S 6 R 234/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 6 R 234/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 R 108/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 R 2/23 R
Datum
-
Kategorie
Urteil


Der Bescheid vom 1. September 2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Kosten der Beigeladenen tragen diese jeweils selbst.
 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch (i.d. ab 1.1.2016 gültigen Fassung; SGB VI).

Die 1971 geborene Klägerin hat zwei abgeschlossene juristische Staatsexamen. Sie ist seit 25. Februar 2002 Mitglied der Beigeladenen zu 1) und der Beigeladenen zu 2).

Auf Antrag der Klägerin wurde diese von der Beklagten mit Bescheid vom 6. Mai 2002 für eine Beschäftigung als „Rechtsanwältin“ ab 1. März 2002 von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit (Bl. 7 VA).

Am 28. Oktober 2011 begann die Klägerin eine Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden bei der D. Bank AG (nach Umbenennung E. Bank AG, Arbeitgeberin) in A-Stadt und beantragte mit bei der Beigeladenen zu 2) am 9. Dezember 2011 eingegangenem Antrag für diese Tätigkeit die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Vorgelegt wurde eine Bescheinigung der Arbeitgeberin, wonach die Klägerin als Rechtsanwältin für das Vorstandssekretariat in der Organisationseinheit Strategie und Kommunikation beschäftigt sei. Die Klägerin betreue die Gremien des Hauses, insbesondere Vorstand und Aufsichtsrat bei allen Fragen, berate in rechtlichen Fragestellungen hinsichtlich der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Hauptversammlung und schätze die rechtlichen Risiken in der Organisationseinheit Strategie und Kommunikation ein. Sie bereite Rechtsstreitigkeiten vor und führe diese dann auch durch. Zudem gehörten zu ihrem Aufgabenbereich die Vorbereitung und Nachbereitung der Entscheidung des Vorstands, des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung. Sie führe selbständig und unabhängig Korrespondenz. In ihre Zuständigkeit fielen zudem die Erstellung von Meldungen nach dem Kreditwesengesetz, Wertpapierhandelsgesetz und Handelsgesetzbuch. Sie müsse die unternehmensbezogenen Offenlegungs- und Veröffentlichungspflichten eigenständig gestalten. Darüber hinaus schule sie die Mitarbeiter und arbeite abstrakte Regelungskomplexe auf. Zudem passe sie interne Richtlinien und Musterformulare im Hinblick auf sich ergebende Änderungsnotwendigkeiten an.

Die Beklagte lehnte die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ab. Es handele sich nicht um eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit (Bescheid v. 21.3.2012; Widerspruchsbescheid v. 10.12.2012). Die hiergegen erhobene Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main ist mit bestandskräftigem Gerichtsbescheid vom 16. Mai 2019 abgewiesen worden (Az. S 6 R 255/16).

Die Klägerin beantragte am 29. Februar 2016 die Zulassung bei der Beigeladenen zu 1) als Syndikusrechtsanwältin. Sie beantragte mit bei der Beigeladenen zu 2) am 29. März 2016 eingegangenem Antrag die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte. Zugleich beantragte sie mit weiterem Antragsformular die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4b SGB VI und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung für Syndikusrechtsanwälte. Die Beklagte teilte in der Eingangsbestätigung mit, dass die Entscheidung bis zur Mitteilung der Zulassung durch die Beigeladene zu 1) zurückgestellt werde.

Mit bei der Beklagten am 12. Juli 2016 eingegangenem Schreiben hörte die Beigeladene zu 1) die Beklagte dahingehend an, dass sie beabsichtige, der Klägerin die Zulassung als Syndikusrechtsanwälten für das Beschäftigungsverhältnis bei der Arbeitgeberin zu erteilen und die Beklagte sich bis zum 28. Juli 2016 äußern könne. Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 teilte die Beklagte sodann der Beigeladenen zu 1) mit, dass sie die Voraussetzung nicht für erfüllt halte, da die Klägerin nicht fachlich unabhängig für die Berufsausübung sei. Mit bei der Beklagten am 13. September 2016 eingegangenem Schreiben der Beigeladenen zu 1) wurden weitere Unterlagen der Klägerin eingereicht und Gelegenheit zur Stellungnahme bis 4. Oktober 2016 gegeben. Daraufhin teilte die Beklagte der Beigeladenen zu 1) am 4. November 2016 mit, dass keine Bedenken mehr erhoben würden.

Zuvor hatte die Klägerin die Beschäftigung bei der Arbeitgeberin am 31. Oktober 2016 aufgegeben und ab 1. November 2016 eine Beschäftigung bei einer anderen Arbeitgeberin begonnen, für die sie zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwältin durch die Beigeladene zu 1) zugelassen wurde. Mit Bescheiden vom 19. Januar 2017 und 6. November 2017 befreite die Beklagte die Klägerin sodann für diese neue Tätigkeit ab 22. November 2016 (Datum der Antragstellung auf Befreiung) von der Rentenversicherungspflicht.

Die Beigeladene zu 1) lehnte den Antrag der Klägerin auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwältin für die bis 31. Oktober 2016 ausgeübte Beschäftigung wegen Aufgabe der Beschäftigung ab. Mit Schreiben vom 19. Dezember 2016 fragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei der Beklagten an, ob im Hinblick auf das zeitliche Verschulden der Beklagten eine Ausnahme möglich sei, dass die Rückwirkung ausgesprochen werde. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 19. Januar 2017 die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ab, da für die Beschäftigung keine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin bestehe. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2017 als unbegründet zurück. Hierin führte die Beklagte aus, dass der begehrten Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI i.V.m. § 231 Abs. 4b SGB VI für die Beschäftigung vom 28.10.2011 bis 31.10.2016 bei der vormaligen Arbeitgeberin nicht entsprochen werden könne. Die Voraussetzungen der rückwirkenden Befreiung lägen nicht vor.

Hiergegen hat die Klägerin am 4. Mai 2017 Klage am Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben.

Die Beklagte hat mit Bescheid vom 31. August 2017 die Klägerin für ihre in der Zeit vom 28. Oktober 2011 bis 31. Oktober 2016 ausgeübte Beschäftigung als Mitarbeiterin bei der E. Credit Bank AG (vormals D. Bank AG) rückwirkend nach § 231 Abs. 4b des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) von der Rentenversicherungspflicht befreit. Mit Bescheid vom 1. September 2017 hat die Beklagte den Bescheid vom 31. August 2017 zurückgenommen. Die Klägerin könne sich weder auf Vertrauensschutz berufen, noch seien die Fristen abgelaufen. Ermessensgründe, die gegen eine Rücknahme sprechen könnten, seien nicht ersichtlich. Mit Schreiben vom 5. September 2017 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin einen Rechtsmittelverzicht bezüglich des Bescheids vom 31. August 2017 erklärt. Zugleich hat er gegen den Bescheid vom 1. September 2017, nach eigenen Angaben am 5. September 2017 eingegangen (Bl. 238 VA), Widerspruch erhoben. Es fehle die Anhörung und es werde an keiner Stelle begründet, weshalb der Bescheid keine Überraschung für die Klägerin darstellen solle. Mit Schreiben vom 11. April 2018 hat die Beklagte die Klägerin dahingehend angehört, dass sie beabsichtige, den Bescheid vom 31. August 2017 zurückzunehmen. Sie erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Rechtsanwaltskammer A-Stadt hat der Klägerin bestätigt, dass bei Fortführung der Tätigkeit die Befreiung erteilt worden wäre (Bl. 38 GA).

Die Klägerin trägt vor, dass sie zumindest aufgrund der Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Anspruch auf Befreiung habe.

Die Klägerin beantragt zuletzt,
den Bescheid vom 1. September 2017 aufzuheben; 
hilfsweise, 
den Bescheid der Beklagten vom 19. Januar 2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2017 aufzuheben und die Klägerin für die Zeit vom 28. Oktober 2011 bis 31. Oktober 2016 für die Tätigkeit bei der E. Bank AG bzw. ihrer Rechtsvorgängerin von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich hinsichtlich ihres Vortrags auf die Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. März 2021 entscheiden, da sie auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden sind, vgl. § 110 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 1. September 2017, mit welchem die Beklagte den Befreiungsbescheid vom 31. August 2017 zurückgenommen hat. Bei Klageerhebung am 4. Mai 2017 war Streitgegenstand des vorliegenden Klageverfahrens zunächst der Bescheid vom 19. Januar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2017, § 95 SGG, und die darin enthaltene Ablehnung der Beklagten, die Klägerin für den Zeitraum 28. Oktober 2011 bis 31. Oktober 2016 von der Rentenversicherungspflicht zu befreien. Mit Bescheid vom 19. Januar 2017 lehnte die Beklagte zunächst nur die Befreiung der Klägerin von der Rentenversicherungspflicht für die Zukunft nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sechstes Sozialgesetzbuch ab. Im Widerspruchsbescheid vom 3. April 2017 erweiterte die Beklagte sodann ihre Entscheidung, indem sie die Ablehnung der Befreiung für die Zukunft bestätigte und zugleich die Befreiung für die Vergangenheit ab 28. Oktober 2011 nach § 231 Abs. 4 b SGB VI ausdrücklich ebenfalls ablehnte. Sodann sind die weiteren Bescheide vom 31. August und 1. September 2017 nach § 96 SGG streitgegenständlich geworden, da sie die Ablehnung der Befreiung zunächst durch positive Entscheidung abänderten (Bescheid v. 31.8.2017: Befreiung für den Zeitraum 28.10.2011 bis 31.10.2016) und sodann diese Entscheidung wieder aufhoben (Bescheid v. 1.9.2017). Auf diese von Gesetzes wegen eingetretenen Änderungen des Streitgegenstandes hat die Klägerin durch sachgemäße Umstellung ihrer Klageanträge reagiert, worin jedoch keine Klageänderung nach § 99 Abs. 1 SGG liegt.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 1. September 2017 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Nach § 45 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach Absatz 2 darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Das Gericht kann es dahinstehen lassen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 bis 4 SGB X, insbesondere die Rechtswidrigkeit der Befreiungsentscheidung im Bescheid vom 31. August 2017 und das Nichtvorliegen von Vertrauensschutzgesichtspunkten, gegeben waren und ob die Durchführung einer Anhörung nach § 28 Abs. 1 SGB X vor Erlass des Rücknahmebescheids vom 1. September 2017 notwendig war bzw. die Nichtdurchführung durch die Nachholung mit Schreiben vom 11. April 2018 geheilt worden ist.

Denn die Beklagte hat vorliegend ihr im Rahmen des § 45 SGB X auszuübendes Ermessen nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben ausgeübt. Das Gericht ist hierbei auf die Prüfung von Ermessensfehlern beschränkt. Es darf seine eigene Ermessensausübung nicht an die Stelle der Ermessensausübung der Beklagten stellen. Durch das Gericht ist lediglich zu prüfen, ob Ermessen ausgeübt wurde (Ermessensnichtgebrauch), ob das Ermessen nach § 39 Abs. 1 SGB I entsprechend dem Sinn und Zweck der Norm ausgeübt wurde und die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten worden sind, vgl. § 54 Abs. 2 S. 2 SGG. Ermessensfehler sind hierbei die Ermessensüberschreitung, der Ermessensfehlgebrauch, die Ermessensunterschreitung und der Ermessensausfall. Ermessensausfall liegt dabei vor, wenn die Behörde kein Ermessen ausübt, sondern von einer zwingenden Rechtsfolge ausgeht. Ermessungsüberschreitung liegt vor, wenn eine Rechtsfolge gesetzt wird, die in der gesetzlichen Regelung nicht vorgesehen ist. Die Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Behörde den ihr zustehenden Ermessensspielraum zu eng ausgelegt hat. Der Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, ferner wenn sie nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat (BSG Urt. v. 9.11.10 – B 2 U 10/10 R). Die Behörde muss hierbei nach § 35 Abs. 1 S. 3 SGB X in der Begründung des Verwaltungsaktes die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Maßgeblicher Beurteilungszeitraum ist hierbei derjenige der letzten behördlichen Entscheidung, hier am 1. September 2017.

Es liegt kein Ermessensnichtgebrauch vor. Der Bescheid vom 1. September 2017 lässt erkennen, dass der Beklagten bewusst war, dass sie Ermessen ausüben muss und dies auch getan hat. Jedoch liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, in dem die Beklagte keine nachvollziehbare Abwägung der für und wider eine Aufhebung sprechenden Gründe ausführt. Ihre Ermessensausübung beschränkt sich auf einen einzelnen Satz „Ermessensgründe, die gegen eine Rücknahme des Bescheides vom 31.08.2017 sprechen könnten, sind jedoch nicht ersichtlich“. Weitere Ausführungen dazu, welche Punkte die Beklagte in ihre Abwägung eingestellt und wie diese gewichtet worden sind, sind nicht ersichtlich. Zur Überzeugung des Gerichts bietet der vorliegende Sachverhalt jedoch mehrere in eine solche Abwägung einzustellende Gesichtspunkte. Der Erlass des Befreiungsbescheids vom 31. August 2017 beruhte ausschließlich darauf, dass der die Verwaltungsakte bearbeitende Sachbearbeiter einem Irrtum unterlegen war. Dieser nahm die Zulassung der Klägerin als Syndikusrechtsanwältin ab 1. November 2016 in der Verwaltungsakte zur Kenntnis, erkannte jedoch nicht, dass es sich um eine andere Beschäftigung bei einer anderen Arbeitgeberin handelte und erteilte dann auf dieser Grundlage die Befreiung. Zudem wären im Rahmen einer Rücknahmeentscheidung die damit verbundenen Folgen der (möglicherweise rechtswidrigen) Befreiung im Vergleich zur Aufhebung derselben und die damit einhergehenden Interessen der Versichertengemeinschaft und der Klägerin zu berücksichtigen. Die Klägerin hat lediglich im Zeitraum 28. Oktober 2011 bis 31. Oktober 2016 Rentenversicherungszeiten erworben, im Übrigen liegt eine lückenlose Erwerbsbiographie im Versorgungssystem der Rechtsanwälte vor, insbesondere auch im Zeitraum bis 31. Oktober 2016. Unerheblich ist, ob die Entscheidung der Beklagten auch bei Einstellung und Abwägung dieser Punkte weiterhin wie im Bescheid vom 1. September 2017 ausgefallen wäre.

Im weiteren Verfahren hat die Beklagte zudem keine weiteren Ermessenserwägungen in ihren Schriftsätzen bezüglich der Rücknahme des Befreiungsbescheids angestellt und ihre ursprüngliche Entscheidung diesbezüglich ergänzt. Ob dies grundsätzlich möglich ist, kann daher dahinstehen (vgl. Meyer-Ladewig et. al., SGG, 13 Aufl., § 54 Rn. 36 mit Nachweisen zum Streitstand).

Auch liegt kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor. Danach ist auch bei Ermessensentscheidungen dann von einer gebundenen Entscheidung i.d.S. auszugehen, dass nur eine Rechtsfolge rechtmäßig ist, wenn Gründe vorliegen, die sich dergestalt verdichten, dass eine andere Rechtsfolge im Wege der Ermessensausübung unter keinen Umständen in Betracht kommen kann. Dies ist zur Überzeugung des Gerichts vorliegend nicht gegeben.

Auf den hilfsweise gestellten weiteren Klageantrag kam es daher nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens. Das Gericht sieht aus Billigkeitsgründen von einer Kostentragungspflicht des Klägers hinsichtlich der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ab, die selbst keinen Antrag gestellt hat (vgl. BSG Urt. v. 1.3.2011 – BSGE 107, 287).

Das statthafte Rechtsmittel der Berufung folgt aus §§ 143 ff. SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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