S 13 R 52/19

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 13 R 52/19
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 168/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.    Die Berufung wird zugelassen.
 

Tatbestand

Beteiligten streiten um einen von dem Kläger geltend gemachten Erstattungsanspruch in Höhe von 359,84 €.

Der Kläger bewilligte der 1961 geborenen Frau A. (im Folgenden: Leistungsempfängerin), welche mit ihrem 1953 geborenen Partner in einer Bedarfsgemeinschaft lebte und hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II war, mit Bescheid vom 26.01.2017 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.01.2017 bis 30.09.2017 in Höhe von 269,52 € für den Monat Januar 2017 und in Höhe von 359,84 € monatlich für die Zeit ab Februar 2017. Da die Leistungsempfängerin bereits im Rahmen ihrer Antragstellung mitteilte, bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt zu haben, meldete der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2017 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X an, woraufhin die Beklagte mit Unterschrift und Stempel vom 08.02.2017, bei dem Kläger eingegangen am 10.02.2017, mitteilte, dass der Erstattungsanspruch dem Grunde nach anerkannt werde. Mit Schreiben vom 26.04.2017, dessen Eingangsdatum der Kläger nicht mehr nachvollziehen kann, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Leistungsempfängerin auf deren Antrag vom 27.12.2016 und ausgehend von einem Leistungsfall am 26.10.2016 beginnend ab 01.05.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit in Höhe von monatlich 509,25 € netto bis 30.04.2020 gewährt werde. Die Rente für den jeweiligen Monat werde am Monatsende ausgezahlt.

Mit Schreiben vom 04.05.2017 machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch für den Monat Mai 2017 in Höhe von 359,84 € geltend (vergleiche zur Berechnung der Erstattungsforderung Bl. 80, 81 der Verwaltungsakte des Klägers) und forderte die Beklagte auf, diesen Betrag zuzüglich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen. Nachdem die Beklagte hierauf mit Schreiben vom 08.06.2017 mitteilte, dass keine Nachzahlung aus dem Rentenbescheid vom 26.04.2017 zur Verfügung stehe, erläuterte die Klägerin ihr Erstattungsbegehren nochmals mit einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 11.07.2017 und führte aus, dass zum Zeitpunkt der Mitteilung vom 26.04.2017 die Leistungen nach dem SGB II für den Monat Mai 2017 bereits verarbeitet gewesen seien, so dass eine Anrechnung der Rente für den Monat Mai 2017 nicht mehr möglich gewesen sei. Die Beklagte lehnte hierauf mit Schreiben vom 09.08.2017 nochmals das Erstattungsbegehren des Klägers ab und führte zur Begründung aus, dass eine Erstattung nur bis zum Ende des Nachzahlungszeitraumes vorzunehmen sei, da der erstattungsberechtigte Leistungsträger nur für diesen Zeitraum in Vorleistung getreten sei. Vorliegend sei der Hilfesuchenden mit Bescheid vom 26.04.2017 ab 01.05.2017 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt worden. Eine rückwirkende Gewährung der Leistung sei daher nicht erfolgt und eine Nachzahlung nicht entstanden, so dass eine Erstattung von Rentenbeträgen an die Klägerin nicht erfolgen könne.

Nachdem die Beklagte auf weitere Schreiben des Rechtsamtes des Klägers vom 19.12.2017 und 22.01.2018 mitteilte, dass an der dortigen Rechtsauffassung festgehalten werde, erhob die Klägerin am 14.03.2019 Klage zum Sozialgericht Fulda mit dem Begehren auf Zahlung der Erstattungsforderung in Höhe von 359,84 €. Die Klägerin stützt ihr Begehren auf § 40a SGB II in Verbindung mit § 104 Abs. 1 SGB X und ist der Auffassung, dass es für das Bestehen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 Abs. 1 SGB X nicht auf die rückwirkende Bewilligung einer Leistung ankomme, sondern auf die hier gegebene Übereinstimmung der Anspruchszeiträume (Mai 2017). Während die SGB II-Leistungen im Voraus (§ 42 Abs. 1 SGB II) zu erbringen seien, würden die SGB VI-Leistungen im Nachhinein gewährt (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGB VI). Bei einem Wechsel der zu erbringenden Sozialleistung könne es daher wie hier zu einer Doppelleistung kommen. Die Klägerin beruft sich insoweit auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28.08.1997 zu dem Aktenzeichen 14/10 RKg 11/96 und den Beschluss des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23.12.2013 zu dem Aktenzeichen L 3 707/13 NZB. Daneben stützt der Kläger den geltend gemachten Anspruch darauf, dass die Beklagte den Erstattungsanspruch mit Unterschrift und Stempel vom 08.02.2017 dem Grunde nach anerkannt habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 359,84 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X nicht erfüllt seien, da sie als vorrangiger Leistungsträger die ihr obliegende Leistung rechtzeitig erbracht habe, indem die Rente gemäß § 118 Abs. 1 S. 1 2. HS SGB VI am letzten Bankarbeitstag des Monats, in dem sie fällig geworden sei, ausgezahlt worden sei. Aufgrund der rechtzeitigen Leistungserfüllung durch die Beklagte sei der Kläger damit nicht nachrangig verpflichteter Leistungsträger im Sinne von § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X. Möglicherweise bestehe für Rentner, welche vor dem Beginn ihrer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits Sozialhilfeleistungen erhielten und zum Beginn des Monats der laufenden Rentenzahlung über keine ausreichenden Mittel verfügten, um ihren zu diesem Zeitpunkt fällig werdenden finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, auch im Monat des Rentenbeginns eine Notlage im Sinne des Sozialhilferechts. Aus einer aus diesen Umständen gegebenenfalls resultierenden Leistungsverpflichtung der Sozialhilfe bzw. Grundsicherung erwachse jedoch kein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X gegenüber den Rentenversicherungsträgern, zumal die Sozialämter/Grundsicherungsträger von der darlehensweisen Leistungsgewährung nach § 24 Abs. 4 SGB II Gebrauch machen könnten.

Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beteiligten verwiesen.

Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 23.12.2020 und 28.12.2020 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung erklärt.


Entscheidungsgründe

Der Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, nachdem die Beteiligten zuvor Ihr Einverständnis hierzu erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist als Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage ist allerdings unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der im Monat Mai 2017 an die Leistungsempfängerin und den mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Partner gewährten Leistungen nach dem SGB II.

Als mögliche Anspruchsgrundlage kommt vorliegend, wie § 40a S. 1 und 2 SGB II klarstellt, ausschließlich § 104 SGB X in Betracht. Erstattungsansprüche des SGB II-Trägers nach § 103 SGB X sind, wie § 40a S. 4 SGB II klarstellt, auf die in § 44a SGB II geregelten Fälle beschränkt (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Januar 2016 – L 7 R 181/15 –, juris, Rn. 32; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – L 19 R 940/15 –, juris, Rn. 30).

Gemäß § 40a S. 1 SGB II steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des § 104 des Zehnten Buches ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu, sofern einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt wird. Der Erstattungsanspruch besteht gemäß § 40a S. 2 SGB II auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters oder eine Knappschaftsausgleichsleistung zuerkannt wird. Nach § 104 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, sofern ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist gemäß § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre.

Vorliegend fehlt es an der nicht rechtzeitigen Leistungserbringung der Beklagten als vorrangig verpflichtetem Leistungsträger im Sinne des § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, da die Beklagte die der Leistungsempfängerin zustehende Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Beachtung des § 118 Abs. 1 S. 1 SGB VI rechtzeitig durch Auszahlung am Ende des Monats Mai 2017 geleistet hat. Das Gericht folgt insoweit den Ausführungen des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts sowie des Bayerischen Landessozialgerichts in den vorgenannten Entscheidungen (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Januar 2016 – L 7 R 181/15 –, juris, Rn. 33 ff.; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – L 19 R 940/15 –, juris, Rn. 38 ff.). Zwar kann es in Fällen wie dem vorliegenden als Folge der unterschiedlichen Fälligkeitszeitpunkte (§ 42 Abs. 1 II bzw. § 118 Abs. 1 S. 1 SGB VI) im Übergang vom Leistungsbezug nach dem SGB II zum Rentenbezug zu einer knapp einmonatigen Bedarfslücke kommen. Dieser Bedarfslücke kann allerdings durch eine Darlehensgewährung gemäß § 24 Abs. 4 SGB II begegnet werden. Auch die Kammer vertritt insoweit die Auffassung, dass die darlehensweise Weiterzahlung der Leistungen nach dem SGB II im Übergangsmonat gegenüber einem Erstattungsanspruch vorzugswürdig ist, da die Annahme eines Erstattungsanspruchs im Übergangszeitraum zu erheblichen praktischen Problemen als Folge einer Bedarfslücke in den Folgemonaten führen kann (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Januar 2016 – L 7 R 181/15 –, juris, Rn. 35; Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – L 19 R 940/15 –, juris, Rn. 41). Dass es insoweit   wie auch im vorliegenden Fall   auch dazu kommen kann, dass der leistungsberechtigten Person aufgrund des Umstandes, dass der SGB II-Leistungsträger zum Zeitpunkt der Zahlung der Leistungen im Voraus noch keine sichere Kenntnis von der Rentengewährung für denselben Monat hat, für einen Monat zu Unrecht Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss gezahlt werden, ist der Kammer bewusst. Dem kann aber der Leistungsträger nach dem SGB II durch eine Aufhebungs- und Rückforderungsentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X begegnen.

Diesem Ergebnis steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Beklagte auf die Anmeldung des Erstattungsanspruchs des Klägers vom 20.01.2017 am 08.02.2017 mitteilte, dass der Erstattungsanspruch dem Grunde nach anerkannt werde. In dieser Rückmeldung der Beklagten vermag das Gericht kein außergerichtliches Anerkenntnis im Sinne einer vorbehaltlosen Bestätigung des Bestehens der hier streitgegenständlichen Forderung zu erkennen, zumal im Januar bzw. Februar 2017 weder erkennbar war, ob in Zukunft der Leistungsempfängerin überhaupt jemals eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des SGB VI gewährt würde noch, wann und in welcher Höhe diese Rentengewährung erfolgt. Die Mitteilung der Beklagten vom 08.02.2017 hatte daher lediglich zur Folge, dass sich die Beklagte im Nachhinein nicht mehr auf einen Anspruchsuntergang für in Unkenntnis bereits erbrachte Leistungen im Sinne des § 104 Abs. 1 S. 1 letzter Halbsatz SGB X hätte berufen können.

Da weitere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen, auf welche sich der Kläger vorliegend stützen könnte, nicht ersichtlich sind, war die Klage nach alledem abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 SGG zuzulassen, da zu der Frage, ob die rechtzeitige Zahlung einer beginnenden Rentenleistung nach § 118 Abs. 1 SGB VI den Erstattungsanspruch nach § 40a SGB II in Verbindung mit § 104 SGB X entfallen lässt, sowohl unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht a.a.O. sowie Bayerisches Landessozialgericht a.a.O. einerseits und Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.12.2013 – L 3 R 707/13 NZB (juris) andererseits) vertreten werden und daneben die Frage der Auslegung des § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt ist (Bundessozialgericht, Urteile vom 19.03.1992   7 Rar 26/91 (juris) sowie vom 25.01.1994 – 7 Rar 42/93 (juris) einerseits und Urteil vom 28.08.1997 – 14/10 RKG 11/96 (juris) andererseits).
 

Rechtskraft
Aus
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