L 8 U 3422/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 66/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3422/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Zu den Voraussetzungen der Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge nach der ICD-10, der ICD-11 und dem DSM-5.
2. Die ICD-11 ist als neuester Stand der Wissenschaft bereits anwendbar.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.09.2020 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2017 verpflichtet, als Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 18.05.2007 eine posttraumatische Belastungsstörung anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente für den Arbeitsunfall vom 18.05.2007 im gesetzlichen Umfang nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren und im Berufungsverfahren zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Unfalls vom 18.05.2007.

Bereits am 23.07.1999 hatte der 1967 geborene Kläger während seiner Tätigkeit als Maurer einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er als Beifahrer mit einem Arbeitsunimog verunglückte und sich Wirbelsäulenverletzungen zuzog. Für diesen Unfall war die BG Bauwirtschaft zuständig. Nach einer Umschulung 2003 war der Kläger als Lagerist tätig und bei der Beklagten unfallversichert.

Am 18.05.2007 sollte der Kläger als Staplerfahrer mit einem 8-Tonnen-Stapler ein Stromaggregat von vier Metern Länge von einem LKW abladen. Das Aggregat kam ins Rutschen und traf den dem Kläger unbekannten Fahrer des LKW, der sich vom Kläger unbemerkt zwischen Aggregat und LKW begeben hatte. Der Kläger ging nach vorne und sah den Verletzten aus dem Mund bluten. Der Kläger wurde von Kollegen anschließend weggeführt und zum Arzt gebracht. Der LKW-Fahrer verstarb kurz darauf. Der H-Arzt
K1, der den Kläger unmittelbar nach dem Unfall untersuchte, sah beim Kläger einen akuten Erregungszustand mit Zittern am ganzen Körper und diagnostizierte eine akute Belastungsreaktion bei tödlichem Arbeitsunfall. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und wurde danach auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt. Nach dem Unfall war der Kläger bei D1 und E1 in Behandlung und es erfolgten fünf probatorische psychotherapeutische Sitzungen bei K2. Am 12.07.2007 berichteten D1 und E1, sie hätten den Kläger erstmalig am 19.05.2007 behandelt. Er habe ein psychopathologisches Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) präsentiert, es seien somatoforme Symptome wie Schwindel und Kopfschmerzen aufgetreten. Am 04.06.2007 habe er über Schlafstörungen und Angstträume berichtet. Eine Behandlung sei mit ursprünglich 20, jetzt 30 mg Fluoxetin erfolgt. In einem Befundbericht vom 05.10.2007 stellte K2 die Diagnose einer PTBS sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Der Kläger habe von Schlafstörungen, Intrusionen, depressiver Reaktion mit Affekteinengung, Vermeidungsreaktion, Unruhe, Angstzuständen und Konzentrationsstörungen berichtet. Er habe seit dem Unfall Probleme an der Arbeitsstelle mit seinem Chef und sei häufig arbeitsunfähig krank. Es sei eine Traumatherapie mit 20 Sitzungen geplant.

In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.11.2007 führte
S1 aus, die Diagnose einer PTBS sei nicht nachvollziehbar. Es fehle in den vorliegenden Berichten an einem entsprechenden psychischen Befund. An gesicherten Unfallfolgen bestehe eine folgenlos ausgeheilte akute Belastungsreaktion. Eine Psychotherapie sei aufgrund der Unfallfolgen nicht erforderlich. Daraufhin lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine weitere Psychotherapie ab. Weitere Bescheide, etwa über die Anerkennung von Unfallfolgen oder eine MdE-Rente, wurden von der Beklagten in der Folgezeit nicht erlassen.

Ab Herbst 2007 befand sich der Kläger ein Jahr in Elternzeit. Danach arbeitete er wieder in seiner alten Firma, jedoch an einem anderen Arbeitsplatz als vor dem Unfall, bis ihm im Jahr 2020 gekündigt wurde.

Im Rahmen eines am 17.08.2007 gestellten Verschlimmerungsantrages bezüglich der Folgen des Unfalls vom 23.07.1999 wurde der Kläger im Auftrag der BG Bau von
S2 (Gutachten v. 27.05.2008) und von J1 (Gutachten v. 07.06.2008) begutachtet. J1 diagnostizierte neben myostatischen Belastungsschmerzen nach BWK 10-Fraktur, die auf den Unfall vom 23.07.1999 zurückzuführen seien, eine PTBS, für die der Unfall vom 18.05.2007 ursächlich sei. Im psychiatrischen Befund wurden Flash-backs mit traumhaften Erinnerungsbildern und einem zwanghaften Auftreten der Unfallbilder und des Gesichts des toten Arbeitskollegen beschrieben, wogegen sich der Kläger nicht wehren könne und dabei Angst und Panik empfinde.

Vom 15.06.2010 bis 20.07.2010 absolvierte der Kläger eine von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) getragene psychosomatische Rehabilitation in der Klinik
K3. Im Entlassbericht wurden als Diagnosen u.a. eine PTBS und eine mittelgrade depressive Episode genannt. Die Erwerbsfähigkeit sei bei einem Verbleib an der bisherigen Arbeitsstelle mittelfristig gefährdet. Durch die psychische Belastung der unverarbeiteten Traumatisierung bestünden diverse Einschränkungen. Der Kläger meide große Menschenmengen, da er meine, das Gesicht des Toten in der Menge zu sehen, was zu Erinnerungen an den Vorfall führe. Er träume nicht mehr von dem Vorfall. Zudem berichtete der Kläger nach einem Eigentümerwechsel von schlechter Stimmung und Schikanen am Arbeitsplatz, wo er unzufrieden sei.

Am 29.11.2010 erfolgte eine Untersuchung durch
S1 mit testpsychologischer Untersuchung durch T1. S1 sah keine Anhaltspunkte für inhaltliche oder formale Denkstörungen. Die Stimmungslage sei ausgeglichen. Der Kläger berichte mit angemessen emotionaler Beteiligung über den tödlichen Arbeitsunfall. Im Verlauf der Untersuchung habe sich der Kläger regelrecht humorvoll, gut schwingungsfähig, mit lebhaftem, aber nicht überschießendem Affektausdruck gezeigt. S1 sah keine Hinweise für Störungen von Wahrnehmung, Konzentration oder Merkfähigkeit. Die im Rehabericht mitgeteilten Diagnosen seien aus Beschwerdeschilderung und Befunderhebung nicht nachvollziehbar. Es sei unter Bezugnahme auf die Kriterien des DSM-IV (4. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) keine psychische Störung zu diagnostizieren, insbesondere keine PTBS. Der Kläger beklage vor allem ein unfreundliches Arbeitsklima und eine erhebliche Arbeitsbelastung. Bei der psychologischen Untersuchung durch T1 hätten sich im Wesentlichen regelrechte kognitive Leistungen gezeigt, jedoch auch eine Beschwerdeübertreibung. Eine Psychotherapie sei unfallbedingt nicht erforderlich.

Am 11.06.2012 stellte sich der Kläger zur prästationären Diagnostik in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums am
W1 vor. Dort wurde eine PTBS, eine mittelgradig depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie psychische Faktoren bei Cluster-Kopfschmerz diagnostiziert. Eine stationäre Aufnahme erfolgte nicht, da die Beklagte die Kostenübernahme ablehnte.

Vom 27.06.2012 bis 17.07.2012 und vom 08.10.2014 bis 29.100.2014 absolvierte der Kläger jeweils eine von der DRV getragene orthopädische Rehabilitationsmaßnahme.

Vom 26.01.2016 bis 08.03.2016 war der Kläger zu Lasten der Krankenkasse stationär in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Klinikums am
W1. Im Entlassbericht vom 21.03.2016 wurde die Diagnose einer PTBS gestellt. Die Verarbeitung des traumatischen Unfalls sei dem Kläger kaum möglich gewesen, da er sich in einem Gerichtsverfahren habe verantworten müssen und sich durch die damaligen Vorgesetzten in eine Täterrolle gedrängt gesehen habe. In der Folge des Unfalls sei es zu zunehmenden Problemen am Arbeitsplatz gekommen. Es hätten sich mit der Zeit intrusive Erinnerungen, Hypervigilanz und Gefühle, bedroht zu sein, entwickelt. Er habe ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten entwickelt, das Ansprechen des Unfalls vermieden und das erneute Fahren des Unfallfahrzeugs. Dadurch hätten sich Ängste, Intrusionen und Hypervigilanz vertieft. Zudem bestehe eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, anamnestisch mindestens seit dem Wiedereinstieg in die Arbeit und der damit entstehenden Konfliktsituation 2008.

Mit Schreiben vom 21.04.2016 beantragte der Kläger die Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit, da sich bei ihm die gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls von 2007 erheblich verschlechtert hätten. Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse, Befundberichte der behandelnden Ärzte und die Schwerbehindertenakte des Klägers beim Landratsamt
H1 bei. In einem darin enthaltenen Bericht vom 28.04.2015 an das Landratsamt H1 hatten E1 und D1 mitgeteilt, es bestehe unverändert ein komplexes Krankheitsbild mit depressiven, ängstlichen und Schmerzsymptomen. Eigentliche Symptome einer PTBS seien nicht mehr nachweisbar, es bestehe eine sekundäre Persönlichkeitsveränderung. K2 berichtete am 12.07.2016 von den Diagnosen PTBS, rezidivierende depressive Störung und chronisches Schmerzsyndrom. Die Symptomatik sei unter Psychotherapie noch unverändert, eine psychopharmakologische Mitbehandlung fände statt und die Fortführung der Psychotherapie sei geplant.

Am 13.06.2017 ließ die Beklagte den Kläger durch
L1 im Rahmen einer Heilverfahrenskontrolle untersuchen mit ergänzender testpsychologischer Untersuchung durch V1. L1 führte in seinem Bericht vom 14.07.2017 aus, insgesamt zeige sich eine ausgeglichene Stimmung bei regelrechter affektiver Schwingungsfähigkeit und auch im Übrigen fehlenden psychopathologischen Auffälligkeiten. Es werde nicht verkannt, dass der Kläger auch heute den zweifelsohne schweren miterlebten Unfall wiederkehrend erinnere und dadurch auch belastet sei. Allerdings fänden sich auf Beschwerde- wie auf Befundebene keine Zeichen einer krankhaften Unfallverarbeitung (mehr). Wiederkehrende depressive Verstimmungen seien bei ausgeprägtem Arbeitsplatzkonflikt menschlich nachzuvollziehen. Spezielle Heilmaßnahmen aufgrund des Unfalls vom 18.05.2007 seien entbehrlich. V1 gelangte bei ihrer Testung zu dem Ergebnis, dass sich bei unterdurchschnittlicher intellektueller Grundbefähigung unterdurchschnittliche kognitive Leistungen fänden.

Mit Bescheid vom 22.09.2017 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 18.05.2007 als Arbeitsunfall an. Als Folge des Arbeitsunfalls erkannte sie eine folgenlos ausgeheilte vorübergehende akute psychische Reaktion an. Keine Folgen des Arbeitsunfalls seien die wiederkehrenden Schmerzstörungen mit emotional bedingten Clusterkopfschmerzen sowie depressive Verstimmungen infolge arbeitsplatzbezogener Konflikte sowie die Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.07.1999. Ein Anspruch auf Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen über den 31.07.2007 hinaus wegen der vorübergehend bestehenden seelischen Störung bestehe nicht. Ein Anspruch auf Rente bestehe ebenfalls nicht. Die erstmals im Mai/Juni 2007 von
D1 / E1 und K2 diagnostizierte PTBS sei nicht gesichert. Die Diagnose habe nicht den allgemein anerkannten Erfahrungssätzen des medizinischen Wissensstandes in der gesetzlichen Unfallversicherung entsprochen, da sich die Diagnosestellung allein auf die Beschwerdeschilderung des Klägers gestützt habe, ohne dass von den Behandlern eigene Befunde erhoben bzw. psychometrische Testverfahren zur Beschwerdevalidierung durchgeführt worden seien. S1 habe anlässlich seiner Untersuchung am 29.11.2010 einen regelrechten psychischen Befund erhoben. Eine PTBS habe nicht diagnostiziert werden können. Auch L1 habe am 13.06.2017 einen unauffälligen psychiatrischen Befund erhoben. Die geklagten depressiven Verstimmungen seien auf einen Konflikt am Arbeitsplatz zurückzuführen.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, seine behandelnden Ärzte hätten aufgrund der von ihnen erhobenen Befunde zutreffend eine PTBS diagnostiziert und ihn deshalb jahrelang behandelt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen den vom Kläger vorgetragenen Beschwerden und dem Arbeitsunfall könne nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden. Ferner sei die Diagnose PTBS nicht gesichert.
L1 und S1 hätten einen unauffälligen psychiatrischen Befund erhoben.

Am 05.01.2018 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, mit der er beantragt hat, „die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v.H., Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen über den 31.07.2007 zu gewähren sowie das Vorliegen einer wiederkehrenden Schmerzstörung mit emotional bedingtem Clusterkopfschmerz sowie depressive Verstimmungen infolge arbeitsplatzbezogener Konflikte und das Vorliegen einer PTBS als weitere Unfallfolgen anzuerkennen“. Er hat eine Bescheinigung von
E1 vom 07.08.2018 vorgelegt. Darin hat E1 angegeben, es sei wegen einer unzureichenden und verzögerten Behandlung aufgrund von Streitigkeiten der Kostenträger zu einer Chronifizierung der Symptomatik gekommen. Es sei zu einer erheblichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit geminderter Stresstoleranz und Auftreten von kognitiven Defiziten gekommen. Seit 2012 leide der Kläger an Kopfschmerzen, wobei ein Zusammenhang mit der Jahre zuvor eingetretenen PTBS bzw. der dann chronifizierten depressiven Symptomatik anzunehmen sei.

Das SG hat von Amts wegen ein Gutachten durch
S3 vom 15.07.2019 aufgrund zweier Untersuchungen am 01.04.2019 und 25.04.2019 eingeholt. S3 hat eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig teilremittiert, und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Eine PTBS könne jedoch nicht mit erforderlicher Sicherheit diagnostiziert werden. Für eine Diagnose müssten nach ICD-10 (10. Version der internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) die ersten vier Kriterien A bis D zwingend vorliegen. Das A- oder Traumakriterium sei erfüllt. Das B- oder Wiedererlebenskriterium sei möglicherweise, nicht jedoch mit erforderlicher Sicherheit erfüllt. Der Kläger berichte, dass sich ihm mehrfach pro Tag das Bild vom Unfall aufdränge. Hinweise auf Flashbacks hätten sich jedoch nicht ergeben, ebenso werde nicht konsistent über Albträume berichtet. Das C- oder Vermeidungskriterium sei ebenfalls nicht erfüllt. Es sei nicht krankhaft, wenn der Kläger beim Passieren des Unfallortes an den Unfall denke. Das D- oder Hypersensitivitäts-/Amnesiekriterium sei ebenfalls nicht erfüllt. Es liege keine Erinnerungsstörung vor. Über Schlafstörungen habe der Kläger bereits seit 1999 und somit lange vor dem schädigenden Ereignis berichtet. Reizbarkeit und Konzentrationsschwäche seien nicht festzustellen. Auch zu früheren Zeitpunkten als die jetzige Untersuchung seien die Kriterien einer PTBS nicht erfüllt gewesen. Zu diagnostizieren sei jedoch eine akute Belastungsreaktion für die Stunden bis wenige Tage nach dem Ereignis. Die sich später manifestierende depressive Symptomatik sei nicht mehr im Zusammenhang mit der akuten Belastungsreaktion zu sehen. Nur für die akute Belastungsreaktion bestehe ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang zum Unfall. Diese begründe eine Arbeitsunfähigkeit von maximal einigen Tagen. Eine relevante MdE sei nicht festzustellen.

Der Kläger hat den Entlassbericht vom 03.11.2019 über eine stationäre Rehabilitation durch die DRV in der
U1-Klinik G1 vom 11.09.2019 bis 23.10.2019 vorgelegt. Darin sind die Diagnosen mittelgradige depressive Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, sonstige multisegmentale Bandscheibenschäden und Impingement-Syndrom der Schulter gestellt worden. Im Befund ist ausgeführt, dass der Kläger zunächst eine PTBS entwickelt habe, welche sich im Verlauf als depressive Erkrankung chronifiziert habe, mit zunehmender somatoformer Beschwerdeakzentuierung. Der Kläger hat gegen das Gutachten von S3 eingewandt, neben dem A-Kriterium seien auch die weiteren Kriterien einer PTBS bei ihm erfüllt. Zudem habe der Gutachter nicht in ausreichendem Maße die Faktoren berücksichtigt, die das Schadensbild bei ihm aufrechterhalten hätten.

Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme von
S3 vom 19.02.2020 eingeholt. Dieser hat angemerkt, dass im Entlassbericht der U1-Klinik gerade keine PTBS als Diagnose genannt worden sei und hat ansonsten an seiner Einschätzung festgehalten. Die weiteren belastenden psychosozialen Einflussfaktoren wie gerichtliche Auseinandersetzung um die Schuldfrage, Mobbing, Konflikte, drohender Arbeitsplatzverlust, wirtschaftliche Existenzbedrohung etc. seien keine unmittelbare oder mittelbare Arbeitsunfallfolge als Gesundheitsschäden, sondern durch den Arbeitsunfall ausgelöste gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Beeinträchtigungen, die als Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos aufzufassen seien.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.09.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Folge des Unfalls sei lediglich eine akute Belastungsreaktion, die, wie
S3 dargelegt habe, nach wenigen Tagen ausgeheilt sei und keine MdE begründe. S3 habe in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass die Kriterien einer PTBS nicht erfüllt seien. Die von S3 diagnostizierte somatoforme Schmerzstörung und rezidivierende depressive Störung sei nicht auf den Unfall von 2007 zurückzuführen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 08.10.2020 zugestellte Urteil am 28.10.2020 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Berufungsbegründung hat er auf die Angaben der behandelnden Ärzte verwiesen, die bei ihm eine PTBS diagnostiziert hätten, und u.a. einen Bericht der
S4-Klinik S5 vom 10.02.2021 über einen stationären Aufenthalt vom 01.02.2021 bis 10.02.2021 zur multimodalen Schmerztherapie sowie einen Entlassbrief des Universitätsklinikums H2 — Zentrum für psychosoziale Medizin vom 27.07.2021 über einen stationären Aufenthalt vom 25.05.2021 bis 27.07.2021 vorgelegt. Im Entlassbericht der Uniklinik H2 sind als Diagnosen eine PTBS, eine schwere depressive Episode im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung sowie eine Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren genannt worden. Im psychopathologischen Befund werden tägliches Wiedererleben, Anspannung, Albträume, eine erhöhte Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz, Vermeidungsverhalten, Ängste bezüglich des Wiederauftretens von Intrusionen und handlungsleitende Ängste bezüglich der Familie des Todesopfers beschrieben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.09.2020 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2017 zu verpflichten, ihm Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren sowie das Vorliegen einer wiederkehrenden Schmerzstörung mit emotional bedingtem Clusterkopfschmerz sowie depressive Verstimmungen infolge arbeitsplatzbezogener Konflikte und das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung als weitere Unfallfolgen anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat zunächst eine erneute gutachterliche ergänzende Stellungnahme von
S3 vom 09.09.2021 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, dass die Diagnose einer PTBS häufig unkritisch von Behandlern gestellt werde. Die im Bericht der Uniklinik H2 vom 27.07.2021 diagnostizierte PTBS werde nirgends explizit hergeleitet. Die vom Kläger geschilderten Beschwerden seien übernommen worden, ohne sie kritisch zu hinterfragen. Dies gelte auch für den Bericht der S4-Klinik.

Der Kläger hat einen Entlassbrief des Universitätsklinikums
H2 — Zentrum für psychosoziale Medizin vom 01.02.2022 über einen erneuten stationären Aufenthalt vom 07.12.2021 bis 01.02.2022 aufgrund der vorbekannten Diagnosen vorgelegt.

Der Senat hat ferner auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten nach § 109 SGG der Fachärztin
E2 vom 21.05.2022 mit ambulanter Untersuchung am 27.03.2022 eingeholt. Diese hat ausgeführt, dass nach DSM-5 die Kriterien für eine PTBS erfüllt seien. Sowohl das Eingangskriterium (Erleben eines schweren Unfalls), das B- Kriterium (Wiedererinnerungserleben), von dem nur eins erfüllt sein müsse, als auch das C1-Kriterium (Vermeidung daran zu denken und darüber zu reden), das D-Kriterium (negative Veränderung von Kognition und Stimmung) und das E-Kriterium (deutliche Veränderungen in Arousal (=Erregbarkeit) und Reagibilität), von denen wenigstens zwei Kriterien erfüllt sein müssten, lägen vor. Die PTBS sei inhaltlich und zeitlich mit ausreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf den Unfall vom 18.05.2007 zurückzuführen. Aus der Begutachtung durch S1 gehe nicht hervor, ob die möglichen Symptome einer PTBS konsequent abgefragt worden seien. L1 habe einen unauffälligen psychischen Befund erhoben, obwohl er eine erhebliche psychische Beeinträchtigung im Rahmen des Arbeitsplatzkonflikts bestätigt habe. Auch habe er nicht hinterfragt, dass der Kläger Symptome spontan wenig schildere. S3 habe die besondere Persönlichkeitsstruktur des Klägers nicht berücksichtigt. Auch wenn es durchaus zutreffend sei, dass die Diagnose PTBS von den Behandlern teils unkritisch gestellt worden sei, müsse dennoch berücksichtigt werden, dass die Diagnose PTBS durchgehend von allen Behandlern und Kliniken gestellt worden sei. Die Auflistung sämtlicher Kriterien in Behandlungsberichten sei nicht unbedingt Aufgabe eines Behandlers, sondern eines Gutachters. Dennoch werde bei einer ambulanten oder stationären Behandlung die Symptomatik erfasst und diagnostisch eingeordnet. Die Vorgutachter hätten ältere Maßstäbe zugrunde gelegt, anstelle der neueren Maßstäbe des DSM-5, die erfüllt seien. Weiter bestehe eine rezidivierende depressive Störung und eine somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Da nicht eindeutig geklärt werden könne, ob die Mobbing-Situation am Arbeitsplatz nach dem Unfall, die dort erfolgte Kündigung und die damit verbunden Existenzängste als durch den Unfall bedingt angesehen werden könnten, die depressive Entwicklung im Verlauf aber hauptsächlich auf diese Belastung zurückzuführen sei, könne die depressive Symptomatik nicht eindeutig im Sinne der Entstehung auf den Unfall zurückgeführt werden. Die somatoforme Schmerzstörung sei eindeutig durch den Unfall 1999 entstanden und nicht auf den Unfall 2007 zurückzuführen. Die unfallbedingte MdE hat die Gutachterin aufgrund der PTBS mit 20 v.H. eingeschätzt.

Der Senat hat eine weitere ergänzende Stellungnahme von
S3 vom 28.02.2023 zum Gutachten der Sachverständigen E2 eingeholt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass drei von vier Gutachter das Vorliegen einer PTBS verneint hätten und auch im Arztbrief der Klinik G1 vom 2019 keine PTBS-assoziierten Beschwerden dokumentiert und die Diagnose einer PTBS kategorisch ausgeschlossen worden sei. Nach der aktuellen Begutachtungsleitlinie AWMF 2019 müssten Beeinträchtigungen der sozialen, beruflichen der anderen bedeutsamen Fähigkeiten auf der Befundebene gesichert sein. Sowohl bei der Anamneseerhebung durch S1 als auch L1 seien keine auffälligen psychischen oder vegetativen Reaktionen beschrieben worden. Der Verlauf der von Behandlern dokumentierten PTBS-Symptomatik seit einigermaßen engmaschig, nämlich fluktuierend, mit symptomfreien Intervallen und substantieller Eskalation in den letzten Jahren. Solche PTBS-Verläufe seien definitiv ungewöhnlich, zumal nach einem zirkumskripten Monotrauma (umschriebenes Einzeltrauma).

Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 01.06.2023 bzw. 15.06.2023 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, und teilweise begründet. Der Kläger hat in der Berufungsinstanz sein Klagebegehren auf die Anerkennung weiterer Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente beschränkt. Soweit er in der 1. Instanz noch die Gewährung von weiteren Leistungen, insbesondere Heilbehandlung und sonstige Geldleistungen über den 31.07.2007 hinaus begehrte, hat er dieses (unzulässige) Klagebegehren mit der Berufung nicht weiter verfolgt.

Soweit der Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung von „
Vorliegen einer wiederkehrenden Schmerzstörung mit emotional bedingtem Clusterkopfschmerz sowie depressive Verstimmungen infolge arbeitsplatzbezogener Konflikte und das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung“ als Folgen des Unfalls vom 18.05.2007 begehrt, ist richtige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG oder nach Wahl der Versicherten kombiniert mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG (vgl. BSG 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R -, BSGE 108, 274 und BSG 27.04.2010 - B 2 U 23/09 R -). Bei dem Klageantrag in der durch den Bevollmächtigten formulierten Fassung handelt es sich demnach um eine nach § 54 Abs. 1 SGG zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Anerkennung weiterer Unfallfolgen. Diese Klage kann der Kläger vorliegend auch zusammen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG im Hinblick auf die Ablehnung der Gewährung einer Verletztenrente verfolgen.


Die Feststellung einer Gesundheitsstörung setzt voraus, dass sie Folge eines Versicherungsfalles, d.h. eines Arbeitsunfalls ist (§§ 7, 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII). Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.

Für einen Arbeitsunfall ist somit erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (Unfallereignis) geführt (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten (Primärschaden) verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Das Entstehen länger andauernder Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist dagegen keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles, sondern für die Gewährung der Verletztenrente (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2007 - B 2 U 23/05 R m. w. N., juris).


Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196-209, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, SozR 4 2700 § 8 Nr. 17; B 2 U 40/05 R, UV Recht Aktuell 2006, 419; B 2 U 26/04R, UV Recht Aktuell 2006, 497; alle auch veröffentlicht in juris).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R und B 2 U 26/04 R - a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Der Kläger hat durch das Ereignis vom 18.05.2007 einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten, als durch sein Zutun während seiner Tätigkeit als Stapelfahrer ein LKW-Fahrer tödlich verletzt wurde. Davon geht auch die Beklagte aus, die Im Bescheid vom 22.09.2017 das Ereignis vom 18.05.2017 als Arbeitsunfall anerkannte.

I. Folgen des Unfalls sind beim Kläger eine PTBS, nicht aber eine somatoforme Schmerzstörung oder eine rezidivierende depressive Störung.

a) Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens unter Berücksichtigung der weiteren Sachaufklärung des Senats steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine PTBS vorliegt, die Folge des Unfalls vom 18.05.2007 ist. Der Senat stützt sich insoweit insbesondere auf das Gutachten der
E2 vom 21.05.2022.

Nach der Rechtsprechung des BSG sind insbesondere im Bereich psychischer Störungen die Gesundheitsschäden genau zu definieren, was zwingend voraussetzt, dass die Störung durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (z.B. ICD-10, DSM-5) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen exakt beschrieben wird. Denn je genauer und klarer die Gesundheitsstörungen bestimmt sind, umso einfacher sind ihre Ursachen zu erkennen und zu beurteilen. Dies schließt begründete Abweichungen von diesen Diagnosesystemen, z.B. aufgrund ihres Alters und des zwischenzeitlichen wissenschaftlichen Fortschritts, nicht aus. Bei der Entscheidungsfindung haben Tatsachengerichte den jeweils aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht. Einer Änderung des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist Rechnung zu tragen (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2022 - B 2 U 9/20 R m.w.N., juris).

Die ICD stellt ein weltweit anerkanntes System dar, mit dem medizinische Diagnosen einheitlich benannt werden. Das DSM ist ein auf psychische Störungen begrenztes Klassifikationssystem, welches im Vergleich zur ICD stärker operationalisiert ist. Dieses kann alternativ oder ergänzend zur ICD herangezogen werden und stellt den repräsentativen aktuellen medizinischen Erkenntnisstand im Bereich der Psychiatrie dar. Das DSM-5 stellt dabei nach der Rechtsprechung des Unfallsenats des BSG den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand dar, insbesondere bezüglich der Diagnose der PTBS (BSG, Urt. v. 28.06.2022 a.a.O.).


Nach ICD-10, welches in Deutschland seit dem 01.01.2000 angewandt und jährlich überarbeitet wird, müssen für die Diagnose einer PTBS nach F43.1 folgende diagnostische Kriterien erfüllt sein:
Traumakriterium: Betroffene waren einem Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalem Ausmaß ausgesetzt, das bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde.
Wiedererlebenskriterium: anhaltende Erinnerungen oder Wiedererleben der Belastung durch aufdringliche Nachhallerinnerungen, lebendige Erinnerungen, sich wiederholende Träume oder durch innere Bedrängnis in Situationen, die der Belastung ähneln oder mit ihr in Zusammenhang stehen.
Vermeidungskriterium: Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stehen, werden tatsächlich oder möglichst vermieden, wobei das Verhalten nicht vor dem belastenden Erlebnis bestand.
Hypersensitivitäts-/Amnesiekriterium: Entweder (1) teilweise oder vollständige Unfähigkeit, einige wichtige Aspekte der Belastung zu erinnern oder (2) anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung (nicht vorhanden vor der Belastung) mit zwei oder mehr der folgenden Merkmale: a) Ein- und Durchschlafstörungen, b) Reizbarkeit oder Wutausbrüche, c) Konzentrationsschwierigkeiten, d) Hypervigilanz, e) erhöhte Schreckhaftigkeit
Zeitkriterium: die Kriterien B, C und D treten innerhalb von sechs Monaten nach dem Belastungsereignis auf.

Nach DSM-5, welches seit Mai 2013 gültig ist, werden folgende diagnostische Kriterien für das Vorliegen einer PTBS verlangt:
Eingangskriterium: Die Betroffenen waren über einen oder mehrere der unten genannten Wege Tod (tatsächlich oder angedroht), schwerwiegenden Verletzungen oder sexueller Gewalt ausgesetzt: (1) Direktes Erleben des traumatisierenden Ereignisses, (2) Persönliches Miterleben, wie das traumatisierende Ereignis anderen zustößt, (3) Erfahren, dass das traumatisierende Ereignis einem engen Familienmitglied oder einem engen Bekannten zugestoßen ist, (4) Wiederholte oder sehr extreme Konfrontation mit aversiven Details des traumatischen Ereignisses.
Wiedererinnerungserleben: Es bestehen eines oder mehrere der folgenden, mit dem Trauma assoziierten Symptome mit Beginn der Symptome nach dem Auftreten des traumatisierenden Ereignisses: (1) Wiederholte, unwillkürliche und aufdrängende Erinnerungen an das traumatische Ereignis; (2) wiederholte Albträume, bei denen Inhalte oder Gefühle des Traums mit dem traumatischen Ereignis assoziiert sind, (3) Dissoziationen (z.B. Flashbacks), in denen sich der Betroffene so fühlt oder sich so verhält, als ob das traumatisierende Ereignis wider stattfinden würde, (4) ausgeprägtes oder anhaltendes seelisches Leiden bei Konfrontation mit (inneren oder externen) Reizen, die das traumatische Ereignis symbolisieren oder die einem Aspekt des traumatisierenden Ereignis ähnlich sind, (5) deutliche physiologische Reaktion auf (innere oder externe) Reize, die das traumatische Ereignis symbolisieren oder die einem Aspekt des traumatisierenden Ereignis ähnlich sind.
Vermeidungskriterium: Vermeidung von Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen, die mit dem Ereignis zusammenhängen und/oder Vermeidung von Aktivitäten, Orte, Konversationen oder Menschen, die Erinnerungen an das Ereignis auslösen.
Negative Auswirkungen auf Kognition und Stimmung (≥ 2 der Folgenden): (1) Gedächtnisverlust von wesentlichen Teilen des Ereignisses (dissoziative Amnesie), (2) persistierende und übertrieben negative Überzeugungen oder Erwartungen über sich selbst, andere oder die Welt, (3) anhaltende verzerrte Gedanken über die Ursache oder Folgen des Traumas, was dazu führt, sich selbst oder anderen die Schuld zu geben, (4) persistierender negativer emotionaler Zustand (z. B. Angst, Entsetzen, Wut, Schuld, Scham), (5) deutlich vermindertes Interesse oder Teilnahme an bedeutenden Aktivitäten, (6) ein Gefühl der Loslösung oder Entfremdung von anderen, (7) persistierende Unfähigkeit, positive Emotionen zu erleben (z. B. Glück, Zufriedenheit, liebevolle Gefühle).

Deutliche Veränderungen in der Erregbarkeit und Reaktivität (mindestens zwei der folgenden): Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, rücksichtsloses oder selbstzerstörerisches Verhalten, Konzentrationsstörungen, Hypervigilanz, verstärkte Schreckreaktion.
F.         Die Beschwerden B – E dauern für mindestens 1 Monat an, verursachen in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen und sind nicht auf die physiologischen Auswirkungen eines Substanzkonsums oder einer anderen medizinischen Erkrankung zurückzuführen.

Seit dem 01.01.2022 ist weltweit die ICD-11 in Kraft getreten, welche in Deutschland zur Abrechnung noch nicht angewandt wird, wobei jedoch eine deutsche Version existiert, die grundsätzlich anwendbar ist (Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Danach wird die PTBS nach 6B40 wie folgt beschrieben:

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) kann sich entwickeln, wenn man einem extrem bedrohlichen oder entsetzlichen Ereignis oder einer Reihe von Ereignissen ausgesetzt war. Sie ist durch alle der folgenden Punkte gekennzeichnet: 1) Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder der traumatischen Ereignisse in der Gegenwart in Form von lebhaften aufdringlichen Erinnerungen, Rückblenden oder Albträumen. Das Wiedererleben kann über eine oder mehrere Sinnesmodalitäten erfolgen und wird typischerweise von starken oder überwältigenden Emotionen, insbesondere Angst oder Entsetzen, und starken körperlichen Empfindungen begleitet; 2) Vermeidung von Gedanken und Erinnerungen an das Ereignis bzw. die Ereignisse oder Vermeidung von Aktivitäten, Situationen oder Personen, die an das Ereignis bzw. die Ereignisse erinnern; und 3) anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten aktuellen Bedrohung, die sich z. B. durch Hypervigilanz oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwartete Geräusche zeigt. Die Symptome halten mindestens mehrere Wochen lang an und verursachen erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen.

Es kann offenbleiben, ob bezüglich der Diagnostik einer PTBS auf eine Einordnung nach DSM-5, ICD-10 oder das deutlich aktuellere ICD-11 als neuester Stand der Wissenschaft abzustellen ist, da das Vorliegen einer PTBS beim Kläger nach sämtlichen Diagnosekriterien erfüllt ist.


Das Traumakriterium ist beim Kläger mit dem Unfall vom 18.05.2007, bei dem er einen tödlichen Unfall verursachte und unmittelbar danach den Toten am Boden liegen sah, erfüllt. Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Feststellungen sämtlicher Gutachter, die alle dieses Ereignis als geeignet sahen, das Kriterium zu erfüllen.

Das Wiedererlebenskriterium ist ebenfalls erfüllt. Beim Kläger liegen wiederholte, unwillkürliche und aufdrängende Erinnerungen an das traumatische Ereignis vor. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten der Sachverständigen
E2. Diese beschreibt mehrfach tägliche wiederkehrende Erinnerungen in Form von Gedanken und Bildern mit intensiver psychischer Belastung. Dies deckt sich mit der Angabe im Gutachten von J1 vom 07.06.2008, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet. Dort hat der Kläger ebenfalls von einem zwanghaften Auftreten von Unfallbildern und dem Gesicht des Toten berichtet. Ebenso werden solche Erinnerungen im Rehabilitationsbericht vom 20.07.2010 der Klinik K3 beschrieben. Im Gutachten von S1 vom 29.11.2010, welches der Senat ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertet, werden solche Erinnerungen zwar nicht beschrieben. Allerdings hat die Sachverständige E2 zutreffend darauf hingewiesen, dass aus dem Gutachten nicht hervorgeht, ob der Kläger überhaupt gezielt danach gefragt wurde. Zudem hat S1 bei seiner Begutachtung noch den Maßstab des DSM-IV zugrunde gelegt, welcher nicht mehr den aktuellen Stad der Wissenschaft darstellt. Auch im Gutachten von L1, welches der Senat ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertet, hat der Kläger das Auftauchen von Bildern vom Unfall angegeben und der Gutachter festgestellt, dass sich der Kläger wiederkehrend an den schweren Unfall erinnert. S3 beschreibt in seinem Gutachten 15.07.2019 ebenfalls, dass sich dem Kläger mehrfach pro Tag das Bild vom Unfall aufdrängt. Der Gutachter verneint das Wiedererlebenskriterium jedoch, da es keine Hinweise auf Flashbacks oder konsistente Angaben über Albträume gebe. Das Vorliegen von Flashbacks ist jedoch nicht notwendige Voraussetzung für das Wiedererlebenskriterium. Nach ICD-11 wird das Wiedererleben typischer weise von starken oder überwältigenden Emotionen, insbesondere Angst oder Entsetzen begleitet. Im Gutachten von J1 vom 07.06.2008 wird das Auftreten von Angst und Panik bei der Erinnerung an die Unfallbilder beschrieben, sowie das Auftreten von Flashbacks. Im Bericht der Uniklinik H2 vom 01.02.2022 werden ebenso Flashbacks und körperliche Reaktionen auf Erinnerungsbilder beschrieben. Damit stellt der Senat fest, dass das Wiedererlebenskriterium sowohl nach DSM-5 als auch nach ICD-10 und ICD-11 erfüllt ist.

Das Vermeidungskriterium ist nach den Feststellungen der Gutachterin
E2 ebenfalls erfüllt, da der Kläger es vermeidet, sogar mit engen Familienangehörigen über den Unfall zu reden. Aus den Berichten der behandelnden Ärzte geht ebenfalls mehrfach hervor, dass der Kläger seine Familie damit nicht belasten wolle, weshalb er gar nicht mit ihr über den Unfall spreche. Eine zusätzliche Vermeidung in dem Sinne, dass der Kläger den Ort des Geschehens meide, ist nicht notwendige Voraussetzung. Zudem versucht der Kläger nach den Angaben gegenüber der Sachverständigen E2, die Unfallstelle schnell zu passieren. Am Unfallort selbst ist der Kläger seit dem Ereignis nicht mehr tätig gewesen und hat seitdem auch keinen Gabelstapler mehr bedient, so dass der Senat in Übereinstimmung mit der Sachverständigen E2 auch eine situative Vermeidung sieht.

Bezüglich des D-Kriteriums nach DSM-5 ist der Senat aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen
E2 davon überzeugt, dass beim Kläger auf den Unfall bezogene negative übertriebene Überzeugungen vorhanden sind, sowie auch Kognitionen und negative Zustände, mit dem Gefühl, sich völlig verändert zu haben, nicht mehr der Gleiche zu sein, Ängste der Schuldzuweisung, Schuldgefühle, weiter bestehende übertriebene Ängste wie Rache durch die Familie des Opfers, diesbezüglich auch Verfolgungsgefühle und zunehmendes Erschrecken, wenn jemand hinter ihm steht, deutliches Rückzugsverhalten und Interesseverlust. Diese Angstgefühle sind auch wiederholt in den Berichten der Vorbehandler, insbesondere während der stationären Aufenthalte thematisiert worden. Die von S3 geforderte Amnesie ist, wie die Sachverständige E2 zutreffend ausgeführt hat, nach DSM-5 nicht notwendige Voraussetzung für die Erfüllung des D-Kriteriums.

Auch nach ICD-10 wird als D-Kriterium entweder eine Amnesie oder anhaltende Symptome einer erhöhten psychischen Sensitivität und Erregung verlangt. Eine Amnesie ist somit auch nach ICD-10 nicht zwingende Voraussetzung für die Diagnose einer PTBS.

Das E-Kriterium nach DSM-5, dessen Voraussetzungen nach ICD-10 im D-Kriterium beschrieben sind, namentlich Schlafstörungen und Hypervigilanz, werden ebenfalls durchgehend in den Befunden der Vorbehandler beschrieben. Soweit
S3 darauf abstellt, dass der Kläger bereits nach dem Unfall 1999 unter Schlafstörungen gelitten hat, hat die Sachverständige E2 in ihrem Gutachten dargestellt, dass der Kläger zwar nach diesem Unfall in Folge der Rückenbeschwerden auch Schlafstörungen erlitten habe, die jetzige Form mit Alpträumen und ständigem Erwachen jedoch erst seit dem Unfall am 18.05.2007 vorgelegen habe. Dies deckt sich ebenfalls mit den Angaben gegenüber den Vorbehandlern, gegenüber denen der Kläger unmittelbar nach dem Unfall und auch im Verlauf von Schlafstörungen und Angstträumen berichtet hat.

Nach ICD-11 wird anstelle des D- bzw. E-Kriteriums eine anhaltende Wahrnehmung einer erhöhten Bedrohung, die sich z.B. durch Hypervigilanz oder eine verstärkte Schreckreaktion auf Reize wie unerwartete Geräusche zeigt, gefordert. Wie oben dargestellt, liegt beim Kläger eine Hypervigilanz vor, so dass dieses Kriterium auch nach ICD-11 erfüllt ist.

Das Zeitkriterium (E-Kriterium nach ICD-10 bzw. F-Kriterium nach DSM-5) ist ebenfalls erfüllt. Die Beschwerden sind unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten, dauern bereits mehrere Jahre an und haben beim Kläger zu Beeinträchtigungen im beruflichen Leben geführt. Dies entnimmt der Senat den Berichten der behandelnden Ärzte und insbesondere dem Rehabericht der Klinik
K3, in dem die Arbeitsfähigkeit des Klägers durch die psychische Belastung der unverarbeiteten Traumatisierung als gefährdet angesehen wurde. Damit sind auch die Voraussetzungen nach ICD-11 erfüllt, wonach die Symptome mindestens mehrere Wochen lang anhalten und erhebliche Beeinträchtigungen in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen müssen.

Nachdem sämtliche Kriterien einer PTBS sowohl nach ICD-10, ICD-11 und DSM-5, und damit nach aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand beim Kläger zur Überzeugung des Senats erfüllt sind, liegt beim Kläger eine PTBS vor, die auf den Unfall vom 18.05.2007 zurückzuführen ist. Andere Ursachen oder Traumata sind diesbezüglich von keinem Gutachter festgestellt worden.

b) Der Kläger leidet zudem an einer somatoformen Schmerzstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung. Dies entnimmt der Senat den diesbezüglich übereinstimmenden Gutachten von
S3 und der Sachverständigen E2, die sich insoweit mit dem Entlassbericht der U1-Klinik vom 03.11.2019 und den Entlassberichten der Uniklinik H2 vom 27.07.2021 und 01.02.2022 decken. Diese Gesundheitsstörungen sind jedoch nicht Folge des Unfalls vom 18.05.2007.

Die somatoforme Schmerzstörung beruht nach übereinstimmender Auffassung beider Gutachter auf dem Unfall aus dem Jahr 1999, bei dem der Kläger Frakturen der Wirbelsäule erlitten hat. Dies deckt sich mit den Feststellungen von
S2 und J1 und auch den Angaben des Klägers gegenüber der Sachverständigen E2, dass er bereits nach dem Unfall 1999 an Schlafstörungen aufgrund der anhaltenden Rückenschmerzen gelitten hat. Ein Clusterkopfschmerz ist hingegen von keinem der Gutachter diagnostiziert worden. Danach steht für den Senat fest, dass die Schmerzstörung bereits vor dem Ereignis vom 18.05.2007 bestanden hat und nicht Folge dieses Ereignisses ist.

Der Senat konnte sich ebenfalls nicht davon überzeugen, dass der Unfall vom 18.05.2007 rechtlich wesentlich nach den o.g. Voraussetzungen für die beim Kläger bestehende rezidivierende depressive Störung ist. Als Ursache für die rezidivierende depressive Störung werden sowohl von den Gutachtern als auch von den behandelnden Ärzten Konflikte am Arbeitsplatz, Mobbing und Existenzängste beschrieben. Die Sachverständige
E2 hat es zwar für möglich gehalten, dass diese depressive Störung mittelbare Folge des Unfalls vom 18.05.2007 ist und es sich nicht um eine allgemeine Belastung des täglichen Lebens handelt. S3 hat dagegen ausgeführt, dass bei einer sich aus den veränderten Lebensumständen wie Arbeitsplatzverlust ergebenden Depression der Unfall nicht wesentliche Ursache für diese Erkrankung ist. Insgesamt liegt der Erkrankung nach den Angaben sämtlicher Ärzte eine multifaktorielle Genese zugrunde. Zwar sind die vom Kläger geschilderten Probleme am Arbeitspatz erst nach dem Unfall aufgetreten. Sie sind jedoch nach den Angaben des Klägers und den Berichten der behandelnden Ärzte in der Hauptsache auf das Verhalten des Arbeitgebers zurückzuführen, der dem Kläger zunächst fristlos gekündigt hat, was ein arbeitsgerichtliches Verfahren nach sich gezogen hat, dem innerbetrieblichen Wechsel des Arbeitsplatzes, ständiger Kritik und Mobbing durch Vorgesetzte sowie Existenzängste zurückzuführen. Damit liegen neben dem Unfallereignis konkurrierende Faktoren vor, die wesentlich zu der depressiven Störung beigetragen und diese im Verlauf verstärkt haben. Das Verhalten des Arbeitgebers und daraus resultierende gerichtliche Auseinandersetzungen sowie der drohende Verlust eines Arbeitsplatzes sind unfallunabhängige Faktoren, die nicht in den Verantwortungsbereich der Beklagten und den Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung fallen (vgl. dazu das Senatsurteil vom 25.11.2022 - L 8 U 1289/22 sowie LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 10.02.2021 – L 5 U 29/16, LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 19.05.2020 – L 16 U 210/16 und Hessisches LSG, Urteil vom 13.08.2019 – L 3 U 152/18, juris). Insoweit hat sich lediglich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht. Damit steht für den Senat fest, dass der Unfall vom 18.05.2007 zwar die die wesentliche Ursache für die PTBS, nicht jedoch für die rezidivierende depressive Erkrankung war.

II. Der Kläger hat aufgrund der PTBS einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1
SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Rente, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist.

Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht (§ 56 Abs. 3 S. 2 SGB VII). Dabei ist die Entscheidung der Frage, in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 S. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (vgl. BSGE 4, 147, 149; 6, 267, 268). Die Bemessung des Grades der MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der durch den Versicherungsfall bedingten Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeit des Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 S. 2 SGB VII).


In der Literatur wird das unvollständig ausgeprägte Störungsbild (Teil- oder Restsymptomatik) einer PTBS mit einer MdE bis 20 v.H. und das üblicher Weise zu beobachtende Störungsbild, geprägt durch starke emotional und durch Ängste bestimmte Verhaltensweisen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und gleichzeitig größere sozial-kommunikative Beeinträchtigung mit einer MdE bis 30 v.H. bewertet (Schönberger, Mertens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 170).

Nach diesen Grundsätzen bewertet der Senat die sich aus der PTBS ergebenden Einschränkungen gestützt auf das überzeugende Gutachten der Sachverständigen
E2 mit einer MdE von 20 v.H. Der Gutachter S3 hat in seiner Stellungnahme vom 28.02.2023 zutreffend ausführt, dass die beim Kläger durch die rezidivierende depressive Erkrankung bedingten Einschränkungen bei der Einschätzung der MdE nicht zu berücksichtigen sind, da diese insoweit nicht auf dem Unfall beruhen. Die von den Ärzten immer wieder beschriebene eingeschränkte Schwingungsfähigkeit und gedrückte Stimmung sind Teil der depressiven Störung, während die Schlafstörungen, Erinnerungsbilder und Hyperarousal (chronisch erhöhter Erregungszustand) Teil der PTBS sind (vgl. zuletzt den Bericht der Uniklinik H2 vom 01.02.2022). Somit ist die beim Kläger vorliegende wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht mehr auf die PTBS zurückzuführen, so dass der Senat von einer Teilsymptomatik der PTBS ausgeht, die mit einer MdE von 20 v.H. angemessen und ausreichend bewertet ist.

Gem. § 72 Abs. 1 SGB VII werden Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr. 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr. 2). Da die Beklagte erstmalig am 22.09.2017 einen Bescheid bezüglich der Anerkennung von Unfallfolgen und Gewährungen von Leistungen erlassen hat, kann der Senat nicht nachvollziehen, ob und ggf. wie lange der Kläger Verletztengeld erhalten hat. Der Senat stellt jedoch fest, dass die ersten Symptome einer PTBS, wie von
K1 am Unfalltag dokumentiert, bereits unmittelbar nach dem Unfall zunächst als akute Belastungsreaktion aufgetreten sind. Sofern der Kläger kein Verletztengeld erhalten hat, ist der Versicherungsfall somit am 18.05.2007 eingetreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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