L 2 AS 3272/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AS 3763/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 3272/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand


Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten eine Forderung für den Zeitraum März bis Mai 2020 in Höhe von zusammen 3.018,62 € geltend.

Der 1966 geborene erwerbsfähige Kläger bezieht vom Beklagten mit Unterbrechungen laufend Grundsicherung nach dem SGB II. Er ist selbstständig als Hausmeister für verschiedene Auftraggeber tätig und erzielt daraus schwankendes Einkommen.

I.

Am 29. Februar 2020 beantragte der Kläger die Weitergewährung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sein Antrag einschließlich der Anlage zur vorläufigen Erklärung zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (Anlage EKS) für den Zeitraum 1. März 2020 bis 31. August 2020 ging am 16. März 2020 beim Beklagten ein. Da die Anlage EKS nicht nachvollziehbar ausgefüllt gewesen sei, hat der Beklagte den Kläger darüber informiert, dass zur Entscheidung über eine weitere Leistungsgewährung die Anlage EKS nachvollziehbar ausgefüllt sein müsse. Am 6. April 2020 reichte der Kläger eine neue für den streitigen Zeitraum ausgefüllte Anlage EKS ein (Bl. 4595 ff VA).
Mit Bescheid vom 16. April 2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger daraufhin gemäß § 41a SGB II vorläufig im Hinblick auf die noch nicht feststehende endgültige Höhe der Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit Leistungen für den Zeitraum 1. März 2020 bis 31. August 2020 in Höhe von monatlich 248 € für die Monate März bis Juli 2020 sowie in Höhe von 201,71 € für den Monat August 2020. Hinsichtlich der Höhe des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit waren auf der Grundlage des vorangegangenen Bewilligungszeitraumes (1. September 2019 bis 29.  Februar 2020) monatlich 980 €, abzüglich von Freibeträgen nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II in Höhe von 276 €, also 704 € prognostiziert und entsprechend in der Bedarfsberechnung berücksichtigt worden (entsprechend dem unmittelbar vorausgehenden Leistungszeitraum und insoweit unbeanstandet vom Beschluss des Sozialgerichts <SG> Freiburg vom 26. Februar 2020 im Verfahren S 16 AS 4910/19 ER und Beschluss des Landessozialgerichts <LSG> Baden-Württemberg vom 19. März 2020 auf die dagegen eingelegte Beschwerde, Az. L 9 AS 790/20 ER-B). Ferner berücksichtigte der Beklagte eine Mieterhöhung um monatlich 20,- Euro (entsprechend ebenfalls dem Beschluss des SG vom 26. Februar 2020 im Verfahren S 16 AS 4910/19 ER zum unmittelbar vorausgehenden Leistungszeitraum) und senkte die gewährten Kosten der Unterkunft ab August 2020 auf eine für angemessen gehaltene Höhe ab.

Hiergegen hat der Kläger am 29. April 2020 beim Sozialgericht (SG) Freiburg Klage erhoben (S 16 AS 1364/20), die der Beklagte zugleich als Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. April 2020 wertete (die Berufung in diesem Verfahren ist beim Senat unter dem Az. L 2 SO 3271/21 anhängig).

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. August 2020 (SG-Akte – S 16 AS 1364/20 - Bl. 80) half der Beklagte dem Klage- und Widerspruchsbegehren teilweise ab und bewilligte (vorläufig gemäß § 41a SGB II) höhere Leistungen in Höhe von monatlich 342,70 Euro im gesamten Bewilligungszeitraum (März 2020 bis August 2020). Er berücksichtigte hierbei neben dem Regelbedarf in Höhe von 432 € die tatsächlichen Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt einschließlich Neben- und Heizkosten in Höhe von 520 € (Gesamtbedarf 952 €) und nunmehr ein monatlich bereinigtes Einkommen in Höhe von 609,30 € (monatliches Einkommen in Höhe von 861,63 € abzüglich eines Freibetrags von insgesamt monatlich 252,33 €).

II.

Bereits (vor Erlass des Widerspruchsbescheides in obiger Sache) am 30. Mai 2020, 16. Juni 2020 und 3. Juli 2020 legte der Kläger dem Beklagten drei von ihm ausgestellte und an den Beklagten adressierte handschriftliche Rechnungen wegen diverser erbrachter Leistungen vor (Bl. 5155, 4797 und 5159 VA bzw. SG-Akte Bl. 107-110).
Das erste dieser Dokumente ist mit „Lieferschein“ überschrieben, datiert auf den 30. Mai 2020, mit Unterschriftsdatum 27. Juni 2020 und stellt dem Beklagten „zur Antragstellung vom Sept. 2019 .... zusätzliche Aufwendungen im Mai 2020“ für Arbeitszeit (12,40 Std. zu 25,00 €) und Fahrtkosten sowie Porto in Höhe von zusammen 354,35 € in Rechnung.
Das zweite dieser Dokumente ist mit „Rechnung“ überschrieben, datiert auf den 16. Juni 2020, bezieht sich auf einen Lieferzeitraum „15.3.-14.4.20“ und stellt dem Beklagten unter anderem unter Bezug auf „offene Rechnungen“ vom 16. März 2020 (667,10 €) und 4. April 2020 (1.924,27 €) sowie zusätzlichem Aufwand, Pauschale Büro 25,00 €, Porto 3,30 € und einer Aufwendungspauschale in Höhe von 10,00 €, insgesamt 2.629,47 € in Rechnung.
Mit dem Dritten dieser Dokumente wiederholt der Kläger seine Forderungen aus vorgenannten beiden Dokumenten und ergänzt sie um Mehrkosten für Mahnung (10,00 €) und Zusatzaufwand Büro (25,00 €). Als fällige Gesamtsumme stellt er dem Beklagten nun 3.018,62 € in Rechnung.

Mit per Post versandten Bescheid vom 13. Juli 2020 (Bl. 5147 VA) lehnte der Beklagte die Zahlung von Leistungen aufgrund dieser Anträge ab.

Hiergegen erhob der Kläger am 24. August 2020 (Bl. 5047 VA) per Fax Widerspruch und erklärte, dass er den Ablehnungsbescheid wegen einer Reha-Maßnahme erst am 11. August 2020 erhalten habe. Die Aufforderung des Beklagten vom 19. September 2020, bis zum 5. Oktober 2020 einen Nachweis über die Reha-Maßnahme vorzulegen, ließ der Kläger unbeantwortet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2020 (Bl. 5405 VA) wies der Beklagte den Widerspruch sodann als unzulässig, weil verfristet, zurück.

III.

Am 19. Oktober 2020 hat der Kläger zunächst beim Beklagten und nochmals am 26. Oktober 2020 direkt beim SG die hier streitgegenständliche Klage erhoben (S 16 AS 3763/20), mit der der Kläger höhere Leistungen in dem Teilzeitraum März bis Mai 2020 geltend macht.

Der Kläger hat einerseits beanstandet, nie solche Anträge gestellt zu haben und andererseits letztlich sinngemäß geltend gemacht, Anspruch auf die von ihm mit den vorbezeichneten Dokumenten bezifferten Beträge zu haben.

Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 2021 die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass die Klage bereits wegen doppelter Rechtshängigkeit gemäß § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 17 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) unzulässig sei. Das Klagebegehren sei bei wirksamer Erhebung der Klage am 19. Oktober 2020 (§ 91 Abs. 1 SGG) bereits seit dem 29. April 2020 unter dem Az. 16 AS 1364/20 beim SG rechtshängig. Jenes Verfahren habe höhere Leistungen nach dem SGB II im Bewilligungszeitraum März bis August 2020 zum Gegenstand. Das vorlegende Begehrens auf Leistungen gerichtet, derer sich der Kläger aufgrund sozialrechtlicher Ansprüche berühmt habe. Dies gehe aus den im Tatbestand zitierten handschriftlichen „Rechnungen“ des Klägers hervor. Denn diese sei nicht nur an den für den Kläger zuständigen Träger von Leistungen nach dem SGB II adressiert, sondern würden darüber hinaus auf „Antragstellungen von Sept. 2019 und zusätzliche Aufwendungen im Mai 2020“ Bezug nehmen. Damit mache der Kläger in gerade noch erkennbarer Weise deutlich, dass er nicht etwa vermeintliche Werklohnforderungen wegen Hausmeisterdienste, die er dem Beklagten erbracht hätte, erhebe, sondern dass es ihm um eine höhere Auszahlung von Leistungen nach dem SGB II gehe (weil sein bedarfsmindernd anzurechnendes Einkommen aus selbständiger Tätigkeit niedriger als vom Beklagten berechnet sei). Zeitlich würden sich die drei Dokumente auf März bis Mai 2020 beziehen. Sie seien damit vollständig von dem bereits zuvor unter dem Aktenzeichen S 16 AS 1364/20 rechtshängig gewesenen und noch nicht abgeschlossenen Klageverfahren umfasst.



IV.

Der Kläger hat gegen den ihm mit Postzustellungsurkunde am 8. Oktober 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 20. Oktober 2021 Berufung beim LSG Baden-Württemberg erhoben. Der Kläger hat auch im Berufungsverfahren an seinem Begehren im Ergebnis festgehalten und nach wie vor geltend gemacht, dass hier zu Unrecht Einkommen aus der selbständigen Tätigkeit angerechnet worden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Oktober 2021 und den Bescheid des Beklagten vom 13. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm weitere Leistungen in Höhe von 3.018,62 € zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Der Aufenthalt des Klägers ist derzeit unbekannt. Post konnte ihm weder unter der zuletzt genannten Meldeadresse in H1, noch unter einer weiteren vom Beklagten benannten Adresse in D1 zugestellt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I.


Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 3. Mai 2023 auch in Abwesenheit des Klägers über den Rechtsstreit entscheiden, da der Kläger mit Beschluss vom 30. Januar 2023 ordnungsgemäß im Wege der öffentlichen Zustellung zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.

Entgegen der Auffassung des SG besteht hier jedoch aus Sicht des Senates keine doppelte Rechtshängigkeit im Sinne von § 202 SGG i.V.m. § 17 GVG. Denn der Kläger macht hier zwar im Ergebnis für die Monate März bis Mai 2020, die im Parallelverfahren S 16 AS 1364/20 (dortiger streitiger Zeitraum März bis August 2020) bezüglich der Höhe der Leistungen nach dem SGB II streitig sind, Forderungen gegenüber dem Beklagten geltend. Es handelt sich hierbei aber bei den als „Rechnung“/„Lieferschein“/„Mahnung“ geltend gemachten Forderungen um allgemein formulierte Forderungen (wie „Arbeitszeit“, „Mahnkosten“ etc.), die nicht zwingend dahingehend interpretiert werden können, der Kläger mache hiermit ebenso wie im Parallelverfahren letztlich aufgrund niedrigerer Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit konkret höhere Leistungen der Grundsicherung geltend. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte über diese geltend gemachte Forderung auch ausdrücklich mit Bescheid vom 13. Juli 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2020 entschieden hat.

Daraus folgt, dass anders als das SG die Klage zur Überzeugung des Senates zulässig, jedoch unbegründet ist.
Denn der vom Kläger erst am 24. August 2020 erhobene Widerspruch gegen den Bescheid vom 13. Juli 2020, der gemäß § 37 Abs. 2 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, also dem 16. Juli 2020 als bekannt gegeben gilt und aufgrund dessen wiederum die Widerspruchsfrist nach § 84 SGG damit am Montag, den 17. August 2020 endete, war verfristet. Der Kläger hat auch trotz Aufforderung durch den Beklagten keinen Wiedereinsetzungsgrund in die Widerspruchsfrist schlüssig dargelegt, insbesondere hat er nicht belegt, dass er tatsächlich aufgrund der Teilnahme an einer Reha-Maßnahme nicht in der Lage gewesen sein sollte, gegen den Bescheid vom 13. Juli 2020, den er nach eigenen Angaben am 11. August 2020 erhalten hatte, noch fristgerecht bis zum 17. August 2020 (zumindest fristwahrend) Widerspruch einzulegen. Der Beklagte hat daher den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2020 zutreffend als unzulässig, weil verfristet, zurückgewiesen, mit der weiteren Folge, dass der Ausgangsbescheid vom 13. Juli 2020 damit bestandskräftig und einer Sachprüfung durch das Gericht entzogen ist. Aufgrund dessen war die Klage schon aus diesem Grund unbegründet.

Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
Saved