L 9 AS 824/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 5/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 824/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2021 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.




Tatbestand

Der Kläger wendet sich im Berufungsverfahren noch gegen die sanktionsweise Minderung des Arbeitslosengeldes II (Alg II) um monatlich 30 v.H. (i.H.v. monatlich 124,80 €) des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für den Zeitraum 01.08.2018 bis 31.10.2018 und begehrt die Gewährung von Zinsen aufgrund des ihm deswegen nachzuzahlenden Betrags.

Der 1984 geborene Kläger war ab dem Wintersemester 2015/2016 als Student an der R-K-Universität H eingeschrieben, für die Sommersemester 2016 und 2017 war er beurteilt, zum Wintersemester 2018/2019 wurde er exmatrikuliert. Darüber hinaus befand sich der Kläger seit dem Jahr 2017 in einem Räumungsrechtsstreit mit seiner (früheren) Vermieterin – dem Studierendenwerk Heidelberg -, der nach Angaben des Klägers schließlich am 25.10.2019 zur Zwangsräumung der Wohnung führte. Im streitigen Zeitraum war für das Wohnheimzimmer ein Mietzins in Höhe von 306,00 € zu entrichten.

Am 31.03.2017 stellte er bei dem Beklagten erstmals einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Mit Schreiben vom 05.09.2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass bei ihm am 29.07.2017 Antragsunterlagen zum formlosen Neuantrag vom 31.03.2017 eingegangen seien. Der Antrag vom 31.03.2017 sei mit Ablehnungsbescheid vom 12.05.2017 jedoch abgelehnt worden und hiergegen seitens des Klägers kein Widerspruch erhoben worden. Das früheste Antragsdatum sei damit der 29.07.2017, eine Leistungsbewilligung könne daher erst ab dem 01.07.2017 geprüft werden. Um über seinen erneuten Antrag entscheiden zu können, fehlten noch Unterlagen. Der Beklagte forderte den Kläger unter Fristsetzung bis zum 22.09.2017 auf, in dem Schreiben vom 05.09.2017 konkret bezeichnete Unterlagen einzureichen. Darüber hinaus wies der Beklagte auf die Möglichkeit der Versagung der Leistungen wegen fehlender Mitwirkung hin.

Nachdem zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch den Beklagten wegen fehlender Mitwirkung versagt worden waren, bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 24.05.2018 für den Zeitraum 01.04.2018 bis 30.09.2018 vorläufig Leistungen in Höhe des Regelbedarfs von 416,00 € monatlich.

Mit Eingliederungsvereinbarung vom 22.05.2018, die sowohl vom Kläger als auch einer Vertreterin des Beklagten unterzeichnet wurde, wurde zwischen den Beteiligten mit dem Ziel der Aufnahme einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt u.a. vereinbart, dass der Kläger sich zur Integration in Arbeit ab sofort monatlich schriftlich/telefonisch/persönlich um mindestens sechs sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen bewerbe und hierüber bis zum jeweils 22. (Kalendertag) eines jeden Monats einen Nachweis in Form einer Bewerbungsübersicht vorlege. Des Weiteren wurde vereinbart, dass der Kläger seine Bewerbungsunterlagen, wie im Termin am 22.05.2018 besprochen, hinsichtlich der Aktualität seines Lebenslaufes und des Anschreibens überarbeite und seine aktualisierten Bewerbungsunterlagen bis zum 01.06.2018 postalisch, persönlich oder per E-Mail vorlege. Unter Ziffer 12 enthält die Eingliederungsvereinbarung eine Rechtsfolgenbelehrung.

Nachdem der Kläger bis zum 01.06.2018 keine Bewerbungsunterlagen vorlegt hatte, hörte ihn der Beklagte mit Schreiben vom 07.06.2018 zum möglichen Eintritt einer Sanktion an und begründete dies damit, dass der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis der Eingliederungsvereinbarung nicht nachgekommen sei, da er bis zum 01.06.2018 keine Bewerbungsunterlagen eingereicht habe. Dem Kläger wurde die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum 25.06.2018 zur Anhörung zu äußern. In einem Telefonvermerk vom 29.06.2018 heißt es, der Kläger sei telefonisch auf die Anhörungsfrist angesprochen worden, wobei der Grund der Anhörung erneut erläutert worden sei. Dem Kläger sei angeboten worden, sich telefonisch zur Anhörung zu äußern. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er das Anhörungsschreiben erhalten habe, jedoch für ihn kein Grund bestehe, sich diesbezüglich zu äußern. Er habe keine Bewerbungsunterlagen und auch keine Zeit, um diese zu erstellen. Er nutze seine Zeit, um sich mit Räumungsklagen zu befassen, die der Beklagte verschuldet habe.

Mit Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 minderte der Beklagte sodann für den Zeitraum 01.08.2018 bis 31.10.2018 das Alg II des Klägers um monatlich 30 v.H. des für ihn maßgebenden Regelbedarfs und konkret monatlich i.H.v. 124,80 € und hob den Bewilligungsbescheid vom 24.05.2018 insoweit auf. Der Kläger sei der Vereinbarung trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nachgekommen. Sein Verhalten habe er damit begründet, dass er keine Notwendigkeit sehe, Bewerbungsunterlagen zu erstellen. Mit Änderungsbescheid ebenfalls vom 10.07.2018 setzte der Beklagte die Minderung um und bewilligte dem Kläger für den Zeitraum August und September 2018 Leistungen i.H.v. 291,20 € monatlich.

Mit Anhörungsschreiben vom 26.07.2018 wurde der Kläger zum möglichen Eintritt einer weiteren Sanktion angehört und dies damit begründet, dass in der Eingliederungsvereinbarung vom 22.05.2018 als Eigenbemühungen des Klägers mindestens sechs Bewerbungen auf sozial- versicherungspflichtige Beschäftigungen zum jeweils 22. (Kalendertag) eines jeden Monats vereinbart worden seien. Nach dem bisherigen Stand sei davon auszugehen, dass der Kläger dem trotz schriftlicher Vereinbarung nicht nachgekommen sei, da er keine Nachweise über die Eigenbemühungen vom 22.06.2018 und 22.07.2018 vorgelegt habe. Dem Kläger wurde die Möglichkeit zur Stellungnahme bis zum 12.08.2018 eingeräumt.

Gegen den Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 erhob der Kläger mit Schreiben vom 13.08.2018 Widerspruch, ohne diesen zu begründen.

In einem Vermerk vom 13.08.2018 heißt es, der Kläger habe sich nicht zur Anhörung vom 26.07.2018 geäußert und die Anhörungsfrist sei zwischenzeitlich verstrichen. Auch seien bislang keine Nachweise für Bewerbungsbemühungen nachgereicht worden. Mit Bescheid vom 23.08.2018 minderte der Beklagte sodann für den Zeitraum 01.09.2018 bis 30.11.2018 das Alg II des Klägers monatlich um 60 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs und konkret um monatlich 249,60 €, weil der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Vereinbarung in der Eingliederungsvereinbarung vom 22.05.2018, monatlich sechs Bewerbungen nachzuweisen, nicht nachgekommen sei und einen wichtigen Grund für sein Verhalten nicht mitgeteilt habe. Da der Kläger wiederholt seinen Pflichten nicht nachgekommen sei, mindere sich sein Alg II für den Minderungszeitraum um monatlich 60 v.H. des maßgebenden Regelbedarfs. Die Minderung wurde von dem Beklagten mit Bescheid vom 24.08.2018 umgesetzt.

Am 27.08.2018 beantragte der Kläger im Hinblick auf die Sanktion vom 10.07.2018 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim Sozialgericht Mannheim (SG) und führte zur Begründung aus, die Begründung des Sanktionsbescheides sei komplett erfunden. Er habe Frau Badajan am 23.05.2018 über die geforderten Unterlagen (Anschreiben und Lebenslaut) mündlich in Kenntnis gesetzt, worauf diese ihm entgegnet habe, dass ihr das so ausreiche. Der Beklagte teilte hierzu mit, dass die Mitarbeiterin B die Richtigkeit des Verbis-Vermerkes vom 29.06.2018 nochmals bejaht habe und ein Gespräch zwischen dem Kläger und Frau B in Bezug auf die nachzuweisenden Bewerbungsunterlagen trotz mehrfacher ergebnisloser Versuche seitens des Beklagten nicht stattgefunden habe. Die gerichtliche Aufforderung an den Kläger mitzuteilen, auf welchem Wege die behauptete mündliche Besprechung der Unterlagen am 23.05.2018 (telefonisch oder persönlich) erfolgt sei, blieb unbeantwortet. Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (S 16 AS 2428/18 ER) wurde mit Beschluss vom 01.10.2018 abgelehnt.

Am 28.09.2018 legte der Kläger auch gegen den Bescheid vom 23.08.2018 Widerspruch ein, ohne diesen zu begründen. Unter dem 15.10.2018 stellte der Kläger erneut einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG (S 16 AS 2911/18), mit dem er sich gegen die Sanktion vom 23.08.2018 wandte. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 25.10.2018 abgelehnt.

Mit zwei gesonderten Widerspruchsbescheiden vom 23.11.2018 wurden die Widersprüche gegen die Sanktionsbescheide vom 10.07.2018 und 23.08.2018 als unbegründet zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid betreffend den Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 trägt einen Abendevermerk vom 23.11.2018 und der Widerspruchsbescheid vom 23.11.2018 betreffend den Sanktionsbescheid vom 23.08.2018 einen Absendevermerk vom 26.11.2018. Darüber hinaus findet sich in der Verwaltungsakte eine Zustellungsurkunde vom 28.11.2018, die die Zustellung „Bescheid vom 23.11.2018“ am 28.11.2018 dokumentiert.

Gegen die Widerspruchsbescheide vom 23.11.2018 hat der Kläger am 31.12.2018 Klage zum SG erhoben und zugleich vorsorglich Wiedereinsetzung beantragt. Das Verfahren gegen den Bescheid vom 10.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2018 (S 16 AS 5/19) und das Verfahren gegen den Bescheid vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2018 (S 6 AS/19) sind mit Beschluss vom 08.10.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 16 AS 5/19 verbunden worden.

Mit gerichtlicher Verfügung vom 08.10.2019 hat das SG den Beklagten gebeten, klarzustellen, auf welchen Widerspruchsbescheid sich die Zustellungsurkunde vom 28.11.2018 beziehe und ob lediglich einer der Widerspruchsbescheide per Zustellungsurkunde versandt worden sei. Mit Schriftsatz vom 10.10.2019 hat der Beklagte zur gerichtlichen Verfügung vom 08.10.2019 dahingehend Stellung genommen, dass der Bearbeiter des Widerspruchs seiner Erinnerung nach am 23.11.2018 bei Bearbeitungsbeginn des Widerspruchs den Absendevermerk eingetragen habe. Da der Widerspruchsbescheid bis zur Abholung der Post nicht fertig gewesen sei, sei er an diesem Tage nicht mehr in den Postversand gelangt, sondern erst - mit dem weiteren Widerspruchsbescheid vom 23.11.2018 - am darauffolgenden Montag, dem 26.11.2018. Dabei seien seiner Erinnerung nach auch beide Widerspruchsbescheide am 26.11.2018 zusammen in einem Kuvert per Postzustellungsurkunde an den Kläger verschickt worden. Die Urkunde sei allerdings von der Poststelle gefertigt worden, die vermutlich nicht erkannt habe und deshalb auch nicht vermerkt habe, dass es sich bei dem Inhalt um zwei verschiedene Widerspruchsbescheide gehandelt habe.

Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 08.01.2019 sind dem Kläger für den Zeitraum Oktober 2018 bis März 2019 Leistungen bewilligt worden, wobei für die Monate Oktober und November 2018 die Sanktion vom 23.08.2018 berücksichtigt worden ist.

Mit Schriftsatz vom 16.01.2020 hat der Beklagte die Minderung i.H.v. monatlich 60 v.H. des Regelbedarfs für die Zeit vom 01.09.2018 bis zum 30.11.2018 aufgehoben. Mit Änderungsbescheiden vom 15.01.2020 hat der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum 01.09.2018 bis 30.11.2018 wegen der Aufhebung der Sanktion vom 23.08.2018 monatlich 249,60 € mehr bewilligt.

Mit Bescheid vom 08.04.2019 hat die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.03.2019 Leistungen bewilligt, für die Monate Oktober und November 2018 in Höhe von 2,40 €, für Dezember 2018 in Höhe von 552,00 € und für Januar 2019 bis März 2019 in Höhe von 730,00 €. Nach der vorläufigen Entscheidung vom 08.01.2019 ergehe nunmehr eine abschließende Entscheidung.

Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 04.02.2020 sowie vom 27.02.2020 zur Absicht des SG, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden, angehört worden; ihnen ist die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (L 9 AS 715/20), welche er sodann am 19.03.2020 zurückgenommen hat.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.01.2021 hat das SG die Klagen abgewiesen. Die Klagen seien als fristgerecht erhoben anzusehen, da der genaue Zeitpunkt der Bekanntgabe der Widerspruchsbescheide und damit der Beginn des Laufs der Klagefrist nicht festgestellt werden könne. Der Beklagte habe mitgeteilt, dass seiner Erinnerung nach beide Widerspruchsbescheide vom 23.11.2018 erst am 26.11.2018 versandt worden seien und insofern der Absendevermerk vom 23.11.2018, der sich auf einem Widerspruchsbescheid vom 23.11.2018 befinde, nicht zutreffend sei. Den Absendevermerken könne daher für die Berechnung der Klagefrist keine Bedeutung zugemessen werden. Gleiches gelte für die Postzustellungsurkunde, die eine Zustellung am 28.11.2018 dokumentiere. Es sei weder belegt, welcher Widerspruchsbescheid mit Postzustellungsurkunde versandt worden sei, noch, dass beide zusammen mit Postzustellungsurkunde versandt worden seien. Die Klagen seien nach alledem im Zweifel als rechtzeitig anzusehen. Gegenstand des Verfahrens sei zum einen der Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2018, mit dem der Beklagte die Minderung des Alg II des Klägers i.H.v. 30 v.H. des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 01.08.2018 bis 31.10.2018 festgestellt habe und der diese Minderung umsetzende Änderungsbescheid vom gleichen Tag. Zum anderen sei Gegenstand des Verfahrens der - zwischenzeitlich aufgehobene - Sanktionsbescheid vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2018, mit dem der Beklagte die Minderung des Alg II des Klägers i.H.v. 60 v.H. des für ihn maßgebenden Regelbedarfs für die Zeit vom 01.09.2018 bis 31.11.2018 festgestellt habe und der diese Minderung umsetzende Änderungsbescheid vom 24.08.2018 sowie die Bescheide vom 15.01.2020, die Gegenstand des Klageverfahrens geworden seien.

Die Klage gegen den Sanktionsbescheid vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vorn 23.11.2018, mit dem der Beklagte die Minderung des Alg II des Klägers um 60 v.H. des für ihn maßgeblichen Regelbedarfs für den Zeitraum 1.09.2018 bis 30.11.2018 festgestellt habe, sei unzulässig. Der Beklagte habe diese Sanktion zwischenzeitlich aufgehoben und dem Kläger mit Änderungsbescheiden vom 15.01.2020 für den betreffenden Zeitraum 01.09.2019 bis 30.11.2018 monatlich 249,60 € mehr bewilligt. Sofern der Kläger die Verzinsung der nachgewährten Leistungen begehre, sei lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass Sozialleistungen von Amts wegen zu verzinsen seien. Der Sanktionsbescheid vom 23.08.2018 sei jedenfalls nicht mehr existent und das Rechtsschutzbedürfnis an der Klage entfallen.

Sofern der Kläger sich gegen den Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2018 wende, sei die Klage unbegründet. Der Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 sei formell rechtmäßig, insbesondere sei der Kläger mit Anhörungsschreiben vom 07.06.2018 zum möglichen Eintritt einer Sanktion angehört worden. Des Weiteren sei er materiell rechtmäßig. Der Kläger sei seiner Pflicht aus der Eingliederungsvereinbarung vom 22.05.2018, bis zum 01.06.2018 seine aktualisierten Bewerbungsunterlagen beim Beklagten postalisch, persönlich oder auch per E-Mail einzureichen, nach den glaubhaften Angaben des Beklagten nicht nachgekommen und habe (auch in der nachfolgenden Zeit) keine aktualisierten bzw. überarbeiteten Bewerbungsunterlagen vorgelegt. Sofern der Kläger im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hierzu vorgetragen habe, dass er seine aktualisierten Bewerbungsunterlagen am 23.05.2018 mit seiner Sachbearbeiterin besprochen habe, vermöge dies nicht zu überzeugen. Der Kläger habe diesen Vortrag zu keiner Zeit - weder im einstweiligen Rechtsschutz- noch im Klageverfahren - glaubhaft gemacht und insbesondere weder dargetan, auf welchem Wege er seine aktualisierten Bewerbungsunterlagen mit seiner Sachbearbeiterin besprochen haben wollte noch in der nachfolgenden Zeit die aktualisierten Bewerbungsunterlagen vorgelegt. Die Pflicht zur Vorlage der aktualisierten Bewerbungsunterlagen bis zum 01.06.2018 sei auch hinreichend klar bestimmt und dem Kläger zumutbar gewesen. Der Kläger sei in der Eingliederungsvereinbarung über die Folgen eines Pflichtverstoßes schließlich auch korrekt und verständlich belehrt worden. Einen wichtigen Grund für die Nichtvorlage der aktualisierten Bewerbungsunterlagen bis zum 01.06.2018 habe der Kläger weder vorgetragen noch sei ein solcher ersichtlich. Die sich aus der Pflichtverletzung ergebenden Rechtsfolgen seien von dem Beklagten korrekt festgestellt worden. Ebenso habe der Beklagte die gesetzlichen Vorgaben zu Beginn und Dauer der Minderung zutreffend angewandt.

Gegen den ihm am 30.01.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 01.03.2021, einem Montag, Berufung eingelegt.

Der Kläger beantragt wörtlich:

Der Beklagte wird verurteilt, unter Aufhebung der bisherigen Bescheide, Widerspruchsbescheide und Änderungsbescheide, dem Kläger Leistungen wie folgt zu bewilligen und zu zahlen:
Sämtliche im Jahr 2018 vom Regelsatz (416,00 €) abgezogenen Beträge
Zinsen nach dem § 44 SGB I auf die unter I. genannten Beträge bis zur Leistung

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Der Senat hat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten die Berufung mit Beschluss vom 24.06.2021 nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) der Berichterstatterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Der Senat konnte über die Berufung des Klägers entscheiden, obwohl dieser in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend war. Auf diese Möglichkeit ist der Kläger in der Ladung zum Termin hingewiesen worden (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger ist mit der ihm am 24.02.2022 zugestellten Ladung im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden könne. Dem Kläger war damit die Gelegenheit eingeräumt worden, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung in der mündlichen Verhandlung zu äußern. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 Abs. 1 SGG war durch die Vorsitzende mit Blick auf die umfangreichen schriftlichen Hinweise und den aufgeklärten Sachverhalt nicht als erforderlich angesehen worden. Dem erst am Tag der Sitzung knapp 2,5 Stunden vor Sitzungsbeginn beim LSG Baden-Württemberg eingegangenen Terminverlegungsantrag war nicht stattzugeben und die mündliche Verhandlung nicht zu vertagen, weil der Kläger einen erheblichen Grund im Sinne des § 202 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 227 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zwar vorgetragen, jedoch nicht ausreichend glaubhaft gemacht hat. Gerade bei – wie hier – sehr kurzfristig vor dem Termin gestellten Anträgen auf Terminverlegung bestehen hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung des geltend gemachten erheblichen Grundes (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 28.09.2018, B 9 V 22/18 B, Juris m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt der vom Kläger gestellte Antrag auf Terminverlegung nicht. Zwar hat der Kläger gegenüber dem Senat vorgebracht, aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Termin erscheinen zu können. Er hat jedoch die gesundheitlichen Gründe nicht glaubhaft gemacht. Er hat bis zum Sitzungsbeginn (und auch danach) entgegen seiner Ankündigung kein Attest vorgelegt. Es liegt keine ärztliche Bescheinigung vor, aus der sich die Art oder Schwere und die voraussichtliche Dauer der Erkrankung entnehmen, was das BSG jedoch in der zitierten Entscheidung gefordert hat (BSG, a.a.O.). Denn nur dann kann das Gericht die Frage der Verhandlungsfähigkeit selbst beurteilen. Aus dem Protokoll über den Termin vom 16.11.2021 geht hervor, dass zu prüfen sein wird, aufgrund welcher Befunde Verhandlungsunfähigkeit, wie von der Hausärztin bescheinigt, anzunehmen ist. Der Kläger konnte und durfte daher nicht davon ausgehen, dass das Attest der Hausärztin vom 29.10.2021 auch für künftige Termine ausreichend sein wird, um einem Antrag auf Terminverlegung zu entsprechen. Der Kläger hat trotz entsprechender Aufforderung vom 25.11.2021 schließlich keine Schweigepflichtentbindungserklärung vorgelegt, die dem Senat eigene Ermittlungen hinsichtlich seiner Verhandlungsfähigkeit ermöglicht hätte. Der Kläger durfte und musste, da er eine Terminsaufhebung nicht erhalten hat, auch davon ausgehen, dass der Termin stattfindet (BSG, Urteil vom 06.10.2010 - B 12 KR 58/09 B -, Juris). Aufgrund des kurzfristigen Terminverlegungsantrags, der erst 2,5 Stunden vor Sitzungsbeginn eingegangen ist, hätte der Kläger, etwa durch eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle, klären müssen, ob der Termin zur mündlichen Verhandlung stattfindet oder aufgehoben wurde.

2. Die Berufung hat keinen Erfolg.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgemäß (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden, sie ist jedoch nicht statthaft, da die Berufungssumme nicht erreicht wird.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 28.01.2021, mit dem das SG über den Antrag des Klägers auf Aufhebung des Sanktionsbescheids vom 10.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2018 sowie des Sanktionsbescheids vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2018 entschieden hat. Mit seinem Antrag im Berufungsverfahrens begehrt der Kläger die Auszahlung sämtlicher im Jahr 2018 vom Regelsatz (416,00 €) abgezogener Beträge. Nachdem der Beklagte den Sanktionsbescheid vom 23.08.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2018 und damit die Minderung der Leistungen um 60 v.H. für die Monate September bis November 2018 aufgehoben hat, begehrt er, neben den geltend gemachten Zinsen, noch die Aufhebung des Sanktionsbescheids vom 10.07.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.08.2018.

Die so zu auszulegende Berufung des Klägers ist nicht statthaft.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG (in der seit 01.04.2008 geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 24 Buchstabe a des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008, BGBl I, S. 444) bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 € oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts und Behörden 10.000,00 € nicht übersteigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Werden innerhalb eines Klageverfahrens mehrere Streitgegenstände im Wege der objektiven Klagehäufung geltend gemacht, ist die Zulässigkeit von Rechtsmitteln hinsichtlich jedes Streitgegenstands grundsätzlich eigenständig zu prüfen (BSG, Beschlüsse vom 18.04.2016 - B 14 AS 150/15 BH - und vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B -, juris).
Die Prüfung des Beschwerdeausschlusses nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG erfolgt hiernach anhand des mit der Beschwerde verfolgten Rechtsschutzbegehrens.

Bei einer Klage auf Gewährung einer Geldleistung bestimmt sich der Beschwerdewert i.S.v. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG allein nach dem Geldbetrag, den das erstinstanzliche Gericht versagt hat und der vom Beschwerdeführer weiterverfolgt wird. Maßgebend ist die Leistung, die im Streit ist. Die Höhe der geltend gemachten Kosten ist durch den Kläger nicht konkret beziffert worden. Bei einem unbezifferten Klageantrag hat das Berufungsgericht den Beschwerdewert zu ermitteln. Dabei ist eine überschlägige Berechnung unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens ausreichend (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.03.2015, L 19 AS 240/15 NZB m.w.N., Juris).

Mit dem noch streitgegenständlichen Sanktionsbescheid vom 10.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2018 minderte der Beklagte für den Zeitraum 01.08.2018 bis 31.10.2018 das Alg II des Klägers um monatlich 30 v.H. des für ihn maßgebenden Regelbedarfs und konkret um monatlich 124,80 € monatlich, so dass sich der Beschwerdewert aufgrund der Sanktion auf 374,40 € beläuft. Soweit der Antragsteller darüber hinaus noch Zinsen nach § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) geltend macht, führt dies nicht dazu, dass die erforderliche Berufungssumme erreicht wäre. Gemäß § 44 Abs.1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier von Hundert zu verzinsen. Die Verzinsung beginnt frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung (§ 44 Abs. 2 SGB I), verzinst werden volle Euro-Beträge, wobei der Kalendermonat mit dreißig Tagen zugrunde zu legen ist (§ 44 Abs. 3 SGB I). Der Kläger hat nicht angegeben, ab wann er eine Verzinsung beantragt; selbst wenn man eine Forderung von 374,40 € ab August 2018 und bis heute (35 Monate) zugrunde legen würde, beliefe sich die Zinszahlung lediglich auf 43,68 €. Damit stehen weder wiederkehrende oder laufende Leistungen von mehr als einem Jahr im Streit noch ist die erforderliche Berufungssumme von mehr als 750,00 € erreicht. Das SG hat die Berufung im Gerichtsbescheid vom 27.01.2020 auch nicht zugelassen.

Dies begründet selbst bei meistbegünstigender Auslegung die Zulässigkeit der Berufung nicht, da insoweit keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG im Streit sind.

Die Berufung ist damit (insgesamt) unzulässig. Nachdem der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 750,00 € nicht übersteigt, hätte die Berufung daher der Zulassung durch das SG bedurft. Eine solche Zulassung hat das SG nicht ausgesprochen. Dass die Rechtsmittelbelehrung die Berufung erwähnt, genügt allein nicht (st. Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteile vom 28.03.1957 - 7 RAr 103/55 -, und vom 23.07.1998 - B 1 KR 24/96 R -, jeweils Juris).

Die Berufung war daher zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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