L 7 AS 406/23 B ER L 7 AS 407/23 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 AS 297/23 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 406/23 B ER L 7 AS 407/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10.03.2023 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den auf eine Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen nach dem SGB II gerichteten Antrag abgelehnt.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen(§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung zu ermitteln (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 20.02.2019 – L 7 AS 1916/18 B ER – und vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER –). Können ohne Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 –1 BvR 569/05 –). Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange der Antragsteller umfassend zu berücksichtigen hat (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. nur Beschlüsse vom 30.08.2018 – L 7 AS 1268/18 B ER –, vom 05.09.2017 – L 7 AS 1419/17 B ER – und vom 21.07.2016 – L 7 AS 1045/16 B ER –).

Der Antrag ist nicht begründet. Die Antragsteller haben ihre Hilfebedürftigkeit i.S.v.§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II und damit einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Verbrauch der vom Geschäftskonto der Antragstellerin zu 1) vom 03.01.2023 bis zum 16.01.2023 in bar abgehobenen Summen i.H.v. 173.000 € einer Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit entgegensteht. Der pauschale Hinweis der Antragsteller, die Verwendung der Geldbeträge sei in Anbetracht des am 27.01.2023 über das Vermögen der Antragstellerin zu 1) eröffneten Insolvenzverfahrens und des Entfallens ihrer diesbezüglichen Verfügungsbefugnis ohne Belang, trifft nicht zu. Da das Recht der Grundsicherung maßgeblich auf die Möglichkeit einer faktischen Bedarfsdeckung abstellt, können unter Umständen (abgesehen von gestohlenen oder unterschlagenen Sachen) selbst deliktisch erlangte Mittel einem Leistungsanspruch entgegenstehen (vgl. hierzu LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.07.2021 –L 32 AS 2716/14 –, Sächsisches LSG, Urteil vom 08.11.2018 – L 7 AS 1086/14 –, LSG Hamburg, Urteil vom 21.06.2012 – L 32 AS 2716/14 –). Die Antragsteller haben keine Tatsachen vorgetragen, die eine Beurteilung ihrer tatsächlichen und rechtlichen Verfügungsgewalt über die in Rede stehenden Beträge ermöglichen. Der durch eine eidesstattliche Versicherung untermauerte Vortrag der Antragstellerin zu 1), die Beträge für offene Tankrechnungen ihrer früheren Spedition eingesetzt zu haben, ist unglaubhaft. Hier ist bereits nicht nachvollziehbar, warum die Antragstellerin zwischen dem 03.01.2023 und dem 16.01.2023 neun mal „runde“ Beträge (zwischen 3.000 € und 60.000 €) in bar abgehoben hat, anstatt die Rechnungen durch Überweisungen oder Kartenzahlungen betragsgenau zu begleichen. Weiter ist nicht naheliegend, dass die Antragstellerin zu 1) sich weder an die Namen der von ihrer Spedition in Anspruch genommenen Tankstellen erinnern noch diesbezügliche Rechnungen oder Quittungen vorlegen kann. Die Antragsteller haben es in der Hand, zum Verbleib der Gelder widerspruchsfrei und wahrheitsgemäß vorzutragen (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 05.10.2020 – L 7 AS 808/20 B ER – und vom 13.07.2020 – L 7 AS 123/20 B ER –).

Letztlich kann das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs dahinstehen, weil jedenfalls aktuell auch kein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO) vorliegt. Der Regelbedarf der Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller, der sich unter Einbeziehung des nicht am Verfahren beteiligten Can Yüksel (geb. am 19.04.2023) im Monat Mai 2023 auf 1.886 € beläuft, ist im Monat Mai 2023 durch die Einnahmen i.H.v. 3.474,20 € (Arbeitslosengeld i.H.v. 886,20 € zuzüglich Kindergeld i.H.v. 500 €, Unterhaltsvorschuss i.H.v. 388 € und Nachzahlung von Unterhaltsvorschuss i.H.v. 1.690 €) gedeckt. Freibeträge haben bei der Prüfung des Anordnungsgrundes außer Betracht zu bleiben (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 11.05.2023 –L 7 AS 382/23 B ER – und vom 18.06.2018 – L 7 AS 563/18 B ER –). Den ihren Regelbedarf übersteigenden Betrag des Einkommens i.H.v 1.511,80 € können die Antragsteller zusätzlich zu den laufenden Einkünften auch zur Abdeckung des unter Anrechnung der regelmäßigen Einkünfte zu erwartenden Restbedarfs i:H.v.101,80 € im Monat Juni 2023 einsetzen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass zeitnah auch Zahlungen des für Can Yüksel bereits beantragten Kindergeldes sowie des beantragten Elterngeldes an die Antragstellerin zu 1) zu erwarten sind. Ein Anordnungsgrund im Hinblick auf Bedarfe der Antragsteller für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 SGB II bzw. auf etwaige Mietschulden i.S.v.§ 22 Abs. 8 SGB II ist momentan nicht ersichtlich. Zwar ist nach ständiger und in Übereinstimmung mit dem BVerfG stehender Rechtsprechung des Senats die Erhebung einer Räumungsklage durch den Vermieter keine Voraussetzung für die Annahme eines Anordnungsgrundes (vgl. hierzu Beschlüsse des Senats vom 18.06.2018 – L 7 AS 563/18 B ER – und vom 06.12.2017 –

L 7 AS 2132/17 B ER –). Eilbedürftigkeit liegt aber nicht vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Anhaltspunkte für einen Verlust der Wohnung vorliegen (vgl. hierzu und zu exemplarischen, die Eilbedürftigkeit ausschließenden Fallkonstellationen Beschlüsse des Senats vom 12.07.2022 – L 7 AS 351/22 B ER – , vom 19.07.2021 – L 7 AS 950/21 B ER –  und vom 06.12.2017 – L 7 AS 2132/17 B ER –). Nach diesen Maßgaben ist im vorliegenden Fall eine Eilbedürftigkeit zu verneinen. Die Antragsteller haben ihre Miete gemäß ihrem Schriftsatz vom 22.05.2023 bis einschließlich April 2023 gezahlt. Da den Antragstellern auch im Fall einer ausbleibenden Zahlung der beantragten weiteren Leistungen in den Monaten Mai 2023 und Juni 2023  ihren Regelbedarf übersteigendes Einkommen i.H.v. insgesamt 1.410 € zur Verfügung steht, das sie zur Abdeckung ihrer Bedarfe für Unterkunft und Heizung i.H.v. 810 € monatlich einsetzen können, ist ein Eintritt der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr 3a) BGB (Verzug mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete für zwei aufeinander folgende Termine) nicht zeitnah zu befürchten.

Ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe scheidet im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen sowohl für das erstinstanzliche Verfahren als auch für das Beschwerdeverfahren aus (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 114 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind nicht erstattungsfähig (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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