L 2 SO 1213/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SO 3392/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1213/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Februar 2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand


Der Kläger begehrt von der Beklagten soweit ersichtlich die Gewährung eines Barbetrages nach §§ 27, 27a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) während der Zeiten des Strafvollzugs, die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe sowie die Kostenübernahme für Zahnersatz. Außerdem begehrt er die Überprüfung bzw. Nachgewährung von in der Vergangenheit nicht bzw. zu niedrig gewährten Sozialleistungen seitens des Landkreises K1 und des Jobcenters Landkreis K1.

Der 1972 geborene Kläger hielt sich im Juni 2020 ohne festen Wohnsitz im Gebiet der Beklagten auf und bezog Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter F1. Am 15. Juni 2020 wurde er in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) F1 genommen. Am 20. Juni 2020 stellte er über den Sozialdienst der JVA einen Antrag auf Gewährung des Barbetrags in stationären Einrichtungen nach §§ 25 Abs. 1 und 2, 27a Abs. 4 SGB XII („Taschengeld“) bei der Beklagten.

Die Untersuchungshaft dauerte bis zum 6. Juli 2020; danach befand sich der Kläger vom 7. Juli bis 26. Juli 2020 in Haft zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Vom 27. Juli bis 27. August 2020 befand sich der Kläger wieder in Untersuchungshaft.

In der Annahme, dass es sich bei der gesamten bisherigen Haft um eine Ersatzfreiheitsstrafe handele, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2020 den Leistungsantrag zunächst ab, bewilligte dann aber mit Bescheid vom 30. Juli 2020 den Barbetrag vom 29. Juni bis 6. Juli 2020 in Höhe von monatlich 116,64 €. Den gegen den Bescheid vom 22. Juli 2020 gerichteten Widerspruch des Klägers vom 25. Juli 2020 erklärte dieser über den Sozialdienst der JVA für erledigt.

Mit Schreiben vom 30. Juli 2020 – eingegangen bei der Beklagten am 12. August 2020 – beantragte der Kläger die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe für seine geplante Aufnahme in eine stationäre medizinische Rehabilitation. Er bezog sich dabei auf einen früheren Antrag vom 21. Juli 2020, der allerdings bei der Beklagten nicht aktenkundig ist.

Mit Bescheid vom 27. August 2020 bewilligte die Beklagte den Barbetrag für den Zeitraum vom 27.  bis 31. Juli 2020.

Ab dem 28. August 2020 verbüßte der Kläger eine weitere Ersatzfreiheitsstrafe bis zum 25. November 2020.

Mit Bescheid vom 16. September 2020 bewilligte die Beklagte den Barbetrag für den Zeitraum 1. August bis 27. August 2020.

Am 10. November 2020 wurde der Klägerin in die JVA O1 verlegt. Ab dem 26. November 2020 befand er sich wieder in Untersuchungshaft. Am 30. Dezember 2020 wurde für den Kläger erneut ein Antrag auf den Barbetrag gestellt. Die Beklagte bewilligte diesen mit Bescheid vom 19. Januar 2021 für den Zeitraum 30. bis 31. Dezember 2021 somit mit weiterem Bescheid vom 8. Februar 2021 für den Zeitraum 1. bis 27. Januar 2021.

Ab dem 28. Januar 2021 befand sich der Kläger in Strafhaft, die er ab dem 4. Februar 2021 wieder in der JVA F1 verbüßte.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2021 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe sowie auf die Kostenübernahme für Zahnersatz ab. Der Kläger habe kein Datum für die Aufnahme in die Therapieeinrichtung genannt, sodass nicht feststellbar sei, welcher Bedarf genau und ab wann bestehe. Auch hinsichtlich des Zahnersatzes fehle es an sämtlichen Unterlagen, welche Maßnahmen vorgenommen werden sollten und welche Kosten entstünden.

Mit undatiertem Schreiben – eingegangen bei der Beklagten am 23. März 2021 – teilte der Kläger mit, dass die stationäre Therapie am 28. April 2021 beginnen werde. Er beantrage erneut eine Bekleidungshilfe für die Zeit der Therapie.

Der Kläger wurde am 28. April 2021 in das Therapiezentrum B1 in B2 aufgenommen. Die Therapie sollte bis zum 13. Oktober 2021 dauern. Der Kläger beendete sie jedoch schon zum 8. Mai 2021 und verließ die Einrichtung wieder.

Mit Bescheid vom 15. Juli 2021 lehnte die Beklagte daher erneut die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe ab. Nachdem die Therapie bereits nach kurzer Zeit wieder beendet worden sei, bestehe der geltend gemachte Bedarf nunmehr nicht mehr.

Mit Schreiben vom 15. September 2021 und einem weiteren undatierten Schreiben – eingegangen bei der Beklagten am 30. September 2021 und 16. November 2021 – beanstandete der Kläger sinngemäß, dass er nicht durchgängig während der Haftzeiten den Barbetrag erhalten habe, sondern erst ab dem 29. Juni 2020 und nur mit Unterbrechungen. Die Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 zur Klarstellung auf, ob er einen neuen Antrag stellen wolle oder die Überprüfung der bisherigen Bewilligungen nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) begehre.

Daraufhin hat der Kläger am 15. November 2021 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Sinngemäß hat er vorgebracht, dass ihm für die gesamten Haftzeiten im Jahr 2020 und Anfang 2021, also ab dem 15. Juni 2020 ohne Unterbrechungen bis zum 27. April 2021 der Barbetrag nach dem SGB XII zustehe. Ferner seien ihm zu Unrecht die Bekleidungsbeihilfe und die Kostenübernahme für den Zahnersatz vorenthalten worden. Bereits in der Vergangenheit seit dem Jahr 2005 seien ihm vom Landkreis K1 bzw. vom Jobcenter Landkreis K1 Sozialleistungen nicht oder nur in zu niedriger Höhe gewährt worden. Auch dies möge das Gericht überprüfen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Sie hat darauf verwiesen, dass der Bezug des Barbetrags nur während Zeiten der Untersuchungshaft möglich sei, nicht jedoch während Zeiten der Strafhaft oder während Zeiten der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe. Die Ablehnung der Bekleidungsbeihilfe und der Kostenübernahme für den Zahnersatz sei rechtmäßig erfolgt und die Bescheide im Übrigen bestandskräftig.

Mit Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2023 hat das SG die Klage abgewiesen.  Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unzulässig sowohl im Hinblick auf die Gewährung des Barbetrags während der Zeiten der Haft als auch im Hinblick auf die streitige Bekleidungsbeihilfe und auf die Übernahme der Kosten für Zahnersatz. Auch im Hinblick auf die Überprüfung früherer Leistungsgewährungen durch den Landkreis K1 bzw. das Jobcenter K1 sei die Klage nicht zulässig. Soweit die Klage auf die Gewährung des Barbetrags nach §§ 27 Abs. 1 und 2, 27a Abs. 4 SGB XII auch für die Zeiträume 15. Juni bis 28. Juni 2020, 7. Juli bis 26. Juli 2020, 28. August bis 25. November 2020 und 28. Januar bis 27. April 2021 gerichtet sei, fehle es an der Durchführung des Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger habe versäumt, gegen die entsprechenden Bewilligungsbescheide der Beklagten vom 30. Juli 2020, 27. August 2020, 16. September 2020, 19. Januar 2021 und 8. Februar 2021 fristgerecht Widerspruch einzulegen bzw. habe er den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. Juli 2020 vor Klageerhebung wieder für erledigt erklärt. Die Klage vor dem SG wäre nur zulässig, wenn Widerspruch gegen die Bescheide eingelegt worden wäre und die Beklagte einen entsprechenden Widerspruchsbescheid erlassen hätte. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger auch in der Sache für die oben genannten Zeiträume der Strafhaft bzw. Ersatzfreiheitsstrafe keinen Barbetrag erhalten könne, selbst wenn die Klage zulässig wäre. Der Barbetrag sei Untersuchungsgefangenen zu gewähren, nicht aber Strafgefangenen, deren Lebensunterhalt durch Leistungen nach dem Strafvollzugsgesetz gesichert sei. Soweit sich die Klage auf die Gewährung einer Bekleidungsbeihilfe und die Übernahme der Kosten für Zahnersatz richte, sei die Klage ebenfalls wegen Fehlens eines Vorverfahrens nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG unzulässig. Auch gegen die ablehnenden Bescheide der Beklagten zu diesem Antrag vom 9. Februar 2021 und 15. Juli 2021 habe der Kläger nicht Widerspruch erhoben, sodass auch diese Bescheide bestandskräftig geworden seien. In diesem Zusammenhang weise das Gericht ergänzend darauf hin, dass die Klage auch nach Durchführung des Vorverfahrens nach Aktenlage keinen Erfolg gehabt hätte. Die erstmalige Ablehnung der Bekleidungsbeihilfe am 9. Februar 2021 sei berechtigt gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht festgestanden habe, wann der Kläger die stationäre Therapie antreten werde. Ein konkreter Bedarf nach Kleidung für den stationären Aufenthalt sei noch nicht gegeben gewesen und auch nicht absehbar gewesen. Nachdem der Kläger die stationäre Therapie im Mai 2021 nach nur elf Tagen beendet habe und sich anschließend wieder in Haft befunden habe, sei der besondere Bedarf zum Zeitpunkt der zweiten Entscheidung vom 15. Juli 2021 bereits wieder entfallen gewesen. Hinsichtlich der Kosten für Zahnersatz habe die Beklagte den Kläger zu Recht mehrfach aufgefordert, entsprechende ärztliche Unterlagen vorzulegen, aus denen sich die Art der Behandlung sowie die zu erwartenden Kosten ergäben. Dem sei der Kläger nicht nachgekommen. Damit sei der geltend gemachte Bedarf weder dem Grunde nach der Höhe nach nachgewiesen und die Beklagte hätte den Antrag zu Recht ablehnen können. Soweit sich die Klage auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit früherer Leistungsbewilligungen seit dem Jahre 2005 seitens des Landkreises K1 bzw. des Jobcenters Landkreis K1 richte, sei sie ebenfalls unzulässig, da der Streitgegenstand nicht bestimmt werden könne bzw. eine konkrete Beschwer des Klägers nicht vorgetragen bzw. ermittelbar sei. Das Gericht könne nur konkrete Bescheide bzw.  Widerspruchsbescheide auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen, nicht aber pauschal ein nicht näher konkretisiertes Fehlverhalten einer Behörde oder die Gesamtheit einer Leistungsbeziehung. Soweit der Kläger sich durch konkrete Entscheidungen des Landkreises K1 bzw. des Jobcenters Landkreis K1 aus der Vergangenheit benachteiligt sehe, könne er sich – innerhalb der Fristen des § 44 Abs. 4 SGB X bzw.§§ 40 Abs.1 Satz 2 Nr.2 SGB II und 116a SGB XII – an die entsprechenden Behörden wenden und eine Überprüfung nach § 44 SGBX verlangen.

Gegen den dem Kläger mit Zustellungsurkunde am 14. März 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 20. April 2023 mit vom 15. April 2023 datierenden Schreiben Berufung erhoben. Zur Begründung der Berufung hält er am bisherigen Vorbringen fest.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Februar 2023 und unter Abänderung der Bescheide der Beklagten vom 30. Juli 2020, 27. August 2020, 16. September 2020, 19. Januar 2021 und 8. Februar 2021 zu verurteilen, ihm den Barbetrag in Höhe von monatlich 116,64 € für die Zeiträume 15. bis 28. Juni 2020, 7. bis 26. Juli 2020, 28. August bis 25. November 2020 und 28. Januar bis 27. April 2021 zu gewähren, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9. Februar 2021 und 15. Juli 2021 zu verurteilen, ihm Bekleidungsbeihilfe sowie die Kosten für Zahnersatz zu gewähren und die Gewährung von Sozialleistungen seitens des Landkreises K1 und des Jobcenters Landkreis K1 in den Jahren 2005 bis 2020 auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Mit der Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung am 14. Juni 2023 vom 26. April 2023 ist der Kläger seitens des Senats auch darauf hingewiesen worden, dass die Berufung verfristet erhoben sein dürfte. Der Kläger hat dazu nicht Stellung genommen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2023 auch in Abwesenheit des Klägers über den Rechtsstreit entscheiden, da der Kläger ordnungsgemäß mit Postzustellungsurkunde vom 28. April 2023 zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch im Falle seines Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung des Klägers ist unzulässig.

Die Berufung ist nicht innerhalb der gesetzlichen Berufungsfrist eingelegt worden. Nach § 151 Abs. 1 i.V.m. § 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG ist die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten in der Geschäftsstelle eingelegt wird.

Dem anwaltlich nicht vertretenen Kläger ist der Gerichtsbescheid vom 27. Februar 2023 ausweislich der Postzustellungsurkunde am 14. März 2023 zugestellt worden. Der Lauf einer Frist beginnt nach § 64 Abs. 1 SGG soweit – wie hier – nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung. Nach § 64 Abs. 2 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach der Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Daraus folgt, dass bei einer Zustellung am 14. März 2023 die Ein-Monats-Frist des § 151 Abs. 1 SGG mit Ablauf des 14. April 2023 (ein Freitag) geendet hat. Der Kläger hat jedoch erst am 20. April 2023 beim SG Berufung erhoben, wobei er das Berufungsschreiben erst am 15. April 2023 verfasst hat. Damit hat der Kläger die Berufungsfrist nicht gewahrt.

Dem Kläger ist hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn eine solche Wiedereinsetzung setzt nach § 67 Abs. 1 SGG voraus, dass der Betreffende ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Obwohl der Kläger mit Schreiben vom 26. April 2024 (im Rahmen der Ladung zum Gerichtstermin) auf diese Rechtsauffassung des Senats hingewiesen worden ist, hat der Kläger diesbezüglich nichts vorgebracht.

Die Berufung war daher gem. § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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