L 2 AS 1470/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 3455/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 1470/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Mai 2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Beteiligten streiten in der Sache um die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Der 1969 geborene und verheiratete Kläger lebt allein in einer Wohnung (Wohnfläche 131,52 m²), für die er seit 01.12.2019 eine Brutto-Warmmiete in Höhe von 972 € (Netto-Kaltmiete 539 € zzgl. 237 € kalte Nebenkosten, 111 € Heizung und Warmwasser, 35 € Garage) zu entrichten hat (Mietvertrag vom 11.10.2010 - Bl. 129 ff. VA -, Mietneuberechnung vom 12.09.2019 - Bl. 125 ff. VA - und Mietbescheinigung vom 14.05.2020 - Bl. 95 ff.-).

Seine Ehefrau und Kinder, die er nach eigenen Angaben finanziell unterstützt, leben seit dem Jahr 2016 in der Türkei. Nach Angaben des Klägers haben diese - wie er - deutsche Staatsbürgerschaft und sind mit ihrem Hauptwohnsitz unter seiner Wohnanschrift gemeldet (Bl. 50 VA). Sie würden sich nur in der Türkei aufhalten, da es der Tochter gesundheitlich nicht gut gehe. Die Ehefrau und die zwei jüngsten Kinder würden ihn einmal im Jahr für drei Monate besuchen, wobei dies aufgrund der Coronapandemie im Jahr 2020 nicht der Fall war (Bl. 3, 4 VA).

Der Kläger war bis Dezember 2019 bei einer Fahrschule versicherungspflichtig beschäftigt. Im Januar und Februar 2020 bezog er Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit (Bl. 28 f. VA). Sodann war der Kläger zunächst befristet bis 31.05.2020 und schließlich befristet bis 31.12.2020 bei der D1 GmbH versicherungspflichtig beschäftigt (Bl. 15 VA). Aus diesem Beschäftigungsverhältnis erzielte er Einkommen, das seinem Konto jeweils im Folgemonat gutgeschrieben wurde. Im März 2020 wurde seinem Konto ein Lohn i.H.v. 1.755,52€ für Februar 2020 gutgeschrieben (Bl. 30 VA), im April 2020 ein Lohn i.H.v. 2.258,54 € für März 2020 (Bl. 32 VA) und im Mai 2020 ein Lohn i.H.v. 1.567,63 € für April 2020 (Bl. 33 VA). Bei letzterem handelte es sich um Kurzarbeitergeld i.H.v. 1.421,61 € zzgl. Feiertagsentgeld i.H.v. 146,02 €, insgesamt 1.567,63 € brutto/netto (Lohnabrechnung vom 09.05.2020, Bl. 16 VA).

Der Kläger beantragte am 12.05.2020 bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit „ab April 2020 (…) aufstockend zum Kurzarbeitergeld“ (Bl. 1, 50 ff. VA).
Mit Bescheid vom 05.06.2020 (Bl. 120 ff. VA) bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.05.2020 bis 31.10.2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 58,37 €. Bei der Bedarfsberechnung legte der Beklagte einen Gesamtbedarf von 1.326,00 € (Regelbedarf 389 €, Grundmiete 589 €, Heizkosten 111 €, Nebenkosten 237 €, ohne Kosten für Stellplatz/Garage) und ein zu berücksichtigendes Einkommen von 1.267,63 € (1.567,63 € abzgl. 300 € Freibetrag Erwerbseinkommen) zugrunde. Vom Kläger geltend gemachte Fahrtkosten berücksichtigte der Beklagte nicht, da er bei einem Personaldienstleister angestellt und die Arbeitsstätte nicht bekannt sei. Auch geltend gemachte Kfz-Versicherungsbeiträge berücksichtigte der Beklagte mangels Nachweises nicht. Für beides forderte er entsprechende Nachweise an (Bl. 121 VA). Mit Schreiben vom 05.06.2020 forderte der Beklagte zugleich weitere Unterlagen an (Bl. 116 VA).

Auf Anforderung des Beklagten vom 10.06.2020 (Bl. 139 VA) übersandte der Kläger die Lohnabrechnung vom 08.06.2020 für Mai 2020 (Bl. 143 VA), wonach er einen Lohn i.H.v. 3.229,31 € brutto/2.384,96 € netto erhielt. Auf Anforderung des Beklagten vom 08.07.2020 (Bl. 145 VA) übersandte der Kläger die Lohnabrechnung vom 09.07.2020 für Juni 2020 (Bl. 1855 VA), wonach er einen Lohn i.H.v. 3.232,92 € brutto/2.388,57 € netto erhielt.

Mit Emails vom 09.07.2020 (Bl. 149, 150 VA) erhob der Kläger Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid und führte zur Begründung aus, dass seine Familienangehörigen bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen seien und er nicht verstehe, warum die Bewilligung von Mai bis Oktober erfolgt sei, da er nur für April 2020 Aufstockung zum Kurzarbeitergeld beantragt habe. Außerdem ergäben sich aus den vorgelegten Kontoauszügen Spritkosten (Abbuchungen Tankstellen) und aus seinem vorgelegten Arbeitsvertrag, dass er bei der M1 AG in S1 eingesetzt sei. Per Email vom 12.7.2020 (Bl. 156 ff. VA) übersandte der Kläger Tankquittungen als Beleg für seine Fahrten zur Arbeitsstätte nach S1.

Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 13.07.2020 (Bl. 152 VA) darauf hin, dass der Widerspruch per Email formunwirksam sei. Ausweislich eines Telefonvermerks vom 09.06.2020 habe der Kläger Fragen zum Mitwirkungsschreiben und Bewilligungsbescheid gehabt, weshalb ihm der Bescheid jedenfalls am 09.06.2020 vorgelegen habe. Die Widerspruchsfrist ende am 13.07.2020, bis dahin möge er in Schriftform Widerspruch einlegen. Im Übrigen legte er dar, dass die Familienangehörigen, da sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in der Bundesrepublik Deutschland haben, keinen Anspruch hätten.

Mit Email vom 14.07.2020 (Bl. 163 VA) führte der Kläger aus, dass er ohne Termin nicht ins Jobcenter hereingelassen worden sei und er wegen Corona keinen Termin bekomme. Briefe gingen bei Ämtern oft verloren. Daher solle die E-Mail anerkannt werden.
Am 14. Juli 2020 erklärte der Widerspruchsführer schriftlich, dass er seinen Widerspruch aufrechterhalte (Bl. 175 VA). Der Beklagte solle die E-Mails ansehen, da sei es begründet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2020 (Bl. 178 ff. VA) verwarf der Beklagte den Widerspruch vom 09.07.2020 gegen den Bescheid vom 05.06.2020 als unzulässig.

Mit Bescheid vom 15.07.2020 (Bl. 164 ff. VA) hob der Beklagte den Bescheid vom 05.06.2020 bzgl. der Leistungsbewilligung für die Zeit ab 01.08.2020 ganz auf, da die Hilfebedürftigkeit des Klägers weggefallen sei.

Mit Schreiben vom 15.07.2020 (Bl. 172 f. VA) hörte der Beklagte den Kläger zu einer Überzahlung und beabsichtigten Aufhebung der SGB II-Leistungen für die Monate Juni und Juli 2020 in Höhe von jeweils 58,37 € (insgesamt 116,74 €) an. Zur Begründung führte er an, dass der Kläger während der genannten Zeiten Einkommen aus einer Beschäftigung bei der Firma D1 erzielt habe. Hierauf teilte der Kläger mit (Bl. 191 VA), dass die Überzahlung nicht durch seinen Fehler passiert sei und zudem 58,37 € für April 2020 viel zu wenig seien. Das Antwortschreiben legte der Beklagte als Widerspruch aus und verwarf diesen mit Widerspruchsbescheid vom 24.07.2020 (Bl. 196 ff. VA) als unzulässig.

Mit Bescheid vom 21.07.2020 (Bl. 187 ff. VA) lehnte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für April 2020 ab, da für die Zeit vor Antragstellung im Mai 2020 kein Anspruch bestehe. Zugleich wies sie darauf hin, dass der Bescheid Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werde.

Mit Bescheid vom 28.09.2020 (Bl. 200 ff. VA) hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.06.2020 bis 31.07.2020 in voller Höhe (je Monat 58,37 €) auf, da der Kläger mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen nicht hilfebedürftig sei, und forderte von ihm die Erstattung der Leistungen (insgesamt 116,74 €).

Den hiergegen gerichteten Widerspruch (Bl. 208 f. VA) wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2020 (Bl. 223 ff. VA) zurück. Zur Begründung führte er aus, der Kläger sei unter Berücksichtigung des in den Monaten Juni und Juli 2020 zugeflossenen Einkommens nicht hilfebedürftig im Sinne der §§ 9, 11 SGB II gewesen, sodass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ab diesem Zeitpunkt nicht bestanden habe. Für die Monate Juni und Juli 2020 seien ihm jedoch tatsächlich Leistungen in Höhe von monatlich 58,37 € bewilligt worden. Ab dem 01.06.2020 habe aufgrund des höheren Einkommens eine Änderung in den Verhältnissen des Klägers vorgelegen. Gemäß § 40 Abs. 1 SGB II gelte für das Verfahren nach dem SGB II das Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Vorschriften des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Abs. 2, 3 S. 1 und 4) und die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Abs. 1, 2 und 5) seien entsprechend anwendbar. Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eintrete, sei der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X). Nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X solle der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden sei, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gelte in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen sei, der Beginn des Anrechnungszeitraumes. Somit seien beim Kläger die Voraussetzungen des § 48 Abs.1 S. 2 SGB X gegeben und die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sei ab Juni 2020 ganz aufzuheben. Soweit eine Entscheidung ganz aufgehoben worden sei, seien bereits erbrachte Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten

Am 08.12.2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Heilbronn erhoben.

Mit Terminbestimmung vom 06.03.2023 (Bl. 11 SG-Akte), dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 13/14 SG-Akte) am 07.03.2023 zugestellt, hat das SG zur mündlichen Verhandlung geladen und das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet. Zugleich hat es darauf hingewiesen, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden und die Entscheidung auch nach Lage der Akte ergehen kann.

Zu der am 10.05.2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung ist der Kläger - auch nach Zuwarten von 19 Minuten - nicht erschienen (Protokoll, Bl. 15/16 SG-Akte).

Mit Urteil vom 10.05.2023 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung nach § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Zugleich hat es ausgeführt, dass Gründe für die Zulassung der Berufung nicht vorlägen. Das Urteil enthält folgende Rechtsmittelbelehrung: „Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung nur zu, wenn sie nachträglich zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart - Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejusticebw.de beschrieben. Die Beschwerde muss innerhalb der oben angegebenen Frist bei dem vorgenannten Gericht eingehen. Sie soll das angefochtene Urteil bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Die Berufung ist zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.“

Der Kläger hat am 19.05.2023 gegen das, ihm ausweislich der Postzustellungsurkunde am 12.05.2023 zugestellte, Urteil (ausdrücklich) „Berufung“ zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (Bl. 1 Senats-Akte).

Zur Begründung hat er vorgetragen, dass ihm der Termin nicht bekannt gewesen sei und er um einen neuen Termin bitte. In der Sache macht der Kläger geltend, er habe nicht zu viel Geld, sondern eher zu wenig bekommen, weshalb er um Überprüfung bitte, ob er 116,74 € an den Beklagten bezahlen müsse.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Mai 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 28. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2020 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,

            die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 20.09.2023, dem Kläger zugestellt am 22.09.2023 (Postzustellungskunde, Bl. 27/28 Senats-Akte) hat die Berichterstatterin den Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung unstatthaft ist und insoweit auf die zutreffende Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil verwiesen. Weiter hat sie darauf hingewiesen, dass der Senat die Verwerfung der Berufung als unzulässig durch Beschluss beabsichtigt, sollte der Kläger die Berufung nicht zurücknehmen. Er hat Gelegenheit erhalten, sich hierzu bis 13.10.2023 zu äußern. Hiervon hat der Kläger mit Schreiben vom 26.09.2023 (Bl. 29 Senatsakte) Gebrauch gemacht.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist nicht statthaft und daher gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Entscheidung über die Verwerfung der Berufung kann nach § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss ergehen. Die Verfahrensweise steht im Ermessen des Gerichts (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 30.10.2019 - B 14 AS 7/19 B, juris Rn. 2). Der Senat übt das eingeräumte Ermessen vorliegend dahingehend aus, dass er über den Streitfall durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Der Kläger ist mit Schreiben des Senats vom 20.09.2023 hierzu angehört worden. Dabei ist er darauf hingewiesen worden, dass die Berufung - mit Verweis auf die zutreffende Rechtsmittelbelehrung im angefochtenen Urteil - unzulässig ist und dass eine Entscheidung durch Beschluss beabsichtigt ist. Ihm ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden, von der er Gebrauch gemacht hat. Rechtliches Gehör ist damit gewährt worden (§ 62 SGG; vgl. zu den Anforderungen: BSG, Urteil vom 26.11.2020 - B14 AS 56/19 R, juris Rn. 10; BSG, Beschluss vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 8/14 B, juris, Rn. 17 m.w.N.; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 158 Rn. 8 m.w.N.).

Einer Entscheidung durch Beschluss steht nicht entgegen, dass der Kläger nicht an der mündlichen Verhandlung vor dem SG teilgenommen hat. Denn eine solche wurde durchgeführt, zu ihr wurde er mit der nachweislich zugestellten Terminbestimmung geladen und sein persönliches Erscheinen angeordnet und zugleich darauf hingewiesen, dass auch in seiner Abwesenheit entschieden werden kann. Damit ist das
durch Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) geschützte prozessualen Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung
gewahrt, weil er die Möglichkeit (und aufgrund der Anordnung seines persönlichen Erscheinens auch die Pflicht) hatte, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Dass der Kläger von dieser Möglichkeit tatsächlich keinen Gebrauch gemacht hat, liegt allein in seinem Verantwortungsbereich und führt dazu, dass er sich auf eine Verletzung seines Rechtes auf rechtliches Gehör nicht berufen kann. Daher sind seine prozessualen Rechte auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht verletzt, wenn das Rechtsmittelgericht nach entsprechender Anhörung die Berufung mangels Erreichens des Beschwerdewertes ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter (§ 33 Abs. 1 Satz 2 SGG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) gemäß § 158 Satz 2 SGG durch Beschluss verwirft.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Heilbronn vom 10.05.2023 ist nicht statthaft und damit unzulässig. Denn die Berufung hätte der Zulassung bedurft, ist aber weder vom SG in der angefochtenen Entscheidung noch vom LSG durch entsprechenden Beschluss zugelassen worden.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € nicht übersteigt, es sei denn, die Berufung betrifft wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Der Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt sich nach dem Umfang, in dem das SG dem Begehren des Rechtsmittelführers nicht gefolgt ist und was davon mit den Berufungsanträgen weiterverfolgt wird (BSG, Urteil vom 06.09.2017 - B 13 R 20/14 R, juris Rn. 22).

Der Kläger begehrt im Klage- und Berufungsverfahren die Aufhebung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 28.09.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.11.2020, mit dem der Beklagte zuvor bewilligte SGB-II-Leistungen für Juni und Juli 2020 in Höhe von insgesamt 116,74 € aufgehoben und zur Erstattung verlangt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes i.H.v. insgesamt 116,74 € erreicht demnach nicht die Berufungssumme von mehr als 750 €.

Die danach erforderliche Zulassung der Berufung liegt nicht vor. Eine Entscheidung über die Berufungszulassung hat das SG im angefochtenen Urteil vom 10.05.2023 nicht getroffen.

Schließlich kann das Rechtsmittel des Klägers auch nicht als Nichtzulassungsbeschwerde ausgelegt oder in eine solche umgedeutet werden. Der Kläger hat – trotz zutreffender Rechtsmittelbelehrung des SG, dass die Berufung der Zulassung bedarf und gegen die Nichtzulassung (allein) die Beschwerde statthaft ist - mit Schriftsatz vom 16.05.2023 ausdrücklich „Berufung“ gegen das Urteil des SG eingelegt. Darüber hinaus hat er auch im Rahmen der Rechtsmittelbegründung inhaltlich keinen Bezug zu den Zulassungsgründen des § 144 Abs. 2 SGG hergestellt. Von daher bestand bei der gebotenen Auslegung der Prozesserklärung unter Berücksichtigung der Begleitumstände (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) für das Gericht als Erklärungsempfänger kein Anlass für Zweifel daran, dass entsprechend dem Wortlaut des Schriftsatzes das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden sollte. Eine Umdeutung der eingelegten Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde (§ 145 SGG) kommt schon wegen der unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Rechtsmittel nicht in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 20.05.2003 - B 1 KR 25/01 R, juris Rn. 20; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 151 Rn. 11a m.w.N.).

Es ist auch nicht erkennbar, dass der Kläger im Sinne des § 67 Abs. 1 SGG ohne Verschulden verhindert gewesen ist, die erforderliche Erklärung rechtzeitig vorzulegen, sodass ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Das SG hat den Kläger in der der Entscheidung beigefügten Rechtsmittelbelehrung zutreffend darüber belehrt, dass die
Nichtzulassung der Berufung mit der Beschwerde angefochten werden kann und die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim LSG einzureichen ist (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 19.07.2023 - B 2 U 6/23 BH, juris Rn. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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