L 5 KR 1586/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 6256/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1586/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.04.2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000 € festgesetzt.



Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Aufhebung des von der Beklagten mitgeteilten Auswertungsergebnisses zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche des Krankenhauses der Klägerin nach § 3 der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) zur Festlegung von Personaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäusern – Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung – in der hier maßgeblichen Fassung vom 28.10.2019 (PpUGV) für das Jahr 2020.

Als Grundlage der Berechnungen für die Identifikation der pflegesensitiven Krankenhausbereiche dienen nach § 3 Abs. 1 PpUGV die vom Krankenhaus übermittelten Datensätze gem. § 21 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgGG) des jeweiligen Vorjahres. Gem. § 5 Abs. 1 PpUGV hat die Beklagte das Auswertungsergebnis zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche nach § 3 PpUGV dem jeweiligen Krankenhaus jährlich bis zum 15.11. mitzuteilen. Einwände gegen die Ermittlungen kann ein Krankenhaus nach § 5 Abs. 2 PpUGV jährlich bis zum 30.11. mitteilen. § 5 Abs. 3 PpUGV statuiert Mitteilungspflichten des Krankenhauses für die ermittelten pflegesensitiven Bereiche jährlich bis zum 20.12. Sind nach Absatz 3 mitzuteilende Fachabteilungen oder Stationen oder sind pflegesensitive Bereiche, die die Beklagte nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 ermittelt hat, ersatzlos weggefallen, hat das Krankenhaus dies nach Absatz 4 jährlich bis zum 15.12., erstmals bis zum 15.12.2019, gegenüber der Beklagten anzugeben. Das Krankenhaus hat für sämtliche nach Abs. 3 mitzuteilenden Fachabteilungen oder Stationen Nachfolgeeinheiten zu benennen, wenn gegenüber dem Vorjahr Umbenennungen erfolgt sind oder strukturelle Veränderungen stattgefunden haben, auf Grund derer die betroffenen Leistungen unter Auflösung der früheren Fachabteilungen oder Stationen in anderen Versorgungseinheiten des Krankenhauses erbracht werden.

Die Beklagte teilte der Klägerin, die ein nach § 108 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zugelassenes Krankenhaus betreibt, mit Schreiben vom 12.11.2019 das Auswertungsergebnis ihrer Ermittlungen auf Grundlage der von der Klägerin gemeldeten Daten für das Jahr 2018 mit. Danach wurde für das Jahr 2020 im Bereich Kardiologie u.a. die Fachabteilung Nephrologie als pflegesensitiver Bereich eingestuft. Gleichzeitig wies die Beklagte darauf hin, dass bis zum 20.12.2019 gem. § 5 Abs. 3 PpUGV von der Klägerin die Informationen zu sämtlichen Stationen in deren pflegesensitiven Krankenhausbereichen zu übermitteln seien. Seien im Vergleich zum Datenjahr 2018 Umbenennungen oder strukturelle Veränderungen erfolgt, seien diese gem. § 5 Abs. 4 PpUGV bereits bis zum 15.12.2019 mitzuteilen. Einwände gegen das ermittelte Auswertungsergebnis könnten bis 30.11.2019 erhoben werden. Widerspruch und Klage gegen Maßnahmen zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche in den Krankenhäusern hätten nach § 137i Abs. 4c SGB V keine aufschiebende Wirkung.

Mit Schreiben vom 27.11.2019 erhob die Klägerin „Widerspruch“ gegen die Einschätzung der Fachabteilung Nephrologie als pflegesensitiven Bereich auf Basis der kardiologischen Filter-DRGs. Die Fachabteilung sei benannt als Abteilung „Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie“. Die Diagnose- und Therapiebereiche überlappten sich teils zwischen den Fachabteilungen Kardiologie und Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie. Zudem habe sich in Folge von Fallumschichtungen im Bereich des Zentrums für Innere Medizin und infolge eines allgemeinen Fallzahlenrückgangs in der Fachabteilung Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie die Anzahl der Belegungstage im Bereich der kardiologischen Filter-DRGs reduziert. Im Schreiben vom 13.12.2019 führte die Klägerin ergänzend aus, dass zum 01.01.2019 auch hinsichtlich der Zuordnung des Notaufnahmezentrums eine organisatorische Änderung erfolgt sei. Dieses sei jetzt ein eigenes Zentrum bzw. eine eigene abgegrenzte Fachabteilung mit eigener ärztlicher und pflegerischer Leitung. Dies begründe den Rückgang der Kardiologie-Filter-DRG-Fälle und der entsprechenden Belegungstage im Bereich der Fachabteilung Nephrologie in 2019. Deshalb bitte sie, die Fachabteilung aufgrund der organisatorischen Änderungen und der entsprechenden Kennzahlen in 2019 nicht als pflegesensitiv bzgl. der kardiologischen Filter-DRGs zu bewerten.

Die Beklagte teilte der Klägerin im Schreiben vom 13.12.2019 mit, dass in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den vorgebrachten Einwänden nicht gefolgt werde. Die Festlegung des pflegesensitiven Bereichs Kardiologie für die Fachabteilungen „Innere Medizin" (0100) und „Nephrologie" (0400) gem. § 3 Abs. 2 Nr. 3 PpUGV in Verbindung mit § 3 Abs. 4 S. 2 PpUGV bleibe unverändert bestehen. Die Ermittlung eines pflegesensitiven Bereichs erfolge auf Basis der Daten gem. § 21 KHEntgGG für das Jahr 2018. Entscheidend sei hierfür, dass das Erreichen der in der Rechtsverordnung genannten Grenze an Belegungstagen anhand der entsprechenden Indikatoren-DRGs konkret auf das Vorhandensein einer Versorgung im jeweiligen pflegesensitiven Bereich hinweise. Dieser Tatsache stehe nicht entgegen, dass in Folgejahren ggf. eine geringere Anzahl von Belegungstagen in den jeweiligen Indikatoren-DRGs in den Datensätzen gem. § 21 KHEntgGG dokumentiert werde.

Die Klägerin hat am 23.12.2019 Klage mit dem Antrag, den Bescheid vom 12.11.2019 aufzuheben, zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zunächst hat der Klägerbevollmächtigte vorgetragen, die Anfechtungsklage sei zulässig, da die Aufhebung eines Verwaltungsaktes begehrt werde. Beim Schreiben vom 12.11.2019 handle es sich um einen Verwaltungsakt. Die Beklagte sei als gesetzlich Beliehene auch befugt, Verwaltungsakte zu erlassen. Sie werde als Behörde tätig. Darauf weise auch die Regelung in § 137i Abs. 4c SGB V hin, wonach Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung hätten. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergebe sich nichts Anderes. Später hat der Klägerbevollmächtigte unter Berufung auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen (vom 17.04.2019 - 13 B 1431/18 -, in juris) vorgetragen, die Beklagte sei keine Behörde und nicht befugt, per Verwaltungsakt zu entscheiden. Der Verwaltungsakt sei nichtig. Jedenfalls aber könne die Klägerin auch begehren, den Rechtsschein eines Verwaltungsaktes durch gerichtliche Entscheidung zu beseitigen. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, die Festlegung der pflegesensitiven Bereiche und damit einhergehend der Pflegepersonaluntergrenzen durch die Beklagte sei nicht korrekt erfolgt. Das Schreiben der Beklagten leide an erheblichen Mängeln. Die Beklagte habe für die Klägerin pflegesensitive Bereiche für die Fachabteilungen „Innere Medizin" (Fachabteilungsschlüssel 0100) und „Nephrologie" (Fachabteilungsschlüssel 0400) auf Grundlage von § 3 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 3 Abs. 4 S. 2 PpUGV festgelegt. Nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 PpUGV verfüge ein Krankenhaus über einen pflegesensitiven Bereich, wenn in den nach § 21 KHEntgGG übermittelten Daten des Vorjahres die Anzahl an Belegungstagen in den jeweiligen Indikatoren-DRGs der Geriatrie, der Unfallchirurgie, der Kardiologie, der Neurologie oder der Herzchirurgie jeweils mindestens 5.000 betrage. Nach Abs. 4 S. 2 umfasse ein pflegesensitiver Bereich nach Abs. 2 Nr. 3 sämtliche Fachabteilungen, deren Anzahl an Belegungstagen in den jeweiligen Indikatoren-DRGs in den nach § 21 KHEntgGG übermittelten Daten des Vorjahres mindestens 3.000 betrage, jeweils mit ihren Stationen für jeden Standort des Krankenhauses gesondert. Zwar seien die Ermittlungen der Beklagten unter Berücksichtigung der Datenlage für das Jahr 2018 formell richtig. Es habe sich aber bei der Klägerin zum 01.01.2019 eine organisatorische Änderung der Zuordnung des Notaufnahmezentrums ergeben. Dieses sei bis Ende des Jahres 2018 samt Aufnahmestation der Fachabteilung Nephrologie (0400) zugeordnet gewesen. Seit dem 01.01.2019 sei das Notaufnahmezentrum hingegen ein eigenes Zentrum bzw. eine eigene abgegrenzte Fachabteilung mit eigener ärztlicher und pflegerischer Leitung. Diese organisatorische Änderung führe zu einem deutlichen Rückgang der Indikatoren-DRGs der Kardiologie in der Fachabteilung Nephrologie und damit letztlich zu einem Wert unterhalb von 3.000 Belegungstagen (Stand zum 01.12.2019: 2.520 Belegungstage). Die Klägerin habe vor diesem Hintergrund begehrt, die Fachabteilung Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie nicht als pflegesensitiven Bereich zu werten. Die Beklagte habe dennoch an ihrer Entscheidung festgehalten. Es könne aber nicht Sinn und Zweck der PpUGV sein, Pflegepersonal in Fachabteilungen vorzuhalten, in denen (künftig) keine oder jedenfalls deutlich weniger kardiologische Leistungen erbracht würden als vorausgesetzt. Der Zweck der Verordnung werde daher verfehlt, wenn bereits jetzt feststehe, dass die in der Verordnung angesetzte Mindestmenge an Belegungstagen in diesem Jahr nicht erreicht worden sei und auch hinsichtlich der nächsten Jahre prognostiziert werden könne, dass die Mindestmenge nicht erreicht werde und der Klägerin trotzdem aufgegeben werde, im Bereich der Nephrologie verstärkt Pflegepersonal vorzuhalten. Es ergebe allenfalls Sinn, in dem ausgelagerten Notaufnahmezentrum mehr Pflegepersonal vorzuhalten.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Beim Schreiben vom 12.11.2019 handle es sich um einen Verwaltungsakt, den sie als Beliehene erlassen habe dürfen. Sie habe die pflegesensitiven Bereiche des Krankenhauses der Klägerin rechtmäßig auf der Grundlage der PpUGV ermittelt. Die organisatorische Änderung in Form der Ausgliederung des Notaufnahmezentrums habe auf das Ermittlungsergebnis keinen Einfluss, da es sich nicht um eine strukturelle Änderung i.S.d. § 5 Abs. 4 PpUGV handle. Die Klägerin habe keine Nachfolgeeinheit benannt, in der die pflegesensitiven Leistungen nun erbracht würden. Es sei nicht vorgetragen oder substantiiert dargelegt worden, dass es sich bei dem Notaufnahmezentrum um eine Nachfolgeeinheit nach § 5 Abs. 4 Nr. 2 PpUGV handle. Es sei daher ungeklärt, inwiefern die strukturelle Änderung Einfluss auf das Patientenaufkommen und die daraus resultierende Pflegesensitivität haben solle. Eine ungeschriebene Ausnahmeregelung komme mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht. Der Verordnungsgeber habe berücksichtigt, dass organisatorische Änderungen im Krankenhaus gegenüber dem Vorjahr das Ermittlungsergebnis über festgestellte pflegesensitive Bereiche nachträglich verändern könnten. Hierfür sei die Regelung des § 5 Abs. 4 PpUGV aufgenommen worden. Gleichzeitig habe er sich bewusst dagegen entschieden, jegliche strukturellen Änderungen oder Umbenennungen von Fachabteilungen, deren Einfluss auf das Patientenaufkommen und den pflegesensitiven Bereich nicht oder vom Krankenhaus nicht nachvollziehbar dargelegt sei, für die Lockerung festgestellter pflegesensitiver Bereiche genügen zu lassen. Die Nichtbeachtung der organisatorischen Änderung im Krankenhaus der Klägerin im Jahr 2019 bei der Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche für das Jahr 2019 stehe auch mit dem Sinn und Zweck der PpUGV im Einklang, wonach vor allem eine bessere pflegerische Versorgung pflegebedürftiger Patienten in Krankenhäusern sichergestellt werden solle, indem ein gewisser Pflegemindeststandard gewährt werde. Der gesetzgeberische Zweck werde umgangen, wenn das Krankenhaus die Feststellung pflegesensitiver Bereiche durch organisatorische Ausgliederungen von Teilen einer Fachabteilung, in der ein pflegesensitiver Bedarf festgestellt worden sei, beeinflussen könne, ohne dass der zuvor festgestellte Pflegebedarf tatsächlich reduziert und nicht nur in eine andere Abteilung umgelagert worden sei. Dies habe die Klägerin nicht offengelegt.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14.04.2021 hat das SG den Bescheid vom 12.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zulässig. Insbesondere handle es sich bei dem Bescheid vom 12.11.2019 um einen Verwaltungsakt, der mit der Anfechtungsklage nach § 54 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angefochten werden könne. Die Beklagte sei eine juristische Person des Privatrechts, die hinsichtlich der Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche und der Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen für die pflegesensitiven Bereiche in den Krankenhäusern aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in § 137i SGB V als Beliehene befugt sei, in den genannten Fällen Verwaltungsakte gegenüber Krankenhäusern bzw. dem jeweiligen Krankenhausträger zu erlassen. Die Klage sei zudem begründet. Die Beklagte habe zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche und zur Festlegung der Pflegepersonaluntergrenzen zwar zu Recht die nach § 21 KHEntgGG übermittelten Daten des Jahres 2018 zugrunde gelegt. Sie habe aber zu Unrecht nicht die von der Klägerin gemeldeten Änderungen in der Fachabteilung Nephrologie berücksichtigt.

Gegen das dem Beklagten-Bevollmächtigten am 29.04.2021 zugestellte Urteil hat dieser am 05.05.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Die Beklagte ist - wie das SG - der Auffassung, dass sie eine Beliehene ist, die zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist. Für die Berechnung zur Identifikation der pflegesensitiven Krankenhausbereiche gemäß § 3 Abs. 1 PpUGV hätten ausschließlich die von der Klägerin übermittelten Datensätze gemäß § 21 KHEntgGG für das Datenjahr 2018 zugrunde gelegt werden dürfen. Bei der diesbezüglichen sachgerechten Ermittlung bestünde Einigkeit der Beteiligten. Auf Veränderungen in den Folgejahren – wie hier – komme es unbeschadet dessen, dass strukturelle Veränderungen von Seiten der Klägerin nicht nachgewiesen worden seien, entgegen der Ansicht der Klägerin und des SG nicht an. Solche Veränderungen führten auch nicht nachträglich zu einer Veränderung der Festlegung der pflegesensitiven Bereiche. Zwar müssten nachträgliche strukturelle Änderungen gem. § 5 Abs. 4 PpUGV vom Krankenhaus offengelegt werden. Diese Vorschrift biete jedoch keine Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung nachträglicher Veränderungen. Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 S. 2 PpUGV nicht erfüllt, da die Verlagerung des Notfallaufnahmezentrums aus der Fachabteilung Innere Medizin und Nephrologie keine Auflösung einer Fachabteilung oder Station darstelle. Selbst wenn der Vortrag der Klägerin zutreffen sollte, hätte dies keinen Einfluss auf das Ergebnis der Ermittlung der Beklagten auf der Basis der Datengrundlage des Vorjahres (2018). Denn § 5 Abs. 2 PpUGV lasse nur Einwände „gegen die Ergebnisse der Ermittlung nach § 3 Absatz 1" zu. Demgegenüber betreffe § 5 Abs. 4 S. 2 PpUGV Mitteilungspflichten des Krankenhauses zur Benennung von Nachfolgeeinheiten, wenn die dort vorgesehenen Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen. § 5 Abs. 4 S. 2 PpUGV habe aber keinen Bezug zur Ermittlung der Ergebnisse nach § 3 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 PpUGV. An keiner Stelle sei dort geregelt, dass die Benennung von Nachfolgeeinheiten nachträglich Einfluss auf die Feststellung der pflegesensitiven Bereiche des Krankenhauses habe. In der Begründung zum Referentenentwurf zur PpUGV werde ausdrücklich festgehalten, dass später eingetretene Änderungen der Krankenhausorganisation für die Meldung der Beklagten rechtlich keine Bedeutung hätten und außer Betracht bleiben müssten. Sie hätten lediglich die Bedeutung, dass das Krankenhaus bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 5 Abs. 4 S. 2 PpUGV die Nachfolgeeinheiten offenlegen müsse. Nicht zuletzt sei auch zweifelhaft, ob der Klägerin noch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite stehe. Das mit Bescheid vom 12.11.2019 mitgeteilte Auswertungsergebnis zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche für das Jahr 2020 könne nicht isoliert betrachtet werden. Es diene dazu, dass die Klägerin zur Vermeidung von Sanktionen, die in der PpUGV vorgesehenen Vorgaben einhalte. Da der Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zurückgewiesen worden sei (Beschluss des SG vom 05.02.2020 - S 3 KR 6141/19 -), sei davon auszugehen, dass sich die Klägerin rechtskonform verhalten habe und die Pflegepersonaluntergrenzen für den hier streitigen Bereich eingehalten habe. Dies habe aber ohnehin nur noch den Zeitraum vom 01.01.2020 bis 29.02.2020 betroffen, da aufgrund der Pandemie mit Wirkung vom 01.03.2020 die Vorgaben der PpUGV ausgesetzt worden seien (Erste Verordnung zur Änderung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung vom 27.03.2020, BGBl. I S. 596). Hilfsweise werde bestritten, dass der angebliche Belegungsrückgang in der „Nephrologie“ ganzjährig im Jahr 2019 tatsächlich erfolgt sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.04.2021 aufzuheben und die Klage
abzuweisen,
hilfsweise Beweis zu erheben über die Behauptung der Klägerin, dass aufgrund des Betriebs des Notaufnahmezentrums als eigene Fachabteilung zum 01.01.2019 in der Fachabteilung Nephrologie der Schwellenwert in Höhe von 3.000 Belegungstagen in den Indikatoren-DRGs Kardiologie im Jahr 2019 unterschritten wurde, durch Versicherung an Eides Statt durch den Geschäftsführer der Klägerin und durch Sachverständigengutachten.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG im Ergebnis für zutreffend. Sie ist weiter der Ansicht, dass der Erlass von Verwaltungsakten weder Aufgabe der Beklagten noch diese dafür beliehen sei. Der angebliche Verwaltungsakt sei bereits mangels Behördeneigenschaft der Beklagten rechtswidrig und als Scheinverwaltungsakt aufzuheben. Im Übrigen könne der Auffassung der Beklagten, dass ausschließlich das Datenjahr 2018 relevant sei, nicht gefolgt werden. Dies würde zu dem sinnwidrigen Ergebnis führen, dass die Klägerin in einer in der Form nicht mehr vorhandenen Abteilung Pflegepersonal für ein Patientengut vorhalten müsse, das sich zwischenzeitlich in einer anderen Abteilung befinde. Dies diene weder den Patienten noch der Qualität der Behandlung im Krankenhaus. Nach der zum 01.01.2019 wirksamen Ausgliederung des Notaufnahmezentrums (Fachabteilungsschlüssel 3700) aus der Fachabteilung für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie seien beide Stationen nach den maßgeblichen Daten für 2019 nicht als pflegeintensiver Bereich einzustufen. Seit 01.01.2019 gebe es zwei Nachfolgeeinheiten. Die Belegungszahl in der Fachabteilung für Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie habe im Jahr 2019 2.608 und im Notaufnahmezentrum 1.371 betragen. Es bestehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Der „Bescheid“ der Beklagten sei Ausgangspunkt eines für die Zukunft anzuwendenden Vergütungsabschlages in Höhe von 20.000 €, wobei in der Budget- und Entgeltvereinbarung verhandelt worden sei, dass dieser Vergütungsabschlag von dem Ausgang des Rechtsstreits abhängig sei.

In der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Klägerin ausgeführt, dass die Werte der Pflegepersonaluntergrenzen in der Fachabteilung Nephrologie im Jahr 2020 eingehalten worden seien. Die erforderlichen Daten seien im Jahr 2020 nicht in das Datenportal der Beklagten eingegeben worden, weil man sich damit in Widerspruch zum eingelegten Widerspruch gesetzt hätte. Der vom Ausgang des hiesigen Verfahrens abhängige Vergütungsabschlag für die kommenden Budgetvereinbarungen sei wegen der fehlenden Dateneingabe vereinbart worden.


Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig und in der Sache begründet.

Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 12.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2019 zu Unrecht aufgehoben. Denn die Klage ist bereits unzulässig.

Die Klägerin hat zwar mit der erhobenen Anfechtungsklage nach § 54 SGG die richtige Klageart gewählt. Bei dem Schreiben der Beklagten vom 12.11.2019 handelt es sich um einen Verwaltungsakt nach § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Beklagte ist eine juristische Person des Privatrechts, die hinsichtlich der Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche und der Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen für die pflegesensitiven Bereiche in den Krankenhäusern aufgrund gesetzlicher Ermächtigung in § 137i SGB V (hier in der Fassung des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung vom 09.08.2019, BGBl. I 1202) als Beliehene (vgl. Dettling in Dettling/Gerlach, BeckOK KHR, SGB V § 137i, Rn. 65) befugt ist, in den genannten Fällen Verwaltungsakte gegenüber Krankenhäusern bzw. dem jeweiligen Krankenhausträger zu erlassen. Der Senat schließt sich bzgl. dieser Rechtsauffassung dem SG, der Beklagten und der zunächst auch von der Klägerin vertretenen Auffassung an. Nach § 137i Abs. 3 S. 6 SGB V gilt die Beklagte für u.a. durch die PpUGV übertragenen Aufgaben als von den Vertragsparteien nach § 17b Abs. 2 S. 1 KHG beauftragt und zum Erlass von Verwaltungsakten befugt (vgl. Engelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 137i SGB V, Rn. 47 ff). Auch aus der Regelung des § 137i Abs. 4c SGB V lässt sich schließen, dass die Beklagte zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist, da ansonsten der Hinweis, dass Widerspruch und Klage gegen Maßnahmen zur Ermittlung der pflegesensitiven Bereiche in den Krankenhäusern sowie zur Festlegung von Pflegepersonaluntergrenzen keine aufschiebende Wirkung haben, ins Leere gehen würde (vgl. Roters in BeckOGK, SGB V § 137i Rn. 34). Vor diesem Hintergrund kann der Einwand der Klägerin, es handle sich bei der Beklagten um eine Körperschaft des privaten Rechts ohne hoheitliche Befugnisse, die keine Verwaltungsakte erlassen könne, nicht überzeugen. Insbesondere unter Berücksichtigung der gesetzlichen Regelungen in § 137i Abs. 3 S. 6 und Abs. 4c SGB V ergibt sich Gegenteiliges auch nicht aus dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17.04.2019 (13 B 1431/18), das die Regelung des § 17b Abs. 3 S. 4 KHG a.F. betrifft (vgl. Engelmann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 137i SGB V, Rn. 38 ff.).

Es besteht jedoch für die Klage kein Rechtsschutzbedürfnis, nachdem die hier alleine streitgegenständliche Übermittlung der Ergebnisse der Ermittlung pflegesensitiver Bereiche mit ausschließlicher Wirkung für das Jahr 2020 keine unmittelbaren Rechtswirkungen mehr entfaltet.

Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis (Rechtsschutzinteresse) voraus. Dabei ist auf die Frage abzustellen, ob angesichts der besonderen Umstände des Falls die Klageerhebung deshalb nicht erforderlich ist, weil der Kläger seine Rechte auf einfachere Weise verwirklichen kann oder die Klage aus anderen Gründen unnütz ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.06.2018 - B 2 U 2/17 R -, in juris Rn. 12). Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis, wenn unzweifelhaft ist, dass das begehrte Urteil die rechtliche oder wirtschaftliche Stellung des Klägers nicht verbessern würde, also wenn offensichtlich ist, dass das begehrte Urteil dem Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (BSG, Urteil vom 13.12.2022 - B 1 KR 37/21 R -; BSG, Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 24/10 R -; BSG, Urteil vom 02.04.2014 - B 6 KA 19/13 R , alle in juris; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, vor § 51 Rn. 16a).

So liegt der Fall hier. Die streitgegenständliche Übermittlung der Ergebnisse der Ermittlung pflegesensitiver Bereiche mit ausschließlicher Wirkung für das Jahr 2020 entfaltet keine unmittelbaren Rechtswirkungen mehr. Zum einen steht für den Senat aufgrund der Einlassungen des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung fest, dass die Klägerin in der im Verfahren alleine maßgeblichen Fachabteilung Nephrologie die sich aus der Einstufung dieser Abteilung als pflegesensitiver Bereich gem. § 6 PpUGV ergebenden Personaluntergrenzen tatsächlich eingehalten hat. Eine sich aus Gesetz, Verordnung bzw. aufgrund der damals geltenden PpUGV-Sanktions-Vereinbarung ergebende Sanktion aufgrund einer möglichen Nichtbeachtung der Pflegepersonaluntergrenzen scheidet demnach schon a priori aus. Zudem war nach § 8 Abs. 1 PpUGV vorgesehen, dass bis zum 31.03.2020 Vergütungsabschläge gemäß § 137i Absatz 5 SGB V für die in § 6 Abs. 1 Nr. 5 bis 8 PpUGV festgelegten Pflegepersonaluntergrenzen – also auch für den hier einschlägigen Bereich Kardiologie – nicht erhoben werden. Zudem war nach § 10 PpUGV i.d.F. vom 16.07.2020 geregelt, dass die §§ 1 bis 9 PpUGV mit Wirkung vom 01.03.2020 bis einschließlich 31.07.2020 sowie die §§ 6 bis 9 PpUGV zudem für die pflegesensitiven Bereiche nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 bis 8 PpUGV vom 01.08.2020 bis einschließlich 31.12.2020 nicht anzuwenden sind. Demnach hatte die Klägerin in 2020 in der Fachabteilung Nephrologie keine Pflegepersonaluntergrenzen einzuhalten und demnach auch kein Sanktionsrisiko.

Eine Auswirkung auf die Folgejahre hat die Übermittlung der Ergebnisse der Ermittlung pflegesensitiver Bereiche für das Jahr 2020 nicht, da eine jeweils jahresweise auf das jeweilige Jahr begrenzte Ermittlung und Übermittlung erfolgt.

Die von der Klägerin mit den Partnern der Entgelt- und Vergütungsvereinbarungen getroffene Abrede – deren Existenz und Inhalt der Senat wie vom Klägerbevollmächtigten vorgetragen als wahr unterstellt –, wonach für die künftige Budgetverhandlung ein Vergütungsabschlag iHv 20.000 € für den Fall des Unterliegens im hiesigen Rechtsstreit vereinbart worden ist, rechtfertigt im vorliegenden Fall kein Rechtsschutzbedürfnis. Denn nach den eindeutigen Aussagen des Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung resultiert diese Abrede – ungeachtet der Frage, welche Rechtsqualität diese Abrede überhaupt besitzt – nicht unmittelbar aus dem hiesigen Streitgegenstand, ob die Fachabteilung Nephrologie als pflegesensitiver Bereich einzuordnen ist, sondern alleine aus der Entscheidung der Klägerin, aufgrund ihrer dazu vertretenen Rechtsauffassung, im Jahr 2020 keine Daten zu dieser Fachabteilung in das Datenportal der InEK einzuspielen. Damit resultiert die vereinbarte Sanktion alleine aus dem möglichen Verstoß gegen die PpUGV-Nachweis-Vereinbarung für das Jahr 2020. Es wäre aber der Klägerin zweifelsfrei – und ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vom Klägervertreter zugestanden – möglich gewesen, die erforderlichen Daten einzutragen. Die Klägerin hat sich nur aus prozesstaktischen Gründen dagegen entschieden. Die nicht unmittelbar mit dem hiesigen Streitgegenstand verknüpfte und deshalb auch nicht unmittelbar kausale Sanktion (bzw. den Vergütungsabschlag) rechtfertigt kein Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der begehrten Aufhebung des Übermittlungs-(Feststellungs-)bescheides. Denn der Ausgang des hiesigen Verfahrens hat keinerlei gesetzlich begründete Auswirkung auf die Vergütung der Klägerin mehr, nachdem die Sanktionen wegen Unterschreitens der Pflegepersonaluntergrenzen bzw. diese selbst im Jahr 2020 vom Verordnungsgeber ausgesetzt worden sind (siehe oben). Zudem wurde die Pflegepersonaluntergrenze 2020 in der Fachabteilung Nephrologie nach Aussage des Klägervertreters eingehalten. Alleine eine nicht unmittelbar mit einem anhängigen Streitgegenstand zusammenhängende Unterwerfungsvereinbarung unter eine gerichtliche Entscheidung rechtfertigt kein Rechtsschutzbedürfnis. Es bedarf vielmehr hierzu eines unmittelbaren rechtlichen Zusammenhangs mit dieser Entscheidung. Ein solcher fehlt im vorliegenden Fall, in dem der Vergütungsabschlag alleine aus der Nichteinhaltung von (tatsächlich möglichen) Meldungen resultiert.

Es kommt deshalb im Ergebnis dieses Einzelfalls nicht darauf an, ob das als Verwaltungsakt (Bescheid) zu qualifizierende Schreiben der Beklagten vom 12.11.2019 in der Gestalt des als Widerspruchsbescheid zu qualifizierenden Schreibens vom 13.12.2019 formell und materiell rechtmäßig ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen angesichts der Unzulässigkeit der Klage nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

Die endgültige Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).


 

Rechtskraft
Aus
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