L 9 U 1630/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 3600/16 und S 8 U 3470/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 U 1630/18
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ob ein Überprüfungsbescheid vorliegt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dies kann auch der Fall sein, wenn die Behörde nicht ausdrücklich § 44 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage ihres Vorgehens benannt hat.
2. Zur MdE-Bemessung beim Verlust von Fingergliedern an beiden Händen durch gesonderte Versicherungsfälle.
3. Die Rente aus dem früheren Versicherungsfall beginnt mit dem Tag des späteren Stützfalles, falls dieser eine MdE um wenigstens 10 v.H. über die 26. Woche hinaus hinterlässt.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. März 2018 (S 8 U 3600/16) aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2016 und unter Abänderung des Bescheides vom 28. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. August 1989 nach einer MdE um 10 vom Hundert ab dem 1. Januar 2011 zu gewähren.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. März 2018 (S 8 U 3470/16) aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2016 und unter Abänderung des Bescheides vom 20. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 2007 nach einer MdE um 10 vom Hundert ab dem 1. Januar 2011 zu gewähren.

Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet dem Kläger in beiden Verfahren 4/5 seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Verletztenrente auf Grund von Arbeitsunfällen vom 25.08.1989 und vom 05.12.2007, bei denen sich der Kläger Verletzungen der rechten und der linken Hand zuzog, jeweils im Rahmen von Stützrententatbeständen streitig.

Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Wirtschafts- und Automechaniker und seit 1988 als Schlosser tätig. Während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bei seinem damaligen Arbeitgeber, der Fa. M1, rutschte er am 25.08.1989 an einer Kantmaschine ab und zog sich eine Quetschverletzung der rechten Hand zu, die zum teilweisen Verlust der Endglieder DII bis DIV rechts führte. Von Mai 1990 bis Juni 1991 erhielt der Kläger eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H.

Ausweislich des Durchgangsarztberichts vom 05.12.2007 geriet der Kläger am 05.12.2007 während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bei der T1 (BUT) mit der linken Hand in eine Stanzmaschine und erlitt hierbei eine Endgliedamputation DII links.

Der Durchgangsarzt V1 stellte die Erstdiagnose Amputationsverletzung DII linke Hand (Bericht vom 05.12.2007). Ausweislich des Zwischenberichts des V1 erfolgte am 12.12.2007 die Nachamputation und plastische Abdeckung des linken Zeigefingers. Im weiteren Heilungsverlauf zeigten sich Neurombeschwerden (Befundberichte der Z1 und B1 vom 01.02.2008, vom 27.03.2008, vom 11.04.2008; Befundbericht des J1 vom 11.03.2008). Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 04.05.2008. Am 31.10.2008 erfolgte eine Neuromexzision.

Mit Schreiben vom 23.07.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten sinngemäß die Gewährung einer Verletztenrente unter gemeinsamer Berücksichtigung der an beiden Händen erlittenen Arbeitsunfälle.

Die Beklagte zog daraufhin den Nachschaubericht des S1, Universitätsklinikum F1, Abteilung Plastische und Handchirurgie, vom 27.01.2009 bei. Dieser diagnostizierte beim Kläger eine Nagelwachstumsstörung sowie Schmerzen im Bereich des Zeige-, Mittel- und Ringfingers rechts bei Z.n. traumatischer Fingerkuppenamputation und empfahl eine operative Entfernung des Restnagels und eine Exzision des Endgliedstumpfes vom Zeige-, Mittel- und Ringfinger.

Unter Bezugnahme auf den Nachschaubericht des S1 teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 16.04.2009 mit, eine Begutachtung so lange zurückzustellen, bis der Kläger die von S1 vorgeschlagenen therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft habe.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 22.04.2009 begehrte der Kläger die Durchführung einer Begutachtung.

Daraufhin holte die Beklagte bei L1 ein erstes Rentengutachten ein (Gutachten vom 23.09.2009, Tag der Untersuchung 08.08.2009). Dieser benannte in Bezug auf die rechte Hand (Unfall von 1989) die folgenden Unfallfolgen: Minderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand durch Amputationsverletzung DII-III-IV rechts in Höhe des proximalen Endgliedes, inkompletter Faustschluss, Kraftminderung; radiologische Veränderungen; glaubhafte Beschwerden; reizlose Narbenverhältnisse. In Bezug auf die linke Hand benannte er folgende Unfallfolgen: Minderung der Gebrauchsfähigkeit des linken Zeigefingers und damit der linken Hand, Kraftminderung, erhebliche Stumpfbeschwerden; radiologische Veränderungen; glaubhafte Beschwerden; reizlose Narbenverhältnisse. Er schätzte die MdE auf Grund des Unfalls vom 25.08.1989 auf um 10 v.H. und in Bezug auf den Unfall vom 05.12.2007 auf unter 10 v.H. Unter Berücksichtigung des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 schätzte er die MdE insgesamt auf unter 20 v.H.

Mit Bescheid vom 20.10.2009 lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf das Gutachten des L1 die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.12.2007 ab. Bei der Untersuchung durch L1 seien als Folgen dieses Unfalls festgestellt worden „Links: Einschränkung der Greiffähigkeit sowie Sensibilitätsstörungen am Stumpf nach Amputationsverletzung des Zeigefingers im Endgliedbereich.“

Mit weiterem Bescheid vom 28.10.2009 lehnte die Beklagte ebenfalls unter Bezugnahme auf das Gutachten des L1 eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums im Juni 1991 ab, da ab diesem Zeitpunkt eine rentenberechtigende MdE nicht mehr vorliege.

Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 09.03.2010).

Mit Zwischenbericht vom 15.06.2015 teilte der B1 mit, der Kläger klage über persistierende elektrisierende Schmerzen im Stumpfbereich des zweiten Fingers links nach Teilamputation. Zusätzlich bestehe Kraftlosigkeit und Sensibilitätsstörung im Bereich des zweiten bis vierten Fingers rechts. Mit weiterem Schreiben vom 25.06.2015 teilte B1 mit, im Bereich der Endgliedamputation des zweiten Fingers links habe sich die Diagnose eines Neuroms bestätigt. Er halte eine gutachterliche Beurteilung der Situation für sinnvoll, da eine MdE um 20 v.H. auch als Stützrente in Betracht komme.

Mit Schreiben vom 18.11.2015 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das Schreiben des B1 vom 25.06.2015 bei der Beklagten die Zuerkennung einer Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. wegen der Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit beider Hände insbesondere wegen der elektrisierenden Stumpfschmerzen.

Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme zur Heilverfahrenskontrolle bei S1 ein. Dieser gab unter dem 18.01.2016 an, bei Amputationsverletzung Zeigefingerendglied links nach Unfall vom 05.12.2007 bestehe eine Hypersensibilität über dem Zeigefingerstumpf links, Steifigkeit des Zeigefingerstumpfes links sowie eingeschränkte Greiffunktion der linken Hand. Rechts bestehe nach Fingerkuppenamputation von Zeige-, Mittel- und Ringfinger nach Unfall vom 25.01.1989 eine Nagelwachstumsstörung/Krallennägel an Zeige- und Ringfinger sowie eine eingeschränkte Greiffunktion durch Stumpfschmerz der Fingerstümpfe. Am Zeigefinger links zeige sich zudem eine Schmerzexazerbation, welche einem Neuromschmerz entsprechen könnte.

Mit Bescheid vom 23.02.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente auf Grund des Unfalls vom 25.08.1989 ab. Der Arbeitsunfall habe zu einer Wachstumsstörung der Nägel im Bereich des Zeige-, Mittel- und Ringfingers nach Endgliedamputation dieser Finger geführt. Eine MdE von mindestens 20 v.H. oder ein Stützrentenfall lägen nicht vor.

Mit weiterem Bescheid vom 23.02.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.12.2007 ab. Der Arbeitsunfall habe zu einer Einschränkung der Greiffähigkeit sowie Sensibilitätsstörungen am Stumpf nach Amputationsverletzung des Zeigefingers im Endgliedbereich geführt. Eine MdE um mindestens 20 v.H. oder ein Stützrentenfall lägen nicht vor.

Zur Begründung der gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche führte der Kläger im Wesentlichen aus, die Folgen des Unfalls vom 05.12.2007 begründeten eine MdE um 10 v.H. Unter Berücksichtigung der Folgen des Unfalls vom 25.08.1989, die unstreitig eine MdE um von 10 v.H. begründeten, ergebe sich ein Stützrententatbestand in Höhe von mindestens 20 v.H. Zudem müsse die wechselseitige Beeinflussung und Verstärkung der Unfallfolgen an beiden Händen bei der MdE-Bewertung Berücksichtigung finden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers bezüglich des Unfalls vom 25.08.1989 zurück. Bei einer Amputation der Endglieder von Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger werde in der Literatur für die Dauer von einem Jahr eine MdE um 20 v.H. vorgeschlagen. Anschließend werde die MdE mit 10 v.H. bewertet. Da zum Zeitpunkt des Unfalls vom 25.08.1989 auch noch keine Folgen eines weiteren Unfalls an der anderen Hand bestanden hätten, könne der Unfall vom 05.12.2007 auch bei der Bewertung der MdE bezüglich der Folgen des Unfalls vom 25.08.1989 nicht berücksichtigt werden.

Mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 11.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers bezüglich des Unfalls vom 05.12.2007 zurück. Der unfallbedingte Verlust des Zeigefingerendgliedes sei zutreffend mit einer MdE von unter 10 v.H. ab dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit bewertet worden. Auch unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen mit den Folgen des Unfalls vom 25.08.1989 seien die Folgen des Unfalls am linken Zeigefinger nicht mit einer messbaren MdE zu bewerten.

Gegen beide Bescheide vom 23.02.2016, jeweils in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 11.08.2016 hat der Kläger am 01.09.2016 Klagen zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Zur Begründung der Klage in dem Verfahren S 8 U 3600/16 (Arbeitsunfall vom 25.08.1989) hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, unter Berücksichtigung des Arbeitsunfalls aus dem Jahr 2007 sei von einem Stützrententatbestand auszugehen mit der Folge, dass insgesamt eine MdE um 20 v.H. vorliege.

Zur Begründung der Klage in dem Verfahren S 8 U 3470/16 (Arbeitsunfall vom 05.12.2007) hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, die Unfallfolgen seien an der linken Hand zu gering eingeschätzt worden. Die MdE-Erfahrungswerte basierten auf der Vorstellung, dass Amputationsstümpfe der betroffenen Finger gut einsetzbar seien, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome nicht vorlägen und vorhandene Gelenke der teilamputierten Finger sowie betroffene Nachbarfinger frei beweglich seien. Bei ihm bestünden jedoch Neurome. Auch wiesen die Nachbarfinger der linken Hand Gesundheitsstörungen auf in Gestalt einer Heberdenarthrose des Endgelenks des linken Mittelfingers. Eine höhere MdE als von den Erfahrungssätzen vorgesehen, ergebe sich zudem im Hinblick auf die Wechselwirkung der Verletzungsfolgen der rechten Hand. Im Ergebnis begründeten die Unfallfolgen der rechten Hand eine MdE um 10 v.H., die unter Berücksichtigung der Unfallfolgen der linken Hand zu einer MdE um 20 v.H. führten.

Das SG hat in beiden Verfahren Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens bei, S2 der in seinem Gutachten vom 21.08.2017 (Tag der Untersuchung vom 01.08.2017) beim Kläger in Bezug auf den Unfall vom 25.08.1989 folgende Diagnosen gestellt hat: Z.n. Quetschverletzung DII bis DIV der rechten Hand mit Teilamputation des jeweiligen Endgliedes, im Verlauf Entwicklung einer Krallennagelbildung. Hierauf beruhende aktuelle Unfallfolgen seien: Glaubhafte subjektive Beschwerden, Einschränkungen beim Faustschluss, endgradige Bewegungseinschränkung der Endgelenke. Die diesbezügliche unfallbedingte MdE sei mit unter 10 v.H. zu bewerten. In Bezug auf den Unfall vom 05.12.2007 hat S2 folgende Diagnosen gestellt: Z.n. Amputation Endgelenk DII linke Hand, residuierende posttraumatische Neurombildung, glaubhafte subjektive Beschwerden, funktionelle Einschränkungen beim Faustschluss. Die diesbezügliche MdE sei mit unter 10 v.H. zu bewerten. Unter Berücksichtigung der Schäden an beiden Händen betrage die MdE unter 20 v.H.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG in beiden Verfahren ein Sachverständigengutachten bei H1 eingeholt, der in seinem Gutachten vom 21.12.2017 (Tag der Untersuchung am 21.12.2017) beim Kläger folgende Diagnosen gestellt hat: Z.n. Quetschverletzung DII bis DIV rechts mit Teilamputation der jeweiligen Endglieder; Teilamputation des Zeigefingerendgliedes links mit Neurombildung; beginnende radiale Handwurzelgelenksarthrose rechts; Krallennagelbildung Zeige- und Ringfinger rechts. Hinsichtlich der Höhe der MdE hat der Sachverständige angegeben, er gehe davon aus, dass sich die MdE durch die Schäden beider Hände auf um 20 v.H. belaufe.

Mit Urteilen vom 14.03.2018 hat das SG die Klagen in beiden Verfahren abgewiesen.

Zur Begründung hat das SG unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid in dem Verfahren S 8 U 3600/18 (Arbeitsunfall vom 25.08.1989) ergänzend ausgeführt, die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Feststellung einer MdE um wenigstens 10 v.H. seien nicht gegeben. Zur Überzeugung der Kammer stehe fest, dass der Kläger bei dem Arbeitsunfall vom 25.08.1989 keine Gesundheitsstörungen erlitten habe, die eine MdE um wenigstens 10 v.H. begründeten. Nach dem überzeugenden Gutachten von S2 liege bei dem Kläger ein Zustand nach Quetschverletzung DII bis DIV der rechten Hand mit Teilamputation des jeweiligen Endgliedes vor. Im Verlauf habe sich eine sog. Krallennagelbildung entwickelt. Aktuell lägen beim Kläger Einschränkungen beim Faustschluss sowie endgradige Bewegungseinschränkungen der Endgelenke vor. Die hieraus resultierende MdE belaufe sich auf unter 10 v.H. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen erreichten die Schäden an beiden Händen insgesamt keine MdE um 20 v.H. Demgegenüber sei das Gutachten von H1 nicht überzeugend. Nach Darstellung des zeitlichen Procederes habe H1 ohne weitere Begründung kurz ausgeführt, dass er die MdE an den Händen auf um 20 v.H. einschätze. Zudem habe er ausgeführt, dass ihm die einschlägigen Erfahrungen mit solchen Verletzungen fehlten. Soweit er ausführe, die Funktionsfähigkeit der Hände stelle einen erheblichen Faktor in der allgemeinen Arbeitsfähigkeit und in diesem Fall auch für die spezielle Arbeitsfähigkeit als Schlosser dar, überzeuge dies die Kammer nicht.

Zur Begründung des Urteils in dem Verfahren S 8 U 3470/16 hat das SG unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid ergänzend im Wesentlichen ausgeführt, auch die Folgen aus dem Arbeitsunfall vom 05.12.2007 vermochten keine MdE um mindestens 10 v.H. zu begründen. Dies ergebe sich ebenfalls aus dem Gutachten des S2. Bei dem Kläger liege ein Zustand nach Amputation Endgelenk DII linke Hand vor, eine residuierende posttraumatische Neurombildung, glaubhafte subjektive Beschwerden und eine funktionelle Einschränkung bei Faustschluss. Der Gutachter schätze für die Kammer nachvollziehbar die MdE auf unter 10 v.H. ein. Insgesamt schätze er sie auf unter 20 v.H. ein und habe sich der Einschätzung des L1 angeschlossen. Das Gericht habe keinen Anlass, diesen beiden übereinstimmenden Ausführungen nicht zu folgen. Die Einschätzung von H1 sei demgegenüber nicht nachvollziehbar und nicht überzeugend.

Gegen beide, ihm am 11.04.2018 zugestellte Urteile hat der Kläger am 07.05.2018 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Mit Beschluss vom 28.05.2019 hat der Senat die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen L 9 U 1630/18 verbunden.

Zur Berufungsbegründung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, das Gutachten von H1 sei überzeugender. Er leide unter ständigen Schmerzen in den Fingern und den Handgelenken. Der Feingriff, der Grobgriff und der Faustschluss seien beeinträchtigt. Eine Operation sei nicht möglich. Er habe Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Auch bestünden psychische Einschränkungen als Folge der Unfälle, insbesondere in Gestalt von Albträumen und Schamgefühlen wegen des Aussehens seiner Hände. Die an seinen Händen bestehenden Unfallfolgen könnten nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Sein Antrag vom 18.11.2015 sei als Überprüfungsantrag zu verstehen.

Der Kläger beantragt wörtlich,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. März 2018 und den Bescheid vom 23. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 25. August 1989 ab dem 5. Dezember 2007 eine Stützrente zu gewähren sowie

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14. März 2018 und den Bescheid vom 23. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 5. Dezember 2007 ab dem 3. Mai 2008 eine Stützrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufungen zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Nach ihrer Auffassung sei jeder Versicherungsfall getrennt voneinander zu bewerten. Im Übrigen hätten sich im Rahmen der Begutachtung durch S2 die Fingerkuppen rechts reizlos verheilt gezeigt. Im Seitenvergleich habe sich eine normale Handinnenbeschwielung gezeigt und auch im Röntgenbefund hätten sich keine Besonderheiten, wie eine Kalksalzminderung, gezeigt, die für eine Schonung gesprochen hätten. Auch an der linken Hand seien die Narben reizlos verheilt. Im Übrigen bedinge selbst eine Amputation im Zeigefingermittelglied eine MdE von 0 v.H.

Die vormals zuständige Berichterstatterin hat am 23.05.2019 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt; wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll Bezug genommen.

Während des Berufungsverfahrens hat der Kläger am 05.03.2021 am rechten Zeigefinger eine Stumpfrevision mit Exartikulation im Endgelenk und Entfernung des Krallennagels und am 23.07.2021 am rechten Ringfinger eine Exartikulations-OP im distalen Interphalangealgelenk durchführen lassen (Operationsbericht des W1, Universitätsklinikum F1, Klinik für Plastische und Handchirurgie).

Der Senat hat von der Beklagten die Verlaufs- und Zwischenberichte über die seit Abschluss der Widerspruchsverfahren im August 2016 erfolgten Behandlungen der Hände beigezogen. Diese hat daraufhin unter anderem folgende Unterlagen vorgelegt: Durchgangsarztbericht des L2 vom 29.08.2017 (Diagnose: Nagelluxation Zeigefinger rechts bei dystrophem Nagelwachstum (Krallennagel) nach Endgliedamputation D2-D4), Zwischenbericht des B1 vom 05.09.2017, Verlaufsbericht des S1 vom 01.12.2020 (Diagnose: instabile Fingerstümpfe Zeige- bis Ringfinger rechts, Krallennägel Zeige- und Ringfinger rechts, instabiler und bewegungseingeschränkter Fingerstumpf Zeigefinger links mit Neurom), Verlaufsbericht des E1, Universitätsklinikum F1, Plastische und Handchirurgie vom 29.06.2021 (Diagnose: Z.n. Krallennagel Zeigefinger bei Z.n. Amputation/Stumpfbildung 2007, Z.n. Neuromexzision am Zeigefinger links 2008), Verlaufsbericht der A1/B1 vom 26.07.2021 (Diagnosen: Z.n. Teilamputation D2 rechts, Z.n. Nagelwurzelexstirpation D4 rechts nach Teilamputation und Krallennagelbildung), Verlaufsbericht des E1 vom 17.02.2022 über die Vorstellung des Klägers am 28.10.2021 (Diagnosen: Z.n. Exartikulation Ringfinger rechts im distalen Interphalangealgelenk mit Hautplastik, Z.n. Krallennagel Zeigefinger rechts bei Z.n. Amputation/Stumpfbildung 2007, Z.n. Neuromexzision am Zeigefinger links 2008), Verlaufsbericht der A1/B1 vom 06.12.2021 (Diagnosen: Z.n. Teilamputation D2 rechts, Z.n. Nagelwurzelextirpation D4 rechts nach Teilamputation und Krallennagelbildung), Verlaufsbericht der A1/B1 vom 31.01.2022 (Diagnose: Z.n. Teilamputation DIV und DII rechts), Befundbericht des S4 vom 01.04.2022 (Diagnosen: elektrisierende Parästhesien bei V.a. Rezdiv-Neurombildung rechts), Befundbericht des A1 vom 22.04.2022, Verlaufsbericht der A1/B1 vom 15.07.2022 (Diagnosen: Neurombeschwerden und Stumpfbeschwerden sowie unvollständiger Faustschluss nach Teilamputation DIV und DII rechts), Befundbericht der A1/B1 vom 15.08.2022 (Diagnose: Teilamputation DII bis DIV rechts).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthaften, nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobenen sowie auch im Übrigen zulässigen Berufungen des Klägers sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben den Urteilen des SG vom 14.03.2018 die Bescheide der Beklagten vom 23.02.2016 in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016. Mit diesen Bescheiden hat die Beklagte im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zum einen die Rücknahme des Bescheides vom 20.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010, mit welchem sie die Gewährung einer Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 05.12.2007 abgelehnt hatte, abgelehnt. Zum anderen hatte sie mit diesen Bescheiden die Rücknahme des Bescheides vom 28.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2010 abgelehnt, mit welchem sie die Gewährung einer Verletztenrente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums wegen des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 abgelehnt hatte. Einer solchen Auslegung steht nicht entgegen, dass die Beklagte in den streitgegenständlichen Bescheiden nicht ausdrücklich § 44 Abs. 1 SGB X als Rechtsgrundlage ihres Vorgehens benannt hat. Denn für die Auslegung von Verwaltungsakten kommt es über den bloßen Wortlaut hinaus auf den objektiven Sinngehalt des Verwaltungsakts an, also darauf, wie der Empfänger dessen Inhalt (Verfügungssatz und Begründung) bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen konnte und musste. Die Auslegung geht aus vom Empfängerhorizont eines verständigen Beteiligten, der alle Begleitumstände und Zusammenhänge (Vorgeschichte, Anträge, Begleitschreiben, Situation des Adressaten, genannte Rechtsnormen, auch Interesse der Behörde) berücksichtigt, welche die Behörde erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (st.Rspr. des BSG, vgl. bereits Urteil vom 29.06.1984 - 12 RK 38/82 -, juris; Urteil vom 03.04.2014 - B 2 U 25/12 R -, juris Rn. 15 m.w.N.; aus jüngerer Zeit Urteile vom 23.02.2017 - B 4 AS 57/15 R -, juris Rn. 12 und vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R -, juris Rn. 22). Nach diesen Maßstäben sind die streitgegenständlichen Bescheide vom 23.02.2016 in der Gestalt des jeweiligen Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016 aus Sicht eines objektiven Empfängers als Ablehnung einer Überprüfung nach § 44 Abs. 1 SGB X zu verstehen. Denn in der Sache hat die Beklagte sowohl in Bezug auf den Arbeitsunfall vom 25.08.1989 als auch in Bezug auf den Arbeitsunfall vom 05.12.2007 nicht lediglich eine nach Erlass der die Verletztenrente – bestandskräftig – ablehnenden Bescheide vom 20.10.2009 bzw. vom 28.10.2009 eingetretene Verschlechterung der Unfallfolgen geprüft und abgelehnt. Vielmehr hat sie das Vorliegen von rentenrechtlich relevanten Unfallfolgen seit Eintritt des jeweiligen Versicherungsfalls geprüft und abgelehnt. Hierzu hat sie ausweislich der Begründung eine erneute Überprüfung der ihr vorliegenden medizinischen Unterlagen vorgenommen, was rechtstechnisch im Wege des § 44 Abs. 1 SGB X zu erfolgen hat. Dies lässt sich auch mit dem in die Auslegung einzubeziehenden Antrag des Klägers, der sein Begehren unter Berücksichtigung des für Auslegung von Anträgen maßgeblichen Meistbegünstigungsprinzips nicht auf eine Rentengewährung wegen Verschlechterung der Unfallfolgen beschränkt hat, sondern zur Begründung auf die bereits 2009 bestehenden „elektrisierenden Stumpfschmerzen“ verwiesen hat. Dass der Kläger selbst die angefochtenen Bescheide ebenfalls als (ablehnende) Überprüfungsbescheide verstanden hat, ergibt sich zudem aus dem Umstand, dass er ausweislich seines Klage- und Berufungsantrags eine Rentengewährung ab Eintritt des Versicherungsfalls vom 05.12.2007 bzw. ab Ende der Verletztengeldzahlung wegen dieses Versicherungsfalls begehrt und nicht erst ab einem Verschlechterungszeitpunkt. Zudem hat er im Rahmen seiner Berufungsbegründung ausdrücklich ausgeführt, der Antrag sei als Überprüfungsantrag zu verstehen.

Für das so verstandene Berufungsbegehren ist statthafte Klageart die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage.
Dabei zielt die Anfechtungsklage auf die Aufhebung der Überprüfungsbescheide, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung der Ausgangsbescheide und die Leistungsklage auf die Verurteilung zur Gewährung der Verletztenrente (vgl. BSG Urteil vom 30.01.2020 - B 2 U 2/18 R - juris, Rn. 9). Den vor diesem Hintergrund nicht statthaften, wörtlich gestellten Anfechtungs- und Leistungsantrag im Sinne von § 54 Abs. 4 SGG legt der Senat, der an die wörtliche Fassung der Anträge nach § 123 SGG nicht gebunden ist, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Antrag des Klägers vom 18.11.2015 nach seinem ausdrücklichen Vortrag als Überprüfungsantrag verstanden werden sollte, dahingehend aus, dass der Kläger neben der Aufhebung der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidungen die Aufhebung der Bescheide vom 23.02.2016 jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016 und die Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 sowie des Bescheides vom 28.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 sowie die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Verletztenrenten als Stützrenten wegen der Arbeitsunfälle vom 25.08.1989 und vom 05.12.2007 begehrt. Der Höhe nach legt der Senat das Begehren dahingehend aus, dass es auf die Gewährung einer Verletztenrente nach jeweils einer MdE um mindestens 10 v.H. gerichtet ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass der Kläger in der Begründung zu erkennen gibt, dass seine Beschwerden eine MdE um „insgesamt“ 20 begründen. Zum anderen spricht auch die von ihm verwendete Begrifflichkeit der „Stützrente“ für eine MdE um 10 v.H.

Das so verstandene Klagebegehren ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 23.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016, mit dem die Beklagte im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 abgelehnt hat, und der weitere Bescheid vom 23.02.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2016, mit dem die Beklagte ebenfalls im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund des Arbeitsunfalls vom 05.12.2007 abgelehnt hat, sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente aufgrund der Arbeitsunfälle vom 25.08.1989 und vom 05.12.2007 jeweils nach einer MdE um 10 v.H.

Anspruchsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung des Bescheides vom 20.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 sowie des Bescheides vom 28.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Hiernach ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Beklagte hat zu Unrecht durch den Bescheid vom 20.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 und den Bescheid vom 28.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2010 die Gewährung von Verletztenrente aufgrund der Arbeitsunfälle vom 25.08.1989 und vom 05.12.2007 abgelehnt.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung der begehrten Verletztenrenten ist § 56 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB VII. Hiernach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, Anspruch auf eine Rente (Satz 1). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Satz 2). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (Satz 3).

Diese Voraussetzungen liegen sowohl hinsichtlich des Unfallereignisses vom 25.08.1989 als auch vom 05.12.2007 vor. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge des Unfallereignisses vom 25.08.1989 um 10 v.H. gemindert.

Der Unfall vom 25.08.1989 des zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagten versicherten Klägers, den dieser während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit und damit infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erlitten hat, stellt einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII dar.

Infolge des Unfalls hat der Kläger einen Gesundheitserstschaden in Gestalt der Quetschverletzung mit Amputation des Endgliedes der Finger DII, DIII und DIV rechts erlitten. Dies entnimmt der Senat dem Nachschaubericht des S1 vom 27.01.2009.

Die durch diesen Gesundheitserstschaden verursachten Unfallfolgen begründen eine MdE um 10 v.H.

Eine Gesundheitsstörung ist Unfallfolge eines Versicherungsfalls im Sinne des § 8 SGB VII (im engeren Sinne), wenn sie gerade durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls wesentlich verursacht worden ist. Der Anspruch setzt grundsätzlich das „objektive“, d.h. aus der nachträglichen Sicht eines optimalen Beobachters, Vorliegen einer Gesundheitsstörung voraus, die spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls verursacht worden ist (BSG, Urteil vom 06.09.2018 - B 2 U 16/17 R -, juris Rn. 14). Ob ein Gesundheitsschaden dem Gesundheitserstschaden des Arbeitsunfalls als Unfallfolge im engeren Sinne zuzurechnen ist (sog. haftungsausfüllende Kausalität, beurteilt sich nach der Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 2 U 18/07 R -, juris Rn. 12; BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 12 ff.). Danach erfolgt die Zurechnung in zwei Schritten: Erstens ist die Verursachung der weiteren Schädigung durch den Gesundheitserstschaden im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne festzustellen. Nach ihr ist eine Bedingung dann notwendige Ursache einer Wirkung, wenn sie aus dem konkret vorliegenden Geschehensablauf nach dem jeweiligen Stand der einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse (Erfahrungssätze) nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Ist der Gesundheitserstschaden in diesem Sinne eine notwendige Bedingung des weiteren Gesundheitsschadens, wird dieser ihm aber nur dann zugerechnet, wenn er ihn rechtlich wesentlich (ausreichend: mit-) verursacht hat (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, juris Rn. 20 m.w.N.).

In Anlegung dieser Maßstäbe liegen beim Kläger folgende durch den Gesundheitserstschaden wesentlich verursachte Unfallfolgen vor: Minderung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand durch Amputationsverletzung DII, DIII, DIV rechts in Höhe des proximalen Endgliedes, durch inkompletten Faustschluss und durch Kraftminderung sowie endgradige Bewegungseinschränkung der Endgelenke und Parästhesien im Bereich der Amputationsstümpfe. Dies entnimmt der Senat dem insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten des S2, dem im Wege des Urkundsbeweises verwerteten Gutachten des L1 und den ebenfalls im Urkundsbeweis verwerteten Verlaufsberichten der A1/B1 vom 31.01.2022, 15.07.2022, 15.08.2022, des E1 vom 29.06.2021 und 17.02.2022 und des S1 vom 01.12.2020 sowie dem Befundbericht des S4 vom 01.04.2022.

Gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Bemessung der MdE hängt damit zum einen von den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und zum anderen von dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten ab. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - juris, mwN; BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - juris, Rn. 14). Bei der Bestimmung der MdE kann auf die MdE-Tabellen zurückgegriffen werden (zur Zulässigkeit siehe BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - juris, Rn. 17). MdE-Tabellen bezeichnen typisierend das Ausmaß der durch eine körperliche, geistige oder seelische Funktionsbeeinträchtigung hervorgerufenen Leistungseinschränkungen in Bezug auf das gesamte Erwerbsleben und ordnen körperliche oder geistige Funktionseinschränkungen einem Tabellenwert zu. Die in den Tabellen und Empfehlungen enthaltenen Richtwerte geben damit auch allgemeine Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit aufgrund des Umfangs der den Verletzten versperrten Arbeitsmöglichkeiten wieder und gewährleisten, dass die Verletzten bei der medizinischen Begutachtung nach einheitlichen Kriterien beurteilt werden (vgl. BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - juris, Rn. 19 m.w.N.).

Für den Verlust der Endglieder von Zeige-, Mittel- und Ringfinger derselben Hand sehen die Tabellenwerte nach Ablauf von 12 Monaten eine MdE um 10 v.H. vor (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 609, Abb.3.30). Gleiches gilt für den Verlust der Endglieder von Zeige- und Ringfinger derselben Hand. Auch hier sehen die Tabellenwerte eine MdE um 10 v.H. vor (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 609, Abb.2.24). Den Werten liegt die Annahme zugrunde, dass die Amputationsstümpfe der betroffenen Finger gut einsetzbar sind, Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome nicht vorliegen und vorhandene Gelenke der teilamputierten Finger sowie nicht betroffene Nachbarfinger frei in der Bewegung sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 604).

In Anwendung dieser Maßstäbe ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 um 10 v.H. gemindert.

Zwar hat der Kläger zunächst nicht die kompletten Endglieder von Zeige-, Mittel- und Ringfinger verloren. Die kompletten Endglieder DII und DIV wurden erst im Rahmen der im Jahr 2021 durchgeführten Operationen entfernt. Dennoch steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die MdE bereits durch die Teilamputation der Endglieder DII bis DIV infolge des Arbeitsunfalls am 25.08.1989 in seiner Erwerbsfähigkeit um 10 v.H. gemindert gewesen ist. Denn bereits der Endgliederteilverlust ist mit den für den Endgliedverlust typischen funktionellen Einschränkungen, insbesondere dem unvollständigen Faustschluss, verbunden gewesen. So hat bereits L1  in seinem Gutachten vom 22.09.2009 einen mit einem Fingerkuppen-Hohlhand-Abstand DII-DIII-DIV von 1-0,5-0,5 inkompletten Faustschluss festgestellt. Ebenso haben S2 und H1 in ihren Sachverständigengutachten vom 21.08.2017 und vom 21.12.2017 einen inkompletten Faustschluss bestätigt. Darüber hinaus haben beim Kläger bereits vor der vollständigen Endgliedamputation DII und DIV im Jahr 2021 an den Amputationsstümpfen Beeinträchtigungen bestanden, die bei der MdE-Bemessung Berücksichtigung finden müssen. So hat der Kläger schon im Jahr 2009 unter Sensibilitätsstörungen gelitten, die L1 im Rahmen der neurologischen Untersuchung durch die Zwei-Punkte-Diskrimination, bei der die Werte für die Finger DII bis DIV mit über 10mm im pathologischen Bereich gelegen haben, verobjektivieren konnte. Auch S2 hat Sensibilitätseinschränkungen in Gestalt von Berührungsempfindlichkeit der Amputationsstümpfe DII bis DIV bzw. von Druckschmerzhaftigkeit des Amputationsstumpfes DIII festgestellt. Zudem ist die Einsetzbarkeit der Finger im Zeitraum bis zur vollständigen Endgliedamputation DII und DIV im Jahr 2015 insbesondere durch die Krallennagelbildung bei DII und DIV, aber auch durch die von L1 im Rahmen der vigorimetrischen Prüfung festgestellten Kraftminderung, der röntgenologisch auch die von L1 festgestellte leichte Kalksalzminderung entsprochen hat, gemindert gewesen. Insgesamt hat damit bereits der Teilverlust der Endglieder DII bis DIV die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 10 v.H. gemindert.

Zur Überzeugung des Senats besteht die MdE in dieser Höhe auch im Entscheidungszeitpunkt weiter fort. Insbesondere hat sich nach der Endgliedexartikulation DII am 05.03.2021 und DIV am 23.07.2021 keine richtungsweisende Veränderung der für die MdE-Bemessung maßgeblichen Funktionseinschränkungen eingestellt. Gleichwohl durch die Operationen die Krallennägel an DII und DIV entfernt wurden, was grundsätzlich zu einer Verbesserung der Einsatzfähigkeit der Amputationsstümpfe führt, rechtfertigt dies keine Herabsetzung der MdE auf unter 10 v.H. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die MdE-Tabellenwerte, wie oben ausgeführt, für den Verlust der Endglieder DII und DIV eine MdE um 10 v.H. vorsehen. Durch die Endgliedexartikulationen DII und DIV ist es auch nicht zu einer richtungsweisenden Verschlechterung der für die MdE-Bemessung maßgeblichen Funktionen gekommen, sodass zur Überzeugung des Senats eine höhere MdE als um 10 v.H. nicht in Betracht kommt. Soweit nach den Angaben der behandelnden Ärzte beim Kläger im Nachgang der operativen Endgliedentfernung DII und DIV „elektrisierende Schmerzen“ (Verlaufsbericht der A1/B1 vom 04.01.2022; Befundbericht des S4 vom 01.04.2022) bzw. „Mißempfindungen“ (Verlaufsbericht der A1/B1 vom 15.08.2022) bestanden haben, stellt dies keine relevante Verschlechterung im Vergleich zu der präoperativen Situation dar. Denn der Kläger hat bereits im Nachschaubericht des S1 vom 27.02.2009 hinsichtlich der Finger DII bis DIV einen deutlichen Druckschmerz und stromschlagartige Schmerzen beklagt. Die postoperativen Bewegungseinschränkungen, insbesondere in Gestalt des ausweislich der Befundmitteilung des A1 vom 22.04.2022 zwischenzeitlich nicht messbaren Fingerkuppen-Hohlhand-Abstandes DII-DIII-DIV, haben sich im weiteren Heilungsverlauf gebessert, was der Senat dem Verlaufsbericht der A1/B1 vom 15.08.2022 und dem vom Kläger vorgelegten Bericht der ihn behandelnden G1 vom 08.08.2022 entnimmt. Letztere hat berichtet, dass eine verbesserte Beweglichkeit „sichtbar“ ist. Eine MdE-relevante dauerhafte Verschlechterung der Unfallfolgen der rechten Hand ist damit nicht eingetreten.

Soweit S2 die Höhe der MdE abweichend mit unter 10 v.H. angegeben hat, ist der Senat hieran nicht gebunden. Denn die Bemessung des Grades der MdE ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG eine tatsächliche Feststellung, die das Tatsachengericht unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen richterlichen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 20.12.2016 - B 2 U 11/15 R - juris, Rn. 15 m.w.N.).

Auch infolge des Unfallereignisses vom 05.12.2007 ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers um 10 v.H. gemindert.

Bei dem Unfall vom 05.12.2007 des zu diesem Zeitpunkt bei der Beklagte versicherten Klägers, den dieser während der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit und damit infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erlitten hat, handelt es sich um einen Arbeitsunfall im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB VII.

Infolge des Unfalls hat der Kläger einen Gesundheitserstschaden in Gestalt der Endgliedamputation DII der linken Hand erlitten. Dies entnimmt der Senat dem Durchgangsarztbericht des V1 vom 05.12.2007. Der Gesundheitserstschaden hat folgende Unfallfolgen wesentlich verursacht: Minderung der Gebrauchsfähigkeit des linken Zeigefingers und damit der linken Hand durch Amputationsverletzung DII im Bereich des Mittelgliedköpfchens und Kraftminderung, residuierende posttraumatische Neurombildung und funktionelle Einschränkungen bei Faustschluss.

Diese Unfallfolgen begründen eine MdE um 10 v.H.

Zwar sehen die Tabellenwerte für den Verlust des Endgliedes eines Zeigefingers eine MdE um 0 v.H. vor (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 605, Abb.1.3). Allerdings gilt dies nur, wenn die Einsetzbarkeit der Amputationsstümpfe nicht beeinträchtigt ist, keine Durchblutungs- und Sensibilitätsstörungen sowie Neurome bestehen und die vorhandenen Gelenke der teilamputierten Finger sowie nicht betroffenen Nachbarfinger in der Bewegung uneingeschränkt sind (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 604).

Vorliegend ist die Einsetzbarkeit des Amputationsstumpfes des linken Zeigefingers erheblich eingeschränkt, insbesondere durch die rezidivierende Neurombildung, die mit einer ausgeprägten Berührungsempfindlichkeit einhergeht. Dies entnimmt der Senat den insoweit überzeugenden Ausführungen des S2 sowie des L1. Die eingeschränkte Einsetzbarkeit zeigt sich auch in der von S2 und L1 im Wesentlichen übereinstimmend beschriebenen eingeschränkten Beweglichkeit des Mittelgelenks des linken Zeigefingers (0-0-20° < S2 > bzw. 0-0-30° < L1>). Dem entspricht es, dass S2 im Rahmen der Begutachtung auch bei unüberwachten Bewegungen beim Kläger eine Bewegungseinschränkung und Gebrauchsschonung des linken Zeigefingers beobachtet hat. Bei der MdE-Bemessung zu berücksichtigen ist zudem der Umstand, dass dem Zeigefinger aufgrund von dessen Greiffunktion eine besondere Bedeutung zukommt. Voraussetzung der Greiffunktion ist, dass u.a. eine voll erhaltene Sensibilität besteht (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, a.a.O., S. 574). Diese besteht beim Kläger aber wegen der rezidivierenden Neurome nicht.

Auch muss im vorliegenden Fall die bereits vorbestehende Einschränkung der Funktionsfähigkeit der rechten Hand durch die Endglied(teil)amputation DII bis DIV Berücksichtigung finden. Gleichwohl, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, bei mehreren Versicherungsfällen die MdE für jeden Versicherungsfall gesondert festzustellen ist (BSG, Urteil vom 14.11.1984 - 9b RU 58/83 -, juris Rn. 14 ff.; BSG, Urteil vom 19.08.2003 - B 2 U 50/02 R -, juris Rn. 21 ff.), sind funktionelle Wechselwirkungen zwischen den Unfallfolgen und einem beim Versicherten bestehenden Vorschaden zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund kommt in einem Fall, in dem bei paarigen, in Wechselwirkung miteinander stehenden Gliedmaßen aufgrund eines Vorschadens durch den erneuten Unfall nunmehr beide Seiten betroffen sind, und damit die Unfallfolgen größere Funktionseinschränkungen mit sich bringen als bei einem nicht vorgeschädigten Versicherten, eine Erhöhung der Tabellenwerte in Betracht (Ricke in BeckOGK, SGB VII, § 56 Rn. 20; Jochen Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 56 Rn. 27.). Vorliegend kann der Kläger aufgrund der vorbestehenden Funktionseinschränkung der rechten Hand die mit der Amputationsverletzung des linken Zeigefingers einhergehenden Funktionseinschränkungen nicht wie ein nicht vorgeschädigter Versicherter mit einer ungeschädigten anderen Hand kompensieren. Dies führt im Zusammenspiel mit der eingeschränkten Einsatzfähigkeit des Amputationsstumpfs dazu, dass die durch die Endgliedamputation verursachten Funktionseinschränkungen vorliegend mit einer MdE um 10 v.H. seit Eintritt des Versicherungsfalls zu bewerten sind.

Weitere Unfallfolgen bestehen weder in Bezug auf den Unfall vom 25.08.1989, noch in Bezug auf den Unfall vom 05.12.2007. Insbesondere vermag der Senat nicht festzustellen, dass der Kläger infolge dieser Unfälle unter MdE-relevanten psychischen Gesundheitsstörungen leidet. Soweit er vorgetragen hat, infolge der Unfälle auch psychisch beeinträchtigt zu sein, werden unfallbedingte relevante psychische Gesundheitsstörungen weder durch die dem Senat vorliegenden Gutachten, noch durch die vielzähligen ärztlichen Berichte belegt. Auch hat der Kläger nicht vorgetragen, sich wegen psychischer Unfallfolgen in psychiatrischer oder psychologischer Behandlung zu befinden. Bei dieser Tatsachengrundlage hat sich der Senat nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst gesehen.

Nachdem sowohl die Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 25.08.1989 als auch die Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 05.12.2007 jeweils eine MdE um 10 v.H. begründen, die Unfallfolgen seit dem Arbeitsunfall vom 05.12.2007 bis zum Entscheidungszeitpunkt zeitlich parallel vorliegen und sie damit zusammen – ohne dass eine Gesamt-MdE zu bilden wäre (Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand 5/2018, § 56 Rn. 27) – zu einer MdE um 20 v.H. führen, liegen die Voraussetzung für eine Stützrente nach § 56 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VII vor.

Der Beginn der gestützten Rente aus dem früheren Versicherungsfall, vorliegend also die Rente aus dem Arbeitsunfall vom 25.08.1989 beginnt mit dem Tag des späteren Stützfalles, falls er eine MdE um wenigstens 10 v.H. über die 26. Woche hinaus hinterlässt (vgl. BSG, Urteil vom 29.01.1971 - 2 RU 154/68 -, juris Rn. 19; Ricke in BeckOGK, SGB VII, Stand 1.3.2017, § 56 Rn. 11). Da der spätere Stützfall, also der Versicherungsfall vom 05.12.2007, eine MdE um 10 v.H. über die 26. Woche hinaus hinterlassen hat, beginnt die Verletztenrente aufgrund des Versicherungsfalls vom 25.08.1989 damit am 05.07.2007. Der Beginn der späteren Verletztenrente aufgrund des Versicherungsfalls vom 05.12.2007 richtet sich nach § 72 SGB VII (Kranig in Hauck/Noftz, a.a.O., Rn. 29). Nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet. Vorliegend hat der Anspruch des Klägers auf Verletztengeld aufgrund des Versicherungsfalls vom 05.12.2007 ausweislich der Mitteilung der Beklagten vom 06.05.2008 am 04.05.2008 geendet. Damit fällt der Beginn des Verletztenrentenanspruchs auf den 05.05.2008.

Obwohl damit insgesamt die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Ablehnungsbescheide und nachträgliche Erbringung der Verletztenrenten vorliegen, ist der Nachzahlungsanspruch des Klägers aufgrund der Vorschrift des § 44 Abs. 4 SGB X in zeitlicher Hinsicht begrenzt. Hiernach werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht, wenn ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist (Satz 1).
Nach Satz 2 wird dabei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Im Fall der Rücknahme auf Antrag bestimmt Satz 3, dass bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag tritt. Da es sich vorliegend um eine Rücknahme auf den Antrag des Klägers vom 18.11.2015 handelt, fällt der Beginn des 4-Jahreszeitraums auf den 31.12.2014 und das Ende auf den 01.01.2011. Der Kläger kann damit aus beiden Verletztenrenten Zahlungen seit dem 01.01.2011 verlangen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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