L 7 SB 7/22

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 21 SB 164/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 7 SB 7/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze

1.

Jedem Beteiligten steht gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zu, einem Sachverständigen sachdienliche Fragen vorlegen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Sachverständige ein Gutachten auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 109 SGG erstellt hat.

 

2.

Wird ein solcher Antrag erst in der mündlichen Verhandlung gestellt, ist er nicht mehr rechtzeitig iSv § 411 Abs 4 Satz 1 ZPO, sondern verspätet und zudem nicht sachdienlich, wenn der Sachverständige die formulierten Fragen bereits in einer ergänzenden Stellungnahme beantwortet hat.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten sind die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) sowie die Feststellung des Merkzeichens RF (Ermäßigung von der Rundfunkgebührenpflicht) streitig.

Bei der am ... 1968 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 28. April 2004 wegen einer Hörminderung bei Taubheit links und einer Bandscheibenstörung der Halswirbelsäule (HWS) in zwei Abschnitten mit ausstrahlenden Schmerzen sowie Funktionsstörungen jeweils einen Einzel-GdB von 20 und einen Gesamt-GdB von 30 fest.

Im Jahr 2006 führte der Beklagte ein Überprüfungsverfahren von Amts wegen durch und holte u.a. einen Befundschein von  O. (Praktische Ärztin, Physikalische Therapie, Chirotherapie, Naturheilverfahren) von April 2006 ein. Die Ärztin führte aus, dass sich bei der Klägerin Blockierungen im Bereich der Kopfgelenke, der 1. Rippe sowie im Bereich der Wirbelkörper C7/Th1 gezeigt hätten. Neurologisch habe sich ein Taubheitsgefühl im Bereich des Segments C6 links gefunden. Die Rotation habe rechts/links 60/0/20° und die Seitneigung rechts/links 10/0/5° betragen. Mit Schreiben vom 17. Juli 2006 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass keine wesentliche Änderung eingetreten sei und es bei der bisherigen Feststellung bleibe.

Ein weiteres Überprüfungsverfahren führte der Beklagte im Jahr 2008 durch und holte wiederum einen Befundschein von   O. ein. Diese berichtete, die Klägerin habe über rezidivierende Nackenbeschwerden mit Verspannungen, eine Einstrahlung in den linken Arm, Taubheitsgefühle des linken Daumens und muskuläre Dysbalancen geklagt. Die Rotation habe rechts und links jeweils 70° und die Seitneigung jeweils 10° betragen. Die Reflexe, die Motorik sowie die grobe Kraft seien normal. Mit Schreiben vom 14. November 2008 teilte der Beklagte der Klägerin wiederum mit, dass es bei der bisherigen Feststellung bleibe.

 

Mit Neufeststellungsantrag vom 29. September 2017 machte die Klägerin eine Verschlechterung des Hörvermögens des rechten Ohrs geltend und beantragte das Merkzeichen RF. Mit Befundschein vom 20. November 2017 berichtete die Fachärztin für Hals-Nasen-Ohren (HNO)-Heilkunde/Allergologie   K1 von einer Implantation eines Cochlea-Implantats (CI) links und einer Tieftonhörstörung rechts. In Anlage übersandte sie einen Arztbrief des A. Klinikums H. vom 8. September 2017. Nach dem Tonschwellenaudiogramm sei rechts eine Schallempfindungsschwerhörigkeit von 10 bis 20 dB mit tieftonalem Abfall bis 45 dB, nach dem Sprachaudiogramm ein A1-Wert rechts bei 20 dB und ein 100 %iges Einsilberwortverständnis rechts bei 65 dB festzustellen. Außerdem übersandte   K1 ein Sprachaudiogramm vom 12. Juni 2017.

Die beteiligte ärztliche Gutachterin des Beklagten   R. schlug daraufhin für eine Taubheit links mit CI-Versorgung und Hörminderung rechts einen Einzel-GdB von 30, einen Bandscheibenschaden der HWS mit Schmerzausstrahlung einen Einzel-GdB von 20 sowie einen Gesamt-GdB von 40 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 2017 ab 29. September 2017 einen GdB von 40 sowie eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit fest. Die Feststellung des Merkzeichens lehnte er ab, da der GdB allein für die Hörminderung nicht 50 betrage.

Dagegen erhob die Klägerin am 9. Januar 2018 Widerspruch. Sie trug vor, es sei nur auf die Wirbelsäule, nicht aber auch auf die Schädigung des linken Ohrs abgestellt worden. Der Gesamt-GdB betrage mindestens 50. Der Bescheid lasse in der Begründung nicht erkennen, ob und inwieweit der anhand des medizinischen Sachverhalts geschätzte GdB den generellen Bewertungsgrundsätzen entspreche. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2018 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Feststellung des Merkzeichens RF scheide schon deshalb aus, weil die Klägerin nicht zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen gehöre.

Dagegen hat die Klägerin am 18. April 2018 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und zur Begründung vorgetragen: Der Beklagte habe den Gesamt-GdB fehlerhaft ermittelt. Er habe sich nicht einseitig an dem Zielzustand orientieren dürfen, kein Additionsergebnis zu erreichen. Es sei nicht nachzuvollziehen, ob die Erwägungen vom Ärztlichen Sachverständigenbeirat in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) und der Erkenntnisgewinn aus dem aktuellen wissenschaftlichen Fortschritt, u.a. zum erforderlichen Therapieaufwand, berücksichtigt worden seien. Auch das Implantat habe die Hörleistung nicht verbessert. Der Beklagte hätte einen medizinischen Sachverständigen hinzuziehen müssen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat   K2 (Chefarzt Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Klinikums M.) das Gutachten vom 3. April 2020 (ambulante Untersuchung vom 21. Januar 2020) erstattet. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Versorgung des ertaubten linken Ohrs mit einem CI eine Verbesserung des Hörvermögens im Sprachaudiogramm bedinge. Der prozentuale Hörverlust rechts betrage 15 % nach dem Sprachaudiogramm (beginnende Schwerhörigkeit) und 28 % nach dem Tonaudiogramm (knapp geringgradige Schwerhörigkeit). Das Tonaudiogramm von   K1 entspreche dem seiner Untersuchung. Die von der Klägerin subjektiv empfundene Zunahme der Schwerhörigkeit lasse sich nicht bestätigen. Nach seiner Einschätzung betrage der Einzel-GdB für die Schwerhörigkeit 30 und für die Funktionsbeeinträchtigung der Wirbelsäule 20. Eine Addition sei nicht gerechtfertigt, der Gesamt-GdB betrage daher 40 seit 2017. Die Voraussetzungen für das Merkzeichens RF seien nicht erfüllt.

Die Klägerin hat gegen das Gutachten eingewandt: Es liege wohl eine Personenverwechslung vor, da der Sachverständige unrichtige persönliche Angaben angeführt habe. Auch habe sie nicht das im Gutachten angegebene Knacken im Ohr. Außerdem bestreite sie, dass der Sachverständige die im Gutachten zugrunde gelegte Freifeldmessung beider Ohren durchgeführt habe.

Der Sachverständige   K2 hat in der ergänzenden Stellungnahme vom 10. März 2021 dazu ausgeführt: Eine Verwechslung liege nicht vor. Er habe leider übersehen, dass die Klägerin nicht aktuell, sondern in der Vergangenheit bei der Post gearbeitet habe. Der GdB ändere sich aber nicht, da dieser ohne Bezug zum beruflichen Umfeld festgestellt werde. Ebenfalls sei nicht relevant, ob die Klägerin Fahrrad fahre. Auch wenn sie ein Knacken beim Schlucken, nicht im Ohr habe, ändere sich nichts. Das Knacken sei ein physiologisches Geräusch, welches üblicherweise bei jedem Menschen beim Schlucken auftrete. Außerdem hat der Sachverständige mitgeteilt, es sei eine Freifeldmessung durchgeführt worden. Er nutze zwei Lautsprecher, die hinter der Klägerin aufgestellt worden seien und übersehen werden könnten. Nur weil die Klägerin nicht alle technischen Voraussetzungen oder die Durchführungsmethode kenne, könne sie nicht davon ausgehen, dass der Fachstandard nicht eingehalten worden sei.

Die Klägerin hat am 12. April 2021 vorgetragen: Sie leide rechts unter einem Hörverlust von 20 bis 40 % mit Folge- und Begleiterscheinungen, daher sei der Einzel-GdB von 30 unzutreffend. Sie könne nicht ins Kino und Theater gehen. An Vorträgen oder Besprechungen könne sie nur eingeschränkt teilnehmen, was ihre Chancen im Beruf verringere. Sie sei beim Einkaufen und im Straßenverkehr eingeschränkt, verstehe im Bahnhof oder Flughafen gar nichts und müsse nachfragen. Bei Feiern und Gesprächsrunden sei sie faktisch ausgeschlossen. Der Sachverständige hätte das von ihm festgestellte herabgesetzte Sprachgehör stärker gewichten müssen. Außerdem sei die psychoreaktive Störung erhöhend zu berücksichtigen. Die Folgen der Vereinsamung, die Angst vor Verschlechterung der Hörsituation, die Zukunftsängste und Depressionen sowie die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen habe der Sachverständige nicht beachtet. Es falle auch auf, dass der Sachverständige auf ein Testverfahren zurückgegriffen habe, das eine geringere Einstufung des GdB zur Folge habe. Das grobe Raster in Zehnerschritten habe zu einem Nachteil geführt. Schlussendlich falle auch auf, dass der Sachverständige sich auf Behauptungen beschränke, ohne diese zu begründen. Es mache nämlich z.B. einen Unterschied, ob sie mit Restgehör oder mit Hörresten ertaubt sei.

Der Beklagte hat auf die Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin   W. vom 16. April 2021 verwiesen. Danach bestätige das HNO-ärztliche Gutachten den GdB von 30 für die Hörminderung in Übereinstimmung mit den bisherigen Unterlagen. Mittelschwere funktionelle Auswirkungen eines Wirbelsäulensyndroms seien nicht belegt.   O. habe im Juli 2008 eine normale Beweglichkeit, keine sensomotorischen Defizite und keine Nervenwurzelreizerscheinungen angegebenen. Dem seinerzeit zuerkannten GdB von 20 könne prüfärztlich nicht gefolgt werden.

Die Klägerin hat dazu mit Schreiben vom 14. Juni 2021 vorgetragen: Für sie sei der Hörverlust auf beiden Ohren nach dem siebten Lebensjahr in Verbindung mit der Mehrfachbehinderung maßgebend. Sie sei mit Hörresten ertaubt. Das Gesamtwortverständnis hätte gewichtet und die Gewichtungsschritte hätten nachvollziehbar dargestellt werden müssen. Im Übrigen bleibe unbewiesen, dass sie mit einer unbekannten Methode der Freifeldmessung begutachtet worden sei. Denn die konkrete Methode sei nicht benannt worden.

Mit Gerichtsbescheid vom 18. Dezember 2021 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Kammer folge der Bewertung des Sachverständigen   K2. Ein 100 %iger Hörverlust auf dem einen Ohr und ein 20 bis 40%iger Hörverlust auf dem anderen Ohr bedinge einen GdB von 30. Das Wirbelsäulenleiden rechtfertige keinen höheren GdB als 20. Die Untersuchungsergebnisse hätten allenfalls mäßige Bewegungseinschränkungen ergeben. Neurologische Ausfälle bestünden nicht. Eine Verschlimmerung sei auch nicht erkennbar. Weitere Erkrankungen mit einem GdB von 10 lägen nicht vor. Der Gesamt-GdB betrage 40. Auch der Hilfsantrag, den Sachverständigen mündlich zu hören, sei abzulehnen gewesen. Die von der Klägerin für klärungsbedürftig gehaltenen ergänzenden Fragestellungen habe der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme umfassend und klar beantwortet. Aus dem Schreiben der Klägerin habe sich nicht die Notwendigkeit einer weiteren schriftlichen Ergänzung oder Erläuterung des Gutachtens ergeben. Eine Befragung sei nicht allein deswegen notwendig, weil das Ergebnis des Gutachtens von den Vorstellungen der Klägerin abweiche. Da die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft habe, sei auch das Merkzeichen RF abzulehnen.

Gegen den ihr am 4. Januar 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 4. Februar 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und vorgetragen: Der Sachverständige hätte gehört werden müssen. Das SG habe den Antrag ohne hinreichenden Grund abgelehnt. Unabhängig davon hätte der Gutachter auch von Amts wegen geladen werden müssen, da das Gutachten unklar sei und sie hinreichend konkrete sachdienliche Fragen angekündigt habe. Im Übrigen werde die Sachaufklärung im Hinblick auf Angst- und Depressionszustände gerügt. Diese beeinflussten den GdB. Die Begründung für die Ablehnung des Merzeichens RF sei nicht nachvollziehbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) könne auch eine Person mit einem GdB von weniger als 60 von der Gebührenpflicht befreit werden. Wegen ihrer Hörschädigung sei von einem gesundheitlichen Härtefall auszugehen. Die Nichtberücksichtigung ihres Vortrags verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Kern des Parteivortrags, der für die Entscheidung wichtig sei, hätte ausdrücklich beschieden werden müssen. Auf diesem gerügten Fehler beruhe die Entscheidung.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. Dezember 2021 und den Bescheid des Beklagten vom 18. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2018 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB der Klägerin gemäß des am 29. September 2017 eingegangenen Antrags mit mindestens 50 festzustellen und das Merkzeichen RF zuzuerkennen,

eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen   K2 einzuholen, da sie nach wie vor davon ausgehe, dass keine Freifeldmessung durch ihn durchgeführt worden sei.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Ausführungen im Gerichtsbescheid des SG M..

Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin am 22. Juni 2022 erklärt, dass sie sich derzeit nicht in psychologischer Behandlung befinde. Als sie im Jahre 2017 einen Termin habe vereinbaren wollen, hätte es Wartezeiten bis zu einem Jahr gegeben.

Der Senat hat weitere Befundberichte eingeholt.   K1 hat am 7. Juli 2022 über die letztmalige Behandlung der Klägerin am 4. Juli 2022 berichtet. Danach habe die Klägerin nach der Implantation des CI ein deutlich besseres räumliches Gehör. Subjektiv habe sie allerdings kein Sprachverständnis links. Im Jahre 2017 habe eine geringgradige Schwerhörigkeit des rechten Ohrs (20%) und eine 100 %ige Schwerhörigkeit des linken Ohrs vorgelegen. Im beigelegten Entlassungsbericht führte das Cochlear-Implant-Rehabilitationszentrum H. unter dem 13. Januar 2017 aus: Die Klägerin habe ihre Fähigkeit, mit dem CI mit anderen Menschen kommunizieren zu können, als gut eingeschätzt. Durch die Dominanz des rechten guten Ohres bestünden kaum Schwierigkeiten in geräuschvoller Umgebung. Die Klägerin sei zufrieden. Außerdem hat   K1 einen Arztbrief vom 5. November 2021 (A. Klinikum H.,   L.) übersandt, wonach ein Zervikalsyndrom vorliege, für dessen Behandlung Physiotherapie vorgeschlagen werde. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin M2 hat unter dem 28. Juli 2022 ausgeführt, es sei eine geringe Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Oberbauchbeschwerden mit Gastritis und Corona-Infektion zu verzeichnen, sonst sei der Gesundheitszustand gleichbleibend. Die Klägerin leide immer wieder unter Ängsten und Schlafstörungen sowie leichten depressiven Episoden. Eine psychologische Behandlung sei angeraten worden, habe jedoch aufgrund von mangelnden Terminen nicht wahrgenommen werden können. Sie habe damals allein einen Weg ohne Behandlung und Medikamente finden können. Die Klägerin habe privat kaum soziale Kontakte, nur wenige Freunde und übe kein Hobby aus. Aktuell liege wieder eine leichte depressive Phase vor. Aufgrund der Pandemie und der Weltpolitik hätten sich massive Zukunftsängste entwickelt. Durch empathische Gesprächsinterventionen hätten bisher immer wieder individuelle Lösungswege für die Klägerin geschaffen werden können. Auch leide die Klägerin unter rezidivierenden Nackenbeschwerden mit Verspannungen der Schulter-Nacken-Muskulatur, einer Einstrahlung in den linken Arm, einem Taubheitsgefühl und einer Kraftlosigkeit der linken Hand, muskulären Dysbalancen, einem verkürzten Musculus trapezius sowie unter einer Feinmotorikstörung. Die Beweglichkeit der Rotation der HWS betrage rechts/links jeweils 70°, die Retroflexion sei reduziert, die Seitneige sei bis 10° möglich, die Reflexe seien beidseits seitengleich, die grobe Kraft und die Motorik unauffällig. Nach dem Reha-Bericht der Insel Klinik S. vom 13. Februar 2017 litt die Klägerin an einem psychophysischen Erschöpfungszustand mit depressiven Anteilen sowie einem HWS-Syndrom, Übergewicht, Lumbago und Taubheit. Die Wirbelsäule war uneingeschränkt und die großen Gelenke aktiv und passiv frei beweglich. Die Klägerin war arbeitsfähig entlassen worden. Nach dem Bericht des Facharztes für Dermatologie und Venerologie   H. vom 1. September 2019 sei eine Behandlung wegen einer aktinischen Keratose eingeleitet worden. Nach dem Bericht der Fachärzte für Innere Medizin  M1 vom 10. Februar 2022 sei die wegen Oberbauchbeschwerden durchgeführte Abdomensonografie unauffällig gewesen. Nach dem Bericht des Internisten K3 war am 18. Juli 2022 eine Infektion mit Heliobacter pylori festgestellt und eine Therapie eingeleitet worden.

Der Beklagte hat in Auswertung der Befunde eine Stellungnahme seiner Versorgungsärztin   W. vom 30. August 2022 vorgelegt. Danach bestätigten die Audiogramme vom 12. Juni 2017 nochmals eine Hörminderung mit einem GdB von 30. Die von der Hausärztin mitgeteilten Behandlungsleiden begründeten keinen zusätzlichen GdB. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen eines Wirbelsäulensyndroms seien weiterhin nicht feststellbar. Eine aktinische Keratose und eine akute Gastritis stellten keine Gesundheitsstörung im Sinne der VMG dar.

Am 19. Januar 2023 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden. Darin hat die Klägerin erklärt, sie habe eine Überweisung zum Facharzt für Psychiatrie im Jahr 2017 bekommen. Es seien keine neuen Patienten aufgenommen worden. In den Folgejahren habe sie keine Überweisung mehr bekommen. Die Ladung zur öffentlichen Sitzung am 26. April 2023 ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 7. März 2023 zugestellt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zwar statthaft (§ 143 SGG) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben worden (§ 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 56 SGG) zu Recht als unbegründet abgewiesen.

1.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 im streitigen Zeitraum (Neufeststellungsantrag vom 29. September 2017 bis zur Entscheidung durch den Senat).

Da der Beklagte bei der Klägerin bereits mit Bescheid vom 28. April 2004 einen GdB von 30 festgestellt und damit über ihren Behinderungsgrad entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 28. April 2004 vorgelegen haben ist zwar eine Änderung eingetreten. Diese rechtfertigt aber keinen höheren GdB als 40.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist seit dem 1. Januar 2018 § 152 Abs. 1 und 3 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs – Rehabilitation und Teilhabe (SGB IX), zuvor § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX in der jeweils geltenden Fassung. Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F.) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest.

Diese Regelung knüpft materiell-rechtlich an den in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Nach der seit dem 1. Januar 2018 anzuwendenden Fassung des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen solche, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Nach der bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung dieser Vorschrift sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.

Nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 4 bzw. Satz 5 SGB IX a.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Das von der Klägerin bemängelte grobe Raster entspricht somit der Norm. Wenn mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX (zuvor § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX a.F.) der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt.

Die für diese Feststellung maßgeblichen Grundsätze ergeben sich aus der VersMedV. Deren Anlage VMG ist nach § 2 VersMedV Bestandteil dieser Verordnung und ist deshalb der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.

Bei der hier streitigen Bemessung des GdB ist die Tabelle zum Grad der Schädigungsfolgen (GdS) der VMG (Teil B) anzuwenden. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der Tabelle (Teil B Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Teil A Nr. 2 e VMG genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane; Geschlechtsapparat; Haut; Blut einschließlich blutbildendes Gewebe und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B Nr. 1 a VMG).

Danach ist bei der Klägerin kein höherer GdB als 40 festzustellen. Dabei stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen sowie die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.

a)

Bei der Klägerin ist wegen der Hörminderung im Funktionssystem Ohren ein GdB von 30 nach Teil B Nr. 5.2.4 VMG festzustellen, denn es liegt Taubheit links und geringgradige Schwerhörigkeit (Hörverlust 20 bis 40%) rechts vor. Das ergibt sich aus den Befundberichten von   K1 unter Verweis auf die Sprach- und Tonaudiogramme aus dem Jahre 2017. Mit Befundbericht vom Juli 2022 hat die Ärztin keine Verschlechterungen mitgeteilt. Auch im Reha-Zentrum H. sind keine davon abweichenden Befunde festgestellt worden.

Die Feststellung des GdB ist bei der Klägerin auch nicht davon abhängig, dass sich die Hörminderung erst nach dem 7. Lebensjahr entwickelt hat. Denn bei der Klägerin liegt keine Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit vor. Nur in diesem Fall ist der Zeitpunkt des Eintritts des Hörverlustes relevant, vgl. Teil B Nr. 5.1 VMG. Ein einseitiger vollständiger Hörverlust - wie bei der Klägerin links vorliegend - wird von dieser Norm nicht erfasst.

Schließlich kommt auch   K2 in seinem Gutachten zu keinem abweichenden Ergebnis. Nach seiner Untersuchung weist das nach den VMG maßgebliche Sprachaudiogramm (vgl. dazu Teil B Nr. 5 VMG, Einleitung) sogar nur einen Hörverlust von 15%, das Tonaudiogramm von 28% auf. Der Sachverständige hat zudem eine Verschlechterung seit dem Jahr 2017 ausschließen können. Seine Untersuchungsergebnisse entsprechen denen von   K1. Sofern die Klägerin die Untersuchungsergebnisse anzweifelt, da ihr das von   K2 angewandte Verfahren zur Feststellung der Hörminderung unbekannt war, ist sie auf die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 10. März 2021 zu verweisen. Dieser hat dargelegt, dass er die Methode der Freifeldmessung angewandt hat, und gleichzeitig erklärt, dass die Lautsprecher durch die Positionierung hinter den Probanden übersehen werden könnten. Die Klägerin hat dem auch keine substantiierten Argumente entgegenhalten können. Das schlichte Bestreiten einer Untersuchungsmethode führt jedoch nicht dazu, dass die Ergebnisse nicht verwertet werden können.

In dem GdB von 30 für die Hörminderung werden alle mit der Erkrankung typischerweise einhergehenden Funktionsstörungen sowie seelische Begleiterscheinungen erfasst (Teil A Nr. 2i und j VMG), sodass alle von der Klägerin vorgetragenen typischen Einschränkungen aufgrund des Hörverlustes nicht zusätzlich bewertet werden können. Das betrifft insbesondere die Einschränkungen bei Besuchen von Kino und Theater, die Teilnahme an Vorträgen oder Besprechungen, Einschränkungen beim Einkaufen und im Straßenverkehr, am Bahnhof oder Flughafen sowie bei Feiern und Gesprächsrunden. Im Übrigen hat die Klägerin laut dem Bericht des Rehabilitationszentrums H. ihre Fähigkeit, mit anderen Menschen kommunizieren zu können, selbst als gut eingeschätzt. Auch die Klinik hat angegeben, dass durch die Dominanz des guten rechten Ohres kaum Schwierigkeiten in geräuschvoller Umgebung bestünden. Möglicherweise verringerte Chancen der Klägerin im Beruf können auch nicht erhöhend berücksichtigt werden, da der GdB grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten Beruf zu beurteilen ist (Teil A Nr. 2b VMG).

b)

Im Funktionssystem Rumpf ist ein Einzel-GdB von 20 festzustellen.

Nach Teil B Nr. 18.9 VMG ergibt sich bei Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem sogenannten Postdiskotomiesyndrom) der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Danach rechtfertigen erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, einen Einzel-GdB von 20. Funktionsstörungen geringeren Grades bedingen allenfalls einen Einzelgrad von 10. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen Einzel-GdB von 30, mittelgradige bis schwere in zwei Wirbelsäulenabschnitten von 30 bis 40. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch intermittierenden Störungen bei einer Spinalkanalstenose - sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Nach diesem Maßstab ist für das Zervikalsyndrom der Klägerin ein GdB von 20 wegen mittelgradiger Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt festzustellen. Während ihres Aufenthalts in der Klinik S. im Jahre 2017 war ihre Wirbelsäule noch uneingeschränkt beweglich. Nach dem Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin M2 vom 28. Juli 2022 ist die Beweglichkeit der HWS in der Rotation weiterhin normal (70°), allerdings sind die Retroflexion und die Seitneige reduziert und es kommt wiederholt zu rezidivierenden Nackenbeschwerden mit Verspannungen der Schulter-Nacken-Muskulatur und Blockierungen, einer Einstrahlung in den linken Arm, einem Taubheitsgefühl und einer Kraftlosigkeit der linken Hand, muskulären Dysbalancen, einem verkürzten Musculus trapezius sowie einer Feinmotorikstörung. Das rechtfertigt trotz der geringen Bewegungseinschränkungen die Einordnung als mittelgradige Auswirkungen. Da   O. im Juli 2008 und die Ärztin M2 wiederum im Juli 2022 über seitengleiche Reflexe sowie eine normale Motorik und grobe Kraft berichtet haben, kommt allerdings auch keine höhere Bewertung in Betracht.

c)

Für die Beschwerden der Klägerin im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche ist ein Einzel-GdB von 10 festzustellen.

Nach den VMG (Teil B Nr. 3.7) werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19, 96. Lfg. - Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-18).

Danach ist bei der Klägerin von einer leichteren psychischen Störung auszugehen, die einen Bewertungsrahmen von 0 bis 20 eröffnet. Einer stärker behindernden Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit steht entgegen, dass fachärztliche Behandlungen auf psychiatrischem Gebiet und entsprechende Diagnosen, die auf einen entsprechenden Leidensdruck der Klägerin hätten hindeuten können, nicht dokumentiert sind. Zwar ist im Jahre 2017 eine psychologische/fachärztliche Behandlung angeraten worden. Doch hat die Klägerin nach dem Bericht der Ärztin M2 allein einen Weg ohne Behandlung und ohne Medikamente nehmen können. Es ist auch ohne Behandlung und Medikamente (Psychopharmaka) jeweils bei leichten depressiven Episoden geblieben, die eine Bewertung mit einem GdB von 10 rechtfertigen. Auch konnte die Klägerin ihrer beruflichen Tätigkeit ohne wesentliche Arbeitsunfähigkeitszeiten, bedingt durch psychische Erkrankungen, nachgehen. In dem GdB für die leichtere psychische Störung werden die leichten depressiven Episoden, die Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, die Zukunftsängste sowie der psycho-physische Erschöpfungszustand erfasst. Dass die Klägerin kaum private Kontakte, wenig Freunde und kein Hobby hat, rechtfertigt es auch nicht, den GdB-Bewertungsrahmen mit 20 für leichte psychische Störungen auszuschöpfen, da ein Zusammenhang dieser Einschränkungen nicht durch entsprechende Befunde objektiviert ist.

d)

In anderen Funktionssystemen liegen keine GdB-relevanten Beeinträchtigungen vor. Weitere Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet sind nicht dokumentiert. Dies wurde insbesondere durch den Bericht der Klinik S. ausgeschlossen. Die von der Ärztin M2 unter dem 28. Juli 2022 angegebene geringe Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Oberbauchbeschwerden mit Gastritis und Corona-Infektion ist nicht GdB-relevant. Dauerhafte Funktionsstörungen sind insoweit nicht nachgewiesen. Insbesondere ist nach dem Bericht der Fachärzte für Innere Medizin M1 vom 10. Februar 2022 die wegen Oberbauchbeschwerden durchgeführte Abdomensonografie unauffällig gewesen und die im Juli 2022 festgestellte Infektion mit Heliobacter pylori behandelt worden. Auch die von   H. im September 2019 diagnostizierte Keratose ist als Behandlungsleiden nicht GdB-relevant.

e)

Da bei der Klägerin Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Die Klägerin kann unter keinem Gesichtspunkt mit ihren Ausführungen zur Bildung des Gesamt-GdB durchdringen. Es sind die Grundsätze nach Teil A Nr. 3 der VMG anzuwenden. Die Klägerin wünscht insoweit eine Addition auf 50, die nach Teil A Nr. 3a VMG aber ausdrücklich ausgeschlossen ist. Nach Nr. 3c ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.

Danach ist für das Funktionssystem Ohren ein GdB von 30 festzustellen. Der Beklagte hat diesen Einzel-GdB aufgrund der Funktionsstörungen der Wirbelsäule, die er mit einem Einzel-GdB von 20 bewertet, auf einen Gesamt-GdB von 40 erhöht. Diese Erhöhung erscheint wohlwollend, denn nach Teil A Nr. 3 ee VMG werden auch Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 als leichte Funktionsstörungen angesehen, die es vielfach nicht rechtfertigen, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Hier erscheint eine Erhöhung nicht zwingend, denn ein Zusammenhang zwischen der Hörminderung und dem Wirbelsäulenleiden, sodass das Gesamtausmaß der Behinderung größer wird, lässt sich nicht erkennen. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete psychische Störung lässt, da ein Ausnahmefall nicht erkennbar ist, keine weitere Erhöhung des Gesamt-GdB zu (vgl. Teil A Nr. 3 ee VMG).

Schließlich sind nach Teil A Nr. 3b VMG bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleichswerte mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste Werte angegeben sind. Ein GdB von 50 wird nach Teil B Nr. 5.2.4 festgestellt, wenn Taubheit des eines Ohres und hochgradige Schwerhörigkeit des anderen Ohres vorliegt. Eine Teilhabebeeinträchtigung dieses Ausmaßes liegt bei der an einer Hörminderung leidenden Klägerin auch nicht unter Berücksichtigung ihrer weiteren Funktionsbeeinträchtigungen vor.

2.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf das Merkzeichen RF ist § 152 Abs. 4 SGB IX bzw. § 69 Abs. 4 SGB IX a.F. Demnach treffen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden, wenn neben dem Vorliegen der Behinderung weitere gesundheitliche Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen sind, die erforderlichen Feststellungen im Verfahren nach § 152 Abs. 1 SGB IX bzw. § 69 Abs. 1 SGB IX a.F. Nach § 152 Abs. 5 SGB IX bzw. § 69 Abs. 5 SGB IX a.F. in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) ist in den Schwerbehindertenausweis auf der Rückseite das Merkzeichen RF einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Da die Klägerin nicht schwerbehindert ist, kommt keine Feststellung des Merkzeichens in Betracht.

3.

Weitere Ermittlungen des Senats waren nicht angezeigt. Insbesondere hat der Senat dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme nicht nachgehen müssen.

Jedem Beteiligten steht gemäß § 116 Satz 2, § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 397, 402, 411 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) das Recht zu, einem Sachverständigen sachdienliche Fragen vorlegen zu lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Sachverständige ein Gutachten auf Antrag eines Beteiligten gemäß § 109 SGG erstellt hat (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 118 Rn. 12c m.w.N.). Sachdienlich im Sinne von § 116 Satz 2 SGG sind Fragen, wenn sie sich im Rahmen des Beweisthemas halten, nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind (BSG, Beschluss vom 21. Oktober 2021 - B 5 R 148/21 B - Rn. 7, juris; BSG, Beschluss vom 24. Juni 2020 - B 9 SB 79/19 B - Rn. 6, juris) und über die erläuternde Wiederholung des Gutachtens und der dort bereits enthaltenen Gründe hinausgehen (BSG, Beschluss vom 13. April 2021 - B 13 R 177/20 B - Rn. 18, juris; BSG, Beschluss vom 3. Juni 2020 - B 9 SB 14/20 B - Rn. 8 juris). Insoweit reicht es aus, die erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (BSG, Beschluss vom 17. April 2012 - B 13 R 355/11 B - Rn. 15, juris). Allerdings begründet das Fragerecht keinen Anspruch auf stets neue Befragungen, wenn der Beteiligte und der Sachverständige in ihrer Beurteilung nicht übereinstimmen (BSG, Beschluss vom 27. September 2022 - B 2 U 150/21 B - Rn. 11, juris; BSG, Beschluss vom 27. März 2020 - B 9 SB 83/19 B - Rn. 9, juris).

Die Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten sind dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums mitzuteilen (§ 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Ein Antrag auf Befragung eines Sachverständigen ist regelmäßig nicht mehr als rechtzeitig gestellt anzusehen, wenn er erst so kurz vor der bereits anberaumten mündlichen Verhandlung beim Gericht eingeht, dass diesem ohne Vertagung weder genug Zeit bleibt, den Sachverständigen zum Termin zu laden, noch von ihm eine schriftliche Antwort auf die kurzfristig gestellten Fragen zu erhalten (BSG, Beschluss vom 24. Februar 2012 - B 13 R 37/20 B - Rn. 13, juris).

Der Antrag der Klägerin, den Sachverständigen   K2 zur ergänzenden Erläuterung seines Gutachtens schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung aufzufordern, war sowohl verspätet als auch nicht sachdienlich.

Der Antrag der Klägerin war schon nicht mehr rechtzeitig im Sinne von § 411 Abs. 4 Satz 1 ZPO gestellt. Bereits im Erörterungstermin vom 19. Januar 2023 wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass der Sachverständige sich in seiner ergänzenden Stellungnahme zu den technischen Voraussetzungen der Freifeldmessung bereits geäußert hat und das bloße Bestreiten nicht genügt, um das Gutachten substantiiert anzugreifen. Auch wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen nicht mehr von Amts wegen erfolgen. Sie hat weder nach diesem Termin noch nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung, sondern erst im Termin der mündlichen Verhandlung den Antrag auf Einholung der ergänzenden Stellungnahme gestellt. Das war nicht mehr rechtzeitig.

Der Antrag war auch nicht sachdienlich. Er ging nicht über eine erläuternde Wiederholung der bereits in der ergänzenden Stellungnahme beantworteten Fragen hinaus. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, dass der Sachverständige die Untersuchung nicht nach der Freifeldmessungsmethode durchgeführt hat. Dazu sollte der Sachverständige nochmals befragt werden. Der Sachverständige hat dazu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. März 2021 bereits ausgeführt, dass eine Freifeldmessung durchgeführt worden sei. Zu den Zweifeln der Klägerin an der Untersuchungsmethode hat er ausgeführt, dass er zwei Lautsprecher nutze, die hinter der Klägerin aufgestellt worden seien und übersehen werden könnten. Nur weil die Klägerin nicht alle technischen Voraussetzungen oder die Durchführungsmethode kenne, könne sie nicht davon ausgehen, der Fachstandard sei nicht eingehalten worden. Die Unzufriedenheit der Klägerin mit diesen Ausführungen macht ihren Antrag, den Sachverständigen genau dieselben Fragen nochmals zu stellen, jedoch nicht sachdienlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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