L 10 R 1649/19

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 3681/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1649/19
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 29.04.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die (Weiter-)Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.08.2016 hinaus.

Der 1988 geborene Kläger war zuletzt vom 01.04.2007 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit im Herbst 2009 als Auszubildender zum Orthopädiemechaniker/Bandagist bei der Fa. W in Heilbronn tätig. Das Ausbildungsverhältnis wurde ausweislich der Arbeitgebermitteilung vom 26.04.2012 Mitte Dezember 2009 auf Kündigung des Klägers beendet. Eine berufliche Tätigkeit nahm er nicht mehr auf. Die Beklagte gewährte ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung (aus Arbeitsmarktgründen bei medizinisch teilweiser Erwerbsminderung) für die Zeit vom 01.08.2013 befristet bis zum 31.08.2016 (Rentenbescheide vom 21.05.2013, 13.01.2014 und 13.05.2016). Seit Oktober 2019 bezieht der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (vgl. Bl. 63, 81 Rs. Senats-Akte).

Den Antrag des Klägers auf Weitergewährung seiner Rente über den 31.08.2016 hinaus lehnte die Beklagte nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen und Einholung des Gutachtens des B vom 15.07.2016 (Untersuchung am 13.07.2016; Diagnosen: Panikstörung mit zusätzlicher agoraphobischer Färbung ohne richtungsweisendes Vermeidungsverhalten und ohne psychotherapeutische Behandlung, dysthyme Entwicklung mit erhaltener inhaltlicher Auslenkbarkeit und überlagernder regressiver Verhaltensattitüde, kombinierte Persönlichkeitsstörung bei niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau und testpsychologischen Hinweisen auf eine von jeher vorbestehende leichte Lernbehinderung sowie mit Neigung zu psychosomatisch gefärbtem Spannungskopfschmerz, Zustand nach Wadenbeinbruch rechts im Januar 2016; Leistungsvermögen: mittelschwere Arbeiten vollschichtig ohne Tätigkeiten auf Leitern/Gerüsten bzw. an unmittelbar gefährdenden Maschinen, keine Tätigkeiten unter Zeitdruck bzw. in regelmäßig nervöser Anspannung, keine Tätigkeiten mit Anforderungen an die Konfliktfähigkeit bzw. mit fordernden sozialen Interaktionen oder Stressfaktoren wie Nacht- und Wechselschicht) mit Bescheid vom 01.08.2016 ab, da auf der Grundlage des Gutachtens keine Erwerbsminderung (mehr) vorliege. Während des anschließenden Widerspruchsverfahrens befand sich der Kläger von Ende August bis Anfang Oktober 2016 in stationärer Behandlung im Psychiatrischen Zentrum N in W, aus der er ausweislich des (vorläufigen) ärztlichen Entlassungsberichts in ausreichend stabilisiertem Zustand entlassen wurde. Nach sozialmedizinischer Auswertung des Berichts wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2016 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 22.11.2016 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben, mit der er sein Begehren auf Weitergewährung von Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.08.2016 hinaus weiterverfolgt hat. Im Wesentlichen hat er zur Begründung geltend gemacht, dass sich sein psychischer Gesundheitszustand nicht gebessert habe und dass die Ärzte in W eine depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode diagnostiziert hätten.

Das SG hat den endgültigen Entlassungsbericht vom 26.09.2016 aus W beigezogen (Bl. 29 ff. SG-Akte) und die Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der M hat (u.a.) bekundet, den Kläger seit Ende Januar 2013 nicht mehr behandelt zu haben. Der K (Auskunft vom 08.02.2017) hat die Diagnosen einer rezidivierend depressiven Störung - gegenwärtig schwere Episode - ohne psychotische Symptome, eine soziale Phobie und eine kombinierte Persönlichkeitsstörung genannt und gemeint, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, mehr als drei Stunden täglich einer Arbeit nachzugehen. „Je nach seinen Ängsten vor Menschenmengen und öffentlichen Plätzen“ werde zudem das Zurücklegen einer Wegstrecke von 500 Metern zu Fuß sehr erschwert sein.

Sodan hat das SG von Amts wegen das Sachverständigengutachten des L des ZfP N.) vom 28.07.2017 eingeholt, der den Kläger Ende Mai 2017 untersucht hat. Der Sachverständige hat auf der Grundlage des von ihm erhobenen klinischen Befunds (s. dazu im Einzelnen Bl. 71 f. SG-Akte, namentlich: freundlich zugewandt und kooperativ; wach, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten gut orientiert; Konzentration und Aufmerksamkeit nur leichtgradig reduziert; Auffassungsvermögen nicht eingeschränkt; ungestörtes Lang- und Kurzzeitgedächtnis; formales Denken geordnet; keine eindeutigen Wahnsymptome im inhaltlichen Denken, allenfalls ein überwertig wirkendes Beobachtungserleben; keine Hinweise auf Wahrnehmungsstörungen/Halluzinationen; keine Ich-Störungen; Grundstimmung nur leicht gedrückt bei eingeschränkter affektiver Schwingungsfähigkeit; entgegen der anamnestischen Angaben keine beobachtbaren Angstzustände; Antrieb zwar vermindert, aber psychomotorisch nur leichtgradig unruhig) und der ihm vom Kläger geschilderten Alltagsaktivitäten (s. dazu Bl. 66, 69 f., 79 SG-Akte, namentlich: alleinerziehender Vater eines vier Jahre alten Sohnes bei alleinigem Sorgerecht; bringt das Kind zu Fuß in den Kindergarten; badet es alle zwei Tage; erledigt den Haushalt und räumt auf; hilft seinen Eltern im Garten; schaut fern; Freibadbesuche mit seinem Sohn, auch dorthin zu Fuß; Urlaub in Italien; Kontakt zu zwei neuen Freunden) eine rezidivierende depressive Störung - gegenwärtig leichte depressive Episode -, eine Agoraphobie mit Panikstörung in leichtgradiger Ausprägung sowie eine ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien dem Kläger sechs Stunden und mehr täglich möglich, wobei qualitative Einschränkungen zu berücksichtigen seien (keine Arbeiten mit Kundenkontakt, keine Tätigkeiten mit ständig wechselnden Anforderungen, keine Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an eine selbstständige Problemlösekompetenz, keine Tätigkeiten unter Zeitdruck bzw. in Nacht- oder Wechselschicht). Dem stehe auch der unterdurchschnittliche IQ von 79, der für sich gesehen keinen Krankheitswert habe, nicht entgegen. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liege nicht vor. Mit B stimme er lediglich in diagnostischer Hinsicht nicht überein, weil eine rezidivierende depressive Störung auch ohne depressive Episode (wie zum Zeitpunkt der Begutachtung durch B) vorliegen könne. Soweit K und die Ärzte in W von einer schweren depressiven Episode ausgegangen seien, spreche dagegen, dass der Kläger wegen des Urlaubs seiner Eltern zwecks Betreuung seines Sohnes um eine vorzeitige Entlassung gebeten habe, dass er seit einigen Monaten eine neue Partnerschaft pflege und dass er in der Lage gewesen sei, Urlaub in Italien zu machen. Auch seine Alltagsaktivitäten sprächen gegen eine schwergradige depressive Symptomatik. Ohnehin sei er aus W in einem stabilisierten Zustand entlassen worden.

Von Mitte August bis Mitte Oktober 2017 ist der Kläger erneut in W stationär behandelt und in teilremittiertem Zustand auf eigenen Wunsch (um sich zu Hause um seinen Sohn zu kümmern) vorzeitig entlassen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Entlassungsbericht vom 18.10.2017 Bezug genommen (Bl. 95 ff. SG-Akte).

Sodann hat das SG auf Antrag des Klägers nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) das Sachverständigengutachten des Arztes für W1 vom 13.11.2017 (Untersuchungstag: 13.11.2017) eingeholt. Dieser hat folgende Diagnosen genannt: rezidivierende depressive Störung, aktuell mittelgradig, ohne psychotische Symptome; vordiagnostizierte Panik- und kombinierte Persönlichkeitsstörung; nebenbefundlich: sensible Störung am rechten Unterkiefer nach kieferchirurgischer Behandlung, Sulcus ulnaris-Syndrom und Adipositas. Der Kläger sei wohl in der Lage, wenige Stunden unter qualitativen Einschränkungen (keine Arbeiten unter Zeitdruck, namentlich keine Fließband- oder Akkordarbeiten) beruflich tätig zu sein. Eine berufliche Ausbildung zu einem Qualitätskontrollberuf sei sinnvoll und im Hinblick auf seine Leistungsfähigkeit und Lebensplanung auch zu befürworten. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht, sodass der Kläger auch insoweit eine berufliche Ausbildung beginnen könne. Allerdings nehme ihn die Betreuung seines Sohnes sehr in Anspruch. Bei der schwierigen aktuellen Situation „von ethischer Relevanz“ (alleinerziehend, wenn auch unter Zuhilfenahme der Eltern) werde eine etwa zweijährige Zeitrente für angemessen erachtet.

In ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme für die Beklagte von Dezember 2017 (Bl. 141 f. SG-Akte) hat die D) ausgeführt, dass die Leistungsbeurteilung des Sachverständigen L überzeuge und die des Gutachters B bestätigt habe. Aus dem Entlassungsbericht aus W von Oktober 2017 lasse sich keine (überdauernde) zeitliche Leistungseinschränkung ableiten, weil der Kläger wiederum bei Verbesserung seiner Symptomatik entlassen worden sei und im Übrigen über eine ausreichende Antrieb- und Gestaltungskompetenz verfügt habe. Der Einschätzung des Sachverständigen W1 könne bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil er keinen entsprechenden klinischen Befund erhoben, sondern im Wesentlichen die subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers zu Grunde gelegt habe, ohne eine Konsistenz- und Plausibilitätsüberprüfung durchzuführen. Unabhängig davon beruhe seine Leistungsbeurteilung maßgeblich auf sozialen Erwägungen und auf der Motivation und Lebensplanung des Klägers, was eine medizinische Erwerbsminderung nicht begründe.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19.03.2018 (Bl. 145 f. SG-Akte) ist W1 bei seiner Einschätzung verblieben und hat gemeint, dass die soziale Situation des Klägers mit den familiären Verpflichtungen zu beachten sei. Im Anschluss daran hat D (sozialmedizinische Stellungnahme von Mai 2018, Bl. 150 SG-Akte) ihre Einwände bekräftigt und darauf hingewiesen, dass W1 ausweislich seines Gutachtens den Kläger sogar für in der Lage erachtet habe, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.

Mit Urteil vom 29.04.2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger unter Beachtung qualitativer Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne, sodass keine Erwerbsminderung vorliege. Dabei hat es sich namentlich auf das Sachverständigengutachten des L gestützt und dargelegt, dass und warum der abweichenden Einschätzung des Sachverständigen W1 ebenso wenig gefolgt werden könne wie der des K.

Gegen das - seinen Prozessbevollmächtigten am 14.05.2019 zugestellte - Urteil hat der Kläger am 16.05.2019 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass er auch aus seiner stationären Behandlung in W vom 09.05. bis 26.06.2019 (Hinweis auf den ärztlichen Entlassungsbericht vom 27.06.2019, s. Bl. 43 ff. Senats-Akte) wiederum als arbeitsunfähig entlassen worden sei, was eine rentenrelevante zeitliche Leistungseinschränkung dokumentiere. Außerdem hätte W1 vom SG persönlich in der mündlichen Verhandlung angehört werden müssen.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom
29.04.2019 sowie den Bescheid vom 01.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.09.2016 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Zu dem Entlassungsbericht vom 27.06.2019 hat sich für die Beklagte erneut D geäußert (sozialmedizinische Stellungnahme von Februar 2020, Bl. 49 f. Senats-Akte) und u.a. darauf hingewiesen, dass die Ärzte in W Aggravationstendenzen bei Rentenbegehren beschrieben hätten und dass der Kläger erneut in einem deutlich gebesserten Zustand habe entlassen werden können. Eine zeitlich überdauernde quantitative Leistungsminderung lasse sich aus dem Bericht nicht herleiten.

Während des Rechtsmittelverfahrens hat der Kläger bei der Beklagten am 10.11.2020 einen Formrentenantrag eingereicht (s. Bl. 55 ff. Senats-Akte) - den die Beklagte als Sachvorbringen im laufenden Rechtsstreit behandelt hat (s. Bl. 54 Senats-Akte) - und bei ihr zugleich die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme beantragt (vgl. Bl. 76 Senats-Akte und Bl. 3/58 der Reha-VerwA = Anlagenband zu Bl.74/77 Senats-Akte), die die Beklagte mit Bescheid vom 23.11.2020 abgelehnt hat.

Im Anschluss an den im Reha-Verfahren beigezogenen Befundbericht des K vom 28.10.2020 - worauf hier Bezug genommen wird (Bl. 7/16 Reha-VerwA) - hat der Senat K schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört. Dieser hat u.a. bekundet, dass der Gesundheitszustand des Klägers seit seiner (K) Auskunft gegenüber dem SG im Wesentlichen gleichgeblieben sei (Bl. 95 Senats-Akte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

 


II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 SGG zulässige Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom
01.08.2016 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 14.11.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen über den 31.08.2016 hinaus - wobei die sachlich-rechtliche Beurteilung des Senats die Zeit bis zum Beschlusstag umfasst, sodass es auf den erneuten (Form-)Rentenantrag des Klägers vom 10.11.2020, über den die Beklagte ohnehin nicht entschieden hat (s.o.), nicht weiter ankommt - weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Ihm steht daher für die Zeit ab dem 01.09.2016 keine Rente wegen Erwerbsminderung zu.

Das SG hat die rechtlichen Grundlagen des geltend gemachten Anspruchs auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) zutreffend dargelegt und namentlich gestützt auf das Sachverständigengutachten des L mit zutreffender Begründung ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er trotz der bei ihm bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen noch in der Lage ist, jedenfalls leichte Tätigkeiten bei Berücksichtigung der vom Sachverständigen aufgeführten qualitativen Einschränkungen zumindest sechs Stunden täglich zu verrichten, und mit diesem Leistungsvermögen weder volle noch teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Ebenso zutreffend hat es dargelegt, dass und warum der entgegenstehenden Einschätzung des Sachverständigen W1 und des K nicht gefolgt werden kann. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung, ebenso wenig wie das Ergebnis der vom Senat durchgeführten weiteren medizinischen Sachaufklärung.


Der Kläger ist in seiner beruflichen Leistungsfähigkeit im Wesentlichen durch Beschwerden von Seiten des psychiatrischen Fachgebiets eingeschränkt. Insoweit leidet er an den vom Sachverständigen L in dessen Gutachten vom 28.07.2017 beschriebenen Gesundheitsstörungen - diesbezüglich wird zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die obige Darstellung im Tatbestand Bezug genommen -, die indes lediglich zu den vom Sachverständigen im Einzelnen aufgeführten qualitativen Einschränkungen (s. auch dazu oben im Tatbestand), nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungsminderung führen. Soweit B, dessen Gutachten vom 15.07.2016 im Wege des Urkundsbeweises verwertbar ist, diese Gesundheitsstörungen teilweise abweichend bezeichnet und bei seiner Untersuchung des Klägers namentlich keine über eine dysthyme Entwicklung hinausgehende rezidivierende depressive Störung zu diagnostizieren vermocht hat, bedarf es - darauf hat auch L hingewiesen - keiner weiteren Diskussion oder Abgrenzung, denn im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung kommt es nicht entscheidend auf eine bestimmte Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH, zitiert - wie alle nachfolgenden höchstrichterlichen Entscheidungen - nach juris), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen, sodass auch die Ursachen der Gesundheitsstörung nicht maßgeblich sind (BSG, a.a.O.). Derartige Funktionsstörungen anhand objektiv-klinischer Befunde, die geeignet wären, eine rentenrechtlich relevante zeitliche Leistungseinschränkung zu begründen, haben indes weder der Sachverständige L noch zuvor B zu erheben vermocht und L hat die Leistungsbeurteilung des B auch ausdrücklich bestätigt. Dies ist für den Senat auf der Grundlage des von L erhobenen klinischen Befunds und der ihm gegenüber vom Kläger geschilderten noch möglichen Alltagsaktivitäten (insoweit wird auf die Darstellung oben im Tatbestand verwiesen) in jeder Hinsicht überzeugend.

Soweit die Ärzte in W in ihren Entlassungsberichten vom 26.09.2016 (betreffend den stationären Aufenthalt des Klägers vom 26.08. bis 04.10.2016), vom 18.10.2017 (betreffend den stationären Aufenthalt des Klägers vom 16.08. bis 18.10.2017) und vom 27.06.2019 (betreffend den stationären Aufenthalt des Klägers vom 09.05. bis 26.06.2019) jeweils von einer gegenwärtig schweren depressiven Episode (anders als L in seinem Gutachten: gegenwärtig leichte Episode, und B in seinem Gutachten zuvor: lediglich dysthyme Verstimmung, s.o.) ohne psychotische Symptome ausgegangen sind, haben sowohl der Sachverständige L (s. oben im Tatbestand und Bl. 83 f. SG-Akte) als auch D (deren sozialmedizinische Stellungnahmen von Dezember 2017, Bl. 141 f. SG-Akte, und Februar 2020, Bl. 49 f. Senats-Akte, als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar sind) im Einzelnen schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass und warum aus den Entlassungsberichten jedenfalls keine überdauernden (vgl. dazu § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 SGB VI: „auf nicht absehbare Zeit“) Funktionsstörungen mit Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen abgeleitet werden können, nachdem der Kläger insbesondere jeweils aus den Behandlungen in gebessertem Zustand entlassen worden ist. Der Senat nimmt darauf Bezug, macht sich die entsprechenden Ausführungen zu eigen und weist darauf hin, dass auch der Sachverständige W1 eingeräumt hat, dass es im Zuge der Behandlung in W zu einer Teilremission gekommen ist (s. Bl. 131 SG-Akte). Zudem hat D in ihrer Stellungnahme von Februar 2020 zutreffend darauf aufmerksam gemacht, dass die Ärzte in W in ihrem Entlassungsbericht vom 27.06.2019 auch Aggravationstendenzen des Klägers bei Rentenbegehren beschrieben haben, und bereits B hat in seinem Gutachten ein auffälliges Missverhältnis zwischen den geklagten (rentenbegründenden, so der Gutachter) Beschwerden und dem objektivierbaren klinischen Befund dokumentiert (s. S. 24, 26 seines Gutachtens).

Das Sachverständigengutachten nebst ergänzender Stellungnahme des W1 rechtfertigt schon deshalb keine andere Bewertung, weil er bereits keinen objektiv-klinischen Befund mitgeteilt hat, aus dem sich höhergradige - oder auch nur mittelgradige - funktionelle Einschränkungen ableiten lassen. Er hat im Wesentlichen allein die subjektiven Beschwerdeangaben des Klägers wiedergegeben (s. Bl. 131 SG-Akte), ohne diese kritisch zu hinterfragen - insbesondere hinsichtlich der ihm vom Kläger geschilderten Alltagsaktivitäten (namentlich umfangreiche Versorgung und Betreuung des Sohnes, Erledigen des Haushalts, vgl. Bl. 127 f. SG-Akte) - und zu validieren, wozu indes im Hinblick auf die bereits von B geschilderten Inkonsistenzen in den Beschwerdeschilderungen Anlass bestanden hat. Auf all das hat D (Stellungnahmen von Dezember 2017 und März 2018) zutreffend hingewiesen und dagegen ist aus Sicht des Senats nichts zu erinnern.

Ohnehin vermag die Leistungseinschätzung des W1 schon deshalb nicht zu überzeugen, weil sie nicht nachvollziehbar ist (auch dies hat D, a.a.O., zutreffend dargelegt), nachdem der Sachverständige den Kläger in der Lage erachtet hat, eine berufliche Ausbildung zu beginnen und zu absolvieren. Soweit W1 dies zu relativieren versucht und gemeint hat, bei der Leistungsbeurteilung seien auch (aus „ethischen“ Gründen) die Lebensplanung, Motivation und die soziale Situation des Klägers in Ansehung seiner familiären Verpflichtungen (als alleinerziehender Vater) zu berücksichtigen, ist bereits oben dargelegt worden, worauf es bei der Prüfung von Erwerbsminderung im Rechtssinne ankommt, nämlich auf die durch dauerhafte Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Derartige Funktionsdefizite auf der Grundlage objektiv-klinischer Befunde, die Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen haben könnten, hat W1 indes gerade nicht beschrieben.

Unter Zugrundelegung all dessen vermag schließlich auch die Leistungseinschätzung des K (in seiner Auskunft gegenüber dem SG) nicht zu überzeugen. Sie ist durch das Sachverständigengutachten des L widerlegt - der sich explizit auch mit der Einschätzung des K auseinandergesetzt hat (s. Bl. 83 f. SG-Akte) - und dessen Leistungsbeurteilung ist auch weiterhin zu Grunde zu legen, nachdem - wie schon dargelegt - die nachfolgenden Entlassungsberichte der Ärzte in W keine andere Bewertung rechtfertigen und K bestätigt hat (in seiner Auskunft gegenüber dem Senat), dass beim Kläger seit Februar 2017 keine wesentliche Verschlimmerung im Gesundheitszustand eingetreten ist. Auch W1 ist im Übrigen davon nicht ausgegangen, sondern hat im Gegenteil - wie auch L (vgl. nur Bl. 83 f. SG-Akte) - eine Besserung (Teilremission, s.o.) beschrieben.

Sonstige Gesundheitsstörungen mit Auswirkung auf das zeitliche Leistungsvermögen liegen nicht vor. Namentlich die von W1 beschriebene Sensibilitätsstörung im Bereich des rechten Unterkiefers nach einer akuten Kieferbehandlung sowie das von ihm diagnostizierte Sulcus ulnaris-Syndrom links bedingen keine zusätzlichen Leistungseinschränkungen, was dem Gutachten des Sachverständigen zu entnehmen ist (s. Bl. 138 SG-Akte).

Unter Zugrundelegung all dessen hat auch der Senat keine Zweifel daran, dass der Kläger im Zeitraum ab dem 01.09.2016 noch in der Lage gewesen und es auch weiterhin ist, jedenfalls leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, sodass keine Erwerbsminderung vorliegt (§ 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI). Dabei ist es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist vorliegend nicht erforderlich (vgl. BSG, Urteil vom 14.09.1995, 5 RJ 50/94, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, a.a.O.; Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG, a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 11.12.2019, B 13 R 7/18 R). Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Abschließend stellt der Senat noch fest, dass beim Kläger auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung seiner Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG, Urteil vom 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, m.w.N.) vorliegt. Weder B, noch L und auch nicht W1 haben entsprechende Einschränkungen des Klägers für die Wege von und zu einer Arbeits-/Ausbildungsstelle angenommen, sondern im Gegenteil die sozialrechtliche Wegefähigkeit ausdrücklich bejaht (s. Bl. 82, 137 SG-Akte, vgl. S. 24 des Gutachtens des B). Damit ist die entgegenstehende (unspezifische) Annahme des K (in seiner Auskunft gegenüber dem SG), dem Kläger sei wegen seinen Ängsten vor Menschenmengen und öffentlichen Plätzen das Zurücklegen einer Wegstrecke von 500 Metern zu Fuß sehr erschwert, auch insoweit widerlegt; sie ist ohnehin nicht befundgestützt gewesen.

Soweit der Kläger schließlich noch gemeint hat, sein Gesundheitszustand habe sich seit der seinerzeitigen Rentengewährung nicht gebessert, kommt es darauf vorliegend nicht entscheidungserheblich an. Denn bei einem Antrag, eine befristet bewilligte Rente wegen Erwerbsminderung weiterzuzahlen, bedarf es keines Nachweises (durch die Beklagte), dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen i.S.d. § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gegenüber denen, die der (seinerzeitigen) Bewilligung zu Grunde lagen, eingetreten ist. Denn die Entscheidung, ob dem Versicherten nach Ablauf des Bewilligungszeitraums (weiterhin) eine Rente wegen Erwerbsminderung zusteht, ist nicht bloß die Verlängerung einer früher bereits dem Grunde nach anerkannten Sozialleistung - insbesondere auch nicht die bloße Fortschreibung einer einmal anerkannten Erwerbsminderung -, sondern stellt eine eigenständige und inhaltlich vollständige erneute Bewilligung der beantragten Rente dar (s. nur Senatsurteil vom 14.11.2019, L 10 R 3973/16, m.w.N., auch zur Rspr. des BSG). Auch kommt es für die Frage einer (fortbestehenden) Erwerbsminderung nicht darauf an, ob wegen Krankheit oder Behinderung weiter Behandlungsbedürftigkeit oder - auch häufige - Arbeitsunfähigkeit besteht (BSG, Beschluss vom 31.10.2002, B 13 R 107/12 B). Denn Maßstab für eine rentenrelevante Leistungseinschränkung ist - wie bereits oben dargelegt - die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017, B 13 R 37/16 BH), also die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen. Derartige Funktionsstörungen, die ein Ausmaß erreichen, dass zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung qualitativer Einschränkungen dem Kläger nicht mehr mindestens sechs Stunden täglich möglich sind, liegen indes - wie ebenfalls bereits oben ausgeführt - nicht vor.

Der medizinische Sachverhalt ist geklärt, sodass sich der Senat nicht gedrängt gesehen hat, noch weiter medizinisch zu ermitteln. Namentlich das Sachverständigengutachten des L bzw. das Gutachten des B sowie die sozialmedizinischen Stellungnahmen der D haben den Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt.

Soweit der Unterbevollmächtigte der Prozessbevollmächtigten des Klägers (erstmals im Rechtsmittelverfahren) noch beantragt hatte, den Sachverständigen W1 zwecks „Konkretisierung seiner Ausführungen“ persönlich in einem Termin anzuhören (s. Bl. 83 Senats-Akte), hat die Klägerseite dies zuletzt nicht mehr aufrechterhalten (vgl. dazu Verfügung Bl. 96 Senats-Akte), sodass der Senat darüber nicht zu entscheiden hat. Der Senat hätte den Antrag auch wegen Verspätung abgelehnt, da ein entsprechendes Begehren rechtzeitig, d.h. vorliegend spätestens unverzüglich nach Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem SG, angebracht werden muss (s. dazu nur BSG, Beschluss vom 21.10.2021, B 5 R 148/21 B). Ohnehin ist W1 zum einen bereits ergänzend zu seinem Gutachten gehört worden (s. seine ergänzende Stellungnahme vom 19.03.2018, Bl. 145 f. SG-Akte), zum anderen hat der Senat im Rahmen der Beweiswürdigung zu beantworten, ob die Ausführungen des Sachverständigen überzeugend sind. Dies hat der Senat getan (s.o.) und hierbei Unklarheiten in den Ausführungen des W1, die zu (weiteren) Rückfragen Anlass gegeben hätten, nicht festgestellt. Nur am Rande merkt der Senat an, dass es sich namentlich bei der Annahme des Sachverständigen, im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung müssten auch „
ethische“ Aspekte berücksichtigt werden, schon um keine Frage handelt, die zuvörderst medizinisch zu beantworten ist, sondern um eine rechtliche Bewertung, die der Senat entsprechend vorgenommen hat (s.o.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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