L 3 AS 475/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AS 1985/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 475/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 3 AS 1739/21 durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen die endgültige Festsetzung von Leistungen und die damit verbundene Erstattungsforderung überzahlter Leistungen.

Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 21.05.2013 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Kläger für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 30.06.2012 endgültig fest und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen mit Bescheid vom 17.05.2013 vom Kläger in Höhe von 1.226,70 € sowie mit Bescheid vom 21.05.2013 von der Klägerin in Höhe von 1.226,70 €. Die Kläger stellten einen Überprüfungsantrag. Mit Bescheid vom 16.05.2017 setzte der Beklagte die endgültigen Leistungen neu fest. Mit weiterem Bescheid vom 16.05.2017 nahm der Beklagte seine Erstattungsbescheide vom 17.05.2013 und 21.05.2013 teilweise zurück und setzte die Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen für den Kläger auf 798,40 € und für die Klägerin auf 798,41 € herab. Hiergegen legten die Kläger am 06.06.2017 Widerspruch ein. Mit den Bescheiden vom 05.07.2017 nahm der Beklagte seine Erstattungsbescheide vom 17.05.2013 und 21.05.2013 teilweise zurück und setzte die Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen erneut für den Kläger auf 798,40 € und für die Klägerin auf 798,41 € herab. Mit den Bescheiden vom 11.07.2017 änderte der Beklagte seine Bescheide vom 05.07.2017 und setzte die Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen für die Kläger jeweils auf 757,62 € herab. Mit den beiden Widerspruchsbescheiden vom 21.07.2017 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger im Übrigen zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 14.08.2017 (Aktenzeichen S 5 AS 1985/17) und 17.08.2017 (Aktenzeichen S 5 AS 2019/17), vertreten durch Rechtsanwalt V, jeweils unter Vorlage von vom Kläger unter dem 26.07.2017 und von der Klägerin unter dem 15.08.2017 unterzeichneten, für alle Instanzen geltenden und unter anderem die Rücknahme von Rechtsmitteln umfassenden Vollmachten, Klagen zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben. Mit Beschluss vom 19.11.2018 hat das SG Reutlingen die beiden Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Beklagte hat insoweit ein Teilanerkenntnis abgegeben, als er die Erstattungsforderung wegen überzahlter Leistungen für die Kläger auf jeweils 542,13 € herabgesetzt hat. Mit Gerichtsbescheid vom 16.04.2021 hat das SG Reutlingen den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 16.05.2017 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 05.07.2017 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21.07.2017 verurteilt, die Bescheide vom 17.05.2013 und vom 21.05.2013 abzuändern und den Klägern Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für Januar 2012 in Höhe von 128,62 €, für Februar 2012 in Höhe von 515,30 € und für März bis Juni 2012 in Höhe von jeweils 407,30 € zu bewilligen und von den Klägern Ersatz überzahlter Leistungen in Höhe von jeweils noch 542,13 € zu fordern, und im Übrigen die Klagen abgewiesen.

Gegen das ihnen am 20.04.2021 zugestellte Urteil haben die Kläger, vertreten durch Rechtsanwalt V, am 19.05.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (Aktenzeichen L 3 AS 1739/21).

Eine Berufungsbegründung ist trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung nicht erfolgt.

Sodann ist eine Terminierung des Rechtsstreits für einen Erörterungstermin auf den 16.01.2022 erfolgt.

Im Rahmen eines am 11.01.2023 geführten Telefonats hat der Berichterstatter, nachdem ihm der Kläger mitgeteilt hatte, dass er am Erörterungstermin nicht teilnehmen könne, die Sach- und Rechtslage dargelegt und angeregt, die Berufung zurückzunehmen, womit sich der Kläger einverstanden erklärt hat, woraufhin der Berichterstatter ihm zugesagt hat, Rechtsanwalt V zu kontaktieren und ihm sodann Rückmeldung zu geben. Der Berichterstatter hat sodann am 11.01.2023 Rechtsanwalt V telefonisch mitgeteilt, dass der Kläger mit einer Berufungsrücknahme einverstanden sei, woraufhin dieser ausgeführt hat, er werde sich mit dem Kläger telefonisch in Verbindung setzen. In einem weiteren am 11.01.2023 geführten Telefonat hat sodann Rechtsanwalt V dem Berichterstatter mitgeteilt, die Kläger seien mit einer Berufungsrücknahme einverstanden, so dass er nun die Berufung formgerecht zurücknehmen werde.

Mit dem aus seinem elektronischen Anwaltspostfach (beA) versandten und beim LSG Baden-Württemberg am selben Tag elektronisch eingegangenen Schriftsatz vom 11.01.2023 hat Rechtsanwalt V „namens und in Vollmacht der Kläger“ die Berufung zurückgenommen.

Der Kläger hat der Senatsgeschäftsstelle am 07.02.2023 telefonisch mitgeteilt, dass er mit einer Berufungsrücknahme nicht einverstanden sei. Rechtsanwalt V habe ihn telefonisch nicht kontaktiert und er habe diesem auch nicht sein Einverständnis gegeben, die Berufungen zurückzunehmen. In ihrem Schreiben vom 09.02.2023 haben die Kläger ausgeführt, dass ohne ihr schriftliches Einverständnis, wie mit dem Berichterstatter abgesprochen, unter Zuhilfenahme einer Vollmacht seitens des Rechtsanwalts V eine Klagerücknahme erfolgt sei. Die daraufhin erfolgte Zahlungsaufforderung sei umgehend zurückzunehmen, da die Klagerücknahme der Schriftform bedürfe und daher ungültig sei, zumal Rechtsanwalt V sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vertreten habe und sich außerdem seit längerer Zeit im Urlaub befinde, also die Klagerücknahme vom Gericht eigenmächtig vorgenommen worden sei.

Daraufhin hat das LSG Baden-Württemberg das Verfahren unter dem aktuellen Aktenzeichen fortgesetzt.

Die Kläger haben keinen Antrag gestellt.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Mit Rücknahme der Berufung sei der Gerichtsbescheid vom 16.04.2021 bestandskräftig geworden. Die sinngemäße Behauptung der Kläger, dass sie dem Prozessbevollmächtigten vor Rücknahme der Berufung das Mandat entzogen hätten, lasse sich den Akten nicht entnehmen und sei auch nicht durch Beweisunterlagen belegt. Er gehe deshalb davon aus, dass der Prozessbevollmächtigte zum Zeitpunkt der Berufungsrücknahme weiterhin bevollmächtigt gewesen sei, im Auftrag der Kläger zu handeln. Das Handeln des Prozessbevollmächtigten müssten sich die Kläger zurechnen lassen.


Entscheidungsgründe


Der Senat konnte in Abwesenheit der Kläger verhandeln und entscheiden, nachdem sie durch die ihnen zugestellte Terminsmitteilung vom 21.03.2023, in welcher ihnen das Erscheinen freigestellt worden ist, ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden sind und sie darüber unterrichtet worden sind, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten (beziehungsweise Bevollmächtigten) Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden und die Entscheidung auch nach Lage der Akten ergehen kann.

Die sich nach sinngemäßer Auslegung der Ausführungen der Kläger im Telefonat vom 07.02.2023 und im Schreiben vom 09.02.2023 auf die Fortsetzung des Berufungsverfahrens und Entscheidung in der Sache richtenden Begehren haben keinen Erfolg.

Wenn zwischen den Beteiligten Streit darüber besteht, ob eine Rücknahme des Rechtsmittels erklärt worden oder ob sie wirksam ist, ist das Rechtsmittelverfahren fortzuführen (BSG, Urteil vom 28.01.2009 – B 6 KA 11/08 R, juris Rn. 21; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 102 Rn. 12). Konsequentermaßen muss in dem fortzusetzenden ursprünglichen Rechtsmittelverfahren dann zunächst geklärt werden, ob das Verfahren nicht bereits durch eine wirksame Rücknahme des Rechtsmittels gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt ist. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine Erledigung der Hauptsache nicht eingetreten ist, hat es über das Rechtsmittel in der durch die Verfahrensordnung vorgegebenen Form zu entscheiden. Gleiches gilt auch, wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Rücknahme des Rechtsmittels wirksam erklärt worden ist (BSG, Urteil vom 26.07.1989 – 11 RAr 31/88, juris Rn. 10; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 102 Rn. 12). Das Gericht hat dann im Tenor festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Klagerücknahme erledigt ist oder dass die Klage zurückgenommen ist (Burkiczak in jurisPK-SGG, § 102 Rn. 95).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass der unter dem Aktenzeichen L 3 AS 1739/21 anhängige Rechtsstreit durch die am 11.01.2023 erfolgte Rücknahmeerklärung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG erledigt ist.

Die in dem über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) im Sinne des § 65a Abs. 4 Nr. 2 SGG des damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger, Rechtsanwalt V, an das elektronische Postfach des LSG Baden-Württemberg übermittelten Schriftsatz vom 11.01.2023 enthaltene Erklärung, die Berufung werde „namens und in Vollmacht der Kläger“ zurückgenommen, ist ihrem Wortlaut nach eindeutig. Zweifel am Inhalt der Erklärung bestehen nicht und werden auch von den Klägern nicht geltend gemacht. Die Erklärung ist auch nicht unwirksam. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Rechtsanwalt V bei ihrer Abgabe nicht mehr prozessbevollmächtigt gewesen wäre. Möglicherweise bestandene Vereinbarungen im Innenverhältnis vermögen die Wirksamkeit der Rücknahme des Rechtsmittels nicht zu beseitigen (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 102 Rn. 7c). Im Übrigen spricht gegen den Vortrag der Kläger, sie seien mit einer Berufungsrücknahme nicht einverstanden gewesen, Rechtsanwalt V habe sie telefonisch nicht kontaktiert und sie hätten ihm auch nicht ihr Einverständnis gegeben, die Berufungen zurückzunehmen, der Umstand, dass sich der Kläger in dem mit dem Berichterstatter am 11.01.2023 geführten Telefonat mit einer Berufungsrücknahme einverstanden erklärt hat und Rechtsanwalt V sodann in einem weiteren am 11.01.2023 geführten Telefonat dem Berichterstatter mitgeteilt hat, die Kläger seien mit einer Berufungsrücknahme einverstanden, so dass er nun die Berufung formgerecht zurücknehmen werde.

Eine Anfechtung, ein Widerruf oder ein Ungeschehenmachen dieser Klagerücknahme auf sonstige Weise ist nicht möglich, da sie als Prozesshandlung grundsätzlich weder widerrufbar noch wegen Irrtums anfechtbar ist (BSG, Beschluss vom 19.03.2002 – B 9 V 75/01 B, juris Rn. 3; BSG, Beschluss vom 24.04.2003 – B 11 AL 33/03 B, juris Rn. 3; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2021 – L 6 AS 304/19, juris Rn. 14; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25.08.2020 – L 5 P 135/19, juris Rn. 31).

Nur ausnahmsweise ist im sozialgerichtlichen Verfahren der Widerruf einer Prozesserklärung möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 179 oder § 180 SGG in Verbindung mit §§ 578 ff. ZPO vorliegen (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.06.2021 – L 6 AS 304/19, juris Rn. 15). Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die Voraussetzungen, wie zum Beispiel falsche eidliche Aussage des gegnerischen Prozessbeteiligten, Urkundenfälschung, Urteilserschleichung, strafbare Amtspflichtverletzung eines Richters oder Auffinden einer bisher unbekannten Urkunde, liegen offensichtlich nicht vor.

Damit hat die ausdrücklich erfolgte Rücknahme der Berufung zwingend die Rechtsfolge des § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG ausgelöst (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 102 Rn. 9).

Ist der Rechtsstreit nach alledem nicht fortzusetzen, kann auch das Begehren der Kläger auf Entscheidung in der Sache keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.

Rechtskraft
Aus
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