L 5 SG 66/23 B E

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 1 SF 64/20 E
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 SF 66/23 B E
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Steht im Grundsicherungsrecht eine einmalige Leistung in Höhe von 500 € in Streit, ist es vertretbar, wenn der Rechtsanwalt die Bedeutung der Angelegenheit als überdurchschnittlich bewertet, auch wenn die Leistung im engeren Sinne keine existenzsichernde Funktion hat (hier: Gleitsichtbrille für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit).

2. Zur Nutzungspflicht nach § 65d SGG bei Beschwerden des Kostenprüfungsbeamten (hier offen gelassen).

Die Beschwerde des Erinnerungsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 7. März 2023 wird zurückgewiesen.

 

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe:

Der Senat entscheidet durch den Einzelrichter (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 1 Halbsatz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

Der Senat lässt offen, ob die am 24. März 2023 schriftlich beim Sozialgericht Itzehoe erhobene Beschwerde zulässig, oder wegen einer möglichen Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung unzulässig ist. Eine solche Verpflichtung könnte sich aus § 65d Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergeben, wonach vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind (Nutzungspflicht). Zwar gehen die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor (§ 1 Abs. 3 RVG). Dezidierte Formanforderungen sind indes in § 33 Abs. 4 RVG, auf den § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG wegen der Beschwerde verweist, nicht normiert. Auch die Vorschrift des § 12b RVG, die lediglich die elektronische Akte und das elektronische Dokument betrifft, enthält diesbezüglich keine Regelungen.

Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die anwaltliche Vergütung in Höhe von 885,36 EUR festgesetzt und dabei eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 Vergütungsverzeichnis (VV) RVG a.F. in Höhe von 360,00 EUR (20 Prozent über der Mittelgebühr) sowie akzessorisch daraus folgend eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 VV RVG in Höhe von 324,00 EUR und eine Einigungsgebühr nach Nrn. 1000, 1005, 1006 VV RVG in Höhe von 360,00 EUR berücksichtigt.

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens allein die Bewertung der Bedeutung der Angelegenheit als überdurchschnittlich streitig. Gegenstand des zugrundeliegenden Rechtsstreits war ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Leistungen für eine Gleitsichtbrille in Höhe von 500,00 EUR, den sie auf die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) stützte. Bei dieser Sachlage durfte der Erinnerungsführer zumindest von der Überdurchschnittlichkeit der Bedeutung ausgehen, so dass die Überschreitung der – bei Annahme lediglich durchschnittlicher Bedeutung der Billigkeit entsprechenden – Mittelgebühr um 20 Prozent zumindest wegen des dem Rechtsanwalt zuzuerkennenden Toleranzrahmens gerechtfertigt wäre.

Zumindest vordergründig kann sich der Erinnerungsführer nämlich bei seiner Bewertung der Bedeutung der Angelegenheit als überdurchschnittlich auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stützen, das wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Regelfall von einer überdurchschnittlichen Bedeutung ausgeht (vgl. BSG, Urteile vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 21/09 RBSGE 104,30 = SozR 4-1935 § 14 Nr 2, juris Rn. 37 und vom 12. Dezember 2019 – B 14 AS 48/18 R – juris Rn. 22). Soweit das BSG in seiner Entscheidung vom 12. Dezember 2019 bezogen auf den dort entschiedenen Fall von einer lediglich durchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit ausgegangen ist, hat dem insoweit ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen, als es dort um eine Rückforderungsentscheidung mit einmaliger Aufrechnung wegen eines Betrags von etwa 40,00 EUR ging. Der hier in Streit stehende Wert der begehrten Leistung ist mehr als zehnmal so hoch.

Soweit sich der Erinnerungsgegner auf Senatsrechtsprechung beruft, sind die den Beschlüssen vom 15. Februar 2018 – L 5 SF 271/17 B E – und vom 12. Juni 2019 – L 5 SF 57/19 B E – zugrundeliegenden Sachverhalte nicht vollständig vergleichbar. Vor allem gegenüber dem letztgenannten Fall mit einem vergleichbaren streitigen Betrag unterscheidet sich die Situation insoweit, als es dort um eine Rückforderungssituation ging, die auch die höchstrichterliche Rechtsprechung tendenziell als weniger bedeutsam bewertet, weil durch vorherige Leistungen das Existenzminimum sichergestellt war. Der Senat käme hier allerdings u.U. deshalb zu einer Bewertung der Bedeutung der Angelegenheit als lediglich durchschnittlich, weil die Klägerin die Gleitsichtbrille nach ihrem eigenen Vorbringen für die berufliche Tätigkeit benötigte und nicht unmittelbar zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums. Vergütungsrechtlich müsste der Fall u.U. mit Fällen verglichen werden, in denen Versicherte bei ähnlichen Einkommens- und Vermögensverhältnissen über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streiten. Dort würde man bei einem Wert von 500,00 EUR indes nicht ohne Weiteres zu einer überdurchschnittlichen Bedeutung gelangen. Die Frage bedarf allerdings keiner abschließenden Entscheidung, weil die Bewertung des Erinnerungsführers vertretbar ist und sich seine Bestimmung innerhalb des im zuzuerkennenden Toleranzrahmens liegt.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, § 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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