.2 Dies gilt zum anderen für das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei (AssAbkTürkei). Denn diesem kommt keine unmittelbare, innerunionale Geltung zu (Labrenz in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand April 2017, EGVO 883/2004 Vor Art. 61 ff., Rn. 107).

5.1.3 Nichts anderes gilt für die Regelungen in den AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80 und Nr. 3/80, denen es an einer hinreichenden Konkretheit fehlt.

a. Dies gilt insbesondere für die vom Kläger ins Feld geführten Regelungen in Art. 10 Abs. 1 AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80, wonach die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung einräumen, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt, und in Art. 13 Abs. 1 AssRatsBeschlTürkei Nr. 1/80, wonach die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen.

b. Auch gibt Art. 3 AssRatsBeschlTürkei Nr. 3/80, wonach die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die AssRatsBeschlTürkei Nr. 3/80 gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, soweit AssRatsBeschlTürkei Nr. 3/80 nichts anderes bestimmt, auf die in weiteren speziellen Gleichbehandlungsgeboten beziehungsweise speziellen Diskriminierungsverboten behandelten Fragen, wie etwa die einer Berücksichtigungsfähigkeit von in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in der Türkei zurückgelegten (arbeits-)versicherungsrechtlich relevanten Zeiten keine Antwort. Das Gleichbehandlungsgebot gibt keine Antwort auf die Frage, ob eine Person in das soziale Sicherungssystem eines Mitgliedsstaates einbezogen werden muss; vielmehr gebietet es eine Gleichbehandlung erst unter der Voraussetzung, dass eine Person in das soziale Sicherungssystem eines Mitgliedsstaates einbezogen ist (Labrenz in Eicher/Schlegel, SGB III, Stand April 2017, EGVO 883/2004 Vor Art. 61 ff., Rn. 108).

5.2 Doch selbst wenn über das SozSichAbk TUR, das AssAbkTürkei oder die AssRatsBeschlTürkei eine Gleichstellung von Beschäftigten mit in der Türkei zurückgelegten Zeiten mit Beschäftigten mit in Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zurückgelegten Zeiten zu erfolgen hätte, könnte die vom Kläger in der Türkei zurückgelegte Zeit nicht im Rahmen der Anwartschaftszeit berücksichtigt werden.

Zwar berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von Beschäftigungszeiten abhängig ist, soweit erforderlich, die Beschäftigungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegt wurden, als ob sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Art. 61 Abs. 1 EGV 883/2004) und werden, wenn nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften der Leistungsanspruch von der Zurücklegung von Versicherungszeiten abhängig ist, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Beschäftigungszeiten berücksichtigt, wenn sie als Versicherungszeiten gegolten hätten, wenn sie nach den anzuwendenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 EGV 883/2004). Allerdings gilt dies nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, Beschäftigungszeiten, sofern diese Rechtsvorschriften Beschäftigungszeiten verlangen, zurückgelegt hat (Art. 61 Abs. 2 EGV 883/2004).

Hieraus ergibt sich also, dass selbst für die Berücksichtigung von in Mitgliedstaaten der Europäischen Union zurückgelegten Beschäftigungszeiten nach Art. 61 Abs. 2 EGV 883/2004 erforderlich wäre, dass der Arbeitnehmer unmittelbar vor Geltendmachung des Arbeitslosengeldes Versicherungs- oder Beitragszeiten nach den Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Leistungen beantragt werden (Baldschun in Gagel, SGB II/SGB III, Werkstand: 83. EL August 2021, § 142 Rn. 44; Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 8. Auflage, Art. 61 Rn. 12; Kador in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Auflage, Art. 61 EGV 883/2004, Stand: 13.12.2022, Rn. 22-36; Öndül in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB III, 2. Auflage, § 142 SGB III, Stand: 14.05.2020, Rn. 31; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, 02/20, § 142 SGB III, Rn. 147; zum Ganzen siehe auch Fachliche Weisungen Internationales Recht der Arbeitslosenversicherung Rechtskreis SGB III Nr. 3.1 Abs. 4 Satz 1, Abs. 6 Satz 1). Dies bedeutet, dass unmittelbar vor der Geltendmachung von Arbeitslosengeld aus der deutschen Sozialversicherung eine Versicherungszeit nach den deutschen Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sein muss.

Denn die Formulierung „unmittelbar zuvor“ in Art. 61 Abs. 2 EGV 883/2004 hat zum Ziel, die Arbeitsuche in dem Mitgliedstaat zu fördern, in dem der Betreffende unmittelbar zuvor Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, und diesen Staat die Leistungen bei Arbeitslosigkeit tragen zu lassen.

„Unmittelbar vor Geltendmachung“ bedeutet, dass unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit in der Zwischenzeit keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sein darf (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 11.11.2004 – C-372/02, juris Nr. 52; BSG, Urteil vom 17.03.2015 – B 11 AL 12/14 R, juris Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2020 – L 3 AL 2225/19, juris Rn. 18; Fachliche Weisungen Internationales Recht der Arbeitslosenversicherung Rechtskreis SGB III Nr. 3.1 Abs. 7).

Diese Voraussetzung wäre also nur erfüllt, wenn unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen Zeit (im Falle des Klägers also zwischen dem Beschäftigungsende in Deutschland am 30.11.2013 und der Arbeitslosmeldung [da nach § 323 Abs. 1 Satz 2 SGB III Arbeitslosengeld jedenfalls mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt gilt] in Deutschland am 22.12.2014) in der Zwischenzeit keine Versicherungszeit außerhalb des Bundesgebiets zurückgelegt worden wäre, was aber vorliegend mit der vom Kläger geltend gemachten Zeit in der Türkei vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 gerade der Fall wäre.

Ein EU-Bürger kann nach einer Beschäftigung in einem anderen Land der Europäischen Union nicht nach Deutschland kommen und hier Leistungen der Arbeitslosenversicherung unter Berücksichtigung der dort zurückgelegten Versicherungszeiten verlangen. Er kann lediglich einen erworbenen Anspruch unter den Voraussetzungen des Art. 64 EGV 883/2004 für eine begrenzte Zeit zwecks Arbeitsuche in einen anderen Mitgliedstaat mitnehmen (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, 02/20, § 142 SGB III, Rn. 154).

Mithin wäre selbst unter Anwendung von Mitgliedschaftsrecht eine Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten Zeit in der Türkei vom 24.01.2014 bis zum 28.02.2014 nicht möglich.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind hiernach rechtlich nicht zu beanstanden. Das mit der Berufung angegriffene Urteil des SG Heilbronn ist mithin zu Recht ergangen.

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.


 

Rechtskraft
Aus
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