L 5 KA 1320/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 KA 5407/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 1320/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.06.2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Widerspruchsverfahren hat die Beklagte zu tragen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 242.026,61 € festgesetzt.



Tatbestand

Streitig ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung der vertragsärztlichen Abrechnungen des Klägers für die Quartale 1/2008 bis 2/2012 und eine Honorarrückforderung in Höhe von 242.026,61 €.

Der 1958 in U geborene Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum als Facharzt für Orthopädie mit Praxissitz in S1 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Honorarbescheiden vom 14.07.2008 (Quartal 1/2008), 15.10.2008 (Quartal 2/2008), 15.01.2009 (Quartal 3/2008), 15.04.2009 (Quartal 4/2008), 07.10.2009 (Quartal 1/2009), 14.12.2009 (Quartal 2/2009), 15.01.2010 (Quartal 3/2009), 16.04.2010 (Quartal 4/2009), 15.07.2010 (Quartal 1/2010), 15.10.2010 (Quartal 2/2010), 13.01.2011 (Quartal 3/2010), 15.04.2011 (Quartal 4/2010), 15.07.2011 (Quartal 1/2011), 17.10.2011 (Quartal 2/2011), 16.01.2012 (Quartal 3/2011), 16.04.2012 (Quartal 4/2011), 16.07.2012 (Quartal 1/2012) und 15.10.2012 (Quartal 2/2012) setzte die Beklagte jeweils das Honorar des Klägers fest.

Die Beklagte führte eine Plausibilitätsprüfung der Abrechnungen des Klägers der Quartale 1/2008 bis 2/2012 durch. Dem voraus gegangen war ein Antrag der T Krankenkasse. Aufgrund eines Patientenhinweises aus dem Jahr 2009 hatte diese eine Überprüfung der vom Kläger abgerechneten Leistungen vorgenommen. Danach seien vom Kläger Leistungen abgerechnet worden, obwohl nach Aussage des Versicherten keine Behandlungen stattgefunden hätten. Daraufhin sei eine erweiterte Patientenbefragung seitens der T Krankenkasse über Versicherte im Alter von 20 bis 35 Jahren, bei denen vom Kläger lediglich eine Grundpauschale abgerechnet wurde, erfolgt. Diese Patienten seien telefonisch kontaktiert worden und hätten ebenfalls bestätigt, dass sie nicht beim Kläger in Behandlung gewesen wären, sondern lediglich das vom Kläger betriebene Fitnessstudio, das sich im selben Gebäude wie seine Praxis befinde, besucht hätten. Nach Aussage dieser Versicherten der T Krankenkasse hätte jeder am Empfang die Krankenversichertenkarte (KVK) abgeben müssen, um überhaupt an den Geräten trainieren zu können. Ferner sei jedem am Empfang des Fitnessstudios versichert worden, dass das Einlesegerät in keinem Zusammenhang mit der klägerischen Praxis stünde.

Mit Schreiben vom 11.06.2012 bat die Beklagte den Kläger um die Vorlage von beispielhaft 200 Patientendokumentationen für die Jahre 2008 bis 2012, die am 06.07.2012 bei der Beklagten eingegangen sind.

Mit Bescheid vom 28.05.2013 hob die Beklagte die Honorarbescheide der Quartale 1/2008 bis 2/2012 auf und setzte die Honorare neu fest. Es wurden hierbei sämtliche Behandlungsfälle, bei denen die KVK nicht eingelesen wurde, gestrichen. Der Korrekturbetrag erfolgte mit dem jeweiligen Fallwert des entsprechenden Quartals. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass bei der Durchsicht und Überprüfung der Abrechnungen der Quartale 1/2008 bis 2/2012 sich zum einen gezeigt habe, dass das Einlesedatum der KVK bei einem hohen Anteil der Patienten nicht angegeben gewesen sei. Zum anderen sei aufgefallen, dass es sich in den meisten Fällen um Überweisungen von L, sowie insbesondere von S (Tätigkeit beendet zum 31.03.2012), gehandelt habe. Hierzu im Einzelnen:

Bild entfernt.Anhand dieser Aufstellung zeige sich, dass insbesondere in den Überweisungsfällen der bereits erwähnten Ärztinnen, keine KVK eingelesen worden sei, wobei sich die Häufigkeit kontinuierlich auf bis zu 564 Fällen in 4/2009 gesteigert habe; nach Einleitung des Strafverfahrens habe sich diese Anzahl aber deutlich verringert. Der Rechtsanwalt des Klägers habe in seiner Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 08.12.2010 im Zusammenhang mit der Einleitung des Strafverfahrens wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug eindrücklich die Zusammenarbeit mit S und weiteren in der Nähe befindlichen Ärzten geschildert. Auf Grund des hohen Ausländeranteils in der klägerischen Praxis käme es häufig zu Verständigungsschwierigkeiten, die Patienten würden dann meist durch Familienmitglieder bzw. Bekannte als Dolmetscher begleitet. Aus der Situation heraus blieben diese dann gleichfalls als Patienten beim Kläger. Oftmals hätten diese dann keine KVK bei sich. So wäre es wohl gängige Praxis, diese fehlenden Überweisungen am Ende des Quartals nachträglich von verschiedenen Kollegen einzuholen, insbesondere von S. Die Prüfung der vorgelegten Unterlagen habe zudem ergeben, dass in vielen Fällen keine oder lediglich unzureichende Dokumentationen vorgelegen hätten. Im Verlauf der Überprüfung sei zudem eine Auswertung der Anzahl gemeinsamer Patienten mit der Praxis von S durchgeführt worden. Dabei sei eine Übereinstimmung beispielhaft im Quartal 4/2009 von 874 Fällen sowie im Quartal 2/2010 von 822 Fällen gemeinsamen Patienten aufgefallen, was gemessen an der jeweiligen Gesamtfallzahl einem Anteil von rund 49 % in den Quartalen 4/2009 sowie 2/2010 entspreche. Dieser überdurchschnittlich hohe Anteil an gemeinsamen Patienten finde sich bis einschließlich 2/2011. Ab Quartal 3/2011 bis hin zu dem letzten Abrechnungsquartal von S (1/2012) lasse sich hier ein deutlicher Rückgang erkennen. Derart hohe gemeinsame Patientenbehandlungen seien nicht plausibel, zumal es sich hier um zwei fachärztliche Praxen unterschiedlicher Fachgruppen handele, bei denen die Zuweisungsrate üblicherweise relativ gering sei. Die Auswertung der gemeinsam behandelten Patienten der Quartalsabrechnungen 1/2008 bis 1/2012 sei wie folgt ausgefallen:
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Die Abrechnungen der S seien auf Grund o. g. Sachverhalts ebenfalls einer Überprüfung unterzogen worden. Als nicht plausibel erscheine hier die Funktion der HNO-Ärztin als Hauptüberweiser. Laut Diagnoseangaben könne in den meisten Fällen die Überweisung an einen weiterbehandelnden Orthopäden nicht nachvollzogen werden. So seien bis zu 43% (beispielhaft 4/2009) sämtlicher Überweisungen an die klägerische Praxis allein durch die HNO-Ärztin erstellt worden. Des Weiteren lägen der Beklagten zusätzlich zu den Aussagen der Versicherten der T Krankenkasse Aussagen von Patienten vor, die sich in den Abrechnungen fänden und von S an den Kläger überwiesen worden seien, die nach deren eigenen Angaben aber nie in der Praxis vorstellig geworden seien bzw. den Kläger als Arzt überhaupt nicht kennen würden. Der Plausibilitätsausschuss habe deshalb beschlossen, die Honorarbescheide aufzuheben und sämtliche Behandlungsfälle, bei denen die KVK nicht eingelesen worden sei, mit dem Fallwert des jeweiligen Quartals den Abrechnungen zu entnehmen. Aufgrund der Feststellungen bei der Überprüfung der Abrechnungen sei der Plausibilitätsausschuss von einem Missbrauch beim Ausstellen der Überweisungen bzw. von einem Missbrauch bei der „Kooperation“ zwischen dem Kläger und L bzw. insbesondere mit S ausgegangen. In der Stellungnahme schildere der Rechtsanwalt des Klägers die „Überweisungspraxis“ zwischen dem Kläger und eben insbesondere S. Aus dieser Art der „Kooperation“ erkläre sich nun auch die gehäufte Überweisungsfrequenz von S als HNO-Ärztin an die klägerische Praxis. Diese Vorgehensweise sei nicht korrekt und stelle einen schweren Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten dar. Der überwei­sende Arzt solle sich vor Ausstellung einer Überweisung (Ausnahme gynäkologische und au­genärztliche Untersuchungen) von der medizinischen Notwendigkeit überzeugen. Der Plausibilitätsausschuss sei andererseits davon ausgegangen, dass mittels dieser Überweisungsscheine für die eigene Praxis Fälle generiert werden sollten. In den Quartalen 1/2008 bis 2/2012 seien Fälle und Leistungen entgegen den Vorgaben in den §§ 13, 19 BMV-Ä / §§ 7, 23 EKV-Ä i. V. m. Anlage 4 und 4a BMV-Ä / EKV-Ä vom Kläger abgerechnet worden. In den genannten Fällen habe der Kläger dieser Regelung entgegen gehandelt. Ebenso schildere der Rechtsanwalt des Klägers, dass medizinische Leistungen im angrenzenden Fitnessstudio durch den Kläger erbracht worden seien. Um hier sinnvolle Übungen empfehlen zu kön­nen, müsse vorher ein entsprechender Status erhoben werden. Im Übrigen seien die Patienten vorher darauf hingewiesen worden, dass im Fitnessstudio eine sportmedizinische Betreuung durch den Kläger stattfinde. Wenn ein „Kunde“ nachgefragt hätte, wie er beispielsweise seine Rü­ckenbeschwerden wegbekomme, so sei dies eine sportmedizinische Leistung gewesen, die vom Kläger auch abgerechnet worden sei. Diese Aussage erklärten auch die weit überdurchschnittlichen Ansätze der chirotherapeutischen und physikalischen Leistungen. Bei der Durchsicht und Prüfung der vorgelegten Unterlagen sei zudem aufgefallen, dass bei einem großen Teil keine bzw. nur sehr reduzierte Dokumentationen vom Kläger vorgenommen worden seien. Insgesamt hätten die Aufzeichnungen meist lediglich aus Diagnoseangaben bestanden. In der Mehrzahl der vorgelegten Fälle handele es sich um Wirbelsäulenerkrankungen, wobei hier in nahezu allen vorgelegten Fällen die diagnosetypischen Untersuchungen wie u. a. Röntgenleistungen sowie Anamnese und Befunde komplett fehlten. Dies unterstreiche die Feststellungen aus den Patientenbefragungen, dass diese nicht in seiner Praxis gewesen bzw. behandelt worden seien. Eine Leistung oder ein Leistungskomplex sei aber nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt tatsächlich und vollständig erbracht worden sei. Im Zweifelsfall habe der Arzt die Leistungserbrin­gung mittels seiner Dokumentationen nachzuweisen. Aufgrund der Hinweise der T Krankenkasse, den geschilderten Praxisabläufen und den Feststellungen zu den Abrechnungen der beteiligten Ärztinnen ergebe sich zum einen, dass der Kläger seine ärztliche Tätigkeit mit einer gewerblichen Betätigung in unzulässiger Weise verbunden ha­be. Damit habe er das von den Patienten entgegengebrachte Vertrauen, unabhängig von wirtschaftlichem Gewinnstreben zu behandeln, nicht entsprochen. Die in jedem Fall erfor­derliche und einzuhaltende Trennung von Arztpraxis und Gewerbebetrieb habe der Kläger somit nicht eingehalten. Zum anderen könne davon ausgegangen werden, dass der Kläger Leistungen für Patien­ten abrechnet habe, die er nicht behandelt habe. Zumindest habe er einen Nachweis für die Leistungserbringung nicht geben können. Die Berechtigung der Beklagten die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare neu festzu­setzen resultiere auch aus der Tatsache, dass die Überprüfung ergeben habe, dass in einer Vielzahl der eingereichten Behandlungsfälle die KVK nicht eingele­sen worden sei. Aufgrund der strikten Verpflichtung zur Einlesung gehe der Plausibilitätsausschuss davon aus, dass diese Falschabrechnung vorsätzlich bzw. zumindest aber grob fahrlässig er­folgt sei. Aus diesem Grund hätten die abgegebenen Abrechnungssammelerklärungen jeweils ihre Wirkung verloren. Der Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung berechtige die Beklagte, das Honorar für die Quartale 1/2008 bis 2/2012 zu korrigieren. Auf Grund der geschilderten Sachverhalte sei eine Aufhebung und Neufestsetzung der Honorare für die Quartale 1/2008 bis 1/2012 gerechtfertigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe der Beklagten bei der Neufestsetzung ein umfassendes und gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Schätzungsermessen zu mit der Folge, dass sie sich auf eine pauschalierte Schätzung be­schränken könne. Der Berechnung des Korrekturbetrags sei das Ergebnis der Überprüfung der Quartale 1/2008 bis 1/2012 zugrunde gelegt, insbesondere unter Berücksichtigung der auffallend hohen Zahl an Behandlungsfällen, in denen das Einlesedatum nicht angegeben gewesen sei. Zumindest diese seien nicht entsprechend den Regelungen des Vertragsarztrechts abgerechnet worden. Der Plausibilitätsausschuss habe sich daher zunächst auf eine Korrektur dieser Fälle beschränkt und die durchschnittlichen Fallwerte für eine pauschale Berechnung der Rückforderung herangezogen. Diese Entscheidung stehe aber unter dem Vorbehalt eventuell neuerer Erkenntnisse aus anderen Verfahren. Im Einzelnen:

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Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 26.06.2013 Widerspruch ein. Als Mediziner habe er seit Jahren einen Tagesablauf von 07:00-23:00 von Montag bis Freitag, zusätzlich am Samstag von 10:00-18:00 und Sonntag von 10:00-16:00 Uhr, unabhängig von den Gesundheitsreformen. Seine Praxis sei keine Durchlaufpraxis oder „Leistungsabrechnungs-Musterpraxis“ wie bei vielen bekannten Kollegen, die heute zum Teil in verschiedenen Verbänden oder politischen Organisationen säßen und die Ärzteschaft verträten. Die jahrelangen Abrechnungsmuster zeigten keinen „saisonalen Charakter“ oder besondere Ziffernkombinationen, wie bei diesen Kollegen. Unabhängig von der Abrechnungsfähigkeit seien die Patienten nach gutem medizinischen Gewissen und in vollem nötigen Umfang behandelt. Wer sich bei ihm melde, sei nie abgewiesen worden. Viele Patienten seien von Krankenkassen-Mitarbeitern direkt zu ihm geschickt worden, von anderen Kollegen abgewiesen worden oder unzufrieden gewesen oder gehörten zu sog. „Problemgruppen“. Die sog. „Problemgruppen“ seien am Anfang Patienten mit bestimmter ethnischer oder kultureller Zugehörigkeit oder Patienten mit Sprachbarrieren gewesen. Später seien die allgemein unbeliebten, regelmäßig Behandlungsbedürftigen hinzugekommen, als wirtschaftliche Bremsfaktoren für viele Kollegen, mit all ihren medizinischen und sozialmedizinischen Problemen, sowie administrativen Mehrbelastungen für die behandelnden Ärzte. In den letzten Jahren habe er auch vom Praxispersonal seiner Kollegen nach verschiedenen Gesichtspunkten ebenso viele Patienten geschickt bekommen, obwohl diese die gleichen Möglichkeiten und Verpflichtungen gehabt hätten. Die Patienten kämen sehr häufig mit kompletter Dokumentation oder nur mit neuen Röntgenaufnahmen, bei denen die Kollegen anscheinend eine gerechte, umfassende medizinische Aufklärung noch schuldeten. Ebenso seien bereits behandelte Patienten wegen sozialmedizinischen Fragen bezüglich ihrer Schwerbehinderung, Renten- oder BG-Fragen zu ihm geschickt worden. Zu den Praxiseigenschaften gehörten die krankengymnastischen und apparativen MTT-Behandlungen, räumlich voneinander getrennt, miteinander mit der Praxis EDV-mäßig vernetzt. Die Datensicherung sei vor Ort vorhanden gewesen. Die Räumlichkeiten seien mit seiner Praxis in dem gleichen Gebäude und auf der gleichen Etage gelegen. Auf Grund dieser Praxis und Tätigkeitserweiterung zur Praxis als „Hauptniederlassung“ in der Bstrasse  in  S1 habe er nach Auskunft vom Amt für öffentliche Ordnung eine Gewerbeerweiterung als Erweiterung der medizinischen Tätigkeit eine „Betriebstätte“ in der Bstrasse  in  S1 für „apparative medizinische Trainingstherapie“ beantragen müssen. Die A-MTT/KG-Abteilung habe sich die sozialen Räume mit dem sogenannten Prävention-Fitnessbereich geteilt, im Übrigen sei es auch vorschriftgemäß räumlich voneinander getrennt gewesen. Im Rahmen der Prävention sei als Ziel gesetzt worden, Mitgliedern, die unter Rücken- oder Gelenkerkrankungen bzw. Beschwerden litten, zu ermöglichen vor Ort als Patient vom Kläger kontrolliert und beraten zu werden und ein ganzheitliches aber ebenso individuell gestaltetes, weiterführendes Gesundheitsprogramm zusammenzustellen. Es seien krankengymnastische Übungen, ergänzt mit speziellem Gerätetraining, vorgenommen worden. Sie hätten nur nach seiner Untersuchung, Beratung, Erlaubnis und Anordnung den KG-MTT/ Reha-Bereich betreten dürfen. Abrechnungstechnisch sei nur die medizinische Konsultation abgerechnet worden. Jeder Patient sei karteitechnisch vor Ort den Regeln entsprechend erfasst und alle absolvierten Therapieeinheiten von Patienten gegengezeichnet worden. Diejenigen, die keine medizinische Unterstützung hätten in Anspruch nehmen wollen, seien statt dem Krankenkassen-Eintrag als „Privat“ registriert und dadurch abrechnungstechnisch für die Krankenkassen generell nicht erfassbar gewesen. Diejenigen, die die Behandlungen abgeschlossen hätten, seien computertechnisch durch Sperrmöglichkeit aus der Datenerfassung für die Abrechnung deaktiviert gewesen. Weitere Sperrmöglichkeiten hätten dazu gedient, dass kein Zugriff für Unbefugte auf medizinische Daten ermöglicht worden sei. Die Krankenkassen hätten mit Bonus-Programmen die Mitglieder motiviert. Die Bestätigung in Bonusheften erhielten sie von der klägerischen Praxis nach computertechnisch nachgewiesenen Trainingseinheiten. Die Prävention-Trainingseinheiten seien unter Trainer-Führung durchgeführt, Trainingsjournal erstellt und abrechnungstechnisch nicht erfasst worden. Wenn jemand gesundheitliche Probleme gezeigt habe, hätte er sich ohne Weiteres in der regulären Sprechstunde melden können oder danach die medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen, insbesondere die zur Praxis zugehörige Apparative MTT/ KG-Abteilung. Ebenso, je nach medizinischer Notwendigkeit, seien weitere therapeutische Maßnahmen zugleich in den Praxisräumen durchgeführt worden. Wenn es notwendig gewesen sei, seien weiterführende Untersuchungen wie z.B. Röntgenaufnahmen usw. eingeleitet und diesbezüglich extra Termine vereinbart worden. Während der Praxisöffnungszeit sei er halbstündlich zur Kontrolle und für Beratungen vor Ort und nach der Praxisöffnungszeit über die Schließung hinaus in die Therapieräume gegangen. Die Personen, die das Präventions-Fitnesstraining genutzt hätten, hätten sich entweder mit ihrem Personalausweis lediglich ausweisen oder ihre Versichertenkarte dazu nutzen können, um die Erfassung ihrer Tages- und Zeitregistrierung für das Training zu ermöglichen (Bonusprogramm). Hierbei sei zu dem abrechnungstechnisch aktiven medizinischen Bereich kein Zugang oder Verbindung hergestellt worden, diese Funktion sei gesperrt gewesen. Die vorhandenen MTT-KG und die Präventions-Fitnesstrainingsgruppen seien dementsprechend voneinander getrennt abrufbar gewesen. Die MTT-KG-Patienten-Abrechnungsdaten seien nach der Behandlung und nach Karteikartenerfassung sowie nach Gegenzeichnung durch den Patienten, in das Computersystem eingetragen worden. Im Hinblick auf die Ermittlungen der T Krankenkasse sei darauf hinzuweisen, dass von den Krankenkassenmitarbeitern gezielte und umfangreiche Zeugenbeeinflussungen eingesetzt worden seien. Betreffend das Einlesen der Versichertenkarte werde auf Softwareprobleme verwiesen. Es sei zu zahlreichen Problemen mit der Softwareentwicklung gekommen. Jedes Update sei ein Glücksspiel gewesen, ob es ohne Weiteres funktionieren würde oder nicht. Besondere Probleme habe er mit dem Kartenlesegerät gehabt. Es sei mal ausgetauscht, mal gereinigt, mal „optimiert“ worden. Sogar eine komplette Softwareüberprüfung und mehrfache Neuinstallationen mittels Fernwartung oder vor Ort von der Firma „BWG“ seien durchgeführt worden. Es sei so weit gegangen, dass die M -Zentrale aus Hannover die Probleme hätte übernehmen müssen.  Am Ende seien bei der Abrechnung einige Leistungsziffern softwarebedingt komplett blockiert gewesen. Bei der Beklagten sei es zwar aufgefallen, sie habe sich aber keine Mühe gegeben, ihn zu verständigen. Nach der Abrechnungsprüfung habe er bei der Beklagten um einen Termin zur persönlichen Beratung gebeten. Nach ca. einer Woche Systemanalyse und Neuinstallation von verschiedenen Modulen, habe er die Abrechnung endlich abgeben können. Dann sei die Plausibilitätsprüfung wegen Zeitüberschreitung gekommen. Die tatsächliche Ursache sei dann erst viel später bei einem erneuten Systemabsturz ans Licht gekommen. Die Plausibilitätsprüfung sei leider schon abgeschlossen und es sei nichts mehr zu machen gewesen. Erfahrungsgemäß die einfachste, handlungsbezogene Ursache bei einer unzureichenden Registrierung sei die Vergesslichkeit, das mangelnde Pflichtbewusstsein. Weitere Ursachen seien: Versichertenkartenbeschädigung: einfache physikalische Abnutzungsmerkmale, elektronische Steuerungsstörung (Chipstörung, die durch elektromagnetische Geräte, aber auch durch statische Umgebungsladung, mechanische Schädigung, usw. vorkommen können); Ersatzkarte: ist technisch nicht geeignet, um sie mit dem Lesegerät zu erfassen; abgelaufene Karte:  Datenumstellung, Statusumstellung usw.; EDV-Probleme: Lesegerät-, Software- oder Synchronisationsprobleme. Unzureichende oder fehlende Dokumentationen könnten aus unterschiedlicher Sichtweise sofort widerlegt werden. Zunächst mal sei die Dokumentationspflicht gesetzlich bindend, aber formgerecht sei sie nicht genau definiert. Es gebe bis dato keine einheitliche, bindende Regelung was diese mit aller Genauigkeit vorgeben würde. Es seien Empfehlungen, Erwartungen vorhanden, wonach nach Möglichkeit die Dokumentationspflicht erfüllt werden solle. Außerdem existiere keine schlüssige Regelung betreffend die EDV/Karteikartendokumentation. Die entsprechende Dokumentation nach Praxiseigenschaften, Fachrichtung und Besonderheiten seien aufs Notwendigste beschränkt und seien von seiner Seite erfüllt worden. Es sei wohl bekannt, dass einige Kollegen mit EDV-technisch eingebauten Mustern oder Pauschalbefunderhebungen arbeiteten, diese könnten zwar gewisse formelle Erwartungen erfüllen, seien aber medizinisch gesehen nicht korrekt. Der Behauptung „überdurchschnittlich hoher Ansatz chirotherapeutischer sowie physikalischer Leistungen“ sei zu widersprechen. Es sei durchaus medizinisch begründet und nach seiner Ausbildung, Erfahrungen und nach seiner Zulassung stehe es ihm frei zu entscheiden, wann, was, in welcher Form er für therapeutische Zwecke einsetze oder eingesetzt habe. Es sei außerdem wirtschaftlich deutlich zu Gunsten der Krankenkassen gewesen, weil dadurch zahlreiche, viel kostenaufwendigere Behandlungsformen erspart worden seien. Im Hinblick auf den Verdacht auf Abrechnungsmanipulation in Kooperation mit S sowie L habe es die Bemühung gegeben, von der Regierung, den Krankenkassen und den Ärzteverbänden die medizinische Versorgung zu optimieren und zu vereinfachen. Es existierten seit Jahren verschiedene Modelle, wie es funktionieren könne oder solle. Dazu gehörten die Ärztehäuser, Praxisgemeinschaften und Gemeinschaftspraxen, Praxen mit Zweitsitz. Viele Praxen mit gemeinsamen Patienten hätten den Weg schon im Vorfeld gewählt, eine Lösung nach den oben genannten Vorgaben zu finden. Es seien im Vorfeld durchaus Kollegen bekannt, die separate und freundliche Beratungen von einigen oder bestimmten KV-Mitarbeitern motiviert erhalten hätten, hinsichtlich ihrer Patientenauswahl entsprechende Strukturänderungen rechtzeitig vorzunehmen. Nach KV-Selbstauskunft und Rücksprache habe S einige Kollegen, darunter auch ihn angesprochen, um eine Praxisverlegung beziehungsweise Zusammenführung zu ermöglichen. L, die selber von anderen Kollegen angesprochen worden sei, habe die Möglichkeiten geprüft, eine Praxisverlegung vorzunehmen. Diesbezüglich habe sie nach möglichen Objekten Ausschau gehalten. Von einigen erhaltenen Angeboten sei konkret das Gebäude in der Bstr.  gewesen. S habe in ihrer Praxis als Therapieschwerpunkt Akupunktur (die für chronische Lendenwirbelsäulensyndrom und chronische Knieschmerzen übernommen würden) gehabt, wonach sie vorschriftsmäßig orthopädische Kontrolluntersuchung vor der Behandlung habe durchführen lassen müssen. Bei ihm hätten die Patienten auf die notwendige Kontrolle keineswegs lange warten müssen, da er seine Sprechstunde nicht mit strengen Terminvergaben und mit langen Termin-Wartezeiten führe. Auch bräuchte eine Vielzahl von Patienten mit z.B. Tinnitus, Migräne, Zervicobrachialgie usw. orthopädische Kontrolluntersuchungen. In vielen anderen Fällen seien die Patienten mit vorbehandelnden Ärzten unzufrieden, hätten eine Zweitmeinung einholen oder den Hausarzt mit seinen Vorgaben innerhalb des Hausarztmodells umgehen wollen. Er sei zu jeder Zeit für die Patienten erreichbar gewesen, keine Patienten-Diskriminierungsmerkmale seien vorhanden und die Praxisführung sei für die Patienten unkompliziert gewesen. Medizinische Kurzbriefe habe er kurzerhand ausgehändigt, ausführliche fachmedizinische und sozialmedizinische Beurteilungen hätten die Patienten aber auch ebenso die Krankenkassen und sonstige Behörden nach Anfragen oder nach Patientenwunsch umgehend erhalten können. Es habe keine auf Termin, Krankheit, Bevölkerungsgruppen bezogenen Schwierigkeiten gegeben. Ihm sei schließlich nicht klar, warum fehlende Überweisungen, wenn der Patient es selbst versäumt habe, diese rechtzeitig vorzubringen, nicht von den überweisenden Ärzten vorgelegt werden könnten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2013 wurde der Widerspruch vom 26.06.2013 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Widerspruch erst am 02.07.2013 bei der Beklagten eingegangen und deshalb verfristet sei. Diese Entscheidung wurde mit Bescheid vom 03.03.2014 aufgehoben, da der Zugang des Ausgangsbescheides erst am 03.06.2013 erfolgt und daher die Widerspruchsfrist gewahrt worden sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2014 wurde der Widerspruch vom 26.06.2013 schließlich als unbegründet zurückgewiesen. Auffällig seien weiterhin die hohe Anzahl gemeinsamer Pa­tienten des Klägers und S. So hätten sich hier Übereinstimmun­gen von bis zu 49% ergeben. Bis zu 43% sämtlicher Überweisungen an die Praxis des Klägers seien allein durch die HNO-Ärztin S ausgestellt worden. Der Plausibilitätsausschuss sei in diesem Zu­sammenhang von einem Missbrauch beim Ausstellen von Überweisungen bzw. einem Miss­brauch der „Kooperation“ zwischen dem Kläger und S ausgegangen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers selbst habe in seinem Schreiben vom 08.12.2010 an die Staatsanwaltschaft Stuttgart die „Überweisungspraxis“ zwischen dem Kläger und S geschildert. Hierzu sei be­reits im Ausgangsbescheid darauf hingewiesen worden, dass diese Vorgehensweise einen schweren Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten darstelle. Auch die Erklärungen im Widerspruchsschreiben vom 26.06.2013 zu den Ab­läufen in der Praxis in Verbindung mit der gewerblichen Betätigung als Betreiber eines Fitness­studios seien nicht geeignet, die im Ausgangsbescheid geäußerten Vorwürfe zu widerlegen. Zur Nichterfüllung der Dokumentationspflicht führe der Kläger aus, dass diese auf das Not­wendigste beschränkt und von seiner Seite erfüllt worden sei. Teilweise hätten die Patienten ihn angeb­lich mit kompletter Dokumentation kontaktiert, nachdem bei vorbehandelnden Kollegen keine umfassende medizinische Aufklärung erfolgt sei. Dies rechtfertige nicht das Fehlen einer einwandfreien Dokumentation, zumal in den vorgelegten Beispielen keiner dieser Vorbefunde erwähnt bzw. beigefügt gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei auf den Ausgangsbescheid verwiesen, in dem ausgeführt worden sei, dass zu einem großen Teil keine bzw. nur reduzierte Dokumentationen, die lediglich aus Di­agnoseangaben bestanden, vorgelegen hätten. Nach der Rechtsprechung sei die vollständige Dokumentation vertragsärztlich erbrachter Leistungen Voraussetzung für die Nachprüfung korrekter Therapie, korrekter Diagnostik und korrekter Abrechnung. An die Dokumentationspflicht eines Vertragsarztes seien daher hohe Anforderungen zu stellen. Die Dokumentation erbrachter Leistungen reiche nur dann zum Nachweise für die vollständige Leistungserbringung aus, wenn die Dokumentation in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar sei. Gelinge dem Vertragsarzt der Nachweis der vollständigen Leistungserbringung nicht, gehe dies zu seinen Lasten, da er einen Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend mache. Im Fall der Nichterweislichkeit der vollständigen Leistungserbringung habe dies die Nichtvergütung der Leistungen zur Folge. Selbst wenn der Kläger die orthopädischen Kontrolluntersuchungen für die Akupunktur-Patienten der S durchgeführt haben sollte, erkläre dies nicht die doch relativ hohe Anzahl gemeinsamer Patienten und, warum insbesondere in diesen Behandlungsfällen das Einlesedatum der KVK sowie Dokumentationen fehlten. Zu dem Vorwurf, dass - laut Aussagen von Patienten der S - diesen nach Befra­gung durch die T Krankenkasse der Kläger gar nicht bekannt gewesen sei, habe sich der Kläger nicht geäußert. Zum Vorwurf der fehlenden Einlesedaten der KVK führe der Kläger alltägliche Probleme im Umgang mit der Praxissoftware sowie betrügerische Vorgehensweisen seitens der Patienten an. Dies erkläre nicht den Umfang der fehlenden Einlesedaten von beispielhaft 571 Fällen im Quartal 2/2010. Somit seien Fälle und Leistungen, wie bereits im Ausgangsbescheid erläutert, entgegen den Vorgaben in den § 13, 19 BMV-Ä/ § 7, 23 EKV-Ä i. V. m. Anlage 4 und 4a BMV-Ä / EKV-Ä abgerechnet worden.

Am 06.10.2014 hat der Kläger zum Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er auf seinen bisherigen Vortrag verwiesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Am 08.09.2014, rechtskräftig seit 15.12.2014, erging vom Amtsgericht Stuttgart (Cs 111 Js 64368/10) gegen den Kläger ein Strafbefehl wegen 13 Vergehen des Betrugs, in fünf Fällen gewerbsmäßig. Es wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verhängt. Im Sachverhalt wird festgestellt, dass der Kläger mit einer Helferin von L, die bei ihm als Kosmetikerin tätig gewesen sei, übereingekommen sei, Daten von Patienten aus der Praxis L formal als sog. Überweisungsfälle mit entsprechendem Überweisungsformular an die Praxis des Klägers weiterzuleiten. Dieser sollte die Daten absprachegemäß zur Abrechnung ärztlicher Leistungen gegenüber der Beklagten nutzen, obwohl die Patienten, wie er und die Helferin gewusst hätten, tatsächlich nicht bei ihm behandelt worden seien. Auch von der Praxis S habe der Kläger Patientendaten als sog. Überweisungsfälle geliefert bekommen, ohne dass diese Patienten jemals in seiner Praxis behandelt worden seien, er aber gleichwohl Leistungen gegenüber der Beklagten abgerechnet habe. Im Einzelnen handele es sich um 13 Fälle – jeweils ein Fall aus den Quartalen 3/2008 bis 3/2011 – mit einer Gesamtschadensumme von 1.855,88 €.

Mit Urteil vom 13.06.2017 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte sei zur Aufhebung und Neufestsetzung der Honoraransprüche des Klägers für die Quartale 1/2008 bis 2/2012 berechtigt gewesen. Die Honorarbescheide seien im Zeitpunkt der Berichtigung sachlich-rechnerisch unrichtig gewesen. Nach § 13 Abs. 1 und 19 Abs. 1 BMV-Ä und §§ 7, 23 EKV-Ä weise der Berechtigte seinen Anspruch auf vertragsärztliche Versorgung durch Vorlage der KVK nach. Der Versicherte sei grundsätzlich verpflichtet, bei jedem Arztbesuch die KVK vorzulegen. Dies sei hier in einem nicht unerheblichen Anteil aller pro Quartal abgerechneten Fälle nicht geschehen. Lediglich in wenigen, bundesmantelvertraglich normierten Fällen bestehe die Möglichkeit der Abrechenbarkeit vertragsärztlicher Leistungen über das sog. Ersatzverfahren. Die von dem Kläger im Verwaltungsverfahren vorgetragenen Gesichtspunkte, weshalb ihm die KVK nicht vorgelegen hätten, träfen diese Fälle nur ganz vereinzelt. Es mangele auch an schlüssigen Erklärungen des Klägers, weshalb er jedes Quartal Patienten in großer Zahl ohne Vorlage der KVK behandelt habe (bspw. im Quartal 4/2009: 587 Patienten). Unbeschadet dessen habe jedenfalls gemäß Ziffer 2.5. und 2.6. des Anhangs 1 zur Anlage 4a zum BMV-Ä auch im Ersatzverfahren der Versicherte durch seine Unterschrift das Bestehen der Mitgliedschaft auf dem Abrechnungsschein zu bestätigen. An diesen Unterschriften fehle es ebenfalls in allen beanstandeten Abrechnungsfällen. Die Beklagte habe im Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass für die Rechtmäßigkeit der Abrechnung ärztlicher Leistungen als Voraussetzung eines Vergütungsanspruchs gelte, dass die Abrechnung von Leistungen (im Zweifelsfall) schlüssig gemacht werden müsse. Unschlüssigkeiten, Unplausibilitäten, Unvollständigkeiten bei der Abrechnung gingen zu Lasten desjenigen, der daraus eine Vergütung beanspruche, also zu Lasten des Klägers. Dies gelte selbstredend vor allem dann, wenn der Vorwurf des Abrechnungsbetruges im Raume stehe. Den Nachweis habe der Kläger aber zu keinem Zeitpunkt erbringen können. Die Beklagte habe zunächst zutreffend auf den überdurchschnittlich hohen Anteil an gemeinsamen Patienten mit S hingewiesen. Derart hohe gemeinsame Patientenbehandlungen seien durchaus - dem ersten Anschein nach - nicht plausibel, zumal es sich hier um zwei fachärztliche Praxen unterschiedlicher Fachgruppen handele, bei denen die Zuweisungsrate üblicherweise relativ gering sein dürfte. Dem Kläger sei hierbei zwar zuzustimmen, dass dieser Verdachtsvorwurf an sich noch nicht ohne Weiteres die sachlich-rechnerische Richtigstellung rechtfertige, jedoch seien damit erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Abrechnung gesetzt, sodass der Kläger dann seinen Dokumentationspflichten im besonderen Maße nachzukommen habe. Bei der Durchsicht und Prüfung der vorgelegten Unterlagen sei augenfällig, dass bei einem großen Teil keine bzw. nur sehr reduzierte Dokumentationen vom Kläger vorgenommen worden seien. Insgesamt bestünden die Aufzeichnungen meist lediglich aus Diagnoseangaben (am Häufigsten: „Krankheit der Wirbelsäule und des Rückens“). In der Mehrzahl der vorgelegten Fälle handele es sich um Wirbelsäulenerkrankungen, wobei hier in nahezu allen vorgelegten Fällen die diagnosetypischen Untersuchungen wie u. a. Röntgenleistungen sowie Anamnese und Befunde komplett fehlten. Diese Verdachtsmomente könnten zwar im strafrechtlichen Sinne (noch) nicht ausreichend sein, um zu belegen, dass diese Patienten nicht in der Praxis des Klägers gewesen bzw. behandelt worden seien. Sie begründeten jedoch erhebliche Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Abrechnungserklärungen. In einem solchen Zweifelsfall habe der Arzt die Leistungserbringung mittels seiner Dokumentationen nachvollziehbar und in sich schlüssig nachzuweisen. Dem sei der Kläger bis zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht nachgekommen. Insbesondere reiche es nicht aus, die Ermittlungsergebnisse der Beklagten wiederum anzuzweifeln und einen Nachweis für die Pflichtverletzung zu fordern. Die Kammer sehe auch im Hinblick auf den rechtskräftig gewordenen Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 14.12.2014 keine Notwendigkeit von den strengen Anforderungen an die Dokumentationspflichten des Arztes Abstand zu nehmen. Aufgrund dieser Umstände sei die Kammer zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung erbracht und abgerechnet habe, was die Befugnis zur Richtigstellung durch die Beklagte begründe und in der Konsequenz die Aufhebung der Honoraransprüche bedeute. Die Beklagte habe in der Folge auch das ihr zustehende Schätzungsermessen bei der Neufestsetzung des Honoraranspruchs für die einzelnen Quartale nicht fehlerhaft ausgeübt. Dass die Beklagte die Neufestsetzung des Honorars unter Herausnahme der Behandlungsfälle, in denen das Einlesedatum im jeweiligen Quartal gefehlt habe, vorgenommen habe, könne grundsätzlich nicht beanstandet werden. Der von der Beklagten zugrunde gelegte Durchschnittsfallwert der klägerischen Fachgruppe bewege sich ebenfalls innerhalb des Ermessenspielraums. Bedenken unter Vertrauensschutzgesichtspunkten bestünden keine. Nach Ablauf der Ausschlussfrist von vier Jahren ergehende Kürzungs- bzw. Rückforderungsbescheide könnten - auch wenn die Richtigstellung von fehlerhaften vertragsärztlichen Abrechnungen grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraussetze - auch noch dann Rechtswirkungen entfalten, wenn die Vertrauensschutzausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) vorlägen. Dies sei hier der Fall. Das Gebot der ausreichenden Dokumentation sei ein wesentliches Element der ärztlichen Tätigkeit. Als Vertragsarzt müsse der Kläger sowohl die Notwendigkeit der Vorlage einer KVK als auch die Dokumentationspflichten kennen. Er müsse wissen, dass die Erbringung und Abrechnung von Leistungen im vertragsärztlichen System - ohne ordnungsgemäßes Einlesen der KVK - nicht zulässig sei und Dokumentationen schlüssig - auf Aufforderung der Beklagten hin - vollständig vorzulegen seien. Im Weiteren bestehe im Hinblick auf die von der Staatsanwaltschaft in den Quartalen 3/2008 und 4/2008 aufgedeckten Betrugsfälle (jeweils 1 Fall) gar Vorsatz.  Der Korrektur der Quartale 1/2008 bis 2/2012 stünde auch nicht die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen. Die Beklagte habe frühestens mit Empfang der angeforderten Patientendokumentationen am 06.07.2012 hinsichtlich aller für die Richtigstellungsentscheidung relevanten objektiv maßgeblichen Umstände Kenntnis gehabt, sodass die Richtigstellung vom 28.05.2013 rechtzeitig erlassen worden sei. Die Beklagte habe auch fehlerfreies Ermessen ausgeübt.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigen am 11.07.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.08.2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt (urspr. L 5 KA 3056/17). Er macht geltend, das SG habe zwar anhand der beigezogenen Strafakte erkannt, dass er im Strafverfahren die Zusammenarbeit mit S und weiteren Ärzten ausführlich erklärt habe. Er habe dort außerdem erläutert, dass es aufgrund des hohen Ausländeranteils zu Verständigungsproblemen gekommen sei. Die Patienten seien sehr oft von Familienangehörigen oder Bekannten begleitet worden, die dann ebenfalls sehr häufig als Patienten geblieben seien. Oftmals hätten diese keine KVK bei sich gehabt. Diese habe er nicht abgewiesen. Es sei dann gängige Praxis gewesen, die fehlenden Überweisungen am Ende des Quartals nachträglich bei verschiedenen Ärzten, z.B. S, einzuholen. In den meisten Fällen sei eine ordnungsgemäße Dokumentation erfolgt. Die gehäufte Überweisungsfrequenz zwischen ihm und S sei dahingehend erklärt worden, dass eine Art Kooperation bestanden habe. Hinsichtlich des von ihm betriebenen Fitnessstudios sei vorgetragen worden, dass eine sportmedizinische Betreuung durch ihn stattgefunden habe. In den meisten Fällen sei eine Diagnoseangabe erfolgt, was als Dokumentation ausreichend sei. Im Hinblick auf das Einlesen der KVK sei mehrfach auf die bestehenden Softwareprobleme hingewiesen worden, die der Beklagten bekannt gewesen seien. Insgesamt seien die abgerechneten Leistungen ordnungsgemäß erbracht worden. Ergänzend werde auf den bisherigen Vortrag verwiesen.   

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.06.2017 und den Bescheid der Beklagten vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 zu verurteilen, über die Höhe des Rückforderungsbetrags wegen sachlich-rechnerischer Berichtigung der Honorarbescheide für die Quartale 1/2008 bis 2/2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,
           
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend. Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren erkläre nicht den erheblichen Umfang der fehlenden Einlesedaten der KVK. Der Vortrag stelle zudem keine plausible Erklärung dafür dar, warum er die KVK bei den Patienten in der Vielzahl der Fälle nicht wenigstens nachträglich angefordert habe. Auch die behaupteten Softwareprobleme erklärten nicht den Umfang der fehlenden Einlesedaten. Im Übrigen seien alle Vertragsärzte vor die Probleme der Verwendung der KVK gestellt gewesen. Wie von seinen Kollegen habe auch vom Kläger gefordert werden können, die EDV-Probleme auf ein Mindestmaß zu beschränken, so dass abgesehen von Einzelfällen ein nicht veränderbares Einlesedatum im jeweiligen Quartal auch habe festgehalten werden können. Die Beklagte gehe aufgrund der Kooperation mit S von einem Missbrauch und damit von einem schweren Verstoß gegen vertragsärztliche Pflichten aus. Der Plausibilitätsausschuss habe auch sein Schätzungsermessen zutreffend ausgeübt. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht mit dem, der dem Urteil des Senats vom 20.11.2019 (L 5 KA 3180/17) zugrunde lag, vergleichbar. Hier gehe es nicht nur um einen Verstoß gegen die Verpflichtung des Vertragsarztes zur Einlesung der KVK, sondern auch um die Verletzung von Dokumentationspflichten, das nichtberechtigte Einlesen von KVK im vom Kläger betriebenen Fitnessstudio, Missbrauch beim Ausstellen von Überweisungen bzw. der „Kooperation“ mit den Praxen S und L. Bezüglich des letzten Verstoßes existiere sogar ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen Betruges in 13 Fällen, davon in 5 Fällen wegen gewerbsmäßigen Betruges. Den Vorwurf der in den angeforderten Patientenunterlagen in zahlreichen Fällen fehlenden bzw. nicht ausreichenden Dokumentation der Behandlungsfälle habe der Plausibilitätsausschuss bei der Berechnung der Korrektur nicht ausgenommen. Im Übrigen müsse die Beklagte im Fall des Wegfalls der Garantiewirkung der Abrechnungssammelerklärung gerade keine exakte Berechnung vornehmen, wie sich aus der Rechtsprechung des BSG ergebe. Dem Schätzungsermessen komme zudem vor allem vor dem Hintergrund der sonstigen Auswirkungen auf das Honorar ganz besondere Bedeutung zu, weil nicht nur – wie im Urteil des Senats vom 20.11.2019 - der Verwaltungskomplex betroffen sei, sondern höher bewertete ärztliche Leistungen. Der Verwaltungsaufwand für die Beklagte, der damit verbunden wäre, die jeweiligen Honorare über den gesamten Zeitraum von 18 Quartalen hinweg neu zu berechnen, sei nicht zumutbar. Im Übrigen sei die Höhe des berechneten Korrekturbetrages im Ergebnis auch nicht unverhältnismäßig.

Mit Beschluss vom 02.05.2018 hat der Senat vor dem Hintergrund eines vorgreiflichen Revisionsverfahrens (B 6 KA 34/17 R) das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Am 16.04.2019 hat die Beklagte das Verfahren wieder angerufen.

Am 26.03.2021 hat die Berichterstatterin die Rechts- und Sachlage mit den Beteiligten erörtert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte und die zum Verfahren beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Stuttgart (Cs 111 Js 64368/10) verwiesen.


Entscheidungsgründe

1. Der Senat entscheidet über die Berufung in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Vertragsärzte und Psychotherapeuten, da eine Angelegenheit der Vertragsärzte i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gegenständlich ist.

2. Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft, da der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von 750,00 € überschritten wird, und auch im Übrigen zulässig.

3. Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Die als isolierte Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung ist § 106a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <a.F.>; heute § 106d Abs. 2 SGB V). Diese Vorschrift verdrängt als bereichsspezifische Sondervorschrift des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels des SGB V (Vertragsarztrecht) gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die allgemeine Regelung in § 45 SGB X zur nachträglichen Korrektur rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte. Dies gilt auch, soweit Honorarbescheide nach Ablauf der Ausschlussfrist berichtigt werden (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris). Die Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) stellt im Umfang der vorgenommenen Korrekturen zugleich eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids dar und bewirkt, dass überzahltes Honorar gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzuzahlen ist (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -, in juris).

Gem. § 106a Abs. 1 SGB V a.F. stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität und die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.). Einzelheiten der Plausibilitätsprüfung ergeben sich aus den „Richtlinien gem. § 106a SGB V“ (RL § 106a SGB V, hier in der Fassung vom 01.07.2008 <Deutsches Ärzteblatt 2008, A1925>), die die Partner der Bundesmantelverträge auf Grundlage des § 106a Abs. 6 SGB V a.F. vereinbart haben. Nach § 5 Abs. 1 RL § 106a SGB V stellt die Plausibilitätsprüfung ein Verfahren dar, mit dessen Hilfe auf Grund bestimmter Anhaltspunkte und vergleichender Betrachtungen die rechtliche Fehlerhaftigkeit ärztlicher Abrechnungen vermutet werden kann. Anhaltspunkte für eine solche Vermutung sind Abrechnungsauffälligkeiten. Diese sind durch die Anwendung von Aufgreifkriterien mit sonstigen Erkenntnissen aus Art und Menge der abgerechneten ärztlichen Leistungen zu gewinnende Indizien, die es wahrscheinlich machen, dass eine fehlerhafte Leistungserbringung zu Grunde liegt. Nach § 7 Abs. 1 RL § 106a SGB V werden Plausibilitätsprüfungen von der Kassenärztlichen Vereinigung als regelhafte Prüfungen (§ 7 Abs. 2 RL § 106a SGB V) durchgeführt, die sich auf die Feststellung von Abrechnungsauffälligkeiten (§ 5 Abs. 1 Satz 3 RL § 106a SGB V) erstreckt. Konkretisierend hierzu ist in der auf § 13 Abs. 1 RL § 106a SGB V beruhenden „Verfahrensordnung (der Beklagten) zur Durchführung von Plausibilitätsprüfungen“ festgelegt, dass die Plausibilität der Honorarabrechnung u. a. auf der Grundlage von Stichproben geprüft wird (§§ 4, 5 der Verfahrensordnung), wobei nach Anlage 1 Nr. 3 der Verfahrensordnung u. a. auch statistische Auffälligkeiten, insbesondere bei der Abrechnung von Leistungspositionen um 100 % oberhalb des Schnitts der Arztgruppe überprüft werden. Erst wenn die Kassenärztliche Vereinigung auf Grund der Plausibilitätsprüfung allein oder in Verbindung mit weiteren Feststellungen zu dem Ergebnis kommt, dass die Leistungen fehlerhaft abgerechnet worden sind, führt die Kassenärztliche Vereinigung ein Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung durch (§ 5 Abs. 2 Satz 1 RL § 106a SGB V); die auf Grund einer Plausibilitätsprüfung festgestellten Abrechnungsfehler führen in vollem Umfang zur Abrechnungskorrektur (Hess in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 106a SGB V, Rn. 6).

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots –, erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 13/19 R -, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, beide in juris). Solche Verstöße können darin liegen, dass Leistungen zur Abrechnung kommen, die in einer nicht der Gebührenordnung entsprechenden Weise oder überhaupt nicht erbracht wurden. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honoraranforderung erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat (BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -, in juris; vgl. auch § 3 Abs. 1 RL § 106a SGB V). Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z.B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R -, in juris). Auch die Nichtbeachtung der Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung stellt einen Verstoß gegen formale Voraussetzungen der Leistungserbringung dar, der eine sachlich-rechnerische Richtigstellung rechtfertigt (BSG, Urteil vom 10.12.2008 - B 6 KA 37/07 R -, in juris). Zu solchen Fallgestaltungen gehört z.B. auch die Missachtung der Vorgaben für die Dokumentation (Urteil des Senats vom 25.09.2013 - L 5 KA 3347/11 -, in juris).  

b) Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Zwar hat die Beklagte den Kläger vor Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 28.05.2013 nicht – wie erforderlich (§ 24 Abs. 1 SGB X; s. auch § 9 Abs. 2 der Verfahrensordnung der Beklagten) – angehört. Die Anforderung von Patientenunterlagen mit Schreiben vom 11.06.2012 sowie der Umstand, dass aufgrund desselben Sachverhalts ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren lief, genügte nicht, weil sich daraus nicht alle für die sachlich-rechnerische Berichtigung entscheidungserheblichen Tatsachen ergaben. Dieser Verfahrensmangel führt an sich zur Aufhebung des Bescheids (§ 42 Satz 2 SGB X), ist hier aber unbeachtlich, weil die Anhörung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wirksam nachgeholt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 SGB X). Die Heilung eines Anhörungsmangels kann während des Widerspruchsverfahrens erfolgen, wenn dem Betroffenen hinreichende Gelegenheit gegeben wird, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 29.11.2017 - B 6 KA 33/16 R -, in juris). Das war hier der Fall. Die Beklagte hatte in dem Bescheid vom 28.05.2013 alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt. Der Kläger hat im Rahmen des Widerspruchsverfahrens damit ausreichend Gelegenheit gehabt, vor einer abschließenden Verwaltungsentscheidung hierzu sachgerecht Stellung zu nehmen.

c) Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.09.2014 ist auch materiell rechtmäßig.

(a) Der Kläger hat Leistungen abgerechnet, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlagen.

Unzweifelhaft sind in jedem der streitgegenständlichen Quartale Fälle zur Abrechnung gelangt, obwohl die KVK nicht eingelesen worden war. Das entnimmt der Senat der Aufstellung in der Anlage des Schreibens der Beklagten vom 15.04.2021 sowie der Tabelle auf S. 10 des Bescheids vom 28.05.2013. Es sind keine Gründe ersichtlich, an der Richtigkeit der Aufstellungen zu zweifeln, zumal der Kläger insoweit nichts konkret einwendet. Er hat insbesondere nicht hinreichend aufgezeigt, dass in den betroffenen Fällen Ausnahmesituationen vorlagen, weshalb er von einem Einlesen der KVK hätte absehen können. Die geltend gemachten Softwareprobleme sind keine plausible Erklärung für die Vielzahl an Fällen und dafür, warum er die KVK bei den Patienten nicht zumindest nachträglich angefordert hat. Hinzu kommt, dass der Kläger in seiner Stellungnahme im staatsanwaltlichen Verfahren vom 08.12.2010 nichts von Softwareproblemen berichtete und das fehlende Einlesen der KVK lediglich damit erklärte, dass er einen hohen Ausländeranteil habe und er die dolmetschenden Angehörigen meist ebenfalls berate oder behandle, diese aber oftmals keine KVK bei sich führten. Dieser Umstand entbindet den Kläger nicht davon, die Patienten aufzufordern zum nachträglichen Einlesen der KVK nochmals vorstellig zu werden.

Der Kläger war grundsätzlich verpflichtet in jedem Behandlungsfall, auch bei nur telefonischem Arzt-Patienten-Kontakt, die KVK (ggf. nachträglich) einzulesen. Dies ergibt sich aus den auf Grundlage des § 82 Abs. 1 SGB V zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung vereinbarten Regelungen des BMV-Ä (bzw. des damals noch geltenden EKV-Ä zwischen den Ersatzkassen und den Vertragsärzten). Nach § 19 Abs. 2 BMV-Ä in der Fassung vom 01.07.2008 bzw. § 23 Abs. 2 EKV-Ä war der Versicherte – solange die elektronische Gesundheitskarte noch nicht an den Versicherten ausgegeben war – verpflichtet, zum Nachweis der Anspruchsberechtigung die KVK gemäß § 291 Abs. 2 SGB V vorzulegen. Für diesen Fall regelte Anlage 4 des BMV-Ä bzw. EKV-Ä das Nähere zur Gestaltung und zum Inhalt der KVK sowie zu einem Ersatzverfahren. Die 1. Ergänzung der Anlage 4 des BMV-Ä/EKV-Ä („Vereinbarung zur Gestaltung und zum Inhalt der KVK“) in der Fassung vom 01.07.2002 regelte in § 6 Abs. 5, dass der Arzt grundsätzlich verpflichtet ist, die Daten der KVK auf alle relevanten Vordrucke maschinell unter Verwendung eines zertifizierten Lese- und Druckgeräts zu übertragen. Dies galt nach § 6 Abs. 5 Satz 2 auch für die Ausstellung eines Abrechnungsscheins (Muster 5) für manuell abrechnende Ärzte, wobei dann der Berechtigte das Bestehen des speziellen Kostenübernahmeanspruchs gegenüber der jeweiligen Krankenkasse durch Unterschrift auf dem Abrechnungsschein zu bestätigen hatte, es sei denn er hatte einen gesetzlichen Vertreter oder war zur Unterschrift nicht in der Lage (§ 6 Abs. 5 Satz 3 und 4 der 1. Ergänzung der Anlage 4). Ärzte, die – wie der Kläger – mit Hilfe einer genehmigten Praxis-EDV abrechnen, konnten nach § 6 Abs. 6 von der Kassenärztlichen Vereinigung von der Ausstellung eines Abrechnungsscheins befreit werden, wenn ein nicht veränderbares Einlesedatum der KVK im jeweiligen Quartal festgehalten und Bestandteil der in der Abrechnung zu prüfenden Daten wurde. Nach damals geltender Rechtslage musste daher der Patient bei telefonischer Inanspruchnahme des Arztes, die KVK zum Einlesen in die Praxis vorbeibringen oder vorbeibringen lassen (anders jetzt für die elektronische Gesundheitskarte in Ziff. 4 des Anhangs 1 zur Anlage 4a BMV-Ä, gültig seit 01.07.2017, DÄBl. 2017, S. A-1147, wonach der Arzt berechtigt ist, die Versichertenstammdaten auf der Grundlage der Patientendatei zu übertragen). Kam der Patient einer entsprechenden Aufforderung nicht nach, konnte die telefonische Konsultation nicht als GKV-Leistung, sondern nur privat liquidiert werden (vgl. § 5 Abs. 3 der 1. Ergänzung der Anlage 4 des BMV-Ä/EKV-Ä). Das in § 20 BMV-Ä bzw. § 24 EKV-Ä in der Fassung vom 01.07.2004 geregelte Ersatzverfahren enthielt der hier einschlägige BMV-Ä in der Fassung vom 01.07.2008 nicht mehr („§ 20 gestrichen“, entsprechend für § 24 EKV-Ä).

Die Bestimmungen über das Einlesen der KVK sind formale Bestimmungen, die eine sachlich-rechnerische Richtigstellung rechtfertigen (so schon Urteil des Senats vom 20.11.2019 - L 5 KA 3180/17 -, n.v.). Sie dienen der Sicherstellung der Anspruchsberechtigung der Patienten gegenüber der Krankenkasse und sind damit wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Versorgung gesetzlich Versicherter. Dass sich dieser Gesetzeszweck vorliegend nicht verwirklicht hat, weil die Patienten tatsächlich versichert waren, ändert hieran nichts. Zumal die Verpflichtung zur Verwendung der KVK auch dazu dient, missbräuchliches Verhalten von Ärzten aufzudecken, das etwa in einer unzulässigen Kooperation mit anderen Praxen, Doppelabrechnungen und künstlichen Fallzahlmehrungen liegen kann. Einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung wegen Verstoßes gegen die Bestimmungen über das Einlesen der KVK steht auch nicht entgegen, dass der Kläger die Leistungen im Übrigen – möglicherweise – ordnungsgemäß erbracht hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG haben Bestimmungen, die die Vergütung ärztlicher Leistungen von der Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen abhängig machen, innerhalb dieses Systems die Funktion, zu gewährleisten, dass sich die Leistungserbringung nach den für die vertragsärztliche Versorgung geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollzieht. Das wird dadurch erreicht, dass dem Vertragsarzt für Leistungen, die unter Verstoß gegen derartige Vorschriften bewirkt werden, auch dann keine Vergütung zusteht, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht wurden (BSG, Urteil vom 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R -, in juris, m.w.N.).

Der Senat hat auch keine Zweifel daran, dass der Kläger Leistungen abgerechnet hat, obwohl er diese tatsächlich nicht erbracht hat. Dies steht aufgrund des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts Stuttgart fest. Danach hat er in 13 Fällen – jeweils ein Fall aus den Quartalen 3/2008 bis 3/2011 – zu Lasten der Beklagten einen Abrechnungsbetrug begangen (in fünf Fällen gewerbsmäßig), in dem er sich Patienten von anderen Praxen formal als sog. Überweisungsfälle mit entsprechendem Überweisungsformular an seine Praxis weiterleiten ließ und diese Daten zur Abrechnung ärztlicher Leistungen gegenüber der Beklagten nutzte, obwohl die Patienten tatsächlich nicht von ihm behandelt wurden. Gestützt wird diese Feststellung von dem Ergebnis der von der Beklagten vorgenommenen Durchsicht und Prüfung der vorgelegten 200 Patientendokumentationen aus den Jahren 2008 bis 2012, die zu einem großen Teil keine bzw. nur eine auf Diagnoseangaben reduzierte Dokumentation der Fälle ergeben hat. Leistungen dürfen jedoch nur dann abgerechnet werden, wenn der Leistungsinhalt tatsächlich (und vollständig) erbracht worden ist. Im Zweifelsfall hat der Arzt die Leistungserbringung mittels seiner Dokumentation nachzuweisen. Allein anhand der Diagnose, ohne Dokumentation diagnosetypischer Untersuchungen wie unter anderem Röntgenaufnahmen sowie Anamnese und Befunderhebung, die in nahezu allen vorgelegten Fällen fehlten, kann der Nachweis einer Leistungserbringung in den betroffenen Fällen nicht gelingen.   

(b) Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen der nachträglichen Korrektur der Honorarbescheide nicht entgegen.

Der Vertragsarzt kann auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheides grundsätzlich nicht vertrauen. Die Rechtsprechung hat jedoch Fallgruppen herausgearbeitet, in denen die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung aus Gründen des Vertrauensschutzes begrenzt ist (im Einzelnen BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -; BSG, Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R -; beide in juris). Ein solcher Ausnahmefall kann etwa angenommen werden, wenn die Kassenärztliche Vereinigung bei Erlass des Honorarbescheids auf ihr bekannte Ungewissheiten hinsichtlich der Grundlagen der Honorarverteilung nicht hingewiesen und dadurch schutzwürdiges Vertrauen bei den Vertragsärzten hervorgerufen hat oder wenn die Fehlerhaftigkeit des Honorarbescheids aus Umständen herrührt, die die besonderen Funktionsbedingungen des Systems vertragsärztlicher Honorierung nicht konkret berühren (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -; BSG, Urteil vom 16.12.2015 - B 6 KA 39/15 R -; beide in juris). Einer der genannten Fälle ist vorliegend nicht gegeben. Auch sonstige Vertrauensgesichtspunkte, auf die sich der Kläger stützen könnte, sind nicht ersichtlich.

Der Honorarrückforderung der Beklagten steht für die streitbefangenen Quartale auch nicht der Ablauf der Ausschlussfrist entgegen. Das Recht (und die Pflicht) der Kassenärztlichen Vereinigung zur Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) unterliegt nicht der Verjährung. Allerdings gilt für die nachgehende Richtigstellung eine (an das Verjährungsrecht angelehnte) Ausschlussfrist von vier Jahren (vgl. etwa BSG, Urteil vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R -, in juris, m. w. N.). Daran hat sich durch die Einfügung eines neuen § 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 06.05.2019 (BGBl. I 646) nichts geändert. Die am 11.05.2019 in Kraft getretene Neuregelung bestimmt, dass die Maßnahmen, die aus den Prüfungen nach § 106d Abs. 2 bis 4 SGB V folgen, innerhalb von zwei Jahren ab Erlass des Honorarbescheides festgesetzt werden müssen. Diese Verkürzung der Ausschlussfrist greift hier indes nicht ein, weil sie nicht für Prüfzeiträume gilt, die vor dem Inkrafttreten von Gesetzesneufassungen abgeschlossen waren (BSG, Urteil vom 15.05.2019 - B 6 KA 63/17 R -, in juris).

Die Ausschlussfrist war vorliegend für die Quartale 1/2009 bis 2/2012 nicht abgelaufen, weil die Beklagte die Honorarbescheide mit Bescheid vom 28.05.2013 innerhalb der vierjährigen Frist aufhob. Für die Quartal 1/2008 bis 4/2008 war die Ausschlussfrist bereits abgelaufen, weil die Honorarbescheide am 14.07.2008 (Quartal 1/2008), 15.10.2008 (Quartal 2/2008), vom 15.01.2009 (Quartal 3/2008) und 15.04.2009 (Quartal 4/2008) erlassen worden waren. Rechtshandlungen, die eine Hemmung der Ausschlussfrist bewirkt haben könnten, sind nicht ersichtlich (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 17/12 R -, in juris). Auch nach Ablauf der Ausschlussfrist kommt aber eine Richtigstellung von Honorarbescheiden auf der Grundlage von § 106a Abs. 2 SGB V a.F. weiterhin in Betracht, wenn einer der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 SGB X erfüllt ist. Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Kläger ist (zumindest) grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Der Kläger hat (zumindest) grob fahrlässig verkannt, dass seine Abrechnungen hinsichtlich der Behandlungsfälle ohne Einlesen der Krankenversichertenkarte rechtswidrig sind und ihm hierfür kein Honorar zusteht. Die Notwendigkeit des Einlesens der KVK muss jedem Vertragsarzt einleuchten.

(c) Die Beklagte hat mit dem Erlass des Richtigstellungsbescheids vom 28.05.2013 auch die Jahresfrist zur Rücknahme der Honorarbescheide gewahrt. Nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, der bei sachlich-rechnerischen Richtigstellungen im Vertragsarztrecht nach Ablauf der Ausschlussfrist entsprechend anwendbar ist (BSG, Urteil vom 21.03.2018 - B 6 KA 47/16 R -, in juris, m.w.N.), muss die Aufhebung eines rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme rechtfertigen. Die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis ist anzunehmen, wenn die Behörde mangels vernünftiger objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen hat (BSG, Urteil vom 21.03.2018 - B 6 KA 47/16 R -, in juris). Die Beklagte verfügte zur Überzeugung des Senats vorliegend frühestens nach Eingang der von dem Kläger angeforderten Behandlungsunterlagen am 06.07.2012 über die für eine Rücknahme der Honorarbescheide notwendige Tatsachenkenntnis. Denn zu diesen Tatsachen gehören auch die besonderen Rücknahmevoraussetzungen, wie z.B. ein fehlender Vertrauensschutz (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris). Der Richtigstellungsbescheid vom 28.05.2013 ist damit noch vor Ablauf der Jahresfrist ergangen.

(d) Die Beklagte durfte die Honorarbescheide der Quartale 1/2008 bis 2/2012 in vollem Umfang aufheben und die Neufestsetzung des Honorars im Wege einer pauschalierenden Schätzung festsetzen. Für jedes Quartal ist zumindest ein Fehlansatz nachgewiesen. Außerdem ist dem Kläger grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der Kläger hat in den Quartalen 1/2008 bis 2/2012 jeweils grob fahrlässig unrichtige Abrechnungssammelerklärungen abgegeben, soweit Fälle zur Abrechnung kamen, in denen die KVK nicht eingelesen worden war. Darüber hinaus ist dem Kläger hinsichtlich der Fälle, die zur strafrechtlichen Verurteilung wegen Abrechnungsbetrugs führten, Vorsatz vorzuwerfen. Dies steht zur Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart fest.

Ermessen musste die Beklagte bei Erlass des Richtigstellungsbescheids nicht ausüben (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris). Die bereichsspezifische Sonderregelung zur Korrektur vertragsärztlicher Honorarbescheide in § 106a Abs. 2 S 1 SGB V a.F. sieht – anders als § 45 SGB X, den sie verdrängt (s. oben) – keine Verpflichtung zur Ermessensausübung vor, sondern enthält eine gebundene Entscheidung. Dies gilt auch für die sachlich-rechnerische Richtigstellung von vertragsärztlichen Honorarbescheiden nach Ablauf der Ausschlussfrist.

(e) Die Beklagte hat den Rückforderungsbetrag auch in nicht zu beanstandender Weise ermittelt. 

Bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist im Grundsatz die Ermittlung des zu Unrecht gezahlten Honorars anhand der konkret unrechtmäßig abgerechneten Leistungen geboten (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 6 KA 36/14 R -, in juris). Im Falle grob fahrlässiger Falschabrechnungen, die zum Wegfall der Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung führen, ist die Neufestsetzung des Honorars auch im Wege einer pauschalierenden Schätzung statthaft (BSG, Urteil vom 29.11.2017 - B 6 KA 33/16 R -, in juris, m.w.N.). Die Schätzung kann sich am Fachgruppendurchschnitt orientieren (BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -, in juris). Der Kassenärztlichen Vereinigung kommt dabei insoweit das für jede Schätzung kennzeichnende Ermessen zu Gute (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 44/17 R -, in juris). Die Schätzung kann sich auch auf den Umfang einer erforderlichen Richtigstellung beziehen (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2019 - B 6 KA 63/17 R -, in juris, Rn. 31).

Danach ist die von der Beklagten vorgenommene Schätzung des Umfangs und des Werts der Unrichtigkeit nicht zu bestanden. Die Beklagte durfte eine Schätzung vornehmen, nachdem die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung der Quartale 1/2008 bis 2/2012 wegen (zumindest) grob fahrlässiger Falschabrechnungen entfallen war. Der Schätzung steht vorliegend nicht entgegen, dass der Umfang der rechtswidrigen Abrechnungen in Bezug auf die Fälle des fehlenden Einlesens der KVK feststeht und insoweit eine Berichtigung der konkret betroffenen Fälle möglich gewesen wäre. Denn die Beklagte berichtigte nicht lediglich die Abrechnung in Bezug auf diese Fälle, sondern unter anderem auch, weil Daten eingelesen und Leistungen abgerechnet wurden für Patienten, die nicht behandelt wurden (insoweit anders Urteil des Senats vom 20.11.2019 - L 5 KA 3180/17 -, n.v.). Zwar führte sie im angefochtenen Bescheid aus, dass der Plausibilitätsausschuss die Korrektur „zunächst“ auf die Fälle, in denen das Einlesedatum der KVK fehlte, „beschränkt“. Die Entscheidung stehe „unter dem Vorbehalt eventuell neuerer Erkenntnisse aus anderen Verfahren“. Letzteres bezieht sich jedoch nur auf die bislang nicht bekannten, aber möglichen „weitere(n) Fälle“, die sich aufgrund eventuell neuerer Erkenntnisse etwa im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren ergeben konnten. Hinsichtlich der Fälle, die durch Hinweise der T Krankenkasse aufgedeckt worden waren und letztlich zum Erlass des Strafbefehls führten, ging die Beklagte dagegen davon aus, dass Leistungen nicht korrekt abgerechnet bzw. gar nicht erbracht wurden und legte diese der Berichtigung ebenfalls zugrunde („Der Berechnung“ … „wurde“… „insbesondere“… „Darüber hinaus ist“ … „davon auszugehen“). Da die einzelnen betroffenen Fälle der Anzahl nach und in Bezug auf die jeweils abgerechneten Gebührenordnungspositionen (GOP) nicht konkret feststand, durfte sie den Umfang und den Wert der gesamten Unrichtigkeit schätzen. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte den individuellen Fallwert der klägerischen Praxis der Berechnung zugrunde gelegt hat. Ihr wäre sogar eine Kürzung auf den Fachgruppendurchschnitt möglich gewesen (BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -, in juris).

Hinzu kommt, dass eine konkrete Nachberechnung unter Streichung der betroffenen Fälle im vorliegenden Fall einen unverhältnismäßigen Aufwand mit sich brächte (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 6 KA 36/14 R -, in juris, Rn. 37). Wie die Beklagte im Schriftsatz vom 15.04.2021 nachvollziehbar darlegt, müsste sie die Honorarbescheide für 18 Quartale mit Auswirkungen auf das Gesamthonorar und insbesondere das jeweilige Regelleistungsvolumen neu berechnen. Wie sich an der beispielhaften, überschlägigen Berechnung für das Quartal 2/2009 zeigt, wäre zudem der potentielle Vorteil für den Kläger nur gering oder sogar gar nicht zu erwarten. Der mit der konkreten Neuberechnung verbundene erhebliche Aufwand rechtfertigt vorliegend deshalb eine pauschalierende Berechnung.

4. Die Berufung hat auch im Hilfsantrag keinen Erfolg. Der Kläger hat aus den unter 3. aufgeführten Gründen auch keinen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt, dass der Widerspruch des Klägers nur deshalb keinen Erfolg gehabt hat, weil die Verletzung des Anhörungsmangels nach § 41 SGB X unbeachtlich ist (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris, Rn. 37).

6. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).

7. Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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